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Aus dem Johanniter-Kreis-Krankenhause Neidenburg (Ostpr.) (Chefarzt : Dr. G u t z e i t). Ein Fall von isolierter Fraktur des Trochanter minor. Von Dr. med. A. Wagner. (Mit 2 Abbildungen.) Bisher sind wenige F/ille dieser Fraktur in der Literatur bekannt geworden. Eine weitere Ver6ffentlichung ist daher nicht iiberflfissig. Abgesehen yon der Schilderung eines yon mir jiingst beobachtet.en Fall.es soll im folgenden auf die Therapie ausffihrlicher eingegangen werden, fiber die noch keine Einigung erzielt ist. Es handelte sich um einen I4jS.hrigen Schiiler. Gelegentlich der Sedanfeier beteiligte er sich an einem Wettlaufen. Als er mitten im schnellsten Lauf das rechte Bein nachziehen und vorsetzen wollte, konnte er es nicht. Das Bein blieb in gestreckter Stellung zurfick. Der Oberk6rper fand keine Stiitze. Da der Schwerpunkt in diesem Augenblick auf das rechte Bein gelegt werden sollte, stiirzte der Knabe nach rechts fallend, hin. Er konnte sich nach dem Unfall erheben. Die Beschwerden waren nicht grog, so dab er erst am 7. IX. i912 das Krankenhaus aufsuchte. Der Befund war fol- gender: Ungef/ihr drei Finger breit unterhalb des rechten Leistenbandes fiber der medialen H/ilfte des Scarpaschen Dreiecks m/iBig starker Druckschmerz. Die Haut zeigte keine Verf/irbung. UmfangsmaB des rechten Oberschenkels 43, des linken 42 cm in der HShe der druckempfindlichen Stelle. Patient konnte bei Rfickenlage das ge- streckte rechte Bein weder heben noch adduzieren, noch fiber das andere heriiberlegen. AuBenrotation und Flexion in der Hiifte waren frei. Das Bein wurde in geringer Abduktionsstelhmg gehalten und erschien etwas 1/inger als das linke, war es aber in der Tat nicht, wie das Band- real5 ergab. Beim Sitzen mit herunterh~ingenden Unterschenkeln

Ein Fall von isolierter Fraktur des Trochanter minor

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Aus dem Johanni ter -Kreis -Krankenhause Neidenburg (Ostpr.) (Chefarzt : Dr. G u t z e i t).

Ein Fall von isolierter Fraktur des Trochanter minor.

Von Dr. med. A. Wagner.

(Mit 2 Abbildungen.)

Bisher sind wenige F/ille dieser F rak tu r in der Li tera tur

bekannt geworden. Eine weitere Ver6ffent l ichung ist daher nicht

iiberflfissig. Abgesehen yon der Schi lderung eines yon mir

jiingst beobachtet .en Fall.es soll im fo lgenden auf die Therap ie

ausffihrlicher e ingegangen werden, fiber die noch keine Ein igung erzielt ist.

Es handelte sich um einen I4jS.hrigen Schiiler. Gelegentlich der Sedanfeier beteiligte er sich an einem Wettlaufen. Als er mitten im schnellsten Lauf das rechte Bein nachziehen und vorsetzen wollte, konnte er es nicht. Das Bein blieb in gestreckter Stellung zurfick. Der Oberk6rper fand keine Stiitze. Da der Schwerpunkt in diesem Augenblick auf das rechte Bein gelegt werden sollte, stiirzte der Knabe nach rechts fallend, hin. Er konnte sich nach dem Unfall erheben. Die Beschwerden waren nicht grog, so dab er erst am 7. IX. i912 das Krankenhaus aufsuchte. Der Befund war fol- gender:

Ungef/ihr drei Finger breit unterhalb des rechten Leistenbandes fiber der medialen H/ilfte des Scarpaschen Dreiecks m/iBig starker Druckschmerz. Die Haut zeigte keine Verf/irbung. UmfangsmaB des rechten Oberschenkels 43, des linken 42 cm in der HShe der druckempfindlichen Stelle. Patient konnte bei Rfickenlage das ge- streckte rechte Bein weder heben noch adduzieren, noch fiber das andere heriiberlegen.

