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Eine Einführung in das Thema Behandlung von psychisch kranken Flüchtlingen FLUCHT & TRAUMA 13.09.13 Lifeline Dipl.-Psych. Astrid Pabst, mail: [email protected]

Eine Einführung in das Thema Behandlung von psychisch kranken Flüchtlingen Referentinnen: Dr. K. Röhling & A. Pabst FLUCHT & TRAUMA 13.09.13 Lifeline Dipl.-Psych

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Eine Einführung in das Thema

Behandlung von psychisch kranken Flüchtlingen

Referentinnen: Dr. K. Röhling & A. Pabst

FLUCHT & TRAUMA

13.09.13 Lifeline

Dipl.-Psych. Astrid Pabst, mail: [email protected]

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Überblick

Vorstellungsrunde / Erwartungen / Wünsche

Flucht & Krankheit

Therapie von (traumat.) Flüchtlingen

Exkurs Narrative Expositionstherapie (NET)

Dies & Das

Zeit für Fragen und Feedback

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11.04.23

Zentrum für Integrative Psychiatrie (ZIP gGmbH)

Psychosomatik & Psychotherapie

KJP

Klinik für Psychiatrie & Psychotherapie

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Wer ist ein Flüchtling?

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Als Flüchtling wird definiert, wer

"aus der begründeten Furcht vor Verfolgung, aus Gründen der Rasse, Religion,

Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner

politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen

Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch

nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will;

oder der sich als staatenlos infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes

befindet, in welchem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin

zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin

zurückkehren will“.

(Abkommen für die Rechtstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, United Nations High Comissioner for

Refugees).

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Einige Zahlen...

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Asylanträge 2013

59.838 Asylanträge – allein im Juli 9.516

Steigerung um 78,9 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum

Hintergründe & Motive:

Wirtschaftliche/politische Verhältnisse

Menschenrechtsverletzungen & Verfolgung

Familienzusammenführung

Hauptherkunftsländer

Russische Förderation (1.588 Erstanträge)

Syrien (999 Erstanträge)

Serbien (957 Erstanträge)

Afghanistan (730 Erstanträge)

Pakistan (498 Erstanträge) (Quelle: BAMF August 2013)

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Folgen von Folter, Verfolgung und Flucht

Die Situation traumatisierter Flüchtlinge:

• Erleben von Entwurzelung und erschwerter Anpassung

• Leben in einer anhaltenden Belastungssituation („ongoing stress“)

• erschwerte Erholungs-/Heilungsprozesse nach Traumatisierung

• spezifische & unspezifische Stressoren Gefühle von Hilflosigkeit, Abhängigkeit,

Ohnmacht

• oft massive Auswirkungen auf das soziale Bezugssystem

(u.a. Überlastung & Parentifizierung der Kinder und Rollendiffusion)

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Flucht und Krankheit

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Flüchtlinge haben ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen!

Gründe:

• potentiell traumatische Erlebnisse vor/während der Flucht

• Aufenthaltsunsicherheit im Aufnahmeland

• div. psychosoziale Veränderungen & Schwierigkeiten

Häufige Beschwerdebilder:

• Traumafolgestörungen

• Punkt-Prävalenz für die PTBS bei Asylbewerbern in Deutschland: 40%

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Flucht und Krankheit

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Opfer von Folter & organisierter (politischer) Gewalt :

• Folteropfer: PTBS und anhaltende Depression mit ausgeprägter

Suizidalität

• weltweite Zunahme von staatlicher Verfolgung, systematischer Folter &

schweren Traumatisierungen in (Bürger-)Kriegen (z.B. Irak, Syrien)

• Quantitative Erfassung kaum möglich (u.a. ethische Aspekte)

• Hohe Dunkelziffer (u.a. aus Scham, Sprachlosigkeit, Angst

(Kivling-Bodén & Sundbom, 2002; Knipscheer & Kleber, 2006; von Lersner, Rieder & Elbert,

2008; Gäbel, Ruf, Schauer et al., 2006; Maercker, 2009; Gierlichs & Wenk-Ansohn, 2005)

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Folgen von Folter, Verfolgung und Flucht

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Komplexe psychische Folgen:

anhaltende Depression mit ausgeprägter Suizidalität, Angst-/Zwangsstörungen,

schwere dissoziative Störungen, Impulskontrollstörungen, Substanzmissbrauch und

psychogene Essstörungen, somatoforme Störungen (v.a. Schmerzstörungen),

Verschlimmerung vorbestehender körperlicher und psychischer Störungen

„ver-rückt sein“

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Was ist eigentlich ein Psychotrauma?

