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Nikolaj Znaider dirigiert EDWARD ELGAR »Enigma Variations« op. 36 3. JUGENDKONZERT DER SAISON 2015/16 am Montag, 14. März 2016 19 Uhr in der Philharmonie im Gasteig EDWARD ELGAR - geboren am 2. Juni 1857 in Broadheath bei Worcester - gestorben am 23. Februar 1934 in Worcester - der erste herausragende englische Komponist seit Henry Purcell (1659–1695) - wichtige Werke: Märsche »Pomp and Circumstances« op. 39, Symphonie Nr. 1 As-Dur op. 55, Cellokonzert e-Moll op. 85, Oratorium »The Dream of Gerontius« op. 38 Biographie Edward Elgar wird 1857 in dem kleinen Ort Broadheath in der Nähe von Worcester in England geboren. Mit Musik kommt er schon früh in Berührung, denn sein Vater ist Klavierstimmer und Organist und betreibt ein kleines Musikaliengeschäft in Worcester. Der Laden seines Vaters wird für Edward bald zum Paradies. Er studiert die Bücher und Noten und versucht sich an den unterschiedlichsten Instrumenten. Eine Zeitlang nimmt er regelmäßig Geigenunterricht. Mit 16 beschließt er, die Musik zu seinem Beruf zu machen. In Worcester ist er bald ein gefragter Musiker, gibt Geigenunterricht, spielt in verschiedenen Ensembles und dirigiert lokale Orchester. Gelegentlich komponiert er auch, etwa für ein Bläserensemble, in dem er Fagott spielt und für dessen ungewöhnliche Zusammensetzung keine Werke exis- tieren. 1889 heiratet Edward Elgar seine Geigenschülerin Caroline Alice Roberts. Ihre Familie ist gegen die Verbindung, denn in ihren Augen ist der Sohn eines Ladenbesitzers kein standesgemäßer Partner für die Tochter eines Generalmajors. Kurz nach der Hochzeit zieht das Ehepaar nach London. Doch Elgars Hoffnung, dort als Komponist anerkannt zu werden, wird enttäuscht. Sie kehren zurück nach Worcestershire, wo Elgar als Dirigent die neu gegründete Worcester Philharmonic Society leitet. Seine Kantaten und seine in England so beliebten biblischen Oratorien machen ihn langsam als Komponist bekannt. Schließlich soll er zum Thronjubiläum der Königin Viktoria einen Marsch komponieren. Der große Durchbruch kam aber erst 1899 mit den »Enigma Variationen«. Elgar schickte das Werk kurzerhand dem großen Dirigenten Hans Richter, der in Wien die Philharmoniker dirigierte und dort Werke von Brahms und Wagner uraufgeführt hatte. Hans Richter ist fasziniert von dem Werk und willigt ein, die Uraufführung bei seinem Gastkonzert in London zu dirigieren. Das Konzert ist ein unglaublicher Erfolg und macht Elgar plötzlich zu einem berühmten Mann, noch mehr: zu einem berühmten englischen Komponisten. Seit zwei Jahrhun- derten, genauer seit dem Tod Henry Purcells 1695, hat England keinen Komponisten mehr hervorgebracht, dessen Ruhm auch aufs europäische Festland überschwappte. Mit Edward Elgar findet der musikalische Dornröschenschlaf endlich ein Ende. Der nächste Erfolg lässt nicht lange auf sich warten. Nach seinem auch in Deutschland sehr geschätzten Oratorium »The Dream of Gerontius«, erhält Elgar den Auftrag, für die Krönung von Edward VII. einen Marsch beizusteuern. Es ist der Marsch Nr. 1 aus seiner Sammlung »Pomp and Circumstances« op. 39, der mit einem patriotischen Text (»Land of Hope and

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Nikolaj Znaider dirigiert

EDWARD ELGAR

»Enigma Variations« op. 36

3. JUGENDKONZERT DER SAISON 2015/16

am Montag, 14. März 2016

19 Uhr

in der Philharmonie im Gasteig

EDWARD ELGAR

- geboren am 2. Juni 1857 in Broadheath bei Worcester

- gestorben am 23. Februar 1934 in Worcester

- der erste herausragende englische Komponist seit Henry

Purcell (1659–1695)

