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3 Ars Organi · 66. Jhg. · Heft 1 · März 2018 Andrzej Szadejko Ein neues Land entdecken Zur 66. Internationalen Orgeltagung 2017 in Danzig (Gdańsk) Ist es nicht verwunderlich, dass Veranstaltungen der GdO noch nie in Polen organisiert worden sind, obwohl die Orgelkultur hier seit dem Anfang der europäischen Musik floriert und sehr interessante, originelle Formen des Ins- truments Orgel geschaffen hat? Danzig und Pommern (Pomorze) 1 gehören zu den interessantesten „Orgelplät- zen“ in Polen und Europa, indem sich hier Einflüsse aus dem Westen, Süden und Norden wie durch ein Brennglas konzentrierten. Diese spezifische Verbindung hatte auch auf das ganze Gebiet Einfluss. So ist die Orgelbaukunst des Baltikums nicht zu verstehen ohne Kenntnis der Orgeln aus dem südlichen Küstenbereich. Die Geschichte der Danzi- ger Orgelbaukunst ist sehr interessant und vielfältig, gleich- zeitig aber auch dramatisch. Sie umfasst außerordentliche Blütezeiten, aber auch sehr große Kriegszerstörungen, die in fast allen Jahrhunderten über diese Region aus Westen, Norden und Osten hereinbrachen. Trotzdem bieten Dan- zig und Pomerellen heute einen ungeheuren Reichtum an interessanten Orgeln aus verschiedenen Epochen und mit unterschiedlichem Stil. Von Größenordnung und Kraft der heutigen Orgelkultur könnte die Tatsache zeugen, dass in der Region (Danzig und 100 km Umgebung) jährlich über 200 Orgelkonzerte stattfinden. Eine Woche ist zu wenig, um alle wichtigen Orgeln der Region zu sehen und zu hören, jedoch werden wir uns bemühen, allen, die nach Danzig kommen, im Rahmen der bevorstehenden Orgel- tagung das Bild der Orgelkultur in diesem Gebiet näherzu- bringen. Sie ist ein untrennbarer Bestandteil der regionalen Kultur. Es wird auch Gelegenheit geben, einige andere Aspekte kennenzulernen und den Ort Europas zu erleben, wo Orient und Okzident sich treffen, mit dem berühmten Ordensschloss Marienburg (Malbork), der längsten hölzer- nen Mole Europas in Zoppot (Sopot), der Danziger Altstadt und mit modernen Gebäuden in einer der jüngsten Städte Europas – Gdingen (Gdynia). Die Internationale GdO-Ta- gung stellt nicht nur einen Impuls für das lokale „Orgel- zentrum“ dar, sondern auch für Veranstaltungen, welche die weitere Entwicklung des Orgelbaus und der Orgelkultur in der Danziger Umgebung fördern. Anlässlich der GdO-Tagung werden Orgeln vorgestellt in den traditionellen und berühmtesten Orgelkonzertstätten, den Kathedralen zu Oliva (Oliwa), Pelplin (Pelplin) und Frauenburg (Frombork), weiter in verschiedenen Kirchen, in denen die Orgelmusik seit vielen Jahren lebendig ist wie in St. Nikolai und St. Brigida in Danzig, Herz-Jesu in Gdingen (Gdynia) und in den Kirchen zu Steegen (Stegna), Preußisch Holland (Pasłęk) oder Rahmel (Rumia). Darü- ber hinaus werden auch Orgeln präsentiert, die sonst nur der Liturgie dienen, aber doch ein großes Kunstpotenzial 1 Entsprechend internationalen Regeln werden die Ortsnamen in der deutschen Form angegeben, die polnische ist in Klammern beigefügt. (Red.) haben. Außer den historischen Instrumenten werden wir Orgeln hören, welche die wichtigsten polnischen Orgel- bauwerkstätten des 20. Jahrhunderts gebaut haben, Cepka, Kamiński, Mollin und Biernacki. Besonders interessant wird die Präsentation der wieder aufgebauten barocken Orgel in der St. Trinitätskirche zu Danzig werden, die 2018, 400 Jahre nach ihrem Bau und 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erklingt. Auch die aus dem 19. Jahrhundert stammende Grüneberg-Orgel in der Fran- ziskaner-Kirche zu Lauenburg i. Pom. (Lębork) erklingt nach langjähriger Erneuerung zum ersten Mal wieder. Viele Orgeln sollen vorgestellt werden, moderne Instrumente wie auch Rekonstruktionen historischer Orgelwerke aus ver- schiedenen Epochen. Wie intensiv Tradition und Orgelkul- tur heute wiederbelebt sind, können die Teilnehmer an dem geplanten Symposium erfahren. Die Orgel ist wie kein anderes Instrument mit den Beson- derheiten ihrer Region verbunden, insbesondere mit deren wirtschaftlicher Entwicklung. Die Orgel ist hier ein unglaub- Danzig, St. Marienkirche. Prospekt von Merten Friese (1626, gebaut für die Johanneskirche), Werk Hillebrand 1985. Foto: Stanisław Bednarz

