Edenssiv I - Die Namenlose

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    dnessivTeil I

    Die NamenloseVon Janet Doe Ant

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    wollte und wollte einfach nicht warm werden und sie fluchte kurz.Was fr n Morgen! Ihren letzten Tag in Deutschland hatte sie sichanders vorgestellt. Genau genommen hatte sie sich alles ganz andersvorgestellt. Sie hatte sie noch nicht einmal gefragt, was sie von all dem

    hielt. Hanna hatte einen neuen Mann gefunden.Schn fr sie. Und was wird aus mir? dachte Marie erbost. Was is mitall meinn Freundn, die ich ihretwegn hier zurck lassn muss?Du kannst doch per Email mit ihnen in Kontakt bleiben, ffte sieihrer Mutter Stimme leise nach.Ja? Und fr wie lange, denkt se, soll das so funktioniern? Freund-schaftn lebn davon, dass man sich sieht. Persnlich! Dass man untervier Augen redn kann und nich nur so bers beschissene Telefon oderbers Netz!

    Und neue findest du da doch auch ganz schnell, hrte sie ihrer Mut-ter Stimme in ihrem Kopf herumschwirren.Das ist aber nich dasselbe, verdammt! Und da sprte sie es schonwieder. Das heie Brennen der Trnen in ihren Augen. Nich jetzt,man! Nicht schon wieder...Marie lehnte den Kopf an die kalten, nas-sen Fliesen und atmete durch.Denk an was andres, Marie. Biss sichauf die Unterlippe. Irgendwas. Fing an, sachte mit dem Hinterkopfgegen die Fliesen zu schlagen.Nu mach schon!Aber nichts half. Gott,verdammt...Sie kniff kurz die Augen zusammen und lie sich dann an der Wandherunterrutschen. Lauwarmes Wasser prasselte auf ihren Rcken undihre Trnen, die sie nicht lnger zurckhalten konnte, vermischtensich mit den kleinen Tropfen, die ihr ber das Gesicht liefen. Sie fhltesich hilflos. So hilflos. Wie des Schicksals Spielball. Wer, oder eherwas entschied ber das Leben, wenn nicht jeder selbst? Man wrdesie aus ihrem Zuhause zerren. Ob sie es nun wollte oder nicht. Und siekonnte nichts dagegen tun. In ein fremdes Haus. Zu fremden Leuten.In einen fremden Ort. In ein fremdes Land. In n gottverdammtes,fremdes Land... Und das ganze von der Frau, der sie ihr ganzes Leben

    lang vertraut hatte. Weshalb war das Wohl der Mutter hhergestelltals das der Tochter? Warum mussten sich immer die Kinder fgen?Httse nich noch fnf Jahre wartn knn? Httse Irwing nich n bis-schen spter kenn lernn knn? Dann wr ich achtzehn und knntallein lebn... Nur fnf verdammte Jahre spter.Marie lehnte die Stirn an die kalte Fliese und fing sich langsam wie-der. Sie fuhr sich mit den Hnden ber das Gesicht, stand auf. IhreKnie zitterten leicht. Sie griff nach der Shampooflasche und wusch

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    sich die Haare. Beim Abtrocknen wanderte ihr Blick zum Fenster. Eswar noch stockdunkel drauen. Die eingebaute Uhr im Regal zeigtegerade einmal 4:32 Uhr an. Sie trat vor den Spiegel und ihr Spiegelbildsah ihr mit verwuschelten, tropfnassen braunen Haaren und ein wenig

    rotumrandeten Augen entgegen. Aus Gewohnheit griff sie links nebensich, doch die Brste war schon eingepackt und auf dem Waschbe-ckenrand lag nur noch ein Kamm. Sie versuchte das zerbrechlicheDing durch ihre widerspenstigen Haare zu ziehen, was ihr nicht son-derlich gut gelang und somit lie sie es schlielich bleiben, wickeltesich das klamme Handtuch um den Kopf und zog sich an. Hanna hattegesagt, sie solle das Shampoo einfach wegwerfen in England wrdensie neues kaufen. Doch Marie trocknete die Flasche sorgfltig ab,nahm sie mit auf ihr Zimmer und verstaute sie in ihrem Handgepck.

    Sie wollte jede noch so kleine Sache, die sie an ihr Zuhause erinnerte...... Noch-Zuhause, verbesserte Marie sich, fr lediglich noch 24 Mi-nutn..erinnerte mitnehmen, selbst, wenn es nur eine Shampooflaschewar.

    * * *

    Als sie in die Kche kam, hatte ihre Mutter bereits Frhstck gemachtund pfiff vergngt zur Musik aus dem Radio. SashasLucky Day.Oh ja, dachte Marie genervt und traurig, was fr n happy day! Amliebstn wrd ich Luftsprnge machn. So glcklich bin ich...Da bist du ja, Marieschatz.Hanna sah sie freudig und liebevoll an. Ganz offensichtlich freute siesich auf den Flug. Auf England. Auf Irwing...Nenn mich nicht immer Schatz, entgegnete Marie ihr gereizt undsetzte sich. Hanna grinste nur und schwieg. Was? Doch ihre Mutterdrehte sich zum Toaster um und griff nach dem Brot. Legte ihrerTochter wortlos eine Scheibe auf den Teller. Und immer noch wardieses verdammte Grinsen da. Ma, hakte Marie nach, was?

    Du und Josi, ihr werdet euch prchtig verstehen.Und da war sie wieder: Josi. Irwings Tochter Joselina, kaum ein Jahrlter als Marie und derzeit angeblich genauso gut auf ihren Vater zusprechen wie Marie auf ihre Mutter. Sie hatten auf Irwings Drngenhin per Email Kontakt aufgenommen. Kontakt... ts.Oh ja, stimmte Marie ihrer Mutter sarkastisch zu. Ganze zweiEmails haben wir uns geschrieben. Sie kann mich nicht ab und ich sienicht. In dem Punkt verstehen wir uns doch... prchtig.

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    Marie, ich bit...Nun stand sie da, mit entglittenem Gesicht. Marie hatte sich wiedererhoben, stand ihr gegenber und schrie sie an.ICH BRAUCHE KEINE SCHWESTER!

    Aber Marieschatz...ICH HATTE NIE UND ICH WILL AUCH NIE EINE HABEN!UND GENAU DAS HATDEINE TOLLE JOSI AUCH GESCHRIEBEN!Mit wenigen Schritten hatte sie die Tr erreicht und war schon aus derKche gestrmt, als Hanna ihre Sprache wiederfand und ihr nachrief.In ihrem Zimmer angekommen, knallte sie die Tr hinter sich zu, risssich das nasse Handtuch vom Kopf und schleuderte es in die nchsteEcke. Ein wtender Schrei entwich ihrem Mund und sie versetzte demBettpfosten einen Tritt. Doch anstatt ihrem rger Luft zu machen,

    durchzog ein stechender Schmerz ihren rechten Fu.AH, VERDAMMT, brllte sie, lie sich auf dem Bett nieder, um ihrenschmerzenden Fu zu halten und heulte schon wieder.Marie, ich... hrte sie Hannas flehende Stimme vom Flur her.Geh weg, schluchzte Marie. Lass mich in Ruhe!Hanna schwieg und Marie wartete darauf, die Laute ihrer sich entfer-nenden Schritte zu hren, doch es kam nichts.Unser Taxi kommt in zehn Minuten, erklang es schlielich ernch-ternd, sachlich und kalt von der Tr her, bevor Hanna zurcktrat.Warum? Warum?! WARUM??? Womit hab ich das verdient? H? Washab ich n getan? WAS HAB ICH DENN GETAN???SAG ES MIR,DAMIT ICH ESVERSTEHN KANN!Bitte, sag es mir... Marie wusste nicht, zu wem sie inGedanken sprach. Sie erwartete auch keine Antwort. Die erwartete sieschon lange nicht mehr. ... bitte, damit ich es verstehn kann. Unddoch horchte sie. In sich hinein. Htte sie ein Bild ber ihren Gefhls-zustand malen mssen, so wre es wohl schwarz gewesen, mit dunkel-roten, verlorenen Strichen und Punkten, die weder wussten, woher siekamen, noch wohin sie gingen. Und was genau sie in der schwarzenMasse verloren hatten, darauf htten sie auch keine Antwort gehabt.

    Es klingelte und Marie hrte, wie ihre Mutter zur Eingangstr ging.Marie stand auf und wischte sich die Trnen vom Gesicht. Sie griffnach ihrem MP3-Player und stopfte ihn, zusammen mit dem Bild ih-res Vaters, in ihre Tasche. Und ohne sich noch einmal umzudrehen,trat sie aus ihrem Zimmer und ihrem neuen Leben entgegen.

    * * *

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    Na, hast du jetzt wieder bessere Laune? empfing Hanna sie auf demFlur.Marie starrte sie nur entgeistert an, schnappte sich ihren schwarzenMantel, warf sich ihren dunkelroten Wollschal um den Hals und ging

    an ihrer Mutter vorbei aus der Wohnung, in der sie ihr ganzes bisheri-ges Leben verbracht hatte.Ohne ein weiteres Wort schloss Hanna die Tr hinter sich und kamhinter ihrer Tochter her, die bereits die wenigen Treppenstufen hintersich gelassen hatte und nun auf dem Gehweg vor dem Taxi stand.Morgen, brummte der Fahrer, der noch recht verschlafen wirkte.Marie nickte ihm kurz zu. Hanna hingegen versuchte ein Gesprch mitihm anzufangen, was ihr nicht recht gelang und so lie sie es nachkurzer Zeit bleiben. Marie hatte sich gleich auf der Rckbank nieder-

    gelassen und ihren Mantel und ihre Tasche neben sich gelegt, so dassHanna gezwungen war auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen.Wohin soll es gehen? erkundigte sich der Taxifahrer.Zum Flughafen, kam es sofort freudig von Hanna.Dem Ende entgegen, nuschelte Marie und kramte in ihrer Taschenach dem MP3-Player.Sie hatte ihn bald gefunden und steckte sich die Stpsel in die Ohren.Hey Marie! erklang Tanjas Stimme ber die Stpsel.Oh, Tanja. Marie seufzte kurz.Tanja war ihre beste Freundin. Die beiden kannten sich schon ausdem Kindergarten. Zusammen waren sie durch dick und dnn gegan-gen. Marie erinnerte sich an die letzte Klassenfahrt, bei der sie sichnachts aus dem Schlafraum geschlichen hatten. Sie waren aus demFenster geklettert. Zusammen mit Kati und Debbi. Weil sie den Mondauf dem Meer hatten sehen wollen. Zu dumm nur, dass Herr Waltersie erwischt hatte...Ich wollt dir nur noch ganz, ganz viel Spa in England wnschen.Und... Tanjas Stimme brach. Ich werd dich vermissen, man. Ich...Dann kam das Klicken, eine Weile lang gar nichts und dann setzte das

    Rauschen wieder ein.Okay. Marie, hr zu, ja? Tanja klang schon wieder etwas gefasster.Wir machen das so, Marie hrte sie schniefen. Wir schreiben unsjeden Tag. Immer abends. Dann haben wir was zum Erzhlen. Undjeden Samstag rufen wir uns an, ja? In geraden Wochen ruf ich an undin ungeraden du. Dann wechseln wir uns ab. Mit den Kosten, meinich. Ja... Also... So machen wir das, ja? Hab dich lieb.

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    Wie oft hatte sie das jetzt schon gehrt? Sie konnte den Text schonmitsprechen. Als nchstes kam Kati.Marilli!Marilli.Marie musste lcheln. So hatte sie nur Kati genannt.Warum? Das wusste sie selbst nicht.Ich httse mal fragn solln... Was

    fllt dir eigentlich ein, einfach so abzuhauen und uns alle hier zurck-zulassen? Und dann auch noch nach England. Wr es nach, keine Ah-nung, Paris oder so gewesen, wrd ich dich besuchen komm. Aber so...Du weit ja, erstens meine beschissene Flugangst und zweitens, Gott,wer will schon ins verregnete England, man? Nein, Spa beiseite! Dasist eine riesen Chance, man. Ergreif sie. Mach was draus. Und eigent-lich ist es gar nicht sooo schlecht. Immerhin kann ich jetzt immer sa-gen, ich kenne eine, die in England lebt. Also, Marilli. Ich knutsch dichund wir sehn uns.

    Ja, wir sehn uns, dachte Marie und fhlte, wie erneut Trnen in ihraufstiegen.Sobald ich genug Geld gespart hab, um nach Deutschlandzurck zu komm.Das Klicken war wieder zu hren und als nchstes kam Debbi. Undnach ihr dann Isabel. Und dann Laura. Und dann... Sie alle hattenMarie etwas auf ihren MP3-Player gesprochen. Als Andenken. Und siewusste, in was es ausarten wrde, wenn sie die ganzen Nachrichtenhren wrde. Deswegen drckte sie die Forward-Taste, bis sie endlichbei der Musik angekommen war. Die Toten Hosen.Pushed Again. Na,das passt ja hervorragend. Sie lehnte den Kopf gegen die kalte Fens-terscheibe und wurde der winzigen Regentropfen gewahr, die vomFahrtwind ber die Scheibe gescheucht wurden. Sie hatte noch nichteinmal mitbekommen, dass es zur regnen begonnen hatte.Das is alsodas Ende. Das letzte Mal. Und Deutschland zeigt sich von seiner bestnSeite... Die Wassertropfen verzerrten die wenigen Lichter, an denendas Taxi vorbeirauschte und Marie sah nur noch farbige Schlieren inder Dunkelheit. Begleitet wurde das ganze von Campino, der Marie indie Ohren brllte.

