12
Vatikanstadt. Zum Sonntag des Wortes Gottes hat Papst Franziskus dazu aufgerufen, öfter in der Bibel zu lesen. Christen sollten täg- lich einmal den Fernseher ausschalten, das Handy beiseite legen und das Evangelium zur Hand nehmen. Dies lasse spüren, dass Gott nahe sei, und schenke Mut auf dem Lebens- weg, erklärte er. Wegen eines Ischiasleidens nahm der Heilige Vater nicht an der Eucha- ristiefeier im Petersdom teil. Erzbischof Rino Fisichella, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung, leitete die Feier anstelle des Papstes und trug dessen vor- bereitete Predigt vor. Brüder und Schwestern, es ist mir eine besondere Freude und Ehre, die Predigt zu verlesen, die der Heilige Vater bei die- ser Gelegenheit gehalten hätte: An diesem Sonntag des Wortes Gottes hören wir Jesus, wie er das Reich Gottes ankündigt. Wir wollen sehen, was er sagt und zu wem er es sagt. Was er sagt. Jesus beginnt seine Verkündi- gung so: »Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe« (Mk 1,15). Gott ist nahe – das ist die erste Botschaft. Sein Reich ist auf die Erde herabge- kommen. Gott ist nicht, wie wir oft zu denken versucht sind, fern im Himmel, abgesondert von der menschlichen Situation, sondern er ist bei uns. Die Zeit der Distanz ist zu Ende, seit Jesus Mensch geworden ist. Seit damals ist Gott ganz nahe; nie wird er sich von unserer Menschheit trennen und nie wird er ihrer müde werden. Diese Nähe ist der Beginn des Evangeliums, das ist es – so unterstreicht es der Text –, wovon Je- sus »sprach« (V. 15): Er sagte es nicht nur einmal, sondern er sprach, das heißt, er wiederholte es ständig. »Gott ist nahe« war das Leitmotiv seiner Verkündigung, das Herzstück seiner Botschaft. Wenn das der Beginn und der »Kehrreim« der Pre- digt Jesu ist, dann muss es auch der Grundton des Lebens und der christlichen Verkündigung sein. Vor allem anderen muss geglaubt und verkündigt werden, dass Gott uns nahegekommen ist, dass wir begnadet, »erbarmt« wurden. Noch vor je- dem Wort von uns über Gott gibt es sein Wort für uns, das immer weiter zu uns sagt: »Hab keine Angst, ich bin bei dir. Ich bin dir nahe und werde bei dir bleiben.« Das Wort Gottes erlaubt uns, diese Nähe mit Händen zu greifen, weil es – wie das Buch Deu- teronomium sagt – nicht fern von uns ist, son- dern unserem Herzen nahe ist (vgl. 30,14). Es ist das Heilmittel gegen die Angst, allein im Leben zu bleiben. Der Herr tröstet (con-sola) nämlich mit seinem Wort, das heißt, er bleibt bei (con) dem, der allein (solo) ist. Wenn er mit uns spricht, erinnert er uns daran, dass wir in seinem Herzen einen Platz haben, dass wir in seinen Augen wertvoll sind, dass er uns in seinen Hän- den geborgen hält. Das Wort Gottes schenkt die- sen Frieden, aber es lässt nicht in Frieden. Es ist ein Wort des Trostes, aber auch der Umkehr. »Kehrt um« (Mk 1,15), sagt Jesus unmittelbar nach der Verkündigung der Nähe Gottes. Denn durch seine Nähe ist die Zeit zu Ende, zu Gott und zu den Mitmenschen auf Abstand zu gehen, die Zeit, in der jeder nur an sich selbst denkt und für sich allein weitermacht. Das ist nicht christ- lich, denn wer die Nähe Gottes erfahren hat, kann nicht den Nächsten auf Abstand halten, ihn in Gleichgültigkeit abschieben. Deshalb er- lebt, wer das Wort Gottes häufig liest, heilsame existentielle Kehrtwendungen: Er entdeckt, dass es im Leben nicht darum geht, sich vor den an- deren in Acht zu nehmen und sich selbst zu schützen, sondern dass das Leben die Gelegen- heit ist, im Namen des nahen Gottes auf die an- deren zuzugehen. So lässt uns das in unsere Her- zen gesäte Wort durch Nähe Hoffnung säen. Genau wie es Gott mit uns tut. Nun wollen wir sehen, zu wem Jesus spricht. Er wendet sich zunächst an einige Fischer aus Ga- liläa. Das waren einfache Männer, die von ihrer Hände Arbeit lebten und sich Tag und Nacht ab- mühten. Sie waren keine Kenner der Heiligen Schrift und taten sich bestimmt auch nicht durch Wissen und Kultur hervor. Sie wohnten in einer Gegend, die sich aus verschiedenen Völkern, Eth- nien und Religionen zusammensetzte: Es war der Ort, der himmelweit von der religiösen Reinheit Jerusalems, am weitesten vom Zentrum des Lan- des entfernt war. Doch Jesus fängt dort an, nicht im Zentrum, sondern an der Peripherie. Und das tut er, um auch uns zu sagen, dass das Herz Gottes niemanden am Rande stehen lässt. Alle können sein Wort empfangen und ihn persönlich kennenlernen. Dazu gibt es ein schönes Detail im Evangelium, wenn angemerkt wird, dass die Ver- kündigung Jesu »nach« der von Johannes ergeht (vgl. Mk 1,14). Das ist ein entscheidendes Nach- her, das einen Unterschied kennzeichnet: Johan- nes versammelte die Menschen in der Wüste, wohin nur die kamen, die ihre Wohnorte verlas- sen konnten. Jesus dagegen spricht von Gott im Zentrum der Gesellschaft, zu allen dort, wo sie sich befinden. Und er spricht nicht nur zu festge- setzten Zeiten und Terminen; er spricht, während er »am See […] entlangging«, zu Fischern, »die auf dem See ihre Netze auswarfen« (V. 16). Er wen- det sich an die Menschen an den alltäglichsten Orten und zu ganz gewöhnlichen Zeiten. Das ist also die universale Kraft des Wortes Gottes, das jeden Menschen und jeden Lebensbereich er- reicht. UNICUIQUE SUUM NON PRAEVALEBUNT Redaktion: I-00120 Vatikanstadt 51. Jahrgang – Nummer 4/5 – 29. Januar 2021 Wochenausgabe in deutscher Sprache Schwabenverlag AG D-73745 Ostfildern Einzelpreis Vatikan d 2,20 Heilige Messe am Sonntag des Wortes Gottes Ein Liebesbrief an uns In dieser Ausgabe Generalaudienz als Videostream aus der Bibliothek des Apostolischen Palastes am 20. Januar ................................................................................................ 2 Glückwünsche des Papstes an den 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten, Joseph R. Biden .......................................................................................... 2 Lebendige Gemeinde inmitten wertvoller Kunstwerke: Santa Maria del Popolo ............ 5 Vesper in der Basilika St. Paul vor den Mauern am Fest der Bekehrung des Apostels Paulus und Abschluss der Gebetswoche für die Einheit der Christen....................................................................................................................... 6 Leitartikel unseres Direktors zur Botschaft des Papstes zum Welttag der sozialen Kommunikationsmittel ................................................................ 8 Ansprache des Papstes beim Angelus am Sonntag, 24. Januar ............................................................. 9 Gemeinsam unterwegs – Beitrag von Kardinal Kurt Koch ................. 10-11 Papst Paul V. – Baumeister und Reform- papst............................................................................................................................... 12 Das diesjährige Thema des »Sonntag des Wortes Gottes« war dem Brief des Apostels Paulus an die Philipper entnommen: »Haltet fest am Wort des Lebens.« Im Gästehaus Santa Marta übergab der Papst, der aufgrund eines erneuten Ischiasanfalls nicht die heilige Messe im Petersdom feiern konnte, einige Exemplare einer Sonderausgabe der Bibel, die für diesen Anlass angefertigt wurde, an einige Personen, stellvertretend für das ganze Volk Gottes, un- ter ihnen der Fußballspieler des AS Roma, Lorenzo Pellegrini, mit seiner Familie; ein Student der Bibelwissenschaften aus Pakistan; Katecheten aus römischen Pfarreien sowie Firmlinge, ein Seminarist aus dem Südsudan, ein Professor für Infektionsmedizin. Einer blinden Frau überreichte der Papst das Markusevangelium in Brailleschrift. »Komm und sieh« (Joh 1,46) Kommunizieren, indem man den Menschen begegnet, wo und wie sie sind Botschaft von Papst Franziskus zum Welttag der sozialen Kommunikationsmittel Seite 7-8 Hinweis für die Leser Liebe Leserinnen und Leser, die nach wie vor bestehenden Corona- Einschränkungen in Italien und im Vati- kan sowie die damit in Zusammenhang stehende personelle Situation in der Re- daktion führen dazu, dass die heutige Aus- gabe leider als Doppelnummer 4/5 er- scheinen muss. Die nächste Ausgabe ist zum 12. Februar 2021 geplant. Wir bitten um Ihr Verständnis. Fortsetzung auf Seite 3 Wir wollen nicht auf das Wort Gottes verzichten! Es ist ein Liebesbrief, für uns von dem geschrieben, der uns kennt wie kein anderer: Beim Lesen hören wir wieder neu seine Stimme, nehmen sein Gesicht war, empfangen wir seinen Geist. #SonntagDesWortes. Tweet von Papst Franziskus

Ein Liebesbrief an uns Joh - L'Osservatore Romano

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Vatikanstadt. Zum Sonntag des WortesGottes hat Papst Franziskus dazu aufgerufen,öfter in der Bibel zu lesen. Christen sollten täg-lich einmal den Fernseher ausschalten, dasHandy beiseite legen und das Evangelium zurHand nehmen. Dies lasse spüren, dass Gottnahe sei, und schenke Mut auf dem Lebens-weg, erklärte er. Wegen eines Ischiasleidensnahm der Heilige Vater nicht an der Eucha -ristiefeier im Petersdom teil. Erzbischof RinoFisichella, Präsident des Päpstlichen Rates zurFörderung der Neuevangelisierung, leitete dieFeier anstelle des Papstes und trug dessen vor-bereitete Predigt vor.

Brüder und Schwestern,

es ist mir eine besondere Freude und Ehre, die

Predigt zu verlesen, die der Heilige Vater bei die-

ser Gelegenheit gehalten hätte:

An diesem Sonntag des Wortes Gottes hören

wir Jesus, wie er das Reich Gottes ankündigt. Wir

wollen sehen, was er sagt und zu wem er es sagt.

Was er sagt. Jesus beginnt seine Verkündi-

gung so: »Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist

nahe« (Mk 1,15). Gott ist nahe – das ist die erste

Botschaft. Sein Reich ist auf die Erde herabge-

kommen. Gott ist nicht, wie wir oft zu denken

versucht sind, fern im Himmel, abgesondert von

der menschlichen Situation, sondern er ist bei

uns. Die Zeit der Distanz ist zu Ende, seit Jesus

Mensch geworden ist. Seit damals ist Gott ganz

nahe; nie wird er sich von unserer Menschheit

trennen und nie wird er ihrer müde werden.

Diese Nähe ist der Beginn des Evangeliums, das

ist es – so unterstreicht es der Text –, wovon Je-

sus »sprach« (V. 15): Er sagte es nicht nur einmal,

sondern er sprach, das heißt, er wiederholte es

ständig. »Gott ist nahe« war das Leitmotiv seiner

Verkündigung, das Herzstück seiner Botschaft.

Wenn das der Beginn und der »Kehrreim« der Pre-

digt Jesu ist, dann muss es auch der Grundton des

Lebens und der christlichen Verkündigung sein.

Vor allem anderen muss geglaubt und verkündigt

werden, dass Gott uns nahegekommen ist, dass

wir begnadet, »erbarmt« wurden. Noch vor je-

dem Wort von uns über Gott gibt es sein Wort für

uns, das immer weiter zu uns sagt: »Hab keine

Angst, ich bin bei dir. Ich bin dir nahe und werde

bei dir bleiben.«

Das Wort Gottes erlaubt uns, diese Nähe mit

Händen zu greifen, weil es – wie das Buch Deu-

teronomium sagt – nicht fern von uns ist, son-

dern unserem Herzen nahe ist (vgl. 30,14). Es ist

das Heilmittel gegen die Angst, allein im Leben

zu bleiben. Der Herr tröstet (con-sola) nämlich

mit seinem Wort, das heißt, er bleibt bei (con)

dem, der allein (solo) ist. Wenn er mit uns

spricht, erinnert er uns daran, dass wir in seinem

Herzen einen Platz haben, dass wir in seinen

Augen wertvoll sind, dass er uns in seinen Hän-

den geborgen hält. Das Wort Gottes schenkt die-

sen Frieden, aber es lässt nicht in Frieden. Es ist

ein Wort des Trostes, aber auch der Umkehr.

»Kehrt um« (Mk 1,15), sagt Jesus unmittelbar

nach der Verkündigung der Nähe Gottes. Denn

durch seine Nähe ist die Zeit zu Ende, zu Gott

und zu den Mitmenschen auf Abstand zu gehen,

die Zeit, in der jeder nur an sich selbst denkt und

für sich allein weitermacht. Das ist nicht christ-

lich, denn wer die Nähe Gottes erfahren hat,

kann nicht den Nächsten auf Abstand halten,

ihn in Gleichgültigkeit abschieben. Deshalb er-

lebt, wer das Wort Gottes häufig liest, heilsame

existentielle Kehrtwendungen: Er entdeckt, dass

es im Leben nicht darum geht, sich vor den an-

deren in Acht zu nehmen und sich selbst zu

schützen, sondern dass das Leben die Gelegen-

heit ist, im Namen des nahen Gottes auf die an-

deren zuzugehen. So lässt uns das in unsere Her-

zen gesäte Wort durch Nähe Hoffnung säen.

Genau wie es Gott mit uns tut.

Nun wollen wir sehen, zu wem Jesus spricht.

Er wendet sich zunächst an einige Fischer aus Ga-

liläa. Das waren einfache Männer, die von ihrer

Hände Arbeit lebten und sich Tag und Nacht ab-

mühten. Sie waren keine Kenner der Heiligen

Schrift und taten sich bestimmt auch nicht durch

Wissen und Kultur hervor. Sie wohnten in einer

Gegend, die sich aus verschiedenen Völkern, Eth-

nien und Religionen zusammensetzte: Es war der

Ort, der himmelweit von der religiösen Reinheit

Jerusalems, am weitesten vom Zentrum des Lan-

des entfernt war. Doch Jesus fängt dort an, nicht

im Zentrum, sondern an der Peripherie. Und das

tut er, um auch uns zu sagen, dass das Herz

Gottes niemanden am Rande stehen lässt. Alle

können sein Wort empfangen und ihn persönlich

kennenlernen. Dazu gibt es ein schönes Detail im

Evangelium, wenn angemerkt wird, dass die Ver-

kündigung Jesu »nach« der von Johannes ergeht

(vgl. Mk 1,14). Das ist ein entscheidendes Nach-

her, das einen Unterschied kennzeichnet: Johan-

nes versammelte die Menschen in der Wüste,

wohin nur die kamen, die ihre Wohnorte verlas-

sen konnten. Jesus dagegen spricht von Gott im

Zentrum der Gesellschaft, zu allen dort, wo sie

sich befinden. Und er spricht nicht nur zu festge-

setzten Zeiten und Terminen; er spricht, während

er »am See […] entlangging«, zu Fischern, »die auf

dem See ihre Netze auswarfen« (V. 16). Er wen-

det sich an die Menschen an den alltäglichsten

Orten und zu ganz gewöhnlichen Zeiten. Das ist

also die universale Kraft des Wortes Gottes, das

jeden Menschen und jeden Lebensbereich er-

reicht.

UNICUIQUE SUUM NON PRAEVALEBUNT

Redaktion: I-00120 Vatikanstadt

51. Jahrgang – Nummer 4/5 – 29. Januar 2021Wochenausgabe in deutscher Sprache

Schwabenverlag AG

D-73745 Ostfildern

Einzelpreis

Vatikan d 2,20

Heilige Messe am Sonntag des Wortes Gottes

Ein Liebesbrief an uns

In dieser Ausgabe

Generalaudienz als Videostream aus der

Bibliothek des Apostolischen Palastes

am 20. Januar ................................................................................................ 2

Glückwünsche des Papstes an den

46. Präsidenten der Vereinigten Staaten,

Joseph R. Biden .......................................................................................... 2

Lebendige Gemeinde inmitten wertvoller

Kunstwerke: Santa Maria del Popolo ............ 5

Vesper in der Basilika St. Paul vor den

Mauern am Fest der Bekehrung des

Apostels Paulus und Abschluss der

Gebetswoche für die Einheit der

Christen....................................................................................................................... 6

Leitartikel unseres Direktors zur Botschaft

des Papstes zum Welttag der sozialen

Kommunikationsmittel................................................................ 8

Ansprache des Papstes beim Angelus

am Sonntag, 24. Januar ............................................................. 9

Gemeinsam unterwegs –

Beitrag von Kardinal Kurt Koch ................. 10-11

Papst Paul V. – Baumeister und Reform-

papst............................................................................................................................... 12

Das diesjährige Thema des »Sonntag des Wortes Gottes« war dem Brief des Apostels Paulus

an die Philipper entnommen: »Haltet fest am Wort des Lebens.« Im Gästehaus Santa Marta

übergab der Papst, der aufgrund eines erneuten Ischiasanfalls nicht die heilige Messe im

Petersdom feiern konnte, einige Exemplare einer Sonderausgabe der Bibel, die für diesen

Anlass angefertigt wurde, an einige Personen, stellvertretend für das ganze Volk Gottes, un-

ter ihnen der Fußballspieler des AS Roma, Lorenzo Pellegrini, mit seiner Familie; ein Student

der Bibelwissenschaften aus Pakistan; Katecheten aus römischen Pfarreien sowie Firmlinge,

ein Seminarist aus dem Südsudan, ein Professor für Infektionsmedizin. Einer blinden Frau

überreichte der Papst das Markusevangelium in Brailleschrift.

»Komm und sieh«

(Joh 1,46)

Kommunizieren, indem man

den Menschen begegnet,

wo und wie sie sind

Botschaft von Papst Franziskus

zum Welttag der

sozialen Kommunikationsmittel

Seite 7-8

Hinweis für die Leser

Liebe Leserinnen und Leser,

die nach wie vor bestehenden Corona-

Einschränkungen in Italien und im Vati-

kan sowie die damit in Zusammenhang

stehende personelle Situation in der Re-

daktion führen dazu, dass die heutige Aus-

gabe leider als Doppelnummer 4/5 er-

scheinen muss. Die nächste Ausgabe ist

zum 12. Februar 2021 geplant.

Wir bitten um Ihr Verständnis.

Fortsetzung auf Seite 3

Wir wollen nicht auf das Wort Gottes verzichten!

Es ist ein Liebesbrief, für uns von dem geschrieben,

der uns kennt wie kein anderer:

Beim Lesen hören wir wieder neu seine Stimme,

nehmen sein Gesicht war, empfangen wir seinen Geist.

#SonntagDesWortes.

Tweet von Papst Franziskus

29. Januar 2021 / Nummer 4/5 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

2 Aus dem Vatikan

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

In dieser Katechese werde ich über das Gebet

für die Einheit der Christen sprechen. Denn die

Woche vom 18. bis zum 25. Januar ist insbeson-

dere diesem Gebet gewidmet: von Gott das Ge-

schenk der Einheit zu erbitten, um den Skandal

der Spaltungen unter denen, die an Jesus glauben,

zu überwinden. Er hat nach dem Letzten Abend-

mahl für die Seinen gebetet: »Alle sollen eins

sein« (Joh 17,21). Es ist sein Gebet vor dem Lei-

den, man könnte sagen, sein geistliches Testa-

ment. Allerdings sehen wir, dass der Herr den

Jüngern die Einheit nicht geboten hat. Und er hat

ihnen auch keinen Vortrag gehalten, um ihre Not-

wendigkeit zu begründen. Nein, er hat für uns

zum Vater gebetet, dass wir eins sein mögen. Das

bedeutet, dass wir allein nicht ausreichen, um mit

unseren Kräften die Einheit zu verwirklichen.

