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407 Bautechnik 85 (2008), Heft 6 Berichte tigen Bauindustrie standen mit ihren Fachleuten „Gewehr bei Fuß“. Der be- nötigte Maschinenpark war vorhan- den, der letzte Untergrundbahnbau lag erst drei Jahre zurück. Materialien, wie Zement, Stahl und anderes sprudelten nur so: ideale Bedingen für solch ein Bauvorhaben. Die Geschwindigkeit, mit der die Arbeiten angegangen wurden, hatte ihren Preis. Die bestehenden Planun- gen waren gelegentlich nicht mehr ganz aktuell. Insbesondere der Bahn- hof Potsdamer Platz ist mehrfach über- arbeitet worden. Am Ende dessen ist diese Bahnhofsanlage bekanntlich auf gut das doppelte Volumen gebracht, der Tunnel vom Brandenburger Tor bis hierher völlig umgestaltet worden [3]. Der Zeitpunkt der Planfeststel- lung etwa Ende Februar 1935 fiel zu- sammen mit den definitiven Vorberei- tungen Berlins für die Olympischen Spiele im Sommer 1936. Eine un- glückliche Kongruenz, wie sich noch zeigen sollte. Planungsänderung und Termindruck Die statt mit einer Etage nun doppel- stöckig gewünschte Ausgestaltung des Tunnels für eine bislang nicht vor- gesehene Kehranlage in der Her- mann-Göring-Straße (kurz zuvor war die vormalige (Budapester) Ebert- Straße an den Ministergärten so um- benannt worden) war bautechnisch an sich banal [4]. Zu bewerkstelligen waren zunächst einmal lediglich die teilweise Vertiefung der bereits im Aus- hub befindlichen Baugrube und deren Verbreiterung um wenige Meter – in der ausreichend breiten Straße im Grunde überhaupt kein Problem [5], [6]. Der Nordsüd-S-Bahn war die westliche Straßenseite zugewiesen, Der vor mehr als 60 Jahren abge- schlossene Bau der Berliner Nord- süd-S-Bahn ist wie kaum eine andere „Großtat“ der Nazis propagandistisch ausgeschlachtet worden. Der von al- len Seiten technisch immer als sehr anspruchsvoll bezeichnete Bau war sicher eine Herausforderung für den Staatsbetrieb Reichsbahn und die be- teiligten Bauunternehmungen. Zwei wesentliche Unglücksfälle jedoch trübten die Freude an der ge- lungenen unterirdischen Durchque- rung der Berliner Innenstadt. Wäh- rend ein Brand am Potsdamer Platz zu Weihnachten 1936 relativ gut un- ter der Decke gehalten werden konnte, ist die Einsturzkatastrophe am Bran- denburger Tor ein Jahr zuvor wesent- lich stärker im Gedächtnis haften ge- blieben. Ein 60-bändiges Konvolut im Berliner Landesarchiv enthält als Gerichtsakte die Essenz des damali- gen Geschehens. In seiner Opulenz scheint es allen Vorwürfen mangeln- der Rechtsstaatlichkeit zu widerspre- chen. Der folgende Beitrag soll eine Rückschau aus heutiger Sicht sein [28]. Arbeitsbeschaffung unter dem Hakenkreuz Genau wie der Bau der Autobahnen war die Realisierung der Berliner Nordsüd-S-Bahn als ein Mittel gegen die Arbeitslosigkeit gedacht und ist es wohl auch gewesen. Bis zu 3100 Ar- beitskräfte waren hier gleichzeitig be- schäftigt. Die Löhne waren nicht eben üppig. Ein Autobahnarbeiter verdiente ca. 50 Pfennig je Stunde, bei der Nord- süd-S-Bahn dürfte es ähnlich gewesen sein [1]. Geld jedenfalls war trotzdem reichlich vorhanden. Mit den schon sechs Monate nach Hitlers Macht- antritt angeschobenen Arbeitsbeschaf- fungsmaßnahmen im Bereich der Reichsbahn sind erhebliche Kapital- mengen mobilisiert, erste Raten so- fort freigegeben worden [2]. Erfah- rene Firmen der Berliner und auswär- Ein tragischer Baugrubeneinsturz beim Bau der Berliner Nordsüd-S-Bahn Michael Braun Bild 1. Mit diesem Foto von ihrer ersten Baustelle an der Nordsüd-S-Bahn zwi- schen Invaliden- und Elsässer Straße warb die Berlinische Baugesellschaft 1934 in der Fachpresse

Ein tragischer Baugrubeneinsturz beim Bau der Berliner Nordsüd-S-Bahn

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Berichte

tigen Bauindustrie standen mit ihrenFachleuten „Gewehr bei Fuß“. Der be-nötigte Maschinenpark war vorhan-den, der letzte Untergrundbahnbau lagerst drei Jahre zurück. Materialien, wieZement, Stahl und anderes sprudeltennur so: ideale Bedingen für solch einBauvorhaben.

Die Geschwindigkeit, mit der dieArbeiten angegangen wurden, hatteihren Preis. Die bestehenden Planun-gen waren gelegentlich nicht mehrganz aktuell. Insbesondere der Bahn-hof Potsdamer Platz ist mehrfach über-arbeitet worden. Am Ende dessen istdiese Bahnhofsanlage bekanntlich aufgut das doppelte Volumen gebracht,der Tunnel vom Brandenburger Torbis hierher völlig umgestaltet worden[3]. Der Zeitpunkt der Planfeststel-lung etwa Ende Februar 1935 fiel zu-sammen mit den definitiven Vorberei-tungen Berlins für die OlympischenSpiele im Sommer 1936. Eine un-glückliche Kongruenz, wie sich nochzeigen sollte.