    * * *

    Die Fahrt dauerte nicht all zu lange und somit waren Marie und ihreMutter nach noch nicht einmal einer halben Stunde am Flughafenangekommen. Trotz der frhen Stunde, war dort schon reichlich viellos. Menschen mit vollbepackten Trollis, Stewardessen mit kleinenReisekoffern, die sie hinter sich herzogen und das ein oder andere

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    schreiende Kind rannten umher. Mit gesenktem Kopf und tief in denManteltaschen vergrabenen Hnden, trottete Marie Hanna hinterher.Marieschatz, drngte Hanna, nun beeil...Nenn mich nicht immer Schatz, nuschelte Marie durch geschlossene

    Zhne und schloss zu ihrer Mutter auf.Wir verpassen unseren Flug noch. Und wenn schon? Mich wrdsfreuen. Es ist nur noch eine Viertelstunde, bis der abfliegt.Marie lie sich von Hanna ber den Flughafen leiten. Sie kam sich einwenig vor wie eine Marionette oder eine Art Roboter. Man hatte ihrgesagt `Flieg nach England und genau das tat sie jetzt, ohne sichdagegen wehren zu knnen. Innerlich schrie sie, kmpfte gegen ihreZukunft an. Doch uerlich brachte sie es nicht fertig, sich zu wider-setzen. Sie wusste nicht wie. Wo sie anfangen sollte. Es war ihr alles

    ber den Kopf gewachsen und sie fhlte sich klein und hilflos. Siehatte nur noch ihre Mutter und wenn diese es vorzog auszuwandern,dann sah sie keine andere Mglichkeit, als ihr wortlos zu folgen. Mariehatte versucht, Hanna umzustimmen. Oh ja, das hatte sie. Und washatte es gebracht? Nichts. Sie hatten sich gegenseitig angeschrien,zwei Tage lang nicht mehr miteinander geredet und sich dann dochmehr oder weniger wieder vershnt. Was htten sie sonst auch tunknnen? Und jetzt befanden sie sich hier. Mitten auf dem Flughafen.Nach wenigen Minuten hatten sie den Schalter erreicht und Hannagab ihr Gepck auf.Auf Nimmerwiedersehn, hoffte Marie, obwohl sie sich ziemlich sicherwar, dass ihr Koffer sie auf dem englischen Flughafen erwarten wrde.Genau so, wie es sein sollte. Und trotzdem besteht noch HoffnungHanna seufzte erleichtert, als sie vom Schalter wegtraten und allesseinen geregelten Gang zu nehmen schien. Mit gemchlicheren Tempofhrte sie ihre Tochter ins Check-Inn, durch die Metalldetektoren,vorbei an den Security Leuten, und hinein ins Duty-free-Paradies.Mchtest du noch irgendwas haben, MarieschNein, unterbrach Marie ihre Mutter genervt, will ich nicht!

    Irgendein Andenken, eine letzte Kleinigkeit aus DeutNein, man, entgegnete sie ihrer Mutter heftiger als sie es vorgehabthatte. Ich hab neingesagt!Hanna sah gekrnkt aus, doch anstatt Mitgefhl empfand Marie nurein leise in sich emporsteigendes Gefhl der Genugtuung. Des Trium-phes.Was ist denn los? erkundigte Hanna sich und berhrte ihrer Tochterliebevoll an der Schulter.

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    Marie blieb stehen und entzog sich somit dem Griff ihrer Mutter.Ach, gar nichts, meinte sie sarkastisch. Ist doch schn, wenn manaus seinem Leben rausgerissen wird.Hanna biss die Zhne zusammen und ihre Nasenflgel fingen an leicht

    zu beben. Soll se doch sauer werdn! Is mir egal! Soll se mich dochanschrein hier vor alln Leutn! Marie wartete, dass Hanna etwassagte. Doch die schaute kurz weg, atmete tief durch und fasste sichinnerhalb von Sekunden wieder. Ach Gott, sie traut sich sowiesonichDas hatten wir doch alles schon, meinte Hanna leise, doch mitNachdruck.Dann setzte sie ihr Lcheln auf und fasste Marie bei den Schultern.Es wird dir gefallen, glaub mir, versuchte sie ihre Tochter zum hun-

    derttausendsten Mal zu berzeugen. Du wirstber die Lautsprecher wurde ihr Flug aufgerufen. Hannah drckteMaries Schultern noch einmal leicht, was sie wohl aufmuntern sollte,die Wirkung aber gnzlich verfehlte.Na komm.Widerwillig trottete Marie hinter ihrer Mutter her. Mit jeden Schrittein Stckchen weiter von dem Leben weg, das sie zu leben gehoffthatte.

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    anna hatte die Augen geschlossen und dste vor sich hin. Siehatten kein Wort mehr miteinander geredet und Marie war esnur recht so. Sie sa jetzt schon seit knapp einer Stunde in

    dem Flugzeug und starrte Lcher in die Luft. Auf der kleinen Lein-wand vor ihr, konnte Marie sehen, wo genau das Flugzeug sich befand.Wie hoch es flog. Wie viele Minuten sie noch von ihrer neuen Heimattrennten.Ich will nich, ich will nich, ich will nichWie eine Beschw-rungsformel hatte sie die Worte in ihren Kopf gehmmert und nunfhlte es sich so an, als wrden sie dort oben lebendig werden und einEigenleben fhren. Ich will nich, ich will ni Sie brauchte sie schongar nicht mehr mit den Lippen formen. Schon gar nicht mehr denken. will nich, ich wi Das Flugzeug sackte ab und Marie sprte, wie ihr

    leerer Magen aufmuckte. Ja komm schon, flehte sie. Strz ab. Aberdas Flugzeug fing sich wieder.Da ist wohl die Flugautobahn nicht ganz ausgebaut, scherzte derltere Herr neben ihr und Marie verzog das Gesicht zu einem Nicht-Lustig-Lcheln. Freust du dich denn gar nicht auf den Urlaub? er-kundigte er sich.Wenn es nur Urlaub wre, sicher. Hannah rammte ihr nicht geradesachte den Ellbogen in die Rippen. Was? fuhr Marie sie genervt an.Zu gern htte sie einen Streit vom Zaun gebrochen. Doch ihre Mutterwarf ihr nur einen strafenden Blick zu und blieb stumm. Marieschluckte den Kommentar, der ihr auf der Zunge lag hinunter undwandte ihren Blick wieder dem Fenster zu. Der Mann neben ihr zog esvor, zu schweigen und widmete sich wieder seiner Zeitung. Von ir-gendwo hinter ihnen nhrte sich eine der Stewardessen mit dem Ge-trnkewagen. Langsam arbeitete sie sich zu den dreien vor und bevorMarie auch nur ein Wort ber die Lippen gebracht hatte, hatte Han-nah auch schon fr sich und ihre Tochter bestellt zwei Mal Apfelsaft,bitte was nicht gerade dazu beitrug, Maries Zorn auf ihre Mutter zubndigen.Denkt die, ich hab keinn eignen Mund? Vielleicht htt ich ja

    auch lieber was ganz andres gewollt. Orangensaft, oder soMarieschatz, kam es von Hannah, als sie ihrer Tochter den durch-sichtigen Plastikbecher reichte.Ich habe keinen Durst, meinte Marie ohne Hannah anzuschauen.Marie, bitte, drang Hannahs nrgelige Stimme an ihre Ohren. Ichkenne dich. Sobald sie weg ist, fngst du an zu plrren.Das ist berhaupt nicht wahr, zischte Marie und funkelte ihre Mut-ter bse an. Ich

    H

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    Was ist denn nun? mischte sich die Stewardess ein. Alles andere alsfreundlich. Ich habe noch ein Dutzend Reihen vor Ihnen, die alledarauf warten, dass ichTrotzig griff Marie nach dem Becher, lehrte ihn in einem Schluck und

    hielt ihn der Stewardess hin.Da. Ging das schnell genug?Marie, mahnte ihre Mutter.Sie hatten es doch so eilig. Bitte.Mit einem vielsagenden Blick auf Hannah nahm die junge StewardessMarie den Becher aus der Hand und zog dann ohne ein weiteres Wortweiter.Marie, ich fing Hannah an, doch Marie drehte ihren Kopf zumFenster und ignorierte sie.

    Ihre Mutter gab sich dann vorerst geschlagen und Marie hrte sie nurnoch eine Zeitlang schnell durch die Nase atmen. Um auch das hintersich zu lassen, kramte sie ihren MP-3 Player aus dem Rucksack undprockelte sich die Stecker in die Ohren.

    * * *

    Schweigend waren sie aus dem Flugzeug gestiegen, Hannah hohenHauptes und schnellen Schrittes vorweg und Marie mit einem mrri-schen Gesichtsausdruck drei Leute hinter ihr.Na, dicke Luft, was? meldete sich der ltere Herr noch einmal zuWort, als er an Marie, die keinerlei Anzeichen zeigen ihre Mutter ein-holen zu wollen, vorbei ging.Mhm, machte Marie nur, whrend sie ihm nachschaute.Na, und wenn schon? Sollse doch sehn, wasse davon hat! Da hatseselber Schuld! An der Gepckausgabe holte sie ihre Mutter, die einenTrolly geholt hatte, dann wieder ein. Hannah sah nur kurz auf undblickte dann zurck zum Flieband. Und da kam er dann auch schon.Maries Koffer. Und dabei hat ich so gehofft, er wrd verlorn gehn

    Hannah beugte sich vor und fischte Maries Koffer vom Band. Balddarauf kam dann auch ihr Gepck und ohne ein Wort setzte sie sichmit dem Koffertrolly in Bewegung. Schweigend gingen die Beidendurch den Zoll und dann schlielich aus dem Arrival-Gelnde hinaus.Vor ihnen war eine Fensterfront, die den Blick auf eine verregneteParkplatzanlage, und einen kleinen Wald dahinter freigab.Das is also England Genauso, wie mans immer im Fernsehn sieht.Hannah kannte die Strecke bereits und begab sich ohne Umwege aus

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    dem Terminal hinaus. Drauen wartete bereits ein groer dunklerWagen auf sie und ein Herr in dunklem Anzug und weien Haarenwinkte Hannah zu. Marie verlangsamte irritiert ihr Tempo.Aufm Fotosah er aber anders aus Jnger und Und anders. Irwing war zum

    Kofferraum gegangen und begrte Hannah nun per Handschlag.Mrs. Snaida, schn, dass Sie sind wieder hier. Ahhh und das musssein Miss Mary.M u ie. Das heit MaRIE und nich Mui. Und auerdemhein wir SCHneideRund nich SNaidA! Der Alte streckte ihr die Handentgegen und mit einem gezwungenem Lcheln auf dem Gesicht, dasihre Augen nicht berhrte, ergriff sie sie. Nachdem die Prozedur vor-ber war und Irwing sich ihren Koffern widmete, fhlte Marie HannasHand auf der Schulter.

    Na, wenigstens etwasAnstand hast du behalten, flsterte sie ihr mitspitzem Ton ins Ohr.Irwing trat an ihnen vorbei und ffnete ihnen die Wagentr, als ermerkte, dass Hannah sich in die Richtung begab.Vielen Dank, meinte diese und lie sich auf die Rckbank nieder.Marie sah ihrer Mutter verwirrt hinter her.Warum zum Teufel setztse sich nich nach vorn zu ihm? Ich springschon nich ausm fahrendn Auto. IchMiss Mary.Marie sah zerstreut zu ihrem Gegenber auf. Er hielt die Wagentrnoch immer geffnet und zeigte mit der Hand ins Wageninnere. Siesetzte sich also in Bewegung und stieg ein, ihre Mutter fragend mus-ternd. Doch die hllte sich in Schweigen und strich ihren Mantel glatt.Als Irwing sich dann auf dem Fahrersitz rechts wohlbemerkt undsehr zur Irritation von Marie niedergelassen und angeschnallt hatte,wandte Marie sich an ihn.Mr. Atherton, wie lange wird die Fahrt dauern?Seine Augen fanden sie ber den Rckspiegel und er sah sie kurz ver-wundert an.

    Mr. Athe begann er und fing an zu lachen. Ich bin his Chauffeur.David Langston.Oh, war alles, was Marie dazu einfiel.Ja Das erklrt so einiges. David lie den Wagen an und fuhr los.Aber zu kommen zurck zu deine Frage, Miss Mary, seine wssrigblauen Augen erschienen wieder im Spiegel, 30 Minuten, nicht ganz.Danke, Mr. Langston.Oh, David. David, mdear.