Die Einheit ist in erster Linie ein Geschenk, sie ist

eine Gnade, die man im Gebet erbitten muss.

Wurzel vieler Spaltungen

Jeder von uns braucht dies. Denn wir merken,

dass wir nicht einmal in der Lage sind, die Einheit

in uns selbst zu bewahren. Auch der Apostel Pau-

lus spürte in sich einen zerreißenden Konflikt:

das Gute zu wollen und zum Bösen zu neigen

(vgl. Röm 7,19). So hat er verstanden, dass die

Wurzel so vieler Spaltungen, die es in unserem

Umfeld gibt – unter Menschen, in der Familie, in

der Gesellschaft, unter den Völkern und auch un-

ter den Gläubigen –, in uns selbst liegt. Wie das

Zweite Vatikanische Konzil sagt, »hängen die

Störungen des Gleichgewichts, an denen die mo-

derne Welt leidet, mit jener tiefer liegenden

Störung des Gleichgewichts zusammen, die im

Herzen des Menschen ihren Ursprung hat. Denn

im Menschen selbst sind viele widersprüchliche

Elemente gegeben. […] So leidet er an einer in-

neren Zwiespältigkeit, und daraus entstehen

viele und schwere Zerwürfnisse auch in der Ge-

sellschaft« (Gaudium et spes, 10). Die Lösung für

die Spaltungen besteht also nicht darin, sich ge-

geneinander zu stellen, denn Zwietracht erzeugt

weitere Zwietracht. Das wahre Heilmittel be-

ginnt damit, Gott um Frieden, Versöhnung, Ein-

heit zu bitten.

Das gilt vor allem

für die Christen: Die

Einheit kann nur als

Frucht des Gebets

kommen. Diplomati-

sche Bemühungen und

akademische Dialoge

genügen nicht. Jesus

wusste das und hat

uns durch sein Beten

den Weg geebnet. So

ist unser Gebet um Ein-

heit eine demütige,

aber vertrauensvolle

Teilhabe am Beten des

Herrn, der verheißen

hat, dass der Vater je-

des Gebet erhören

wird, das wir in seinem Namen an ihn richten

(vgl. Joh 15,7). An diesem Punkt können wir uns

fragen: »Bete ich für die Einheit?« Es ist der Wille

Jesu, aber wenn wir die Anliegen, für die wir be-

ten, Revue passieren lassen, dann werden wir

wahrscheinlich merken, dass wir wenig, viel-

leicht nie, für die Einheit der Christen gebetet ha-

ben. Dennoch hängt der Glaube in der Welt da-

von ab; denn der Herr hat um die Einheit unter

uns gebetet, »damit die Welt glaubt« (Joh 17,21).

Die Welt wird nicht glauben, weil wir sie mit

guten Argumenten überzeugen, sondern wenn

wir die Liebe bezeugt haben, die uns vereint und

uns allen nahe sein lässt.

In dieser Zeit schwerwiegender Probleme ist

das Gebet, dass die Einheit über die Konflikte sie-

gen möge, noch notwendiger. Es ist dringend not-

wendig, Partikularismen zu beseitigen, um das

Gemeinwohl zu fördern, und dafür ist unser

gutes Vorbild grundlegend: Es ist von wesentli-

cher Bedeutung, dass die Christen den Weg zur

vollen, sichtbaren Einheit fortsetzen. In den letz-

ten Jahrzehnten wurden gottlob viele Fortschritte

gemacht, aber es ist notwendig, in der Liebe und

im Gebet zu verharren, ohne den Mut zu verlie-

ren und ohne müde zu werden. Es ist ein Weg,

den der Heilige Geist in der Kirche, in den Chris -

ten und in uns allen erweckt hat und auf dem wir

nicht wieder kehrtmachen. Immer vorwärts!

Für die Einheit kämpfen

Beten bedeutet, für die Einheit zu kämpfen. Ja,

kämpfen, denn unser Feind, der Teufel, ist – wie

das Wort bereits sagt – der Spalter. Jesus bittet um

die Einheit im Heiligen Geist, um die Schaffung

der Einheit. Der Teufel spaltet immer, weil es für

ihn von Vorteil ist zu spalten. Er flößt überall und

auf jede Weise Spaltung ein, während der Heilige

Geist immer in Einheit zusammenkommen lässt.

Der Teufel versucht uns im

Allgemeinen nicht über die

hohe Theologie, sondern

über die Schwächen der

Brüder und Schwestern. Er

ist listig: Er lässt die Fehler

und Mängel anderer riesen-

groß erscheinen, er sät

Zwietracht, er ruft Kritik

hervor und schafft Parteiun-

gen. Gottes Weg ist ein an-

derer: Er nimmt uns so, wie

wir sind, er liebt uns sehr, aber er liebt uns, wie

wir sind, und er nimmt uns, wie wir sind. Er

nimmt uns an in unserer Vielfalt, er nimmt uns

als Sünder an, und immer drängt er uns zur Ein-

heit. Wir können es an uns selbst überprüfen und

uns fragen, ob wir an den Orten, an denen wir le-

ben, die Konflikte nähren oder darum kämpfen,

die Einheit wachsen zu lassen mit den Mitteln,

die Gott uns gegeben hat: Gebet und Liebe. Die

Konflikte nährt man dagegen durch den Klatsch,

immer, indem man schlecht über andere redet.

Der Klatsch ist die leicht zugängliche Waffe, die

der Teufel hat, um die christliche Gemeinde zu

spalten, um die Familie zu spalten, um die

Freunde zu spalten, um immer zu spalten. Der

Heilige Geist inspiriert uns immer zur Einheit.

Das Thema dieser Gebetswoche betrifft die

Liebe: »Bleibt in meiner Liebe und ihr werdet rei-

che Frucht bringen« (vgl. Joh 15,5-9). Die Wurzel

der Gemeinschaft ist die Liebe Christi, die uns die

Vorurteile überwinden lässt, um im anderen ei-

nen Bruder und eine Schwester zu sehen, die im-

mer geliebt werden müssen. Dann entdecken

wir, dass die Christen anderer Konfessionen, mit

ihren Überlieferungen, mit ihrer Geschichte Ge-

schenke Gottes sind, dass sie Geschenke sind, die

in den Gebieten unserer Diözesan- und Pfarrge-

meinden gegenwärtig sind. Beginnen wir, für sie

und, wenn möglich, mit ihnen zu beten. So wer-

den wir lernen, sie zu lieben und wertzuschät-

zen. Das Gebet, so ruft das Konzil in Erinnerung,

ist die Seele der ganzen ökumenischen Bewe-

gung (vgl. Unitatis redintegratio, 8). Möge daher

das Gebet der Ausgangspunkt sein, um Jesus zu

helfen, seinen Traum zu verwirklichen: dass alle

eins sein sollen.

(Orig. ital. in O.R. 20.1.2021)

Generalaudienz als Videostream aus der Bibliothek des Apostolischen Palastes am 20. Januar

»Alle sollen eins sein«Für eine Welt

ohne AtomwaffenVatikanstadt. Bei der Generalaudi-

enz appellierte der Papst zu einem ent-

schiedenen Engagement für eine Welt

ohne Atomwaffen. Er sagte:

Übermorgen, am Freitag, 22. Januar,

wird der internationale Atomwaffenver-

botsvertrag in Kraft treten. Es handelt sich

im das erste rechtlich verbindliche inter-

nationale Mittel, das diese Sprengkörper,

deren Anwendung sich wahllos auswirkt,

in kürzester Zeit eine große Menge an

Menschen betrifft und sehr langfristige

Umweltschäden hervorruft, ausdrücklich

verbietet.

Ich ermutige aufrichtig alle Staaten und

alle Menschen, sich mit Entschlossenheit

dafür einzusetzen, die für eine Welt ohne

Atomwaffen notwendigen Voraussetzun-

gen zu unterstützen und so zum Fort-

schreiten des Friedens und der multilate-

ralen Zusammenarbeit beizutragen, die

die Menschheit heute so sehr braucht.

Papst Franziskus hat dem neuen US-Präsi-

denten, Joseph R. Biden, am Tag seiner Amts -

einführung am 20. Januar eine Glückwunsch-

botschaft gesandt, nachdem er ihm bereits

kurz nach seiner Wahl im November in einem

Telefonat persönlich gratuliert hatte. Biden ist

nach John F. Kennedy der zweite katholische

Präsident der Vereinigten Staaten. Im Folgen-

den der Wortlaut der Glückwünsche:

Zu Ihrer Amtseinführung als 46. Präsi-

dent der Vereinigten Staaten von Amerika

übermittle ich Ihnen meine allerherzlichsten

guten Wünsche und versichere Sie meines

Gebets, auf dass der Allmächtige Gott Ihnen

Weisheit und Kraft für die Ausübung Ihres

hohen Amtes schenken möge. Möge das

amerikanische Volk unter Ihrer Führung

auch weiterhin Kraft aus den erhabenen po-

litischen, ethischen und religiösen Werten

schöpfen, die die Nation seit ihrer Gründung

beseelt haben. Ich bete dafür, dass Ihre Ent-

scheidungen in einer Zeit, in der die schwe-

ren Krisen, mit denen sich unsere Mensch-

heitsfamilie konfrontiert sieht, Weitsicht und

gemeinsame Antworten fordern, geleitet sein

mögen von der Sorge um den Aufbau einer

durch authentische Gerechtigkeit und Frei-

heit geprägten Gesellschaft sowie von einer

niemals versagenden Achtung der Rechte

und der Würde eines jeden Menschen, ins-

besondere der Armen, der Schwachen und

all derer, die keine Stimme haben. Ich bitte

Gott, die Quelle aller Weisheit und Wahrheit,

auch darum, dass er Ihre Bemühungen leite,

Verständnis, Versöhnung und Frieden so-

wohl innerhalb der Vereinigten Staaten als

auch unter den Nationen der Welt zu för-

dern, um das universelle Gemeinwohl vor-

anzubringen. In diesem Sinne erbitte ich

gerne für Sie und Ihre Familie wie auch für

das geliebte amerikanische Volk die Fülle

von Gottes reichem Segen.

(Orig. engl.; ital. in O.R. 21.1.2021)

Globale ÄchtungVatikanstadt. Mit dem Papst unterstrich

auch Erzbischof Paul Richard Gallagher die Not-

wendigkeit einer weltweiten völkerrechtlichen

Ächtung von Atomwaffen. Angesichts »schwer-

wiegender Bedenken« müssten deren Einsatz

und Besitz verboten werden, forderte der Se-

kretär für die Beziehungen mit den Staaten im Va-

tikanischen Staatssekretariat in einem Interview

mit Vatican News am 21. Januar. Der Atomwaf-

fenverbotsvertrag (AVV) sei das erste internatio-

nale Rechtsinstrument, das nukleare Arsenale

explizit verbiete. Dadurch werde – mit Blick auf

die verschiedenen Arten von Massenvernich-

tungswaffen – eine gefährliche Lücke geschlos-

sen, so Gallagher. Atomwaffen müssten, ebenso

wie chemische und biologische Kampfstoffe,

»stigmatisiert und delegitimiert« werden. Das Ab-

kommen war im Sommer 2017 von 122 Staaten

bei den Vereinten Nationen in New York verab-

schiedet worden. Mehr als 80 Länder haben es

bisher unterzeichnet, darunter auch der Heilige

Stuhl als eigenes Völkerrechtssubjekt. Bei einem

Besuch im japanischen Hiroshima im November

2019 hatte der Papst schon den Besitz von Kern-

waffen als »unmoralisch« verurteilt. In der Enzy-

klika Fratelli tutti wird die vollkommene Ab-

schaffung von Atomwaffen als »moralische und

humanitäre Pflicht« gefordert. Die eingesparten

Rüstungsausgaben sollten in einen Weltfonds

fließen, »um dem Hunger ein für alle Mal ein

Ende zu setzen und die Entwicklung der ärmsten

Länder zu fördern«.

Erzbischof Gallagher bekräftigte diese Haltung

und betonte, dass Fortschritte bei der nuklearen

Abrüstung nur durch Dialog und Multilateralis-

mus zu erzielen seien. Das gelte auch für das am

5. Februar endende New-Start-Abkommen zwi-

schen Russland und den USA. Die bilaterale Über -

einkunft enthält eine Begrenzung der Nuklear-

Arsenale beider Länder. Bislang konnte keine Ei-

nigkeit über eine Verlängerung erzielt werden.

Vatikanstadt. Vor der Generalaudi-

enz traf Franziskus in der »Sala Clemen-

tina« des Apostolischen Palastes mit der

Fußballmannschaft der italienischen Stadt

La Spezia zusammen. Er beglückwünschte

die Mannschaft zu ihrem Sieg am Tag zu-

vor. Sie hätten »vier zu zwei« gesiegt, das

sei wie der Tango in Argentinien, »zwei

mal vier«, womit er auf den Zweivierteltakt

anspielte. Er bedankte sich für den Besuch,

denn »ich sehe es gern, wenn junge Män-

ner und Frauen sich im Sport anstrengen.

Denn der Sport ist etwas Wunderbares,

der Sport bringt das Beste hervor, das wir

in uns haben.«

Kurz notiert

Glückwunschbotschaft des Papstes an den 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika

Frieden und Versöhnung

Die Einheit der Christen kann nur

Frucht des Gebets sein. Jesus hat uns

durch sein Beten den Weg geebnet.

So ist unser Gebet um Einheit Teilhabe

am Beten des Herrn, der verheißen hat,

dass der Vater jedes Gebet erhören wird,

das wir in seinem Namen an ihn richten.

Tweet von Papst Franziskus

29. Januar 2021 / Nummer 4/5 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

3Aus dem Vatikan und der Weltkirche

Liebender Dialog

mit dem Schöpfer

Vatikanstadt. Bei der Generalaudienz am

Mittwoch, 27. Januar, die wieder per Livestream

aus der Bibliothek des Apostolischen Palastes

übertragen wurde, setzte Papst Franziskus seine

Katechesereihe über das Gebet fort. Ein Mitarbei-

ter der deutschsprachigen Abteilung des Staats-

sekretariats trug die folgende Zusammenfassung

vor:

Liebe Brüder und Schwestern, im Rahmen

unserer Katechesenreihe über das Gebet wollen

wir uns heute dem Beten mit der Heiligen

Schrift widmen. Die Worte der Bibel sollen im

Leben des Lesers Frucht bringen. Dazu ist es

gut, Abschnitt für Abschnitt betend zu betrach-

ten. Für ein hörendes Herz wird die Heilige

Schrift so zu Gottes lebendigem Wort. Und wie

wir die Bibel lesen, so liest sie auch uns: Der

biblische Text ist wie ein Spiegel, in dem der Be-

ter sich selber erkennt. Um den reichen Schatz

des Wortes Gottes zu heben, hat sich in der mo-

nastischen Tradition die Methode der geistlichen

Schriftlesung – der lectio divina – entwickelt.

Sie besteht aus vier Schritten: Im aufmerksamen

Lesen nähert sich der Beter dem Text. In der

Meditation, etwa im Wiederholen eines Satzes,

versucht er einzelne Gedanken tiefer zu verste-

hen. Im Gebet fragt er, was Gott ihm damit sa-

gen will. In der Kontemplation schließlich sucht

er das Schöne und Gute in Gottes Wirken zu

schauen und tritt in einen liebenden Dialog mit

dem Schöpfer ein. Die Heilige Schrift ruft uns

auf, Gott Gehör zu schenken und das Gehörte in

die Tat umzusetzen. So haben sich viele Heilige

in ihrem Leben vom Wort Gottes führen lassen.

Der Heilige Vater grüßte die deutschsprachi-

gen Zuschauer und Zuhörer auf Italienisch.

Anschließend wurde folgende deutsche Überset-

zung der Grüße vorgelesen:

Einen herzlichen Gruß richte ich an die Gläu-

bigen deutscher Sprache. Wählen wir jeden Mor-

gen ein Wort der Bibel als unseren Begleiter für

den Tag. Es wird uns helfen, Gottes Willen besser

zu verstehen und zu leben. Der Heilige Geist leite

euch auf euren Wegen.

Vatikanstadt. Am Nachmittag des

26. Januar begab sich der Papst in die Ka-

pelle »Maria Königin der Familie«, die sich

im Gebäude des Governatorats des Staates

der Vatikanstadt befindet. Er nahm am

Requiem seines am 9. Januar verstorbenen

Leibarztes, Prof. Fabrizio Soccorsi, teil,

dem Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin

vorstand.******

Rom. In der Basilika Sant’Agnese sind

am 21. Januar die Agnes-Lämmer gesegnet

worden, aus deren Wolle die Stolen fur neu-

ernannte Metropolitan-Erzbischöfe gefer-

tigt werden. Die Zeremonie fand am Fest

der fru hchristlichen Märtyrerin Agnes bei

der nach ihr benannten Katakombe an der

Via Nomentana statt. Gott habe das Schwa-

che erwählt, um das Starke zuschanden zu

machen, sagte Franco Bergamin, Gene-

ralabt der Augustiner-Chorherren vom

Lateran, bei der Segnung der beiden

weißen, mit Blumen bekränzten Tiere. Aus

der Wolle der Lämmer, die in Körben zu der

Segenshandlung hereingetragen wurden,

weben Ordensfrauen die Pallien.

******

Rom. Italiens Kulturhauptstadt für

2022 ist eine kleine Insel. Wie das Kultur-

und Tourismusministerium am 18. Januar

in Rom mitteilte, fiel die Wahl auf die Insel

Procida im Golf von Neapel. Mit dem Titel

verbunden sind eine Million Euro Staats-

zuschüsse für Strukturmaßnahmen. An-

ders als Capri und Ischia hat Tourismus für

Procida keine größere Bedeutung. Be-

kannt ist aber die Karfreitagsprozession

auf der Insel.

Kurz notiert

Erich Leitenberger

gestorben

Wien. Der frühere Chefredakteur der öster-

reichischen Presseagentur Kathpress und lang-

jährige Pressesprecher der Erzdiözese Wien, ist

tot. Erich Leitenberger starb am 18. Januar mit 76

Jahren in Wien. Kardinal Christoph Schönborn

sagte, er verliere einen guten, langjährigen

Freund. Leitenberger sei über viele Jahre die

»Stimme der katholischen Kirche in Österreich«

gewesen. Für ihn sei Leitenberger »all die Jahre

eine unverzichtbare Stütze, ein kluger Berater,

Krisenmanager und ein Mann mit einem treffsi-

cheren Gespür und Urteil« gewesen.

Die Republik Österreich würdigte seine Ver-

dienste mit dem »Großen Ehrenzeichen«. Kirch-

lich wurde er mit dem päpstlichen Gregoriusor-

den ausgezeichnet. Bis zuletzt war er Sprecher

des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRKÖ)

und der Stiftung »Pro Oriente«.

Vatikanstadt/Bagdad. Papst Franziskus

hat den Sprengstoffanschlag auf einen belebten

Markt in Bagdad als »sinnlosen Akt der Brutalität«

verurteilt. Er vertraue auf die Bemühungen aller

Seiten, Gewalt durch Geschwisterlichkeit, Solida-

rität und Frieden zu überwinden, hieß es in ei-

nem Telegramm an den irakischen Staatspräsi-

denten Barham Salih, das am 21. Januar ver-

öffentlicht wurde. Der Papst bete für die Todes-

opfer und deren Familien sowie für die Verletzten

und Einsatzkräfte. Laut Medienberichten hatten

sich am Morgen des 21. Januar zwei Selbstmord -

attentäter auf dem Tayaran-Platz im Zentrum Bag-

dads in die Luft gesprengt und mehr als 30 Men-

schen mit sich in den Tod gerissen. Dutzende

wurden verletzt.

