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1 ONLINE_EDITION_2014 Anlass der archäologischen Untersuchung waren Sanierungsmaßnahmen am Baukörper der St. Jakobskirche. Durch angewachsenes Erdreich entlang der südlichen Außenwand drang Feuchtigkeit in das aufgehende Mauerwerk ein. Für die Trockenlegung der Mauern war es nötig, das südlich an die Kirche angrenzende Gelände um 0,90-1,30 m abzutragen. Es ist geplant, in diesem Bereich einen Gehweg einzurichten. Zusätzlich wurden Gräben für die Regenwasserleitung auf dem Gelände östlich und nördlich der Kirche aufgezogen. Die romanische St. Jakobskirche (Kulturdenkmal Nr. 51811) ist heute eine Friedhofskapelle bei Merenberg im Landkreis Limburg-Weilburg/ Mittelhessen, sie lokalisiert etwa 0,5 km außerhalb des Ortes Merenberg an der nach Neunkirchen führenden Straße (L3109). Die Pfarrkirche steht in Zusammenhang mit einer umliegenden Dorfsiedlung namens Appenkirchen, die mit dem beginnenden 17. Jahrhundert aus den schriftlichen Quellen verschwindet, dementsprechend wohl wüst fiel. Der Flurstücksname »Bei Appenkirch« ist bis heute erhalten geblieben. Für die Kirche selbst ist im Volksmund die Bezeichnung »Appenkirche« gebräuchlich. 1 Die Kirche nimmt eine Grundfläche von 22,25 x 7,57 m ein. Der Baukörper besteht aus dem langgestreckten rechteckigen Kirchenschiff (Länge: 16,4 m) und den um 0,22 m (nördl. Außenwand) bzw. 0,37 m (südl. Außenwand) geringfügig eingezogenen kreuzgewölbten Chor. Auf die Grundform bezogen stellt sich der Chor weniger als Quadrat sondern vielmehr als annähernd gleichschenkliges Trapez dar, das sich nach Osten hin um 0,85 m verjüngt. 1 Dehio 1982, S. 620; vgl. den Eintrag im DenkXweb: http:// denkxweb.denkmalpflege-hessen.de (16.09.2014). Ein privilegierter Bestattungsplatz an der St. Jakobskirche bei Merenberg (Kr. Limburg-Weilburg/Hessen) St. Jakobskirche bei Merenberg (Foto: Oliver Abels/SBT CC BY-SA 3.0). Sebastian Tegge (Berlin)

Ein privilegierter Bestattungsplatz an der St ...€¦ · Merenberg im Landkreis Limburg-Weilburg/ Mittelhessen, sie lokalisiert etwa 0,5 km außerhalb des Ortes Merenberg an der

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Anlass der archäologischen Untersuchung waren Sanierungsmaßnahmen am Baukörper der St. Jakobskirche. Durch angewachsenes Erdreich entlang der südlichen Außenwand drang Feuchtigkeit in das aufgehende Mauerwerk ein. Für die Trockenlegung der Mauern war es nötig, das südlich an die Kirche angrenzende Gelände um 0,90-1,30 m abzutragen. Es ist geplant, in diesem Bereich einen Gehweg einzurichten. Zusätzlich wurden Gräben für die Regenwasserleitung auf dem Gelände östlich und nördlich der Kirche aufgezogen.

Die romanische St. Jakobskirche (Kulturdenkmal Nr. 51811) ist heute eine Friedhofskapelle bei Merenberg im Landkreis Limburg-Weilburg/Mittelhessen, sie lokalisiert etwa 0,5 km außerhalb des Ortes Merenberg an der nach Neunkirchen führenden Straße (L3109).

Die Pfarrkirche steht in Zusammenhang mit einer umliegenden Dorfsiedlung namens Appenkirchen, die mit dem beginnenden 17. Jahrhundert aus den schriftlichen Quellen verschwindet, dementsprechend wohl wüst fiel. Der Flurstücksname »Bei Appenkirch« ist bis heute erhalten geblieben. Für die Kirche selbst ist im Volksmund die Bezeichnung »Appenkirche« gebräuchlich.1

Die Kirche nimmt eine Grundfläche von 22,25 x 7,57 m ein. Der Baukörper besteht aus dem langgestreckten rechteckigen Kirchenschiff (Länge: 16,4 m) und den um 0,22 m (nördl. Außenwand) bzw. 0,37 m (südl. Außenwand) geringfügig eingezogenen kreuzgewölbten Chor. Auf die Grundform bezogen stellt sich der Chor weniger als Quadrat sondern vielmehr als annähernd gleichschenkliges Trapez dar, das sich nach Osten hin um 0,85 m verjüngt.