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Verlust eines geliebten Menschen

Verlust des Arbeitsplatzes

Ehescheidung

Kriegserlebnisse

Naturkatastrophen

Überfälle

…..

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ICD-10„...kurz- oder langanhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würden...“

Kennzeichen

übersteigt die Verarbeitungsfähigkeit der betreffenden Person durch seine Heftigkeit, Plötzlichkeit und Unmöglichkeit der Flucht und/oder Bewältigung

ruft einen akuten Zustand von überflutender Angst, das Gefühl ausgeliefert zu sein und Ohnmacht hervor

Typ-II-Traumata führen meist zu stärker beeinträchtigenden und chronischeren psychischen Beschwerden

Das Traumakriterium

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Formen traumatischer Ereignisse nach Maercker (2009)

Typ-I-Traumata(einmalig / kurzdauernd)

Typ-II-Traumata(mehrfach / langfristig)

Medizinisch bedingte Traumata

Akzidentielle Traumata

schwere VerkehrsunfälleBerufsbedingte Traumata (Polizei, Feuerwehr, Rettungskräfte)Kurzdauernde Katastrophen

langdauernde NaturkatastrophenTechnische Katastrophen (z.B. Grubenunglück)

akute lebensgefährliche ErkrankungenChronische lebensbedrohliche, schwerste ErkrankungenAls notwendig erlebte medizinische Eingriffe

Interpersonelle Traumata

sexualisierte Übergriffe (z.B. Vergewaltigung)Kriminelle / körperliche Gewaltziviles Gewalterleben(z.B. Banküberfall)

sexualisierte und körperliche Gewalt / Missbrauch in der Kindheit bzw. im ErwachsenenalterKriegGeiselhaftFolterPolitische Inhaftierung

komplizierter Behandlungsverlauf nach angenommenem Behandlungsfehler

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PsychotraumaPsychotrauma

ÜbererregungÜbererregung

Affektdys-regulationAffektdys-regulation

DissoziationDissoziation

Wieder-erlebenWieder-erleben

Schuld-gefühleSchuld-gefühle

Substanz-missbrauchSubstanz-missbrauch

DepressionDepression

Persönlich-keitsver-änderungen

Persönlich-keitsver-änderungen

Somati-sierungSomati-sierung

Abb. Spektrum psychopathologischer Veränderungen nach Traumatisierung (Elbert et al. 2007)

(patholog.)Trauer(patholog.)Trauer

PTBS

VermeidungVermeidung

Zwänge &ÄngsteZwänge &Ängste

Aktue Belastungsreaktion

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Traumafolgestörungen 11.04.23

• Akute Belastungsreaktion ICD-10: F43.0

• Anpassungsstörung ICD-10: F43.2

• Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10: F43.1

• Andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung

ICD-10: F62.0

• Dissoziative Störungsbilder F44

• Somatoforme Störungsbilder F54.4

• (Emotional Instabile Persönlichkeitsstörung F60.3)

• Dissoziale Persönlichkeitsstörung F60.2

• Essstörungen F50

• Substanzabhängigkeit F1

• Somatoforme Störungen F45

(S3-Leitlinie PTBS, Trauma & Gewalt Heft 3/2011)

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Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)

A Traumatisches Ereignis: Angst, Hilflosigkeit, Entsetzen

B Intrusionen:anhaltende Erinnerungen oder Wiedererleben der Belastung durch aufdringliche Nachhallerinnerungen, lebendige Erinnerungen, sich wiederholende Alpträume, flashbacks

C Vermeidung:Umstände, die der Belastung ähneln, mit ihm in Verbindungstehen oder daran erinnern könnten, werden möglichst vermieden