Anfang März will Papst Franziskus den Irak

besuchen; im Mittelpunkt des Programms soll

Bagdad stehen. Der chaldäisch-katholische Patri-

arch Kardinal Louis Raphaël Sako hat in diesen

Tagen die katholischen Bischöfe des Irak im Pa-

triarchat in Bagdad versammelt, um uber den an-

stehenden Besuch zu beraten und am konkreten

Programm zu arbeiten. Als vorgesehene Statio-

nen wurden bisher Bagdad, Erbil, Mossul, Kara-

kosch und Ur benannt.

Gewalt durch

Geschwisterlichkeit

besiegen

Heilige Messe am Sonntag des Wortes Gottes

Aber das Wort Gottes besitzt auch eine spezi-

fische Kraft, das heißt, sie wirkt sich auf jeden di-

rekt und persönlich aus. Die Jünger werden nie

mehr die Worte vergessen, die sie an diesem Tag

am Ufer des Sees, in der Nähe der Boote, der Fa-

milienangehörigen und der Arbeitskollegen ver-

nommen haben. Es sind Worte, die für immer ihr

Leben prägen werden. Jesus sagt zu ihnen:

»Kommt her, mir nach! Ich werde euch zu Men-

schenfischern machen« (V. 17). Er beeindruckt sie

nicht mit hochstehenden und abgehobenen Re-

den, sondern spricht sie in ihrer Lebenswirklich-

keit an: Zu Fischern, die Fische fangen, sagt er, sie

werden Menschenfischer werden.

Wenn er zu ihnen gesagt hätte: »Kommt her,

mir nach, ich werde euch zu Aposteln machen:

Ihr werdet in alle Welt gesandt werden, um das

Evangelium in der Kraft des Heiligen Geistes zu

verkünden, ihr werdet getötet, aber heilig wer-

den«, dann können wir uns vorstellen, dass Pe-

trus und Andreas ihm geantwortet hätten:

»Danke, aber wir bleiben lieber bei un-

seren Booten und Netzen.« Jesus hin-

gegen ruft sie vor dem Hintergrund ih-

res Lebens: »Ihr seid Fischer, ihr

werdet Menschenfischer.« Von die-

sem Satz getroffen, werden sie Schritt

für Schritt entdecken, dass das Leben

als Fischer nichts Besonderes war,

dass aber das Geheimnis der Freude darin be-

steht, auf das Wort Jesu hin ins Weite hinauszu-

fahren. So macht es der Herr auch mit uns: Er

sucht uns dort, wo wir stehen, er liebt uns so, wie

wir sind, und begleitet geduldig unsere Schritte.

Wie auf jene Fischer, so wartet er auch auf uns an

den Ufern des Lebens. Durch sein Wort will er

uns dazu bringen, den Kurs zu ändern, damit wir

aufhören, nur ein bisschen vor uns hin zu leben,

und stattdessen ihm nach ins Weite hinauszu -

fahren.

Daher, liebe Brüder und Schwestern, wollen

wir nicht auf das Wort Gottes verzichten. Es ist

ein Liebesbrief, für uns von dem geschrieben, der

uns kennt wie kein anderer: Beim Lesen hören

wir wieder neu seine Stimme, nehmen wir sein

Gesicht wahr, empfangen wir seinen Geist. Das

Wort lässt uns Gott nahe sein – halten wir es

nicht fern von uns. Tragen wir es immer bei uns

– in der Tasche, auf dem Telefon – und geben wir

ihm einen würdigen Platz in unseren Häusern.

Stellen wir die Heilige Schrift auf einen Platz, wo

wir daran erinnert werden, sie täglich aufzu-

schlagen, vielleicht am Beginn und

am Ende des Tages, sodass unter all

den Worten, die an unsere Ohren

dringen, der eine oder andere Vers

des Wortes Gottes zu unserem Her-

zen gelangt. Dafür bitten wir den

Herrn um die Kraft, den Fernseher

auszuschalten und die Bibel aufzu-

schlagen; das Handy beiseitezulegen und das

Evangelium zur Hand zu nehmen. In diesem Jah-

reskreis lesen wir das Markusevangelium, es ist

das einfachste und kürzeste. Warum lesen wir es

nicht auch allein, jeden Tag einen kurzen Ab-

schnitt? Dies wird uns spüren lassen, dass der

Herr nahe ist, und uns auf unserem Lebensweg

mit Mut erfüllen.

Fortsetzung von Seite 1

Erzbischof Salvatore Fisichella, Präsident des

Päpstlichen Rats zur Förderung der Neuevangeli-

sierung, stand in Vertretung des Papstes der hei-

ligen Messe vor und verlas auch dessen Predigt.

Bessere Zusammenarbeit bei Impfstoffen

Vatikanstadt. Der Vatikan

hat erneut nachdrücklich zur

Teilnahme an Corona-Impfungen

aufgerufen. Der Schutz vor einer

Covid-Erkrankung sei ethisch ge-

boten. »Du spielst mit deiner Ge-

sundheit, du spielst mit deinem

Leben, aber du spielst auch mit

dem Leben anderer«, schrieb die

Päpstliche Akademie für das Le-

ben mit einem Zitat von Papst

Franziskus am 19. Januar auf

Twitter. Der Akademiepräsident

Erzbischof Vincenzo Paglia und

Kanzler Renzo Pegoraro ließen

sich der Kurzmitteilung zufolge

an diesem Tag ebenfalls immuni-

sieren. Sowohl Papst Franziskus

als auch Ethik-Experten des Vatikan hatten zuvor

mehrfach für Impfungen geworben und Impf -

gegner als unsolidarisch kritisiert.

Außerdem haben am Mittwochvormittag,

20. Januar, 25 wohnsitzlose Menschen ihre erste

Impfdosis gegen das Coronavirus erhalten, wie

der Direktor des Presseamtes des Heiligen Stuhls,

Matteo Bruni, mitteilte. Die Obdachlosen seien

derzeit in Einrichtungen des Päpstlichen Almo-

senamtes in Rom untergebracht. In der Woche

zuvor hatte das vatikanische Gesundheitsamt

(FAS) mit den ersten Immunisierungen von Be-

wohnern des Vatikanstaates und Kurienmitarbei-

tern begonnen, unter ihnen Papst Franziskus und

sein Vorgänger Benedikt XVI. Franziskus hat

wiederholt Regierungen und Behörden weltweit

dazu aufgerufen, auch den Ärmsten Zugang zu

Impfungen zu verschaffen.

In diesem Zusammenhang appellierte die

Päpstliche Akademie für das Leben am 22. Januar

an Regierungen, EU-Organisationen und die

Weltgesundheitsbehörde WHO, sich für eine bes-

sere Zusammenarbeit bei der Herstellung und

Verteilung von Corona-Impfstoffen einzusetzen.

Impfstoffe müssten gleichzeitig in verschiedenen

Standorten auf der Welt hergestellt werden, dazu

brauche es internationale Verträge, heißt es in ei-

ner Stellungnahme der Akademie. Nur so sei die

Logik des »Impfnationalismus« zu durchbrechen,

bei dem reiche Staaten sich ohne Rücksicht auf

ärmere gleich als erste eine hinreichende Menge

Impfstoffe sicherten.

Obdachlose und Missionarinnen der Nächstenliebe warten im

Vatikan auf ihre Impfung.

Urteile im Strafprozess

um Immobilienverkäufe

Vatikanstadt. Der frühere Präsident der

Vatikanbank (IOR, »Istituto per le Opere di Reli-

gione«), Angelo Caloia (81), und sein Rechtsbe-

rater Gabriele Liuzzo (97) sind von einem Ge-

richt im Vatikan zu jeweils acht Jahren und elf

Monaten Freiheitsstrafe wegen Geldwäsche

und Unterschlagung verurteilt worden. Der in

die Geschäfte involvierte Sohn Gabriele Liuzzos,

Lamberto Liuzzo, erhielt fünf Jahre und zwei

Monate.

Das erstinstanzliche Urteil folgte auf einen

fast dreijährigen Strafprozess um umstrittene

Immobilienverkäufe in den Jahren zwischen

2002 und 2007, durch die der Vatikanbank IOR

Schaden in zweistelliger Millionenhöhe entstan-

den war. Die Verurteilten kündigten nach dem

Richterspruch am Donnerstagabend, 21. Januar,

Berufung an.

Globale Verantwortung

für das KlimaVatikanstadt. Auf dem Klima-Anpassungs-

gipfel hat Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in

einer Videobotschaft die Stärkung des Multilate-

ralismus und Solidarität vor allem mit armen

Ländern angemahnt. Die Erderwärmung mit

ihren Folgen stelle eine der Hauptherausforde-

rungen der Menschheit dar, sagte er im Rahmen

der Beratungen der Staats- und Regierungschefs,

die am 25. Januar begonnen haben.

Bei dem von den Niederlanden organisierten

virtuellen Treffen wollten sich unter anderem

UN-Generalsekretär Antonio Guterres, Bundes-

kanzlerin Angela Merkel sowie der Klima-Be-

auftragte der neuen US-Regierung, John Kerry,

zu Wort melden.

Die bevorstehende Aufgabe sei »schwierig

und komplex«, aber die Weltgemeinschaft be-

sitze die Freiheit, die Intelligenz und die Fähigkeit

zu einem menschlicheren, sozialeren und ganz-

heitlicheren Fortschritt. Es gelte jetzt auch den

politischen Willen zu zeigen und zu einer globa-

len gemeinsamen Verantwortung zu finden, so

Parolin.

Privataudienzen

Der Papst empfing:

21. Januar:

– den Präfekten der Kongregation für die Selig-

und Heiligsprechungsprozesse, Kardinal Mar-

cello Semeraro;

22. Januar:

– den Vorsitzenden der Italienischen Bischofs-

konferenz, Kardinal Gualtiero Bassetti, Erzbi-

schof von Perugia-Città della Pieve (Italien);

– den Präfekten des Dikasteriums für die Laien,

die Familie und das Leben, Kardinal Kevin Jo-

seph Farrell;

– den Präfekten der Kongregation für den Gottes-

dienst und die Sakramentenordnung, Kardinal

Robert Sarah;

23. Januar:

– den Präfekten der Kongregation für die

Bischöfe, Kardinal Marc Ouellet.

Bischofskollegium

Ernennungen

Der Papst ernannte:

20. Januar:

– zum Bischof der Diözese Nicopoli (Bulgarien):

Strahil Veselinov Kavalenov, bisher Apostoli-

scher Administrator »sede vacante« dieser Diö-

zese;

25. Januar:

– zum Metropolitan-Erzbischof von Naxos, An -

dros, Tinos, Mykonos und Apostolischen Admi-

nistrator der Diözese Chios (Griechenland): Josif

Printezis, bisher Pfarrer der Kathedrale in Syros;

– zum Bischof der Diözese Kalisz (Polen): Da-

mian Bryl, bisher Weihbischof in der Metropo -

litan-Erzdiözese Posen und Titularbischof von

Suliana.

Rücktritte

Der Papst nahm die Rücktrittsgesuche an:

25. Januar:

– von Erzbischof Nikolaos Printezis von der

Leitung der Metropolitan-Erzdiözese Naxos,

Andros, Tinos, Mykonos sowie als Apostolischer

Administrator der Diözese Chios (Griechen-

land);

– von Bischof Joseph Luc André Bouchard

von der Leitung der Diözese Trois-Rivières (Ka-

nada);

Todesfälle

Am 19. Januar ist der emeritierte Bischof von

Kimbe in Papua-Neuguinea, William Fey, aus

dem Orden der Kapuziner, im Alter von 78 Jah-

ren in Pittsburgh in den Vereinigten Staaten von

Amerika gestorben.

Am 20. Januar ist der emeritierte Bischof von

Masaka in Uganda, John Baptist Kaggwa, im

Alter von 77 Jahren im »Mulago National Refer-

ral Hospital« in Kampala gestorben.

Am 22. Januar ist der emeritierte Bischof von

Chioggia und Vittorio Veneto in Italien, Alfredo

Magarotto, im Alter von 93 Jahren gestorben.

Am 24. Januar ist der emeritierte Bischof von

Lancaster in England, Patrick O’Donoghue, im

Alter von 86 Jahren in Irland gestorben.

Am 26. Januar ist der emeritierte Bischof von

Armidale in Australien, Luc Julian Matthys, im

Alter von 85 Jahren gestorben.

Der Apostolische Stuhl

Römische Kurie

Der Papst ernannte:

20. Januar:

– zum Mitglied der Päpstlichen Akademie der

Sozialwissenschaften: Prof. Jutta Allmendin-

ger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Ber-

lin für Sozialforschung (WZB);

21. Januar:

– zum Mitglied der Päpstlichen Akademie der

Sozialwissenschaften: Prof. Rodrigo Guerra

López, Professor mit Forschungsauftrag am Phi-

lisophischen Seminar und Mitglied des »Consejo

de Gobierno del Centro de Investigación Social

Avanzada« (CISAV) in Santiago de Querétaro

(Mexiko);

22. Januar:

– zu Konsultoren des Päpstlichen Rats für die

Gesetzestexte als Experten für den Codex des

kanonischen Rechtes: Sac. Davide Cito, Prof.

für kanonisches Strafrecht an der Päpstlichen

Universität vom Heiligen Kreuz; P. Andrea

D’Auria FSCB, Ord. Prof. für kanonisches

Recht an der Päpstlichen Universität Urbaniana;

P. Bruno Esposito OP, Referendar des Obers -

ten Gerichtshofs der Apostolischen Signatur

und Richter am Kirchengericht des Vikariats der

Vatikanstadt; P. Sebastiano Paciolla OCist,

Kirchenanwalt am Obersten Gerichtshof der

Apos tolischen Signatur; P. Ulrich Rhode SJ,

Ord. Prof. für Kanonisches Recht an der Päpstli-

chen Universität Gregoriana; Prof. Vincenzo

Buonomo, Rektor der Päpstlichen Lateran-Uni-

versität;

– zu Konsultoren des Päpstlichen Rats für die

Gesetzestexte als Experten für Ostkirchenrecht:

Elie Béchara Haddad, griechisch-melkitischer

Erzbischof von Sidon; Hanna G. Alwan, Titu -

larbischof von Sarepta und Kurienbischof von

Antiochia der Maroniten; Prälat Paul Pallath,

Relator der Kongregation für die Selig- und Hei-

ligsprechungsprozesse;

25. Januar:

– zu Konsultoren der Kongregation für die Glau-

benslehre: Msgr. Antonio Pitta, Pro-Rektor der

Päpstlichen Lateran-Universität; Sac. Luca Ezio

Bolis, Professor an der Theologischen Fakultät

Norditaliens; Sac. Alessandro Clemenzia, Pro-

fessor an der Theologischen Fakultät Mittelitali-

ens;

– zu Mitgliedern der Päpstlichen Bibelkommis-

sion: Andrés María García Serrano, Prof. für

Neues Testament an der Universidad Eclesiá-

stica San Dámaso, Madrid (Spanien); Federico

Giuntoli, Prof. für Altes Testament am Päpstli-

chen Bibelinstitut, Rom (Italien); Marcin Ko-

walski, Prof. für Neues Testament an der Ka-

tholischen Universität Lublin (Polen); Blazej

Strba, Prof. an der Comenius-Universität in Bra-

tislava, Badín (Slowakei); P. Paul Béré SJ, Prof.

für Heilige Schrift am Päpstlichen Bibelinstitut,

Rom (Italien); P. Philippe Lefebvre OP, Prof.

für Altes Testament an der Université de Fri-

bourg (Schweiz); P. Henry Pattarumada-

thil SJ, Prof. für Heilige Schrift am Päpstlichen

Bibelinstitut, Rom (Italien); Bénédicte Lemme-

lijn, Professorin für Altes Testament an der Ka-

tholieke Universiteit Leuven (Belgien); Maria

Armida Nicolaci, Professorin für Heilige

Schrift an der Päpstlichen Theologischen Fakul-

tät Sizilien San Giovanni Evangelista, Palermo

(Italien).

VATIKANISCHES BULLETIN

L’OSSERVATORE ROMANOWochenausgabe in deutscher Sprache

51. JahrgangHerausgeber: Apostolischer Stuhl

Verantwortlicher Direktor: Andrea Monda

Redaktion

I-00120 Vatikanstadt; Tel.: 00 39/06 69 84 58 60;Internet: http://www.vatican.va; E-Mail: [email protected]: Foto-Service und Archiv O.R.Tel.: 00 39/06 69 84 51 47; E-Mail: [email protected]

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29. Januar 2021 / Nummer 4/5

4

L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

Aus dem Vatikan

Papst Franziskus hat den Opfern der

Explosion eines Gebäudes, das zur Madri-

der Pfarrei »Virgen de la Paloma« gehört,

sein Beileid und seine Nähe bekundet. In

einem von Kardinalstaatssekretär Pietro

Parolin unterzeichneten Telegramm an

den Erzbischof von Madrid, Kardinal Car-

los Osoro Sierra, heißt es, der Papst bitte

um »ewige Ruhe für die Opfer« sowie Ge-

nesung und Frieden für Verletzte und ihre

Angehörigen. Bei der durch ein Gasleck

verursachten Explosion am 20. Januar ka-

men vier Menschen ums Leben, darunter

der 36-jährige Priester Rubén Pérez Ayala.

Die Wucht der Detonation hat drei Etagen

des Gebäudes komplett zerstört. Es wur-

den gerade Arbeiten an der Gasheizung

durchgeführt.

*******

Anlässlich des »Martin Luther King

Tags«, der am 18. Januar in den Vereinigten

Staaten begangen wurde, hat Papst Fran-

ziskus sich in einem Brief an dessen Toch-

ter Bernice gewandt und die Teilnehmer

am Gedenkgottesdienst gegrüßt. Er be-

tonte in dem Schreiben, dass »Dr. Kings

Traum von Harmonie und Gleichberechti-

gung für alle Menschen, angestrebt mit

friedlichen, gewaltfreien Mitteln« weiter-

hin aktuell sei, gerade in der heutigen Welt,

wo immer mehr soziale Ungerechtigkeit,

Spaltungen und Konflikte die Verwirkli-

chung des Gemeinwohls behinderten.

*******

Angesichts der Corona-Infektionslage

in Italien hat der Vatikan die traditionellen

Exerzitien der Kurie zu Beginn der Fasten-

zeit abgesagt. Stattdessen lade der Papst

die in Rom ansässigen Kardinäle, die Leiter

der Dikasterien und die Oberen der Römi-

schen Kurie ein, private Einkehrtage zu

halten und sich von Sonntagnachmittag,

21. Februar bis 26. Februar zum Gebet

zurückzuziehen, so die Mitteilung des

Presseamtes vom 20. Januar. Im betreffen-

den Zeitraum sind alle offiziellen Termine

des Papstes abgesagt, darunter die Gene-

ralaudienz am 24. Februar.

Aus dem Vatikanin Kürze

Vatikanstadt. Papst Franziskus hat am

21. Januar den Präfekten der Kongregation

für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse,

Kardinal Marcello Semeraro, in Audienz

empfangen. Bei der Audienz hat der Papst

die Kongregation autorisiert, folgende De-

krete zu promulgieren. Sie betreffen:

– das Martyrium des Dieners Gottes Gio-

vanni Fornasini, Diözesanpriester; geboren

in Pianaccio di Lizzano in Belvedere (Italien)

am 23. Februar 1915; getötet aus Glaubens-

hass in San Martino di Caprara (Italien) am 13.

Oktober 1944;

– den heroischen Tugendgrad des Dieners

Gottes Michele Arcangelo Maria Antonio

Vinti, Diözesanpriester; geboren in Grotte

(Italien) am 18. Januar 1893; gestorben eben-

dort am 17. August 1943;

– den heroischen Tugendgrad des Dieners

Gottes Ruggero Maria Caputo, Diözesan-

priester; geboren in Barletta (Italien) am 1.

