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Ein Patient auf der Intensivstation mit Verwirrtheitszustand und Muskelschwäche… Axel Fudickar Elisabeth Fösel M. Pötter-Nerger Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin Klinik für Neurologie

Ein Patient auf der Intensivstation mit ... · Therapie der septischen Enzephalopathie . Inflammatorische Mediatoren im Gehirn (TNF Alpha, Il 1) werden aktiv ins ZNS aufgenommen >stimulieren

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Ein Patient auf der Intensivstation mit Verwirrtheitszustand und Muskelschwäche…

Axel Fudickar

Elisabeth Fösel

M. Pötter-Nerger

Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin Klinik für Neurologie

Patient Herr Beispiel, Fall

Männlicher Patient, 65 Jahre Gewicht 95 kg, Größe 170 cm Aufnahme auf die Intensivstation nach Blasenresektion wegen eines

Blasentumors Begleiterkrankung chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) Patient 3 Tage postoperativ extubiert, wach, adäquat und spontan

atmend Am vierten Tag jedoch zunehmend verwirrt, agitiert und aggressiv,

ausgeprägte motorische Unruhe, nestelnde Bewegungen, optische Halluzinationen

Definition Delir (Diagnostische Leitlinien des Delirs modifiziert nach ICD 10)

Akut auftretendes psychopathologisches klinisches Syndrom mit 1) Störungen des Bewusstseins und Aufmerksamkeit 2) Störung der Merkfähigkeit und Gedächnis mit Desorientiertheit 3) Antriebsstörung (Hypo- oder Hyperaktivität mit z.T. aprubtem Wechsel) 4) Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus (Schlafstörungen, nächtliche Zunahme der

Symptome, Alpträume, die nach dem Erwachen als Halluzination weiter bestehen können) 5) Fluktuation: Änderung der Symptomausprägung im Tagesverlauf und schneller Beginn 6) Organische Grundlage

Ursachen eines Delirs

I Infektion (hochfieberhafte Infekte z.B. Malaria, Sepsis) W Withdrawal (Entzug: z.B. Alkohol, andere Drogen) A Acute metabolic (z.B. Leber-, Niereninsuffiziens) T Trauma (z.B. Schädelhirntrauma) C CNS Pathology (z.B. Enzephalopathie,postiktal, Demenz) H Hypoxia (z.B. Anämie, COPD)

D Deficiencies (z.B. Vit B1, B6, B12, Hyponatriämie) E Endocrinopathies (z.B. Thyreotoxische Krise) A Acute Vascular (z.B. Hirninsult, Herz-Kreislauf-Versagen) T Toxins (Intoxikationen z.B. Alkohol, Drogen, Medis, CO) H Heavy metals (z.B. Blei, Arsen, Aluminium)

Häufig Mischung verschiedener Faktoren!

Weiter Herr Beispiel, Fall: Am nächsten Tag....

Zunehmende Abwehrspannung und Verhärtung des Bauches mit starken abdominalen Schmerzen Stuhlaustritt aus Drainagen

Tachykardie

zunehmende Dyspnoe mit O2-Bedarf

Temperaturanstieg über 39 °C

Leukozytose, CRP Anstieg

Zunahme der Somnolenz, Halluzinationen und Agitiertheit

Vitalparameter

Diagnosen bei Herr Beispiel, Fall

Zunehmende Abwehspannung und Verhärtung des Bauches mit starken abdominalen Schmerzen Stuhlaustritt aus Drainagen Leukozytose, CRP und Fieber>39 Grad

Tachykardie zunehmende Dyspnoe mit O2-Bedarf Temperaturanstieg > 39 °C Leukozytose, CRP Anstieg Zunehmende Somnolenz,

Halluzinationen im Rahmen des vorbestehenden Delirs

-> Peritonitis

=> SIRS + Peritonitis= Sepsis

-> systemische Entzündungsreaktion (SIRS)

-> Delir =>Delir+ Sepsis=

Septische Enzephalopathie

Definition: Septische Enzephalopathie

Akute, reversible, generalisierte Einschränkungen zerebraler Funktionen, die die Kriterien eines Delirs erfüllen und im Zusammenhang mit einer Sepsis auftreten, ohne dass eine direkte Infektion des Gehirns vorliegen muss.