- wichtige Werke: Märsche »Pomp and Circumstances« op. 39,

Symphonie Nr. 1 As-Dur op. 55, Cellokonzert e-Moll op. 85,

Oratorium »The Dream of Gerontius« op. 38

Biographie

Edward Elgar wird 1857 in dem kleinen Ort Broadheath in der

Nähe von Worcester in England geboren. Mit Musik kommt

er schon früh in Berührung, denn sein Vater ist Klavierstimmer

und Organist und betreibt ein kleines Musikaliengeschäft in

Worcester. Der Laden seines Vaters wird für Edward bald zum

Paradies. Er studiert die Bücher und Noten und versucht sich an

den unterschiedlichsten Instrumenten. Eine Zeitlang nimmt er

regelmäßig Geigenunterricht. Mit 16 beschließt er, die Musik zu

seinem Beruf zu machen.

In Worcester ist er bald ein gefragter Musiker, gibt

Geigenunterricht, spielt in verschiedenen Ensembles und

dirigiert lokale Orchester. Gelegentlich komponiert er auch,

etwa für ein Bläserensemble, in dem er Fagott spielt und für

dessen ungewöhnliche Zusammensetzung keine Werke exis-

tieren.

1889 heiratet Edward Elgar seine Geigenschülerin Caroline

Alice Roberts. Ihre Familie ist gegen die Verbindung, denn in

ihren Augen ist der Sohn eines Ladenbesitzers kein

standesgemäßer Partner für die Tochter eines Generalmajors.

Kurz nach der Hochzeit zieht das Ehepaar nach London. Doch

Elgars Hoffnung, dort als Komponist anerkannt zu werden, wird

enttäuscht. Sie kehren zurück nach Worcestershire, wo Elgar als

Dirigent die neu gegründete Worcester Philharmonic

Society leitet. Seine Kantaten und seine in England so

beliebten biblischen Oratorien machen ihn langsam als

Komponist bekannt. Schließlich soll er zum Thronjubiläum der

Königin Viktoria einen Marsch komponieren.

Der große Durchbruch kam aber erst 1899 mit den »Enigma

Variationen«. Elgar schickte das Werk kurzerhand dem

großen Dirigenten Hans Richter, der in Wien die Philharmoniker

dirigierte und dort Werke von Brahms und Wagner uraufgeführt

hatte. Hans Richter ist fasziniert von dem Werk und willigt ein,

die Uraufführung bei seinem Gastkonzert in London zu

dirigieren. Das Konzert ist ein unglaublicher Erfolg und macht

Elgar plötzlich zu einem berühmten Mann, noch mehr: zu einem

berühmten englischen Komponisten. Seit zwei Jahrhun-

derten, genauer seit dem Tod Henry Purcells 1695, hat England

keinen Komponisten mehr hervorgebracht, dessen Ruhm auch

aufs europäische Festland überschwappte. Mit Edward Elgar

findet der musikalische Dornröschenschlaf endlich ein Ende.

Der nächste Erfolg lässt nicht lange auf sich warten. Nach

seinem auch in Deutschland sehr geschätzten Oratorium »The

Dream of Gerontius«, erhält Elgar den Auftrag, für die

Krönung von Edward VII. einen Marsch beizusteuern. Es ist der

Marsch Nr. 1 aus seiner Sammlung »Pomp and Circumstances«

op. 39, der mit einem patriotischen Text (»Land of Hope and

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Glory«) unterlegt wird. Bis heute hat diese eingängige Melodie

bei den Briten den Stand einer heimlichen Nationalhymne.

Der Dank des Königshauses folgte 1904 mit der Ernennung zum

Sir Edward. Außerdem bekommt er an der Universität von

Birmingham einen Lehrauftrag.

Weitere große Werke folgen: Die Uraufführung seiner 1.