D Hyperarousal (min. 2):Ein-/Durchschlafstörungen, Reizbarkeit & Wutausbrüche,

Konzentrationsschwierigkeiten, Hypervigilanz, Schreckhaftigkeit

E Zeitkriterium: Kriterien treten innerhalb 6 Monate nach dem Ereignis auf F Funktionsbeeinträchtigung: soziale Beziehungen, Alltagsbewältigung, Beruf

(nach ICD-10: F43.1)

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Symptome der Andauern den Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung

• Traumatisches Ereignis in der Vergangenheit

•Persönlichkeitsveränderunge (min 2): feindliche/misstrauische Haltung; sozialer Rückzug; andauerndes Gefühl von: Leere & Hoffnungslosigkeit, Nervosität oder Bedrohung ohne äußere Ursache, der Entfremdung

•Weitere Kriterien: Symptomatik hat nicht vor dem Ereignis bestanden Symptomatik ist nicht durch eine andere psychische Störung verursacht die Persönlichkeitsveränderung besteht seit min. 2 Jahren

Im Falle einer vorangegangenen PTBS sollte die o.g. Diagnose nur angenommen werden, wenn die Kriterien einer PTBS vorher min. 2 Jahre erfüllt waren (Diagnose: 2 Jahre PTBS + 2 Jahre Persönlichkeitsveränderung)

(nach ICD-10: F62.0)

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Symptome einer Depression

A Dauer: mind. 2 Wochen

B keine hypomansche Episode in der Anamnese

C kein Missbrauch von psychotropen Substanzen o. organische psychische Störung

D somatisches Syndrom: Interessenverlust, Appetitverlust, Affektarmut und verminderte Schwingungsfähigkeit, Morgentief, psychomotorische Hemmung/Agitiertheit, Gewichtsverlust/-zunahme, Libidoverlust

E Schweregrad: leicht, mittel, schwer (mit/ohne psychotische Symptome)

Symptome: depressive Stimmung, Interessen/-Freudverlust, verminderter Antrieb, Verlust von Selbstvertrauen, vermindertes Selbstwertgefühl, Schlafstörungen, Grübelneigung, Suizidgedanken, Konzentrationsstörungen

(nach ICD-10)

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Prävalenz der PTBS

Die Häufigkeit von PTBS ist abhängig von der Art des Traumas!

• ca. 50 % Prävalenz nach Vergewaltigung• ca. 25 % Prävalenz nach anderen Gewalttaten• ca. 50 % bei kriegs-, Vertreibungs-, Folteropfern• ca. 10 % bei Verkehrsunfallopfern• ca. 10 % bei schweren Organerkrankungen (Herzinfarkt, Malignome)

Die Lebenszeitprävalenz für PTBS in der Allgemeinbevölkerung mit länderspezifischen Besonderheiten liegt zwischen 1 % und 7 % (Deutschland 1,5 % - 2 %).

Die Prävalenz subsyndromaler Störungsbilder ist wesentlich höher.

Es besteht Chronifizierungsneigung.

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(S3-Leitline PTBS; Flatten et al. 2010)

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• die Wahrscheinlichkeit an einer PTSD zu erkranken steigt mit der Anzahl erlebter unterschiedlicher Traumatisierungen (> 25 traum. Ereignisse p (PTSD) ≈ 100%)

(Neuner et al. 2004, Kolassa & Elbert 2007)

• kann ein (psycho-)traumatisiertes Gehirn vergessen? Annahme: es bleiben lebenslang „Narben“ und somit eine erhöhte Verletzlichkeit bestehen

„Building Block Effekt“

Kim Phuc, Vietnam 8. Juni 1972

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Resilienz-/ Schutzfaktoren

• Persönlichkeitsfaktoren

• psychosoziale Faktoren • sonstige Faktoren

(Maercker 2010: Foken 2010, Masten 2007)

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Risikofaktoren

• Prä-traumatisch

• Peri-traumatisch

• Post-traumatisch

(Maercker 2010: Ozer 2003, Brewin 2000, Wittchen et al. 2009)

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Emotional Brain (LeDoux)

Flashbacks: nicht kontrollierbar, ohne zeitlichen & örtlichen Kontext

über visuellen Thalamus:schnelle, erste, aber ungenaueStimulusidentifizierung

über visuellen Kortex: langsame, aber genaue Verarbeitung

Hippocampus: durch hohe Konz.Stresshormonen erst steigende, dann gehemmte Funktion;Kontextfaktoren

Amygdala: Einspeicherung von Sinnesreizen; überaktiv

Sprachsystem: geblockt

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Sensorisch-perzeptuelles Netzwerk (P. Lang, 1994): Erster romantischer Kuss

sensorisch kognitiv physiologischemotional

Narrenmarsch

Menschenmassen

Braune Augen

Ist der süß!

