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Universität Trier Fachbereich I – Psychologie Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer Mechanismen der Selektiven Aufmerksamkeit im Paradigma des Negative-Location-Priming Diplomarbeit vorgelegt von Hannes Ruge im Mai 2000 Betreuer: Dr. Ewald Naumann Prof. Dr. Dieter Bartussek

Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

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Universität Trier

Fachbereich I – Psychologie

Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer

Mechanismen der Selektiven Aufmerksamkeit im Paradigma

des Negative-Location-Priming

Diplomarbeit

vorgelegt von Hannes Ruge

im Mai 2000

Betreuer:

Dr. Ewald Naumann

Prof. Dr. Dieter Bartussek

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0 Zusammenfassung und Dankeszeilen................... 1

1 Allgemeiner Überblick......................................... 2

1.1 Klärung des Begriffs Aufmerksamkeit und ein

Vorwort ................................................................ 3

1.2 Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit............. 5

1.2.1 Exogene versus endogene Aufmerksamkeit......... 5

1.2.2 Frühe versus späte und periphere versus

zentrale Selektion ................................................. 6

1.2.3 Automatische versus kontrollierte Verarbeitung 7

1.2.4 Feature Integration: Die besondere Rolle

räumlicher Information ........................................ 8

1.2.5 Die Spotlight-Metapher........................................ 8

1.2.6 Exekutive Kontrolle.............................................. 9

1.2.7 Drei empirische Fragestellungen...........................10

2 Inhibition .............................................................. 12

2.1 Exitation und Inhibiton .........................................12

2.2 Das konnektionistische Modell von Houghton

und Tipper ............................................................ 13

2.3 Das Negative-Priming Paradigma.........................16

2.3.1 Das experimentelle Basis-Design und

allgemeine Hypothesen ........................................ 16

2.3.2 Negative-Identity-Priming versus Negative-

Location-Priming ................................................. 17

2.3.3 Auf welcher Verarbeitungsebene findet

Hemmung statt? ................................................... 18

2.3.4 Alternativerklärung I: Episodic Retrieval............. 19

2.3.5 Alternativerklärung II: Feature Mismatch............ 20

3 Psychophysiologie der visuellen Selektiven

Aufmerksamkeit: Experimentelle Designs,

EKP-Komponenten und Einflußvariablen ........... 23

3.1 Reiz-Perzeption..................................................... 24

3.1.1 Visuell-räumliche Aufmerksamkeit...................... 25

3.1.2 Visuell-nicht-räumliche Aufmerksamkeit............ 26

3.2 Reiz-Evaluation.................................................... 27

3.3 Sukzessive versus simultane Darbietung

relevanter und irrelevanter Reize ......................... 29

3.4 Negative-Priming?................................................ 30

3.4.1 Visuelle Suche...................................................... 30

3.4.2 Späte Selektion bei bereits vorbereiteten

Reaktionsalternativen .......................................... 31

4 Die Planung der Untersuchung............................. 34

4.1 Die Logik der Untersuchung................................ 34

4.1.1 Versuchspläne und Hypothesen............................ 36

4.2 Die Prozedur..........................................................39

4.2.1 Anordnung der räumlichen Positionen................. 39

4.2.2 Zeitliche Abfolge.................................................. 40

4.2.3 Instruktionen und Ablauf..................................... 41

4.3 Das Reizmaterial.................................................. 42

4.3.1 Zusammensetzung................................................ 42

4.3.2 Sequenzierung...................................................... 43

4.3.3 Die Distanzen zwischen Target und Distraktor

als Prime-Probe Kontingenzhäufigkeiten............. 46

4.3.4 Die Darbietungsseiten von Target und Distraktor

als Prime-Probe Kontingenzhäufigkeiten............. 47

4.4 Duchführung......................................................... 49

4.4.1 EEG- und EOG-Ableitung.................................... 49

4.5 Auswertungsstrategien.......................................... 50

5 Ergebnisse............................................................. 51

5.1 Verhaltensdaten.................................................... 51

5.1.1 Auswertung nach Versuchsplan A....................... 52

5.1.2 Auswertung nach Versuchsplan B........................ 52

5.1.3 Analyse des Einflusses der Kontingenzen

der Prime-Probe-Distanzen auf den Negative-

Priming-Effekt...................................................... 53

5.1.4 Analyse des Einflusses der Kontingenzen

der Prime-Probe-Darbietungsseite auf den

Negative-Priming-Effekt.......................................54

5.2 EKP Ergebnisse.....................................................55

5.2.1 Qualitative Analyse der EKPs

nach Versuchsplan A............................................ 56

5.2.2 Qualitative Analyse der EKPs

nach Versuchsplan B............................................ 59

5.2.3 Quantitative Auswertung nach Versuchsplan A 61

5.2.4 Quantitative Auswertung nach Versuchsplan B 64

5.3 Abschließende Diskussion.................................... 65

Literaturverzeichnis.......................................................... 69

Anhang............................................................................. 75

Inhaltsverzeichnis

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Zusammenfassung und Dankeszeilen 1

0 Zusammenfassung

In dieser Diplomarbeit wurde anhand ereigniskorrelierter Hirnrindenpotentiale (EKPs)untersucht, inwieweit inhibitorische Prozesse an der Selektion relevanter Informationen(Targets) beteiligt sind, wenn simultan präsentierte irrelevante Reize (Distraktoren) ignoriertwerden müssen. Als experimenteller Zugang wurden verschiedene Abwandlungen des„Negative-Location-Priming“ verwendet. In explorativer Weise sind drei verschiedeneFragestellungen näher beleuchtet worden. Erstens sollte die spezifische EKP-Charakteristikfür die Selektion bei simultaner Darbietung von Target und Distraktor herausgearbeitetwerden. Hierfür wurden die EKPs miteinander verglichen, wie sie unter den beidenBedingungen mit und ohne Präsentation eines Distraktors gefunden wurden. Es hat sichgezeigt, daß die links-frontalen Komponenten P2 und N2 und eine posteriore N2 ganzspezifisch diejenigen Prozesse widerspiegeln, die hinter einer möglicherweise inhibitorischenKontrolle irrelevanter Information stehen. Zweitens sollte –als originäre Negative-Priming-Fragestellung– geprüft werden, ob inhibitorische Nacheffekte (Negative-Priming-Effekt) imEKP sichtbar gemacht werden können. Drittens ist der Frage nachgegangen worden, ob dieserEffekt (falls vorhanden) qualitative Unterschiede unter den beiden Aufmerksamkeits-bedingungen „Sustained-Attention“ und „Transient-Attention“ aufweist. Im Sustained-Attention-Setting fand sich in der Negative-Priming-Bedingung im Vergleich zur Kontrolleeine erhöhte centro-parietale Negativität zwischen 150 und 400 ms, die als Nd-Phänomenklassifiziert wurde. Im Gegensatz dazu, sind im Transient-Attention-Setting die frontalenKomponenten P2 und P3a verstärkt, sowie die Latenzen von frontaler N2 und P3a verlängert.Die Befunde werden im Rahmen der Theorie der „Aufmerksamkeitsspur“ (Näätänen, 1990)und dem Modell von Houghton und Tipper (1994) interpretiert.

Dank gilt an erster Stelle meinen Eltern, die in jeder Hinsicht die Grundlagen meiner Existenzgesichert und damit auch das Entstehen dieser Diplomarbeit gewährleistet haben.Wie ich erleben durfte, ist die Aufnahme von Hirnströmen keine Sache, die ohne große Erfahrung unddas „gewisse Händchen“ bewerkstelligt werden könnte. Diese Eigenschaften vereint glücklicherweiseRenate Freudenreich in sich, die unter Mithilfe von Sabine Christ und Johannes Hewig eine saubereErzeugung der EEG-Daten sichergestellt hat. Viele unverzichtbare Verbesserungen des Textesberuhen auf der Durchsicht von Tanja Mletzko, Beate Hoves und Johanna Trosbach, die trotz teilweisegroßer thematischer Verständnislosigkeit (wie man sich überhaupt mit so etwas beschäftigen kann)entscheidende Schwachstellen aufgedeckt haben.Schließlich gebührt Ewald Naumann Dank, weil er es schafft, durch großes Vertrauen in dieFähigkeiten seiner Studenten, eine Atmosphäre ohne Leistungsdruck herzustellen, in der einideenreiches, motiviertes und selbständiges Arbeiten möglich ist.

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1. Allgemeiner Überblick 2

1 Allgemeiner Überblick

In dieser Diplomarbeit wird untersucht, welche Rolle die Unterdrückung irrelevanter

Information spielt, wenn handlungsrelevante Aspekte aus externen Quellen selegiert werden

sollen. Ein in der Kognitiven Psychologie etabliertes Paradigma zur Untersuchung dieser

Fragestellung, ist das sogenannte „Negative-Priming“ (Tipper, 1985). Die vermutete

Hemmung wird hier anhand einer Probe-Technik „sichtbar“ gemacht. Das heißt, es wird die

Beeinträchtigung der Weiterverarbeitung auf den betroffenen Repräsentationen nach bereits

erfolgter Selektion betrachtet.

Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde,

sollen über die Ableitung von Hirnströmen und die daraus gewonnen ereigniskorrelierten

Potentiale (EKPs) ergänzende und weiterführende Aussagen erarbeitet werden.

Als konkrete experimentelle Prozedur wurde das „Negative-Location-Priming“ (Tipper et al.,

1990; Neill et al., 1992; Park und Kanvisher, 1994) adaptiert. Hier besteht die Aufgabe der

Versuchsperson darin, bestimmte Reize zu identifizieren und ihre räumliche Position zu

bestimmen. Mit dieser speziellen Variante verbundene Probleme, werden ausführlich in

Abschnitt 2.3 erörtert.

Da keine direkt vergleichbaren psychophysiologischen Untersuchungen verfügbar sind,

wurde eine explorative Herangehensweise gewählt und vielfältige experimentelle Variationen

vorgenommen. Es soll auf diese eher unbestimmte Art und Weise ein erster Eindruck der

verschiedenen am Geschehen beteiligten und möglicherweise im EKP beobachtbaren

Prozeßebenen gewonnen werden (dazu die „Logik der Studie“ in Abschnitt 4.1).

Hinsichtlich der Aufbereitung der psychophysiologischen Literatur gilt ähnliches. Deshalb

basiert der Überblick auf der Darstellung von Erkenntnissen, die in anderen Paradigmen

gewonnen wurden und deshalb nicht unbedingt direkt übertragbar sind. Trotzdem wurde auf

diese Darstellung nicht verzichtet, weil einige sehr interessante Anhaltspunkte für die

Interpretation der eigenen Ergebnisse herausgearbeitet werden konnten (Abschnitt 3).

Viele implizite und einige explizite Annahmen unter denen in dieser Arbeit inhibitorische

Prozesse untersucht und gedeutet werden, sind in einem formalen Modell von Houghton und

Tipper (1994) manifestiert, das aus diesem Grund in Abschnitt 2.2 recht ausführlich

beschrieben wird und auf das im folgenden immer wieder gern verwiesen wird.

An erster Stelle jedoch soll ein allgemeiner Überblick über Phänomene und theoretische

Ansätze zur Selektiven Aufmerksamkeit stehen. Dies geschieht in groben Zügen, denn das

Feld ist sehr weit.

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1.1 Klärung des Begriffs Aufmerksamkeit und ein Vorwort 3

1.1 Klärung des Begriffs Aufmerksamkeit und ein Vorwort

„Aufmerksamkeit“ ist zunächst ein alltagssprachlicher Begriff, der einen Bedeutungsrahmen

für psychische Zustände wie Wachheit, Aktiviertheit, Zerstreutheit, Konzentration,

Gespanntheit, Anspannung, Ablenkbarkeit oder auch die Kraft des Willens darstellt. Der

Begriff Aufmerksamkeit wird auch im Zusammenhang mit der Beschreibung von Leistungen

benutzt, wie „sich auf eine Sache zur Zeit konzentrieren können, ohne sich ablenken zu

lassen“ oder aber auch „mehrere Tätigkeiten gleichzeitig verfolgen, ohne durcheinander zu

geraten“. Aus der Schulzeit oder anderen sozialen Zwangssituationen wohl vertraut sind

Anforderungen wie „still sitzen, ohne spontanen Impulsen nachzugeben“. Oder wer hat sich

noch nicht dabei ertappt, plötzlich eine Praline im Mund gehabt zu haben ohne eine Ahnung,

wie sie dort hineingeraten sein könnte. Schließlich ist es eines jeden Erfahrung (zumindest

feste Überzeugung), daß man nur laut genug schreien muß, um Gehör zu finden – unabhängig

davon, was man denn loswerden will.

Die Wissenschaft gibt sich selbstverständlich mit Alltagserfahrungen und

Selbstbeobachtungen nicht zufrieden und wählt zur Illustration von Sachverhalten lieber

Beispiele aus dem (möglichst niederen) Tierreich. Beispielsweise fragt man sich, wie es denn

ein hungriger Raubfisch schaffen kann, einen einzelnen Fisch zu packen, der sich in einem

Schwarm fortbewegt (Houghton und Tipper (1994), S.57). Oder andersherum, warum es so

eine gute Erfindung der Evolution war, sich als einzelner Fisch in einem Schwarm zu

verstecken, obwohl das doch erst einmal widersinnig erscheint, da ein Schwarm auffälliger ist

und damit leichter zu entdecken sein sollte.

Außerdem geht die Forschung systematisch vor und beschreibt die Welt in Fachbegriffen, die

wohl definiert sein sollten, damit jeder sie im gleichen Sinne verwenden möge. Wer sich mit

Konstrukten der Psychologie beschäftigt, wird jedoch bald ernüchtert und leicht verstimmt

feststellen müssen, daß dem nicht so ist und Verwendungen von Fachtermini eine relative und

höchst subjektive Angelegenheit sind. Dies sei im Hinblick auf die in den folgenden Kapiteln

besprochenen Theorien und empirischen Untersuchungen angemerkt. Speziell gilt das

hinsichtlich der Komponentenbezeichnungen für die „Berge“ und „Täler“ im gemittelten

ereigniskorrelierten Hirnrindenpotential (EKP), die oft sehr sorglos vergeben erscheinen. Es

werden gleiche Bezeichnungen vergeben für morphologisch grob ähnliche Strukturen, die

zwar zu ähnlichen Fragestellungen, aber im Detail höchst unterschiedlichen experimentellen

Prozeduren ermittelt wurden. Andersherum werden in verschiedenen experimentellen

Kontexten, unterschiedliche Bezeichnungen für Komponenten mit identischer Topographie

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1.1 Klärung des Begriffs Aufmerksamkeit und ein Vorwort 4

und Latenz vergeben. Ich werde mich an diesem Spiel ebenfalls beteiligen, denn es scheint

mir im Grunde eine vertretbare Strategie zur Annäherung an einen so unklaren und

komplexen Gegenstand wie die menschliche Informationsverarbeitung zu sein. Insbesondere

wenn obendrein auch noch mit so indirekten und schwachen Verfahren wie

Reaktionszeitmessungen und Hirnstromaufnahmen operiert wird. Es sei also nachdrücklich

davor gewarnt, die folgenden Ausführungen allzu „faktisch“ aufzufassen, sie stellen vielmehr

eine sehr subjektive Interpretation der Interpretationen der rezipierten Autoren und der im

vierten Abschnitt dargestellten eigenen Untersuchungsergebnisse dar.

Die alltagssprachlichen Facetten der Aufmerksamkeit werden in der wissenschaftlichen

Auseinandersetzung mit dem Thema in vier große Bereiche eingeteilt (Birbaumer und

Schmidt, 1991; Posner und Raichle, 1994)

Arousal oder Aktiviertheit stehen für tonische Zustände erhöhter unspezifischer

Leistungsbereitschaft (Kapazität, Potential, Ressourcenbereitstellung) und sind eng mit

physiologischen Modellen verknüpft. So wird beispielsweise das Retikuläre-Aktivierungs-

Systems (RAS) mit unterschiedlichen Wachheitszuständen in Verbindung gebracht

(Birbaumer und Schmidt, 1991, S.496).

Mit Vigilanz werden ebenfalls tonische Zustände bezeichnet, die sich einstellen, wenn über

einen längeren Zeitraum auf bestimmte Reize reagiert werden muß, die aber sehr selten und in

einer allgemein sehr reizarmen Umwelt auftauchen. Als Beispiel sei das nächtliche

Autofahren auf einer Landstraße genannt, wo Zusammenstöße mit sporadisch

entgegenkommenden Autos verhindert werden müssen. Posner und Raichle (1994) haben

hierfür mit PET-Studien ein spezialisiertes neuronales System ausgemacht.

Im Paradigma der Geteilten Aufmerksamkeit werden Prozesse untersucht, die zur simultanen

Berarbeitung verschiedener Anforderungen notwendig sind. In diesem Zusammenhang

werden Modelle limitierter Verarbeitungskapaziät beschrieben.

Der Begriff Selektive Aufmerksamkeit überschneidet sich teilweise mit dem Begriff der

Geteilten Aufmerksamkeit und ist sicherlich der vielschichtigste der vier Kategorien. Er ist

für Situationen reserviert, in denen – ganz allgemein gesprochen – relevante von irrelevanter

Information getrennt werden muß. Auf den nun folgenden Seiten werden die Facetten der

Selektiven Aufmerksamkeit dargestellt.

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1.2 Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit 5

1.2Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit

In diesem Abschnitt soll ein Eindruck von der Vielfalt an empirischen Fragestellungen und

theoretischen Konzepten vermittelt werden, die mit dem Begriff Selektive Aufmerksamkeit

verbunden sind.

1.2.1 Exogene versus endogene Selektive Aufmerksamkeit

Was sind relevante Informationen?