Symphonie (die erste Symphonie eines englischen Komponisten

überhaupt!) ist ein Riesenerfolg. Schon bald wird sie auch in

Russland, Amerika und Australien gespielt. Der berühmte

Geiger Fritz Kreisler bittet um die Komposition eines

Violinkonzerts, die 2. Symphonie entsteht. Elgars letztes

Meisterwerk ist das elegische Cellokonzert. Kurz darauf stirbt

seine Frau, ein schmerzlicher Verlust. Mit ihrem Tod verliert

Elgar seinen Antrieb zu komponieren. Zurückgezogen lebt er

mit seinen Hunden auf seinem Landsitz in Worcester. Erst zehn

Jahre später beginnt er wieder mit der Arbeit an zwei größeren

Kompositionen, einer Oper und der 3. Symphonie. Beides kann

er nicht vollenden, denn 1934 stirbt Elgar im Alter von 76

Jahren an Krebs.

DORABELLA CHIFFRE

Zeit seines Lebens war Elgar fasziniert von Rätseln,

mathematischen Knobeleien und Geheimschriften. Einem

Brief an die 17 Jahre jüngere Dora Penny, die Elgar liebevoll

Dorabella nannte, legte er einen schmalen Zettel mit einer

kurzen verschlüsselten Botschaft bei. Erstaunlicherweise ist es

bisher noch niemanden gelungen, diesen Geheimcode zu

knacken. Selbst die Empfängerin Dora Penny wusste bis zu

ihrem Tod nicht, was Elgar ihr da geschrieben hatte!

Hobbyrätsler und Wissenschaftler versuchten mit verschiedenen

Ansätzen (Notenschrift, arabische Schriftzeichen, Morse-

zeichen), die Notiz zu entziffern, jedoch ohne Erfolg. Inzwischen

zählt die als »Dorabella Chiffre« berühmt gewordene Notiz zu

den weltweit bekanntesten ungelösten Geheimcodes.

POMP AND CIRCUMSTANCE

»Ich habe eine Melodie, die sie umhauen – richtig umhauen –

wird!", rief Edward Elgar im Mai 1901 triumphierend aus, »Eine

Melodie wie diese fällt einem nur einmal im Leben ein!«

Elgar hatte Recht, diese Melodie, die den Mittelteil seines ersten

Marsches aus der Sammlung »Pomp and Circumstances«

ausmacht, lässt keinen kalt. Gleich bei einer der ersten

Aufführungen des Marsches forderte das Publikum lautstark

eine und dann (noch lautstärker) eine zweite Wiederholung. Für

die Krönung von König Edward VII. wurde die Melodie mit dem

Text »Land of Hope and Glory« unterlegt und gilt seitdem

als die heimliche Nationalhymne der Briten. Jedes Jahr wird

»Land of Hope and Glory« zum Abschluss der »Last Night of

the Proms« gespielt, inklusive inbrünstigem Mitsingen,

Fähnchenschwingen und Gänsehautgarantie. Auch in den USA

darf das Stück bei keiner High School- oder College-

Abschlussfeier fehlen. Eine Melodie, die einen wirklich umhaut.

https://www.youtube.com/watch?v=Vvgl_2JRIUs

»ENIGMA VARIATIONS« OP. 36

Rätselfrage: Was verbindet ein Dreirad, eine Bulldogge und

einen Ozeandampfer miteinander? Wer die Lösung wissen will,

sollte weiterlesen.

Im Herbst 1898 schrieb Edward Elgar ein großes

Orchesterwerk, das längste Werk für Orchester, das er bis zu

diesem Zeitpunkt komponiert hatte. Es besteht aus einem

Thema und 14 Variationen, wobei er den einzelnen Teilen des

Werks Kombinationen von Großbuchstaben voranstellte, wie

z.B. »WMB« oder »HDS-P«, oder sie mit seltsamen Namen wie

»Nimrod« oder »Ysobel« betitelte. Als er wenig später das Werk

als »Enigma Variations« drucken ließ (Enigma ist griechisch für

Rätsel) und das Ganze seinen Freunden widmete, die »darin

abgebildet sind«, war die Herausforderung klar. Und tatsächlich,

es dauerte nicht lange und die Musikwissenschaftler hatten das

Enigma entschlüsselt. Elgar hatte mit den Variationen seine

engsten Freunde musikalisch beschrieben. Die jeweiligen

Buchstabenkombinationen bzw. Namen gaben die nötigen

Hinweise, und so kann heute (fast) jede Variation einer Person

aus Elgars näherem Bekanntenkreis zugeordnet werden. Diese

Rätsel wären gelöst.