Telefonnummer?

Nervosität

Angst

Kribbeln im Bauch

Herzschlag

HOTFreude

Zu der Zeit ging ich in die 7.

Klasse

Ich lebte in Rottweil

Kurz davor war der Fasnachtsumzug zu

EndeCOLD

ParfümMist, Herpes!

(Martina Ruf 2010)

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Damals wohnte ichin Gaziantep

Wir schauten gerade eine TV Sendung

Es passierte am frühen AbendCOLD

sensorisch kognitiv physiologischemotional

Schreie der Mutter

Polizei

Pistole

Sie werden uns töten

Ich kann nichts tun!

Angst

Wut

Verzweiflung

Schnelle Atmung

Herzrasen

HOT

SchwitzenWohnzimmer

EntsetzenZittern

Warum hilftuns keiner?

Furchtnetzwerk nach traumatischem Ereignis (P. Lang, 1994): Übergriff durch Polizei

(Martina Ruf 2010)

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Angst

Herzschlag

Schwitzen

Stock

Scham

Alkoholatem

Wird es aufhören?

Warum tut er das?

Gebückte Haltung

Schuld

Schreie der Mutter

Wasser

Es tut weh!

Ich kann nichts tun!

AngstSchnelle Atmung

Geräusch der Welle

Entsetzen

Zittern

Warum hilftuns keiner?

Puppe der Schwester

Schwitzen

Kampfflugzeug

Ich werde sterben!

Wo soll ich hinlaufen? Wut

Verzweiflung

Herzrasen

Blut

Kopfschmerzen

taube Beine

Tempel

(Martina Ruf 2010)

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Typen einer Posttraumatischen Belastungsstörung

„The Body keeps the score – der Körper vergisst nicht.“ (van der Kolk)

• Dissoziativer Typus: kaum Intrusionen, numbing, Dissoziation...

• nicht-dissoziativer Typus: Intrusionen, Hyperarousal...

• Fazit: die Symptome sind nicht immer eindeutig

eine umfassende Diagnostik ist

erforderlich

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Dissoziationen

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„Kooperationsprojekt zur

psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung

von traumatisierten Flüchtlingen

in Schleswig-Holstein“

(4. EFF-Projekt des ZIP, seit Januar 2012)

Dr. G. Paulsen, U. Gerigk, S. Erdag, M. Hering, A. Schlebrowski, A. Pabst

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„Kooperationsprojekt zur

psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung

von traumatisierten Flüchtlingen

in Schleswig-Holstein“

(4. EFF-Projekt des ZIP, seit Januar 2012)

Dr. G. Paulsen, U. Gerigk, S. Erdag, M. Hering, A. Schlebrowski, A. Pabst

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psychiatrisch erkrankte Flüchtlinge !!!

Fazit:•es handelt sich nicht um ALLE Flüchtlinge, sondern nur einen bestimmten Personenkreis

•nicht jeder, der ein potentielles Trauma erlitten hat, wird/ist psychisch krank

Zielgruppe ???

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Problemanalyse

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hoher Bedarf an medizinischen, psychiatrischen, psychotherapeutischen Hilfen

erhöhte Zugangsschwellen zu Einrichtungen des Gesundheitswesens

fehlende Kenntnisse über das deutsche Gesundheitssystem

poststationäre Anbindung psychiatrisch erkrankter Flüchtlinge problematisch

eingeschränkte sprachliche Kompetenzen

aufenthaltsrechtliche Einschränkungen

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Integratives Versorgungskonzept ZIP Kiel