Zum einen definieren momentane Handlungsziele, welche Informationen zur Zielerreichung

benötigt werden. In der Forschung hauptsächlich behandelter Aspekt ist die Extraktion

relevanter Information aus externen Reizen, was seit Broadbent (1958) in diversen

Filtertheorien („Flaschenhalstheorien“) seinen Ausdruck findet und als endogene Selektive

Aufmerksamkeit bezeichnet wird. Nach Michie et al. (1999, S.419) ist Selektive

Aufmerksamkeit „essential for coherent action“. Laut Wijers (1996, S.479) gewährleistet erst

Selektivität in der Informationsverarbeitung die offenkundige Flexibilität des Verhaltens,

denn „Selektion schützt den Organismus davor, auf seine Umwelt reflektorisch zu reagieren“.

Zum anderen können neben den momentan aktivierten Handlungszielen auch Reize mit

besonderen Qualitäten automatisch Aufmerksamkeit auf sich ziehen und damit

handlungsrelevant werden. Welche Reizeigenschaften Effekte der sogenannten exogenen

Selektiven Aufmerksamkeit erzeugen können, ist in der evolutionär geprägten grundlegenden

Funktionsweise des sensorischen Systems begründet. In diesem Sinne sind exogene

Aufmerksamkeitsreaktionen (Orientierungsreaktionen) für das Einsetzen eines Reizes

(besonders nach langer Pause), die Unterbrechung eines Reizes, hohe Reizintensität,

Veränderungen im Blickfeld oder „pop-out“ durch bestimmte gestaltartige Reizgruppierungen

beobachtet worden (Näätänen, 1988). Für die auditive Modalität beschreibt Näätänen die

EKP-Komponenten N1 und MMN als Indikatoren dieser von ihm so bezeichneten „Attention-

Triggering Processes“. Darüber hinaus können automatische Aufmerksamkeitsreaktionen

auch durch Überlernen gelernt werden (Shiffrin und Schneider, 1977).

Schließlich sei noch angemerkt, daß die Ausführung einer Handlung nicht allein von der

adäquaten Verarbeitung von Umweltreizen abhängig ist, sondern vielmehr als eine komplexe

Integration extern und intern generierter und selegierter Information angesehen werden sollte

(Norman und Shallice, 1986).

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1.2 Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit 6

1.2.2 Die Ebene der Selektion: Früh versus spät, peripher versus zentral, präkategorial

versus postkategorial

Theorien zur Selektiven Aufmerksamkeit unterscheiden sich darin, auf welcher Stufe in der

Verarbeitungssequenz Selektion stattfinden kann. Schlagwortartig wird zwischen früher und

später oder – teilweise mit überlappender Bedeutung verwendet – zwischen peripherer und

zentraler oder präkategorialer und postkategorialer Selektion unterschieden. Erstere

Dichotomie bezieht sich auf den Zeitpunkt in der Verarbeitungssequenz zwischen Input und

Output, beginnend in der Retinazelle, endend an der motorischen Endplatte. Für die zweite

Dichotomie gilt, daß eine Repräsentation um so zentraler ist, je weiter sie von Input- oder

Outputverarbeitung entfernt ist. Zentrale Enkodierformate liegen also ungefähr zwischen

frühen und späten Prozessen und frühe Verarbeitung geschieht nah an der peripheren

Sensorik, während späte Verarbeitung nah an der peripheren Motorik stattfindet.

Die wesentlichen theoretischen Positionen zur frühen Selektion verorten

Aufmerksamkeitsprozesse auf der Ebene sensorischer Repräsentationen physikalischer

Merkmale (Treisman und Gelade, 1980; Harter und Aine, 1984). Also auf einer

präkategorialen Ebene der merkmalsgetrennten Form mentaler Repräsentation, die nicht

bewußt erlebt wird. In anatomischen Modellen sind diese Repräsentationen für die visuelle

Modalität in thalamischen Strukturen und den primären visuellen Kortexarealen angesiedelt.

In diesem Zusammenhang wird Selektion häufig als thalamisches „Gating“ sensorischen

Inputs oder als „Gain-Control“ der kortikalen sensorischen Netzwerke verstanden (Desimone

et al. 1990, Birbaumer und Schmidt, 1991).

Von später, zentraler Selektion kann gesprochen werden, wenn die Reizinformation zum

Zeitpunkt der Selektion bereits in einem postkategorialen Enkodierformat vorliegt, das dem

bewußten Erleben potentiell als Perzept zugänglich ist und den Inhalt des

Arbeitsgedächtnisses (Baddeley, 1990) bilden kann, zum Beispiel als Objekt oder als Wort

(Deutsch und Deutsch, 1963; Houghton und Tipper, 1994).

Späte Selektion schließlich kann sich auch auf Aspekte der Reaktionsvorbereitung, wie der

Selektion eines adäquaten Motorprogramms beziehen (Fox, 1995).

Die genannten Positionen werden in der Regel als Gegensätze formuliert, können aber auch

sich gegenseitig ergänzend und in Abhängigkeit der Anforderungen durch die Aufgabe

verstanden werden (Tipper, 1994; Fox, 1995).

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1.2 Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit 7

1.2.3 Automatische versus kontrollierte Verarbeitung

Es wird in zweierlei Hinsicht eine Unterscheidung zwischen automatischer (unbewußt,

parallel, nicht zielgeleitet) und kontrollierter (bewußt, seriell, zielgeleitet, limitierte

Verarbeitungskapazität) Verarbeitung getroffen (Shiffrin und Schneider, 1977). Zum einen

und eng verwandt mit der Fragestellung aus Abschnitt 1.2.2 wird überlegt, ob eine

automatische Weiterverarbeitung über die sensorische Registrierung hinaus ohne

Aufmerksamkeitszuwendung stattfinden kann. Während Theorien der späten Selektion dies

annehmen müssen, kommen Theorien der frühen Selektion ohne diese Annahme aus. Zum

anderen kann sowohl für die frühe als auch für die späte Selektion untersucht werden, ob

nicht-selegierte Information in irgendeiner Form automatisch weiter verarbeitet wird.

Näätänen (1988) gibt zu bedenken, daß automatische Aufmerksamkeitsreaktionen, die auf

semantische Inhalte in eigentlich ignorierten Kanälen beobachtet werden können, nicht

einfach als Beleg für Theorien der späten Selektion herangezogen werden können, weil

kurzzeitige „Attention-Switches“ zum ignorierten Kanal bei jedem Reiz stattfinden und damit

ein in der Regel nicht bemerktes Fenster zu ignorierter Information geöffnet wird. Wenn diese

Information eine subjektive Relevanz (z.B. der eigene Name) besitzt, kann der

Aufmerksamkeitsfokus vollständig umgelenkt werden.

Für eine automatische semantische Enkodierung sprechen nach Houghton und Tipper (1994)

interessanterweise bestimmte Negative-Priming-Effekte. Tipper und Driver (1988) konnten

nämlich zeigen, daß ignorierte semantische Information, wenn sie im folgenden Probe-Trial

ein Merkmal des beachteten Objekts war, zu einer relativen Reaktionszeitverlangsamung

führte.

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1.2 Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit 8

1.2.4 Feature Integration: die besondere Rolle räumlicher Information

Treisman und Gelade (1980) schlagen ein Modell vor, das eine Doppelfunktion für die

Selektive Aufmerksamkeit vorsieht. Neben der Auswahl relevanter Information dient

Aufmerksamkeitsfokussierung der Integration separat enkodierter physikalischer Merkmale

zu kohärenten Objektrepräsentationen, auf die dann höhere Verarbeitungsprozesse zugreifen

können. Zur Zusammenführung der Merkmale dient die ko-registrierte räumliche

Information, die sinnbildlich als Klebstoff („glue“) wirkt. Zu dieser Vorstellung paßt die

Organisation der sensorischen kortikalen Areale, in denen Merkmale wie Farbe oder

Orientierung getrennt kodiert sind, aber jeweils die ursprüngliche retinale räumliche

Anordnung topologisch erhalten bleibt1 (Hubel und Wiesel, 1977; Desimone et al., 1990).

Das Modell geht von einer hierarchischen Abhängigkeit weiterer Verarbeitung von der

Fokussierung auf räumliche Konstellationen getrennter physikalischer Merkmale aus. Soll

beispielsweise auf einen bestimmten farbigen Buchstaben reagiert werden, geschieht dies,

indem ein zu spezifizierender Aufmerksamkeitsmechanismus den Ort ermittelt, der den

relevanten Merkmalen (Farbe und Orientierung der Linien) gemeinsam ist, die Verarbeitung

der an diesem Ort befindliche Information erleichtert und andere Orte und die darin enthaltene

Information in ihrer Aktiviertheit abschwächt. So kann dann ein an diesem Ort befindliches

Objekt als solches wahrgenommen werden.

1Nachbarschaftsbeziehungen aller räumlicher Punktepaare bleiben bestehen, maßstabsgetreue

Distanzverhältnisse gehen verloren.

