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(Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universitii, t Leipzig [Direktor: Geh.-Rat Prof. Dr. Bumke].) Ein Fall yon Riickenmarkskompression durch ein Aneurysma der Aorta thoracica. ~'011 Dr. llse Graf, Assistenz/irztm. Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 26. Juni 1923.) Bruns hat in seiner Arbeit fiber die Geschwfilste des Nervensystems auf die Schwierigkeit der Diagnose eines Rfickenmarkstumors hinge- wiesen. Differentialdiagnostisch mfissen stets eine ganze Re|he yon Erkrankungen in Betracht gezogen werden. Die ersten Symptome einer Kompression des Rfickenmarks (lurch einen Tumor sind h~ufig neural- gische Schmerzen und Hyper~sthesien in irgendeinem Wurzelgebiet. Diese Reizsymptome kSnnen lange Zeit -- unter Umst~nden jahrelang -- das Krankheitsbild beherrsehen und ffihren leicht zu der Diagnose einer einfachen :Neuralgic oder Neuritis, lassen auch an Erkrankungen der Brust- und BauehhShlc oder der Beckenorgane denken. Treten dann radikul~tr angeordnete An~tsthesien und Atrophien mit elektrischer Entartungsreaktion in bestimmten Muskelgebieten auf, so we|st das jedenfalls auf ein organisches Nervenleiden bin. Folgt dann das Stadium der Markl~sion, das (lurch (lie Erscheinungen der Leitungsunterbrechung gekennzeichnet |st, kann man (tie sichere Diagnose auf einen das Riicken- mark ergreifenden Krankheitsprozeft stellen. Abet auch jetzt kann man nur in dem Falle, (la6 noch an anderen Kbrperstellen Tumoren vor- handen sind oder man Anhaltspunkte f fir eine Tumormetastase hat, mit ziemlicher Gewil3heit auf einen Tumor schlie6en. Sonst mul3 man besonders die infolge einer tuberkulSsen Spondylitis entstandene Wirbel- caries in Betracht ziehen, be| der infolge der durch ZerstSrung eines Wirbels bedingten Verschiebung der benachbarten WirbelkSrper eine Rfickenmarkskompression ausgeiibt werden kanu. Auch an (lie MSglich- keit einer transversalen Myelitis mu6 man denken, ebenso an die einer nmltiplen Sklerose, be| der die bekannten charakteristischeu Symptome -- Nystagmus, skan(lierende Sprache, Intentionstrenlor -- oft erst spat 38*

Ein Fall von Rückenmarkskompression durch ein Aneurysma der Aorta thoracica

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Page 1: Ein Fall von Rückenmarkskompression durch ein Aneurysma der Aorta thoracica

(Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universitii, t Leipzig [Direktor: Geh.-Rat Prof. Dr. Bumke].)

Ein Fall yon Riickenmarkskompression durch ein Aneurysma der Aorta thoracica.

~'011

Dr. llse Graf, Assistenz/irztm.

Mit 2 Textabbildungen.

(Eingegangen am 26. Juni 1923.)

Bruns hat in seiner Arbeit fiber die Geschwfilste des Nervensystems auf die Schwierigkeit der Diagnose eines Rfickenmarkstumors hinge- wiesen. Differentialdiagnostisch mfissen stets eine ganze Re|he yon Erkrankungen in Betracht gezogen werden. Die ersten Symptome einer Kompression des Rfickenmarks (lurch einen Tumor sind h~ufig neural- gische Schmerzen und Hyper~sthesien in irgendeinem Wurzelgebiet. Diese Reizsymptome kSnnen lange Zeit -- unter Umst~nden jahrelang -- das Krankheitsbild beherrsehen und ffihren leicht zu der Diagnose einer einfachen :Neuralgic oder Neuritis, lassen auch an Erkrankungen der Brust- und BauehhShlc oder der Beckenorgane denken. Treten dann radikul~tr angeordnete An~tsthesien und Atrophien mit elektrischer Entartungsreaktion in bestimmten Muskelgebieten auf, so we|st das jedenfalls auf ein organisches Nervenleiden bin. Folgt dann das Stadium der Markl~sion, das (lurch (lie Erscheinungen der Leitungsunterbrechung gekennzeichnet |st, kann man (tie sichere Diagnose auf einen das Riicken- mark ergreifenden Krankheitsprozeft stellen. Abet auch jetzt kann man nur in dem Falle, (la6 noch an anderen Kbrperstellen Tumoren vor- handen sind oder man Anhaltspunkte f fir eine Tumormetastase hat, mit ziemlicher Gewil3heit auf einen Tumor schlie6en. Sonst mul3 man besonders die infolge einer tuberkulSsen Spondylitis entstandene Wirbel- caries in Betracht ziehen, be| der infolge der durch ZerstSrung eines Wirbels bedingten Verschiebung der benachbarten WirbelkSrper eine Rfickenmarkskompression ausgeiibt werden kanu. Auch an (lie MSglich- keit einer transversalen Myelitis mu6 man denken, ebenso an die einer nmltiplen Sklerose, be| der die bekannten charakteristischeu Symptome -- Nystagmus, skan(lierende Sprache, Intentionstrenlor -- oft erst spat