Mai 1907; gestorben ebendort am 15. Juni

1980;

– den heroischen Tugendgrad der Diene-

rin Gottes Mary Joseph of Jesus (mit bür-

gerlichem Namen: Elizabeth Prout), Grün-

derin der Kongregation der Sisters of the Cross

and Passion; geboren in Shrewsbury (Eng-

land) am 2. September 1820; gestorben in Sut-

ton (England) am 11. Januar 1864;

– den heroischen Tugendgrad des Dieners

Gottes Santiago Masarnau Fernández,

Laie; geboren in Madrid (Spanien) am 10. De-

zember 1805; gestorben ebendort am 14. De-

zember 1882;

– den heroischen Tugendgrad des Dieners

Gottes Pasquale Canzii, Seminarist; gebo-

ren in Bisenti (Italien) am 6. November 1914;

gestorben in Penne (Italien) am 24. Januar

1930;

– den heroischen Tugendgrad des Dieners

Gottes Jérôme Lejeune, Laie; geboren in

Montrouge (Frankreich) am 13. Juni 1926;

gestorben in Paris (Frankreich) am 3. April

1994;

– den heroischen Tugendgrad der Diene-

rin Gottes Adele Bonolis, Laiin, Gründerin

der Opere di Assistenza e Redenzione Sociale;

geboren in Mailand (Italien) am 14. August

1909; gestorben ebendort am 11. August

1980.

Promulgation von Dekreten

Kirchenversammlung in

Lateinamerika mit

Beteiligung der Laien

Mexiko-Stadt/Vatikanstadt. Eine für

den Herbst geplante Kirchenversammlung für

Lateinamerika und die Karibik soll nach dem

Willen von Papst Franziskus unter breiter Betei-

ligung von katholischen Laien stattfinden. Träger

dürfe nicht nur eine »Elite« sein, sagte der Papst

in einer Videobotschaft zur Auftaktveranstal-

tung, die am Sonntag, 24. Januar, in Mexiko-

Stadt abgehalten wurde. Das Treffen müsse Zei-

chen für eine Kirche sein, die niemanden

ausschließt. Die kontinentale Kirchenversamm-

lung soll vom 21. bis 28. November in Mexiko

stattfinden. Ihr Motto lautet: »Wir alle sind mis-

sionarische Jünger im Aufbruch«.

Organisiert wird das Treffen vom Lateiname-

rikanischen Bischofsrat (CELAM). Diese Kir-

chenversammlung sei eine Premiere, betonte der

Papst in seiner Botschaft an den CELAM-Vorsit-

zenden, den peruanischen Erzbischof Miguel

Cabrejos Vidarte. Anders als bei den Treffen der

lateinamerikanischen Bischöfe wie zuletzt in

Aparecida 2007 sei »das ganze Volk Gottes auf

dem Weg« aufgerufen, gemeinsam den Willen

Gottes für die Kirche zu suchen. Wichtig sei das

Hören auf Christus im Gebet. Eröffnet wurde die

Vorbereitungszeit mit einer Messe in der Wall-

fahrtsbasilika von Guadalupe.

29. Januar 2021 / Nummer 4/5 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

5Kultur

Zweifellos ist sie eine der bedeutends -ten Kirchen Roms: Santa Maria del Popolo,Basilica minor, gelegen an der Piazza delPopolo, an der Nordseite des historischenZentrums.

Von Christa Langen-Peduto

Erst gab es das antike Stadttor, die Porta

Flaminia, die im 16. Jahrhundert wie-

deraufgebaut wurde. Alle, die von Nor-

den über die altrömische Via Flaminia kommend

Einlass in Rom begehrten, Krieger, Wanderer und

Pilger, schließlich Pilgerscharen, mussten das ar-

chitektonisch schöne Monument durchqueren.

Einmal passiert, stand einst linksseitig eine Pap-

pel (lateinisch populus). Der Legende nach war

sie von bösen Geistern bewohnt, die das unter

dem Baum befindliche Grab Kaiser Neros be-

wachten, aber auch die Passanten belästigten.

Soweit die römische Überlieferung. Papst Pascha-

lis II. (1099-1118) machte jedenfalls jenem Trei-

ben ein Ende, ließ den Baum fällen und dort

zunächst eine Marienkapelle bauen. Papst Gre-

gor IX. ersetzte sie 1231 durch eine größere Kir-

che »für das Volk«.

Bis heute ist unklar, ob sich der Name der Ba-

silica minor Santa Maria del Popolo auf die Pappel

bezieht oder auf das Volk. Jedenfalls steht der

Hochaltar über den Wurzeln des einstigen Bau-

mes. Und die Porta Flaminia wurde dann in Porta

del Popolo umbenannt. Solange Rom keine Mil-

lionenstadt war und es noch keine Flugzeuge und

Züge gab, war das Tor-Monument weiterhin der

Durchlass für von Norden eintreffende Besucher.

Auch Goethe durchquerte 1786 die Porta del Po-

polo und ließ sich nur 300 Schritte entfernt in der

Via del Corso 18 nieder. Über Jahrhunderte hin-

weg waren die Passanten aber vor allem christli-

che Pilger, die dann gleich zum Gebet in die erste

Kirche der ewigen Stadt eilten, an der sie vorbei-

kamen. Nämlich Santa Maria del Popolo.

Heutzutage hat sie 2500 Gemeindemitglie-

der. »Pro Jahr haben wir circa zwölf Kom-

munionkinder, feiern 20 Taufen und 20 bis 30

Trauungen«, erzählt Pater Ivan Caputo. Er ist seit

fünf Jahren Pfarrer der Kirche und zugleich Prior

des dazugehörigen Klosters der Augustiner-Ere-

miten. Übrigens soll einigen Biographen zufolge

Martin Luther als junger Mönch während seines

Romaufenthaltes dort übernachtet haben. Doch

einen schriftlichen Nachweis dafür müsse man in

seinem Kloster erst noch suchen, sagt Pater Ivan:

»Bis jetzt gibt es nur die Überlieferung.«

Die meisten Pfarrmitglieder müssen die Porta

del Popolo durchqueren, um zur Messe zu kom-

men. Der Gemeindebereich erstreckt sich bis

zum Marineministerium an der Via Flaminia. Die

Häuser sind vielstöckig, robust gebaut gegen

Ende des 19. Jahrhunderts, als sich Rom mehr

und mehr zur Hauptstadt entwickelte und viele

Italiener aus anderen Teilen des Landes anzog.

Heutzutage herrscht dort geschäftiges Treiben

mit viel Autolärm. Es gibt eine U-Bahn-Station, ei-

nen alten Regionalbahnhof mit Zügen in Rich-

tung Viterbo, eine hochmoderne viel genutzte

Straßenbahn, die am Piazzale Flaminio endet und

im Zwei- bis Drei-Minuten-Takt verkehrt.

Doch gleich nach dem Durchqueren des Tores

kehrt weitgehend Ruhe ein. Die 16.000 Quadrat-

meter große Piazza del Popolo, im 19. Jahrhun-

dert neoklassizistisch neu gestaltet von dem re-

nommierten Architekten Giuseppe Valadier, ist

Fußgängerinsel. Es ist einer der berühmtesten

Plätze Roms und fasst 65.000 Menschen. Der

Platz mit seinem ägyptischen Obelisken aus dem

Jahr 10 v. Chr. in der Mitte ist das Reich von spie-

lenden Kindern, von Straßenkünstler-Darbietun-

gen, aber auch von politischen Kundgebungen

und mitunter heftigen Tumulten.

Türder Welt

Zur Basilika gleich neben dem Tor geht es ein

paar Stufen hoch. Drinnen herrscht wohltuende

Stille, in diesen Corona-Krisenzeiten noch mehr

als sonst. Normal, das heißt sonntags mit vielen

Messbesuchern, ging es dort zuletzt bis Anfang

März 2020 zu. Fünf Messen an Sonn- und Feier-

tagen, drei werktags, das war die Regel. Dann

kam der erste Lockdown Italiens, bei dem fast

zwei Monate gar keine Gottesdienste erlaubt wa-

ren, und auch ab Herbst gab es wieder mehr

Restriktionen. Pater Ivan: »Wir mussten verschie-

dene Aktivitäten einstellen, weil wir keine größe-

ren Räume mit guter Durchlüftung zur Verfügung

haben. Wir sind dann auch zu Veranstaltungen in

Streaming übergegangen, um wenigstens jene

Gläubigen zu erreichen, die aus Alters- oder

Krankheitsgründen Angst haben, in die Ge-

meinde zu kommen. Das gilt auch für die Kate-

chismus-Kinder und ihre Familien.« Leider habe

man auch »Janua Mundi«, das kreativ gestaltete

Gemeindeblatt, einstellen müssen. Es ist latei-

nisch benannt nach der Porta del Popolo, die jahr-

tausendelang »Tür der Welt« war.

Eines der letzten Events vor Beginn des ersten

Lockdowns 2020 war im Februar der Zwei-Tage-

Besuch des polnischen Kardinals Stanislaw Dzi-

wisz, einst Privatsekretär von Papst Johannes

Paul II., der Santa Maria del Popolo als römische

Titelkirche erhalten hatte. Pater Ivan: »Ich habe

frühmorgens mit ihm die Eucharistie gefeiert.

Dann hat er sich brüderlich mit der Ordensge-

meinschaft beim Frühstück getroffen und uns ei-

nige Aspekte des Lebens und Wirkens des heili-

gen Johannes Paul II. erläutert.« Danach wurde es

still in Santa Maria del Popolo, wegen des ersten

Lockdowns. Distanz zu halten und Maske zu tra-

gen ist auch jetzt noch Pflicht für Gottesdienstbe-

sucher. Und Gruppenführungen in der Kirche

sind derzeit nicht erlaubt.

In normalen Zeiten ist Santa Maria del Popolo

eine der meistbesuchten Kirchen von Pilgern aus

aller Welt. Sie hat eine komplizierte Baugeschichte

und unglaublich reiche Kunstschätze wie

Gemälde, Skulpturen und kunsthistorisch inter-

essante Grabmonumente zu bieten. Architekten

und Bildhauer, darunter Bramante, Bregno und

Sansovino, große Künstler wie Raffael, Caravag-

gio, Bernini und Pinturicchio wirkten dort.

Aus der kleinen Marienkapelle vom Anfang

des zweiten Jahrtausends wurde schon bald eine

gotische Kirche. Papst Sixtus IV. della Rovere ließ

1472 den bestehenden Bau abtragen und eine

neue Kirche sowie das anschließende Kloster er-

richten. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurde

das Gotteshaus im Stil der Frührenaissance um-

gestaltet und erweitert. Heutzutage ist es eine

dreischiffige Gewölbekirche mit Querhaus und

Chor im lombardischen Stil der Renaissance.

Gianlorenzo Bernini baute zwischen 1655 und

1661 im Auftrag von Papst Alexander VII. (1655-

1667) die beiden Flügel des Querschiffes um.

Gleich vom Hauptportal aus fällt der Blick auf

die wunderschöne Ikone im bzyantinischen Stil

vorn über dem Hochaltar. Das aus der Kapelle

Sancta Sanctorum am Lateran stammende Gna-

denbild der »Madonna del Popolo mit dem seg-

nenden Christuskind« wird in Rom hoch verehrt,

ist aber auch weit über Italien hinaus bekannt.

Maria neigt den Kopf zum bekleideten Jesuskind

auf ihrem linken Arm. Dieses hält zum Zeichen

der Verbundenheit die linke Hand der Mutter

fest. Die rechte ist zum Segen erhoben. Im Volks-

glauben wurde das Gnadenbild dem Evangelis -

ten Lukas zugeschrieben. Doch erst bei einer Re-

staurierung des Madonnenbildes mit Kind in den

letzten Jahren hat man eine Künstlersignatur ent-

deckt, die die Ikone später als angenommen da-

tiert. Demnach war es der römische Maler Filippo

Rusuti, der das Bild um das Jahr 1297 schuf. »Die

Entdeckung ist bedeutend, aber wichtig ist, dass

unsere Gemeinde die Ikone erneut mit der übli-

chen Hingabe, in Zuversicht und Zuneigung be-

trachten kann, und jetzt auch mit etwas mehr

kultureller Neugierde«, kommentierte »Janua

mundi«, nachdem die Ikone restauriert an den

Hochaltar zurückgekehrt war.

Dieser, der in den ersten Jahren des 16. Jahr-

hunderts von Donato Bramante neu gestaltet

worden war, verstellt zum Teil den Blick auf

Chor und Apsis. Die Fresken im Chorgewölbe,

die Krönung der Jungfrau Maria auf blauem und

goldenem Hintergrund, sind ein Spätwerk des

Malers Pinturicchio aus den Jahren 1508 bis

1509. Die Glasfenster rechts und links gelten als

die schönsten in Rom. Sie wurden von den fran-

zösischen Meistern Claude und Guillaume Mar-

cillat (1470- 1529) geschaffen und zeigen Sze-

nen aus der Kindheit Jesu und aus dem

Marienleben.

Unter den Päpsten Sixtus IV. , Innozenz VIII.

und Alexander VI. wurde die Augustinerkirche

zunehmend bedeutend als Zentrum geistlicher

und weltlicher Repräsentation. Sie förderten das

Stiftungswesen, und das führte in Santa Maria

del Popolo unter anderem dazu, dass die jeweils

vier Seitenkapellen rechts und links des Lang-

hauses besonders reichhaltig mit Kunstwerken

namhafter Künstler ausgestattet wurden. Sie

dienten zugleich als Grabkapellen papstnaher Fa-

milien, von Kardinälen und sonstigen Persönlich-

keiten.

GefragteKünstler

Besonders hohes Besucherinteresse findet die

Kapelle Cerasi vorn im linken Flügel mit den bei-

den Caravaggio-Werken »Die Bekehrung des Sau-

lus« und »Die Kreuzigung des Petrus«. Das Altar-

bild mit der Himmelfahrt Mariens schuf Annibale

Carracci (1560-1609) aus Bologna. Beide Künstler

gehörten damals zu den gefragtesten ihrer Zeit.

Im rechten Seitenschiff, in der Kapelle der römi-

schen Adelsfamilie della Rovere, befindet sich

das Altarbild »Geburt Christi« von Pinturicchio,

außerdem Fresken aus dem Leben des heiligen

Hieronymus von diesem Maler und seinem Mit-

arbeiter Amico Aspertini. Der Wiener Künstler

Daniel Seiter (oder Seyter, 1647-1705) ist eben-

falls vertreten mit den Ölgemälden »Martyrium

der heiligen Katharina« und jenem des heiligen

Laurentius.

Kostbar ausgestattet ist ferner die Chigi-Ka-

pelle im linken Seitenschiff, die der Muttergottes

von Loreto geweiht ist. Auf Raffael geht der ar-

chitektonische Entwurf zurück, für den Braman-

tes Grundriss der neuen Peterskirche Pate stand:

Ein Zentralbau mit griechischem Kreuz, eine von

vier abgeschrägten Eckpfeilern gestützte Kuppel

und ein Tambour mit Fenstern. Die Kapelle gilt als

eines der architektonischen Hauptwerke von Raf-

fael und wurde um 1514 von seinem Schüler Lo-

renzetto begonnen. Im 17. Jahrhundert hat Ber-

nini sie mit Barockelementen umgestaltet, im

Auftrag von Fabio Chigi, der als Alexander VII.

zum Papst gewählt worden war. Die Ansamm-

lung wertvoller Kunstwerke geht selbst in den

Verbindungskorridoren zur Sakristei und in Ne-

benräumen der Kirche weiter. Um alles gründlich

zu besichtigen, wären folglich mehrere Tage not-

wendig.

Nach der Restaurie-

rung konnte die Ikone

aus dem Ende des

13. Jahrhunderts auf-

grund einer dabei ent-

deckten Signatur

Filippo Rusuti zu -

geschrieben werden.

Die Darstellung zeigt

die Muttergottes als

»Hodegetria«,

diejenige, die den Weg

zeigt. Der Name leitet

sich von einem Heilig-

tum in Konstantinopel

ab.

Die »Basilica minor« Santa Maria del Popolo

Lebendige Gemeinde inmitten wertvoller Kunstwerke

29. Januar 2021 / Nummer 4/5 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

6 Aus dem Vatikan

Da Papst Franziskus an der ökumenischenFeier in der Basilika Sankt Paul vor den Mau-ern aus gesundheitlichen Gründen nicht teil-nehmen konnte, wurde die Vesper am 25. Ja-nuar stellvertretend von Kardinal Kurt Koch,Präsident des Päpstlichen Rats zur Förderungder Einheit der Christen, geleitet. Er verlas denfolgenden Predigttext:

Ich freue mich, die Predigt vorzulesen, die der

Heilige Vater für uns vorbereitet hat. Im Gebet

bleiben wir mit dem Heiligen Vater verbunden.

»Bleibt in meiner Liebe« (Joh 15,9). Jesus ver-

bindet diese Aufforderung mit dem Bild des

Weinstocks und der Reben, dem letzten, das er

uns in den Evangelien vorstellt. Der Herr selbst ist

der Weinstock, der »wahre Weinstock« (V. 1), der

die Erwartungen nicht enttäuscht, sondern in der

Liebe treu bleibt und uns trotz unserer Sünden

und Spaltungen niemals fallen lässt. In diesen

Weinstock, der er ist, sind wir Getaufte alle als Re-

ben eingepfropft: Dies bedeutet, dass wir nur

wachsen und Frucht bringen können, wenn wir

mit Jesus vereint sind. Heute Abend schauen wir

auf diese unverzichtbare Einheit, die mehrere

Ebenen hat. Wenn wir an den Weinstock denken,

könnten wir uns vorstellen, wie sich die Einheit

aus drei konzentrischen Ringen wie bei einem

Baumstamm zusammensetzt.

Das Bleiben in Jesus

Der erste Kreis, der innerste, ist das Bleiben in

Jesus. Von hier beginnt der Weg eines jeden zur

Einheit hin. In der heutigen schnelllebigen und

vielschichtigen Realität ist es einfach, den Faden

zu verlieren, da man nach allen Seiten hin gezo-

gen wird. Viele fühlen sich innerlich zersplittert,

unfähig, einen festen Bezugspunkt zu finden,

sich in den veränderlichen Lebensumständen

mit Bestand aufzustellen. Jesus zeigt uns, dass

das Geheimnis der Beständigkeit darin liegt, in

ihm zu bleiben. In dem Text, den wir gehört ha-

ben, wiederholt er diese Vorstellung sogar sie-

benmal (vgl. V. 4-7.9-10). Denn er weiß, dass wir

»getrennt von ihm nichts vollbringen können«

(vgl. V. 5). Er hat uns auch gezeigt, wie wir dies

tun können, indem er uns das Beispiel gab: Jeden

Tag zog er sich in die Einöde zurück, um zu beten.

Wir brauchen das Gebet wie das Wasser zum Le-

ben. Das persönliche Gebet, das Verweilen bei Je-

sus, die Anbetung sind wesentlich, um in ihm zu

bleiben. Es ist der Weg, um in das Herz des Herrn

all das zu legen, was unser Herz erfüllt, Hoffnun-

gen und Ängste, Freuden und Leiden. Aber vor

allem erfahren wir, wenn wir im Gebet auf Jesus

als Mittelpunkt ausgerichtet sind, seine Liebe.

Und unsere Existenz zieht daraus Leben, so wie

die Rebe aus dem Stamm den Lebenssaft erhält.

Dies ist die erste Einheit, unsere persönliche In-

tegrität, ein Werk der Gnade, die wir empfangen,

wenn wir in Jesus bleiben.