1.2.5 Die Spotlight-Metapher

Man kann sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten vorstellen, in welcher Weise räumliche

Konstellationen beachtet werden könnten. So wird in objektbasierten Modellen der

räumlichen Aufmerksamkeit angenommen, daß die Form eines zu beachtenden Objektes den

hervorgehobenen Bereich umreißt (Buchner, 1988; Duncan 1996). Üblicherweise wird aber

ein objektunabhängiger Mechanismus propagiert, über den konzentrische Flächen

hervorgehoben werden. In diesem Rahmen kommt man zu Modellvorstellungen, die

Analogien zu Lichtkegeln („Spotlight“), Lichtstrahlen („Beam“) oder flexiblen Gummilinsen

herstellen (Eriksen und Yeh, 1985). Es kommt wohl auf das spezifische experimentelle

Design an, zu welchen Vorstellungen man kommt. So wird durch das übliche Vorgehen in

Studien zur räumlichen Aufmerksamkeit unter Verwendung eines direkten räumlichen

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1.2 Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit 9

Hinweisreizes nahelegt, daß um den Fixationspunkt herum sich ausdehnende konzentrische

Flächen beachtet werden.

In der psychophysiologischen Forschung liegen einige Arbeiten vor, die Unterschiede in der

selektiven räumlichen Verarbeitung finden, abhängig davon, ob zusammenhängende globale

visuelle Areale (Quadranten oder Halbfelder), diese Areale überschneidende Konfigurationen

wie konzentrische Ringe (Eimer, 1999) oder Bereiche innerhalb dieser globalen Felder

(Wijers, 1989b) beachtet werden sollen.

Weiterhin liegen Erkenntnisse vor, die auf grundlegende funktionale Unterschiede zwischen

der Selektion aufgrund räumlicher und nicht-räumlicher Information und den beteiligten

neuronalen Strukturen hinweisen (Ungerleider und Mishkin, 1982).

1.2.6 Exekutive Kontrolle

Wie werden aktuelle Handlungsziele zur aktiven Ausrichtung der Aufmerksamkeit

verwendet? Lassen sich also Mechanismen spezifizieren, die eine etwas „handfestere“

Aussage zulassen, als die, daß endogene Aufmerksamkeit zielbezogene Selektion ermöglicht?

In der Neurophysiologie und -anatomie ist diese Frage verbunden mit der Suche und

Identifizierung spezialisierter Areale, die die attentionale Kontrolle leisten. Posner und

Petersen (1990, S.26) formulieren folgende Forschungsstrategie: „We proceeded from a

perspective which views the attention system of the human brain as anatomically seperate

from the data processing systems that perform operations on specific inputs“. Danach werden

die relevanten Prozesse gesehen als „operation of a seperate set of neural areas whose

interaction with domain specific systems... is the proper subject for empiric investigation“. In

Posner und Raichle (1994) sind Ergebnisse von PET-Studien zur räumlichen Aufmerksamkeit

präsentiert, die diesen Ansatz verfolgt haben. Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß ein

posteriores und ein anteriores neuronales Aufmerksamkeitssystem jeweils der exogenen bzw.

der endogenen Aufmerksamkeitssteuerung dienen.

Cummings (1995) kommt zu einer sehr konkreten und detaillierten Beschreibung eines

anterioren Kontrollsystems. Der Autor unterteilt den Präfrontalkortex (PFC) in drei funktional

eigenständige Regionen: erstens das hinter der Stirn gelegene dorsolaterale Areal, zweitens

das orbitofrontale Areal, daß den vorderste Teil des PFC bildet und nach innen

zurückgebogen ist und schließlich der ganz innen, an der sagitalen Symmetrieachse gelegene

mediale PFC (anteriorer Gyrus Cingularis). Der orbitofrontale PFC ist an der Steuerung des

Sozialverhaltens beteiligt (mimische Imitation, Aggression, Annäherung), der mediale PFC ist

in motivationale Prozesse involviert und der dorsolaterale PFC ist nach Cummings das

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1.2 Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit 10

zentrale, integrative Exekutionssystem („...the principle organ for integrating information...“,

S.5) und ist an verschiedensten kognitiven Funktionen beteiligt (Handlungsplanung,

Arbeitsgedächtnis, Selektive Aufmerksamkeit, Episodisches Gedächtnis). Allgemeines

klinisches Bild nach organischen Schädigungen des PFC ist eine verstärkte

Außenweltabhängigkeit, weil die planvolle Selbstinitiierung von Verhalten beeinträchtigt ist.

Alle drei Regionen sind untereinander verbunden und während sie alle drei in ähnlicher Art

und Weise jeweils in einer schleifenartigen Verbindungsstruktur verschaltet sind (PFC�

Basalganglien (Pallidum, Caudatum, Substantia Nigra)�

Thalamus�

PFC), weist der

dorsolaterale PFC auch hier Besonderheiten auf. Erstens hat er direkte, bidirektionale

Verbindungen mit posterioren Assoziationsarealen(!) und zweitens erhält er direkte

Projektionen aus dem Caudatum, das seinerseits Afferenzen aus fast allen Kortexarealen

erhält.

Ein zu dieser Beschreibung passendes formales Modell der Selektiven Aufmerksamkeit, das

sogar inhibitorische Mechanismen annimmt, haben Houghton und Tipper (1994) entwickelt.

Sie siedeln die Repräsentation für sogenannte „Attentional Targets“ im dorsolateralen PFC

an. Nach Fuster (1980) sprechen sie dem PFC hauptsächlich eine inhibitorische Funktion zu.

Außerdem wird mit dem „Mismatch-Field“ eine zusätzliche Schnittstelle zwischen „Target-

Field“ und „Object-Field“ postuliert, wie sie auch als anatomische Struktur im Caudatum

vorhanden ist. Eine nähere Beschreibung des Modells folgt in Abschnitt 2.2.

Experimentelle Paradigmen zur Untersuchung dieser Fragestellung beinhalten in der Regel

einen Instruktionswechsel („Switch“), um die Neuausrichtung von Kontrollparametern zu

provozieren und dadurch zum Vorschein kommende Phänomene studieren zu können. Dies ist

auch die Grundlage vieler neuropsychologischer Testverfahren, die zur Diagnose des

„Dysexecutive Syndrome“ (Kolb et al., 1996) benutzt werden.

Laut Michie et al. (1999) haben Rogers & Monsell (1995) eine Unterscheidung zwischen

einer antizipatorischen Komponente und einer reizabhängigen Komponente beim Task-

Switching getroffen, um zu erklären, warum die rechtzeitige Vorbereitung eines

Aufgabenwechsels nur einen Teil entstandener „Switch-Kosten“ neutralisieren kann.

Einen ähnlichen Eindruck vermittelt die EKP-Forschung. Hier wurde in Target-Switch-

Situationen oder auch zu Beginn eines experimentellen Blocks konsistent beobachtet, daß die

Ausbildung bestimmter EKP-Komponenten, die mit der Selektion relevanter Information

zusammenhängen, abhängig sind von „afferenter Verstärkung“. Dies äußert sich darin, daß

diese Komponenten (P1 und Nd) erst nach einigen Trials ihre maximale Amplitude erreichen

(Wijers et al., 1996). Hierzu finden sich detailliertere Informationen im dritten Abschnitt.

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1.2 Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit 11

1.2.7 Drei empirische Fragestellungen

Angelehnt an Wijers et al. (1996) lassen sich unabhängig von spezifischen theoretischen

Ansätzen drei empirische Fragestellungen formulieren, die für ein vollständiges Bild der

Prozesse, die an Phänomenen der Selektiven Aufmerksamkeit beteiligt sind, beantwortet

werden müssen:

Die erste Fragestellung bezieht sich auf den Selektionsvorgang selbst. In diesem Kontext soll

untersucht werden wie der Zugang zu einem relevanten Kanal vor sich geht. Es sollte

spezifiziert werden, welche Eigenschaften spezifische Kanäle aufweisen und wie Reize

charakterisiert sein müssen, damit sie selegiert werden. Es wird also die Interaktion zwischen

Reiz und Kanal untersucht.

Die zweite Fragestellung beschäftigt sich mit den exekutiven Kontrollmechanismen zur

Einrichtung, Beibehaltung und Änderung eines Kanals. Anders ausgedrückt, könnte man

fragen, wie im experimentellen Kontext eine Instruktion zur selektiven Beachtung bestimmter

Merkmale umgesetzt wird.

Schließlich stellt sich noch eine dritte Frage, und zwar danach wie Reize weiterverarbeitet

werden, nachdem sie über einen Kanal selegiert wurden – oder auch gerade nicht selegiert

wurden – und welche Rückwirkungen dies möglicherweise (auch im Sinne von Lerneffekten)

auf weitere Selektionsvorgänge hat.

Die erste und die dritte Fragestellung sind bisher reichlich beforscht worden. Hingegen wird

immer wieder von verschiedenen Autoren betont, daß die zweite Problemstellung noch viele

offene Fragen enthält (Wijers et al., 1996; Mangun und Hillyard, 1995; Kok, 1999).