Planungsänderung und Termindruck

Die statt mit einer Etage nun doppel-stöckig gewünschte Ausgestaltung desTunnels für eine bislang nicht vor-gesehene Kehranlage in der Her-mann-Göring-Straße (kurz zuvor wardie vormalige (Budapester) Ebert-Straße an den Ministergärten so um-benannt worden) war bautechnischan sich banal [4]. Zu bewerkstelligenwaren zunächst einmal lediglich dieteilweise Vertiefung der bereits im Aus-hub befindlichen Baugrube und derenVerbreiterung um wenige Meter – inder ausreichend breiten Straße imGrunde überhaupt kein Problem [5],[6]. Der Nordsüd-S-Bahn war diewestliche Straßenseite zugewiesen,

Der vor mehr als 60 Jahren abge-schlossene Bau der Berliner Nord-süd-S-Bahn ist wie kaum eine andere„Großtat“ der Nazis propagandistischausgeschlachtet worden. Der von al-len Seiten technisch immer als sehranspruchsvoll bezeichnete Bau warsicher eine Herausforderung für denStaatsbetrieb Reichsbahn und die be-teiligten Bauunternehmungen.

Zwei wesentliche Unglücksfällejedoch trübten die Freude an der ge-lungenen unterirdischen Durchque-rung der Berliner Innenstadt. Wäh-rend ein Brand am Potsdamer Platzzu Weihnachten 1936 relativ gut un-ter der Decke gehalten werden konnte,ist die Einsturzkatastrophe am Bran-denburger Tor ein Jahr zuvor wesent-lich stärker im Gedächtnis haften ge-blieben. Ein 60-bändiges Konvolut im Berliner Landesarchiv enthält alsGerichtsakte die Essenz des damali-gen Geschehens. In seiner Opulenzscheint es allen Vorwürfen mangeln-der Rechtsstaatlichkeit zu widerspre-

chen. Der folgende Beitrag soll eineRückschau aus heutiger Sicht sein[28].

Arbeitsbeschaffung unter dem Hakenkreuz

Genau wie der Bau der Autobahnenwar die Realisierung der BerlinerNordsüd-S-Bahn als ein Mittel gegendie Arbeitslosigkeit gedacht und ist eswohl auch gewesen. Bis zu 3100 Ar-beitskräfte waren hier gleichzeitig be-schäftigt. Die Löhne waren nicht ebenüppig. Ein Autobahnarbeiter verdienteca. 50 Pfennig je Stunde, bei der Nord-süd-S-Bahn dürfte es ähnlich gewesensein [1]. Geld jedenfalls war trotzdemreichlich vorhanden. Mit den schonsechs Monate nach Hitlers Macht-antritt angeschobenen Arbeitsbeschaf-fungsmaßnahmen im Bereich derReichsbahn sind erhebliche Kapital-mengen mobilisiert, erste Raten so-fort freigegeben worden [2]. Erfah-rene Firmen der Berliner und auswär-

Ein tragischer Baugrubeneinsturz beim Bau der Berliner Nordsüd-S-BahnMichael Braun

Bild 1. Mit diesem Foto von ihrer ersten Baustelle an der Nordsüd-S-Bahn zwi-schen Invaliden- und Elsässer Straße warb die Berlinische Baugesellschaft 1934in der Fachpresse

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östlich daneben sollte später einmaleine städtische U-Bahn-Linie von Neu-kölln nach Moabit entstehen.

Das diesen Abschnitt betreffendeBaulos IV3 vom Brandenburger Tor biszur Voßstraße war für 1,72 Mio. RMder „Berlinischen Baugesellschaft“(BBG) aus der Charlottenstraße 60übertragen worden. Die BBG war vonder Reichsbahn und ihren Bürokratenzunächst überhaupt nicht wohlgelit-ten, da sie sich mehr durch Hochbau,denn durch unterirdisches Bauen her-vorgetan hatte. Die Firma hatte dannjedoch zu aller Zufriedenheit einesder zuvor vergebenen Baulose, das ander Tieckstraße in der Gegend desStettiner Bahnhofs absolviert. DieserAbschnitt war von der Reichsbahndann sogar zur „Musterbaustelle“ er-klärt worden. Verschiedene Arbeitendort sind in einem Lehr- und Propa-gandafilm „Die Reichsbahn unter denStraßen Berlins“ von der Reichsbahn

aufwendig dokumentiert. Die Über-tragung eines weiteren Bauloses andie BBG in „beschränkter Ausschrei-bung“ war somit überhaupt nicht auf-fällig. Die Arbeiten dort sollten wegender Olympischen Spiele spätestens imMärz 1936 beendet sein, was schonAnfang des Jahres 1935 offenbar nurnoch „mit äußerster Beschleunigungim Dreischichtenbetrieb“ möglichschien [7].

Berliner Bauweise

Nach der auf den Baustellen der Nord-süd-S-Bahn praktizierten sogenanntenBerliner Bauweise geschah der Einbaudes Tunnels in offene, speziell abge-stützte Baugruben. In den gut 30 Jah-ren seit dem ersten U-Bahn-Bau ander Gedächtniskirche hatte sich inBerlin ein System von auf die örtli-chen Bodenverhältnisse – in der Re-gel vom Wasser durchdrungener Fein-

sand – abgestelltes Stützensystem ausStahl- und Holzkomponenten heraus-gebildet, das sich optimal bewährte.Bedingung dafür war jedoch die pein-liche Einhaltung der für die Stand-festigkeit verantwortlichen Rammtiefeder horizontalen Stützen, wie über-haupt die Details peinlich genau inNormblättern festgeschrieben waren.Seitdem waren gut 75 km Untergrund-bahnstrecken allein in Berlin ohneProbleme errichtet worden [8].

Die Firma BBG hatte Mitte De-zember 1934 mit den Rammarbeitenbegonnen und trotz der Umplanungab 1935 zunächst weitere drei Monatelang nach bisherigen Unterlagen un-verändert weitergearbeitet. Anschlie-ßend war bis zum 20. Juni des Jahreswegen schwebender Verhandlungenmit der Stadt Berlin ein Baustillstandeingetreten. Es darf vermutet werden,dass damit ein gewisser Termindruckproduziert worden war. Bei der Wie-

Bild 4. Noch im Sommer 1935 macht die BBG-Baustelleden normalen Eindruck, Blick nach Norden mit dem späterabstürzenden Bagger

Bild 3. Die Ausschachtungsarbeiten an der Baugrube sindim Februar 1935 schon fortgeschritten. Die Straßenbahn istwieder in Betrieb. Rechts wird der Tunnel einmal unter dasHaus neben dem Brandenburger Tor, das OppenheimerschePalais – Pariser Platz 1 – münden. Links im Hintergrund dieKuppel des Reichstags

Bild 2. Der Lageplan macht die Unglücksstelle räumlich nachvollziehbar. Die Hermann-Göring-Straße war ungewöhnlichbreit und ohne wesentliche Randbebauung, was die Bauausführung ungemein erleichterte. Schön zu sehen ist der Bereich,wo der Tunnel wirklich zweistöckig war

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deraufnahme der Arbeiten dann musses eine verhängnisvolle Unterlassungzur definitiven Berichtigung der Bau-pläne gegeben haben [7].