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    Marie lchelte ihm zu und Davids Augen richteten sich wieder auf dieStrae vor ihnen. Sie waren bald vom Flughafengelnde herunter undauf einer Art Schnellstrae, die sie in den nchsten greren Ortbrachte. Mittlerweile hatte es aufgehrt zu regnen und die schwarze

    Wolkenmasse riss sogar an manchen Stellen auf, um die Sonne hin-durch zu lassen.So anders isses ja nich, fuhr es Marie berrascht durch den Kopf.Menschnmassn, verschiedene Einkaufsldn, feine Boutiqun, uralteKirchn Nur dieser verdammte Linksverkehr! Ihr wurde ganz an-ders, wenn David die Kreisel auf der falschen Seite nahm oder aberfalschherum in Straen einbog.Da wirst du dich gewhnen schon noch dran, Miss Mary, kam espltzlich von ihm, da er wohl bemerkt hatte, wie es ihr erging. Wollen

    Sie ihr nicht geben eine kleine sightseeing tour, Mrs. Schneider?Hannah winkte ab: Sie wre sowieso nicht dran interessiert.Gerade deswegenDoch, natrlich wre ich das, versicherte Marie ihnen und sah Davidverwirrt zwischen den beiden hin und her schauen.Hannah warf ihrer Tochter nur einen giftigen Blick zu, und wandtesich an David.Wenn Sie wollen, David.Wie Sie wollen, Mrs. Snaida, meinte er zgerlich.Na, dann schieen Sie los, David, forderte Marie ihn frhlich auf.Also, hier links vorn wir haben die Kirche von St. Anna.Marie sah, wie seine Augen stolz zu leuchten begannen.Sie ist die lteste Kirche im Radius von fast hundert Kilometer.Er muss n sehr glubiger Mensch seinUnd dort dann, er zeigte nach rechts, wir haben die die, wie Siesagen?Hannah murmelte Einkaufspassage mit einem leichten Grinsen aufdem Gesicht und David lchelte dankbar.Ja, Einkaufspassage. Das ist wohl eher was fr die Geschmack von

    die junge Mdchens. Mit Cafes und Kino und Tanzlokal neben an.Tanzlokal? fragte Marie irritiert.Disko, Marieschatz, er meint Disko, bersetzte Hannah, die Mariesvorgetuschte Interesse an England pltzlich wieder ganz freundlichstimmte. David, wandte sie sich belehrend an den Fahrer, sie isterst dreizehn.Oh, da musst du dann warten noch ein bisschen. Aber in ein paarJahren du kannst hingehen dann dort.

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    Sie hatten den Komplex schon hinter sich gelassen und bogen nun ineine Querstrae ein.Ah Und hier wir haben die Museums-Viertel. Mit vielen schnenMuseums. Kunst, frhe Geschichte, alte Geschichte, und viele, viele

    Ausstellungs.Der alte Mann schien wirklich darin aufzugehen, etwas ber seineHeimatstadt berichten zu knnen.Und wenn du fhrst darunter, dann du kommst zu die Hafen mitschnen Boots und Hafenmuseum. Aber wenn du fhrst rechts runter,dann du ach, ich zeige dir.David ordnete sich rechts ein und nahm die nchste Strae. Vor einemalten, riesigen steinernem Gebude drosselte er das Tempo so weit esging.

    Das ist deine Schule, Miss Mary.MeineEs berrumpelte sie. Das Gebude sah nicht wirklich aus, wie eineSchule, eher wie ein uraltes Staatsgebude oder hnliches.Sie ist riesig, entwich es ihren Lippen.Findest du? meinte David gleichgltig und beschleunigte wieder.Eine Privatschule, nur die besten gehen dort. Josi ist dort auch. Ichwerde fahren euch jeden Morgen.Marie war noch so sehr mit dem Begutachten des alten Schulgebudesbeschftigt, dass die Erwhnung ihrer Stiefschwester sie nicht imMindesten interessierte. Der Wagen bog um die nchste Ecke und dasgroe Gebude verschwand aus dem Blickfeld.Und wenn du fhrst hier lang, erluterte David und deutete geradeaus, whrend er die nchste Rechtskurve nahm, dann du kommst zudie Bahnhof. Und zu die Theater, setzte er nach kurzer Pause hinzu.Ja das war es, ich glaube. Jedenfalls fr diese Seite von die Stadt.Aber wenn du hast Fragen, dann du kannst kommen gerne zu mir.Vielen Dank, David, das werde ich tun.Schweigend vergingen dann die nchsten paar Minuten und Marie

    bekam langsam mit, wie sie die Stadt verlieen.Was soll das n jetzt? Ich dachte, wir wohnn hier.David, wandte sie sich an den Fahrer, wo genau fahren wir hin?Nach Hause, meinte dieser leicht irritiert.Aber, ich dachte dassOh! Nein, nein. Mr. Atherton wohnt doch nicht in die Stadt, belehrteer sie in einem Tonfall, der anmuten lie, dass sie etwas extrem dum-mes gesagt hatte. Nein, mdear. Mr. Atherton knnte es aushalten

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    Da seid ihr ja, erklang es pltzlich freudig von hinter Marie und siedrehte sich um.Ein schlanker Mann mittleren Alters trat lchelnd auf sie zu. Seinelockigen, mittlerweile an vielen Stellen ergrauten Haare hatte er zu-

    rckgekmmt. Eine hellblaue Fliege zierte seinen ansonsten dunklenAnzug und auf der Nase trug er eine eckige Brille.Irwing, kam es freudig von Hannah.Ich htt erwartet, dasse sich in die Arme falln Doch stattdessengingen die beiden gesittet aufeinander zu, umarmten und kssten sichkurz. Als wrn se schon Jahre lang zusamm! Nachdem Hannah undIrwing von einander zurckgetreten waren, fiel Irwings Blick auf Ma-rie, die immer noch ein wenig benommen neben dem Wagen stand.Ah Und du musst Mary sein.

    MaRIE, Gott, verdammt!!! Doch sie zwang sich zu einem Lcheln undergriff Irwings ausgestreckte Hand.Mr. Atherton.Na, aber nicht doch, Schtzchen. Irwing, nenn mich Irwing.Irwing, gut.Am liebsten htte sie noch und nenn mich nich Schtzchenhinzuge-fgt, schluckte ihre Bemerkung aber hinunter.Wo ist Josi? erkundigte sich Hannah.Irwing sah sich suchend um und murmelte: Eben war sie doch nochdirekt hinter mir.Schlielich erblickte er sie in einer der vielen Tren und winkte sie zusich. Doch das Mdchen weigerte sich und rhrte sich nicht. Mariewar seinem Blick gefolgt und musterte Josi. Auch sie hatte sie sichanders vorgestellt. Ihre dunkelroten Haare hingen ihr ein wenig ver-wuselt ins Gesicht und ihre Augen waren schwarz umrandet. Trotz derKlte lehnte sie nur im schwarzen, leichten Pullover, dnnen und anvielen Stellen zerschlissenen Strumpfhosen und einem kurzenschwarz-rot karierten Rock an der Tr. Sie hatte die Arme unter derBrust verschrnkt und blickte mit zusammengekniffenen Augen auf

    das Geschehen vor ihr.Du meine Gte, was ist denn mit ihr passiert?Hannah sah beraus schockiert aus.Sie rebelliert, erklrte Irwing erstaunlich ruhig. Am liebsten wrdsie sich noch ein Lippen-piercing machen lassen, aber das habe ich ihrverboten. Warum bin ich darauf nie gekomm? Josi! Komm her,bitte! Widerwillig lie sie die Arme sinken und trat auf die drei zu.Hannah kennst du ja schon. Aber ich mchte dir Mary vorstellen.

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    Josi fixierte sie feindselig, sagte aber keinen Ton. Stattdessen ver-schrnkte sie die Arme wieder. Ob wegen der Klte oder der Antipa-thie, wusste Marie nicht. Josi, ermahnte Irwing seine Tochter nacheinigen Sekunden Stille. Doch anstatt zu antworten, drehte sie sich um

    und marschierte zurck in Richtung Tr. Joselina!I know what she looks like now! rief sie ihrem Vater zu, ohne sichdabei umzudrehen.Entschuldigt mich, wandte Irwing sich an Hannah und Marie, bevorer seiner Tochter nachsetzte.In wenigen Schritten hatte er sie eingeholt, am Arm gepackt und sie zusich umgedreht. Leise, doch mit wutverzehrtem Gesicht, redete er aufsie ein, was sie ziemlich unbekmmert lie.Sie hat verndert sich vor noch nicht langer Zeit, schaltete David

    sich nun pltzlich wieder ein, whrend er Hannahs und Maries Ge-pck in das Gebude brachte. Ich glaube, Mr. Atherton wei nichtumzugehen mit ihr mehr. Er hat versucht alles, aber nichts geholfen.Er seufzte und schttelte traurig den Kopf. Ich wei auch nicht, wasist falsch. Josi war gewesen so ein nettes Mdchen. Jetzt, sie ist ganzanders.Er seufzte ein weiteres Mal und ging dann zum Wagen, um ihn wegzu-fahren.Kommt, forderte Irwing Hannah und Marie auf, whrend er sich mitJosi, dessen Arm er fest umgriffen hatte, in Bewegung setzte.Marie sprte Hannahs Hand sachte auf ihrem Rcken und sah zuihrer Mutter empor.Na komm, meinte Hannah leise.Das hattse sich wohl anders vorgestellt Sie sah traurig aus und mit-genommen. Marie begann Mitleid mit ihr zu fhlen. Doch promptschalteten sich die Alarmglocken wieder ein.Ja, und wenn schon! Josiis groartig!!! Die lsst sich nich so schnell kleinkriegn wie ich! Die iszh. Die hlt das durch. Man, ich lieb se jetz schon! Schon allein des-wegn, weil ses noch weiter getriebn hat als ich!

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    eter hohe, meistenteils torbogenartig zulaufende und mitStuck verzierte Decken. Steinerne Wnde, die mit Wand-teppichen und groen Portraits versehen waren. Bis zur

    Hfte reichende Vasen mit Blumen darin. EbenhlzerneKommoden, Truhen, Sthle und Tischchen hier und dort. Fenster-scheiben, die fast so hoch waren, wie die Wnde. Alle paar Meter eineTr oder neue Abzweigung. Und endlose Lufer auf dem Boden, diedie Schritte dmpften. Marie war schier erschlagen von dem Interieurdes Gebudes. Sich pausenlos umsehend folgte sie Hannah, Irwingund Josi.Mein neues Zuhause, schwirrte ihr immer wieder durch denKopf. Genau genomm isses gar kein ZuHAUSE. Es is n Zuhause -SCHLOSS. Man, ich brauch n Plan, um mich hier drin zurechtzufindn.

    Oder so n Auto-Navigier-Gert So n, wie heits doch gleich? So nAch, is ja auch egal... Ich werd mich garantiert andauernd verlaufnGott, das isMarieschatz, unterbrach Hannah ihren Gedankenfluss, wo bleibstdu denn?Marie hatte noch nicht einmal mitbekommen, dass sie stehen geblie-ben war. Die anderen waren gerade in einem Raum links des Ganges,etliche Meter vor ihr, entschwunden. Nur Hannah stand noch vor derTr und wartete leicht amsiert auf ihre Tochter. Marie lief die letztenpaar Meter und lie sich von ihrer Mutter in den Raum lotsen. Er warebenso hoch wie die Gnge, durch die sie gekommen waren und etli-che Bilder hingen an den Wnden, darunter auch viele Fotos, die Ir-wing, Josi und eine andere Frau zeigten, vermutlich Joselinas Mutter.Ein groer schwarzer Flgel stand in einer der vielen Ausbuchtungendes gerumigen Raumes. Irwing und Josi hatten sich an einen rundenTisch in einer der anderen Wlbungen begeben. Hannah und Marielieen sich nieder, whrend Irwing Josi noch einen letzten mahnendenBlick zuwarf, dann aber mit einem Lcheln zu den beiden hinberschaute. Kaum hatte Marie auf dem gepolsterten und mit rotem Samt

    verkleideten Stuhl platzgenommen, da ging eine Tr zu ihrer Linkenauf und eine rundliche, ltere Frau kam mit einem Servierwagen zuihnen, auf dem etliches Geschirr stand.Ihr seid bestimmt hungrig, erklrte Irwing, whrend die alte Dameanfing Untertassen, Tassen, Glser, Teller und Besteck auf dem Tischzu verteilen.Es folgten eine Teekanne, ein Milchknnchen, eine Zuckerdose, einKorb mit Brot, Aufschnitt, eine Schssel rote Bohnen und gebratener

    M

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    Speck.Ah Das is jetz also typisch englisch, stellte Marie fest. Nach-dem die alte Frau jedem Orangensaft und Tee eingeschenkt hatte,verabschiedete sie sich mit einem Nicken und trat vom Tisch zurck.Thanks, Marge, meinte Irwing, whrend die Frau wieder durch die

    Tr verschwand, durch die sie gekommen war.Gehrt das Haus wirklich Ihnen? platzte Marie pltzlich heraus.Marie, kam es mahnend von Hannah, die von der Frage doch ziem-lich berrumpelt war.Nein, nicht doch. Ist schon in Ordnung, meinte Irwing mit einemLachen in der Stimme. Dann wandte er sich an seine Stieftochter. Ja,es gehrt mir. Und ich dachte, wir wren mittlerweile beim duange-kommen, setzte er lchelnd hinzu.Hast du es geerbt?