1 Dehio 1982, S. 620; vgl. den Eintrag im DenkXweb: http://denkxweb.denkmalpflege-hessen.de (16.09.2014).

Ein privilegierter Bestattungsplatz an der St. Jakobskirche bei Merenberg

(Kr. Limburg-Weilburg/Hessen)

St. Jakobskirche bei Merenberg (Foto: Oliver Abels/SBT CC BY-SA 3.0).

Sebastian Tegge (Berlin)

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Die Bauzeit der Kirche wird in den Anfang des 13. Jahrhunderts datiert. Der Blick auf die Außenwände lässt verschiedene Bauphasen erkennen, die etwa durch die Baufuge zwischen Kirchenschiff und Chor an der nördlichen Außenwand (Abb. 2) oder durch die erkennbar abweichende Mauerflucht an der nördlichen Außenwand auf mittiger Höhe des Kirchenschiffs sichtbar werden.

Bis in das Jahr 1534 hinein war die St. Jakobskirche Vikarie der Urpfarrei St. Johannes Lahr. Im Rahmen der Reformation wurde sie in der Grafschaft Nassau-Weilburg aus der Pfarrei gelöst. Mit dem Ausbau der Merenberger Marienkapelle zu einer innerörtlichen Kirche zum Ende des 16. Jahrhunderts verlor die St. Jakobskirche zunehmend ihre Bedeutung und diente fortan als Kapelle des umliegenden Friedhofs.

Im Zuge der archäologischen Untersuchung wurde auf mittiger Höhe des Kirchenschiffs ein kleiner Bereich erfasst, in dem sich die mittelalterliche Baugrube der Kirche abzeichnete. Die Befundgrenze des hell- bis mittelgrauen schluffigen Lehms, der wenige Holzkohle-Partikel enthält, verläuft mehr oder weniger parallel zur Kirchenaußenwand und von dieser 0,55-0,65 m entfernt. Nach dem Aufmauern des Kirchenfundamentes hat man die offene Baugrube mit diesem Substrat verfüllt. Gegenüber dem umgebenden hellbraunen, hellgrau gefleckten lehmigen Schluff grenzt sich die Verfüllung erkennbar und relativ scharf ab. Das aus der Verfüllung geborgene Keramikfragment der sog. harten Grauware verweist allgemein auf das Hochmittelalter, hier vornehmlich auf das 12./13. Jahrhundert.

Die archäologische Dokumentation umfasst insgesamt 24 neuzeitliche Bestattungen, die teilweise mehrschichtig übereinander lagen. Nicht selten waren beim Anlegen jüngerer Grabanlagen die älteren zum Teil zerstört worden. Es handelt sich durchweg um Körperbestattungen in gestreckter Rückenlage. Alle Gräber waren W-O ausgerichtet, die Verstorbenen blickten nach Osten. Die Lage der Arme variierte zwischen seitlich am Körper anliegend, auf dem Becken gekreuzt und auf der Brust gekreuzt. Nahezu jedes Grab enthielt Reste korrodierter Eisennägel ferner Sarggriffe, seltener Sargbeschläge und Sargfüße. Überreste der Holzsärge hatten sich nur vereinzelt erhalten, das entsprechende Holz war modrig und stark zersetzt. Eine

Baufuge zwischen Chor und Kirchenschiff/Nordseite (Foto: Autor).

Kirchenschiff

Baugrube

Mittelalterliche Baugrube im Bereich des Kirchenschiffs (Foto: Autor).

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Die erfassten neuzeitlichen Bestattungen konzentrieren sich auf das östliche Drittel der Fläche sowie in unmittelbarer Nähe der südlichen Kirchenwand. Stellenweise betrug der Abstand zwischen Grabanlage und Kirche nur 0,15-0,30 m. Im östlichen Drittel der Fläche sind regelrechte Reihen von Gräbern mit etwa 1,00 Meter breiten Abstand zu erkennen. Diese Reihen markieren den jüngsten Bestattungshorizont.2 Beim Anlegen der Grabgruben wurden stratigraphisch ältere Bestattungen gestört, teilweise sogar zerstört.