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auftreten und gar nicht alle vorhanden zu sein brauchen. In seltenen F~llen yon multipler Sklerose kSnnen schwere und lange anhaltende Wurzelsymptome vorkommen, die anfangs die Unterscheidung von den ftir einen extramedulli~ren Tumor sprechenden Symptomen unmSglich machen kSnnen. Eine Meningitis serosa spinalis circumscripta kann das Krankheitsbild bei Rtickenmarkstumor mit allen Einzelheiten hervor- rufen und ist bei der Laminektomie nicht selten an Stelle des erwarteten Tumors gefunden worden. In beginnenden F~llen ist die Differential- diagnose eines intramedullaren Tumors und einer beginnenden Syringo- myelie nicht immer einfach. Ebenso mul~ man natiirlich immer luetisehe Erkrankungen des Riickenmarks in Betracht ziehen. Unter Zuhilfe- nahme aller klinischen Untersuchungsmethoden -- einschliel~lich der Blut- und Liquoruntersuchung und der RSntgenphotographie -- wird man dann doch in den meisten Fis zu dem richtigen Resultat kommen, besonders wenn man die Aufeinanderfolge der Symptom c und den ge- samten Verlauf genau beobachtet.

Bruns betont weiterhin in seiner Arbeit, dal3 auch eine genaue interne Untersuchung zur Sicherung der Diagnose n6tig ist, da die Lttsion der Wurzeln und schliel~lieh die Kompression des Riickenmarks auch durch Prozesse auflerhalb der Wirbelsimle bedingt sein kSnnen, so durch retropharyngeale Tumoren, Mediastinaltumoren und schliei~lich (lurch Aneurysmen der Aorta.

Ich m6chte einen Fall mitteilen, bei dem ein Aneurysma der Aorta thoracica den Symptomenkomplex eines Riickenmarkstumors hervorge- rufen hat. Ich kann eine sehr gut gelungene RSntgenphotographie bei- fiigen, (lie uns auf die richtige Diagnose hingewicsen hat, die bei der Operation besthtigt wurde, abcr aus dem klinischen Befunde zunis nicht gcstellt we.rden konnte.

Frau E. R., 45jhhrig, wird am 25. VIII. 1922 der Klinik iiberwiesen wegen ,,fortschreitender Tabes dorsalis".

Nach ihren eigenen Angaben waren ihre Eltern gesund und sind alt gestorben. Eine Schwester ist gesund. In der Familie sind weder schwerere kdrperliche Er- krankungen noch Nerven- oder Geisteskrankheiten vorgekommen. Als Kind war sic gesund und kr~ftig, an Kinderkrankheiten kann sie sich nieht erinnern bis auf Masern, die sie aber erst im 22. Lebensjahre durchmachte. Als junges M~dchcn war sie etwas bleichstiehtig. Die Periode hat einmal wahrend des Krieges 3/1 Jahr lang ausgesetzt, ist sonst immer in Ordnung gewesen und ist auch jetzt noeh regelm~13ig.

In ihrem Berufe als Schneiderin zufrieden gewesen, keine Krankheiten durch- gemacht.

Mit 19 Jahren zum 1. Mal, mit 22 Oahren zum 2. Mal geheiratet. Von dem 1. Mann gesehieden, der 2. soll an einem Nierenleiden gestorben sein. Sie hat keine Kinder gehabt. Keine Fehlgeburten. Gesehlechtskrankheiten werden negiert.

Beginn der ~etzigen Erkranku~ i~v~ Juni 1920. Sie bekam damals Sch~terzen, die auf der linken Seite des Brustkorbes von der Wirbels~ule her linch vorne aus-

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(lurch ein Aneurysma der A~)rta th~)racica. 587

~trahlten und nur halbseiti~ - - immer links - - auftraten. Die Schmerzen waren sehon damals zeitweise so heftig, dal~ sic nicht schlafen konnte. Erst in der letzten Zeit sind sic auch an der rechten Seite des Brustkorbes aufgetreten, abet nicht so stark wie links.

Sie hat seit einiger Zeit das Oe/iihl, als ob sich ein breiter Giirtel um ihren Brust- korb legt.

Seit 8 Wochen bemerkt sic, dal~ sic 8chlechter lau/en kann. Es kommt ihr vor, als ob die Beine ihr beim Gehen unter dem Korper wegrutschen, auch taumelt sie beim Laufen. Die Gehst(irung hat so schnell zugenommen, dall sic seit 8 Tagen iiberhaupt nicht mehr gehen kann. Sic klagt tiber ein taubes Ge/'~ihl in beiden Beinen bis z~t den Knien, das im linke~ Bein deutlicher ist als im rechten. Die Beine zucken hdu/ig, eben/alls besonders das linke; bei diesen Zuckungen versptirt sic Schmerzen in beiden Beinen, die bis zum Kreuz hinaufziehen.

Sic hat keine BlasenstSrungen. Der Stuhlgang ist in letzter Zeit angehalten. Es ist nie unwillkfirlicher Urin- oder 8tuhlabgang erfolgt.