Angeblich war die Idee zur Komposition in Elgars Wohnzimmer

geboren worden. Dort saß er am Klavier und improvisierte

verträumt vor sich hin, als er von seiner Frau unterbrochen

wurde: »Diese Melodie klingt gut!« Elgar wiederholte, was er

gerade gespielt hatte. Dann fiel ihm der befreundete Pianist

Steuart-Powell ein und er meinte, »Er würde es so spielen.« Die

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Melodie klang nun ganz anders. Elgar fand Gefallen daran,

jeden seiner Freunde durch die Melodie sprechen zu lassen,

jeden auf seine Art und Weise. So entstanden die »Enigma

Variationen«, das Orchesterwerk, das Elgar berühmt machte.

Zu Beginn erklingt das Thema, das eine ungewöhnliche

melodische Form hat. Der Rhythmus der ersten vier Töne, der

beim Sprechen dem Rhythmus von Ed-ward El-gar entspricht,

wird im zweiten Takt gespiegelt. Dadurch, dass in allen Takten

auf die schwere Zählzeit 1 eine Pause gesetzt ist, erhält das

Thema einen offen, fragenden, suchenden Charakter:

1. Variation »CAE« (L'istesso tempo)

Die erste Variation beschreibt Elgars Frau Caroline Alice Elgar,

die für ihn eine »romantische, zarte Inspiration« war. In dieser

auskomponierten Liebeserklärung integrierte Elgar eine kleine,

viertönige Melodie (Triolenachtel + Viertel), die er immer bei

seiner Ankunft zu Hause pfiff.

2. Variation »HDS-P« (Allegro)

Hinter HDS-P verbirgt sich Hew David Steuart-Powell, ein

Amateurpianist, mit dem Elgar an der Violine und zusammen

mit Basil G. Nevinson (12. Variation) am Cello über viele Jahre

hinweg Kammermusik spielte. Hew David Steuart-Powell hatte

die Angewohnheit, sich vor dem gemeinsamen Musizieren mit

Tonleiterübungen einzuspielen. Dies karikiert Elgar in seiner

Variation mit Sechzehntelpassagen, die allerdings laut Elgar für

Steuart-Powells Geschmack »viel zu chromatisch« seien.

3. Variation »RBT« (Allegretto)

Richard Baxter Townshend war ein exzentrischer, älterer Mann,

der gerne schauspielerte und aus seinem bewegten Leben

lustige Anekdoten zu erzählen wusste – was er gerne auch mit

verstellter Stimme, mal sehr tief, mal sehr hoch, tat. Dies hat

Elgar in seiner Variation (Holzbläser!) verarbeitet. Außerdem

fuhr Richard Baxter Townshend im hohen Alter gerne Dreirad,

wobei er ständig klingelte, um den Verkehr auf sich aufmerk-

sam zu machen – dies hat Elgar mit gezupften Streichern und

der Dopplung in den Holzbläsern dargestellt.

4. Variation »WMB« (Allegro di molto)

Die 4. Variation ist William Meath Baker gewidmet, einem

extrovertierten Gutsherren, der gerne große Feiern ver-

anstaltete. Dafür galt es den Kutschen-Transport der Gäste zu

organisieren. William Meath Baker stürzte in den Raum, las

lautstark die Namen und Verteilung auf die Kutschen vor und

verließ dann den Raum wieder, nicht ohne die Tür zu-

zuschlagen. Zum knallenden Schluss meinte Alice Elgar: »It is

exactly the way W. M. Baker goes out of the room.«

5. Variation »RPA« (Moderato)

Richard Penrose Arnold, Sohn des Dichters Matthew Arnold,

spielte laut Elgar nicht besonders gut Klavier, aber dafür mit

»wahrem Gefühl!«, was Elgar mit der ausschweifenden und

inspirierten Streichermelodie ausdrückt. Die Flöte hingegen

steht für den geistreichen Witz, mit dem Richard Penrose Arnold

ernsthafte Gespräche aufzulockern verstand.