Aussagen zum Geschlecht und Alter der Verstorbenen beruhen auf den im Feld dokumentierten morphologischen Merkmalen; eine anthropologische Untersuchung war nicht vorgesehen. Die enstprechenden Angaben

2 In ländlichen Gemeinden setzten regelrechte Grabreihen sich erst im späten 17. und 18. Jahrhundert durch (Kenzler 2011, S. 15).

stehen daher unter Vorbehalt. Nicht immer war eine Bestimmung möglich, da aussagekräftige Skelettteile oftmals fehlten oder insgesamt zu wenig signifikante Merkmale vorhanden waren.

Unter den Verstorbenen sind vorwiegend Erwachsene, eine genaue Unterscheidung zwischen adultus und materus ließ sich bis auf wenige Ausnahmen nicht treffen. In zwei Fällen lässt sich ein Kind bzw. ein Jugendlicher nachweisen.

An annähernd zwei Drittel der dokumentierten Skelette ließ sich keine verlässliche Geschlechtsbestimmung durchführen. Innerhalb des bestimmbaren Anteils zeichnet sich die Tendenz ab, dass die Verstorbenen mehrheitlich Männer gewesen sind; das Verhältnis beträgt annähernd 1:2. Eine Erklärung dürfte darin begründet liegen, dass die größtmögliche

Archäologischer Gesamtplan mit den dokumentierten Befundstrukturen (Abbildung: Autor/AAB)

55

97

56

05

59

75

70

55

97

58

0

3442100 3442110 3442120

Stelle 29

Stelle 30

Stelle 1

Stelle 1

Stelle 23

Stelle 23

Böschung

Böschung

N

Maßstab 1:100

Gauß-Kruger zone 3/DHHN92

Datum: 01.09.2014

Vermesser/Zeichner: Tegge

"Appenkirche" (St. Jakobskirche), Merenberg

Ldkr. Limburg-Weilburg

EV-Nr. 2014/135

ÜBERSICHTSPLAN - Lage der Befunde (Stelle 1, 23, 29, 30)

Landesbüro Hessen

Seedammweg 15

D-61352 Bad Homburg

AAB ARCHÄOLOGIE

Archäologische Ausgrabungen +

Bauprojektbetreuung

Dipl.-Kfm. René Bräunig M.A.

Karl-Liebknecht-Straße 34

D-10178 Berlin

Planum 1

Baugrube

Grab

Planum 2

Grab

Störung

Knochen-Deponierung

0 1 2 3 4 5 Meter

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Befund-Nr.(Grab)

Armhaltung Alter (morphologisch)

Geschlecht (morphologisch)

Körperlänge (in cm)

Skelett-Auffällig-keiten

Besonderheiten

2 auf dem Becken gekreuzt

adultus (20-39 Jahre) weiblich 158 im Verband 1 Knopf im Brustbereich, Schuhreste

3 n. f. juvenis (14-20 Jahre) n. f. n. f. Kopf u. Beine n. v. -4 re: auf dem Becken;

li: seitlich, unter Becken

maturus (40-59 Jahre) männlich 160 Kopf gestört -

5 re: auf der Brust; li: n. e.

adultus-maturus (20-59 Jahre) männlich 163 linker Unterarm gestört

-

6 n. f. adultus-maturus (20-59 Jahre) n. f. n. f. wegen Grabungs-grenze nur linker Arm erfasst

-

7 re: auf dem Becken; li: seitlich, unter Becken

adultus-maturus (20-59 Jahre) männlich mind. 155 Kopf gestört, Füße u. Teile des Schie-nenbeins n. v.

3 Knöpfe im Brustbereich

8 auf dem Becken gekreuzt

adultus-maturus (20-59 Jahre) n. f. mind. 146 Füße u. Teile des Schienbeins n. v.

Drahtfragmente einer Toten-krone

9 auf dem Becken gekreuzt

adultus-maturus (20-59 Jahre) männlich mind. 150 linke Seite u. Beine unterhalb der Knies-cheiben n. v.

-

10 n. f. n. f. n. f. n. f. stark zerstört -11 seitlich am Körper adultus (20-39 Jahre) n. f. mind. 140 Füße n. v. -13 n. f. ? infans (7-13 Jahre) n. f. ca. 100 stark gestört, Kno-

chen stark zersetzt, Beine, Arme, Rippen fehlen

-

14 re: seitlich am Körper; li: auf dem Becken

adultus-maturus (20-59 Jahre) weiblich ca. 165 Kopf gestört 1 Knopf im Brustbereich

15 auf dem Becken gekreuzt

adultus (20-39 Jahre) männlich mind. 153 Füße n. v. -

16 n. f. adultus ? n. f. n. f. nur Schienen-, Wadenbein u. Füße übrig

-

17 li: seitlich, unter Becken; re: n. f.

adultus-maturus (20-59 Jahre) weiblich n. f. Kopf u. Becken stark gestört, Beine n. v.