Einheit mit den Christen

Der zweite Kreis ist der der Einheit mit den

Christen. Wir sind Reben desselben Weinstocks,

wir sind kommunizierende Röhren: das Gute

und das Böse, das jeder tut, wirkt sich auf die

anderen aus. Im geistlichen Leben herrscht so-

dann eine Art »Gesetz der Dynamik«: In dem

Maße, in dem wir in Gott bleiben, nähern wir

uns den anderen, und in dem Maße, in dem wir

uns den anderen nähern, bleiben wir in Gott.

Dies bedeutet, dass, wenn wir in Geist und

Wahrheit zu Gott beten, daraus die Anforderung

entspringt, die anderen zu lieben und anderer-

seits gilt: »Wenn wir einander lieben, bleibt Gott

in uns und seine Liebe ist in uns vollendet«

(1 Joh 4,12). Das Gebet kann nur zur Liebe

führen, ansonsten ist es ein oberflächliches Voll-

ziehen eines Rituals. Es ist nämlich unmöglich,

Jesus ohne seinen Leib zu begegnen, der aus

vielen Gliedern zusammengesetzt ist, die so

zahlreich sind, wie es Getaufte gibt. Wenn un-

sere Anbetung echt ist, werden wir in der Liebe

zu all denen wachsen, die Jesus nachfolgen, un-

abhängig von der christlichen Gemeinschaft, der

sie angehören, weil sie, auch wenn sie nicht zu

»den unsrigen« gehören, sein sind.

Wir stellen jedoch fest, dass die Geschwister

zu lieben nicht einfach ist, weil sofort ihre Fehler

und Mängel in Erscheinung treten und uns die

Wunden aus der Vergangen-

heit wieder in den Sinn kom-

men. Hier kommt uns die

Handlungsweise des Vaters

zu Hilfe, der als erfahrener

Winzer (vgl. Joh 15,1) genau

weiß, was zu tun ist: »Jede

Rebe an mir, die keine Frucht

bringt, schneidet er ab und

jede Rebe, die Frucht bringt,

reinigt er, damit sie mehr

Frucht bringt« (Joh 15,2). Der

Vater schneidet und stutzt zurecht. Warum? Um

zu lieben, müssen wir uns dessen entledigen,

was uns vom Weg abbringt, uns auf uns selbst fi-

xiert sein lässt und uns so hindert, Frucht zu brin-

gen. Bitten wir daher den Vater, die Vorurteile

über die anderen und die weltlichen Anhänglich-

keiten zurückzuschneiden, die die volle Einheit

mit all seinen Kindern verhindern. Wenn wir auf

diese Weise durch die Liebe gereinigt sind, wer-

den wir die irdischen Hindernisse und die einsti-

gen Blockaden zurücktreten lassen können, die

uns heute vom Evangelium ablenken.

Die gesamte Menschheit

Der dritte Kreis der Einheit, der weiteste, ist

die gesamte Menschheit. Wir können in diesem

Bereich über das Wirken des Heiligen Geistes

nachdenken. In Christus, dem Weinstock, ist er

der Lebenssaft, der alle Teile erreicht. Aber der

Geist weht, wo er will, und überall will er zur Ein-

heit zurückführen. Er führt uns dazu, nicht nur

die zu lieben, die uns mögen und so denken wie

wir, sondern alle, so wie Jesus es uns gelehrt hat.

Er macht uns fähig, den Feinden und das erlittene

Unrecht zu vergeben. Er treibt uns an, in der

Liebe aktiv und kreativ zu sein. Er erinnert uns,

dass der Nächste nicht nur derjenige ist, mit dem

wir unsere Werte und Vorstellungen teilen, son-

dern dass wir gerufen sind, zum Nächsten aller

zu werden, gute Samariter einer verwundbaren,

armen und leidenden Menschheit zu werden, ei-

ner heute besonders leidenden Menschheit, die

auf den Straßen der Welt darniederliegt und die

Gott voll Erbarmen wieder aufrichten will. Der

Heilige Geist, Urheber der Gnade, möge uns hel-

fen, in der Selbstlosigkeit zu leben, auch denjeni-

gen zu lieben, der es nicht erwidert, denn in der

reinen und uneigennützigen Liebe bringt das

Evangelium Frucht. An den Früchten erkennt

man den Baum: an der ohne Gegenleistung er-

brachten Liebe erkennt man, dass wir dem Wein-

stock Jesu angehören.

Der Heilige Geist lehrt uns so die Konkretheit

der Liebe zu allen Brüdern und Schwestern, mit

denen wir die gleiche Menschheit teilen, jene

Menschheit, die Christus auf unzertrennliche

Weise an sich gebunden hat, da er uns sagte, dass

wir ihn immer in den Ärmsten und Bedürftigen

finden werden (vgl. Mt 25,31-45). Wenn wir ih-

nen gemeinsam dienen, werden wir uns als Ge-

schwister wiederentdecken und in der Einheit

wachsen. Der Geist, der das Angesicht der Erde

erneuert, mahnt uns, uns auch um das gemein-

same Haus zu sorgen, mutige Entscheidungen

über die Art und Weise unseres Lebens und Kon-

sumverhaltens zu treffen, denn das Gegenteil

von Fruchtbringen ist die Ausbeutung. Es ist un-

würdig, die kostbaren Ressourcen zu verschwen-

den, derer viele beraubt sind.

Derselbe Geist, der den ökumenischen Weg

angestoßen hat, ist es, der uns heute Abend zum

Gebet zusammenführt. Und während wir die

Einheit erfahren, die aus der Hinwendung zu

Gott mit einer einzigen Stimme entsteht, möchte

ich all denen danken, die in dieser Woche für die

Einheit der Christen gebetet haben und darin

fortfahren. Ich richte meine brüderlichen Grüße

an die Vertreter der hier versammelten Kirchen

und kirchlichen Gemeinschaften: an die jungen

orthodoxen und orientalisch-orthodoxen Chris -

ten, die mit der Unterstützung des Rates zur För-

derung der Einheit der Christen in Rom studie-

ren; an die Professoren und Studenten des

»Ecumenical Institute at Bossey«, die wie in den

vergangenen Jahren hätten nach Rom kommen

sollen, aber leider aufgrund der Pandemie ver-

hindert waren und uns über die Medien folgen.

Liebe Brüder und Schwestern, bleiben wir ver-

eint in Christus: Der Heilige Geist, der in unsere

Herzen ausgegossen ist, möge uns wahrnehmen

lassen, dass wir Kinder des Vaters sind, Brüder

und Schwestern untereinander, Brüder und

Schwestern in der einzigen Menschheitsfamilie.

Die Allerheiligste Dreifaltigkeit, Gemeinschaft der

Liebe, möge uns in der Einheit wachsen lassen.

Zweite Vesper am Fest der Bekehrung des heiligen Paulus – Abschluss der Gebetswoche für die Einheit der Christen

Drei konzentrische Kreise der Einheit

Zu Beginn der Vesper begab sich Kardinal Koch gemeinsam mit dem Vertreter der Anglikanischen Ge-

meinschaft beim Heiligen Stuhl und Leiter des Anglikanischen Zentrums in Rom, Erzbischof Ian Er-

nest, und einem Vertreter der rumänisch-orthodoxen Kirche in Italien, Bischofsvikar Atanasie von Bog-

dania, zum Paulusgrab und verharrte dort einige Momente im Gebet.

Um zu lieben, müssen wir uns dessen entledigen,

was uns vom Weg abbringt,

uns auf uns selbst fixiert sein lässt

und uns so hindert, Frucht zu bringen.

Bitten wir daher den Vater,

die Vorurteile über die anderen und die

weltlichen Anhänglichkeiten zurückzuschneiden,

die die volle Einheit mit all seinen

Kindern verhindern.

Vatikanstadt. Beim jährlich stattfindenden

Treffen zwischen Mitarbeitern des Päpstlichen

Rates für den Interreligiösen Dialog und Vertre-

tern des Büros für Interreligiösen Dialog und Zu-

sammenarbeit des Ökumenischen Rates der Kir-

chen wurde über eine bessere Zusammenarbeit

zwischen den Religionen zugunsten der Bedürf-

tigen in der Coronakrise beraten. Das Treffen

fand am 19. und 20. Januar online statt, wie der

Rat für den Interreligiösen Dialog in einer Presse-

mitteilung am 25. Januar bekanntgab.

Neben einem gegenseitigen Update über die

jeweiligen Aktivitäten reflektierten beide Seiten

über effektive Wege zur Verbreitung des Doku-

ments Serving a Wounded World in Interreligious

Solidarity: A Christian Call to Reflection and Ac-

tion During COVID-19 and Beyond, das während

der herausfordernden Monate der Covid-19-Pan-

demie gemeinsam erstellt wurde. Das Treffen

fand in der Gebetswoche für die Einheit der

Christen statt. Beide Seiten verpflichteten sich

auch darauf, »in der ökumenischen Gemeinschaft

zu wachsen und die gemeinsamen Bemühungen

zur Förderung des interreligiösen Dialogs durch

eine breitere Rezeption und Umsetzung der Do-

kumente zu intensivieren«.

Das jüngste Dokument ist Teil einer Reihe ge-

meinsamer Publikationen und ist Ausdruck der

seit über 40 Jahren bestehenden Freundschaft

und Zusammenarbeit im ökumenischen Engage-

ment für den interreligiösen Dialog. Frühere ge-

meinsame Projekte behandelten die Themen

Interreligiöse Ehe (1994-1997), Interreligiöses Ge-

bet (1997-1998), Afrikanische Religiosität (2000-

2004), Christliches Zeugnis in einer multireligiö-

sen Welt (2006-2011) sowie Erziehung zum

Frieden (2019).

Interreligiöse Solidarität

in Coronakrise stärken

29. Januar 2021 / Nummer 4/5 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

7Aus dem Vatikan

»Komm und sieh« (Joh 1,46 )

Kommunizieren, indem man den

Menschen begegnet,

wo und wie sie sind

Liebe Brüder und Schwestern,

die Einladung, »zu kommen und zu sehen«,

von der die ersten stimulierenden Begegnungen

Jesu mit den Jüngern geprägt sind, ist auch die

Methode jeder echten menschlichen Kommuni-

kation. Um die Wahrheit des Lebens, das zur Ge-

schichte wird, erzählen zu können (vgl. Botschaft

zum 54. Welttag der sozialen Kommunikations-

mittel, 24. Januar 2020), ist es notwendig, die be-

queme Überheblichkeit des »Weiß ich schon!« ab-

zulegen und sich in Bewegung zu setzen; zu

gehen, um zu sehen, bei den Menschen zu sein,

ihnen zuzuhören und die Anregungen der Wirk-

lichkeit zu sammeln, die uns unter vielerlei Ge-

sichtspunkten immer wieder überraschen wird.

»Halte staunend die Augen offen für das, was du

siehst, und lass deine Hände von frischer Le-

benskraft erfüllt sein, damit die anderen, wenn

sie dich lesen, mit eigenen Händen das pulsie-

rende Wunder des Lebens berühren«, riet der se-

lige Manuel Lozano Garrido1 seinen Journalisten-

kollegen. Ich möchte daher die diesjährige

Botschaft dem Aufruf »Komm und sieh« widmen,

als Anregung für jede kommunikative Aus-

drucksform, die klar und ehrlich sein will: in der

Redaktion einer Zeitung ebenso wie in der Welt

des Internets, in der alltäglichen Verkündigung

der Kirche wie in der politischen oder gesell-

schaftlichen Kommunikation. »Komm und sieh«

ist die Art und Weise, auf die der christliche

Glaube mitgeteilt wird, beginnend bei jenen ers -

ten Begegnungen an den Ufern des Jordan und

des Sees Gennesaret.

Sich die Schuhsohlen ablaufen

Wenden wir uns dem weiten Themenbereich

der Information zu. Aufmerksame Stimmen be-

klagen seit langem die Gefahr einer Verflachung in

»voneinander abkopierten Zeitungen« oder in ein-

ander stark ähnelnden Nachrichtensendungen in

Radio und Fernsehen sowie auf Internetseiten, in

denen das Genre der Recherche und Reportage an

Raum und Qualität verliert und durch eine vorge-

fertigte, autoreferentielle Information in Form ei-

ner »Hofberichterstattung« ersetzt wird, der es im-

mer weniger gelingt, die Wahrheit der Dinge und

das konkrete Leben der Menschen einzufangen,

und die weder die schwerwiegendsten gesell-

schaftlichen Phänomene, noch die positiven

Kräfte, die von der Basis der Gesellschaft freige-

setzt werden, zu erfassen vermag. Die Krise in der

Verlagsbranche droht dazu zu führen, dass Infor-

mationen in Redaktionen, vor dem Computer, in

den Presseagenturen und in sozialen Netzwerken

hergestellt werden, ohne jemals auf die Straße zu

gehen, ohne »sich die Schuhsohlen abzulaufen«,

ohne Menschen zu begegnen, um nach Ge-

schichten zu suchen oder bestimmte Situationen

de visu zu verifizieren. Wenn wir nicht für Begeg-

nungen offen sind, bleiben wir außenstehende

Zuschauer, trotz der technologischen Innovatio-

nen, die uns eine immer umfassendere Wirklich-

keit vor Augen führen können, in der wir schein-

bar versunken sind. Jedes Hilfsmittel ist nur dann

nützlich und wertvoll, wenn es uns dazu führt,

hinauszugehen und Dinge zu sehen, von denen

wir sonst nichts wüssten, wenn es Erkenntnisse

ins Netz stellt, die sonst nicht verbreitet würden,

und wenn es Begegnungen ermöglicht, die sonst

nicht stattfinden würden.

Jener detaillierte Berichtim Evangelium

Nach seiner Taufe im Jordan gibt Jesus den

ersten Jüngern, die ihn kennenlernen wollen, zur

Antwort: »Kommt und seht« (Joh 1,39), und er

lädt sie ein, in der Beziehung zu ihm zu verwei-

len. Mehr als ein halbes Jahrhundert später, als

Johannes in hohem Alter sein Evangelium

schreibt, erinnert er an einige Details jenes »Be-

richts«, die seine Anwesenheit vor Ort und die

Auswirkungen, die jene Erfahrung auf sein Le-

ben hatte, offenbaren: »Es war um die zehnte

Stunde«, schreibt er nieder, also um vier Uhr

nachmittags (vgl. V. 39). Tags darauf – so Johan-

nes weiter in seinem Bericht – erzählt Philippus

dem Natanaël von der Begegnung mit dem Mes-

sias. Sein Freund ist skeptisch: »Kann aus Naza-

ret etwas Gutes kommen?« Philippus versucht

nicht, ihn mit Argumenten zu überzeugen:

»Komm und sieh«, sagt er ihm (vgl. V. 45-46). Na-

tanaël geht hin und sieht, und von jenem Mo-

ment an ändert sich sein Leben. Der christliche

Glaube beginnt auf diese Weise. Und er wird so

weitergegeben: als direkte Erkenntnis, hervorge-

gangen aus Erfahrung, nicht nur vom Hörensa-

gen. »Nicht mehr aufgrund deiner Rede glauben

wir, denn wir haben selbst gehört«, sagen die

Leute zu der Frau aus Samarien, nachdem sich Je-

sus in ihrem Dorf aufgehalten hatte (vgl. Joh 4,39-

42). Das »Komm und sieh« ist die einfachste Me-

thode, eine Wirklichkeit zu erkennen. Es ist die

ehrlichste Überprüfung jeder Verkündigung,

denn um zu erkennen, muss man sich begegnen.

Ich muss dem Menschen, den ich vor mir habe,

ermöglichen, zu mir zu sprechen, und zulassen,

dass sein Zeugnis mich erreicht.

Dank des Mutes vieler Journalisten

Auch der Journalismus als Erzählung der

Wirklichkeit erfordert die Fähigkeit, dorthin zu

gehen, wo sonst niemand hingeht, also einen

Aufbruch und den Wunsch, zu sehen. Neugierde,

Offenheit und Leidenschaft. Wir müssen danken

für den Mut und den Einsatz so vieler Medien-

schaffender – Journalisten, Kameraleute, Filmedi-

toren und Regisseure, die oft unter großen Ge-

fahren arbeiten –, wenn wir heute zum Beispiel

etwas über die schwierige Lage verfolgter Min-

derheiten in verschiedenen Teilen der Welt er-

fahren; wenn die vielfältige Gewalt und Unge-

rechtigkeit gegen die Armen und gegen die

Schöpfung angeprangert werden; wenn über so

viele vergessene Kriege berichtet wird. Es wäre

ein Verlust nicht nur für die Information, sondern

für die gesamte Gesellschaft und für die Demo-

kratie, wenn diese Stimmen verschwinden wür-

den: unsere Menschheit würde ärmer werden.

Zahlreiche Begebenheiten auf unserem Plane-

ten, erst recht in dieser Zeit der Pandemie, richten

an die Welt der Kommunikation die Einladung,

»zu kommen und zu sehen«. Es besteht die Ge-

fahr, die Pandemie und somit jede Krise nur un-

ter dem Blickwinkel der reicheren Welt zu er-

zählen, eine »doppelte Buchführung« zu

betreiben. Denken wir nur an die Frage der Impf-

stoffe wie auch an die medizinische Versorgung

im Allgemeinen, an die Gefahr der Ausgrenzung

der ärmsten Bevölkerungsteile. Wer wird uns

über die Menschen berichten, die in den ärmsten

Dörfern Asiens, Lateinamerikas und Afrikas auf

Heilung warten? Es besteht also die Gefahr, dass

die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten

auf weltweiter Ebene über die Reihenfolge bei

der Verteilung von Anti-Covid-Impfstoffen ent-

scheiden. Mit den Armen immer an letzter Stelle

und dem Recht auf Gesundheit für alle, das zwar

prinzipiell verkündet, aber seines realen Wertes

beraubt wird. Doch selbst in der Welt der besser

Gestellten bleibt das soziale Drama von Familien,

die plötzlich in die Armut abrutschen, weitge-

hend verborgen: Menschen, die, nachdem sie

ihre Scham überwunden haben, vor Caritas-Zen-

tren Schlange stehen, um ein Paket mit Lebens-

mitteln zu erhalten, tun weh und machen nicht

allzu viel von sich reden.

Chancen und Fallstricke im Internet

Das Internet mit seinen zahllosen Ausdrucks-

formen sozialer Netzwerke kann die Fähigkeit

zum Erzählen und Teilen vervielfachen: viel

mehr auf die Welt gerichtete Blicke, ein ständiger

Fluss von Bildern und Zeugnissen. Die digitale

Technologie gibt uns die Möglichkeit, Informatio-

nen aus erster Hand und zeitnah zu bekommen,

was mitunter sehr nützlich ist: Denken wir nur

an bestimmte Notsituationen, bei denen die ers -

ten Nachrichten und auch die ersten amtlichen

Durchsagen an die Bevölkerung über das Internet

verbreitet werden. Es ist ein hervorragendes In-

strument, das uns alle als Nutzer und als Anwen-

der in die Verantwortung nimmt. Potenziell kön-

nen wir alle zu Zeugen von Ereignissen werden,

die sonst von den traditionellen Medien vernach-

lässigt worden wären, wir können unseren Bei-

trag als Bürger dazu leisten, mehr Geschichten,

auch positive, bekannt zu machen. Dank des In-

ternets haben wir die Möglichkeit, das, was wir

sehen und was vor unseren Augen geschieht, zu

erzählen und Zeugnisse miteinander zu teilen.

Aber auch die Risiken einer Kommunikation in

den sozialen Netzwerken, die nicht nachgeprüft

wurde, sind mittlerweile für jeden offenkundig ge-

worden. Wir wissen seit geraumer Zeit, wie leicht

Nachrichten und sogar Bilder manipuliert werden

können, aus tausenderlei Gründen, manchmal

auch nur aus banalem Narzissmus. Dieses kriti-

sche Bewusstsein führt nicht dazu, dieses Instru-

ment an sich zu verteufeln, sondern es verhilft zu

einem besseren Unterscheidungsvermögen und

einem reiferen Verantwortungsbewusstsein so-

wohl bei der Verbreitung als auch beim Empfang

von Inhalten. Wir alle sind verantwortlich für die

Kommunikation, die wir betreiben, für die Infor-

mationen, die wir verbreiten, für die Kontrolle, die

wir gemeinsam über falsche Nachrichten aus -

üben können, indem wir sie entlarven. Wir alle

sind aufgerufen, Zeugen der Wahrheit zu sein: zu

gehen, zu sehen und zu teilen.