Als Tatsache hat sich später erge-ben, dass im Sommer 1935 die Bau-grube zwar, wie geplant, tiefer ausge-schachtet, die Rammtiefe der Stützenjedoch unerklärlicherweise nicht pro-portional korrigiert wurde. So sinddie minimal geforderten 1,50 m „Ein-bindtiefe“ (d. h. die Tiefe im Erdreich)für die äußeren „Rammstiele“ und3,00 m für die mittleren schnell undgefährlich unterschritten worden. Die-ser eklatante Verstoß gegen elementareGrundsätze der Baugrubengestaltungkonnte nicht ohne Folgen bleiben. Im§ 9 einer erst kurz vor dem Vorfallgültig gewordenen Anweisung war dieÖrtliche Bauaufsicht detailliert regle-mentiert. Danach hatte ein sogenann-ter Bauwart insbesondere für die Ge-währleistung der Höheneinwägungenzu sorgen [7].

Die Konsequenz nur eines Fehlers

Am Mittwoch, dem 20. August 1935,um 1215 Uhr stürzte an der tiefstenStelle – zwischen Tattersall und demGebäude der Amerikanischen Bot-schaft – nahezu die gesamte Bau-grubenaussteifung auf einer Längevon 64 m in sich zusammen. 8000 m3

Sandmassen von beiden Seiten ström-ten nach, ein dort stehender 45-Ton-nen-Bagger senkte sich nach der Bau-grube. Die unmittelbar am Baugru-benrand verlegten Straßenbahngleiseverloren ihren Untergrund und hin-

gen in der Luft [9], [10]. Ein heranna-hender Straßenbahnzug hatte wegender Gefahrenstelle die Fahrt gedros-selt und konnte rechtzeitig anhalten.Aufgrund dessen ist dem Straßen-bahnbetreiber BVG später vorgehal-ten worden, sie habe die Brisanz sol-cher, nah an Baugruben gelegenerStreckenführung zwar erkannt, dieKosten von geschätzt 100000 RM füreine Entschärfung jedoch nicht auf-bringen wollen [11]. Angesichts deröffentlichen Meinung sind dann dieGleise aber im Herbst des gleichenJahres ausreichend weit von der künf-tigen Baugrube weg in den Tiergartenverlegt worden [5], [6, [12]. Der ent-gegen der Wirklichkeit kolportierteAbsturz der Straßenbahn in die Tiefeblieb glücklicherweise auf eine Ro-manhandlung beschränkt [13].

Zum Zeitpunkt des Unglücks wa-ren der laufenden Mittagspause we-gen lediglich die 23 Arbeiter der Zwi-schenschicht mit ihrem Schachtmeis-ter Dümcke an der Baustelle beschäf-tigt. Vier von ihnen konnten problem-los sofort gerettet werden, Dümckeselbst erlitt im Angesicht der Kata-strophe vermutlich eine Herzattackeund verstarb unter Sandmassen, dergefährdete Arbeiter Konetzki dagegenwurde wie durch Wunder gerettet.Die Bergung der übrigen musstezwangsläufig zu einem Wettlauf mitder Zeit werden. Um 1215 Uhr bereitswar das Rettungsamt benachrichtigt,um 1330 Uhr dann Groß-Alarm aus-gelöst worden. Bei der Art des Ein-sturzes war nicht damit zu rechnen,dass sich größere Hohlräume gebildet

Bild 5. Die gleiche Situation einmal in entgegengesetzterBlickrichtung. In Bildmitte der halbabgestürzte Kran

Bild 6. Taghell erleuchtete Unglücksstelle in der Nacht nachdem Vorfall

Bild 7. Eine skizzenhafte Darstellungzeigt, dass sich die Breite der Baugrubenach dem Einsturz auf das Eineinhalb-fache vergrößert hat

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hatten, die den Verschütteten ausrei-chend Luft zum Atmen boten. Diezahllosen aus dem Sand ragendenStahlträger und Holzbohlen solleneine gleichsam gespenstische Szene-rie erzeugt haben, die Baugrube wardanach immerhin eineinhalbmal sobreit wie zuvor [9], [10], [14].

Katastrophenmanagement der Diktatur

Die Aufräumungsarbeiten vor Ort lei-teten für die staatliche Seite der Poli-zeigeneral Daluege, für die Reichs-bahn deren Direktor Schaper und alsörtlicher Bauleiter für den späterenWeiterbau der Technische InspektorMax Schmidt. Als 91-jähriger Bundes-bahnoberrat a. D. schenkte letztererdem Museum für Verkehr und Tech-nik in Berlin am Tag seiner Eröffnung,dem 14. Dezember 1983, ein Albummit 42 exzellenten Fotografien desReichsbahn-Fotografen Max Krajew-ski aus einer größeren Serie, die dasGeschehen dort für den Zeitraumvom Unglückstag 1712 Uhr bis zum30. August um 1330 Uhr dokumentie-ren. Diese Bilder sind heute ein wert-volles Zeugnis der Bemühungen umdie Rettung derVerschütteten und dieWiederherstellung der Baulichkeiten.Schmidt hat nach dem Unfall nochan weiteren interessanten Bauvorha-ben in Berlin teilgehabt. Darüber hin-aus sind mit zahllosen weiteren Foto-grafien (Kosten ab 1 RM) alle diejeni-gen Dinge festgehalten worden, dererman bei der Beräumung der Unglücks-stelle habhaft werden konnte [28],[11].