Allerdings liegen speziell in der neurophysiologischen, neuroanatomischen und

neuropsychologischen Forschung einige wegweisende Erkenntnisse hierzu vor (Posner und

Raichle, 1994; Cummings, 1995; Kolb et al., 1996).

Page 14: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

2.1 Exitation und Inhibition 12

2 Inhibition

2.1Exitation und Inhibition

Spotlight-Theorien beleuchten lediglich den Aspekt, wie die Verarbeitung beachteter

Information erleichtert wird. Sie betrachten Selektion in der Regel als einen alleinig

exitatorisch arbeitenden Mechanismus (Fox, 1995; Broadbent, 1958).

Kok (1999, S.130) beschreibt den Zustand der Forschung zur Selektiven Aufmerksamkeit

folgendermaßen: „Although most studies of selective attention have focused on the facilitation

of relevant target information against a background of non-relevant information, there is

growing evidence that non-selected items are not passivly ignored but may also be activly

suppressed“. Der Mangel an Empirie zu inhibitorischen Mechanismen verwundert ein wenig,

wenn man bedenkt, daß schon in den Anfängen der experimentellen Psychologie kontrovers

über Inhibition und Exitation in der Aufmerksamkeit diskutiert wurde (Pillsbury, 1908).

Ein Grund für diesen Zustand liegt vermutlich auch in der Schwierigkeit geeignete

experimentelle Paradigmen zu entwerfen. In der Reaktionszeitforschung können

inhibitorische Prozesse nur als Nacheffekte gemessen werden, weil man hier auf offene

Reaktionen als Meßvariable angewiesen ist und zu ignorierende Reize eben gerade keine

offenen Reaktionen erfordern. Beispiele hierfür sind das Vorgehen im Negative-Priming-

Paradigma (Tipper, 1985), oder auch der Inhibition-of-Return-Effekt in einem Paradigma zur

exogenen räumlichen Aufmerksamkeit (Posner und Snyder, 1975). Eine Möglichkeit

neuronale Antworten auf irrelevante Information zu messen, eröffnet das EKP. Allerdings

bestehen hier große Probleme in der Implementierung einer geeigneten Kontrollbedingung

(mehr dazu in Abschnitt 3).

In biologisch ausgerichteten Forschungsfeldern wird das Thema offensiver angegangen. So

findet sich bei John Eccles (1977) das Zitat: „I always think that inhibition is a sculpturing

process. The inhibition, as it were, chisels away at the diffuse and rather amorphous mass of

excitatory action and gives a more specific form to the neuronal performance at every stage

of synaptic relay“. Zu dieser Sichtweise passend, vertritt Kok (1999) die Position, daß

herabgesetzte kognitive Leistungsfähigkeit nach einem Verlust neuronalen Zellmaterials in

präfrontalen und posterior-parietalen Arealen in erster Linie mit mangelhafter Inhibition

zusammenhängt. Ein mehrheitlicher Anteil der Neuronen in diesen Arealen wäre demnach für

Inhibition zuständig. Die Hauptaufgabe höherentwickelter neuronaler Strukturen wird in der

inhibitorischen Kontrolle automatisch gebahnter Aktivität gesehen. Rafal und Henik (1994)

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2.2 Das Modell von Houghton und Tipper 13

führen hier als Beispiel die zunehmende Reflexkontrolle während der Ontogenese an, die in

dramatischer Weise nach Hirnschäden zusammenbrechen kann.

Weiterhin konnten Moran und Desimone (1985) und Desimone (1990) mit Hilfe von

Einzelzellableitungen zeigen, daß Zellen in V4 und im inferioren Temporallappen, deren

rezeptive Felder einen Distraktor erfassen, in ihrer Aktivität reduziert werden.

2.2Das Modell von Houghton und Tipper

Die Autoren möchten mit ihrem Modell zwei Mißstände beseitigen. Erstens müßten die

Repräsentationsformen spezifiziert werden, auf denen attentionale Prozesse arbeiten und

zweitens müßten auch die Algorithmen zur Ausführung dieser Prozesses genau gefaßt

werden.

Sie sehen ihren Ansatz als in den Annahmen grundlegend verschieden zu einem Modell von

LaBerge und Brown (1989). Dort werden drei Annahmen gemacht:

1. Selektion findet auf einer präkategorialen Ebene statt, dadurch erst wird der Zugang zu

einem Identifikationssystem mit begrenzter Kapazität ermöglicht.

2. Die aufmerksamkeitsbezogene Modulation der sensorischen Repräsentationen läuft immer

über eine Lokationsreferenz.

3. Diese Modulation ist eine exitatorische und erleichtert die Weiterleitung relevanter

Information.

Das Modell von Houghton und Tipper unterscheidet sich in allen drei Punkten. In ihrem

Modell sollen folgende Forderungen erfüllt werden:

1. Selektion kann nach automatischer Objektkodierung und semantischer Analyse

stattfinden, attentionale Operationen beziehen sich auf objektbasierte Repräsentationen.

2. Als wirksamen Modulationsmechanismus sieht das Modell neben Exitation auch eine

aktive Inhibition irrelevanter Information vor.

Die Autoren gehen mit Neumann (1987) davon aus, daß Selektion hauptsächlich wichtig für

Handlungen und nicht für die perzeptuelle Analyse ist, weil z.B. nicht eine Hand gleichzeitig

zwei Gläser Bier heben kann oder nicht zwei Wörter gleichzeitig ausgesprochen werden

können. Diese einer Handlung immanente Serialität prägt die höhere

Informationsverarbeitung und leitet selektive Vorgänge. Perzeption hingegen ist in normaler

Umgebung weitgehend schemageleitet automatisiert. Als einschränkende Ausnahme sehen sie

künstliche Laborbedingungen, in denen möglicherweise auch die Wahrnehmung künstlich

serialisiert wird, weil keine Wahrnehmungsschemata vorhanden sind.

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2.2 Das Modell von Houghton und Tipper 14

Aus einer funktionalistischen Perspektive begründen die Autoren, warum eine objektbasierte

Repräsentation von Distraktoren sinnvoll ist. Nach ihrer Auffassung, sollten Non-Targets

nicht als störende Ablenker gesehen werden, sondern – in natürlicher Umwelt – als hilfreicher

Kontext, der die Verarbeitung des Targets erleichtert. Erst für eine Handlung muß dann die

relevante Targetinformation selegiert werden. Wie gesagt gilt dies natürlich nicht für

Laborexperimente, wie z.B. die Eriksen-Flanker-Task, wo Distraktoren zu Interferenz und

nicht zu Erleichterung führen. Entscheidend ist aber sicherlich, welche Bedingungen die

Funktionsweise des Aufmerksamkeitssystems phylo- und ontogenetisch geprägt haben, und

das sind nicht Laborbedingungen, sondern die natürliche Umwelt. Die Rolle der Selektiven

Aufmerksamkeit liegt also nicht so sehr in der Bildung einer internen Repräsentation der

Umwelt, sondern vielmehr in der geeigneten Verknüpfung von relevanten Objekten mit

relevanten Aktionen.

Für die Konzeption eines inhibitorischen Teilmechanismus wird angeführt, daß lediglich

Verstärkung im Sinne eines „Gain-Control“ schnell an die Grenzen der biologischen

Hardware stoßen würde. Wenn nämlich sowohl Target als auch Distraktor eine hohe

Intensität hätten, wäre allein über die Verstärkung des Targets bald ein Deckeneffekt erreicht

und eine Kontrastierung von Target und Distraktor wäre nicht mehr möglich. Das selbe

Problem gälte auch für einen isolierten Inhibitionsmechanismus bei in diesem Fall zu geringer

Intensität. Deshalb nehmen die Autoren einen opponenten Exitations-Inhibitions-

Mechanismus an, so daß immer ein relativer Kontrast hergestellt werden kann.

Die entscheidende Schnittstelle, an der Selektion eingreift, ist zwischen Objekt-

Repräsentation und Handlungsschema. Ein Handlungsschema stellen sich Houghton und

Tipper in Anlehnung an Norman und Shallice (1986) und Arbib (1990) als Programm mit

offenen Parametern (Variablen) vor. Nachdem ein bestimmtes Schema durch zentrale

Planungs- und Ausführungssysteme aktiviert worden ist, müssen die Variablen durch

Parameter von Objektmerkmalen aus Gedächtnis und Wahrnehmung spezifiziert werden.

Dieser Vorgang wird als „Binding“ bezeichnet. Damit nun kein beliebiges Binding durch

Merkmale irgendwelcher Objekte stattfindet, muß ein geeigneter Mechanismus dafür sorgen,

daß die Variablen nur durch Parameter eines einzigen Objekts – und zwar des richtigen –

besetzt werden. Für diesen als „Coupling“ bezeichneten Vorgang bedarf es eines

„strategically controlled selective attention mechanism“, der aus aktuellen Handlungszielen

heraus ableitet, wie ein Target auszusehen hat. Diese Vorgaben werden als “Attentional

Target“ (synonym mit Näätänens „Attentional Trace“) in einer separaten Repräsentation

kodiert. Das Parameter-Binding geschieht kompetitiv, was bewirkt, daß Informationen von

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2.2 Das Modell von Houghton und Tipper 15

passenden und nicht-passenden Objekten derart verstärkt bzw. gehemmt werden, daß ein

erfolgreiches Coupling gewährleistet ist.