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Psychiatrische Behandlung

psychotherapeutische Behandlung

Sozialpädagogische Hilfen und psychosoziale Beratung

Interdisziplinäre Hilfeplanung

PhysiotherapieErgotherapie Kognitives (Sprach-) Training

Ziel: umfassende und am Bedarf orientierte Versorgung von Flüchtlingen

Einsatz von fachlich geschulten Dolmetschern

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Diagnostik

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Ambulante Kurzanamnese

Ausführliche Anamnese: Kieler Interviewleitfaden

Standardisierte Testverfahren: Selbst- und Fremdbeurteilung

Depression (HAMD, HSCL-25)

PTSD (CAPS, PDS)

...

klinischer Eindruck

Vorbefunde

Ärztliche Untersuchung

Sozialpädagogische Einschätzung der psychosozialen Situation

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Physische und psychische Beschwerden

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Symptome•Ängste

•Schlafstörungen & Alpträume

•innere Unruhe/ Nervosität

•Intrusionen (quälende Erinnerungen)

•Hyperarousal

•Antriebsschwäche

•Grübelzwänge

•depressive Stimmung & Reizbarkeit

•Vegetative Beschwerden

•Kopf-/ Rückenschmerzen

•Konzentrationsstörungen

•........

AnpassungsstörungenAnpassungsstörungen

DepressionDepression

AngststörungenAngststörungen

SomatisierungsstörungSomatisierungsstörung

PTBSPTBS

..................

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Fallvorstellung I

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Mustafa A., geb. 08.02.92

Anlass der Vorstellung• Abschiebung

Beschwerdebild• keine Freude, grübeln, Ängste, Intrusionen, weinen, Somatisierung, Lärmempfindlichkeit, Schlafstörung • Zukunftsängste, Hoffnungslosigkeit, Suizidgedanken...

Therapie• Komplexangebot ZIP incl. NET

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Vorerfahrungen mit Psychiatrie/Psychotherapie I

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Somalia: Psychiatrie & Therapie gab es faktisch nicht; Depression = krank im Kopf; Hilfe dort: Koran lesen & Rituale; Hilfe durch den Imam; Spritzen vom Arzt; Hilfe nur gegen Geld

Afghanistan: im Dorf kein Arzt und kein Wissen über Psychiatrie & Psychotherapie; psychisch krank = dumm/doof; in den größeren Städten gibt es inzwischen Therapieangebote

Aserbaidschan: Wissen, dass es entsprechende „Orte“ gibt - da bringt man „die ganz Verrückten“ hin, die sich nicht kontrollieren können; Hausarzt; über Ängste & co hat man lieber nicht gesprochen

Tschetschenien: nur aus dem Kino bekannt; Schweigen über psych. Beschwerden („peinlich & gefährlich“); Klapse für „richtig behinderte und nicht sozialfähige Menschen“

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Vorerfahrungen mit Psychiatrie/Psychotherapie II

Algerien: 1 Psychiatrie in Algier für die ganz Verrückten, keine Vorstellung darüber – Angst davor; Verschweigen psychischer Erkrankungen

Irak: wenig Therapiemöglichkeiten – nur Tabletten, Spritzen; psychisch krank = gesellschaftliches Todesurteil; Betroffene wurden zu Hause versteckt; psych. Beschwerden unter dem Tarnmantel; hoher Bedarf: Wissen über Flüsterpost, Zeitung, Frauengespräche; keine Unterstützung

Kosovo: psychisch krank = verrückt & gemieden; Psychiatrie = für die, die „sich verloren haben“, katast. Zustände, Medikamente; Angst vor Ärzten & „Verrückten“; Probleme allein gelöst oder Tabletten vom HA; Schweigen

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Erwartungen an die Behandlung im ZIP

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ZIP = Psychiatrie = „ich bin verrückt“

Behandlung mit Tabletten, evtl. Beratung

nur Akuthilfe

Angst vor stationärer Aufnahme

Angst vor „elektrischen Methoden“

kein anderer Ausweg („auf dem Weg zum Verrücktsein“, „Kopf

explodiert“, „tiefe Depression“)

Angst & Scham

Gespräche anfangs befremdlich (v.a. über Vergangenheit)

Hoffnung auf Hilfe (Empfehlung durch andere)

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Gedanken über die Behandlung im ZIP

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mit der Zeit Vertrauensaufbau

gute Anlaufstelle („nicht mehr so allein mit Problemen“)