Vorweggenommen sei, dass derKampf zur Rettung der Opfer ver-geblich blieb. In Etappen zusammen17 Mann (so am 24. August erst die„Leiche 3“, Bruno Kaczmarek) vielspäter dann weitere zwei konnten nurnoch tot von der Baugrubensohle ge-borgen werden. Dabei hatte das Kata-strophenmanagement durchaus funk-tioniert. Neben Feuerwehrleuten – siehatten noch am Vortag die brennendeAusstellungshalle 4 auf dem Messe-gelände löschen müssen –, medizini-schem Personal, der Technischen Not-hilfe und Polizei waren Männer desArbeitsdienstes sofort zugegen, einPionierregiment aus einer Übung inKüstrin abkommandiert sowie derVaterländische Frauenverein, Berg-leute aus Hannover und Bohrfach-leute aus dem Wietzer Ölgebiet her-

Bild 8. Verbogene Träger auf der freigeräumten Baugrubensohle, einige Tage nachdem Vorfall

Bild 9. Amtliche „Tatortskizze“ mit Lage der Toten, August 1935

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beizitiert worden. Die Technische Not-hilfe war bekanntlich in den Revolu-tionsjahren 1918/19 von Otto Lum-mitsch als Notversorgungsstelle fürbestreikte Betriebe gegründet worden.Sie (umgangssprachlich: TeNo) warspäter von den Nazis vereinnahmtworden, dem SS-Chef Himmler unter-stellt und sollte im Krieg beim Luft-

Bild 10. Die Aufräumungsarbeiten sind schon fortgeschrit-ten. Rechts im Bild hinter der frisch abgetreppten Böschungdie Amerikanische Botschaft

Bild 11. Bei schönstem Sommerwetter werden die erschöpf-ten Hilfskräfte vor dem Brandenburger Tor beköstigt. IhrEinsatz ist damit größtenteils beendet, 30. 8. 35

Bild 12. Dankschreiben des Innenministers an den Stromversorger BEWAG fürgeleistete Arbeit

schutz bekannt werden [26], [9], [15].Für die Männer war im Garten desPropagandaministeriums (Nomen estOmen!) ein Lager errichtet. AuchWohnung und Garten des Goebbels-Anwesens und sogar das nahe Adlon-Hotel dienten als Unterkunft für dieMannschaften. Die nahe gelegeneAmerikanische Botschaft war zum

Unglückszeitpunkt kaum besetzt, dasie 1931 abgebrannt und erst bis 1939wieder aufgebaut und bezogen wurde.Jedoch ist auch dort sofort Hilfe ge-leistet worden, was aber in der Pressegeflissentlich unterschlagen wurde[14].

Die Bergleute errichteten auf-wendig Stollen, um zu den Opfernvorzudringen. Allein sie konnten trotzSchichtbetriebs rund um die Uhrnichts ausrichten. VierTage nach demVorfall nachmittags besuchte der Pro-pagandaminister Goebbels den Un-glücksort, einen Tag später für ca.30 Minuten sogar der Führer AdolfHitler.

Geheimrat Schaper von derReichsbahn rapportierte. Hitler sollsich sehr erbost über den Herganggeäußert haben angesichts der sichabzeichnenden Verzögerung und desImageschadens im Vorfeld der Olym-pischen Spiele. Vorsichtshalber wurdedie Unglücksstelle mit einer Sicht-blende der Öffentlichkeit entzogen.Inzwischen hatten Mitarbeiter desStromversorgers BEWAG die durchdas Unglück gerissenen Stromkabelrepariert und die nächtliche Beleuch-tung der Baustelle ermöglicht. ZumAbschluss der Rettungsarbeiten bliebnur ein Essen für alle Helfer aus derGoulaschkanone auf dem Pariser Platzund aber auch eine Hochseeschiffs-reise [16].

Entschädigung und Schaden-beseitigung

Die Familien der Verstorbenen wur-den entschädigt. Erst 50000 RM,

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dann noch einmal 30000 RM vomFührer persönlich, das heißt reichlich4000 RM war dem Staat jedes Lebenwert. Am 30. August fand auf demLustgarten für die bislang 17 Gebor-genen eine bewegende Trauerfeierstatt. Die Särge fuhr man in einemWagenkonvoi – ähnlich wie bei mili-tärischen Festakten – über die StraßeUnter den Linden dorthin. Größenvon Regierung, Partei und Reichsbahnhielten salbungsvolle Reden. Anschlie-ßend hat man die Verblichenen aufverschiedenen Friedhöfen in Berlinbestattet. Wo, ist nicht überliefert. ImVerlaufe des folgenden Tages konntendie letzten beiden Opfer geborgenwerden. Über ihren Verbleib ist über-haupt nichts bekannt geworden [14].

Nach dem Eklat war die BBG fürdie Reichsbahn endgültig „gestorben“.Nur vier Tage nach dem Vorfall ist dieZusammenarbeit von dort wegen „gro-ben Verschuldens“ aufgekündigt wor-

Bild 14. Stapel mit sogenannten gestoßenen Steifen als an-geblicher Beweis mangelhafter Arbeit, August 1935

Bild 15. Noch im August 1935 mussten die tagelang unter-brochenen Straßenbahngleise von der Unglücksstelle weit inden Tiergarten verlegt werden, um den Tramverkehr wiederaufnehmen zu können

den. Schon zuvor indes hatten „inter-essierte Kreise“ Gerüchte über mög-liche nichtarische Abstammung ihrerGeschäftsleitung lanciert. Gar Korrup-tion vermuteten Kritiker, wie sonstwäre man dort wohl an den Bauauf-trag gekommen [28], [10]? Der Fir-menname wird konsequenterweise inspäteren Veröffentlichungen und Bi-lanzen nicht mehr erwähnt. Die Fer-tigstellung des betreffenden, 550 mlangen Bauloses wurde nun der Sie-mens-Bauunion übertragen, freihän-dig, wie es heißt. Die Umstände ließenwohl eine erneute, langwierige Aus-schreibung nicht zu. Siemens war so-wieso schon eng und umfangreich indas Baugeschehen eingebunden gewe-sen. Das schwierige Baulos der Spree-unterfahrung bis zum Bahnhof Fried-richstraße sowie alle diejenigen Ar-beiten zur Chemischen Bodenverfesti-gung hatte man diesem Unternehmenüberantwortet [3]. Die Firma war na-

türlich bestrebt, Fehler des Vorgängersnicht zu wiederholen.