Botschaft von Papst Franziskus zum 55. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel

Die Notwendigkeit der persönlichen Begegnung

Fortsetzung auf Seite 8

Neugier, Offenheit und Leidenschaft: Zu einem Journalismus, der »sich die Schuhsohlen abläuft« und

vor Ort ist, fordert der Papst die Medienschaffenden auf und bedankt sich auch für Mut und Einsatz

von Journalisten, Kameraleuten, Filmeditoren und Regisseuren.

Ich möchte die diesjährige Botschaft

zum Welttag der sozialen Kommunikationsmittel

der Einladung »Komm und sieh« (Joh 1,46) widmen.

Um die Wahrheit erzählen zu können, muss man gehen,

um zu sehen, den Menschen zuzuhören

und die Wirklichkeit zu erfassen.

Tweet von Papst Franziskus

29. Januar 2021 / Nummer 4/5 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

8 Aus dem Vatikan

Von Andrea Monda

»Ich möchte daher die diesjährige Bot-

schaft dem Aufruf ›Komm und sieh‹widmen, als Anregung für jede kom-

munikative Ausdrucksform, die klar und ehrlich

sein will.« Den Ausgangspunkt für die Botschaft

zum Welttag der sozialen Kommunikationsmittel

2021 entnimmt der Papst dem ersten Kapitel des

Johannesevangeliums, das von den »ersten sti-

mulierenden Begegnungen Jesu mit den Jüngern«

erzählt. Mehrmals hat Franziskus darauf hinge-

wiesen, dass es vor allem in Krisenzeiten wert-

voll ist, im Geist und mit dem Herzen zur »ersten

Liebe« zurückzukehren. Und das tut Johannes.

Der Papst schreibt: »Mehr als ein halbes Jahr-

hundert später, als Johannes in hohem Alter sein

Evangelium schreibt, erinnert er an einige Details

jenes ›Berichts‹, die seine Anwesenheit vor Ort

und die Auswirkungen, die jene Erfahrung auf

sein Leben hatte, offenbaren: ›Es war um die

zehnte Stunde‹ schreibt er nieder, also um vier

Uhr nachmittags.«

An Johannes und Andreas hat der Herr die

Einladung gerichtet: »Kommt und seht!« Dieser

ging eine Frage voraus: »Was sucht ihr?« Sie wer-

den sich für alle Zeiten an jedes Detail dieses Dia-

logs erinnern, auch an die Uhrzeit. Ausgezeich-

nete »Journalisten«! Was war geschehen?

Sicherlich das, was im Titel der Botschaft zu lesen

ist: »Kommunizieren, indem man den Menschen

begegnet, wo und wie sie sind«. Jesus hat mit den

beiden Jüngern kommuniziert, indem er in einer

Begegnung auf sie zuging, indem er mit ihrem

konkreten Leben in Kontakt trat, sich für ihre Si-

tuation als »Suchende« interessierte. Er gab sich

nicht mit einem vorgefassten Urteil, einer seiner

»Ideen« zufrieden, sondern er schuf die Bedin-

gungen für eine reale Begegnung, indem er hin-

ging, um persönlich und tiefer »zu sehen«, und in-

dem er sie bat, dasselbe zu tun. Dieser Stil Jesu

verweist auf eine »Methode«, sagt der Papst, die

sich für alle in der Kommunikation Tätigen als

wertvoll erweist. Denn sie werden heute auch

von den Möglichkeiten der zur Verfügung ste-

henden Technik dazu verleitet, zu arbeiten,

»ohne jemals auf die Straße zu gehen, ohne ›sich

die Schuhsohlen abzulaufen‹, ohne Menschen zu

begegnen, um nach Geschichten zu suchen oder

bestimmte Situationen de visu zu verifizieren«.

Aber diese Art der Kommunikation steht in of-

fensichtlichem Widerspruch zu ihrer Mission,

denn: »Wenn wir nicht für Begegnungen offen

sind, bleiben wir außenstehende Zuschauer,

trotz der technologischen Innovationen, die uns

eine immer umfassendere Wirklichkeit vor Au-

gen führen können, in der wir scheinbar versun-

ken sind. Jedes Hilfsmittel ist nur dann nützlich

und wertvoll, wenn es uns dazu führt, hinauszu-

gehen und Dinge zu sehen, von denen wir sonst

nichts wüssten, wenn es Erkenntnisse ins Netz

stellt, die sonst nicht verbreitet würden, und

wenn es Begegnungen ermöglicht, die sonst

nicht stattfinden würden.« Drei Begriffe sind es

also, die bei einer ersten Lektüre dieser Botschaft

(weitere werden folgen, denn es handelt sich um

einen reichhaltigen Text, der eine weitere Vertie-

fung verdient) deutlich hervortreten: Begegnung,

Erfahrung und Verantwortung.

Begegnung heißt Nähe, Anwesenheit, An-

nahme. Vor allem Annahme der Wirklichkeit des

anderen. Das ist auch die Bedeutung des zweiten

Wortes: »Erfahrung«, was besagt, dass die Wirk-

lichkeit jede Vorstellung übersteigt. Man sagt:

»eine Erfahrung machen«, aber wahr ist auch das

Gegenteil, es ist die Erfahrung, die den Menschen

»macht«, ihn gestaltet. Ein Mensch mit Erfahrung

ist ein Mensch, der hingeht und sieht und daher

berichten kann. Hingehen und nachsehen be-

deutet auch, sich selbst ansehen zu lassen, zu ak-

zeptieren, »gesehen zu werden«. (Das erlebt Na -

thanaël, der schon vor seiner Begegnung mit

Jesus von ihm gesehen wird.) Kommunikator zu

sein in diesem auf direkte Erfahrung gegründeten

Stil ist eine riskante Arbeit. Man muss bereit sein,

sich selbst einzubringen und sich preiszugeben.

Wenn man den anderen begegnen will, »wo und

wie sie sind«, dann gilt das auch für einen selbst:

so wie wir sind, mit all unseren Licht- und Schat-

tenseiten, mit unseren Talenten und Schwächen.

Den Menschen begegnen und eine Erfahrung zu

machen, das bedeutet, Verantwortung zu über-

nehmen. Die Konfrontation mit der Wirklichkeit

verändert uns, und unweigerlich entsteht der

Wunsch, Zeugnis zu geben, von dem, was wir ge-

sehen haben und was uns »berührt« hat. Wenn

ich den Blick eines anderen Menschen kreuze,

dann werde ich, ob ich es will oder nicht, für ihn

verantwortlich, übernehme seine »Last«. Der

Papst sagt dies ganz klar: »Wir alle sind verant-

wortlich für die Kommunikation, die wir betrei-

ben, für die Informationen, die wir verbreiten, für

die Kontrolle, die wir gemeinsam über falsche

Nachrichten ausüben können, indem wir sie ent-

larven. Wir alle sind aufgerufen, Zeugen der

Wahrheit zu sein: zu gehen, zu sehen und zu tei-

len.«

Das Thema der Verantwortung für die Kom-

munikation und bei der Kommunikation liegt die-

ser Zeitung sehr am Herzen. (Wir haben am 30.

November 2019 einen Runden Tisch über dieses

Thema veranstaltet.) Es ist ein umfangreiches,

komplexes Thema, und um es besser zu erken-

nen, ist es notwendig, im Licht der Botschaft des

Papstes auf den ersten Punkt zurückzukommen,

die Begegnung, im Wissen, dass eine wahre Be-

gegnung mehr ist als eine bloße Annäherung

zwischen Menschen. Wenn zwei Menschen sich

»wirklich« begegnen, dann sind es nicht nur sie

beide, sondern es gibt eine Offenheit für etwas

anderes, für jemand anderen. In der Begegnung

wird eine Erfahrung ins Leben gerufen, die,

wenn es eine wirkliche Begegnung ist, die Prota-

gonisten dieses Augenblicks verändert und sie zu

ähnlichen Erfahrungen drängt. Begegnung ist an-

steckend, sie bringt Zeugen, Kommunikatoren

hervor und verleiht der unermüdlichen Suche

des Menschen und nach dem Menschen neue

Impulse.

Am Anfang des Johannesevangeliums steht

die Frage Jesu an die beiden Jünger: »Was sucht

ihr?« Und das Evangelium schließt mit einer an-

deren, ähnlichen Frage, die Jesus an Maria Mag-

dalena richtet: »Wen suchst du?« (Joh 20,15). In

dieser fast nicht wahrnehmbaren Verschiebung

vom Was zum Wen ist für einen Christen – sowie

für alle ehrlich nach Wahrheit Suchenden und

alle aufrichtigen Kommunikatoren der Wahrheit

– der ganze Sinn des Lebens enthalten.

(Orig. ital. in O.R. 23.1.2021)

Nichts kann das persönliche Sehen ersetzen

In der Kommunikation kann nichts jemals

das persönliche Sehen komplett ersetzen. Einige

Dinge kann man nur durch Erfahrung lernen.

Denn man kommuniziert nicht nur mit Worten,

sondern mit den Augen, mit dem Tonfall der

Stimme, mit Gesten. Die starke Anziehungs-

kraft, die Jesus auf all jene ausübte, die ihm be-

gegneten, hing vom Wahrheitsgehalt seiner Ver-

kündigung ab, aber die Wirksamkeit dessen,

was er sagte, war untrennbar mit seinem Blick,

seiner Haltung und selbst mit seinem Schwei-

gen verbunden. Die Jünger hörten nicht nur

seine Worte, sie sahen ihn sprechen. Denn in

ihm - dem fleischgewordenen Logos – wurde

das Wort zum Antlitz, der unsichtbare Gott ließ

sich sehen, hören und berühren, wie Johannes

schreibt (vgl. 1 Joh 1,1-3). Das Wort ist nur dann

wirksam, wenn man es »sieht«, nur dann, wenn

es dich in eine Erfahrung einbezieht, in einen

Dialog verwickelt. Aus diesem Grund war und

ist das »Komm und sieh« von grundlegender Be-

deutung.

Denken wir daran, wie viel leere Beredsam-

keit es auch in unserer Zeit im Übermaß gibt, in

jedem Bereich des öffentlichen Lebens, im Han-

del wie auch in der Politik. »Er spricht unendlich

viel nichts… Seine Gedanken sind wie zwei Wei-

zenkörner in zwei Scheffel Spreu versteckt; Ihr

sucht den ganzen Tag, bis Ihr sie findet, und

wenn Ihr sie habt, so verlohnen sie das Suchen

nicht.«2 Diese beißenden Worte des englischen

Dramatikers treffen auch auf uns christliche Kom-

munikatoren zu.

Die frohe Botschaft des Evangeliums hat sich

dank der Begegnungen von Mensch zu Mensch,

von Herz zu Herz in der ganzen Welt ausge-

breitet. Männer und Frauen, die der selben Ein-

ladung folgten: »Komm und sieh«, und die be-

eindruckt waren von einem »Mehr« an

Menschlichkeit, das in den Blicken, den Worten

und den Gesten von Menschen durchschien,

die Zeugnis von Jesus Christus gaben. Alle Hilfs-

mittel sind wichtig, und jener große Kommuni-

kator namens Paulus von Tarsus hätte sicher

von E-Mail und Mitteilungen in den sozialen

Netzwerken Gebrauch gemacht.

Aber es waren sein Glaube, seine Hoffnung

und seine Liebe, die seine Zeitgenossen beein-

druckten, die ihn predigen hörten und das Glück

hatten, Zeit mit ihm zu verbringen, ihn bei einer

Versammlung oder in einem persönlichen Ge-

spräch zu sehen. An den Orten, an denen er sich

befand, sahen sie ihn wirken und dachten darü-

ber nach, wie wahr und fruchtbar für ihr Leben

die Verkündigung des Heils war, die er durch

Gottes Gnade brachte. Und selbst da, wo man

diesem Mitarbeiter Gottes nicht persönlich be-

gegnen konnte, wurde seine Art, in Christus zu

leben, von den Jüngern bezeugt, die er aussandte

(vgl. 1 Kor 4,17).

»In unseren Händen sind Bücher, in unseren

Augen Tatsachen«, bekräftigte der heilige Augus -

tinus3, und er mahnte uns, die Erfüllung der Pro-

phezeiungen, von denen wir in der Heiligen

Schrift lesen, in der Wirklichkeit zu finden. So er-

eignet sich das Evangelium auch heute jedes Mal

von Neuem, wenn wir das klare Zeugnis von

Menschen empfangen, deren Leben durch die

Begegnung mit Jesus verändert wurde. Seit über

zweitausend Jahren ist es eine Kette von Begeg-

nungen, die die Faszination des christlichen

Abenteuers vermittelt. Die Herausforderung, die

uns erwartet, besteht also darin, zu kommunizie-

ren, indem wir den Menschen dort begegnen,

wo und wie sie sind.

Herr, lehre uns, aus uns selbst herauszugehen,

und uns auf den Weg der Suche nach Wahr-

heit zu machen.

Lehre uns, zu gehen und zu sehen,

lehre uns zuzuhören,

nicht vorschnell zu urteilen,

keine voreiligen Schlüsse zu ziehen.

Lehre uns, dorthin zu gehen,

wohin sonst niemand gehen will,

uns die Zeit zu nehmen, zu verstehen,

auf das Wesentliche zu achten,

uns nicht von Überflüssigem

ablenken zu lassen,

den trügerischen Schein von der Wahrheit

zu unterscheiden.

Schenke uns die Gnade,

deine Wohnstätten in der Welt zu erkennen,

und die Ehrlichkeit, zu erzählen,

was wir gesehen haben.

Rom, Sankt Johannes im Lateran,

am 23. Januar 2021, Vigil des Gedenktags

des heiligen Franz von Sales

Fußnoten1 Spanischer Journalist, geboren 1920 und ge-

storben 1971, seliggesprochen im Jahr 2010.2 W. Shakespeare, Der Kaufmann von Vene-

dig, Erster Aufzug, Erste Szene.3 Sermo 360/B, 20.

Botschaft des Papstes zum 55. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel

Fortsetzung von Seite 7

Leitartikel unseres Direktors

Herausforderungen der Kommunikation

Caravaggio, Berufung der Apostel Petrus und Andreas (ca. 1603-1606).

Vatikanstadt. Der Welttag der sozia-

len Kommunikationsmittel, auch Medien-

sonntag genannt, wurde nach dem Zwei-

ten Vatikanischen Konzil eingeführt. In

Deutschland wurde der Tag erstmals am

7. Mai 1967 begangen. Er hat jedes Jahr ein

spezielles Thema, zu dem der Papst eine

Botschaft veröffentlicht. In den meisten

Ländern wird er an Christi Himmelfahrt

begangen (16. Mai 2021). In Deutschland

ist es der zweite Sonntag im September

(12. September 2021).

Kurz notiert

29. Januar 2021 / Nummer 4/5 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

9Aus dem Vatikan

Ansprache von Papst Franziskus beim Angelusgebet am Sonntag, 24. Januar

Zeit und UmkehrVatikanstadt. Papst Franziskus hat die

Gläubigen an die Notwendigkeit der Umkehrerinnert. Das Heil komme nicht automatisch,sondern verlange als freies Geschenk Gotteseine freie Antwort des Menschen. Dies erfor-dere eine Änderung von Denken und Leben,betonte er. Franziskus hielt das Gebet und dievorausgehende kurze Ansprache in der Privat-bibliothek des Apostolischen Palastes. Meh-rere andere öffentliche Termine am Sonntagund Montag hatte er wegen seines Ischiaslei-dens absagen müssen. Er sagte:

Liebe Brüder und Schwestern,

guten Tag!

Der Abschnitt aus dem Evangelium des heuti-

gen Sonntags (vgl. Mk 1,14-20) zeigt uns gewis-

sermaßen den »Stabwechsel« von Johannes dem

Täufer zu Jesus. Johannes war sein Wegbereiter,

er hat ihm den Boden bereitet und den Weg

geebnet: Nun kann Jesus seine Sendung aufneh-

men und das Heil verkünden, das jetzt gegen-

wärtig ist, denn Er war das Heil. Seine Verkün -

digung lässt sich in folgenden Worten zusam-

menfassen: »Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes

ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evange-

lium!« (V. 15). Ganz einfach. Jesus hat ohne Um-

schweife geredet. Es ist eine Botschaft, die uns

einlädt, über zwei grundlegende Themen nach-

zudenken: die Zeit und die Umkehr.

In diesem Text des Evangelisten Markus ist

die Zeit als die Dauer der von Gott gewirkten

Heilsgeschichte zu verstehen. Die »erfüllte« Zeit

ist also jene, in der dieses Heilswirken seinen

Höhepunkt, seine volle Verwirklichung erreicht:

Es ist der historische Moment, in dem Gott sei-

nen Sohn in die Welt gesandt hat und sein Reich

mehr denn je »nahegekommen« ist. Die Zeit des

Heils ist erfüllt, weil Jesus gekommen ist. Das Heil

ereignet sich jedoch nicht automatisch; das Heil

ist ein Geschenk der Liebe und wird der mensch-

lichen Freiheit als solches angeboten. Immer

wenn wir von Liebe sprechen, sprechen wir von

Freiheit: eine Liebe ohne Freiheit ist keine Liebe;

sie kann Interesse sein, sie kann Angst sein und

vieles mehr, aber Liebe ist immer frei, und da sie

frei ist, verlangt sie eine freie Antwort: sie erfor-

dert unsere Umkehr. Es geht also darum, unsere

Mentalität zu ändern – darin besteht Umkehr,

unsere Mentalität zu ändern – und unser Leben

zu ändern: nicht mehr den Vorbildern der Welt zu

folgen, sondern dem Vorbild Gottes, das Jesus ist;

Jesus zu folgen, wie Jesus es getan und wie Jesus

uns gelehrt hat. Es ist eine entscheidende Ände-

rung der Perspektive und Haltung. Tatsächlich ist

die Sünde, besonders die Sünde der Weltlichkeit

wie Luft, sie durchdringt alles, und sie hat eine

Mentalität hervorgebracht, die dazu neigt, sich

selbst gegen andere und auch gegen Gott zu be-

haupten. Das ist merkwürdig… Was ist deine

Identität? Und oft hören wir, dass man die eigene

Identität in Begriffen des »Gegensatzes« zum

Ausdruck bringt. Es ist schwierig, die eigene Iden-

tität im Geist der Welt in positiven Begriffen, in

Begriffen des Heils auszudrücken: Sie richtet sich

gegen sich selbst, gegen die anderen und gegen

Gott. Und zu diesem Zweck schreckt sie nicht da-

vor zurück – die Mentalität der Sünde, die Men-

talität der Welt –, sich der Täuschung und der

Gewalt zu bedienen. Täuschung und Gewalt.

Schauen wir, was mit Täuschung und Gewalt ge-

schieht: Gier, Machtstreben und keine Bereit-

schaft zu dienen, Kriege, Ausbeutung von Men-

schen… Das ist die Mentalität der Täuschung, die

ihren Ursprung sicherlich im Vater der Täu-

schung, dem großen Lügner, dem Teufel, hat. Er

ist der Vater der Lüge, so definiert ihn Jesus.