Keine Kopfschmerzen. Kein Schwindel. Kein Erbrechen. Sehen und HSren gut. Keine Ver/inderung der Sprache bemerkt. Keine StSrung an den oberen Extremit~ten aufgefallen.

Der Untersuchungsbe[und ergibt folgendes Resultat: Mittelgro/Je Frau in geniigendem Ern/ihrungszustand. Gesundes Aussehen.

Keine Temperatursteigerung. Innere Organe o. B. Leib etwas aufgetrieben. Urin frei yon Eiweil~ und Zucker. Blutdruck: 125 mm Hg (R. R.). Knochensystem o. B. Wirbels/~ule gerade. Keine Gibbus-Bildung. Keine Klopfempfindlichkeit

der Wirbel. Kein Dehnungsschmerz beim Heben der gestreckten Beine. Bei Slauchung Schmerzemp[indung in der Gegend des 7. bis 8. Brustwirbels.

Neuroloffi~ch: Kopf nieht klopf- und druekempfindlich. Leichter Strabismus convergens. Pupillen rund, mittelweit, glcichweit, reagieren gut auf Licbt und Kon-

vergenz. Keine AugenmuskelstSrungen, kein Nystagmus. Augenhintergrund normal. l~brige Hirnnerven ebenfalls intakt. Sprachc ungest6rt. Obere Extremit/~ten: Motilit/it und grobe Kraft intakt. Muskeltonus normal.

Sensibilitgt intakt. Feinere koordinatorische Fingerbewegungen rechts vielleicht etwas unge-

schickter als links. Beim Finger-Nasenversuch beiderseits geringer Tremor der H/~nde. Keine

Intentionsataxie. Keine Adiadochokinese. Kein Vorbeizeigen beim Baranyschen Zeigeversuch.

Tricepsreflex ~ r ~ 1 Vorderarmreflexe ~- r 1 / in normaler St/~rke auslSsbar.

Bauchmuskeln beiderseits schwach, kein deutlicher Unterschied zwischen rechts und links.

Bauchdeckenre/lexe rechts -~, schwach; links O. Untere Extremit~iten. Aktive Bewegungen: Rechtes Bein kann etwas angehoben

~r eia weniff im Kniegele~d: gebeugt werden, der rechte Furl kann etwas dorsal- und plantar/lektiert werden. D~ls linke Bein kann nur ganz wenig im Kniegelenk gebeugt werde~.

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Grobe Kra/t: Im Illopsoas beiderseits au/gehoben. In den Beugern am Oberschenkel beiderseits au/gehoben. In den Streckern am Oberschenkel rechfs ~ , links ganz wenlg erhalten. In den Plantarflexoren der Fi~rie rechts etwas erhalten, links O. I n den Dorsalflexoren der Fi~rie reehts etwas erha~ten, links O. Muskeltonus erscheint beim Beginn des passiven Bewegens der Beine etwas

erhSht, ist aber nach mehrmaligem Bewegen normal. Reflexe: PateUarsehnenreflexe -]- reehts : links, lebhaft. Achillessehnenre/lexe ~ , links lebhaft, rechts gesteigerl. Lang anhattender,

abet ersch6p/barer Furiklonus rech~s. Babinski beiderseits ~ . Oppenheim beiderselts ~-. Gehen und Stehen unm6gl~ch. Keine Nackensteifigkelt. Kein Kernig. Sensibilit~t: Vorne beiderse~ts an der 6. Rippe beginnt elne Zone stark herab-

gesetzter bis au/gehobener Tazt- und Schmerzemp]indung, die sich etwa handbreit nach unten erstreckt. Am Ri~cken entspricht die Zone dem Gebiet yore 4. bis 6. Dorsal- wirbel. In schwdcherem Marie besteht die Hypdsthesie und Hypahjesie urderhalb des genannten Gi~rtels am Bauch und den Extremit~ten. Sie nimmt dlstalwdrts an Inten- sitdt wieder zu.

Temperatur- und Lageempfindung ungestSrt. Blut- und Liquoruntersuchung: Wassermannsche Reaktlon im Blur ~--~ ~ ~-.

im Liquor ? Nonne-Apelt: starke Tri~bung. Gesamteiweifl nach Nissl: 0,06. Zellen: 43/3 : 14 im Kubikmillimeter. Liquor klar; Liquordruck nicht erhSht. R6ntgenau]nahme der Wirbelsdule: Im Bereich des 5. bis 8. Brustwirbels zeigt

das Sagittalbild links elnen unechar/ begrenzten De/ekt der Wirbelk6rper, welcher in H6he des 7. Brustwirbels am breitesten nach oben und unten an Breite sich vet. ~i~ngt. Es besteh$ Verdacht au/Tumor. (Berieht des RSntgenologen.) (S. Abb. 1.)

Am 30. VIII. 1922 ist die Ldhmung beider Beine vollstgindig. Pat.-S.-Reflex rechts ~-, normal ausl6sbar; links herabgesetzt. Ach.-S.-R. regelrecht, rechts : links. Kein Ful~klonus. Babinski belderseits ~-. Oppenheim 0. Bauchdeckenre]lexe /ehlen. Sensibilit~tsstSmng nicht wesentlich veri~ndert. Zur Zeit an der Giirtelzone

keine Aufhebung, sondern nur sehr starke Herabsetzung der Sensibilitiit. Urin- verhaltung.