Durch die inzwischen erfolgteWegverlegung der Straßenbahngleisewar die Baustelle jetzt jedoch über-sichtlicher geworden. Bislang in Holzgehaltene Verstrebungsteile fertigteman nun in Stahl. Professionelles Han-deln gewährleistete, dass trotz des an-gebrochenen Winters des Jahres 1935der Baurückstand schnell aufgeholtwerden konnte. Vorteilhafterweisehatte man den Statiker der BBG gleichaus deren „Konkursmasse“ überneh-men können [11]. Ein Propaganda-transparent nach dem Potsdamer Platzgewandt mit den markigen Worten:„Dass wir hier bauen, verdanken wirdem Führer“ sicherte die ohnehin vor-handene Sympathie der Staatsführungzusätzlich.

Am 3. September schon – vierTage nach Bergung des letzten Op-fers – wurde die Baustelle freigege-

Bild 13. Der Trauerzug mit den Sargwagen von zunächst 17 Opfern nähert sich Ende August 1935 inmitten eines lan-gen Spaliers von den Linden her dem Schlossplatz, wo dieTrauerfeier stattfand

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Unterlassungen unterlaufen waren,konnte keine befriedigende Erklärunggewonnen werden. Dies, obwohl 180Zeugen gehört und mannigfaltige Me-thoden zur Rekonstruktion des Sach-verhalts versucht wurden. Selbst einHolzmodell des Unglücksortes ist vor-handen gewesen, der Herr Reichs-minister Goebbels gehört worden.Dafür hat man zu technischen Detailsermüdende Diskurse abgehalten. Vor-würfe zum Einsatz gebrauchten Hol-zes, schlechter U-Eisen sowie wegenunsachgemäßerVerlängerung und Ver-schwertung der Eisenstützen wurdeneingeräumt. Starke Regenfälle an denVortagen, eine Feinsandlinse im Bau-grund und die Erschütterungen durchden dichten Verkehr mindestens dreierStraßenbahnlinien (1, 12 und 13)könnten die Situation zusätzlich ver-schärft haben. Schlussendlich blieb esdem Gericht, die allgemeine Schlam-perei auf der Baustelle und die man-gelhafte Kontrolle dort heftig zu rü-gen. Einig jedenfalls war man sich in-sofern, als die „Berliner Bauweise“ alsdie Methode der Wahl nicht in Fragegestellt wurde.

Am 29. Oktober 1936, dem94. Verhandlungstag, wurde das Ur-teil gesprochen. Wegen Vergehen nach§ 222/1 StGB erhielten Hoffmann2 Jahre 3 Monate Haft, sein BauleiterNoth 1 Jahr und 7 Monate. Die höch-ste Strafe wurde mit 3 Jahren Gefäng-nis über den Reichsbahner Weyherverfügt, die beiden übrigen wurdenfreigesprochen. Weyher hatte sichauch ausgesprochen dumm verhalten,gegen bessere Argumente auf dubio-sen Massnahmen bestanden und so-wieso viel zu langsam reagiert. DieAnwälte der Verurteilten kündigtenBerufung gegen die Strafen an. FürNoth ist dann 1937, für Hoffmannund Weyher sind 1938 „auf dem Gna-denwege“ die Reststrafen zur Bewäh-rung ausgesetzt worden.

Für die BBG sollte sich nunmehrder Druck einer beschleunigten „Ari-sierung“ erhöhen. Ihr derart beschä-digter Ruf indes hat noch bis in dieNachkriegszeit Bestand gehabt [28],[10], [11], [15], [19], [20]. Der Öffent-lichkeit nahezu unbekannt gebliebenist, dass wenige Tage nach dem gro-ßen Unglück unweit davon ein ganzähnlicher Vorfall nur in letzter Mi-nute verhindert werden konnte, wo-bei zuvor an der Baustelle Weiden-damm ebenfalls größeres Missgeschick

Bild 16. Anfang Dezember 1935 macht die Baustelle schon wieder einen norma-len Eindruck. Von dem Unglück vor reichlichen 2 Monaten ist kaum mehr etwaszu erkennen

ben. Weitere zehn Tage darauf gabOberaufseher Schaper das Zeichenzur Weiterarbeit [28]. Das Bauloswurde termingemäß fertiggestellt, biszur Lennestraße als Rohbautunnel,der Rest bis zurVoßstraße vorschrifts-mäßig gedeckelt. Die Kosten habensich trotz der Widrigkeiten noch deut-lich unterhalb des Durchschnitts be-wegt, wie Siemens ohne Nennung derHintergründe anschließend emotions-los berichten konnte. Übrigens hättedort ein solcher Unfall höchstwahr-scheinlich so nicht geschehen kön-nen. Dazu war dieser Boden einfachzu bindig. Die eingelagerten Geröll-schichten machten jedoch mehrereRammträger unbrauchbar [3], [5], [6].Anfang Juli 1937 waren die Arbeitensoweit abgeschlossen, dass man daszuständige Baubüro in der Hermann-Göring-Straße aufheben konnte. DieAnlagen konnten nach der Teilinbe-triebnahme der Nordsüd-S-Bahn – dreiTage vor den Olympischen Spiele – ingewissem Umfang zum Umsetzen derZüge am Endbahnhof Unter den Lin-den genutzt werden.

Die Aufarbeitung der Versäumnisse

Nach den Anfang 1937 vorgestelltenPlanungen der Staatsführung zur Um-gestaltung Berlins sollte die obere Tun-neletage Beginn einer neuen Streckezum zukünftigen Nordbahnhof wer-den. Diese durch das Kriegsgeschehenunverwirklichten Pläne sind heute als„S 21“ wieder hochaktuell [17].