Informationen über „das Leben“ (in Deutschland) hilfreich

gerade die Konstellation aus verschiedenen Angebote hilfreich

Informationen über psych. Erkrankungen hilfreich

Bild über Psychiatrie & psychische Erkrankungen verändert

Ordnung im Kopf & Erleichterung

besseres „sich-selbst-verstehen“

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Therapiemöglichkeiten

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individuell, störungsspezifisch, interdisziplinär &

multiprofessionell

• medikamentöse Therapie (z.B. Sertralin, Paroxetin)

• Kognitiv-verhaltenstherapeutische Techniken

• Traumatherapeutische Interventionen

• Alltagskompetenztraining

• Entspannungstechniken

• Stabilisierungstechniken

• supportive Gespräche

• Krisenintervention

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Therapie mit Flüchtlingen

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Zentrale Themen

Trauma

Trauer & Verlust

Rollenveränderung

eingeschränkte Möglichkeiten & Statusverlust (=Selbstverlust?)

Einsamkeit

Zukunftsängste

Unsicherheit & Warten

Auseinandersetzung mit eigenem biog./kult./rel. Hintergrund im

Kontrast zum Aufnahmeland

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Therapie mit Flüchtlingen

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„Ist der Andere vielleicht anders anders als ich denke?“

„Ist es für eine gute Therapie im interkulturellen Kontext wichtig diesem Anderen anders zu begegnen als den anderen Anderen?“

„Ist nicht jeder Andere anders?“

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„anders sein“

...oder doch nicht?

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Beratung und Therapie von Flüchtlingen

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Voraussetzungen:

•Interesse & eine gewisse Portion Neugier

•Bereitschaft zur Selbstreflexion

•Rogers: Empathie, Wertschätzung, Kongruenz

wichtige Aspekte

•Akzeptanz, Integration, Lösungsorientierung

•Beachtung von „psychosozialen Nischen“

•Beachtung der kleinen & großen sozialen Netzen

•UMF ≠ erwachsene Flüchtlinge ≠ Familien

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Beratung und Therapie von ( traumat.) Flüchtlingen

11.04.23

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Umgang mit „Retraumatisierungen“

11.04.23

Definition:

emotional belastendes Vorgehen, ohne nachhaltige Erleichterung

Reaktualisierung des Traumas (Bewältigung mgl.) kurzfristige Verschlechterung

des Befindens

ohne emotionale Stabilisierung langanhaltende Verschlechterung

≠ therapeutische Konfrontation

(Maercker & Rosner, 2006)

Was tun?

beachte: Subjektivität ist entscheidend

Notfallpsychologische Interventionen: Stabilisierung, kontroll- & ressourcen-

fokussierte Verfahren

bei komplexer Erkrankung: medikamentöse Therapie & alltagsstrukt. Behandlung

Flexibilität erforderlich

(Gurris & Wenk-Ansohn, 2009)

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Drohende Abschiebung

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• keine Gewährleistung der erforderlichen ärztlichen, psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung

• faktische Gefahr erneuter Traumatisierung (z.B. Verfolgung, Unterdrückung von Minderheiten)

• Gefahr einer Retraumatisierung – ausgelöst durch Trigger & antizipierte Ängste

• Verstärkung der psychiatrischen Beschwerden

• erneute Entwurzelung bzw. Vertreibung und Trennung

• Unterbrechung einer laufenden Therapie („unfertig“)

• erhöhtes Suizidrisiko

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„ver-rückt“?!

„Wer “traumatisiert” ist, hat den Raum des Schreckens nie verlassen. Die ‘Wirklichkeit’ eines traumatisierten Menschen ist das Trauma, nicht die gegenwärtige Realität.“ (Schauer)

„Ich kann mir keinen Zustand denken, der mir unerträglicher wäre, als bei lebendiger und schmerzerfüllter Seele der Fähigkeit beraubt zu sein, ihr Ausdruck zu verleihen.“ (Montaigne)

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Narrative Expositionstherapie (NET)

( ‘Ex’-position= Heraustreten aus der Position des

Traumageschehens durch das bewusste Wiedererfahren)

Merkmale

• Konzeption für Feldbedingungen in Kriegs-/Krisengebieten

• kurzzeitige Intervention • kultursensitiv und universell • bei multiplen Traumata einsetzbar• wissenschaftlich fundiert

Die Narrative Expositionstherapie (NET)

Schauer, M., Neuner, F., Elbert, T. (2005/11). http://www.vivo.org

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Damals wohnte ichin Gaziantep

Wir schauten gerade eine TV Sendung

Es passierte am frühen AbendCOLD

sensorisch kognitiv physiologischemotional

Schreie der Mutter

Polizei

Pistole

Sie werden uns töten

Ich kann nichts tun!