    Nein, schttelte er den Kopf, ich habe lange und hart dafr gearbei-tet.Wie lange?Sehr lange. Mein ganzes Leben lang.Wie alt bist du?Marie! Also, ich muss schonIrwing legte Hannah eine Hand auf den Arm und sie verstummte.lter, als ich aussehe. Und nun lass es dir schmecken. Er selbst griffzu dem Glas, das vor ihm stand und prostete Marie stumm zu, dieihres ebenfalls ergriff. Auf ein neues Leben, sprach Irwing, als auchHannah ihr Glas erhoben hatte.Nur Josi sa stumm da, mit verschrnkten Armen, ihren zornigenBlick auf Irwing geheftet und rhrte sich nicht.

    * * *

    So, beendete Irwing die rund zweistndige Fhrung und schloss eineTr zu seiner Linken auf, und das hier ist es, dein vorlufiges Zim-mer.

    Sie hatten auf den zwei Etagen des Gebudes unzhlige groe Rume,ja fast schon Sle, angeschaut. berall hingen diese Wandteppicheund uralten Bildnisse. Auf den Bden waren meterlange Lufer.berall standen riesige Blumenvasen mit Pflanzen darin. Hier und dasah man mehrarmige Kerzenstnder, dessen Arme ber und ber mitweiem Wachs bezogen waren. Sie waren im Ezimmer gewesen derfrhere Rittersaal; mit einer cremefarbenen, aufwendig verzierten,hohen Decke und einem ovalen Tisch, an dem gut zwanzig Leute di-

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    Kommst du jetzt, oder was? rief sie vom Gang und Marie schluckte,bevor sie den Raum ebenfalls verlie.

    * * *

    Josi war fort, als Marie aus dem Zimmer kam. Sie sah sich um, konntesie aber nirgends sehen. Sie ging den Flur entlang, blickte in die Ru-me links und rechts davon, doch ihre Stiefschwester war nicht aufzu-finden. Rufen wollte sie nicht. Nicht, dass Hannah sie nicht gehen lie.Also zog sie allein los. Marie entrollte die Karte, suchte die Bibliothekund fuhr mit dem Finger die kurze Strecke entlang, die sie gegangenwar. Dann lie sie ihren Blick erneut ber die Karte schweifen undentschied sich folgender Maen vorzugehen: Erst einmal wrde sie

    das Erdgeschoss abklappern, von Osten nach Westen und dann berdie kleine Wendeltreppe, die in der Karte eingezeichnet war, von dortaus in die zweite Etage vordringen und diese dann von Westen nachOsten durchkmmen. Somit wrde sie keinen Raum auslassen undwrde nicht die ganze Zeit hin und her rennen mssen. Marie begabsich also zum uersten Westflgel des Gebudes und begann ihreSuche nach einem geeigneten Zimmer. Sie durchkmmte zahlloseGnge. Versuchte sich an zahlreichen Tren, von denen einige sichallerdings, wahrscheinlich weil sie entweder zu alt oder aber abge-schlossen waren, nicht ffnen lieen. Sah in unzhlige Rume.Groe Rume, kleine Rume, runde Rume, Rume mit gigantischenAusmaen, Rume mit Fenstern, Rume ohne Fenster, Besenkam-mern, Rume mit Mbeln, Rume ohne Mbel, Rume mit Himmel-betten, Rume mit Musikinstrumenten darin, spinnenbenetzte Ru-me, eingestaubte Rume, Rume, in denen das Chaos herrschte undMbel, Bilder und andere Dekorationsstcke zerbrochen kreuz undquer auf dem Boden zerstreut lagen, Rume, in denen die Fensterzersplittert waren und die eisige Klte und Nsse von Drauen herein-kam, wohnliche Rume, in denen trotz verhngter Mbel der Kamin

    brannte, Rume mit Bildern an den Wnden, Rume ohne Bilder anden Wnden, Rume, die aussahen, wie kleine Kirchen, Rume, dieaussahen, wie Lagerrume.Nie htte Marie gedacht, dass es so viele verschiedene Rume gibt. Sietraf auf einen Raum, der keine Bilder und Teppiche an den Wndenhatte, dafr aber gut ein Dutzend Betten, die links und rechts entlangan den Wnden standen.N Hospital, wahrscheinlich. Dann befand siesich in einem Raum, in dem gut drei Dutzend uralte kleine Holztische

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    standen, die mit einzelnen Sitzbnken verbunden waren. N altesSchulzimmer. In den maroden Regalen standen noch in Leder gebun-dene Bcher, dessen Seiten zu Staub zerfielen, sobald Marie sie ffne-te. Dann traf sie auf ein gerumiges Zimmer, in dem alles mit Ru

    bedeckt war und die Wnde und Mbel angekokelt waren. Selbst derriesige Kronenleuchter an der Decke war an etlichen Stellen ver-schmort und mit einer schwarz Schicht Ru bedeckt. Sie fand einenRaum, in dem nur ein einziges verhangenes Gemlde an einer derWnde lehnte. Marie versuchte, das helle Bettlaken vom Bilderrahmenzu ziehen und wirbelte erst einmal eine Staubwolke auf, so dass sieniesen musste. Sie kippte den Rahmen, der fr seine Gre verhlt-nismig schwer war, ein wenig nach vorn und zog erneut an demTuch. Sie bekam es frei und schaute enttuscht auf einen lehren Rah-

    men. Sie hatte mehr erwartet, war er doch der einzige Gegenstand indem Zimmer. Sie kam in eine Art Garage, in der zwei riesige, goldbe-setzte Kutschen standen. Sie wagte, nach der Begegnung mit den B-chern, nicht sie zu berhren und hielt somit einen kleinen Abstand zuden Karossen als sie sie umrundete, um jedes Detail genau zu betrach-ten. An den Wnden erblickte sie die dazugehrigen ledernen Pferde-geschirre. Auch sie betrachtete Marie aus einiger Entfernung, da siesich nicht traute sie anzufassen. Sie stie auf einen Raum, in demhunderte von teilweise nicht mehr funktionierenden Uhren stan-den. Kleine und groe, einige in Glaskuppeln, andere ein wenig ein-gestaubt, und Standuhren, die fast doppelt so gro waren, wie sie. Umehrlich zu sein, gestand Marie sich in einer kleinen Pause, die sie aufeiner der Fensterbnke verbrachte, hat ich gedacht, gbs mehr Zim-mer, die bewohnbar sind. Sie hatte die komplette untere Etage schonbesichtigt und in etwa zwei Drittel der zweiten. Es hatte knapp dreiStunden gedauert. Und nur ne Handvoll komm berhaupt in FrageIhr zuknftiges Zimmer sollte schon so ziemlich alle Mbel, die siebrauchte, haben. Sie wollte sie nicht von irgendwo anders herschlep-pen mssen. Auerdem musste es viele Fenster haben. Und ne Fens-

    terbank, auf der man sitzn kann! Marie seufzte und wollte sich geradewieder aufraffen, als sie Schritte auf der breiten Haupttreppe hintersich hrte. Ohne auch nur einen weiteren Gedanken zu verschwenden,sprang sie auf und rette sich in den nchsten Raum. Vorsichtig undleise schloss sie die Tr hinter sich, lehnte sich dagegen und wagtekaum zu atmen.Lass se mich nich findn, flehte sie.Ma kriegt n Herz-infarkt, wenn se wsste, dass ich allein unterwegs bin.

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    Mary? Es war Irwing. Gott, er wei, dass Josi? Erleichtert atme-te Marie leise aus. Wo seid ihr denn?Marie hrte, wie er sich langsam entfernte und die Anspannung fielallmhlich von ihr. Sie blickte sich um und sah, dass sie sich in einem

    Zimmer befand, das vier alte Nhmaschinen beherbergte, auf denennoch halbfertige Kleider lagen. Als htt man se da liegn gelassn. Alsob man Hals ber Kopf aufgebrochn sei. Marie ging auf die erst besteMaschine zu und begutachtete den gelben, voluminsen Stoff, derteilweise mit weier Spitze besetzt war. Wr ganz schn gewordn.Nach einer Weile verlie sie die Nhstube und schritt den Gang ent-lang, ging an einem der Badezimmer vorbei, und kehrte in das nchsteZimmer ein, das sich aber als Abstellkammer entpuppte. Das nchsteZimmer war zwar ganz nett, hatte fr Maries Geschmack aber zu we-

    nige Fenster. Das danach war gerumig und hell, hatte aber keineMbel. Und so mit blieb nur noch eines ber. Mit einem eher ungutenGefhl im Bauch ging Marie langsam auf die letzte Tr des Ganges zu.Sie legte ihre Hand auf den khlen Knauf und hrte sich ausatmen.Man! Es wird ja wohl nich so schwer sein, n vernnftiges Zimmer zufinden. Das Haus Ding was-auch-immer, hat ja wohl mehr alsgenug! Sie drehte den Knauf und mit einem leisen Klicken ffnete sichdie Tr. Knarrend schwang sie auf und gab den Blick frei auf YES!!!Das isses!Marie trat ber die Trschwelle und blickte sich um. Durch die vielen,teilweise mit weien Gardinen behangenen Fenster drang das kargeLicht des verregneten Tages in den sechseckigen Raum und tauchteihn in ein karges Grau. Htte die Sonne geschienen, war Marie sichsicher, htte sie den Staub tanzen gesehen. An der vierten, der Trgegenberliegenden Seite wlbe sich die Wand mit den drei grtenFenster nach auen und gab genug Platz fr eine Sitzfensterbank, aufder sogar schon ein altes, reichlich eingestaubtes Kissen lag. An derWand links von Marie stand, was unter dem Bettlaken aussah wie einKleiderschrank. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, lste das Laken

    und hervor kam dann auch wirklich ein alter, rotbrauner Schrank, dermit reichlichen Verzierungen, in der Form von Blttern und Ranken,versehen war. An der hinteren rechten Wand stand ein Himmelbett,dessen Behnge dank der unzhligen Laken, die es bedeckten, nichtvom Staub befallen waren. Marie lie sich rcklings auf das Bett fallenund ihr Krper federte wieder nach oben. Oh ja! Das is cool! Sie muss-te grinsen.Das is meins! Meins, meins, meins. Nach einiger Zeit erhobsie sich wieder und sah sich weiter um. Sie fand noch einen alten Sek-

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    retr, einen mannshohen Spiegel, drei Gemlde und zahlreiche unter-schiedliche groe Kerzenstnder. Irgendwann trat sie an eines derFenster, berblickte die Pferdekoppel, die Stallungen, das Vogelhausund das Labyrinth und versuchte sich zu entsinnen, wie genau das

    Gebude von auen ausgesehen hatte, warum das Zimmer sechseckigwar. Und dann pltzlich kam ihr die Erklrung. N Turmzimmer! Ja,natrlich! Es is n Turmzimmer!

    * * *

    Na, habt ihr was gefunden? Marie drehte sich um und blickte aufihren Stiefvater, der in der Tr lehnte. Ihr Blick wanderte tiefer auf dieKreatur, die rechts von ihm stand und ihm bis ber die Hfte reichte.

    Was zum Teufel Irwing bemerkte Maries Irritation und erklrte:Das ist Akillies. Ein irischer Wolfshund.Das das ist ein Hund?Mhm, besttigte er und ttschelte der Bestie den Kopf.Das is n Kalb, man! N Kalb, kein Hund!Jonathan ist gerade erst mit ihnen wiedergekommen.Wer?Jonathan, mein Hundetrainer. Aha Wie viele Gott verdammteAngestellte hat der Kerl eigentlich? Na komm her, winkte IrwingMarie zu sich, der tut schon nichts. Zgerlich trat Marie vor und gingauf die beiden zu. Ihr war gar nicht wohl dabei auf eine Kreatur zuzu-gehen, dessen Kopf ihr locker bis zur Brust reichte und die ihr mitoffenem Maul entgegen hechelte. Ich muss verrckt sein, sagte siesich, whrend sie die fingerdicken weien Zhne des Hundes betrach-tete. Nicht so zgerlich. Er ist ein ganz lieber. Das sagn se alleLangsam streckte sie die Hand aus und hielt sie dem Hund entgegen,der auch prompt seine Schnauze vorstreckte und an ihr schnffelte.Ihr schlug das Herz bis zum Hals und sie hoffte, dass das Tier es nichtmitbekam, dass sie Angst hatte. Doch wider aller Erwartungen, fing

    der Hund an ihr die Finger abzulecken. Na, was habe ich gesagt?meinte Irwing frhlich.Marie merkte, wie sie sich langsam entspannte und der Knoten in derBrust sich allmhlich lste.Wie hie er doch gleich nochmal? fragte sie, indem sie dem Hunddie Schulter streichelte.Er hatte sonderbar drahtiges graues Fell und sie konnte jeden Kno-chen fhlen. Auerdem verstrmte er einen eigenartigen Geruch.