AuBenrotation und Flexion in der Hiifte waren frei. Das Bein wurde in geringer Abduktionsstelhmg gehalten und erschien etwas 1/inger als das linke, war es aber in der Tat nicht, wie das Band- real5 ergab. Beim Sitzen mit herunterh~ingenden Unterschenkeln

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konnte Patient den Oberschenkel nicht heben. Beim Gehen hinkte er etwas, das rechte Bein schleppte etwas nach.

Die R6ntgenaufnahme (vgl. Fig. ]) ergab eine Fraktur des Tro- chanter minor in der Epiphysenlinie mit Dislokation des Fragmentes um seine eigene H6he, ca. I1/2 cm, zentralwfirts.

Fig. i.

Wir lagerten das Bein des im Bett liegenden Patienten derart, dab es in Hiifte und Knie gebeugt, auBenrotiert und etwas abduziert gehalten wurde. Das Bein ruhte in dieser Situation auf Spreu- kissen.

Die Behandlung wurde durch krfiftige Massage, lokale Heil3- luftbgder und aktive l~:bungen wesentlich unterstiitzt und erzielte

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den sch6nen Erfolg, dab Patient bereits am I8. IX. I912, also 16 Tage nach dem Unfall, als absolut geheilt entlassen werden konnte. Es bestand auch nicht die allergeringste Funktionsst6rung. Hervor- zuheben ist, dab Patient die /irztlichen Anordnungen auf das Gewissen- hafteste befolgte und so die Therapie wesentlich unterstiitzte.

Fig. 2.

Eine am 14. X. 1912 vorgenommene Nachuntersuchung ergab, dab kein Ausfall irgendeiner Funktion bestand. Atrophien waren nicht nachweisbar. Das; R6ntgenbild (vgl. Fig. 2) zeigte in der Gegend der Fraktur sehr starke kalI6se Knochenwucherungen, die wohl von dem zerrissenen Periost ausgegangen sind.

Alle typischen S y m p t o m e einer F r a k t u r des T r o c h a n t e r minor

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waren vorhanden. Zu beachten war nur, dab das L u d l o f f s c h e Signum nicht in seinem ganz.en Umfange zutraf. Patient konnte sowohl irn Sitzen das im Knie gebeugte, als auch in Riickenlage das gestreckte Bein n i c h t heben. Man darf also auf das er- w/ihnte Zeichen kein allzu grol3es Gewicht legen.

Die Fraktur geschah nach einem Mechanismus, der schon wiederholt beobachtet wurde. Beim schnellen Lauf erleidet der Psoas in dem Augenblick, in dem das Bein hinten steht, eine starke Dehnung, die pl6tzlich durch eine enorme Kontraktion des Muskels unterbrochen wird. Diese setzt ein, sobald das Bein nachgezogen und vorgesetzt werden soll. Der Muskel rei6t in diesem Augenblick die nachgiebige Epiphyse in der Knorpel- fuge ab und disloziert das Fragment infolge seiner Elastizit/it zentral- w/irts. D~ der Patient keinen Halt mehr hat, stiirzt er zu Boden.

(]ber die Therapie herrscht bisher, wie oben erw/ihnt, keine Einigkeit. Da6 die therapeutischen Mal3nahmen, die bisher iiblich waren, nicht ideal sind, geht aus der relativ langen Heilungs- dauer hervor, yon der mehrere Autoren berichten.