Sehr heftige linksseitige halbgiirtelfSrmige Schmerzen, die sich beim Um- betten verstarken.

Beginnender Decubitus. Beginn einer Hg-Schmierkur mit Rtieksicht auf den Ausfall der Wassermann-

schen l~eaktion. 1. IX. 1922. Unver~ndert. 2. IX. 1922. ~eurologisch unver~ndert. Schmerzen in der linken Gtirtclgegend miissen durch Pantopongaben ge-

mildert werden. Schnell fortschreitender Deeubitus. 3. IX. 1922. Zur Operation in die Chirurgische Klinik verlcgt.

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(lurch eitl Aneurysma der Aorta thoracica. 589

Naeh diesen Untersuchu~gsergebnissen war es sicher, da~ es sich um eine Querschnittsaffektion des Riickenmarks handelte. Wir stellten nach der ersten genauen Untersuchung die WahrschGinlichkeitsdiagnose auf einen Riickenmarkstumor; die Gesamtheit der Symptome und der bisherige Verlauf sprachen am meisten dafiir. Das Leiden begann mit halbseitigen radikuliiren Schmerzen, also mit Wurzelsymptomen, die

Abb. 1.

fast 2 Jahre lang ohne L~hmungserscheinungen bestanden. 8 Wochen vor der Aufnahme kam es zur Leitungsunterbrechung, dig sehr schnell zur vollsti~ndigen Li~hmung beider Being fiihrte, die zunachst spastisch war, dann allm~hlieh schlaffer wurde. Der Muskeltonus war anfangs etwas erh5ht, die Patellarsehnenreflexe beiderseits sehr lebhaft, ebenso die Achillessehnenreflexe: rechts war ein erschSpfbarer Ful~klonus aus- 15sbar. Das Babinskische Ph~nomen war beiderseits positiv. DiG Sehnenreflexe wurden bald schwiicher, der Ful~klonus war nicht mehr auslSsbar, der positive Babinski blieb bestehen. DiG Li~hmung

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behielt den Pr~dilektionstypus: Die grobe Kraft war beiderseits im Iliopsoas und in den Beugern am Oberschenkel aufgehoben, in den Streckern am Obersehenkel erhalten ; rechts war die Kraft in den Plantar- flexoren der Fiil]e besser erhalten als in den Dorsalflexoren, links war sie in Plantar- und Dorsalflexoren erloschen. Sehr bald trat auch Urin- verhaltung ein, so dab Katheterismus notwendig wurde. Die Bauch- deckenreflexe, die zun~chst rechts noch auslSsbar waren, schwanden ganz. Die zuerst noch bestehende BewegungsmSglichkeit der Beine war sehon nach 3t~gigem Klinikaufenthalt einer vollsti~ndigen Li~hmung gewichen.

Etwaige Muskelatrophien im GeDiet der Intercostal- oder Bauch- muskeln oder Ver~nderungen der elektrischen Erregbarkeit in diesem Gebiete, die Anhaltspunkte fiir die HShendiagnose des Prozesses ge- geben hi~tten, waren nicht feststellbar.

Die Ausbreitung der Sensibilit~,tsstSrung fiihrte uns der Lokal- diagnose n~,her. Beiderseits yon der 6. Rippe bis zur NabelhShe be- stand hochgradige Hyp~sthesie und Hypalgesie, unterhalb dieser Zone geringere Herabsetzung der Sensibilitiit. Die HauptstSrung fiel in den Bereich der Segmente D 6 --D10. Diese Segmente entsprechen dem 4. bis 8. Brustwirbel. DaB der Proze[~ in diesem Bereiche lokalisiert sein muitte, darauf wies auch der Stauchungsschmerz neben dem 7. bis 8. Brustwirbeldornfortsatz hin. Die HShendiagnose wurde dann be- st~ttigt dutch das Ergebnis der R5ntgenaufnahme, die einen Defekt im Bereich des 5. bis 8. Brustwirbels zeigte.

Einen intramedull~ren Sitz des Tumors konnten wit yon vorn- herein mit ziemlicher Sicherheit ausschlielten. Ein solcher Tumor ha.tte wohl eher eine Leitungsunterbrechung hervorgerufen; die 2 Jahre lang ganz im Vordergrunde stehenden Schmerzen sprachen fiir einen extra- medull~tren Tumor, der von aul~en auf die hinteren Wurzeln gedriiekt hat und erst sp~ter aueh das Mark seh~digte. Bei einem it~tramedul- l~ren Tumor treten die Symptome auch in der Regel bald doppelseitig auf, w~hrend bier 2 Jahre lang einseitige Schmerzeu bestanden; erst die L~,hmung ergriff dann wegen der schnellen Weiterausbreitung des Prozesses bald beide Seiten.

Der Tumor w~re so, nach unserer Diagnose, in bezug auf die M6glich- keit einer operativen Entfernung prognostisch gtinstig gewesen.