Die beschriebenen Leistungen werden in einem künstlichen neuronalen Netzwerkmodell

implementiert. Die Struktur des Modells wird nun folgend erläutert.

Im „Object-Field“ werden Objekte über spezifische synchrone Zusammenschaltungen von

merkmalstragenden Einheiten („Property-Units“) in „Cell-Assemblies“ repräsentiert. Jede

dieser Einheiten besitzt über jeweils eine selbstreferentielle exitatorische „On-Cell“-

Verbindung („On-Channel“) und eine selbstreferentielle inhibitorische „Off-Cell“-

Verbindung („Off-Channel“) eine im Freilauf neutrale „Gain-Control“-Einheit. Alle On- und

Off-Zellen sind paarweise miteinander verbunden, gleichartige Zellen exitatorisch und

verschiedenartige Zellen inhibitorisch, so daß objektrepräsentierende Cell-Assemblies

lediglich gespiegelt werden. Der Zustand der Property-Nodes wird also durch das Gain-

Control-System nicht verändert. Wird an irgendeiner Stelle im Gain-Control-System einer

Cell-Assembly eingegriffen, werden alle dazugehörigen Property-Units derart moduliert, daß

sich selbststabilisierend ein neuer Gleichgewichtszustand einstellt, der das Aktivationsniveau

der beteiligten Units geschlossen hebt oder senkt.

Das schon erwähnte Attentional-Target wird im „Target-Field“ wiederum in Property-Units

repräsentiert, die auch sensorische Merkmale tragen können, aber vollständig vom Object-

Field getrennt sind. In der biologischen Realität soll das Target-Field im präfrontalen Kortex

lokalisiert sein.

Die Beeinflussung des Parameter-Bindings geschieht nun nicht über direkte Verbindungen

zwischen Target- und Object-Field, sondern vermittelt durch das „Match-Mismatch-Field“.

Dieses Feld wird durch Paare von „Match-Mismatch-Units“ gebildet, die mit den Property-

Units der beiden anderen Felder korrespondieren. Eine Match-Unit wird nur aktiv, wenn

sowohl das zugeordnete Attentional-Target-Merkmal als auch das zugeordnete Objekt-

Merkmal aktiv sind, ansonsten feuert die komplementäre Mismatch-Unit. Die Match-Unit

aktiviert korrespondierende On-Zellen und inhibiert Off-Zellen, in genau umgekehrter

Richtung wirkt die Mismatch-Unit. Welches von mehreren Objekten nun den Binding-

Wettstreit gewinnt und an das Response-Schema gekoppelt wird, hängt davon ab, welches

Objekt das beste Verhältnis von aktivierten Match-Zellen zu aktivierten Mismatch-Zellen hat.

Die Verknüpfungen zwischen den im Object-Field repräsentierten Objekten und Kategorien

(z.B. „linker Finger“) einer Response-Variablen (z.B. „Finger heben“) werden in einer

Initialisierungsphase über eine Lernregel gelernt.

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2.2 Das Modell von Houghton und Tipper 16

Das Netzwerkmodell ist dynamisch, d.h. es verändert sich mit der Zeit. Dies wird erreicht,

indem die Aktivierungszustände spontan abfallen, wenn sie positive Werte einnehmen

(„Passive Decay“) oder sich spontan erholen („Passive Recovery“), wenn sie negative Werte

einnehmen. Durch diese Zeitdimension können quasi-realistisch Verläufe von Inhibition und

Exitation modelliert werden.

2.3 Das Negative-Priming Paradigma

2.3.1 Das experimentelle Basis-Design und allgemeine Hypothesen

Das Negative-Priming Paradigma bietet die Möglichkeit, die Verarbeitung von ablenkender

Information zu analysieren. Wie bereits in Abschnitt 2.1 erwähnt, zeichnen sich Distraktoren

gerade dadurch aus, daß nicht auf sie reagiert werden soll. Man kann also entweder

untersuchen, wie sich die Anwesenheit von Distraktoren auf die Verarbeitung von relevanten

Zielreizen auswirkt, oder – und das ist der Ansatz des Negative-Priming – man versucht

herauszufinden, ob das Ignorieren eines Ablenkers irgendwelche Nachwirkungen auf

nachfolgende Reaktionen hat, wenn der neue Zielreiz eines oder mehrere derselben zuvor

ignorierten Reizmerkmale hat. Die Prozedur ist prinzipiell immer die gleiche: in einem Prime-

Trial werden Target und Distraktor(en) simultan dargeboten und nur auf das Target soll

reagiert werden. In einem darauf folgenden Probe-Trial wird der vorherige Distraktor (oder

Merkmale des Distraktors) zum relevanten Target, auf das reagiert werden soll. Als neutrale

Kontrollbedingung wird im Probe-Trial ein Reiz zum Target, der im Prime-Trial nicht

vorgekommen ist.

Geht man von einer rein exitatorischen Kontrastierung des Targets vor einem Distraktor-

Hintergrund aus, sollte im Probe-Trial noch eine Restaktivierung des Distraktors vorhanden

sein, je nach dem, wie schnell ein passiver Abfall der erhöhten Aktivierung vor sich geht und

abhängig davon, wie tief der Distraktor enkodiert wurde. Es würde im Vergleich zur

Kontrollbedingung eine erleichterte Verarbeitung stattfinden, also müßten schnellere

Reaktionszeiten erwartet werden.

Im Falle einer opponenten exitatorisch-inhibitorischen Kontrastierung (siehe Abschnitt 2.2),

wäre zu fragen, wie stark inhibitorische Einflüsse die initiale Aktivierung der

Distraktorrepräsentation senken. Würde sie unter ein neutrales Niveau gedrückt, wäre –

abhängig vom Ausmaß der passiven Erholung zurück zum neutralen Zustand– eine

Reaktionsverlangsamung im Vergleich zur Kontrollbedingung zu erwarten. Anderenfalls

dürften sich Kontroll- und Negative-Priming-Bedingung nicht unterscheiden oder es könnte

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2.3 Das Negative-Priming Paradigma 17

Inhibition Inhibition

Variante I Variante II

Exitation

initiale Aktivierung

neutrales Niveau

sogar noch eine Restaktivierung vorhanden sein, so daß eine Reaktionszeitverkürzung

beobachtet würde. Diese drei Möglichkeiten sind in der Abbildung 2.1 veranschaulicht.2

Abbildung 2.1 Verschiedene Exitations- und Inhibitionsvarianten in Relation zu zwei vorstellbaren Kontrollbedingungen

2 Eine Überlegung um sinnvollere Kontrollbedingungen zu schaffen, könnte eine Positive-Priming-Bedingung

ohne Distraktor im Prime-Trial oder eine Negative-Priming-Bedingung ohne Target im Prime-Trial sein, um die

hypothetische Kontrolle in Abbildung 2.1 zu realisieren.

2.3.2 Negative-Identity-Priming versus Negative-Location-Priming

Es deutet einiges darauf hin, daß Aufgaben mit räumlichem Reaktionsbezug andere Systeme

involvieren als Aufgaben mit einem Reaktionsbezug auf die Identität eines Reizes.

Es wurden drei Dissoziationen zwischen diesen beiden Arten von Informationsverarbeitung

im Negative-Priming beobachtet, die die Annahme getrennter Systeme und unterschiedlicher

Mechanismen begründet. Zum einen wurde festgestellt, daß Negative-Location-Priming im

Gegensatz zu Negative-Identity-Priming, schon bei Kindern und auch noch bei Älteren

funktioniert (Fox, 1995). Zweitens kann die in Abschnitt 2.3.5 behandelte Feature-Mismatch

Hypothese zwar unter bestimmten Umständen Location-Priming erklären, Identity-Priming

hingegen niemals. Drittens finden sich konsistente Identitäts-Effekte nur bei Distanzen, die

kleiner als ca. 1° Sehwinkel sind. Lokations-Effekte sind auch bei größeren Distanzen

zwischen Target und Distraktor zu beobachten.

Im Hinblick auf die Besprechung der Psychophysiologie der Selektiven Aufmerksamkeit

(Abschnitt 3), ist wichtig festzuhalten, daß sich die gerade getroffene Unterscheidung

zwischen räumlicher und nicht-räumlicher Verarbeitung auf die Verwendung eines zu

selegierenden Reizes bezieht. Im dritten Abschnitt werden auch Dissoziationen bezüglich der

Art perzeptueller Selektionskriterien thematisiert. Im einen Fall geht es um „Selection for

Action“ (im Sinne von Norman und Shallice, 1986), im anderen Fall um „Selection for

Perception“ (im Sinne von Treisman und Gelade, 1980).