6. Variation »Ysobel« (Andantino)

Ysobel ist der Spitzname für Isabel Fitton, eine Viola-Schülerin

von Edward Elgar, und somit nimmt die Viola eine wichtige Rolle

in dieser Variation ein. Die schwerfällige, romantische Musik

steht für Isabel Fittons Bratschenspiel.

7. Variation »Troyte« (Presto)

Der Architekt Arthur Troyte Grifith war einer der wenigen nicht-

musikalischen Freunde Elgars. Zeitweise hatte Elgar sogar

versucht Arthur Troyte Grifith Klavierspielen beizubringen – ein

erfolgloser Versuch, wie man im wilden Rhythmus der

Trommeln und tiefen Streicher in dieser Variation hören kann.

Hinzu tritt eine Erinnerung an einen gemeinsamen Spaziergang,

bei dem Elgar und Troyte in ein Gewitter gerieten. Sie retteten

sich ins »Norbury House«, das der Ausgangspunkt für die

nächste Variation ist.

8. Variation »WN« (Allegretto)

Hier wird Winifred Norbury, die Sekretärin der Worcestershire

Philharmonic Society, beschrieben, bzw. die elegante

Atmosphäre des ehrwürdigen »Norbury House« aus dem 18.

Jahrhundert, wo Winifred mit ihrer Schwester Florence wohnte.

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9. Variation »Nimrod« (Adagio)

Die bekannteste und beliebteste der Variationen ist August

Jaeger, einem der engsten Freunde Elgars, gewidmet. August

Jaeger war Lektor beim Londoner Notenverlag Novello und

damit wichtiger Förderer von Elgars Musik und vor allem eine

große seelische Unterstützung während zahlreicher

Schaffenskrisen. Laut Elgar schildert die Musik nicht eine

Charaktereigenschaft Jaegers, sondern einen gemeinsamen

Sommerabend, bei dem die Freunde über die Genialität

Beethovens, vor allem in dessen langsamen Sätzen,

diskutierten. Im Laufe des Abends soll Jaeger das Thema des

langsamen Satzes aus Beethovens Klaviersonate Nr. 8, der

»Pathétique«, eindrucksvoll gesungen haben, was in der Musik

auch anklingt. Für diese Variation wählte Elgar als Titel den

Namen eines Helden aus dem Alten Testament. Nimrod heißt

dort ein kühner Jäger!

10. Variation »Dorabella« (Allegretto)

Hinter »Dorabella« verbirgt sich Dora Penny, die Stieftochter

einer Freundin von Elgars Frau. Zwischen Edward Elgar und der

17 Jahre jüngeren, musikliebenden Dora entwickelte sich eine

enge Freundschaft. Elgar bewunderte ihre »tänzerische

Leichtigkeit«, was ebenso in der Musik zu hören ist wie ihr

leichtes Stottern beim Sprechen.

11. Variation »GRS« (Allegro di molto)

Die Abkürzung »GRS« steht für den Organisten Dr. George

Robertson Sinclair, aber in der Musik geht es nicht um ihn,

sondern um seine Bulldogge Dan. Bei einem gemeinsamen

Spaziergang mussten Elgar und Sinclair zusehen, wie der Hund

am Steilufer des Flusses Wye abrutschte und ins Wasser

stürzte. Der Hund paddelte stromaufwärts und konnte sich

selbst ans Ufer retten. Wieder in Sicherheit kommentierte der

Hund das dramatische Erlebnis mit lautem, aufgeregtem Bellen.

Sinclair forderte Elgar (der übrigens ein Hundenarr war) auf:

»Mach da mal Musik draus!«

12. Variation »BGN« (Andante)

Basil G. Nevinson war Cellist und neben Hew David Steuart-

Powell (2. Variation) der dritte Mann in Elgars Kammermusik-

Trio. Die Musik, in der das Cello sowohl die Einleitung als auch

den Schluss solistisch gestaltet, ist eine Hommage an einen

Freund, den Elgar bewunderte.

13. Variation »***Romanza« (Moderato)

Sternchen anstelle von Buchstaben stehen zu Beginn dieser

Variation, was die Lösung dieses Enigma verkomplizierte. Elgar

gab Jahre später den ergänzenden Hinweis, diese Variation sei

einer Dame gewidmet, »die sich zur Zeit der Komposition auf

einer Seereise befand«. Musikwissenschaftler nehmen an, dass

es sich hier um Lady Mary Lygon handeln könnte, die sich für

die Worcestershire Philharmonic Society engagiert hatte.