Zun~,chst mug~ten wir aber noch einen luetischen Proze[~ ausschlieBen k6nnen. Das Ergebnis der Serum- und Liquoruntersuehung wies auf Lues hin. Die Wassermannsche Reaktion im Blur war stark positiv, im Liquor zweifelhaft; es bestand eine leichte Zellvermehrung und stark positive Phase I sowie Nisslsche Reaktion. Der starke Eiweiitgehalt bei der im Verh~,ltnis dazu geringen Zellvermehrung sprach ganz im allgemeinen ftir eiae Riickenmarkskompression. Wit leiteten eine Queek-

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durch ein An(,tlrysma der Aorta thoracica. 591

silberschmierkur ein, die wir aber wegen des stiirmischen Verlaufes des Leidens und des bedrohlich zunehmenden Decubitus wieder abbrachen, da schnell zur Operation geschritten werden sollte, zumal auch der R6nt- genbefund nicht fiir einen gummSsen ProzeB sprach.

Einige andere Krankheitsprozesse, (lie zunSchst differentialdiagno- stisch in Betracht gezogen werden muBten, konnten wit nach Kenntnis des RSntgenbildes aussehliegen; hierzu gehSrt (tie Wirbelcaries. Sie kann genau (lie gleichen Symptome machen wie ein extramedulliirer Tumor. Ein Gibbus kann wiihrend des ganzen Verlaufes (lieses Leidens fehlen. Stauchungssehmerz im Bereich der erkrankten Wirbel, (let in unserem Falle vorhanden war, ist besonders bei Caries sehr hi~uflg.

Eine Meningitis spinalis oder Quersehnittsmyelitis waren naeh dem RSntgenbefund ebenfalls auszuschlieBen.

Ein Trauma, das vielleicht eine Hi~matomyelie zur Folge gehabt haben k6nnte, war in unserem Falle nieht vorausgegangen.

Der R6ntgenbefund liel3 uns sogleich an ein Aortenaneurysma den- ken, aus dem klinisehen Befunde allein konnte diese Diagnose nicht ge- stellt werden. Die Perkussion und Auscultation des Herzens ergab normale Verh~iltnisse. Es fanden sich weder eine Verbreiterung der D~tmpfung noch HerzgerSusehe; die T6ne waren rein, (tie zweiten T6ne fiber der Basis nieht betont. Der Puls war kri~ftig, regelmitl3ig und gleichmiil3ig; eine Differenz des reehten und linken Radialispulses be- stand nicht. Auch Symptome, die als Drueksymptome infolge eines Aortenaneurysmas aufzufassen gewesen wiiren, wie Venenstauungen, Vagus- oder SympathicusstSrungen, AtemstSrungen infolge einer Kom- pression yon Trachea oder Pulmones, waren nicht vorhanden. Eine VorwSlbung <)<ler Pulsation war nirgen<ts zu sehen. Nur die positive Wassermannsehe Reaktion wies auf <lie MSgliehkeit einer luetisehen Gefi~gerkrankung hin.

Bei der Untersuehung des Nervensystems fanden sieh keine Sym- ptome, die etwa fiir ein Aortenaneurysma eharakteristiseh gewesen witren. Die 2 Jahre lang das Krankheitsbild beherrsehenden Sehmer- zen gliehen naeh der Beschreibung denen bei Intereostalneuralgie. ~ber solehe Sehmerzen wird beim Aortenaneurysma hi~ufig geklagt, ebensooft aber treten sie als Anfangssymptom eines Riickenmarks- tumors auf und kSnnen in beiden Fi~llen lange Zeit im Vordergrunde des Zustandsbildes stehen. Bei einigen der in der Literatur besehriebe- nen Fiille yon Aortenaneurysma mit Rtiekenmarkskompressinn sind ebenfalls derartige gfirtelf6rmige Sehmerzen erwS, hnt worden, die sieh in niehts yon den bei Rtiekenmarkstumor auftretenden untersehieden.

:Die Lii~hmung <ler Beine und die segmentale Sensibilit~ttsstSrung spraehen fiir die Quersehnittsaffektion des Rfiekenmarks, sagten abet nichts fiber die Art des Prozesses aus.

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Der Liquor cerebrospinalis hatte stark vermehrten Eiweil~gehalt und einen wenig vermehrten Zellgehalt, ein Befund, der charakteristisch ist ffir eine Rfickenmarkskompression; h~tufig ist dieses Kompressions- syndrom noch vervollst~ndigt durch eine Xanthochromie des Liquors. Die Wasse: mannsche Reaktion im Liquor iiel zweifelhaft aus und lie~ dahcr bei der gleichzeitigen positiven Reaktion im Blut daran denken, (lal3 die Kompression durch einen gumm6sen Proze[~ ausgefibt sein kSnnte oder da]3 ein durch GefitBlues verursachtes Aortenaneurysma bestehen kSnnte; eine sichere Entscheidung fiber die Ursache der Kom- pression war auch durch diesen Befund nicht mSglich.

Der ganze Verlaui der Erkrankung b~s zur Aufnahme in die Klinik schliel31ich konnte ebensogut ffir einen Rfickenmarkstumor wie ffir einen das Rfickenmark komprimierenden extraduralen Prozel3 sprechen.