-

18 li: auf dem Becken; re: n. f.

adultus-maturus (20-59 Jahre) männlich mind. 145 Kopf n. v., Unterar-me gestört

-

19 re: auf dem Becken; li: gestört

adultus-maturus (20-59 Jahre) n. f. ca. 150 Füße n. v., Oberkör-per gestört

-

20 re: gestört; li: auf dem Becken

adultus (20-39 Jahre) n. f. mind. 155 re. Seite durch jüngeren Bef. 21 gestört

1 Knopf im Brustbereich, Drahtfragmente einer Toten-krone

21 n. f. n. f. n. f. n. f. nur Schädel erfasst -24 n. f. adultus-maturus (20-59 Jahre)? n. f. n. f. stark gestört u. aus-

schnitthaft erfasstkl. Nadel im Bereich des Be-ckens, Faserreste mit grünen Kor-rosionsspuren

26 n. f. adultus-maturus (20-59 Jahre)? n. f. n. f. stark gestört u. aus-schnitthaft erfasst

-

28 n. f. adultus-maturus (20-59 Jahre)? n. f. n. f. stark gestört u. aus-schnitthaft erfasst

-

Übersicht der dokumentierten Bestattungen (n. f. = nicht feststellbar, n. v. = nicht vorhanden)

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Nähe zum Altar seit dem Frühmittelalter als erstrebenswert galt. Im Mittelalter führte diese sich abzeichnende Norm im Grabbrauch sogar dazu, dass der Bestattungsplatz in der Kirche lag.3 Die zuerst nur Geistlichen vorbehaltene exzeptionelle Grabstätte direkt in der Kirche entwickelte sich trotz mehrfacher Verbote zum Statussymbol für priviligierte Gruppen der Gesellschaft.4 Wohl nicht zuletzt aus Platzgründungen wurde dieser Grabbrauch ebenfalls auf das unmittelbare Umfeld der Kirche übertragen. Anthropologische Untersuchungen zeigen auf, dass die gesellschaftliche Schlechterstellung der Frauen in Mittelalter und Neuzeit sich in diesem Grabbrauch widerspiegelt. Insbesondere bei Bestattungen in Kirchen sind Männer signifikant häufiger vertreten als Frauen.5 Dieser Sachverhalt deckt sich mit den vor Ort ermittelten Ergebnissen der Geschlechtsbestimmung. Das unmittelbare Umfeld der St. Jakobskirche bzw. die direkte Nähe zum Kirchenbau darf demzufolge als nicht alltäglicher, sondern privilegierter Bestattungsplatz gelten.

Die mit der Sargausstattung in Verbindung stehenden Funde lassen mitunter qualitative Unterschiede erkennen, die Rückschlüsse auf die soziale Bedeutungsebene der Verstorbenen zulassen. In zwei Fällen darf sie als besonders exzeptionell, zumindest aufwendig gestaltet gelten: verschiedene florale Pressbleche, die als Metall-Beschläge den Holzsarg zierten, zählen dazu; ebenso massive Sargfüße (Metall) in Gestalt von Löwenpranken. Unverkennbar diente die ägyptische Sphinx als bildgebendes

3 Scholkmann 2000, S. 93ff.

4 Sörries 2011, S. 61.; Fischer 2001, S. 4f.

5 Scholkmann 2000, S. 114. Sargfuß in Gestalt einer Löwenpranke (Foto: Autor).

Freigelegte neuzeitliche Bestattungen südlich der Kirche (Foto: Autor).

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Motiv für die Sargfüße. In der Vorstellung des 19. Jahrhunderts war die Sphinx ein Mischwesen aus dem Körper eines Löwen und dem Kopf eines Menschen und fungierte als eine Art Heimstätte der Pharaonen-Seelen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in den Kreisen der europäischen Elite sogar eine regelrechte Ägyptomanie mit entsprechendem Einfluss auf die Grabarchitektur und die Sargausgestaltung.6 Personen in gehobener sozialer Stellung sowie Familien mit entsprechendem wirtschaftlich-finanziellen Kapital adaptierten diesen Brauch.7

Beim Anlegen des Skelettplanums wurden aus einem Grab die Fragmente von mind. drei Steinzeug-Flaschen/-Krügen geborgen. Die Flaschen selbst sind wohl beim Zusammenbrechen des verfallenden Holzsargs durch das nachrückende Erdreich zerbrochen. Auf einigen Fragmenten lassen sich verschiedene Stempelabdrücke ausmachen: „FACHINGEN“, „R(?)/NUM(...)“, „(...)28“, „WYN[N]D FOCK[INK]/AMSTERDA[M]“.