All dem steht die Botschaft Jesu entgegen, der

uns einlädt, uns in unserer Bedürftigkeit nach

Gott und seiner Gnade zu erkennen; eine ausge-

wogene Haltung gegen -

über den irdischen Gü-

tern einzunehmen; allen

gegenüber einladend und

demütig zu sein; uns

selbst in der Begegnung

und im Dienst am ande-

ren zu erkennen und zu

verwirklichen. Die Zeit, in

der wir das Heil empfan-

gen können, ist für einen

jeden von uns kurz: Sie

entspricht der Dauer un-

seres Lebens in dieser

Welt. Sie ist kurz. Viel-

leicht scheint es lang…

Ich erinnere mich, dass

ich zu einem sehr guten,

sehr betagten Mann ging,

um ihm die Sakramente

zu spenden, die Kranken-

salbung, und in diesem

Moment, bevor er die

Eucharistie und die Kran-

kensalbung empfing, sag-

te er diesen Satz zu mir: »Mein Leben ist wie im

Flug vergangen«, als wollte er sagen: Ich glaubte,

es würde ewig dauern, aber… »Mein Leben ist

wie im Flug vergangen.« So haben wir, die Älte-

ren, das Gefühl, dass das Leben wie im Flug ver-

gangen ist. Es fliegt dahin. Und das Leben ist ein

Geschenk der unendlichen Liebe Gottes, aber es

ist auch eine Zeit der Überprüfung unserer Liebe

zu ihm. Deshalb ist jeder Moment, jeder Augen-

blick unserer Existenz eine kostbare Zeit, um

Gott zu lieben und unseren Nächsten zu lieben

und so ins ewige Leben einzugehen.

Die Geschichte unseres Lebens folgt zweierlei

Rhythmen: der eine, messbare, besteht aus Stun-

den, Tagen, Jahren; der andere besteht aus den

Jahreszeiten unserer Entwicklung: Geburt, Kind-

heit, Jugend, Reife, Alter, Tod. Jede Zeit, jede

Phase hat ihren eigenen Wert und kann ein be-

vorzugter Augenblick der Begegnung mit dem

Herrn sein. Der Glaube hilft uns, die geistliche

Bedeutung dieser Zeiten zu entdecken: Jede von

ihnen enthält einen besonderen Ruf des Herrn,

auf den wir eine positive oder eine negative Ant-

wort geben können. Im Evangelium sehen wir,

wie Simon, Andreas, Jakobus und Johannes rea-

gierten: Sie waren reife Männer, sie hatten ihre

Arbeit als Fischer, sie hatten ein Familienleben…

Doch als Jesus vorbeikam und sie rief, »ließen sie

sofort ihre Netze liegen und folgten ihm nach«

(Mk 1,18).

Liebe Brüder und Schwestern, lasst uns auf-

merksam sein und Jesus nicht vorbeigehen las-

sen, ohne ihn zu empfangen. Der heilige Augus -

tinus sagte: »Ich habe Angst vor Gott, wenn er

vorbeigeht.« Angst wovor? Ihn nicht zu erken-

nen, ihn nicht zu sehen, ihn nicht willkommen

zu heißen.

Die Jungfrau Maria helfe uns, jeden Tag, jeden

Augenblick als eine Zeit des Heils zu leben, in der

der Herr kommt und uns aufruft, ihm zu folgen,

jeden seinem eigenen Leben entsprechend. Und

sie helfe uns, von der Mentalität der Welt, die aus

den Phantasien der Welt besteht, die nur Feuer-

werk sind, zur Haltung der Liebe und des Die-

nens umzukehren.

Nach dem Angelus unterstrich der Papst er-neut die Bedeutung des Wortes Gottes für dasLeben der Kirche und jedes Christen. Er sagte:

Liebe Brüder und Schwestern,

der heutige Sonntag ist dem Wort Gottes ge-

widmet. Eines der großen Geschenke unserer

Zeit ist die Wiederentdeckung der Heiligen

Schrift im Leben der Kirche auf allen Ebenen.

Noch nie war die Bibel für alle so zugänglich wie

heute: in allen Sprachen und jetzt auch in audio-

visuellen und digitalen Formaten. Der heilige

Hieronymus, dessen 1600. Todestag ich kürzlich

gedachte, sagt, dass wer die Schrift nicht kennt,

Christus nicht kennt (vgl. In Isaiam Prol.). Und

umgekehrt ist es Jesus Christus, das fleischge-

wordene Wort, das gestorben und auferstanden

ist, der unseren Geist für das Verständnis der

Schrift öffnet (vgl. Lk 24,45). Das erfolgt vor allem

in der Liturgie, aber auch, wenn wir allein oder in

Gruppen beten, vor allem mit den Worten des

Evangeliums und der Psalmen. Mein Dank und

meine Ermutigung gelten den Pfarreien für ihre

unablässigen Bemühungen, die Menschen im

Hören auf Gottes Wort zu unterweisen. Möge es

uns nie an der Freude fehlen, das Evangelium zu

verbreiten! Und ich möchte noch einmal sagen:

Wir sollten es uns zur Gewohnheit machen, bitte

macht es euch zur Gewohnheit, immer ein klei-

nes Evangelium in der Jackentasche, in der Ta-

sche zu tragen, damit wir es während des Tages

lesen können, wenigstens drei, vier Verse. Das

Evangelium immer bei uns tragen.

Morgen Nachmittag werden wir in der Basi-

lika St. Paul vor den Mauern zum Abschluss der

Gebetswoche für die Einheit der Christen ge-

meinsam mit Vertretern der anderen Kirchen und

kirchlichen Gemeinschaften die Vesper zum Fest

der Bekehrung des heiligen Apostels Paulus fei-

ern. Ich lade euch ein, euch in geistiger Weise un-

serem Gebet anzuschließen.

Heute ist auch der Gedenktag des heiligen

Franz von Sales, Schutzpatron der Journalisten.

Gestern wurde die Botschaft zum Welttag der so-

zialen Kommunikationsmittel veröffentlicht mit

dem Titel »Komm und sieh. Kommunizieren, in-

dem man den Menschen begegnet, wo und wie

sie sind«. Ich fordere alle Journalisten und in der

Kommunikation Tätigen auf, »zu kommen und zu

sehen«, auch dort, wo niemand hingehen will,

und Zeugnis von der Wahrheit zu geben.

Mein Gruß gilt euch allen, die ihr über die Me-

dien verbunden seid. Mein Gedanke und mein

Gebet gelten den Familien, die in dieser Zeit am

meisten zu kämpfen haben. Nur Mut, lasst uns

vorwärts gehen! Lasst uns für diese Familien be-

ten, und lasst uns ihnen, soweit möglich, zur Seite

stehen. Und ich wünsche allen einen schönen

Sonntag. Bitte vergesst nicht, für mich zu beten.

Gesegnete Mahlzeit und auf Wiedersehen!

Die Berufung der ersten Jünger in einer Darstellung aus dem Echternacher »Codex aureus«: Im ersten Boot sitzen Petrus und Andreas, im zwei-

ten Boot Jakobus und Johannes mit ihrem Vater Zebedäus. Papst Franziskus verwies auf den »besonderen Ruf des Herrn, auf den wir eine po-

sitive oder eine negative Antwort geben können. Im Evangelium sehen wir, wie Simon, Andreas, Jakobus und Johannes reagierten: Sie waren

reife Männer, sie hatten ihre Arbeit als Fischer, sie hatten ein Familienleben… doch als Jesus vorbeikam und sie rief, ›ließen sie sofort ihre

Netze liegen und folgten ihm nach‹ (Mk 1,18).«

Für Edwin

In seinen Worten nach dem Angelus-gebet verwies der Papst auch auf das tra-gische Schicksal eines Mannes aus Ni-geria:

Am vergangenen 20. Januar wurde ein

46 Jahre alter, nigerianischer Obdachloser

namens Edwin nur wenige Meter vom Pe-

tersplatz entfernt gefunden, der erfroren

war. Seine Geschichte reiht sich ein in die

vieler anderer Obdachloser, die in letzter

Zeit in Rom unter den gleichen dramati-

schen Umständen gestorben sind. Lasst

uns für Edwin beten. Mögen wir uns der

Worte des heiligen Gregor des Großen ent-

sinnen, der angesichts des Kältetodes eines

Bettlers sagte, dass an diesem Tag keine

Messen gefeiert werden sollten, weil es

gleichsam wie am Karfreitag sei. Denken

wir an Edwin. Denken wir daran, wie sich

dieser Mann, 46 Jahre alt, in der Kälte

fühlte, von allen unbeachtet, verlassen,

auch von uns. Lasst uns für ihn beten.

29. Januar 2021 / Nummer 4/5 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

10 Aus dem Vatikan

Von Kardinal Kurt Koch

Auf dem Weg zu einem

großen Jubiläum

Die gesamte Christenheit geht auf ein großes

Jubiläum zu. Im Jahre 2025 werden wir den

1700. Jahrestag des Ersten Ökumenischen Kon-

zils in der Geschichte der Kirche begehen, das im

Jahre 325 in Nizäa stattgefunden hat. Dieses be-

deutende Ereignis ist gewiss auch von vielen

historischen Bedingtheiten geprägt gewesen.

Dazu gehört in erster Linie, dass dieses Konzil von

einem Kaiser, genauer von Kaiser Konstantin, ein-

berufen worden ist. Dies ist freilich nur zu verste-

hen auf dem geschichtlichen Hintergrund, dass in

der damaligen Christenheit ein heftiger Streit da -

rüber entbrannt war, wie das christliche Be-

kenntnis zu Jesus Christus als dem Sohne Gottes

mit dem ebenso christlichen Glauben an einen

einzigen Gott vereinbart werden könne. In die-

sem Streit erblickte der Kaiser eine große Gefahr

für seinen Plan, die Einheit des Reiches auf dem

Fundament der Einheit des christlichen Glaubens

zu festigen.

In der beginnenden Kirchenspaltung nahm

der Kaiser deshalb in erster Linie ein politisches

Problem wahr; auf der anderen Seite war er jedoch

weitsichtig genug, um einzusehen, dass die Ein-

heit der Kirche nicht auf politischem, sondern nur

auf religiösem Weg zu erreichen sein wird. Um die

einander bekämpfenden Gruppierungen zu ver-

einigen, berief Kaiser Konstantin das Erste Öku-

menische Konzil in die kleinasiatische Stadt Nizäa

in der Nähe der von ihm gegründeten Metropole

Konstantinopel ein.

Auf diesem geschichtlichen Hintergrund

leuchtet die große Bedeutung des Ersten Öku-

menischen Konzils erst recht auf. Es hat nicht nur

das vom alexandrinischen Theologen Arius pro-

pagierte Modell eines strikt philosophischen Mo-

notheismus, dem gemäß Christus nur in einem

uneigentlichen Sinn »Sohn Gottes« sein konnte,

mit dem Glaubensbekenntnis zurückgewiesen,

dass Jesus Christus als Sohn Gottes »wesens-

gleich mit dem Vater« ist. Dieses Bekenntnis ist

zur Grundlage des gemeinsamen christlichen

Glaubens geworden, zumal das Konzil von Nizäa

in einer Zeit stattgefunden hat, in der die Chris -

tenheit noch nicht von den vielen späteren Spal-

tungen verwundet war.

Das Bekenntnis des Konzils verbindet deshalb

auch heute noch alle christlichen Kirchen und

kirchlichen Gemeinschaften und ist deshalb in

seiner ökumenischen Bedeutung nicht zu unter-

schätzen. Denn für die ökumenische Wiederge-

winnung der Einheit der Kirche ist die Überein-

stimmung im wesentlichen Inhalt des Glaubens

erforderlich, und zwar nicht nur zwischen den

heutigen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaf-

ten, sondern auch die Übereinstimmung mit der

Kirche der Vergangenheit und vor allem mit

ihrem apostolischen Ursprung. Das 1700-Jahr-

Jubiläum des Konzils von Nizäa wird von daher

eine günstige Gelegenheit sein, dieses Konzils in

ökumenischer Gemeinschaft zu gedenken und

sich seines christologischen Bekenntnisses er-

neut zu vergewissern.

Synodalität als ökumenische

Herausforderung

Noch in einer weiteren Hinsicht ist dem Kon-

zil von Nizäa eine große ökumenische Bedeutung

eigen. Es dokumentiert die Art und Weise, mit der

strittige Fragen in der Kirche auf einem Konzil

synodal beraten und entschieden werden. Dar-

auf weist bereits das Wort hin; denn »Synode« ist

zusammengesetzt aus den griechischen Begrif-

fen »hodos« (Weg) und »syn« (mit) und bringt zum

Ausdruck, dass ein Weg gemeinsam gegangen

wird. Im christlichen Sinn bezeichnet das Wort

den gemeinsamen Weg der Menschen, die an

Jesus Christus glauben, der sich selbst als »Weg«

offenbart hat, genauer als »der Weg, die Wahrheit

und das Leben« (Joh 14,6). Die christliche Reli-

gion wurde deshalb ursprünglich als »Weg«, und

die Christen, die Christus als Weg nachfolgen,

wurden als »Anhänger des Weges« bezeichnet

(Apg 9,2). In diesem Sinne konnte Johannes

Chrysostomos erklären, »Kirche« sei ein Name,

»der für einen gemeinsamen Weg steht«, und Kir-

che und Synode seien »Synonyme«.1 Das Wort

»Synodalität« ist deshalb genau so alt und grund-

legend wie das Wort »Kirche«.

Im Konzil von Nizäa darf man von daher den

gesamtkirchlichen Beginn der synodalen Art und

Weise der Entscheidungsfindung in der Kirche er-

blicken. Dabei handelt es sich wiederum um eine

Erkenntnis, die in ökumenischer Hinsicht von

grundlegender Bedeutung ist, wie zwei wichtige

neuere Dokumente belegen: Vor wenigen Jahren

hat die Kommission für Glauben und Kirchenver-

fassung des Ökumenischen Rates der Kirchen die

Studie Die Kirche auf dem Weg zu einer gemein-

samen Vision vorgelegt, mit der eine multilaterale

und ökumenische Vision vom Wesen, von der Be-

stimmung und der Sendung der Kirche ange-

strebt wird. In dieser Studie wird als ökumenisch

gemeinsame ekklesiologische Aussage festgehal-

ten: »Die gesamte Kirche ist auf allen Ebenen des

kirchlichen Lebens – lokal, regional und univer-

sal – synodal / konziliar unter der Leitung des

Heiligen Geistes. In der Eigenschaft der Synoda-

lität bzw. Konziliarität spiegelt sich das Geheim-

nis des trinitarischen

Lebens Gottes wider,

und die Strukturen der

Kirche verleihen die-

ser Eigenschaft Aus-

druck, um das Leben

der Gemeinschaft als

Gemeinschaft zu ver-

wirklichen.«2 Diese

Sicht wird auch geteilt

von der Internationa-

len Theologischen Kommission in ihrem Grund-

satzdokument Die Synodalität in Leben und

Sendung der Kirche. Darin wird mit Freude kon-

statiert, der ökumenische Dialog sei so weit vor-

angeschritten, dass er in der Synodalität »eine

Offenbarungsdimension des Wesens der Kirche«

erkennt, indem es sich dabei um die Annäherung

an die »Auffassung von der Kirche als koinonia«

handelt, »die sich in jeder Ortskirche und in ihrer

Beziehung zu den anderen Kirchen verwirklicht,

und zwar durch spezifische Strukturen und syn-

odale Prozesse«3.

Synodal auf den Heiligen Geist

hören

In dieser ökumenischen Sinnrichtung spricht

sich auch Papst Franziskus stark für die Förde-

rung von synodalen Prozessen und Vorgängen in

der Katholischen Kirche aus. Denn er ist über-

zeugt, dass den Weg der Synodalität entschieden

zu gehen und zu vertiefen das ist, »was Gott sich

von der Kirche des dritten Jahrtausends erwar-

tet«.4 In erster Linie geht es ihm dabei allerdings

nicht um Strukturen und Institutionen, sondern

um die spirituelle Dimension der Synodalität, in

der die Rolle des Heiligen Geistes und das ge-

meinsame Hören auf ihn von grundlegender Be-

deutung sind: »Wir hören, wir diskutieren in

Gruppen, aber vor allem anderen achten wir dar-

auf, was der Geist uns zu sagen hat.«5 Von dieser

starken geistlichen Akzentuierung her versteht

man auch den Unterschied zwischen Synodalität

und demokratischem Parlamentarismus, den

Papst Franziskus immer wieder stark unter-

streicht. Während das demokratische Verfahren

vor allem der Ermittlung von Mehrheiten dient,

ist Synodalität ein geistliches Geschehen, das

sein Ziel darin findet, in den Glaubensüberzeu-

gungen und in den daraus fließenden Lebens-

weisen des einzelnen Christen und der kirchli-

chen Gemeinschaft auf dem Weg der Unter-

scheidung tragfähige und überzeugende Ein-

mütigkeit zu finden. Die Synode ist deshalb »kein

Parlament, wo man sich auf Verhandlungen, auf

die Aushandlung von Absprachen oder Kompro-

missen stützt, um einen Konsens oder eine ge-

meinsame Vereinbarung zu erreichen. Die ein-

zige Methode der Synode ist dagegen, sich mit

apostolischem Mut, evangeliumsgemäßer Demut

und vertrauensvollem Gebet dem Heiligen Geist

zu öffnen, damit er es sei, der uns führt.«6

Von daher versteht es sich, dass im Vorder-

grund des Interesses von Papst Franziskus die

Vertiefung der Einsicht steht, dass Synodalität

eine elementare Wesensstruktur der Katholi-

schen Kirche ist: »Kirche zu sein bedeutet, Ge-

meinschaft zu sein, die gemeinsam unterwegs

ist. Es genügt nicht, einen Synod zu haben, man

muss Synode sein. Die Kirche braucht einen tie-

fen inneren Austausch: einen lebendigen Dialog

zwischen den Hirten sowie zwischen den Hirten

und den Gläubigen.«7

Damit ist auch evident, dass Synodalität kei-

nen Gegensatz zur hierarchischen Struktur der

Kirche darstellt, sondern dass vielmehr Synoda-

lität und Hierarchie sich wechselseitig fordern

wie fördern. Die Synodalität als konstitutive

Dimension der Kirche bildet deshalb den »geeig-

netsten Interpretationsrahmen für das Verständ-

nis des hierarchischen Dienstes selbst«, insofern

diejenigen, die Autorität in der Kirche ausüben,

»im ursprünglichen Sinn des Wortes minister ge-

nannt« werden.8 Dies gilt in den Augen von Papst

Franziskus auch und gerade für den petrinischen

Primat selbst, der in einer synodalen Kirche bes-

ser geklärt werden kann: »Der Papst steht nicht

allein über der Kirche, sondern er steht in ihr als

Getaufter unter den Getauften, im Bischofskolle-

gium als Bischof unter den Bischöfen und ist – als

Nachfolger des Apostels Petrus – zugleich beru-

fen, die Kirche von Rom zu leiten, die in der Liebe

allen Kirchen vorsteht.«9

Damit ist auch die ökumenische Dimension

der kirchlichen Synodalität in der Sicht von Papst

Franziskus offenkundig. Denn für ihn stellt eine

»sorgfältige Untersuchung, wie im Leben der Kir-

che das Prinzip der Synodalität und der Dienst

dessen, der den Vorsitz hat, zum Ausdruck kom-

men«, einen wichtigen Beitrag zur ökumeni-

schen Versöhnung zwischen den christlichen

Kirchen dar.10 Das theologische und pastorale

Bemühen, eine synodale Kirche aufzubauen, ent-

hält deshalb reiche Auswirkungen auf die Öku-

mene, wie Papst Franziskus mit dem Grundprin-

zip des ökumenischen Dialogs verdeutlicht, das

im Austausch von Gaben besteht, in dem wir von

den anderen lernen können. In solchem Aus-

tausch geht es vor allem darum, das, was der Hei-

lige Geist in den anderen Kirchen gesät hat, »als

ein Geschenk aufzunehmen, das auch für uns be-

stimmt ist«. In diesem Sinn hebt Papst Franziskus

hervor, dass wir Katholiken im Dialog mit den or-

thodoxen Brüdern die Möglichkeit haben, »etwas

Beitrag zur Gebetswoche für die Einheit der Christen

Gemeinsam unterwegs auf demselben Weg

Fortsetzung auf Seite 11

Das erste Ökumenische Konzil von Nizäa (325) auf einem Fresko in der Kirche des heiligen Nikolaus

in Demre (in der Nähe des antiken Myra) in der Türkei.