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3Ars Organi · 66. Jhg. · Heft 1 · März 2018

Andrzej Szadejko

Ein neues Land entdecken Zur 66. Internationalen Orgeltagung 2017 in Danzig (Gdańsk)

Ist es nicht verwunderlich, dass Veranstaltungen der GdO noch nie in Polen organisiert worden sind, obwohl die Orgelkultur hier seit dem Anfang der europäischen Musik floriert und sehr interessante, originelle Formen des Ins-truments Orgel geschaffen hat? Danzig und Pommern (Pomorze) 1 gehören zu den interessantesten „Orgelplät-zen“ in Polen und Europa, indem sich hier Einflüsse aus dem Westen, Süden und Norden wie durch ein Brennglas konzentrierten. Diese spezifische Verbindung hatte auch auf das ganze Gebiet Einfluss. So ist die Orgelbaukunst des Baltikums nicht zu verstehen ohne Kenntnis der Orgeln aus dem südlichen Küstenbereich. Die Geschichte der Danzi-ger Orgelbaukunst ist sehr interessant und vielfältig, gleich-zeitig aber auch dramatisch. Sie umfasst außerordentliche Blütezeiten, aber auch sehr große Kriegszerstörungen, die in fast allen Jahrhunderten über diese Region aus Westen, Norden und Osten hereinbrachen. Trotzdem bieten Dan-zig und Pomerellen heute einen ungeheuren Reichtum an interessanten Orgeln aus verschiedenen Epochen und mit unterschiedlichem Stil. Von Größenordnung und Kraft der heutigen Orgelkultur könnte die Tatsache zeugen, dass in der Region (Danzig und 100 km Umgebung) jährlich über 200 Orgelkonzerte stattfinden. Eine Woche ist zu wenig, um alle wichtigen Orgeln der Region zu sehen und zu hören, jedoch werden wir uns bemühen, allen, die nach Danzig kommen, im Rahmen der bevorstehenden Orgel-tagung das Bild der Orgelkultur in diesem Gebiet näherzu-bringen. Sie ist ein untrennbarer Bestandteil der regionalen Kultur. Es wird auch Gelegenheit geben, einige andere Aspekte kennenzulernen und den Ort Europas zu erleben, wo Orient und Okzident sich treffen, mit dem berühmten Ordensschloss Marienburg (Malbork), der längsten hölzer-nen Mole Europas in Zoppot (Sopot), der Danziger Altstadt und mit modernen Gebäuden in einer der jüngsten Städte Europas – Gdingen (Gdynia). Die Internationale GdO-Ta-gung stellt nicht nur einen Impuls für das lokale „Orgel-zentrum“ dar, sondern auch für Veranstaltungen, welche die weitere Entwicklung des Orgelbaus und der Orgelkultur in der Danziger Umgebung fördern.