Diagnostik: EEG

Normales EEG EEG bei Enzephalopathie

Grundrhythmusverlangsamung: Theta / Delta-Wellen

Triphasische Wellen (Abb. M. Pötter-Nerger)

Pathophysiologie der septischen Enzephalopathie

Inflammatorische Mediatoren im Gehirn (TNF Alpha, Il 1) werden aktiv ins ZNS aufgenommen

>stimulieren dort Astrozyten und Mikoglia zur Ausschüttung

weiterer inflammatorischer Mediatoren > Anstossen unphysiologischer metabolischer Kaskaden

Pathophysiologie der septischen Enzephalopathie

Inflammatorische Mediatoren im Gehirn (TNF Alpha, Il 1) werden aktiv ins ZNS aufgenommen

>stimulieren dort Astrozyten und Mikoglia zur Ausschüttung weiterer inflammatorischer Mediatoren

> Anstossen unphysiologischer metabolischer Kaskaden

Imbalance von Neurotransmittern mit unphysiologischer Aktivierung von exzitatorischen NMDA Rezeptoren: Aktivierung NO Synthase und Calcium Kanäle freie Radikale > Energieverarmung und Zelltod

Pathophysiologie der septischen Enzephalopathie

Inflammatorische Mediatoren im Gehirn (TNF Alpha, Il 1) werden aktiv ins ZNS aufgenommen

>stimulieren dort Astrozyten und Mikoglia zur Ausschüttung weiterer inflammatorischer Mediatoren

> Anstossen unphysiologischer metabolischer Kaskaden

Imbalance von Neurotransmittern mit unphysiologischer Aktivierung von exzitatorischen NMDA Rezeptoren: Aktivierung NO Synthase und Calcium Kanäle freie Radikale > Energieverarmung und Zelltod

Verminderte zerebrale Perfusion mit resultierender Hypoxie des Hirngewebes In Frühphase der Sepsis: Zerebrale Perfusion unabhängig vom systemischen Blutdruck durch Autoregulationsmechanismen. Im Verlauf der Sepsis: Aufhebung der zerebralen Autoregulation durch NO – generalisierte Vasodilatation- zerebrale Perfusion abhängig von systemischen Blutdruck

Therapie der septischen Enzephalopathie

Inflammatorische Mediatoren im Gehirn (TNF Alpha, Il 1) werden aktiv ins ZNS aufgenommen >stimulieren dort Astrozyten und Mikoglia zur Ausschüttung weiterer inflammatorischer Mediatoren > Anstossen unphysiologischer metabolischer Kaskaden

Imbalance von Neurotransmittern mit unphysiologischer Aktivierung von exzitatorischen NMDA Rezeptoren: Aktivierung NO Synthase und Calcium Kanäle freie Radikale > Energieverarmung und Zelltod

Verminderte zerebrale Perfusion mit resultierender Hypoxie des Hirngewebes In Frühphase der Sepsis: Zerebrale Perfusion unabhängig vom systemischen Blutdruck durch Autoregulationsmechanismen. Im Verlauf der Sepsis: Aufhebung der zerebralen Autoregulation durch NO – generalisierte Vasodilatation- zerebrale Perfusion abhängig von systemischen Blutdruck

Behandlung der Grunderkrankung- frühzeitige, adäquate Antibiotikagabe zur Behandlung der Sepsis

Sedierung mit NMDA Rezeptorantagonisten wie z.B. Ketamin werden diskutiert

Aufrechterhaltung eines adäquaten zerebralen Perfusionsdruckes und ausreichende Oxygenierung: Vermeidung Hypokapnie und Hypoxie sowie arterielle Hypotonie