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    Akillies. N merkwrdiger Name. Als htte er ihre Gedanken gele-sen, meinte Irwing: Das ist die englische Form von Achilles. Wirdgleichgeschrieben, nur anders ausgesprochen. Aus dem Gang ertnteleises Geklapper und Irwing drehte sich um, sobald er es hrte. Ah,

    und da kommt auch schon Hrkjulies.Lass mich raten, sagte Marie, noch so ein Hund und eigentlichheit er Sie musste kurz berlegen, Herkules.Irwing lchelte und trat beiseite, um einen zweiten irischen Wolfs-hund durchzulassen. Doch der weitaus hellere und etwas zierlichereHund hielt direkt auf ihn zu und drehte sich winselnd und jaulend vorihm im Kreis.Ist ja gut, mein Kleiner, versuchte Irwing den Hund zu beruhigenund strich ihm liebevoll ber den Rcken, ohne, dass er sich htte

    bcken mssen, ist ja gut.Kleiner! Der is alles andre als klein! Ja,also, wandte er sich dann wieder an Marie, das sind unsre beidenHunde. Fr die Namen war allerdings Josi zustndig. Ach, wo ist sieberhaupt?Er sah sich ein wenig suchend im Zimmer um.Sie ist h Ich wei nicht genau, wo sie hingehen wollte, log Marieund versuchte ihrem Stiefvater dabei so aufrichtig wie mglich in dieAugen zu blicken, aber als wir das Zimmer hier gefunden hatten,haben wir uns getrennt.Ah, meinte Irwing nur und Marie war sich nicht so ganz sicher, ob erihr Glauben schenkte oder aber nicht. Erst einmal herrschte Stillezwischen den beiden, die nur von Hercules Winseln und Getapsteunterbrochen wurde. Tja, meinte Irwing dann schlielich und tratvollstndig in den Raum ein, das ist also das Zimmer, das du dir aus-gesucht hast.Ja Also, ich mag es wirklich. Und es hat schon so ziemlich alles, wasich brauche und und ich wrd es echt gern haben.Fast alles? erkundigte sich Irwing. Was fehlt denn noch?Ein Fernseher, versuchte es Marie.

    Es trieb ein leichtes Lcheln auf Irwings Gesicht und er schttelte denKopf.Tut mir leid, Mary, aber mit Josi habe ich die Abmachung, dass sieihren ersten eigenen Fernseher mit 16 bekommt. Da kann ich bei dirkeine Ausnahme machen. Naja, n Versuch wars wert. Sonst ir-gendwas?Marie berlegte kurz.Ein Computer vielleicht, dann kann ich meinen Freunden schreiben.

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    Er musterte sie kurz und erkundigte sich dann: Was sagt Hannahdazu?Ich wei nicht, meinte Marie und zuckte mit den Schultern.Ich werde das mit ihr besprechen, versprach er, und wenn sie

    nichts dagegen hat, dann von mir aus gern.Wenn ich nichts wogegen hab? erklang Hannahs Stimme pltzlichaus dem Gang.Irwing setzte sie schnell in Kenntnis ber Maries Wunsch und nacheinigem Hin und Her willigte auch sie dann schlielich ein.Ich werde gleich Jonathan fragen, kam es schlielich von Irwing.Jonathan? fragte Marie irritiert. Ich dachte, er ist dein Hundetrai-ner.Ja, ja, winkte ihr Stiefvater ab, aber er kennt sich mit solchen Din-

    gen bestens aus.Irwing ging dann, gefolgt von Achilles, und Hannah sah sich in demZimmer um.Das Turmzimmer, also, meinte sie schlielich nachdenklich.Was ist?Hannah sah ihrer Tochter, die nicht nachvollziehen konnte, was inihrer Mutter Kopf vor sich ging, ins Gesicht.Josi und du, erklrte Hannah, ihr habt doch ziemlich denselbenGeschmack, weit du. Marie war immer noch leicht irritiert und sahdementsprechend zu Hannah auf. Es ist doch merkwrdig, kam esfast triumphierend von Hannah, dass von all den Rumen, die dir zurVerfgung standen, du dir ausgerechnet diesen hier aussuchst.Ma, was bitte schn hat das mit Josi zu tun? meinte Marie genervtund fhlte, wie sich langsam wieder das alte Gefhl der Aggressivittin ihr breit zu machen versuchte.Sie wollte nicht mit Josi verglichen werden.Die und ich, wir ham reingar nichts gemein. Und ich will auch nichts mit ihr zu tun ham! Siegeht mir ausm Weg und ich geh ihr ausm Weg.Sie hat genau dasselbe Zimmer. Nur, dass ihres im Westflgel liegt.

    Ja und?Was beweist das schon? Doch ihrer Mutter gegenber brachte sie nurein gelassenes mhm ber die Lippen und lie sich auf ihr Bett nie-der. Hercules kam Rute wedelnd an das Bett heran und Marie klopftegeistesabwesend neben sich auf die Bettdecke.Marieschatz, kam es sofort von Hannah, die Hunde gehren nichtins Bett.

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    Wie du meinst, entgegnete ihr Marie ohne sie anzusehen und strei-chelte dem Hund ber den Kopf.Ich werde David sagen, dass er deine Koffer hier hoch bringen soll.Ja, mach das.

    Hannah kam noch einmal zu ihrer Tochter, beugte sich zu ihr herunterund ksste Maire, die sich heftig dagegen wehrte, aufs Haar. Dannging sie aus dem Zimmer. Marie schaute ihr noch kurz hinter her,stand auf, schloss die Tr und lie sich dann wieder aufs Bett nieder.Na, komm her, Kleiner, meinte sie und klopfte leicht mit der Handneben sich.Und im nchsten Augenblick hatte Hercules sich neben sie auf dasBett niedergelassen, seinen groen Kopf auf Maries Oberschenkelgelegt und starrte sie nun aus groen dunklen Augen erwartungsvoll

    an.

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    osi lehnte am Trrahmen. Ihr zerzaustes rotes Haar verdeckteeinen Teil ihres Gesichtes. Ihre Lippen wurden durch die Klteallmhlich blau. Sie starrte Marie feindselig an, machte ansons-

    ten aber keinerlei Anstalten ihrer Wut und ihrem Hass freienLauf zu lassen. Anders als am Morgen waren Marie und Hannah alleinim Hof, von Irwing und David war weit und breit keine Spur. Genaugenommen war es auch gar nicht Morgen. Es war am Dmmern, dochdas karge Licht und die flatternden Flammen der llampen, die anden steinernen Wnden angebracht waren, reichten aus, um denSchauplatz in Zwielicht zu tauchen.Scher dich fort, verlangte Josi in einer tiefen, festen Stimme.Es wunderte Marie, dass sie sie auf Deutsch ansprach, wo ihr Vater

    doch gar nicht zugegen war. Pltzlich vernahm sie ein merkwrdigeshelles, hohes Kreischen und sah sich schreckhaft um. Doch hinterihnen befand sich nichts als das zweischneidige Licht der Nacht undeine kaum wahrnehmbare Nebelbank, die langsam ber den Hof wa-berte. Dann kam es wieder. Dieses Kreischen. Kam von rechts berihr. Marie fuhr herum und starrte in die leblosen Steinaugen einerKreatur, die unter dem Dach angebracht war. Kam erneut von hinterihr. Sie zuckte zusammen. Sah sich um. Und allmhlich nahm etwasForm an im Nebel. Von Sekunde zu Sekunde wurde es klarer und baldmachte Marie es als einen Grabstein aus, der ber und ber mit Moosbewachsen und an den Ecken bereits ganz abgerundet, zersplittert undabgenutzt war. Sie sah genauer hin, um den Namen auf dem Stein zuerkennen. Doch der Stein verschwand wieder. Genauso schnell, wie ergekommen war. Und brig blieb der Nebel. Erneut kam dieses Krei-schen und Marie vernahm ein unangenehmes Ringen in den Ohren. Indas Kreischen mischte sich jetzt Josis Stimme, die sie erneut auffor-derte, wegzugehen. Das Ringen wurde unertrglich und Marie presstedie Hnde auf die Ohren.Hr auf! Bitte! Das Kreischen wurde hherund lauter und bald wand Marie sich vor Schmerzen.Hr auf, hr auf,

    hr aSCHER DICH FORT!r auf, hSCHER DICH FORT!!! f, hr auDas Kreischen erreichte einen neuen Hhepunkt und aus dem Au-genwinkel sah Marie, wie eine helle Gestalt sich aus Josis Krper

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    schelte. Sie schnellte auf Marie zu und ihr weies Nachthemd und ihreraunen langen Haare flatterten hinter ihr her.

    * * *

    Noch immer die Hnde auf die Ohren pressend und sich von den ima-ginren Schmerzen windend, erwachte Marie. Es dauerte einen Mo-ment, bis ihr bewusst wurde, wo sie sich befand. Dass es nicht dernchtliche Hof war, sondern ihr neues Zimmer, das zwar im Dunkelnlag, doch das garantiert keine steinernen Kreaturen beherbergte undauf keinen Fall eine Stiefschwester, aus der pltzlich ein anderesschrill kreischendes Mdchen hervorkam. Genau genomm, redeteMarie sich ein, als sie den Schock des Traumes einigermaen ber-

    wunden hatte, is sowas auch berhaupt nich mglich. Dass jemandeinfach so aus ner andren Person rauskommt.Sie schalt sich selbst,den Kopf verloren zu haben. Es is ja nur n Traum. Man! N gottver-dammter Traum.Doch dann kamen die Erinnerung an die letzte Nacht zurck. Da hattesie auch von diesen merkwrdigen steinernen Kreaturen und demStein wobei es damals mehrere gewesen waren getrumt.Das warwas ganz andres, schaltete sich ihr Verstand wieder ein. Erstns wardas ganz wo anders und zweitns war das Mdchen nich da. Und Josiauch nich, fgte sie nach einer Weile hinzu. Sie legte sich wieder hin,versuchte sie Augen zu schlieen, doch immer wieder sah sie diesesBild. Ein dunkelhaarige Mdchen, das aus Josis Krper trat. Sie konn-te sich keinen Reim darauf machen und es war ihr unheimlich. Nacheinigen Malen des Hin und Herdrehens und den Versuchen sich gutzuzureden, schlug Marie schlielich die Decke zurck und stand auf.Das alte Holz fhlte sich kalt an unter ihren nackten Fen. Ichbrauch n Teppich. So n Bettvorleger. Sie ffnete die Tr so leise wiemglich und schlpfte in die Dunkelheit des Flures. Ah Gott, ver-dammt! Wo is der verdammte Lichtschalter? Ohne auch nur irgen-

    detwas erkennen zu knnen, tastete Marie die Wand ab. Nach einerEwigkeit des vergeblichen Suchens, erfhlte sie sich ihren Weg zurckin ihr Zimmer und nahm einen der vielen Kerzenleuchter zur Hand.Sie durchsuchte die Schubladen der Schrnke und fand schlielicheine Schachtel Streichhlzer im Sekretr. Mit der entzndeten Kerzetrat sie dann in den Flur zurck. Gott, wie bescheuert. Sie kam sichlcherlich vor, wie sie so da stand. In ihrem Schlafanzug, barfu, dieHaare garantiert noch total zerzaust und einen Kerzenstnder in der

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    Hand. Langsam und leise ging sie den Flur entlang, bis sie zur groenHaupttreppe kam. Die Kerzenflamme hinterlie merkwrdig tanzendeSchatten auf den lgemlden, die an den Wnden hingen und Mariefragte sich, wie viele Menschen wohl schon mit Kerzen in den Hnden

    des Nachts an ihnen vorbeigehuscht waren. Vorsichtig stieg sie eineStufe nach der anderen hinab und ging dann in den groen ehemali-gen Rittersaal. Und dort, wie sie es erwartet hatte, lagen sie. Der einezusammengerollt, der andere weit ausgestreckt vor dem warmen Ka-min, in dem nur noch die Glut vor sich hin glomm. Sobald Marie denSaal betreten hatte, schreckten die Hunde aus ihrem Schlaf auf undwohingegen Hercules nur verschlafen den Kopf hob, war Achilles auf-gesprungen und knurrte Marie tief und bedrohlich an. Sie blieb stehenund ihr furchtsamer Blick heftete auf dem riesigen Hundemaul, aus

    dem die Gerusche kamen.Ist ja gut, versuchte sie ihn zu beruhigen.Im Gegensatz zu Achilles schien Hercules Marie endlich erkannt zuhaben, erhob sich und trottete gemchlich und leicht mit der Rutewedelnd auf sie zu. Sobald der andere sah, dass Marie wohl ein Rechtdarauf hatte, Mitten in der Nacht so mir nichts dir nichts in die Wohn-stube zu kommen und die beiden aus dem Schlaf zu reien, hrte aucher auf zu knurren und kam auf das Mdchen zu. Marie war berauserleichtert, dass Achilles das Knurren eingestellt hatte und strich denbeiden Hunden ber die Kpfe.Na kommt, flsterte sie, drehte sich um und trat aus dem Saal.Die beiden Tiere folgten ihr und gemeinsam gingen sie zurck in Ma-ries Zimmer. Dort angekommen, lie sie sich aufs Bett nieder unddeutete den Hunden an, es ihr gleich zu tun. Hercules sa sofort nebenihr, whrend sie Achilles ein zweites Mal auffordern musste. Dochdann sprang auch er auf die Bettdecke und legte sich ab. Marie liesich nun auch nieder, drehte sich auf die Seite und sprte, wie Hercu-les sich ebenfalls hinlegte direkt an ihren Rcken. Sie konnte nichtsagen weshalb, doch fhlte sie sich durch die Anwesenheit der beiden

    groen Hunde sicherer. Nicht, dass diese die Mglichkeit gehabt ht-ten, ihr in den Traum zu folgen, geschweige denn sie vor dem dunkel-haarigen Mdchen htten beschtzen knnen, doch zu wissen, dassdie beiden dort waren, dass sie nicht allein war, tat Marie gut.