Die absolut sichere Diagnose auf ein Aortenaneurysma konnten wir auch nach Kenntnis des RSntgenbildes nicht stellen; es war auch ein extraduraler Tumor mSglich; wir dachten wegen der hochgradigen WirbelzerstSrung an ein jetzt schnell wachsendes Sarkom. Ein Carcinom war auszuschliel~en, da sich keine Anhaltspunkte ffir ein prim~ires Carci- nora ergaben.

Am 4. IX. 1922. Operation (Prof. Kleinschmidt): Hautschnitt vom Dornfortsatz des 3. bis 9. Brustwirbels. Nach Bildung

des Hautlappens und Vordringen in die Tiefe kommt man in der HShe des 7. Brust- wirbels dicht unter dem Subcutangewebe auf eine mit hellroten Massen ausgefiillte Hohle, die sofort als ein aneurysmatischer Sack aufgefal3t wird. -- Sofort vor sichtiges Verni~hen der Wunde.

Nach der Operation war sehr bald im Bereiche der Operationsnarbe ein pul- sierender Tumor erkeimbar. Auch war jetzt zeitweise Kurzatmigkeit bemerkbar, (lie - - bei noch ungestSrter Herztatigkeit - - wohl durch Druck des Aneurysmas auf einen Lungenlappen verursacht wurde.

Die Nachuntersuchung am 29. IX. 1922 ergab, dal3 das Allgemeinbefinden befriedigend war. Die Schmerzen hatten nach der Operation ganz aufgehSrt.

Bauchdeckenreflexe rechta +', links O. Incontinentia urinae et alvi. V611ige Ldhmung der Beine. Adduclorenspasmen. Pal.-S.-Re]lex links +, rechts O. Aeh.-S.-Reflex beiderseits +, rechts ersch6p/barer Fufiklonus. Beiderseits Babinski. Sensibilitdt: Grenze der St6rung beiderseits an der 6. Rippe. Unterhalb dieser

Grenze nicht sehr hochgradige Herabsetzung der Tast- und Schmerzemp/indung. Keine giirtelf6rmige Zone. Lageemp/indung an den Zehen leicht gest6rt.

14. X. 1922. Unvergnderter Befund. 28. X. 1922. Wiederaufnahme in die Nervenklinik. Allgemeinbefinden gut. Keine Temperatursteigerung. Keine Schmerzen.

Handflachengrol]er Decubitus tiber dem Kreuzbein, wenig in die Tiefe gehend. Ebenfalls Decubitalstellen an beiden Fersen.

Deutliches Pulsieren im Bereiche der Operationsnarbe. Neurologisch: Bauchdeckenre/lexe O. Leib aufgetrieben. lncontinentia urinae et alvi.

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dutch eia Aneurysma der Aorta thoraeiea. 59:~

V611ige Ldhmung beider Belne. Adductorenspasme~, im tibrigen keine deut- liche TonuserhShung. Contractur in de~ Beugern am Oberschenkel. Hdu/ig Spontan- zuckungen der Beine.

Pat.-S.-Re/lex beiderseits +, schwach ausl6sbar. Ach.-S.-Reflex beiderseits + , links Fuflklonus. Babinski beiderseits +. Sensibiliti~tsstSrung unveramlert. Psychisch immer heitcr, zufrieden, gar nicht cntsprechend ihrcr Lage. November 1922: Allgemeinbefinden schlechter. Mattigkeit. Appetitlosig-

keit. Hdu/ig Temperatursteigerungen bis i~ber 38 ~ Grofler, schnell zunehmender Decubitus. DurchfMle. Pat.-S.-Re/lex und Ach.-S.-Re/lex schwach auslSsbar rechts ~ links. Bciderseits Babinski.

Abb. 2.

SensibilitdtsstSrung - - in denselben Grenzen - - hat bedeutend zugenommen. Im iibrigen unveranderter ncurologischer Befund. Ende November war der Zustand der Kranken sehr schlecht. Es bestanden

grol~e Mattigkeit, Pulsschwankungen, angestrengte Atmung. Der Decubitus war weit fortgeschritten. Dieser Zustand blieb derselbe, bis am 4. XII. 1922 der Exitus eintrat.

5. XII. 1922. Die Sektion im Pathologischen In.stit,~t Leipzig (Direktor: Prof. Dr. Hueck) ergab folgendes:

Aortitis fibrosa. Walnuflgrofles Aneurysma im Bogen der Aorl~l. iiber/ausl- grofles im obersten absteigenden Teil. Teilweise ZerslSrung des 5. bis 8. Brustwirbel. k6rpers und des 6. und 7. Brustwirbeldorn/ortsatzes. Kompression des Brustmarks (s. Abb. 2.)

Narben in dcr Pleura und im linken Unterlappen, dort auch Atelektase. Ver- wachsungen in der BauchhShle. Verkalkte Mesenterialdrtisen. Fettleber. Milz-

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schwellung. Hi~morrhagisch-nekrotische Cystitis. Pyelitis. Beginnendc eitrige Nephritis.