Anlässlich der GdO-Tagung werden Orgeln vorgestellt in den traditionellen und berühmtesten Orgelkonzertstätten, den Kathedralen zu Oliva (Oliwa), Pelplin (Pelplin) und Frauenburg (Frombork), weiter in verschiedenen Kirchen, in denen die Orgelmusik seit vielen Jahren lebendig ist wie in St. Nikolai und St. Brigida in Danzig, Herz-Jesu in Gdingen (Gdynia) und in den Kirchen zu Steegen (Stegna), Preußisch Holland (Pasłęk) oder Rahmel (Rumia). Darü-ber hinaus werden auch Orgeln präsentiert, die sonst nur der Liturgie dienen, aber doch ein großes Kunstpotenzial

1 Entsprechend internationalen Regeln werden die Ortsnamen in der deutschen Form angegeben, die polnische ist in Klammern beigefügt. (Red.)

haben. Außer den historischen Instrumenten werden wir Orgeln hören, welche die wichtigsten polnischen Orgel-bauwerkstätten des 20. Jahrhunderts gebaut haben, Cepka, Kamiński, Mollin und Biernacki. Besonders interessant wird die Präsentation der wieder aufgebauten barocken Orgel in der St. Trinitätskirche zu Danzig werden, die 2018, 400 Jahre nach ihrem Bau und 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erklingt. Auch die aus dem 19. Jahrhundert stammende Grüneberg-Orgel in der Fran-ziskaner-Kirche zu Lauenburg i. Pom. (Lębork) erklingt nach langjähriger Erneuerung zum ersten Mal wieder. Viele Orgeln sollen vorgestellt werden, moderne Instrumente wie auch Rekonstruktionen historischer Orgelwerke aus ver-schiedenen Epochen. Wie intensiv Tradition und Orgelkul-tur heute wiederbelebt sind, können die Teilnehmer an dem geplanten Symposium erfahren.

Die Orgel ist wie kein anderes Instrument mit den Beson-derheiten ihrer Region verbunden, insbesondere mit deren wirtschaftlicher Entwicklung. Die Orgel ist hier ein unglaub-

Danzig, St. Marienkirche. Prospekt von Merten Friese (1626, gebaut für die Johanneskirche), Werk Hillebrand 1985.

Foto: Stanisław Bednarz

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lich präzises ,Lackmuspapier‘, ein Indikator der wichtigsten sozial-wirtschaftlichen Prozesse in jenem Gebiet. Wenn man Struktur und Vielfältigkeit des hiesigen Orgelbaus verstehen will, muss man sich deshalb ein wenig mit der Geschichte von Danzig und Pomerellen vertraut machen.