B a r d e nh e u e r 1) empfiehlt einen F.xtensionsverband mit gleichzeitigem, querem Zug nach augen. Bei der Seltenheit der Fraktur kann eine Erfahrung naturgem/i6 yon dem einzelnen Beobachter nicht gesammelt werden. Auf das ausgezeichnete Resultat hin, das wir auf die oben angegebene Weise erzielten, wagen wir jedoch die Behauptung, dab ein Extensionsverband durchaus /iberfliissig ist. Zweckentsprechend w/ire vielleicht der Zug nach augen, dem die Aufgabe zuf/illt, das abgerissene Fragment an seiner Ansatzstelle zu fixieren. Gar nicht empfehlens- wert ist unseres Erachtens aber der L/ingszug. Bei dem hohen Sitz der Fraktur und der Tiefe, in der der abgebrochene Tro- chanter minor liegt, ist es ausgeschlossen, dab das Fragment herabgezogen wird, denn der Zug setzt gar nicht am Psoas an. Der L/ingszug kommt vielmehr erst weiter peripherw/irts zur Geltung und zieht das Femur abw/irts, wodurch die Dislokation nur vergr66ert wird. B i n e t und H a m a n t -~ empfehlen in ihrer

I) B a r d e n h e u e r u. G r a e s s n e r , Die Technik der Extensions- verNinde. Stuttgart, F. F.nke 19o 5.

2) B i n e t et H a m a n t, Les fractures isoldes du petit trochanter. Revue de chirurgie I9II , Nr. 5-

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Arbeit, in der a|les N~here tiber die Fraktur enthalten ist, Lagerung des in der Hiifte gebeugten Beines mit I n n e n r o t a t i o n. Ihnen schliegt sich F e i n en 1) an. J u i 11 a n d ~) empfiehlt Augenrotation.

Ich habe am Skelett durch Mal3e festgesteltt, dab die Ent- fernung des Trochanter minor vom Querfortsatz des letzten Lertdenwirbels, eine Lin~e, die dem Verlaufe des Psoas an- n/ihernd entspricht, bei Innenrotation gr613er ist als bei Augen- rotation des Beines. Daraus geht hervor, dab der Psoas bei Einw/irtsrotation st/irker gedehnt wird, als bei Drehung nach aul3en. Je st/irker die Eilaw/irtsrotation, um so gr613er die Ent- fernung des Trochanter minor auch von dem horizontalen Schambeinast, fiber den der Muskel wie fiber eine Rolle 1/iuft. Daraus ist ersiehtlich, dal3 sich bei Einw~irtsdrehung die beiden Fragmente voneinander entfernen, dab sie sich bei AuJ3enrotation einander n/ihern. Diese Ausw/irtsdrehung kommt also therapeu- tisch einzig in Frage. Unterstfitzt wird sie natfirlich durch Beugen des Beines im Hfiftgelenk, um den Psoas v611ig zu entspannen.

Da5 diese Oberlegungen richtig sind, best~itigt die iiberaus kurze Heilungsdauer und das gute funktionelle Resultat.

Wir glauben also auf Grund der von uns gemachten Be- obachtungen bei einem Patieaten mit isolierter Fraktur des Tro- chanter minor eine Lagerung des Beines in Flexion und Augen- rotation therapeutisch empfehlen zu k6nnen. Voraussetzung fiir die richtige Behandlung wird die R6ntgenuntersuchung sein, ohne welche eine genaue Diagnose nicht zu stellen ist. So wert- voll das L u d l o f f s c h e Zeichen auch ist, so kann es doch allein zur Erkennung einer Fraktur des Trochanter minor nicht geniigen.

N a c h t r a g : Jiingst erschien aus der Bardenheuerschen Schule eine Arbeit von V o r s c h i i t z 3 ) , in der dem Extensions- verband zur rascheren Resorption des Blutergusses das \~Zort geredet wird. Unseres Erachtens 1/il3t sich das durch kr/iftige Massage und lokale HeiSluftbehandlung mindestens ebenso schnell und unter friiher Herstellung der Funktion erreichen.

I) F e i n e n , Isolierte F rak tu ren des Trochan te r minor und major. Deutsche Zeitschr. f. Chir. i9o9, Bd. 99.

2) H o c h , Abril3fraktur des Trochan te r minor bei einem jugendl ichen Individuum. Deutsche Zeitschr. f. Chir. I9O9, Bd. 97.

3) V o r s c h i J t z . Deutsche Zeitschr. f. Chit. ]912, Bd. I17, H. 3--4-

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