Wcit in die Tiefe gehender Decubitus. Phlegmone der linken Ges~l~seite, des linken Oberschenkels, des Beckenbodens und der Parametrien. Thrombose der ]inken Vcna femoralis.

Um nochmals kurz zusammenzu/assen: Es handelt sich um eine 45j~thrige Frau, die seit 2 Jahren an links-

seitigen giirtelfSrmigen Schmerzen leidet, 8 Wochen vor der Aufnahme zum erstenmal eine Gehst6rung bemerkte und die letzten 8 Tage, bevor sie die Klinik aufsuchte, schon gar nicht mehr laufen konnte. Die Untersuchung ergab eine spastische L~hmung beider Beine yore Priidilektionstypus. Die Patellarsehnenreflexe waren beiderseits leb- haft, rechts gleich links, der Achillessehnenreflex links lebhaft, rechts gesteigert mit lang anhaltendem Fu~klonus. Beiderseits bestand posi- tiver Babinski. Die Bauchmuskeln waren schlaff, die Bauchdecken- reflexe rechts ~-, links 0. Die Oberfl~chensensibilit~,t war in einer giirtel- fSrmigen Zone, die dem Gebiet der Dorsalsegmente 6--10 entsprach, stark herabgesetzt bis aufgehoben, distalwi~rts davon etwas weniger herabgesetzt. Die Blut- und Liquoruntersuchung ergab stark positive Wassermannsche Reaktion im Blute, zweifelhafte WaR. im Liquor, starke Eiweil~triibung nach Nonne, vermehrtes Gesamteiwei~ (Nissl 0,06) und eine leichte Zellvermehrung.

Die L~hmung schritt schr schnell vorwi~rts. Nach wenigen Tagen war (lie BewegungsmSglichkeit der Beine, die bei der ersten Untersuchung noch in geringem Grade vorhanden war, vollst~ndig aufgehoben. Die L~thmung wurde schlaffer. Es trat Urinverhaltung ein. Die Patientin wurde durch heftige linksseitige radikuli~re Schmerzen gequiilt.

Wir stellten nach diesen Befunden die Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf einen extramedull~ren Riickenmarkstumor.

Die RSntgenaufnahme zeigte Defekte der WirbelkSrper im Bereiche des 5. bis 8. Brustwirbels und der angrenzenden Rippen. Dieser Befund machte (lie Diagnose eines gummSsen Prozesses, an den wir auf Grund des Blutbefundes gedacht hatten, unwahrscheinlich und legte den Ver- dacht nahe, da~ es sich um einen den Knochen zerstSrenden extra- duralen Tumor handeln kSnnte oder um ein Aortenaneurysma, das nach ZerstSrung der Wirbel das Riickenmark komprimierte. Diese letztere Wahrscheinlichkeitsdiagnose wurde bei der Operation best~tigt. Nach der Operation trat im Bereiche der 0perationsnarbe eine pulsierende VorwSlbung auf, die vorher nicht vorhanden war.

Die L~thmung der Beine blieb in der gleichen Weise bestehen. Es entwickelte sich mit der Zeit eine vSllige Blasen- und Mastdarml~hmung und ein tiefgehender Decubitus. Das Allgemeinbefinden wurde schliefi- lich recht beeintr~chtigt, die Temperatur war dauernd erhSht. Die Patientin wurde sehr durch die mit Schmerzen verbundenen Spontan-

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dutch ein Aneurysma der Aorta thoracica. 595

zuekungen der Beine bel~istigt, wi~hrend die Gfirtelschmerzen seit der Operation nur noeh in ganz geringem Mal3e auftraten. Anfang Dezem- ber verschlechterte sich der Zustand, am 4. XII. trat der Exitus eio. Die Sektion zeigte, dal3 ein walnuBgrol3es Aneurysma im Bogen der Aorta und ein fiberfaustgrof~es im obersten absteigenden Teil derselben vor- handen war.

Querschnittsl~hmungen infolge der Druckwirkung yon Aorten- aneurysmen wie auch yon erweiterten Rfickenmarksgef~Ben sind ver- schiedentlich beschrieben worden.

Da ist zu erwi~hnen ein yon Eduard Mi~ller beschriebener Fall, der sehr an unsere Kranke erinnert. Ein 54ji~hriger Mann, der sich vor 35 Jahren einen ,,Schanker" zugezogen hatte und jetzt einen positiven Wassermann im Blut hat, erkrankt an heftigen Riickenschmerzen, die yon der Gegend des linken Schulterblattes nach vorne ziehen, und klagt auch fiber Gtirtelgeffihl um den Leib und Taubheit der Beine. Es treten Blasen- und Mastdarmst6rungen auf und eine langsam zunehmende Parese der Beine mit Steigerung der Sehnenreflexe und beiderseitigem Babinski, ferner eine symmetrisch begrenzte Empfindungsstorung, die sich beiderseits etwa yon der 4. Rippe ab nach unten erstreckt und si(.h allm~thlich bis zur fast vSlligen An~isthesie ffir alle Qualithten der Ober- fl~chen- und Tiefenempfindung verst~trkt. Der letzte Halswirbel und die oberen Brustwirbel sind klopfempfindlich. Die peripheren Arterien sind rigide, (ler Puls gespannt und beschleunigt. Bei Hg- und Jodbe- handlung macht das Leiden erhebliche Fortschritte. Es tritt eine Pu- pillendifferenz auf, linke Pupille gr6[~er als rechte. Der Patient ist ge- legentlich heiser; (tie Untersuchung ergibt das Bestehen einer links- seitigen [tecurrensparese. Die R6ntgenaufnahme zeigt eine erhebliehe diffuse Erweiterung der Aorta ascendens und ein gro[tes sackf6rmiges Aneurysma am Arcus aortae un(l am Anfangsteil (let Aorta thoracica. I)er 2. und 3. Brustwirbel sind linkerseits gr613tenteils zerst6rt. Der Pa- tient kam zum Exitus; eine Sektion wurde nicht gemacht.