Die Geschichte von Danzig im Überblick

Die Bezeichnung Gyddanyzc wird zum ersten Mal in dem römischen Leben des Heiligen Adalbertus aus dem Jahre 997 erwähnt, aber die ersten Siedlungen waren schon 2500 v. Ch. entstanden. In der Römerzeit begann die sogenannte Bernsteinstraße in Danzig. Obwohl schon 975 eine Burg und ein Hafen von dem polnischen Fürsten Mieszko I. gebaut wurden, erhielt Danzig erst 1236 das Stadtrecht. Unter der Herrschaft der pommerschen Swantopolk-Fürs-tenfamilie wurde die Stadt 1308 vom Deutschen Orden angegriffen und erobert. Durch den 1456 geführten und von Danziger Bürgern finanzierten Krieg gegen den Deutschen Orden gehörte Danzig wieder zum polnischen Staat. 1457 gewährte der polnische König Kasimir IV., genannt der Jagiellone, der Stadt das „Große Privileg“. Danzig unter-stand zwar dem polnischen König, erhielt aber die Rechte einer autonomen, selbstverwalteten Stadt. Ihre Blütezeit dauerte ununterbrochen 300 Jahre bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Die politisch und wirtschaftlich starke Stadt betrieb ihre eigene Außenpolitik und hatte eigene Münzen. Im 17. Jahrhundert war Danzig mit etwa 77.000 Einwoh-nern eine der größten und reichsten Städte Europas. Wegen der Religionsfreiheit in Danzig konnten hier Menschen aus fast allen europäischen Nationen leben. 1734 wurde die Stadt im polnischen Thronfolgekrieg von russischen und sächsischen Truppen belagert, weil sie den polnischen König Stanislaus Leszczynski auf der Flucht aufgenom-men hatte, und musste kapitulieren. Danach musste sie dem neuen polnischen König August III., dem sächsischen Kur-fürsten August II., eine ungeheure Kontribution leisten, was das wirtschaftliche Wachstum hemmte. Der wirtschaftliche Niedergang begann jedoch erst 1772 mit der ersten Teilung Polens, weil Danzig nun von preußischem Gebiet umgeben war und vom preußischen Staat wirtschaftlich benachteiligt wurde. 1792 kam die Stadt an Preußen. Im preußisch-fran-zösischen Krieg wurde Danzig 1807 für kurze Zeit eine Freie Stadt; 1814 wurde sie wieder preußisch. In der zwei-ten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbesserte sich die Wirt-schaftslage dauerhaft. 1920 wurde Danzig Freie Stadt. Am 1. September 1939 begann hier der Zweite Weltkrieg mit dem Angriff der deutschen Armee auf die polnische Gar-nison auf der Westerplatte (hier befand sich innerhalb der Grenzen der Freien Stadt Danzig ein polnisches Munitions-lager) und auf die Polnische Post. Während der Kriegszeit wurde die Stadt zweimal von den Alliierten bombardiert. Die meisten Zerstörungen geschahen jedoch erst im März 1945 bei der sogenannten Befreiung der Stadt durch die sowjetischen Truppen.

Nach der Plünderung der Stadt durch die „Befreiungs-armeen“ und nach dem stürmischen Herbst 1945 war das historische Stadtzentrum fast ganz verschwunden. Die meisten verbliebenen gebürtigen Danziger wurden nach

Deutschland ausgesiedelt. Ausgesiedelte aus dem ehema-ligen Ostpolen sowie Teile der Bevölkerung aus Pommern und Zentralpolen wurden in Danzig neu angesiedelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte also, genau so wie am Anfang des 14. Jahrhunderts, ein kompletter ,Austausch‘ der Bevölkerung. Mit dem Wiederaufbau des historischen Zentrums der Stadt wurde erst nach dem Tod Joseph Stalins (1953) begonnen, der hier eine neue „kommu-nistische“ Stadt hatte errichten wollen. Die Entwicklung der Werft sorgte für einen raschen Anstieg der Bevölke-rungszahlen, aber erst in den 70er Jahren wurde Danzig wieder zum größten Ostseehafen. Die Stadt wurde mehr-mals (1968, 1970 und 1980) Schauplatz des Widerstands gegen die kommunistische Herrschaft. 1980 wurde die in Mitteleuropa größte und einzige unabhängige Bewegung Solidarnosc infolge einer Protestaktion staatlich anerkannt. Die Entstehung dieser von der kommunistischen Herrschaft völlig unabhängigen Bewegung war der Hauptgrund für die Ausrufung des Kriegszustands in Polen im Dezember 1981. Im Jahre 1989, nach Gesprächen am Runden Tisch und der ersten halbfreien Wahl in den postkommunistischen Ländern, begann der Prozess der politischen Wende und der Rückkehr Polens und der anderen mitteleuropäischen Länder zu ihren natürlichen Beziehungen mit der westli-

Danzig, Trinitatiskirche. Prospekt: Merten Friese (1618) und Tobias Lehmann (1703, Pedal, im Bild nicht sichtbar). Werk rekonstruiert durch Kristian Wegscheider (2018).

Foto: Andrzej Szadejko

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chen europäischen Kultur. Danzig bildet jetzt zusammen mit Zoppot (Sopot), dem teuersten Kurort Polens, Gdingen (Gdynia), der größten Hafenstadt Polens, und vielen klei-nen Vororten einen Ballungsraum mit ca. 1.500.000 Ein-

wohnern, zu dessen wichtigsten Industrien der Schiff- und Maschinenbau, die elektronische und die chemische Indus-trie gehören. Danzig ist jetzt das wichtigste Handels- und Touristenzentrum an der polnischen Ostseeküste mit zahl-reichen Banken, einem Hafen und internationalem Flugha-fen. Hier befinden sich auch zahlreiche Hochschulen und wissenschaftliche Institute, viele Theater, Museen, Kunst-galerien und Konzertsäle.