Target Distraktor DistraktorNeutraleKontrolle

hypothe-tischeKontrolle

Mögliche Voraktivierungen im Prime-Trial

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2.3 Das Negative-Priming Paradigma 18

2.3.3 Auf welcher Verarbeitungsebene findet Hemmung statt?

In Abschnitt 1.1.2 wurde die Frage behandelt, auf welcher Verarbeitungsebene Selektion

stattfindet. Deshalb muß auch für Hemmungsprozesse geklärt werden, auf welche

Repräsentationen sie einwirken. Es gab eine Vielzahl von Studien, die sehr widersprüchliche

Ergebnisse geliefert haben. Es wurde sowohl auf der Ebene verschiedenster physikalischer

Merkmale, als auch auf der Ebene semantischer Kategorien Negative-Priming nachgewiesen

(Fox, 1994). Eine integrative und klärende Perspektive wird von Tipper et al. (1994)

eingenommen. Die Autoren reanalysieren einige Studien und kommen zu dem Schluß, daß

immer nur diejenigen Merkmale eines Objektes selektiv gehemmt werden, die für das

Handlungsziel relevant sind. Es wird damit explizit der aktuellen Version des Modells von

Houghton und Tipper (1994) widersprochen. Das Modell ist so konzipiert, daß die

Modulation der Aktivation eines einzelnen Merkmals die Neustabilisierung der gesamten

Object-Cell-Assembly auf einem neuen Niveau nach sich zieht. Deshalb werden Negative-

Priming-Effekte bezüglich aller –und nicht nur der zielbezogenen– Eigenschaften des

ignorierten Objektes vorhergesagt.

In einer Serie von Studien (Tipper et al., 1994; Milliken et al., 1994) werden Lokalisierungs-

und Identifikationsaufgabe orthogonal mit identischem Reizmaterial variiert. Die Reize

bestehen aus farbigen Buchstaben, die auf vier sternförmig angeordneten Positionen

(Distanzen zwischen 0.8° und 2.4°) erscheinen und aufgrund ihrer Farbe ausgewählt werden

sollen. Es wurde nun für beide Aufgaben variiert, wieviel der drei Buchstabeneigenschaften

(Farbe, Identität, Lokation) von Prime-Distraktor und Probe-Target geteilt werden. Die

Vorhersage war, daß immer nur bei Beteiligung der aufgabenbezogenen Dimension (entweder

Identität oder Lokation) ein Effekt eintreten würde. Die Ergebnisse sind nur teilweise

hypothesenkonform. Für die Lokationsaufgabe sind die Vorhersagen klar bestätigt. In der

Identitätsaufgabe spielt die Lokation aber eine sogar größere Rolle als die Identität. Letzteres

könnte etwas mit den relativ großen Winkeln zu tun haben, denn Identitätseffekte wurden –

wie bereits erwähnt– konsistent nur für Winkel kleiner als ca. 1° gefunden (Fox, 1995).

2.3.4 Alternativerklärung I: Episodic Retrieval

Als Alternative zur Inhibitionstheorie geht diese Erklärung davon aus, daß Informationen aus

dem Probe-Trial als Abruf-Cue für die Prime-Episode wirken. Zusammen mit der gesamten

raum-zeitlichen Struktur der Episode wird auch abgerufen, daß auf den Distraktor nicht

reagiert werden durfte. Dies führt zu einem Widerspruch mit der aktuellen

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2.3 Das Negative-Priming Paradigma 19

Handlungsanweisung, nämlich diesmal auf den zuvor ignorierten Reiz zu reagieren. Es gibt

nun zwei Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit des korrekten Abrufs der Prime-Episode

beeinflussen. Erstens läßt sich fragen, wie spezifisch die Abruf-Cues im Probe die Prime-

Episode reaktivieren. Hierzu haben DeSchepper und Treisman (1991) gezeigt, daß Nonsense-

Figuren signifikant größeres Negative-Priming produzierten, wenn sie nicht wiederholt

dargeboten wurden sondern nur einmal im ganzen Experiment auftauchten.

Ein ähnliches Argument für die Retrieval-Hypothese bezieht sich auf die kontextuelle

Ähnlichkeit von Prime- und Probe-Trial. Es wurde immer wieder gefunden, daß der Negative-

Priming-Effekt zum Teil radikal reduziert sein kann, wenn kein Distraktor im Probe

vorhanden ist (Fox, 1995). Diesen Effekt kann allerdings auch das Modell von Houghton und

Tipper (1994) bestens vorhersagen, weil hier der entscheidende Prozeß bei der

Reaktionsgenerierung das konkurrierende Response-Binding simultan aktivierter Target- und

Distraktor-Repräsentationen ist. Diese Konkurrenz dauert um so länger an, je mehr Aufwand

notwendig ist, die Target Repräsentation auf ein relativ zum Distraktor höheres

Aktivationsniveau zu bringen. Wenn keine Konkurrenz besteht, kann die korrekte Reaktion

initiiert werden, ohne das auf den durch Inhibition verzögerten Vergleichsprozeß gewartet

werden muß. Ähnlich argumentieren auch Desimone et al. (1990), die vergleichbare

Phänomene auf Zellebene beobachten. Sie gehen davon aus, daß Aufmerksamkeitsprozesse

nur dann eingreifen, wenn Mehrdeutigkeiten aufgelöst werden müssen.

Ein zweiter Gesichtspunkt ist die zeitliche Diskriminierbarkeit der Prime-Episode.

Neill et al. (1992) zeigen in einer Untersuchung zur Permanenz von Inhibition mit einem

Location-Priming-Setting, daß der Negative-Priming-Effekt nur sehr schwach von der

absoluten zeitlichen Distanz zwischen Prime und Probe abhängt. Viel entscheidender wirkt

sich die Wahrscheinlichkeit eines korrekten Abrufs der Prime-Episode aus. Das hängt

wiederum von der zeitlichen Diskriminierbarkeit dieser Episode vor dem Hintergrund

vergangener Episoden ab. Die Diskriminierbarkeit hängt nach Baddeley (1976) direkt vom

Verhältnis von zeitlichem Abstand der Prime-Episode zu zeitlichem Abstand vorhergehender

Episoden ab. Vergeht zwischen Prime und Probe nur wenig Zeit (RSI = 500 ms) und

zwischen Prime und dem vorherigen Trial viel Zeit (PRSI = 4000 ms), so ist die Prime-

Episode gut von vorherigen Episoden abgehoben. Beträgt das RSI 500 ms und das PRSI

ebenfalls 500 ms, so ist die Diskriminierbarkeit schlechter und bei einem RSI von 4000 ms

und einem PRSI von 500 ms schließlich ist die Diskriminierbarkeit am schlechtesten. Die

Ergebnisse von Neill et al. entsprechen genau diesem Modell. Der Negative-Priming-Effekt

war um so größer, je besser die Prime-Episode diskriminierbar und damit abrufbar war. Die

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2.3 Das Negative-Priming Paradigma 20

Beispiel 1: (Prime) X O Übliches Vorgehen, z.B. Neill et al. (1992), Target =O¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯

(Probe) O X¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯

__________________________________________________________________________________________________

Beispiel 2a: (Prime) X O Beispiel 2b: X O Match/Mismatch vs.¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ Inhibition/Facilitation,

(Probe) O X X O nach Park & Kanvisher (1994)¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ Experiment 4

_________________________________________________________________________________________________

Beispiel 3a: (Prime) X O Beispiel 3a: X O Park & Kanvisher, Experiment 5¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ Target im Probe = O

(Probe) O X X O

absolute zeitliche Distanz zwischen Prime und Probe (500 ms vs. 4000 ms RSI über beide

PRSI aggregiert) spielte hingegen nur eine geringe Rolle.

Insgesamt bewertet, bietet die Episodic-Retrieval Theorie eine mögliche Erklärung des

Negative-Priming Effekts, ohne Inhibition annehmen zu müssen. Allerdings lassen sich – bis

auf eines – alle Ergebnisse auch durch selektive Inhibition erklären. Allein die Ergebnisse von

Neill et al. zum Einfluß der zeitlichen Diskriminierbarkeit, lassen sich nur im Rahmen der

Theorie von Baddeley (1976) erklären. Allerdings kann Inhibition als grundlegende Ursache

der Reaktionszeitverlangsamung nicht ausgeschlossen werden. Vielmehr kann gefolgert

werden, daß Inhibition an die spezifische Prime-Episode gebunden ist und nur beim

erfolgreichen Abruf der Episode auch offenbar wird.

2.3.5 Alternativerklärung II: Feature Mismatch

Park und Kanvisher (1994) haben mit einer prinzipiell gleichen experimentellen Anordnung

wie Neill et al. (1992), ihrer Meinung nach zeigen können, daß ein vorheriges Ignorieren des

Probe-Targets weder notwendig noch hinreichend ist, um einen Effekt im Negative-Location-

Priming zu erhalten. Ihrer Auffassung nach ist dieses Phänomen vielmehr eine Folge eines

sogenannten „Feature-Mismatch“. Dieser Mismatch kommt zustande, weil Objekte an Orte

gebunden werden und diese Assoziation wieder gelöst werden muß, wenn ein neues Objekt

mit veränderten Merkmalen an einen zuvor schon besetzten Ort gebunden werden soll.