Für die ökumenische Wiedergewinnung

der Einheit der Kirche ist die Übereinstimmung

im wesentlichen Inhalt des Glaubens erforderlich,

und zwar nicht nur zwischen den

heutigen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften,

sondern auch die Übereinstimmung mit der Kirche

der Vergangenheit und vor allem mit

ihrem apostolischen Ursprung.

Das inthronisierte Evangelium während des Zweiten Vatikanischen Konzils.

29. Januar 2021 / Nummer 4/5 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

11Aus dem Vatikan

mehr über die Bedeutung der bischöflichen Kol-

legialität und ihre Erfahrung der Synodalität zu

lernen«11. Da damit das Kernthema des katho-

lisch-orthodoxen Dialogs angesprochen ist, soll

die ökumenische Dimension der Synodalität an-

hand dieses wichtigen Dialogs noch etwas kon-

kretisiert werden.

Synodalität und Primatialität im katholisch-

orthodoxen Dialog

In diesem Dialog konnte ein bedeutender

Schritt getan werden auf der Vollversammlung

der Gemischten Internationalen Kommission in

Ravenna im Jahre 2007, auf der das Dokument

verabschiedet worden ist: Ekklesiologische und

kanonische Konsequenzen der sakramentalen

Natur der Kirche. Kirchliche Communio, Konzi-

liarität und Autorität.12 In diesem Dokument wird

zunächst eine theologische Klärung der Begriffe

»Konziliarität« und »Autorität«, beziehungsweise

»Synodalität« und »Primatialität« vorgenommen.

Dann wird gezeigt, dass sich Synodalität und Pri-

matialität auf den drei elementaren Ebenen des

kirchlichen Lebens aktualisieren, nämlich auf der

lokalen Ebene der Ortskirche, der regionalen

Ebene, auf der mehrere benachbarte Ortskirchen

miteinander verbunden sind, und auf der univer-

salen Ebene der auf der ganzen bewohnten Erde

verbreiteten Kirche, die alle Ortskirchen umfasst.

In einem weiteren Schritt wird dargetan, dass

Synodalität und Primatialität auf allen Ebenen des

Lebens der Kirche in dem Sinne wechselseitig

voneinander abhängig sind, dass der Primat im-

mer im Kontext von Synodalität und Synodalität

im Kontext des Primats betrachtet und verwirk-

licht werden müssen. Dies bedeutet konkret,

dass es auf allen Ebenen auch einen protos, be-

ziehungsweise eine kephale geben muss: Auf der

lokalen Ebene ist der Bischof in Beziehung zu den

Priestern und zum ganzen Volk Gottes der protos

in seiner Diözese; auf der regionalen Ebene ist der

Metropolit der protos in der Beziehung zu den

Bischöfen in seiner Provinz; und auf der univer-

salen Ebene ist der Bischof von Rom in der Bezie-

hung zur Vielzahl der Ortskirchen der protos,

während in den Orthodoxen Kirchen eine ana-

loge Aufgabe dem Ökumenischen Patriarchat

von Konstantinopel zukommt. Abschließend

bringt das Dokument die Überzeugung der Kom-

mission zum Ausdruck, dass die dargebotenen

Reflexionen über kirchliche Communio, Konzi-

liarität und Autorität einen »positiven und be-

deutsamen Fortschritt in unserem Dialog« dar-

stellen und eine »feste Basis für künftige

Diskussion über die Frage des Primats auf der uni-

versalen Ebene der Kirche« bieten.13

Dass beide Dialogpartner zum ersten Mal

gemeinsam erklären konnten, dass die Kirche auf

allen Ebenen und damit auch auf der universalen

Ebene synodal strukturiert ist und einen protos

braucht, stellt einen Meilenstein im katholisch-

orthodoxen Dialog dar. Damit dieser ver-

heißungsvolle Schritt in eine gute Zukunft führen

kann, muss im ökumenischen Dialog das Ver-

hältnis zwischen Synodalität und Primat weiter

vertieft werden. Dabei kann es nicht darum ge-

hen, einen Kompromiss auf dem kleinstmögli-

chen gemeinsamen Nenner anzuvisieren. Es

müssen vielmehr die jeweiligen starken Seiten

beider kirchlicher Gemeinschaften miteinander

ins Gespräch gebracht werden, wie dies der or-

thodox-katholische Arbeitskreis St. Irenäus in sei-

ner Studie Im Dienst an der Gemeinschaft in syn-

thetischer Weise ausgesprochen hat: »Vor allem

müssen die Kirchen danach streben, ein besseres

Gleichgewicht zwischen Synodalität und Primat

auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens zu errei-

chen, und zwar durch eine Stärkung synodaler

Strukturen in der katholischen Kirche und durch

die Akzeptanz eines gewissen Primats innerhalb

der weltweiten Gemeinschaft der Kirchen in der

orthodoxen Kirche.«14

Ökumenische Versöhnung von Synodalität und Primatialität

Es ist somit Lernbereitschaft auf beiden Seiten

notwendig. Auf der einen Seite muss die Katholi-

sche Kirche eingestehen, dass sie in ihrem Leben

und in ihren ekklesialen Strukturen noch nicht je-

nes Maß an Synodalität entwickelt hat, das theo-

logisch möglich und notwendig wäre, und dass

eine glaubwürdige Verbindung des hierarchi-

schen und des synodal-communialen Prinzips

eine wesentliche Hilfe für das weitere ökumeni-

sche Gespräch mit der Orthodoxie darstellen

würde. In der Verstärkung der Synodalität darf

man ohne Zweifel den wichtigsten Beitrag der Ka-

tholischen Kirche für die ökumenische Anerken-

nung des Primats sehen.

Besonderer Nachholbedarf besteht dabei vor

allem auf der regionalen Ebene. Sie ist in den Or-

thodoxen Kirchen stark entwickelt, insofern die

Metropoliten nach wie vor jene wichtige Verant-

wortung wahrnehmen, die ihnen bereits in den

frühen Jahrhunderten zugekommen ist und hin-

sichtlich derer gewichtige Entscheidungen im

Ersten Ökumenischen Konzil von Nizäa 325 und

im Vierten Ökumenischen Konzil von Chalkedon

451 vorliegen. Zu denken ist dabei auch an den

berühmten Apostolischen Kanon 34, der in der

frühen Kirche sowohl in Ost als auch in West

anerkannt gewesen ist, der die Beziehungen

zwischen den Ortskirchen einer Region regelt

und von einem sensiblen Zusammenspiel von

Synodalität und Primatialität geprägt ist: »Die

Bischöfe jeder Provinz müssen den anerkennen,

der unter ihnen der Erste ist, und ihn als ihr Haupt

betrachten und nichts Wichtiges ohne seine Zu-

stimmung tun; jeder Bischof soll nur das tun, was

seine eigene Diözese und die von ihr abhängigen

Gebiete betrifft. Aber der Erste kann nichts tun

ohne die Zustimmung aller. Denn auf diese Weise

wird Eintracht herrschen und Gott wird geprie-

sen werden durch den Herrn im Heiligen Geist.«

Dem gegenüber besteht in der Katholischen

Kirche auf der regionalen Ebene der Kirchenpro-

vinzen und der kirchlichen Regionen, der Parti-

kularkonzilien und der Bischofskonferenzen

Nachholbedarf, wie Papst Franziskus feststellt:

»Wir müssen nachdenken, um durch diese Orga-

nismen die Zwischeninstanzen der Kollegialität

noch mehr zur Geltung zu bringen, eventuell

durch Integration und Aktualisierung einiger

Aspekte der alten Kirchenordnung.«15

Auf der anderen Seite wird man von den Or-

thodoxen Kirchen erwarten dürfen, dass sie im

ökumenischen Dialog lernen, dass ein Primat

auch auf der universalen Ebene nicht nur möglich

und theologisch legitim, sondern auch notwendig

ist. Die innerorthodoxen Spannungen, die vor al-

lem bei der »Heiligen und Großen Synode« von

Kreta im Jahre 2016 deutlich zum Ausdruck ge-

kommen sind, dürften es nahelegen, über ein

Amt der Einheit auch auf der universalen Ebene

der Kirche nachzudenken, das freilich mehr sein

muss als ein reiner Ehrenprimat, sondern auch ju-

risdiktionelle Elemente einschließen muss. Ein

solcher Primat würde keineswegs im Gegensatz

zu einer eucharistischen Ekklesiologie stehen,

sondern wäre mit ihr kompatibel, wie der ortho-

doxe Theologe und Metropolit John D. Zizioulas

immer wieder in Erinnerung gerufen hat.

Eucharistische Natur von Synodalität

und Primat

Den Primat des Bischofs von Rom betrachten

wir Katholiken als Geschenk des Herrn an seine

Kirche und sehen deshalb in ihm auch ein Ange-

bot an die ganze Christenheit auf dem Weg des

Wiederfindens und des Lebens der Einheit. Um

dies glaubwürdig dartun zu können, muss auf ka-

tholischer Seite weiter vertieft werden, dass der

Primat des Bischofs von Rom nicht allein eine ju-

ridische und schon gar nicht rein äußerliche Zu-

tat zur eucharistischen Ekklesiologie darstellt,

sondern in ihr selbst begründet ist. Denn die Kir-

che, die sich als weltweites Netz von Eucharistie-

gemeinschaften versteht, braucht auch auf der

universalen Ebene einen vollmächtigen Dienst

an der Einheit. Der Primat des Bischofs von Rom

ist deshalb, wie Papst Benedikt XVI. eingehend

gezeigt hat, letztlich nur von der Eucharistie her

zu verstehen, genauer als Primat in der Liebe im

eucharistischen Sinn, der in der Kirche um eine

Einheit besorgt ist, die eucharistische Gemein-

schaft ermöglicht und glaubwürdig verhindert,

dass ein Altar gegen einen anderen Altar gestellt

wird.

Von daher zeigt sich, dass nicht nur Primatia-

lität, sondern auch Synodalität eine zutiefst litur-

gisch-eucharistische Natur aufweisen. Dass Kir-

che als Synode vor allem dort lebt, wo sich

Christen zur Feier der Eucharistie versammeln,

macht sichtbar, dass das tiefste Wesen der Kirche

als Synode die eucharistische Versammlung ist,

wie die Internationale Theologische Kommission

mit Recht hervorhebt: »Der synodale Weg der

Kirche wird von der Eucharistie gestaltet und

genährt.«16 Denn Synodalität findet ihren Ur-

sprung ebenso wie ihren Höhepunkt in der be-

wussten und aktiven Teilnahme an der eucharis -

tischen Versammlung und weist insofern eine

elementare geistliche Dimension auf. Dies

kommt auch heute noch darin zu sichtbarem

Ausdruck, dass synodale Versammlungen wie

Konzilien und Bischofssynoden mit der Feier der

Eucharistie und der Inthronisation des Evangeli-

ums eröffnet zu werden pflegen, wie es bereits

von den Konzilien von Toledo im siebten Jahr-

hundert bis hin zum im Jahre 1984 verabschie-

deten Zeremoniale für die Bischöfe vorgeschrie-

ben ist.

Die synodale Tradition der Christenheit ent-

hält ein reiches Erbe, das es zu revitalisieren gilt.

Es ist deshalb ein wichtiges Zeichen, dass Papst

Franziskus entschieden hat, die Vollversamm-

lung der Bischofssynode im Jahre 2022 der Syn-

odalität selbst zu widmen: »Für eine synodale Kir-

che: Gemeinschaft, Partizipation und Mission«.

Diese Synode wird nicht nur ein wichtiges Ereig-

nis in der Katholischen Kirche sein, sondern auch

eine bedeutende ökumenische Botschaft enthal-

ten, da Synodalität ein Thema ist, das auch die

Ökumene intensiv bewegt.

Fußnoten

1 Johannes Chrysostomos, Explicatio in Ps

149, in: PG 55, 493.2 Die Kirche auf dem Weg zu einer gemeinsa-

men Vision. Eine Studie der Kommission für

Glauben und Kirchenverfassung des Ökumeni-

schen Rates der Kirchen (ÖRK), Gütersloh-Pader-

born 2015.3 Internationale Theologische Kommission,

Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche

(= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls

Nr. 215), Bonn 2018, Nr. 116.4 Franziskus, Ansprache bei der 50-Jahr-Feier

der Errichtung der Bischofssynode am 17. Okto-

ber 2015.5 Franziskus, Wage zu träumen! Mit Zuver-

sicht aus der Krise. Im Gespräch mit Austen Iver-

eigh, München 2020, S. 111.6 Franziskus, Eröffnungsansprache bei der

Bischofssynode für die Familie am 5. Oktober

2015.7 Franziskus, Ansprache an die Vertreter der

Griechisch-Katholischen Kirche der Ukraine am

5. Juli 2019.8 Franziskus, Ansprache bei der 50-Jahr-Feier

der Errichtung der Bischofssynode am 17. Okto-

ber 2015.9 Ebd.10 Franziskus, Ansprache an die ökumenische

Delegation des Patriarchats von Konstantinopel

am 27. Juni 2015.11 Franziskus, Evangelii gaudium. Nr. 246.12 Dokumentiert in: J. Oeldemann, F. Nüssel,

U. Swarat, A. Vletsis (Hrsg.), Dokumente wach-

sender Übereinstimmung. Band 4: 2001-2010,

Paderborn-Leipzig 2012, S. 833-848.13 Nr. 46.14 Im Dienst an der Gemeinschaft. Das Ver-

hältnis von Primat und Synodalität neu denken.

Eine Studie des Gemeinsamen orthodox-katholi-

schen Arbeitskreises St. Irenäus, Paderborn 2018,

S. 94.15 Franziskus, Ansprache bei der 50-Jahr-Feier

der Errichtung der Bischofssynode am 17. Okto-

ber 2015.16 Internationale Theologische Kommission,

Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche,

Nr. 47.

Beitrag von Kardinal Kurt Koch

Fortsetzung von Seite 10

Papst Franziskus und Patriarch Bartholomaios I. beim Interreligiösen Friedenstreffen auf dem römi-

schen Kapitol am 20. Oktober 2020.

Kardinal Kurt Koch ist seit fast genau zehn Jahren

Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung

der Einheit der Christen. Er wurde am 1. Juli 2010

von Papst Benedikt XVI. ernannt.

29. Januar 2021 / Nummer 4/5 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

12 Aus dem Vatikan

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Franziskus

Co

ron

a

Paul V. vollendete den Bau des neuen Petersdoms

Baumeister und ReformpapstSein Name ist so prominent platziert wie

kaum ein anderer. Wer auf die Fassade des Peters-

doms zugeht – normalerweise etwa 20 Millionen

Besucher jährlich –, sieht über dem Hauptein-

gang in hohen Lettern den Namen »Paulus V

Burghesius«.

Papst Paul V. aus der römischen Familie

Borghese hat im Jahr 1612 die Fassade

der Basilika zu Ehren des Apostelfürs -

ten Petrus vollendet und sich dort mit einer

großen Inschrift verewigt. Der Neubau der bis

heute größten katholischen Kirche der Welt war

damit zwar noch nicht ganz fertig; die ab -

schließende Weihe erfolgte erst 1626. Aber der

Papst hatte nach über hundertjähriger Bauzeit

endlich die entscheidenden Weichen für den Ab-

schluss gestellt und mit einem architektonischen

Kraftakt umgesetzt. Am 28. Januar jährte sich

sein Todestag zum 400. Mal.

Paul V. (1605-21) war aber nicht nur Bauherr.

Das Hauptanliegen des frommen Juristen war die

Durchführung der Reformen des Trienter Konzils

(1545-63), mit der die katholische Kirche nach der

Reformation wieder Tritt zu fassen suchte. Er

stärkte die katholischen Orden, erkannte die Ka-

puziner an, die nach den Jesuiten zum wichtigs -

ten Orden für die innerkirchliche Reform wur-

den, er bestätigte die Statuten der Oratorianer von

Philipp Neri. In seinem Pontifikat fand auch der

erste Prozess gegen Galileo Galilei statt. Er wurde

damals nicht selbst verurteilt, wohl aber das ko-

pernikanische Weltbild.

Vor dem Amtsantritt von Paul V. hatten be-

reits 17 Päpste und zehn Baumeister – unter ih-

nen Genies wie Bramante, Raffael und Michelan-

gelo – an der Petersbasilika gebaut. Fertig war

bislang der Zentralbau mit der gewaltigen Kuppel

und vier gleichlangen Armen. Strittig war, ob

dem Zentralbau ein Langhaus vorgesetzt werden

sollte. Es stellte sich auch die Frage, ob der noch

stehende Ostteil von Alt-Sankt-Peter dabei inte-

griert oder durch einen Neubau ersetzt werden

sollte. Paul V. entschied sich für den Anbau eines

neuen Langhauses, auch um eine größere Teil-

nahme an Gottesdiensten zu ermöglichen.

Der Papst drängte seinen Baumeister Carlo

Maderno zu einem enormen Arbeitstempo. Der

Abriss des restlichen Altbaus erfolgte nicht so ra-

dikal und respektlos wie unter Julius II. Der Papst

ließ zuvor eine Inventarliste sämtlicher Monu-

mente, Grabmäler und Kunstwerke anfertigen,

teils mit Skizzen. Viele wurden in den Grotten

von Sankt Peter gelagert, umgebettet oder auf an-

dere Kirchen verteilt.

Bereits von seinen Zeitgenossen wurde Ma-

derno heftig kritisiert. Etwa weil das Langschiff

leicht abgewinkelt von der Kuppel und dem Zen-

tralbau verläuft. Damit korrigierte Maderno aber

einen Fehler von Sixtus V., der den Obelisken

nicht genau in der Verlängerung von Michelange-

los Kreuzarm aufgestellt hatte.

Lauter ist freilich die Kritik an der Fassade des

Doms: Zu plump, zu unproportioniert, die gran-

diose Kuppel Michelangelos komme nicht mehr

zur Geltung. Allerdings stand Maderno vor einer

schier unmöglichen Aufgabe. Durch das Lang-

haus war die Kuppel um 150 Meter nach hinten

gerückt, die Fassade sollte daher möglichst nied-

rig werden. Zudem musste die Eingangsfront

noch nach rechts und links um ein Joch erweitert

werden, weil der Papst den Petersdom mit dem

Apostolischen Palast verbinden wollte. Zwei Kir-

chentürme, die Maderno als vertikale Elemente

geplant hatte, durften aus statischen Gründen

nicht gebaut werden.

Erst 40 Jahre später gelang es dem Barock-

künstler Bernini bei der Gestaltung des Peters-

platzes, mit einigen optischen Tricks die augen-

fällige Breite der Fassade Madernos zu mildern.

Er verband die beiden Säulenarme der Kolonna-

den mit der Kirchenfassade durch zwei Flügel-

bauten, die zur Fassade hin nicht zueinander

sondern auseinanderlaufen. Dadurch rückt die

Kirche scheinbar weiter nach vorn, die Fassade

erscheint weniger breit und wirkt damit höher.

Weiteres leistet die breite ansteigende Frei-

treppe.

Nichts ändern konnte aber auch Bernini an

der Tatsache, dass die Kuppel Michelangelos

durch das lange Hauptschiff nicht mehr angemes-

sen zur Geltung kommt. Vom Petersplatz aus

sieht man nur ihren oberen Teil. In ihrer ganzen

Schönheit präsentiert sie sich nur von weitem

aus, am besten von der Engelsbrücke.

Johannes Schidelko

Die Fassade des Petersdoms wurde 1612 unter

Papst Paul V. vollendet. Er hat sich dort verewi-

gen lassen (oben). Am 28. Januar jährte sich sein

Todestag zum 400. Mal. Sein Grab befindet sich

in der Basilika Santa Maria Maggiore.