Ein Blick in die Geschichte des Orgelbaus in Danzig

Die Geschichte des Orgelbaus ist ebenso lebendig wie die Geschichte der Stadt. Zum ersten Mal wurde das Bestehen einer Orgel im Jahre 1385 erwähnt. In den Dokumenten der Marienkirche ist ein „Magister Organista“ genannt. Ein Namensverzeichnis der an der Marienkirche tätigen Orga-nisten wurde schon seit 1459 geführt und beginnt mit dem Namen Paul Schuldte. Aus dem Jahre 1475 stammt eine Information über zwei Positive in den Kapellen dieser Kir-che. Damals gab es nicht nur in der Marienkirche Orgeln. In städtischen Dokumenten aus dem Jahr 1424 wird über die Zerstörung einer Orgel durch Feuer in der St. Peter-und-Paul-Kirche berichtet. Aus dem Jahr 1485 stammt eine Infor-mation über zwei Instrumente in der St. Johannis-Kirche.

Trinitatiskirche. Rechts neben dem Hauptgehäuse das Pedal von Tobias Lehmann (1703).

Foto: Andrzej Szadejko

Danzig, TrinitatiskircheProspekt Merten Friese, 1618, und Tobias Lehmann, 1703(Pedal). Werk Kristian Wegscheider (2018).

HAUPTWERK · CDE – c3 RÜCKPOSITIV · CDE – c3

Principal 16′ Principal 8′Quintadöna 16′ Salicinal 8′Octava 8′ Hollflöt 8′ Spielflöt 8′ Quintadöna 8′Viol di gamba 8′ Octava 4′Octava 4′ Waldflöt 2′Hollflöt 4′ Octava 2′Quinta 3′ Sesquialter 2f. Octava 2′ Sedecima 1′ Mixtur 6f. Mixtur 5f. Vox humana 8′ Trompet 8′ Fagot 16′ Hautbois 8′Sperrventil HW Sperrventil RP KLEIN-PEDAL · CD – d1 GROSS-PEDAL · CD – d1

Subbass 16′ Unter bass 32′Octava 8′ Violon 16′ Flöt 8′ Salicinal 8′Octava 4′ Posaune 16′ Quintabass 2f. Trompet 8′Mixtur 6f. Sperrventil Großpedal Krumhorn 8′ Schallmay 4′ Cornet bass 2′ Sperrventil Kleinpedal BRUSTWERK · CDE – c3 NEBENZÜGEFlöt 4′ Tremulant groß Quinta 11/3′ Tremulant RP Schwigel 1′ Cimbelstern klein Flöt 8′ Cimbelstern groß Principal 4′ Calcant Octava 2′ HeerpaukeRegal 8′ Die Geschichte der Orgel in Stichworten:1618 Bau durch Merten Friese (III/37).1697 Georg Nitrowski fügt den Cimbelstern hinzu.1703 Tobias Lehmann baut ein neues Pedalgehäuse, die

Orgel hat nun 39 Register. 1757 Friedrich Rudolf Dalitz (III/41). 1872 Carl Schuricht verändert die Disposition.1914 Otto Heinrichsdorff baut eine pneumatische Orgel

(III/58).1960 Ryszard Plenikowski baut eine neue pneumatische

Orgel (II/24). 2018 Kristian Wegscheider und Szymon Januszkiewicz

bauen eine neue mechanische Orgel als Rekon-struktion (III/45) unter Verwendung des historischen Prospekts.