... und wie ging es bei Herrn Beispiel weiter

Infektionsherd operativ saniert, i.V. Antibiose mit Piperacillin, Metronidazol und Fluconazol und intensivmedizinische Weiterbehandlung Kreislaufstabilisierung, aber - Schwierige Entwöhnung von der Beatmung - prolongierte Mobilisation

- progrediente, symmetrische schlaffe Tetraparese bei erhaltener Sensibilität - Hyporeflexie, Babinski negativ

Differentialdiagnose der akuten, schlaffen Tetraparese

Rückenmarksläsion (z.B. Blutungen, Ischämie im Vorderhornbereich)

Erkrankung der Motoneurone (z.B.

Poliomyelitis) Polyradikulitis (z.B. viral, Guillain Barre

Syndrom) Polyneuropathie (intensivmedizinische

Versorgung, septisch, medikamentös toxisch) Myasthenie (vorbestehend, medikamentös

getriggert) Myopathie (septisch, medikamentös toxisch,

intensivmedizinische Versorgung)

Diagnostik bei Herrn Beispiel

Rückenmarksläsion (z.B. Blutungen, Ischämie im Vorderhornbereich)

Erkrankung der Motoneurone (z.B.

Poliomyelitis) Polyradikulitis (z.B. viral, Guillain Barre

Syndrom) Polyneuropathie (intensivmedizinische

Versorgung, septisch, medikamentös toxisch) Myasthenie (vorbestehend, medikamentös

getriggert) Myopathie (septisch, medikamentös toxisch,

intensivmedizinische Versorgung)

Spinale Magnetresonaztomographie: unauffällig.

Liquor: unauffällig

Elektrophysiologie zum Nachweis der Myasthenie (repetitive Stimulation): unauffällig

UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein

19.10.2005 / 17 Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin

Critical Care-Polyneuropathie (CC-PNP) Critical Care- Myopathie (CC-MP)

Wahrscheinlichste Diagnose bei Herrn Beispiel

Meist koexistent (80% der Fälle), daher zusammengefasst als

ICU-Acquired Weakness (ICU-AW)

Definition ICU-Acquired Weakness (ICU-AW)

Akute schlaffe Muskelschwäche mit Hyporeflexie nach sieben Tagen Sepsis, Systemischer Entzündungsreaktion oder Beatmung

Risikofaktoren

Sepsis Multi-Organversagen

Länge und Schwere der Grunderkrankung Länge der maschinellen Beatmung/des Intensivstationaufenthaltes Nierenversagen/Dialyse Parenterale Ernährung/ Hypalbuminämie Hyperglykämie Kontrovers diskutiert: Applikation von Kortison, nicht depolarisierenden Muskelrelaxantien

Inzidenz

In Abhängigkeit von den Risikofaktoren in der jeweils untersuchten Population: Auftreten bei 25% aller Patienten, die > 4 Tage beatmet sind Auftreten bei 70% aller Sepsis-Patienten Auftreten bei nahezu 100% bei Sepsis Patienten, die zusätzlich

Multiorganversagen

Prognose

Besserung der ICU-Weakness korreliert mit Besserung der Grunderkrankung Erholung über Wochen bis Monate 50% Restitutio ad integrum Nach einem Jahr besteht häufig noch Muskelschwäche Prognose besser, wenn isolierte CC-Myopathie vorhanden, gegenüber isolierter CC-Polyneuropathie oder Mischform

Van der Schaaf 2000, Tepper 2000

Pathophysiologie CC-PNP

Durch Zytokine angestossene Störung Mikrozirkulation und Perfusion der Nerven durch vermehrte E-Selektin Expression im Endothel