Im Unfallgeschehen unerledigtwaren noch die Feststellung der Schul-

digen und deren Bestrafung geblieben.Zuvor waren zu den Ursachen desVorfalls insgesamt 14 Gutachten vonnamhaften Ingenieur-Wissenschaftlern,u. a. den Herren Hertwig, Schuppan,Dischinger, Halter, Bousset, Franzius,Bautze von der Siemens-Bauunionals bestallter Gutachter des Reichs-verkehrsministeriums, Direktionsprä-sident Remy und Hupfauer von derArbeitsfront (Kosten je ca. 1500 RM)erstellt worden. Eine herausragendePosition nahm zudem der obersteReichsbahn-Brückenbauer GottwaldSchaper ein. Am 1. April 1936 beganndas Verfahren gegen die fünf Ange-klagten vor der II. Großen Strafkam-mer des Landgerichtes Moabit:– gegen Hugo Hoffmann und denörtlichen Bauleiter Fritz Noth von derBerlinischen Baugesellschaft (BBG)– den Reichsbahnoberrat Kurt Kell-berg– den Reichsbahnbauwart WilhelmSchmitt und – den Reichsbahnrat Wilhelm Weyher.

Weyher war Vorstand des imAugust 1934 gebildeten Neubauam-tes 4 mit Sitz im Direktionsgebäudeam Halleschen Ufer 1–4. Insgesamthatte es für den Bau der Nordsüd-S-Bahn sieben zuständige Neubauäm-ter gegeben [3].

Zu der Verhandlung berichtetedie Tagespresse ausführlich und mehr-heitlich objektiv. Die Ursachen fürdas Unglück, wie die Probleme beider Umprojektierung, waren schnellfestgeklopft. Allein zu der Tatsache,dass wohl gleich mehreren gestande-nen Baufachleuten derart gravierende

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nur durch Glück vermieden wurde.Als Beispiel für die schwierige Bere-chenbarkeit des Berliner Baugrundsist dies von einem führenden Kopf derBerliner Baubranche erst lange nachdem Strafprozess publiziert worden[28], [21].

Die Lehren

Der Vorfall selbst und der spätereProzess hatten eine kurzzeitige Wellevon recht sachlichen Veröffentlichun-gen auch in der Fachpresse ausgelöst.Mitte des Jahres 1937 war dann aberRuhe eingekehrt. Bei der Eröffnungdes ersten Abschnitts der Bahn vomStettiner Bahnhof nach der StationUnter den Linden Ende Juli 1936 ver-loren Direktionspräsident Marx unddie übrigen Ehrenredner kein Wortüber das Unglück und die Toten. Nochschwebte ja der Strafprozess gegendie Verantwortlichen. Bei der In-betriebnahme der Gesamtstrecke imHerbst 1939 jedoch erinnerte Reichs-bahngeneraldirektor Dorpmüller – seit1937 in Personalunion auch Verkehrs-minister – letztmalig an die 19 Opfer.Sein diffuses damaliges Versprechenbei deren Beisetzung im Spätsommer1935, ihre Namen für die Nachwelt in„ehernen Buchstaben auf graniteneWand“, bzw. „… in die Geschichtedieser Bahn“ zu meißeln, konkreti-sierte er dahingehend, dass die Na-

men nunmehr in „erzenen“ Buchsta-ben – in geeigneter Form – auf demBahnhof Potsdamer Platz verewigtwerden sollen [9], [10], [14], [22],[23]. Nach derzeitiger Quellenlage istes eher unwahrscheinlich, dass einesolche Ehrung wirklich jemals erfolgtist. Kurios bleibt die Gedenktafelselbst. Zwei nur wenig voneinanderabweichende Entwurfsskizzen dafürsind erhalten geblieben. Die daraufgeschriebenen Namen jedoch sindsämtlich fiktiv, die wirklichen Opfer-namen waren schon 1935 im „Berli-ner Tageblatt“ veröffentlicht worden.

Die Firma Siemens-Bauunion je-denfalls blieb dem U-Bahn-Bau aufDauer verhaftet. War schon die Unter-tunnelung des Landwehrkanals nurmit ihrer Technologie der Heberrohrewirtschaftlich möglich gewesen, so hatsie nach Kriegsende als „Pionier derersten Stunde“ den gesprengten undmit Wasser vollgelaufenen Nordsüd-S-Bahn-Tunnel repariert. Viel späterwar sie zudem maßgeblich am Bauder U-Bahn Essen beteiligt. In einemrenommierten Standardwerk für Bau-ingenieure jedenfalls hat das Unglückals mahnendes Beispiel Einzug gehal-ten [8], [24].

Eine derjenigen Massnahmen, dienicht nur von der Deutschen Reichs-bahn zu den Olympischen Spielen1936 ergriffen worden waren, war dastourismusfreundliche „Aufräumen“vonBerlins Baustellen. Für den Bauplatzder Nordsüd-S-Bahn am Potsdamer

Platz bedeutete dies die Verbannungsämtlicher verzichtbarer Gerätschaf-ten, Buden und Anlagen in den Un-tergrund. In der Tat war gerade dieBaugrube des größten Untergrund-S-Bahnhofs von derartigen Ausmaßen,dass eine solche Verlagerung sich ge-radezu anbot. Anschließend wurde dieGöring-Straße (heute Ebert-Straße)von der Voßstraße aus bis nach demVerkehrsturm unter der Platzmitte hingenauso gedeckelt, wie es 70 Jahrespäter, 2006, mit der Baustelle derU 55 in der Straße Unter den Lindengeschah. Nur dass damals eine lücken-lose Decke aus Holzbohlen zur An-wendung kam, die aber selbst schwer-sten Kraftverkehr und die Straßen-bahn zu tragen vermochte. Es ist nichtübertrieben, von einer kleinen unter-irdischen Stadt zu sprechen, die vonder Oberfläche her überhaupt nichtwahrgenommen wurde. Noch imDezember des Olympia-Jahres 1936führte die Reichsbahn eine ihrer regel-mäßigen Presseführungen dort durch.