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Zu den ersten Orgelbauern, die am Anfang des 16. Jahrhunderts Instrumente in Danzig bauten, gehörten Bla-sius Lehmann aus Leipzig und Hans Hauk aus Pommern. Der erste bekannte Orgelbauer, der sich Ende des 16. Jahr-hunderts in Danzig niederließ, war Antonius Friese. Seit-dem bestanden Orgelbauwerkstätten in Danzig ununter-brochen bis zum Ende der vierziger Jahre des 20. Jahrhun-derts. Wegen Danzigs internationaler Gesellschaftsstruktur und der wechselnden politischen Situation der Stadt haben verschiedene Länder Europas die Orgelbaukunst in Danzig beeinflusst: Im 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts Han-sestädte, die Niederlande und Brabant (Merten Friese); in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Südpolen (Nitrow-ski); am Anfang des 18. Jahrhunderts Sachsen und Thü-ringen (Hildebrandt); in der zweiten Hälfte des 18. Jahr-hunderts Süddeutschland und Skandinavien (Dalitz, Rhode, Wulff). Im 1802 aufgestellten Orgelverzeichnis von Eph-raim Eggert, Danziger Organist und Carilloneur, standen Beschreibungen von 25 Instrumenten aus 18 Stadtkirchen.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts folgte eine Zeit wirtschaftlich bedingter Stagnation; die aktiven Orgelbauer wie Paschke, Ahrendt, Schuricht und Witt konnten nicht mehr sehr viel leisten. Erst in den achtziger und neunziger Jahren, als ein pneumatisches System von der Firma Terletzki aus Elbing eingeführt worden war, begann eine zweite Entwicklungsphase der Orgelbaukunst in Danzig. Das wirtschaftliche Wachstum ermöglichte es, neue In strumente zu bauen und alte umzubauen durch solche Werkstätten wie Terletzki, Wittek, Familie Goebel und Familie Heinrichsdorff. Die intensive Tätigkeit dieser Unternehmen hatte zur Folge, dass im Jahre 1943 in Dan-zig nur noch drei originale barocke Instrumente erhalten geblieben waren – alle anderen waren pneumatisiert und umgebaut worden. Es gab damals in der Freien Stadt Dan-zig insgesamt über 130 Orgeln.

Ideen der Orgelbewegung, die in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts nach Danzig gelangten, führten zu weiteren Änderungen in der Orgelbaukunst, weckten aber auch Interesse an den historischen Aspekten der Instru-mente, was zur Entstehung einer eingehenden organologi-

schen und fotografischen Dokumentation der Instrumente beitrug, die 1943 im Zweiten Weltkrieg zur Abwendung von Kriegsschäden demontiert wurden. Die Dokumenta-tion wurde von der sogenannten Baugruppe Keibel, einer Gruppe von Denkmalpflegern, angefertigt, die damals in ganz Pommern tätig war. Diese Materialien sind heute eine äußerst wertvolle Informationsquelle für die Rekonstruk-tion der alten Orgelprospekte und Instrumente.

Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs und danach während der kommunistischen Herrschaft wurden die meisten Orgeln weitgehend beschädigt oder zerstört. Meh-rere Orgelprospekte, die in der Kriegszeit zur Vermeidung von Kriegsschäden demontiert und ausgelagert wurden, kamen nie oder nur teilweise nach Danzig zurück und wurden nur teilweise rekonstruiert. Mehrere Instrumente warten immer noch in Lagerräumen der Denkmalpflege auf ihre Rekonstruktion und musikalische Wiedergeburt. Die Denkmalschutzbehörden waren damals aus politischen Gründen an der Rekonstruktion der Orgeln nicht interes-siert, einerseits weil sie zur Ausstattung von Kirchen gehör-ten, aber andererseits auch aus Mangel an Fachleuten, die Orgelrekon struktionen hätten durchführen können. Zwei

Danzig, Orgel der Nikolaikirche. Prospekt Joh. Fr. Rhode, 1755, Werk Hammer und Truszczyński, 1978.

Foto: Stanisław Bednarz

Oliva, Kathedrale. Große Orgel von Jan Wilhelm Wulff, 1788, verändert durch Fr. Rud. Dalitz (1795), Carl Fr. Kalt-schmied (1865), Josef Goebel (1935), Zygmunt Kamiński (1968), Zdzisław Mollin (2010).