    * * *

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    Das kleine dnne Biest legte sich langsam ber ihren Hals und drcktezu. Marie hatte das drre gelbe Etwas nur aus dem Augenwinkelkommen sehen. Es war so schnell auf sie zugeschossen gekommen,dass sie keine Zeit zum Reagieren gehabt hatte. Noch nicht einmal

    aufsetzen konnte sie sich. Und jetzt schnitt ihr die Bestie die Luft ab.Marie versuchte das Ding zu ergreifen und von ihrem Hals wegzuzer-ren. Doch es war krftig und lie sich nicht so einfach von seinemOpfer abbringen. Marie hrte, wie sie anfing zu rcheln. Sie hatte an-gefangen wild um sich zu treten, um endlich diesem eisernen Griff zuentkommen. Doch alles, was sie damit erreichte, war, dass etwas har-tes am Ende ihres Bettes ein lautes Fiepen von sich gab, dann einWinseln und dann mit einem leisen Krachen auf dem Boden landete.Hil, setzte sie an, doch das Wort blieb ihr im Halse stecken.

    Oh Gott! Bitte! Luft Und dann hrte sie pltzlich direkt links nebenihrem Kopf ein kreischendes Lachen und fuhr zusammen. Da war siewieder. Das braunhaarige Mdchen von vorhin. Und dann war sie fort.Genau so schnell, wie sie gekommen war. Keuchend setzte Marie sichauf und fasste sich an den Hals. Was sie in den Hnden hielt, war kei-ne gelbe Schlange, sondern lediglich ein Fetzen Stoff. Was zum Teu-fel Hercules hatte den Kopf gehoben und schaute Marie neugierigaus verschlafenen Augen an.Soviel also zu den Wachhunden, murmelte Marie und strich demHund trotzdem liebevoll ber den groen Kopf.Achilles hatte inzwischen auch schon wieder auf dem Bett Platz ge-nommen und schnffelte an dem Stck Stoff, das Marie auf demScho lag. Sie nahm es und betrachtete es erneut. Irgendwoher kam esihr bekannt vor.Aus dem Raum mit den Nhmaschinn, schoss es ihrdurch den Kopf.Ich muss es mitgenomm ham Doch so sehr sie sichauch anstrengte, sie konnte sich nicht daran erinnern, es eingestecktzu haben. Sie stand auf und legte den Stoff in eine der vielen Schubla-den ihrer Kommode. Drauen dmmerte es bereits und es war mitt-lerweile so hell, dass sie selbst ohne Lampe etwas erkennen konnte.

    Kommt, meinte sie und die beiden Hunde sprangen vom Bett herun-ter und folgten ihr aus dem Raum.Sie trat auf den kalten Korridor hinaus. Die ersten Sonnenstrahlenfielen durch die groen Fenster und tauchten den langen Gang in einsanftes Gelb. Die vielen Gemlde spiegelten das Licht wider und wasgenau auf ihnen zu sehen war, war nicht zu erkennen. Marie ging leiseden Flur entlang, immer gefolgt vom Getapse der Hundekrallen, wenndie beiden nicht gerade auf den Teppichen liefen. Ohne lange suchen

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    zu mssen, hatte Marie den Nhmaschinenraum wiedergefunden.Vorsichtig ffnete sie die Tr, um die restlichen Leute nicht zu weck-en. Leise knarrend ffnete sie sich und gab den Blick frei auf denRaum, der dahinter lag.

    Was zum Teufel, murmelte Marie fassungslos und trat ein. Was isthier denn passiert?Die fast fertigen Kleider lagen in Fetzen auf dem Boden. Die Tischeund Sthle waren umgeworfen worden. Und die einzelnen Teile derNhmaschinen lagen im ganzen Zimmer zerstreut. Marie watete durchdas Chaos und konnte es nicht recht begreifen. All die Sachen Dieschnen Kleider. Sie hockte sich hin und strich traurig ber das zerris-sene Kleid. Der Stoff fhlte sich kalt an in ihren Hnden. Die R-schenbordre hing nur noch an wenigen Fden am Saum und die brei-

    te weie Schrfe, die als Grtel diente, war aus ihren Halterungengerissen worden und ein langer Riss zierte ihre Mitte. Der Staub tanztein den morgendlichen Sonnenstrahlen, die durch die Fenster in dasZimmer fielen. Er wirkte aufgewirbelt und Marie fragte sich, wie langees wohl her sein mochte, dass man das Zimmer derart verwstet hatte.Und vor allem, wer es gewesen war Warum ham wir nichts gehrt?Ich meine, das muss doch n hlln Krach gewesn sein! Pltzlich hrtesie ein Keuchen hinter sich und fuhr herum. Was will die denn hier?In der Tr stand Josi. Abhetzt. Bleich im Gesicht. Und mit weit aufge-rissenen Augen. Ihr Atem ging schubweise und ihr Brustkorb hob undsenkte sich unter ihrem schwarzen T-Shirt. Erst nach einigen Augenb-licken wurde sie Marie gewahr und starrte sie irritiert an. Pltzlichschien sie zu verstehen und ihr Gesicht verwandelte sich in eine Fratzedes Zorns.WHAT HAVE YOU DONE?Marie konnte nicht nachvollziehen, was ihre Stiefschwester meinteund erhob sich langsam, whrend Josi, wild mit den Armen fuchtelndund immer noch keifend, auf sie zukam. Von dem Lrm angelockt,kamen Irwing und Hannah. Marie konnte bereits ihre eiligen Schritte

    im Flur hren.Na super.Josi?! rief Irwing besorgt, Josi, was ist denn los?Dann waren beide in den Raum gekommen und das Chaos, das ihnenentgegensprang, lie sie in ihren Schritten stoppen.SIE WAR S,DAD! schrie Josi und deutete mit ausgestrecktem Arm aufMarie.WAS??? Na warte! Du blde Kuh! Was fllt dir ein?

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    Marieschatz, kam es entsetzt von Hannah, sie sah reichlich blassaus, wieso hast duDas stimmt doch berhaupt nicht, unterbrach Marie ihre Mutternun ebenfalls aufgebracht, das war schon alles so, als ich reinge-

    kommen bin. Und nenn mich nicht immer Marieschatz, setzte siedann noch hinzu.Ja, klar, kam es sarkastisch von Josi und sie verschrnkte die Armevor der Brust. Das hat sich einfach allesUnd wieso soll ich es gewesen sein? schrie Marie.Weil du setzte Josi an.Vielleicht warst du es ja selbst, hielt Marie dagegen, bevor ichIrwing unterbrach die beiden: Genug jetzt.Aber Dad nrgelte Josi.

    Alle beide. Josi ffnete entrstet den Mund. Schloss ihn. ffnete ihnwieder. Schnaufte laut. Machte auf dem Absatz kehrt. Und strmteaus dem Raum. Josi, rief Irwing ihr nach und machte Anstalten ihrzu folgen, berlegte es sich dann aber wohl doch anders und stopptekurz hinter der Tr.Marieschatz, was ist denn nun passiert?Marie rollte die Augen.Lass mich in Ruhe!Nichts, meinte sie zickig. Lass mich in Ruhe, lass mich in Ruhe, lassmich in Ruhe!!! Rein gar nichts.Marie, Hannah versuchte ihr die Hand auf die Schulter zu legen.Fass mich nich an! Doch Marie wich vor ihr zurck und Hannah liees bleiben. Das Chaos ist doch nicht von allein entstanden.Ich war es aber nicht, zischte Marie und lief an ihrer Mutter vorbei.Mary, bitte, versuchte es Irwing.Lasst mich doch einfach alle in Ruhe! Verdammt noch mal! DochMarie lie sich nicht beirren und hielt direkt auf ihren Stiefvater zu. Esblieb ihm nichts anderes brig, als ihr Platz zu machen und sie durchzu lassen.Mary! rief man hinter her.

    Lasst mich in Ruhe, man!

    * * *

    Marie hatte keine Ahnung, wo genau sie hinlief. Doch eines wusste sie:Nur weit weg von diesm beschissnen Raum! Sie lief die langen, hohenGnge entlang und hrte pltzlich, wie jemand eine Tr unweit von ihrknallte. Sie lief weiter, erreichte eine Wende im Gang und entschloss,

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    dass es eine der Tren im Umfeld gewesen sein musste. Sie hatte keineAhnung, was sie erwartete, als sie die nchstbeste Tr aufriss und warumso berraschter, als sie in Josis Zimmer blickte. Dem Turmzimmerim Westflgel. Und nun verstand Marie auch, was Hannah damit ge-

    meint hatte, dass die beiden denselben Geschmack htten. Das Zim-mer war in etwa genauso eingerichtet, wie Maries. Nur, dass allesspiegelverkehrt war. Es stand dasselbe massive, klobige Bett darin,dieselben Kommoden und ein Schreibtisch, der in etwa genau diesel-ben Ausmaen hatte, wie Maries. Die Wnde waren mit etlichen Post-ern tapeziert. Allesamt grau-wei-schwarz mit nur einem, maximalzwei Farbkleksen. Und alle zeigten sie dunkle Gestalten in dunklerKleidung. Auf der Kommode, der Anrichte und dem Schreibtisch hatteJosi verschiedene schwarze Kerzenhalter in Drachen- und Elfenfor-

    men platziert.GET OUT, keifte Josi und erhob sich vom Bett, auf dem sie sa.WAS SOLLTE DAS? wollte Marie wissen und machte keinerlei Anstal-ten das Zimmer zu verlassen.ISAIDWIESO HAST DUUnd dann waren sie auch schon aufeinander losgegangen. Marie zer-rte Josi an den Haaren und Josi versuchte sie aus dem Zimmer zustoen. Beide schrieen sie aus Verzweiflung, Hass und Schmerz doch keine der beiden wollte loslassen.WAS MACHT IHR DENN DA? erklang es pltzlich zornig von der Tr herund Irwing versuchte die beiden Streithhne auseinander zubringen.Wir erwarten ja nicht, dass ihr euch abgttisch liebt, sagte er, alsHannahs entsetztes Gesicht hinter ihm auftauchte, aber wir hattendoch so viel Anstand von euch beiden erwartet, dass ihr euch nichtgleich an die Gurgel geht. Er musterte beide mit einem strengen,enttuschten Blick. Und beide standen sie da nebeneinander. Inner-lich immer noch kochend. Doch uerlich sich pltzlich ganz kleinfhlend. Klein und so dumm Wieso hab ich mich nur so von ihr

    aufwiegeln lassn! Ihr werdet jetzt beide ins Nhzimmer zurckge-hen, verlangte Hannah, und das Chaos dort beseitigen.Aber kam es von Marie und Josi wie aus einem Munde.Nichts aber, fuhr Irwing den Beiden ber den Mund. Ihr geht. Jetzt.Alle beide.Neben ihr schnaufte Josi laut und Marie schluckte einmal, bevor siesich in Bewegung setzte. Sie folgte ihrer Stiefschwester, die mit hoch-erhobenem Haupt zgig voran schritt, auf den Flur. Schweigend bega-