Der Inhalt der drei erstgenannten Flaschen lässt sich eindeutig als Mineralwasser bestimmen. Seit dem 17. Jahrhundert wird das aus Quellwasser in Glas- oder Steinzeugflaschen abgefüllte Mineralwasser in verstärktem Maße exportiert. Noch bis in das 18./19. Jahrhundert hinein wird dem natürlichen Kohlensäure-Gehalt heilbringende Kräfte beigemessen und als exquisites Kurmittel konsumiert.8 Die rekonstruierbaren tendenziell keulenförmigen bis zylindrischen Gefäßformen der Mineralwasser-Flaschen mit steiler Schulter

6 Meis 2003, S. 104.

7 Presche 2002, S. 17ff.

8 Vgl. Winterberg 2007.

und geraden bis leicht konisch ausgebildeten Hals sind Indizien für eine zeitliche Verortung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.9

Eine der Flaschen stammt aus dem 25 Kilometer von Merenberg entfernten Fachingen, wo man im Jahr 1746 mit dem Wasserversand in eigens angefertigten Behältnissen begann. Die aus Amsterdam bzw. den Niederlanden importierten Flasche dürfte dagegen eine alkoholische Flüssigkeit beinhaltet haben. Der Name Wynand Fockink ist mit einen der größten Spirituosen- und Likörbrennereien in den Niederlanden des 18./19. Jahrhunderts verbunden. Flaschen mit seinem Namensstempel sind seit den 1730-er Jahren im Umlauf.

Die Anwesenheit eines ganzen Flaschen-Ensambles mit vornehmlich »heilbringenden« Inhalten sind Anhaltspunkte für eine Erkrankung, die möglicherweise zum Tod des Verstorbenen geführt hatte. Über die

9 Brinkmann 1981, 98.

Grabinventar/Sargausstattung (Foto: Autor).

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Flaschen zeichnet sich nicht zuletzt eine soziale Bedeutungsebene ab. Noch bis in das späte 19. Jahrhundert hinein galt Mineralwasser als ausgesprochener Luxusartikel. Winterberg betont in seiner Studie: „Während sich wenige wohlhabende und einflussreiche Haushalte qualitativ höherwertiges Quellwasser direkt in den privaten Lebensraum befördern ließen, war der Rest der Bevölkerung auf eine arbeitsintensive Wasserentnahme an öffentlichen und privaten Brunnen angewiesen, deren Wasserqualität sich über die spezifische Wohnsituation ebenfalls entlang finanzieller Kriterien staffelte“.10 Der Konsum von höherwertigen Quellwasser besaß neben der funktionellen Funktion auch Status- und Prestigecharakter.

Aus zwei Gräbern wurden Draht-Fragmente geborgen, die als Überreste von Totenkronen

(Corona Funebris) anzusprechen sind. In einem Fall sind das wenige kleinteilige Stücke geflochtenen Drahtes, die lose verteilt im Bereich des Beckens lagen. Besser erhalten haben sich diejenigen aus einem anderen Grab, sie befanden sich gleichfalls im Beckenbereich. Deutlich erkennbar sind die Drahtbäumchen aus drei Ästen (s. Foto). Am oberen Ende wurde der Draht zusammengedreht bzw. gekordelt. An den drei Einzelenden war je ein Draht zu einer Schlaufe gebogen, um daran eine Perle o. ä zu befestigen. Im vorliegenden Fall

10 Winterberg 2007, S. 175.

hat sich sogar das Fragment einer röhrenförmigen Spreng-/Hackperle erhalten.11

Totenkronen waren in ganz Mitteleuropa vom Ende des 16. bis zum 19. Jahrhundert verbreitet. Volkskundlich-ethnologische Arbeiten zeigen auf, dass Totenkronen bestimmten unverheirateten männlichen und weiblichen Personen, vornehmlich Kindern, gelegentlich auch jungen Erwachsenen, beigegeben wurden. Die nicht selten aufwendig gestalteten Totenkronen sind als »Luxusartikel« einzustufen – ein Indikator für den finanziellen und gesellschaftlichen Status des Verstorbenen respektive dessen Familie.12

Die bei Totenkronen vielfach gemachte Beobachtung, dass sich im archäologischen Befund eine eindeutige Bevorzugung des weiblichen Geschlechts abzeichnet, entzieht sich mit den zwei vorliegenden Fällen der Feststellung. Die morphologischen Merkmale waren nicht aussagefähig genug, um eine Geschlechtsbestimmung vorzunehmen.