Angst

Wut

Verzweiflung

Schnelle Atmung

Herzrasen

HOT

SchwitzenWohnzimmer

EntsetzenZittern

Warum hilftuns keiner?

Furchtnetzwerk nach traumatischem Ereignis (P. Lang, 1994): Übergriff durch Polizei

(Martina Ruf 2010)

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Angst

Herzschlag

Schwitzen

Stock

Scham

Alkoholatem

Wird es aufhören?

Warum tut er das?

Gebückte Haltung

Schuld

Schreie der Mutter

Wasser

Es tut weh!

Ich kann nichts tun!

AngstSchnelle Atmung

Geräusch der Welle

Entsetzen

Zittern

Warum hilftuns keiner?

Puppe der Schwester

Schwitzen

Kampfflugzeug

Ich werde sterben!

Wo soll ich hinlaufen? Wut

Verzweiflung

Herzrasen

Blut

Kopfschmerzen

taube Beine

Tempel

(Martina Ruf 2010)

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Theoretischer Hintergrund der NET

Deklaratives Gedächtnis

(Hippocampus)

• Kontextverständnis

• Eckdaten des Ereignisses

• Einordnung in Raum & Zeit

• chronologischer Bericht

„kalt“

Nicht-deklaratives Gedächtnis

(Amygdala)

• „Hier & Jetzt“-Qualität

• sensorische, emotionale & physiologische Eindrücke

• fragmentierte Inhalte

• getriggert durch Hinweisreize → subj. kaum kontrollierbar

„heiß“

keine konzeptionelle Verarbeitung & Integration der neuen Erlebensinhalte

(Neuner, Schauer & Elbert, 2005/11)

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NET: Ablauf & therapeutisches Vorgehen

• Erstellen einer konsistenten Narration entlang der Lebenslinie

• „Hot spots“detaillierter Bericht Aktivierung der sensorisch-perzeptuellen Elemente→ Verknüpfung heißer & kalter Elemente

• wertfreie Exploration der Gedanken, Gefühle, Körpersensationen und Bedeutungsinhalte

• Kontrastierung „damals“ vs. „heute“

• ´Ex´-Position

• wiederholte Exposition > Habituation

Ziele Reduktion der PTBS-Symptome Aufbau eines vollständigen biographischen

Gedächtnisses

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NET – ein Fallbeispiel

• Frau S. (45 J.) 2001 mit 2 Kindern (9/11) aus Bosnien geflohen

• vor der Flucht: Krieg in Bosnien

• Diagnose: ICD-10 F43.1 PTSD, ICD-10 F33.2 rez. Depression (schwere Episode)

• Therapie im ZIP Okt. 08 – Dez. 10: Pharmakotherapie, NET, soz.päd. Hilfe

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Narration Frau S.

„Ich kam auf dem Weg an einer Schule vorbei und sah viele Kinder auf demSchulhof. Plötzlich hörte ich ein Flugzeug ganz nah. Mein Herz fing an schneller zu schlagen und ich spürte ein Dröhnen in meinem Kopf. Es folgtenmehrere Bombeneinschläge und Explosionen. Ich hatte keine Zeit zum Denken. Ich wurde von einer Druckwelle weggedrückt und in den Kanalgraben geschleudert. …….Ich versuchte meine weinenden Kinder zu beruhigen und aufzustehen, aber es fehlte mir an Kraft. Ich sah überall Rauch und hörte viele laute Schreie. Ich sah auch eine Frau mit ihrem Sohn in meiner Nähe. Ich kannte sie ihr - Mann war ein Kollege meines Mannes. Die Frau lag dort auf der Strasse – ihr Körper war völlig intakt, aber ich wusste dass sie tot war. Der Körper ihres Sohnes war völlig zerstückelt und nicht zu erkennen. Mir wurde übel bei dem Anblick und ich bekam Angst um meineKinder. Ich schaffte es irgendwie aufzustehen und mit meinen Kindern die Strasse entlang zu laufen. Auf dem Spielplatz war eine einzige riesige Blutlache zu sehen – wie auf einem Schlachtfeld. Ich konnte den Anblick derToten Kinder kaum ertragen. Die Luft war ekelhaft und stechend. Mein Mann kam uns suchend entgegen und als ich ihn sah, war sein Gesicht voller Sorge.Ich fühlte Erleichterung und Angst gleichzeitig.“