Trotz Sensibilisierung weitere Pannen

Am 3. Weihnachtstag dann brachetwa um 18 Uhr unter dieser Hülleein Brand aus. Das Geschehen offen-barte abrupt die Schwachstelle derDeckelung: Ein Zugang dorthin be-stand nämlich nur an einigen kleine-ren Öffnungen. So war nicht nur we-gen der Arbeitsruhe zu den Feier-tagen der Brand längere Zeit unbe-

Bild 18. Im Winter 1935/1936 hat die Siemens-Bauunion die Fertigstellung derArbeiten übernommen. Der Blick führt vom Potsdamer Platz entlang der Her-mann-Göring-Straße zwischen dem Tiergarten, der nun die Straßenbahngleise insich aufnimmt (links) und den Ministergärten (rechts). Hinten links als Orientie-rung die Reichstagskuppel

Bild 17. An Stelle von Fotos im Ge-richtssaal tritt der Zeichner in Aktion.Der Hauptangeklagte berät sich, 1936

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merkt geblieben, bis die sich infolgeder Schwelung gebildeten enormenQualmmengen aus den Ritzen dran-gen. Die Feuerwehr rückte, unterstütztvon Mannschaften der TechnischenNothilfe, an und löste den 5. Alarmaus. Die Leute haben den Untergrundnur mit Atemvollschutz betreten kön-nen, zur Erhellung der Szene dientenMagnesiumfackeln.

Recht schnell jedoch hat man dieMaßnahmen auf den 10. Alarm er-weitern müssen. Schlussendlich wa-ren 19 Löschzüge à 25 Mann gut fünfStunden lang nur damit beschäftigt,den Brandherd unter Kontrolle zu hal-ten, mithin seine Ausdehnung zu ver-hindern. Feuerlöschboote konnten vomLandwehrkanal her erst helfen, nach-dem die Bohlendecke des Platzes müh-

sam eröffnet worden war. Die unmit-telbar daneben ansässigen Machthaberwussten sich wie stets wirkungsvollins Bild zu setzen. „Ministerpräsident“Göring und die „Reichsminister“ Goeb-bels und Frick gehörten zu den erstenSchaulustigen. Über eventuelle Lösch-hilfe ihrerseits ist nichts bekannt ge-worden. Die gemeine Öffentlichkeitwar sowieso sofort von der Polizeiweggesperrt worden, ab dem nächs-ten Tag dann verdeckte ein 3 m hoherZaun die Schadenstelle hermetisch.

Die Ermittlungen der Kriminal-polizei offenbarten als Brandquelle einnachlässig isoliertes eisernes Ofenrohr,das durch mehrere Holzwände geführtund diese infolge Fehlen des „üblichenManteltonrohrs“ letztlich entzündethatte. Als Verantwortliche für diese„fahrlässige Brandstiftung“ sind imJuni 1937 ein Ingenieur der BaufirmaBERGER zu 1000,– RM Geldstrafe,sein Werkmeister zu drei MonatenHaft verurteilt worden. Die Schadens-höhe ist später mit knapp 350000 RMbeziffert worden, was deutlich unterdem Level des Unglücks vom Augustdes Vorjahres lag und vollständig vomBauunternehmen getragen wurde.

Grotesk war dabei die Tatsache,dass auch damals schon Trittbrettfah-rer versucht haben, ihre ganz persön-liche Befriedigung an solchen Ereig-nissen zu finden. Schon wenige Stun-den nach Brandausbruch gab es einen„Bekenneranruf“ im Reichsbahn-Neu-bauamt 4 mit etwa dem Inhalt: „Hiersind die Brandstifter vom PotsdamerPlatz, wir (haben) die Baustelle Pots-damer Platz mit 15 Kohlenanzündernin Brand gesteckt, Hitler verrecke“.Die Spur verlief sich anschließend.

Bemerkenswert bleibt auch dieAnfrage des „Board of Fire Commi-sioners of New South Wales“ im aus-tralischen Sydney vom Januar 1937.Offenbar war die Kunde vom Brandsehr schnell bis dorthin gedrungen.Das Reichsverkehrsministerium gabgern und ausführlich Auskunft, nichtohne darauf hinzuweisen, in solchenund ähnlichen Fällen allerhöchstesAugenmerk auf die feuersichere Um-kleidung der die ganze Deckenkon-struktion tragenden Eisenverstrebun-gen zu halten [25] bis [27].

Quellen

[1] Lärmer, K.: Autobahnbau in Deutsch-land. Berlin, 1975, S. 50 ff, insbes. S. 61.

[2] Röbe: Das Arbeitsbeschaffungspro-gramm der Reichsbahn. In: Die Reichs-bahn 9 (1933), Nr. 28, S. 606–608.

[3] Nordsüd-S-Bahn Berlin. In: Tech-nisch Wirtschaftliche Bücherei, Nr. 71,1939, insbes. S. 5, 8, 9, 11, s. auch: Sie-mens-Bauunion: Einige Bauausführun-gen aus den Jahren 1935–1938. Berlin,1938, S. 2 ff, anon.: Technischer Jahres-rückblick. In: Siemens-Zeitschrift 18(1938), Nr. 3-4, S. 208–209.

[4] Giese, E.: Nordsüd-Stadtbahn An-halter Bahnhof Stettiner Bahnhof. In:Verkehrstechnik 50 (1933), Nr. 20,S. 501-7, s. dazu auch: Rein, H.: FinaleBerlin. Berlin, 1948, S. 554.

[5] Mitteilungen der Siemens-Bauunion:Einige Bauausführungen aus den Jah-ren 1935–1938. 1939, S. 2–4.

[6] o. V.: Technischer Jahresbericht. In:Siemens-Zeitschrift 18 (1938), Nr. 3-4,S. 208–209.

[7] Bousset, J.: Betrachtungen zum Ein-sturzunglück beim Bau der Nordsüd-S-Bahn in Berlin. In: Die Bautechnik 15(1937), Nr. 26 + 29, S. 333–336, 391–394,knapp zusammenfassend kommentiertIn: o. V.: Das Einsturzunglück beim Bauder Nord-Süd-„S“-Bahn in Berlin. In:Schweizerische Bauzeitung 110 (1937),Nr. 14 vom 2. 10. 1937, S. 137, s. dazuauch o. V.: Die Bauarbeiten an der Ber-liner Nordsüd-S-Bahn. In: Verkehrs-technik 52 (1935), Nr. 1, S. 12, BerlinerLokal Anzeiger vom 1. April 1936, s.auch: Deutsche Reichsbahn: Dienst-vorschrift für die örtliche Beaufsichti-gung von Bauten der Reichsbahn, vom1. Juni 1935.