Ayer, I. B. (Boston) hat einen Fall ver6ffentlicht, in dem durch ein Aneurysma 14 Wirbelk6rper zum Tell zerst6rt wurden und eine typische Rfickenmarkskompression hervorgerufen wurde.

Lindemann und Brasch haben Krankheitsbilder beschrieben, bei denen der spinale Symptomenkomplex durch Erweiterungen der Ge- f~13e der Pia mater spinalis und des Rfickenmarkes verursacht war.

Die Patientin Lindemanns erkrankte an langsam zunehmender Un- sicherheit und L~thmung der unteren Extremithten, zu der Blasen- und M~stdarminkontinenz hinzukamen. Bei der Aufnahme bestand schon Decubitus, Albuminurie und hohe Temp~ratur. Die neurologische Untersuchung ergab eine schlaffe L~thmung beider Beine mit Areflexie. Fehlende Bauchdeckenreflexe. Kein Babinski. V611ige Aniisthesie fiir

Page 12: Ein Fall von Rückenmarkskompression durch ein Aneurysma der Aorta thoracica

596 1. Graf: Ein Fall yon Rttckenmarkskompression dureh ein Aneurysma usw.

alle Reizqualit i~ten bis zur H6he des Nabels. Es wurde eine Querschni t ts - li~sion des Rf ickenmarks durch Myeli t is oder - - am wahrscheinl ichs ten - - durch. Tumor angenommen. Sek t ionsbefund : Var icenbi ldung der Ve- nen der P ia ma te r spinal is und der Venen an der Ri icksvi te des Rfieken- marks, a m sti~rksten ausgepri igt im Bereieh des Lenden- und Sakra l - abschni t tes .

I n dem von Brasch beschr iebenen Fa l l hande l t es sieh um einen 61ji~hrigen Mann, der seit 2 J ah ren an einer al lm~hlich zunehmenden Schw~che der Beine leidet . Dauernde Schmerzen in der Glutaea lgegend und zeitweise au f t r e t ende b l i tzar t ige Schmerzen in den Beinen. Ur in- inkont inenz . Seit einigen Tagen vor der Aufnahme kann der P a t i e n t n ich t mehr gehen. Es zeigt sich eine schlaffe L a hmung der Beine mi t fehlenden Pa te l la r re f lexen und Herabse t zung der Sensibilit~tt an den un te ren Extremit~t ten. Bei der Sekt ion fanden sich Erwei te rungen und Schl~ngelungen der Ar te r i a spinalis und der yon ihnen abgehenden Gef~tl3e.

Jumenti~ und Valeusi fanden bei der Sekt ion eines K r a n k e n mi t

schlaffer Parap leg ie der Beine als Ursache s t a rk e rwei te r te Venen u n t e r der Dura an der Ri icksei te des Ri ickenmarks .

Literaturverzeichnis. Ayer, J. B., ,,Compression myelitis" by an aneurysm occurring in a tabetic.

Boston reed. a. surg. journ. 165, 211. 1911. - - Brasch, l~ber einen schweren spinalen Symptomenkomplex, bedingt durch eine Aneurysma-serpentinum-artige Ver- anderung eines Tells der Rtickenmarksgefal3e. Berlin. klin. Wochenschr. 1900, Heft 52 und 53, S. 1210. - - Bruns, Geschwtilste des Nervensystems. - - Jumenti~ ct Valeu~i, Dilatations variqueuses des veines spinales post~rieures. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatric, Ref. 4, 794. 1911. - - Lindemann, Varicenbildung der GcfM3e der Pia mater spinalis und des Rtickenmarks als Ursache einer totalen Querschnittslasion. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie Ir - - Mi~ller, Eduard, l~ber Querschnitts]ahmungen durch latente Aortenaneurysmen. (Beitrag zur Differcntialdiagnose des Riickenmarkstumors.) - - Mendel, Neurol. Zentralbl. 1916, S. 180. - - Reitter, Aneurysma dissecans und Paraplegic, zugleich ein Beitrag zur Pathologie der Blutzirkulation im Rfickenmark. Dtsch. Arch. f. klin. Med. 130,

Heft 4--6. - - Serko, Einiges zur Diagnostik der Riickcnmarksgeschwiilste. - - Voss, Experimentelle Riickenmarksver~nderungen nach Aortenkompression.