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Therapeutische Wirkstoffe

• chronologische Rekonstruktion des autobiograph. Gedächtnisses

• verlängerte Exposition der ‘Hot Spots’

• Verortung und Vergeschichtlichung

• Anerkennung des geschehenen Unrechts

• kognitive Neubewertung & Neuinterpretation

• Stabilisierung des Selbstwertes und der Identität

Ausblick

• KIDNET (Ruf et al., 2006)• FORNET (Elbert et al., 2012)

Die Narrative Expositionstherapie (NET)

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Umgang mit Dissoziationen

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Problematische Situationen in der Beratung &Therapie

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Wenn es irgendwie „anders“ läuft....

„Nervenzusammenbruch“?

Kommunikationsproblem?

alles nur Theater?

gereizt?

begründete Krise?

Einige Fallbeispiele:

Frau K. („Nervenzusammenbruch“)

Frau Y. (Dissoziation)

Herr S. (gereizt)

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Was tun?

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Ruhig bleiben!

Kommunikationsproblem?

alles nur Theater?

Gereizt & aggressiv?

begründete Krise?

„Nervenzusammenbruch“?

Dissoziation?

Klärungsversuch

Brücken bauen („wohlwollende Vernachlässigung“)

„deeskalieren“

Klärungsversuch

beruhigen, ggf. prof. Hilfe

Hier & Jetzt

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Interkulturelle Kommunikation

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• Offenheit & aufrichtiges Interesse an der jeweiligen Kultur

• Respekt (u.a. Höflichkeitsregeln beachten)

• achtsamer Umgang mit Tabuthemen und Scham

• den jeweiligen Kommunikationsstil beachten und nutzen/aufgreifen

• Bedeutung von Metaphern, Redewendungen, Wörtern erfragen

• zirkuläres Fragen, Annähern aus verschiedenen Perspektiven

• Missverständnisse klären & zu Rückfragen ermuntern

• Reflektion & Transparenz bzgl. der eigenen Kultur

• Dialog über Differenzen der Herkunfts-/ Exilkultur

• Transparenz bzgl. der Rolle als Therapeut und der Therapie

• Schweigepflicht mehrfach betonen

• Einfallsreichtum & Mut zur Improvisation (z.B. zeichnen, Weltkarte, Bilder)

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Überwindung von Sprachbarrieren I

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Familienangehörige & Bekannte als Sprachmittler sind

problematisch!

Scham & Stolz & Macht

Rollenverschiebung

Grenzüberschreitungen

keine Kommunikation auf Augenhöhe

Kinder werden überfordert

Gefahr der Verantwortungsverschiebung

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Überwindung von Sprachbarrieren II

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Wenn kein Dolmetscher hinzugezogen werden kann...

•„offene Runde“: Gespräch mit- statt übereinander!

•nach Tabu-Themen fragen

•Schieflage durch nonverbale Aspekte ausgleichen

•einfache Erklärungen & klare Botschaften

•Rückversicherungen

•Kindern Verantwortung nehmen

•kreativ werden

•Infomaterial in verschiedenen Sprachen

Sprache ≠ Kommunikation!

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Einsatz von Sprachmittlern

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• Wissen über beide Kulturkreise und Sprachen

• Neutralität

• Gleichgeschlechtlichkeit

• klar definierte Rolle & Aufgabe

• Schulungen & ggf. Vereidigung

• keine „informelle“ Sozialarbeit

Sprache ≠ Kommunikation!

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!