Erhöhte Permeabilität der Gefässe mit endoneuralem Ödem und Einstrom Neurotoxine

Hyperglykämie die zu vermehrter Bildung von toxischen O2 Radikalen führt

Leukozytenadhäsion und Extravasation mit lokaler Zytokinproduktion im endoneuralem Raum

Pathophysiologie CC-Myopathie

Gleiche Pathomechanismen wie in CC-PNP (Mikrozirkulation, Ödem Leukozytenextravasation, Hyperglykämie) Proteinabbau in den Myosin Muskelketten zur Deckung des vermehrten Proteinbedarfs (Glutamin) in Sepsis Inaktivierung von Na-Kanälen-reduzierte Membranaktivität Effekte von Kortison und nicht depolarisierenden Muskelrelaxantien auf Muskel

CC-PNP in Elektrophysiologie: EMG-

Ruhe EMG

Denervationspotentiale im Ruhe EMG

(Fibrillationspotentiale)

Normales EMG in Ruhe

(Abb. M. Pötter-Nerger)

CC-Myopathie in Elektrophysiologie: EMG-

Ruhe EMG

Normales EMG in Ruhe

Ruhe- EMG der Myopathie meist unauffällig

Prognose: Isolierte Myopathie: 80% in 6 Monaten erholt

Isolierte Polyneuropathie: 25% in 1 Jahr erholt

Therapie

Keine spezifische, in Pathophysiologie eingreifende Therapie für die CC-Polyneuropathie oder CC- Myopathie vorhanden Aggressive Behandlung der Sepsis und des Multiorganversagens Reduktion/Weglassen von Kortison oder nicht-depolarisierenden

Muskelrelaxantien Normoglykäme Stoffwechsellage herstellen, ggf. mit intensivierter

Insulintherapie

Fazit

Septische Enzephalopathie ist ein Warnzeichen beginnender Sepsis ICU-Acquired Weakness, Polyneuropathie und Myopathie sind oft

übersehene Organmanifestationen des Multi-Organversagens Die Erkrankungen sind klinisch diagnostizierbar, Elektrophysiologie

kann die Diagnosestellung erleichtern und Hinweise auf die Prognose ergeben

Welche Aussage trifft nicht zu: Das Delir ist gekennzeichnet durch A) Störungen der Wachheit B) Störung des Gedächnis C) Störung der Augenfolgebewegungen D) Fluktuationen der Symptomatik über den Tag E) Störungen des Schlaf-Wach-Rhytmus

Ein Pat. auf der Intensivstation hat hochfieberhafte Temperaturen, eine klinisch und röntgenologisch gesicherte Pneumonie und Zeichen einer SIRS. Nun zeigt sich der Pat. zunehmend agitiert, mit fluktuierender Vigilanz und Gedächnisstörungen ohne weiteres fokal neurologisches Defizit. Das cMRT und der Liquor sind unauffällig.

Welche Aussage trifft zu: A) Der Pat. hat mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Meningitis B) Der Pat. hat mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Enzephalitis C) Der Pat. hat mit hoher Wahrscheinlichkeit eine hepatische Enzephalopathie D) Der Pat. zeigt mit hoher Wahrscheinlichkeit im EEG eine

Theta/Deltaaktivität E) Den Pat. sollte man nicht weiter antibiotisch behandeln, da es sich

höchstwahrscheinlich um eine medikamentöse Nebenwirkung handelt

Welche Aussage ist richtig: Die ICU-Weakness ist gekennzeichnet durch A) progrediente, schlaffe Paresen bei Pat., die auf der Intensivstation

behandelt werden B) Eine progrediente Müdigkeit beim Sitzen im Konferenzraum im 4.

Stock der Klinik für Neurologie C) Eine Schwäche und Unsicherheit der Beine nach dem Verzehr von

Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt D) Ein Einnickern bei den letzten vorweihnachtlichen Vorlesungen- ob nun 5% oder 0% der Vorlesung behalten werden macht auch

nicht mehr den grossen Unterschied E) Alle sind richtig