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    ben sie sich in das Nhmaschinenzimmer, wo sie sich daran machten,das Chaos zu beseitigen. Marie war sich nicht sicher, ob Josi es verans-taltet hatte. Eines, allerdings, wusste sie ganz gewiss: sie selbst war esnicht gewesen. Josi schoss ihr immer wieder feindselige Blicke zu,

    wandte den Kopf aber jedes Mal ab, wenn sich ihre Blicke trafen.Dasmacht doch alles keinn Sinn, mutmate Marie schlielich. Selbstwenn sies gewesn is Warum sollte ses mir in die Schuhe schiebn?Dass wir uns nich wie hat er gesagt? Abgttisch lieben? is aufjeden Fall klar. Aber was zum Teufel httse denn davon, mir dasganze hier ankreidn zu wolln? Und dann pltzlich kam ihr der Traumwieder in den Sinn, den sie mittlerweile, ber all die Hektik, vergessenhatte.Das Mdchen!Nein, schalt sie sich selbst, jetz werd nich verrckt, man. Dass Josi

    sich weigert es zuzugebn, heit noch lange nich, dass das Mdchenausm Traum es gemacht ham muss! Das war n Traum, verdammt.Nur n beschissener Traum. Leute spaziern nich einfach so ausTrumm raus und verwstn Zimmer und versuchn einn zu erwrgnund soUnd schon wieder sprte sie den Blick ihrer Stiefschwester auf sich.Marie richtete sich auf und wandte sich nun direkt an sie. Was? Josischaute weg und griff nach einer kleinen Nadelschatulle, die vor ihrauf dem Boden lag. Hey, man, ich hab dich was gefragt. Josi igno-rierte sie vollkommen und widmete sich stattdessen dem Kleid, das siebereits ber einen der Sthle gelegt hatte. Eh, weit du was, meinteMarie genervt, dann mach es doch alleine.Sie lie die Schrpe, die sie in der Hand hatte, wieder zu Boden fallenund schickte sich an, den Raum zu verlassen. Sie wartete darauf, dassJosi etwas von sich gab. Sie wollte es aus ihr heraus kitzeln. Vielleichtwrde sie sogar zugeben, dass sie den Raum verwstet hatte. Viel-leicht wrde sie sich sogar bei ihr entschuldigen. Aber nichts derglei-chen war der Fall. Marie atmete kurz durch, als sie vor der geschlosse-nen Tr stand. Wie gern htte sie Josi mit all der Unordnung allein

    gelassen. Doch sie traute sich nicht zu gehen. Sie hatte keine Lustschon wieder bei Hannah anzuecken. Und sie wollte es sich nichtschon innerhalb der ersten paar Tage mit ihrem neuen Vater verscher-zen. Immerhin hoffte sie auf einen Computer So drehte sie sich alsolangsam wieder um, ging zur Schrpe zurck, hob sie auf und machtesich ans weitere Aufrumen. Sie versuchte Josi so gut es ging zu igno-rieren und zgig voran zu kommen. Doch trotzdem merkte sie ausdem Augenwinkel, wie das andere Mdchen immer langsamer wurde.

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    Bald rieb sie sich verstohlen ber die Augen und binnen kurzer Zeitkam dann das erste unterdrckte Schniefen von ihr. Marie versuchtees anfangs zu ignorieren. Warum zum Teufel fngtse jetz auch nochan zu heuln? Immer wieder riskierte Marie nun einen Blick zu dem

    Mdchen, das kaum lter war als sie. Und was sie sah, irritierte sie.Soll ich se jetz trstn, oder was? Was erwartet se denn von mir? Erstsoll ich se nich ma anschaun und jetz zieht se hier so was ab.Josi hatte sich vor eine der Nhmaschinen auf dem Boden zusammen-gekauert und ihr Flennen wurde immer lauter. Sie zitterte mittlerweileam ganzen Krper. Marie hielt inne, in dem, was sie tat und starrteJosi an. Langsam und vorsichtig nhrte sie sich dem Mdchen und alssie ihr die Hand auf die Schulter legte, lie Josi es geschehen. Mehrnoch. Sie fasste mit ihrer eigenen Hand danach und schaute zu ihrer

    Stiefschwester auf. Oh man Ihr Gesicht war blass und verheult undes bildeten sich langsam rote Rnder um die Augen.I Ich ich will nicht will nicht, dass es dass es wieder dass eswieder anfngt, schniefte Josi.Dass was nicht wieder anfngt? fragte Marie freundlich, indem siesich vor ihr niederlie. Josi setzte mehrere Male an etwas zu sagen,doch sie heulte nur noch strker und ihr Krper wurde immer heftigervom Zittern geplagt. Hey, versuchte Marie sie zu beruhigen, ist jagut.Sie nahm die bebende Gestalt ihrer Stiefschwester in den Arm undfing an ihr sachte ber den Rcken zu streichen.

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    or einiger Zeit, begann Josi, nachdem sie sich wieder einigerMaen gefangen hatte, trumte ich jede Nacht von diesemMdchen Marie konnte ahnen, welches Mdchen gemeint

    war. Sie stellte die verrcktesten Dinge mit mir an. Erst wares ganz harmlos. Sie weckte mich Mitten in der Nacht oder verstecktemeine Sachen. Schnitt mir die Haare ab und kippte Wassereimer bermir aus. `Das nennst deharmlos? Aber irgendwann wurde sie agg-ressiver. Einmal wurde ich wach, weil sie versuchte, meine Hand inglhende Asche zu stecken. Ein andres Mal schubste sie mich beinaheaus dem Fenster. Und als das nicht funktionierte, hat sie das Zimmerin Brand gesteckt.Das Zimmer unten, schoss es Marie durch den Kopf.

    Und und warum macht sie das alles?Ich wei nicht, meinte Josi nachdenklich. Das einzige, was sie je-mals zu mir gesagt hat, ist, dass ich weggehen und ihn in Ruhe lassensoll.Wen? Ihn? Josi zuckte nur ratlos mit den Schultern. Warum hat esirgendwann aufgehrt? wollte Marie wissen.Keine Ahnung, antwortete Josi langsam und schttelte geistesabwe-send den Kopf.Wann hat es denn aufgehrt?Vor Vor einem guten Jahr in etwa, argwhnte Josi nachdenklich.Ja, so vor einem Jahr ungefhr. Gott, ich wei noch, wie erleichtertich damals war, fgte sie nach einer kurzen Pause hinzu. Damalshatte ich den ersten richtigen groen Streit mit meinem Dad. EinLcheln huschte ber ihr Gesicht und langsam bekam sie wieder Farbeim Gesicht. Es war wegen Jason. Ein Junge, der damals neu war inmeiner Klasse, sie grinste Marie an, die sich um einiges wohler fhlte,jetzt, da Josi nicht mehr weinte. Ich hatte mich binnen eines TagesHals ber Kopf in ihn verknallt und Dad fand, dass ich dazu ja nochviel zu jung sei. Ich konnte machen und tun was ich wollte, er wollte

    mich einfach nicht mit ihm ausgehen lassen. Ich dachte, die ganzeWelt sei gegen mich. Nicht nur, dass Dad mich nicht mit ihm treffenlie Nachdem ich Jason angerufen und abgesagt hatte, meinte er, eswre nicht so schlimm, er wrde sich dann einfach mit Nicole treffen.Die sei sowieso viel hbscher als ich. Ja, echt, das hat er gesagt, be-teuerte Josi, als sie Maries entsetztes Gesicht sah. Ich habe den gan-zen Abend geheult und mit Dad hab ich mindestens eine Woche nichtmehr gesprochen. Selbst nicht, nachdem ich am nchsten Tag in die

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    Schule kam und sah, dass Nicole auch schon wieder abgeschriebenwar und Jason schon wieder eine andre hatte. Aber ich wei noch, wieerleichtert ich mich fhlte, als ich nach drei Tagen festgestellt habe,dass ich wenigstens diese blden Trume nicht mehr hatte. Ein

    Schauer lief ber Josis rcken und ihr frstelte. Und jetzt fangendiese verdammten Dinger wieder an. Josi wischte sich die Trnen vonden Augen und schttelte die Hand aus. Der Nhhocker, der keinedreiig Zentimeter von ihr entfernt lag, schoss um einen guten Meterzurck und Marie schnappte nach Luft. Josi sah zwar leicht geschockt,aber nicht sonderlich berrascht darber aus. Oh, bloody hell, mur-melte sie fluchend und erhob sich.Josi? fragte Marie zgerlich. Was war das grade?Mit einer weiteren Arm Bewegung Josis erhob der Hocker sich in die

    Luft und schwebte auf Augenhhe.Das, fing Josi schleppend zu erklren an, whrend sie den Schemellangsam drehen lie, war damals auch so. Als dieses Mdchen da war.Zu aller erst konnte ich es nicht. Aber dann...Ja, aber das ist doch Marie konnte ihren Ohren kaum glauben. Mitdiesen Fhigkeiten sollte es doch ein Leichtes sein, sich gegen dasMdchen durchzusetzen. aber das ist doch dasDas ist kein Segen, meinte Josi bitter, das ist ein einSie rang nach Worten.Fluch?, schlug Marie vor und Josi nickte, die Lippen eng aufeinan-der gepresst.Ja, aberVerstehst du denn nicht? rief Josi aufgebracht und indem sie sich anihre Stiefschwester wandte und den Schemel nicht mehr im Visierhatte, landete der Hocker auch schon krachend auf dem Boden. Esfngt alles wieder von vorne an! Letztes Mal habe ich mich auch erstdrber gefreut! Aber dann dann Sie wei immer, was du denkst.Was du vorhast. Sie ist dir immer einen Schritt voraus. Was helfen dasolche Fhigkeiten?

    * * *

    Hier, schau mal.Irwing hatte Marie in den groen Salon im Erdgeschoss gebracht undprsentierte ihr stolz eine ganze Schublade voll Schmuck. Wr ichHannah, wrd ich mich sicherlich freun, schoss es Marie durch denKopf und sie versuchte ein freundliches Lcheln. Gott, was soll ich mit

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    all dem Zeugs?Um ihren Stiefvater nicht vollkommen vor den Kopf zustoen, griff sie, ohne irgendetwas bestimmtes im Sinn zu haben, indie Schublade. Sie zog ein silbernes Armband heraus, das mit rotenRosen versehen war.Na super

    Nicht so dein Fall, was? erkundigte sich Irwing, nachdem er ihrenGesichtsausdruck gesehen hatte.Mhm, machte sie und schttelte zgernd und entschuldigend l-chelnd den Kopf.Hier, meinte er und griff nach einem Ring, was hltst du davon?Marie hielt ihm die Hand hin und Irwing lie den Ring in ihre Hand-flche fallen.Au!Marie schrie vor Schmerz auf, als das kleine Schmuckstck ihre Haut

    berhrte. Der Ring fiel zu Boden und hinterlie ein rundes Brandmalauf Maries Handteller.What`s wrong? Irwing griff nach Maries Hand und das blanke Ent-setzen auf seinem Gesicht verhie, dass er genauso irritiert war wieMarie. MARGE!GET SOME ICE!QUICKLY!Nein, ist schon okay, versicherte Marie und zog ihre Hand weg.Sicher?Marie nickte nur und hockte sich hin, um den Ring zu begutachten,dessen roter Stein eine unschne Mischung mit dem Rot des Teppichseinging. Sie htete sich davor, ihn zu berhren, doch bewunderte, wiefein er gearbeitet war. Die silberne geschwungene Fassung war dnn,fast zerbrechlich und mit winzigen Blttern bersehen und erst beigenauerer Begutachtung wurde Marie gewahr, dass der rote Steinselbst wie ein Blatt geschliffen war und winzige Adern ihn durchzogen.Pltzlich kam Irwings Hand aus dem Nichts und hob das kleineSchmuckstck auf.Seltsam, murmelte er nur und starrte den Ring, den er zwischenzwei Fingern hielt, unglubig an.Was denn? fragte Marie und erhob sich.

    Schwerfllig lsten sich Irwings Augen von dem kleinen Schmuck-stck in seiner Hand und wanderten zu Marie.Ich hm ich dachte, ich htte ihn verloren, erklrte er und setztedann fast unhrbar hinzu, vor einer langen Zeit.Erst einmal herrschte Stille zwischen den beiden und Marie wusstenicht, was sie sagen sollte. Irwing war wieder voll und ganz auf denRing fixiert und schien das Mdchen berhaupt nicht mehr wahrzu-nehmen. Marie beobachtete ihr Gegenber und konnte mit seinem

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    Verhalten nicht wirklich etwas anfangen.Man, der heult gleich, stelltesie schlielich irritiert fest.Das sind Trnn in seinn Augn.Irwing Er schreckte auf und sah sichtlich verwirrt aus. Verstohlenrieb er sich ber das Gesicht. Irwing, was

    Nichts, meinte er und seine Stimme klang fester als Marie es erwar-tet hatte.AberMary, es ist nichts, versicherte er ihr und lie den Ring in seinerHosentasche verschwinden. Lass uns das ein anderes Mal machen,ja?Marie nickte nur und sah mit an, wie Irwing die Schublade schlossund ohne ein weiteres Wort den Raum verlie.Komischer Kerl.Mary!?