Verschiedentlich haben sich Übereste der Totenkleidung erhalten.13 Bei insgesamt vier

11 Derartig bezeichnete Perlen entstanden durch das Wickeln von Glasfluss um einen Stab, anschließend wurden entsprechende Stücke vom Glasstrang abgehackt (Spreng- oder Hackperlen).

12 Zuletzt Lippok 2009 mit einer zusammenfassenden Auswertung zum Stand der Totenkronen-Forschung.

13 Vgl. den Tagungsband zur Totenkleidung in der Neuzeit (Ellwanger 2011)

1 cmDraht-Fragmente einer Totenkrone (Foto: Autor).

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Bestattungen wurden im Brustbereich liegende Vierlochknöpfe aus Porzellan dokumentiert, die von den Totenhemden herrühren. Überreste des Schuhwerks in Form von Lederriemen mit Buntmetallösen liegen ebenfalls vor.

Über das geborgene Fundmaterial lässt sich die Belegungszeit der freigelegten Niveaus auf das 18. bis 19. Jahrhundert festlegen. Hervorzuheben sind die geborgenen Überreste zweier Totenkronen und verschiedene Sargfüße in Gestalt von Löwenpranken. Mehrfach ließen sich an den Bestattungen Attribute mit Status- und Prestigecharakter nachweisen, sie weisen das in direkter Nähe zum Kirchenkörper untersuchte Areal als privilegierten Bestattungsplatz von sozial- und wirtschaftlich besser gestellten Familien und Gruppierungen aus.

Literatur:

Brinkmann 1981 B. Brinkmann, Der Mineralwasserversand in Steinzeugflaschen, in: Der Mineralbrunnen (1984/Heft 3), S. 92-103.

Buchholz/Steppuhn 1994R. Buchholz, P. Steppuhn, Mineralwasserflaschen des 18. Jahr-hunderts aus Steinzeug - eine Fundübersicht aus der Hansestadt Wismar, in: Wismarer Studien zur Archäologie und Geschichte 4, 1994, S. 117-153.

Dehio 1982G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler Hessen, bearb. von Magnus Backes, Darmstadt 1982.

Ellwanger 2010 Karen Ellwanger (Hrsg.) Das „letzte Hemd“: Zur Konstruktion von Tod und Geschlecht in der materiellen und visuellen Kultur, Bielefeld 2010.

Fischer 2001 N. Fischer, Geschichte des Todes in der Neuzeit, Erfurt 2001.

Kenzler 2011 H. Kenzler, Totenbrauch und Reformation, in: Mbl. 23 (2011), S. 9-34.

Lippok 2009 J. Lippok, Corona Funebris – Neuzeitliche Totenkronen als Gegenstand der archäologischen Forschung, BUFM 54 (2009), S. 113-124.

Meis 2003 M. S. Meis, Historische Grabdenkmäler der Wupperregion – dokumentiert und analysiert vor dem Hintergrund der Entwicklung der Sepulkralkultur (Dissertation/Bergische Universität Wuppertal – 12.03.2003).

Presche 2003 Chr. Presche, Die fürstlichen Grabstätten in der Kasseler Martinskirche, in: ZHG 107 (2002), S. 17-69.

Scholkmann 2000 B. Scholkmann, Normbildung und Normveränderung im Grab-brauch des Mittelalters – Die Bestattungen in Kirchen, in: Doris Ruhe & Karl-Heinz Spieß (Hrsg.), Prozesse der Normbildung und Normveränderung im mittelalterlichen Europa, Stuttgart 2000, S. 93-118.

Sörries 2011 R. Sörries, Ruhe sanft. Kulturgeschichte des Friedhofs, Darmstadt 2011.

Winterberg 2007 L. Winterberg, Wasser - Alltagsgetränk, Prestigeprodukt, Mangel-

ware, Münster 2007.

Detail vom Schuhwerk (Foto: Autor).