Foto: Stanisław Bednarz

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Rekonstruktionen, 1978 in der St. Nicolaikirche und 1985 in der Marienkirche, wurden unter Mitwirkung deutscher Orgelbaumeister (Hammer und Hillebrand) durchgeführt. Seit den siebziger Jahren veranstaltet die Musikhochschule Danzig die einzige organologische Konferenz in Polen. Sie findet alle drei Jahre statt. Auf ihr werden Fragen der Orgel-baukunst und der Orgelmusik diskutiert.

Nach der politischen Wende in den neunziger Jahren verbesserte sich die Situation der polnischen Orgelbau-kunst. Obwohl etliche alte Instrumente immer noch auf ihre Rekonstruktion warten, entstanden in Danzig viele neue Instrumente, gebaut von Mollin aus Odry, Kaminski und Lukasiewicz aus Warschau und Cepka aus Posen. Da viele Pfarrgemeinden nicht über ausreichende Geldmittel verfügten, wurden viele gebrauchte Instrumente aus dem Westen, vor allem aus Deutschland, eingeführt.

Wegen der großen Schäden aus der Kriegs- und Nach-kriegszeit hat sich die Situation der Orgelbaukunst in Dan-zig trotz einer spürbaren Verbesserung noch nicht normali-

siert. Die Gründung einer Orgelbauwerkstätte wie der von Szymon Januszkiewicz in der Nähe von Danzig, die mit dem Wiederaufbau der Friese-Orgel in der Dreifaltigkeits-kirche verbunden ist, und das Anknüpfen an die alte, vor 70 Jahren unterbrochene Tradition tragen zu einem Durch-bruch bei.

Die Orgelwerke aus jeder Epoche, die in Danzig und Umgebung errichtet wurden, haben viele spezifische Eigen-schaften. Sie werden sie kennenlernen.

Praktische Informationen

Danzig (Gdańsk) befindet sich in der Küstenmitte der Ost-see über der Danziger Bucht und ist heute das größte pol-nische touristische Ziel an der Ostsee mit internationalem Renommee. Deswegen hat Gdańsk sehr gute Bahn-, Luft- und Autoverbindungen. Wegen des verstärkten Touristen-verkehrs im Juli und August empfehlen wir eine baldige Hotelbuchung.

Literatur

Werner Renkewitz / Jan JancaGeschichte der Orgelbaukunst in Ost- und Westpreußen von 1333 bis 1944. Bd. 1. Würzburg 1984. (= Bau- und Kunst-denkmäler im östlichen Europa, Bd. 2)

Werner Renkewitz (†) / Jan Janca / Hermann FischerGeschichte der Orgelbaukunst in Ost- und Westpreußen von 1333 bis 1944, Bd. II, 1: Mosengel, Caspari, Casparini. Berlin, Pape Verlag Berlin 2008. (= 238. Veröffentlichung der Gesellschaft der Orgelfreunde)

Werner Renkewitz (†) / Jan Janca / Hermann FischerGeschichte der Orgelbaukunst in Ost- und Westpreußen von 1333 bis 1944. Bd. II, 2: Von Johann Preuß bis E. Kemper & Sohn, Lübeck/Bartenstein. Köln, Siebenquart Verlag Dr. Roland Eberlein [2015].(= Veröff. d. Walcker-Stiftung Bd. 25; 275. Veröff. d. GdO)

Spezialliteratur verzeichnet die von Alfred und Matthias Reichling betreute „Datenbank Orgelliteratur“ im Internet (<gdo.de>).

Die Internetseite <www.gdanskie-organy.com> bietet eine Liste „Danziger Orgeln“ in deutscher Sprache mit Informa-tionen (Geschichte, Dispositionen) über die Orgeln der St. Nikolaikirche, St. Marienkirche, der Kathedrale von Oliva und einiger weiterer Orgeln.

Danzig, St. Brigida. Orgel von Andrzej und Zygmunt Kamińscy (1992).

Foto: Stanisław Bednarz