    Josis Stimme erklang im Flur.Marieschatz, komm schon! Du musst dich beeilen! Marie schnaubtekurz Gott, sie kanns einfach nich lassn! und folgte der Stimmeihrer Mutter in den Rittersaal, in dem Marge bereites das Frhstckangerichtet hatte. Josi war wohl kurz vor ihr in den Raum gekommenund lie sich gerade an dem runden, gedeckten Tisch nieder. Oh,kam es erfreut von Hannah, hbsch siehst du aus.Mhm, machte Marie nur und strich ber den blau karierten Rock.Ihr Blick fiel auf ihre Stiefschwester, die ein genaues Abbild von ihrwar.Genau dasselbe weie Hemd. Genau denselben dunkelblauen Pullun-der. Genau dieselben weien Kniestrmpfe. Genau dieselben dunkel-blauen Schuhe.Nur, dasse eben rote Haare hatJosi grinste kurz und meinte dann: Du wirst dich schnell dran ge-whnen. Da sehen alle so aus.Das hoff ich doch! Sie hatte zwanzig Minuten vor dem Spiegel ver-bracht und konnte sich nicht recht damit abfinden, in so einer Monturzur Schule gehen zu mssen. Fr Tanja, Kati, Debbie und all ihre an-deren Freunde in Deutschland hatte sie extra ein Beweisfoto geschos-

    sen, welches sie spter sobald Irwing, beziehungsweise Jonathan,mit dem Computer kam rber senden wrde.Sitzen, ertnte Marges Stimme pltzlich hinter Marie und die dickli-che, alte Kchenfrau deutete lchelnd auf den freien Stuhl neben Josi.Sitzen. Breakfast.Marie lie sich zwar auf den Stuhl nieder, doch brachte es nicht fertigmehr als ein halbes Glas Orangensaft hinunter zu wrgen. Sie waraufgeregt.

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    Eine neue Schule englisch noch dazu. Neue Lehrer. Und noch vielwichtiger: Neue Schler. Wie schnell wrde sie neue Freunde finden?Wie wrden die Leute berhaupt auf sie reagieren? Wie schwer wrdedas Verstndigen werden? Ein leichtes Kribbeln breitete sich in Ma-

    ries Bauch aus und es nahm von Minute zu Minute an Intensitt undGre zu. Das erste Mal seit Tagen war Marie froh darber, dass Han-nah sich einer Sache angenommen hatte vielleicht war es auch Ir-wing gewesen, sicher war sie sich nicht.Aber was fr nen Unterschiedmacht das auch?Wenigstens wusste sie ansatzweise, was sie erwarte-te.Ah, kam es pltzlich von Hannah und Marie sah auf, folgte demBlick ihrer Mutter und ihre Augen landeten auf David Langston, der inder Tr stand.

    Mrs. Snaida, sagte er und deutete eine Verbeugung an. Mdchens,wandte er sich an Josi und Marie und machte eine auffordernde Geste.Wir sollten aufbrechen nun, weil sonst wir werden seien zu spt.Die beiden erhoben sich und Marie versuchte vergeblich an dem Stuhlihrer Mutter vorbeizukommen.Marieschatz, hrte sie Hannah neben sich, blieb stehen und schlosskurz die Augen. Lass dich drcken.Ma, bitte, nrgelte Marie, doch Hannah lie sich davon nicht irritie-ren und schloss ihre Tochter in die Arme und drckte ihr einen Kussauf die Wange. Ich wnsche dir viel Glck an deinem ersten Schul-tag.Ja schnMarie wand sich aus dem Griff ihrer Mutter, wischte sich ber dieWange und lief die paar Schritte, bis sie Josi, die bereits im Flur war,wieder eingeholt hatte. Schweigend folgten die beiden David, der siezum Auto brachte und ihnen die Tr aufhielt. Josi lie sich ohne einWort auf die Rcksitzbank nieder und Marie murmelte ein Danke-schn.Jederzeit, meinte David lchelnd, jederzeit.

    * * *

    Josi dicht auf den Fersen, ging Marie auf das alte Gebude zu. Gott,man, was fr eine Schule? Um sie herum wimmelte es nur so vonanderen Mdchen und Jungen, ebenfalls in Schuluniformen. Anfangshatte es sie irritiert, dass alle so gleich angezogen waren, aber nachnur wenigen Augenblicken hatte sie sich daran gewhnt. Die sind ei-

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    auf zu weinen und komm. Die Leute gucken schon. Oh, scheieMarie hatte noch nicht einmal mitbekommen, dass sie zu flennen an-gefangen hatte und wischte sich verstohlen die Trnen vom Gesicht.What`re you staring at? Mind your own business! machte Josi die

    umstehenden Schler in einer solchen Tonart an, dass sich keinerwagte, ihrem Befehl nicht Folge zu leisten.Und zum ersten Mal war Marie froh, dass die in Josi eine solch schlag-fertige und keinesfalls auf den Mund gefallene Stiefschwester gefun-den zu haben.

    * * *

    Josi klopfte an die Tr. Wie alles in dem alten Gebude schien auch

    die Tr schon seit einer Ewigkeit in ihren Angeln zu hngen. Nicht,dass sie verschlissen oder abgenutzt aussah, es haftete nur dieserHauch an ihr. Dieses Etwas. Unheimliche Alte. Marie fragte sich, wieviele Menschen wohl schon durch die hohen, langen Gnge gelaufenwaren. Oder eher, verlaufn. Wie viele sich schon verlaufn hattn.Josihatte sie durch ein Wegenetz gefhrt, aus dem sie sicher war, alleinnicht wieder zurck zur groen Eingangshalle zu finden. Selbst mitdiesn ganzn Schildern und Wegweisern. Auf ihrem Weg zum Zimmerder Direktorin waren sie an etlichen Klassenrumen vorbeigekommen.Die Blicke, die Marie im Vorbergehen in die Rume werfen konnten,lieen sie vermuten, dass diese nicht so anders als die in ihrer Heimataufgebaut waren.Ne Tafel, Sthle und Tische eben. Man, Marie, washatteste denn erwartet?schalt sie sich.Das is ne Schule wie jede and-re auch! Nur, dass se eben alt is. Ziemlich alt. Im Gehen hatte Josi ihrden Aufbau des Systems erklrt.Die unteren Klassen sind ausgelagert. Hier in diesem Gebude sindnur die hheren Jahrgnge. Ab 7. Alle siebten Klassen sind im Erdge-schoss im Westflgel, sie deutete hinter sich, und alle achten genaudarber. Die anderen sind alle im Ostflgel. Im Nordflgel sind Mu-

    sik, Kunst und die Aula und im Sdflgel die ganzen Sciences. Und dieBibliothek. Auerhalb ist dann die Kantine.Auf dem Weg wurden die beiden immer wieder durch andere Schleraufgehalten, die Josi begrten, sie in die Arme schlossen und Marieneugierig musterten.Sie scheint beliebt zu sein, schoss es Marie durchden Kopf. Nach der ungefhr fnfzehnten Bekanntmachung mit einervon Josis Freundinnen, verlor Marie den berblick und hatte Schwie-rigkeiten sich die Namen zu merken. Da waren Leslie, ein hageres,

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    hochgewachsenes Mdchen mit stahlblauen, lachenden Augen. Ange-la, ein etwas plumpes Mdchen, das Marie mit den Worten oh, I likeyour scrunchie begrte und auf Maries Haargummi deutete. Chris,der mit einer Erkltung kmpfte. Matt, der Marie mit seinen kinnlan-

    gen dunkelbraunen Haaren und seinen Sommersprossen irgendwie aneinen Jungen aus ihrer Klasse ehemaligen Klasse erinnerte. Ka-thy, die zwar so rein gar nichts mit Kati gemein hatte, doch deren Na-men ausreichte, um in Marie Heimweh auszulsen. Und Treesie, eindunkelhutiges Mdchen, das gerne und viel lachte. Trotz anfngli-cher Angst, traute Marie sich dann auch bald nicht nur zu nicken, mityes und no zu antworten, sondern in ganzen Stzen. Das geht jamal gar nich so schlechtNicht, dass sie alles verstand, doch sinnge-m konnte sie nachvollziehen, worum es ging.

    Okay, ich muss jetzt los, meinte Josi und schickte sich an zu gehen.Du Du kommst nicht mit? Marie war geschockt und hielt Josie amArm fest. Ich kann da nicht allein rein gehen.Klar kannst du.Josi, bitte, ichDie Tr ging auf und vor den beiden stand eine eher kleine Frau, dieihre bereits leicht ergrauten Haare kurz geschnitten trug und mit derFrisur Marie irgendwie an einen Pudel erinnerte. Durch die Glserihrer Brille beugte sie die beiden kritisch und Marie lie prompt denArm ihrer Stiefschwester los. Doch dann machte sich ein Lcheln aufihrem Gesicht breit und in einer energischen Stimme, die eigentlichnicht recht zu dem kleinen, gedrungenen Krper passen wollte, meintesie freundlich You must be Mary.Marie nickte nur und all der Stolz und die Frhlichkeit, die sie nurMinuten zuvor empfunden hatte, darber, dass sie sich mit JosisFreunden hatte richtig unterhalten knnen, waren wie weggeblasen.Sie brachte nur ein Nicken zustande. Mrs Brooks wandte sich an Josi,dankte ihr, dass sie Marie hergebracht hatte und winkte Marie dann inihr Zimmer. Marie sah Josi, die sich auf den Weg in ihr Klassenzim-

    mer machte, nur noch einmal bittend an, doch diese schttelte kaummerklich den Kopf, schenkte ihr aber ein aufmunterndes Lcheln undwar dann um die nchste Ecke verschwunden. Marie atmete einmaltief durch und trat dann an Mrs Brooks vorbei in den Raum. Sie liesich auf dem Stuhl nieder, der ihr von Mrs Brooks angeboten wurdeund versuchte ihre Nervositt zu bekmpfen, was ihr nicht recht ge-lingen wollte. Mrs Brooks lie sich hinter ihrem dunklen Holzschreib-tisch nieder und nahm sich eine Akte zur Hand, die darauf lag. Wh-

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    rend sie diese Mappe studierte, sah Marie sich im Zimmer der Direk-torin um. In dem hellen, groen Zimmer standen allerlei Blumen ver-schiedener Gattungen und Gren. In einer Ecke stand ein kleinerrunder Tisch mit zwei Korbsesseln. Die Wnde waren bilderlos, doch

    auf den Regalen und in einer Vitrine neben der Tr standen kleineRahmen in denen Fotos von Tieren, Schlern, der Schle und anderenKindern waren, die keine Uniform trugen. Das sind wohl ihre, mut-mate Marie. Sie sprte den Blick der lteren Frau auf sich und blicktezu ihrem Gegenber zurck.Mrs Brook war ihrem Blick gefolgt und meinte: Eliza, Emily and Do-rian. Marie nickte und wusste nicht, was sie erwidern sollte. I und-erstand that you`re nervous, but there`s no need for that.Sie lchelte und Marie war ihr dankbar dafr. Es folgte noch eine Ein-

    weisung in den Schulalltag, Fragenklrung Marie hatte nur eineHandvoll und dann berreichte Mrs Brooks ihr den Stundenplanund erklrte ihr den Weg zu ihrem Unterrichtsraum. Per Handschlagverabschiedete Mrs Brooks von Marie und wider Erwartung bemerkteMarie, dass ihre Nervositt sich komplett gelegt hatte. Es hatte keinesprachlichen Probleme gegeben. Keine Missverstndnisse. Und die isgenau genomm eigentlich echt nett. Marie hrte die Tr hinter ihr insSchloss fallen. Und lchelte. Und sie is die einzige, die nich M-u-isagt. Naja, Ma-rie isses auch nich. Sie versuchte sich an Mrs BrooksAussprache ihres Namens zu erinnern. Mo-ri. Ja oder so hnlich.Aber wenigstens kriegtse das `r hin. Sie schaute auf den Zettel, derden Weg zu ihrem Klassenzimmer beschrieb, den Mrs Brooks ihr ge-geben hatte. Sdflgel. Erdgeschoss. Raum 9.Marie machte sich auf den Weg und wider Erwarten verlief sie sichnicht einmal. Sie hatte gedacht, dass es von jedem Fach ein paar Rumnebeneinander gab, doch als sie an den offenen Tren vorkam, sah sie,dass alles Chemierume waren und die anderen naturwissenschaftli-chen Rume in einem anderen Geschoss liegen mussten. Sie verlang-samte ihren Gang und lunste erst einmal im Vorbeigehen in Raum 9.

    In kleinen Cliquen standen die Jungen und Mdchen um die Tischeherum oder saen auf ihnen. Es schien eine lockere Stimmung zuherrschen. Man lachte, bltterte in Bchern, schrieb in Hefte oderunterhielt sich einfach nur. Oh man, Marie, mach schon! Das sindauch nur Menschen! Doch sie traute sich nicht und zog noch einmalan dem Raum vorbei.Mary? Marie wandte sich berrascht um. Ein Mdchen stand vorihr. Sie grinste und strich sich ihre dunkelblonden Haare aus dem

  • 8/13/2019 Edenssiv I - Die Namenlose

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    Gesicht. Und irgendwie kam sie Marie bekannt vor. Mein Name istEliza.Eliza.Du bist das Mdchen vom Foto! Du kannst ja Aber wieso

    Wie? AlsoEliza lachte, legte Marie eine Hand auf den Rcken und ging mit ihr soin den Klassenraum.Mein Pa kommt aus Paderborn. Und ich nehme an, meine Ma hast duschon kennengelernt. Gott man, das erklrt ne ganze Menge Elizafhrte Marie zu einem der Doppeltische und sie lieen sich nieder.Wie kommst du hier zurecht? Hast du alles gut gefunden? Hast dudich schon eingelebt? Wie findest du London so?Man, die redet wie n Wasserfall Und