Allerdings bestieg Lady Mary Lygon erst ein halbes Jahr nach

Elgars Komposition einen Ozeandampfer, um mit ihrem Bruder

nach Australien zu reisen. Hatte sich Elgar getäuscht oder ist

dieses Rätsel doch noch nicht gelöst? Dass Elgar der 13.

Variation Sternchen voran setzte, hat evtl. mit Aberglaube zu

tun. Die Zahl 13 sollte mit keinen Namen verbunden werden. In

der Musik bezieht sich Elgar auf die Seereise mit einem Zitat

aus Mendelssohn Bartholdys Ouvertüre »Meeresstille und

glückliche Fahrt«, das die Klarinette spielt und das von den

Violen mit wellenartigen Bewegungen begleitet wird.

14. Variation »EDU« (Allegro-Presto)

Die letzte Variation gilt Edward Elgar selbst. Liest man »EDU«

als ein Wort, so ergibt das den Spitznamen, den Alice ihrem

Mann gab. Hier präsentiert sich der Komponist als

selbstbewusster, aufstrebender Künstler. Neben dem Thema,

das nun in neuer Gestalt erscheint, gesellen sich Rückblicke auf

die Variationen 1 und 9 (Alice und Jaeger – die wichtigesten

Unterstützer Elgars), bevor das Werk zu einem triumphalen

Schluss gelangt.

Ein letztes Rätsel der »Enigma Variationen« bleibt aber trotz

verschiedener Lösungsversuche ungelöst. Laut Elgar »geht

durch und über die ganze Komposition ein anderes und

größeres Thema, das aber nicht gespielt wird. So erscheint das

Hauptthema nie, der wichtigste Charakter tritt niemals auf.«

Was genau Elgar damit gemeint hat, bleibt ein Rätsel. Die

»Enigma Variationen« machen ihren Namen alle Ehre.

Autorin: Christine Möller

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HÖREN UND VERSTEHEN

Aufgabe 1

Vergleiche das Thema und die 1. Variation. Beide klingen sehr

ähnlich, doch es gibt Unterschiede. Kannst du hören, welche es

sind?

Aufgabe 2

Höre dir den Übergang von der 8. auf die 9.Variation an. Elgar

erreicht mit einem kleinen Trick einen grandiosen Effekt. Vom

G-Dur-Schlussakkord der 8. Variation halten die 1. Geigen das

»g« aus, während die anderen Instrumente verstummen. Mit

Beginn der 9. Variation treten die übrigen Streicher wieder

hinzu, das gehaltene »g« wird nun aber zur Terz im Es-Dur-

Akkord. Es klingt, als wäre die Musik auf eine andere Ebene

gehoben worden.

Aufgabe 3

Vergleiche Elgars »Nimrod« mit dem langsamen Satz von

Beethovens »Pathétique«. Was sind Gemeinsamkeiten und

Unterschiede?

Aufgabe 4

In der Variation Nr. 11 stellt Elgar musikalisch nach, wie der

Hund in den Fluss gestürzt ist. Höre dir den Anfang an. Mit

welchen musikalischen Mitteln arbeitet der Komponist, um das

Abrutschten, das Paddeln und das Bellen darzustellen? Was

passiert mit diesen Motiven im Laufe des Satzes?

Literatur:

Raymond Monk (Hrsg.): Elgar Studies, Hanst 1990

Jerrold Northrop Moore: Edward Elgar – A Creative Life, Oxford 1984

Ulrike Timm, 50 Klassiker der Orchestermusik – Berühmte Werke aus vier

Jahrhunderten, Hildesheim 2004

Abbildungen:

1 Edward Elgar, http://www.gustav-

mahler.eu/images/Contemporaries/Elgar.jpg

2 Dorabella Chiffre, https://commons.wikimedia.org

3 Alice und Edward Elgar, http://www.hanoverhouse.org/blog/?p=745

4 August Jaeger, https://commons.wikimedia.org