[8] Grundbautaschenbuch. Berlin, 1955,S. 706 ff.

[9] o. V.: Einsturzunglück beim Bau derBerliner Nordsüd-S-Bahn. In: DieReichsbahn 11 (1935), Nr. 36, S. 947-9,s. auch: Hampe, E.: Der Einsatz der In-standhaltungstrupps der TechnischenNothilfe an der Einsturzstelle amBrandenburger Tor. In: Gasschutz undLuftschutz 5 (1935), Nr. 9, S. 228-31,Agenda: Der Einsatz des Rettungsam-tes der Stadt Berlin und des DeutschenRoten Kreuzes an der Einsturzstelle amBrandenburger Tor. In: Gasschutz undLuftschutz 5 (1935), Nr. 9, S. 231–232.

[10] o. V.: Einsturzunglück beim Bauder Berliner Nordsüd-S-Bahn. In: Zei-tung des Vereins Deutscher Eisenbahn-verwaltungen 75 (1935), Nr. 37, S. 785-6,s. auch: Stier, B., Krauß, M.: 125 JahreBilfinger Berger AG. Heidelberg, 2005,S. 254 f, 398, Braun, M.: Über 100 JahreBahntunnelbau in Berlin unter Gewäs-sern mit der „Berliner Bauweise“. In:Bautechnik 84 (2007), H. 3, S. 200–210.

[11] Deutsches Technikmuseum Berlin,Archivunterlagen, s. auch: Reichsbahn-direktion Berlin: Amtsblatt (1939),Nr. 24, S. 266.

Bild 19. Von nun an soll äußerste Sorg-falt demonstriert werden, hier werdenSteifen vermessen und abgepresst

Bild 20. Zeichnung der (nie fertiggestellten) Gedenktafel für die Opfer(Bilder 1–20 Sammlung Braun)

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[12] Landesbildstelle Berlin, Foto Nr. 40460.

[13] Adlon, H.: Hotel Adlon. München,1980, S. 267.

[14] Deutsche Allgemeine Zeitung vom20. 8. 1935 und weitere Zeitungslitera-tur, zit. In: Urban-Halle, P.: Der Ein-sturz beim Bau der Nord-Süd-Bahn.In: S-Bahn Berlin. Berlin, 1984, S. 131-4,Berliner Tageblatt vom 7. Mai 1935, s.zur Rolle der Amerikanischen Botschaftin: Berliner Morgenpost vom 21. August1985 und vom 5. Oktober 2004.

[15] Schaumann, W.: Das Einsturz-unglück des S-Bahn-Tunnels zwischenPotsdamer Platz und BrandenburgerTor vor 50 Jahren. In: Mitteilungen desVereins für die Geschichte Berlins 81(1985), Nr. 3, S. 312–313, s. auch: Ber-lin-Kurier vom 20. August 1985, Hei-mat-Kurier (Beilage des Usedom-Ku-rier) vom 9. Juli 2007.

[16] o. V.: Was die Baugeschichte ver-schwieg. In: Heim und Welt 5 (1952),Nr. 12, s. auch: Das Einsturzunglück inder Hermann-Göring-Straße. In: DerStromkreis 2 (1935), Nr. 11, S. 166-71,anon.: Die Zusammenhänge der BerlinerEinsturzkatastrophe. In: Das schwarzeKorps 1 (1935), 31, S. 1.

[17] Braun, M.: Berliner S-Bahn: Kommtdie S 21 in Fahrt? In: Lok-Rundschau 32(2000), 2, Nr. 188, S. 59–62 .

[18] Hertwig: Zum Einsturzunglück beider Berliner S-Bahn. In: Die Räder 17(1936), Nr. 22 + 23, S. 697-8, 731-2,10–11.

[19] Pucher, A.: Die Ursachen des Bau-unglücks in der Hermann-Göring-Straßein Berlin. In: Zeitschrift des VereinsDeutscher Ingenieure 81 (1937), Nr. 27,S. 801–802.

[20] Fischer: Der Einsturz beim Bau derNordsüd-S-Bahn in Berlin und seineLehren. In: Baupolizeiliche Mitteilun-gen 23 (1936), Nr. 12, S. 140–141, s.auch: Berliner Tageblatt vom 6. Juli1936, vom 10. August 1936, BerlinerLokal Anzeiger vom 1. April 1936, vom29. Oktober 1936.

[21] Dischinger, F.: Die Ursachen desEinsturzes der Baugrube der BerlinerNordsüd-S-Bahn in der Hermann-Gö-ring-Straße. In: Der Bauingenieur 18(1937), H. 3, S. 107–112.

[22] o. V.: Eröffnung der Reststrecke der Berliner Nordsüd-S-Bahn. In: DieReichsbahn 15 (1939), S. 970, eine mehrversteckte Würdigung der Opfer jen-seits der Feierlichkeiten hatte es schon

Ende 1936 gegeben, s. dazu Remy, K.:Die Geschichte der Nordsüd-S-Bahn In:Verkehrstechnische Woche 30 (1936),Nr. 30-31 S. 383–386, insbes. S. 385,auch erschienen als Technisch Wirt-schaftliche Bücherei Nr. 66, 1936, S. 5.

[23] o. V.: Zur Eröffnung der südlichenTeilstrecke der Berliner Nordsüd-S-Bahn. Der Bahningenieur 56 (1939),H. 43/44, S. 694–695.

[24] 50 Jahre Siemens-Bauunion. 1979,unpag.

[25] Bauaktenarchiv der DeutschenReichsbahn.

[26] Illustrierte Zeitung 188 (1937), Nr. 1,S. 18.

[27] Völkischer Beobachter vom 27. De-zember 1936.

[28] Landesarchiv Berlin, RepositurA 358-01, Nr. 2474.

Autor dieses Beitrages:Dr. Michael Braun, Fuchsbau 21, 15366 Hönow

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