Üblicherweise wird in dieser Art von Location-Priming Prozedur einer von zwei Buchstaben

dauerhaft zum Target erklärt. Target und Distraktor erscheinen gleichzeitig an zwei von vier

Positionen. Eine Negative-Priming-Bedingung ist dann hergestellt, wenn das Probe-Target an

der selben Stelle wie der Prime-Distraktor erscheint (Abbildung 2.2, erstes Beispiel).

Abbildung 2.2 Beispiele für verschiedene Abwandlungen des Negative-Lokation-Priming.

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2.3 Das Negative-Priming Paradigma 21

Wenn das Target (O) im Probe an der Stelle des vorherigen Distraktors (X) erscheint, sind die

Reaktionszeiten verlängert und die Fehlerraten erhöht. Park und Kanvisher postulieren nun,

daß nicht die ignorierte Lokation gehemmt wird, sondern daß in der Negative-Priming-

Bedingung zwangsläufig immer auch ein Wechsel des Buchstabens (vom festen Distraktor-

zum festen Target-Buchstaben) an der ignorierten Position stattfindet und einen Mismatch

auslöst, der Reaktionszeiten und Fehlerraten erhöht.

In diesem Sinne konnten Park und Kanvisher – wie in Abbildung 2.2 im zweiten Beispiel

veranschaulicht – zeigen, daß, selbst wenn die Probe-Target-Lokation im Prime beachtet

wurde, eine sehr starke Reaktionszeitverlängerung verglichen mit einer Kontrollbedingung

beobachtet werden konnte ( ��������� ������������������� 2 = 0.56; dx3= -65 ms; 144

Trials/Bedingung). Und zwar genau dann, wenn die Identitäten von Prime-Target und Probe-

Target verschiedene waren (Mismatch Bedingung). Genauso verkürzten sich die

Reaktionszeiten drastisch (t(15) = 4.8; mit MW � 2 = 0.41; dx= 45 ms), wenn die Identitäten

von Prime-Distraktor und Probe-Target dieselben waren und jeweils an derselben Stelle

präsentiert wurden (Match-Bedingung). Nach der Inhibitionstheorie wäre genau

entgegengesetzt im ersten Fall eine Verkürzung (Facilitation) und im zweiten Fall eine

Verlängerung (Inhibition) der Reaktionszeiten erwartet worden. Diese beiden Bedingungen

lassen sich jedoch nur realisieren, indem der zu beachtende Buchstabe von Prime zu Probe

gewechselt wird (Switch). Das ist eine Modifikation des bis dahin praktizierten Vorgehens

mit einem festgelegtem Target-Buchstaben.

In Experiment 5 (siehe Abbildung 2.2, Beispiel 3) wurden Effekte in die gleiche Richtung

gefunden, wenn im Prime-Trial nicht selegiert und reagiert werden sollte und im Probe auf

einen festgelegten Zielreiz (O) reagiert werden mußte (Nonswitch). Die Effektgrößen sind

hier allerdings deutlich geringer. Für die Match-Bedingung ergibt sich ein 2 = 0.26 (t(25)=

4.4; mit MW; dx= 24 ms) und für die Mismatch-Bedingung ein 2= 0.17 (t(25)= 3.4; mit

MW; dx= -17 ms ).

In Experiment 1 von Neill et al. mit üblichem Vorgehen wurde ein Negative-Priming-Effekt

von 2= 0.83 (F(1,17)= 177.2; mit MW; dx= -25 ms; 300 Trials/Bedingung) und in

Experiment 2 von 2= 0.61 (F(1,17)= 55.4; mit MW; dx= -25 ms) gefunden.

Vergleicht man die sehr unterschiedlichen Effektgrößen, scheint es notwendig, entgegen der

eindeutigen Interpretation von Park und Kanvisher, vielleicht doch andere Überlegungen mit

einzubeziehen.

3 Legende: MW=Meßwiederholung; dx=Mittelwertsdifferenz

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2.3 Das Negative-Priming Paradigma 22

Milliken et al. (1994) konnten zeigen, daß die Match-Mismatch-Erklärung nicht mehr gültig

ist, wenn der Farb-Cue gleichzeitig (statt 300 ms vorher) mit dem Probe-Reiz dargeboten

wird. Wenn nämlich der Cue Informationen über den Prime-Distraktor enthält, kann schon im

Cue-Probe Intervall die Inhibition der Distraktor-Repräsentation wieder abgebaut werden, so

daß Positive-Priming-Effekte gefunden werden. Dieser „Pre-Cue“-Vorteil besteht bei

simultaner Darbietung von Cue und Probe nicht mehr.

Ebenfalls gilt die Mismatch-Erklärung offenbar nicht für Negative-Identity-Priming

Prozeduren. Allport (1985) und Tipper und Cranston (1985) haben nachgewiesen, daß

Negative-Priming-Effekte in einer Aufgabe zur Benennung von überlagerten Buchstaben

nicht durch Mismatch sondern nur durch selektive Inhibition erklärt werden können.

Ein weiterer Einwand gegen die allgemeine Gültigkeit der Feature-Mismatch Hypothese liegt

in den großen Distanzen zwischen Distraktor und Target begründet, die in der typischen

Location-Priming-Prozedur weit größer als 1° sind. Konsistente Negative-Identity-Priming-

Effekte finden sich aber nur bei Distanzen, die kleiner als ca. 1° sind.4

4 Allerdings könnte gerade deshalb die Wahl der großen Distanzen für Location-Priming-Prozeduren sinnvoll

sein, denn nach dieser Logik wären dann Identity-Priming-Effekte ausgeschlossen und reine Lokation-Priming-

Effekte könnten unbeeinflußt untersucht werden, wenn sie denn bei so großen Distanzen existierten.

Fazit: Abschließend sollte festgehalten werden, daß wohl alle vorgeschlagenen Einflüsse

ihren Beitrag zum Negative-Priming-Effekt leisten. Unter bestimmten Umständen werden

Inhibitionseffekte überlagert (Feature-Mismatch) oder an zusätzliche Bedingungen geknüpft

(Episodic-Retrieval). Möglicherweise bietet das EKP die Möglichkeit, die verschiedenen

Einflußvariablen voneinander zu trennen.

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3. Psychophysiologie der visuellen Selektiven Aufmerksamkeit ... 23

3 Psychophysiologie der visuellen Selektiven Aufmerksamkeit:

Experimentelle Designs, EKP-Komponenten und Einflußvariablen

EKP-Untersuchungen bringen den großen Vorteil mit sich, daß auch zu ignorierende Reize

eine hirnelektrische Antwort produzieren, ohne daß eine offene Reaktion erforderlich wäre.

(Wijers et al., 1996; S.485). Es kann somit die Aussage getroffen werden, daß spätestens ab

Einsetzen eines Differenzpotentials zwischen beachteten (relevanten) und ignorierten

(irrelevanten) Reizen die selektive Verarbeitung begonnen haben muß. Keine Aussage ist

allerdings möglich, ob die Effekte gerichteter Aufmerksamkeit in einer zusätzlichen oder

verstärkten Verarbeitung des relevanten Reizes bestehen, oder ob beispielsweise mit Tipper

(1985) nicht genauso gut eine zusätzliche oder inhibierende Verarbeitung irrelevanter

Information denkbar ist (siehe auch Näätänen 1988; Kok, 1999, S.140).

Für einen direkten Test müßte eine neutrale Kontrollbedingung mit weder zu ignorierenden

noch zu beachtenden Reizen realisiert werden. Bleibt allein die Frage, wie so etwas aussehen

sollte (Rugg, 1990; Rafal, 1994, S.10)!

Ein Ansatz hierzu wurde von Posner (1978) vorgeschlagen. Ein Cue gibt vor, an welcher

Position der nächste Reiz mit größerer Wahrscheinlichkeit erscheint. In der „validen“

Bedingung ist die Position richtig angezeigt, in der seltenen „invaliden“ Bedingung ist die

Cue-Information falsch. In einer dritten „neutralen“ Bedingung enthält der Cue keine

Information über die Position des folgenden Reizes. Kritisch betrachtet, wird hier allerdings

eher die Verarbeitung unter fokussierter (valide und invalide Cues) mit der unter geteilter

Aufmerksamkeit (neutrale Cues) verglichen (EKP-Ergebnisse siehe unten).

Ein anderer Ansatz findet sich nach Kok (1999, S.140) in De Ruiter, Kok und Schoot (1998),

die eine starke okzipitale Positivierung (150-320 ms) auf visuelle Stimuli beobachten, wenn

gleichzeitig eine stark fordernde auditorische Aufgabe bewerkstelligt werden muß. Die

Topographie ist dieselbe, wie die einer „Selection-Negativity“, wenn dieselben visuellen

Reize ohne eine Zusatzaufgabe verarbeitet werden. Allerdings ist auch hier die Frage, ob die

Positivität einfach nur den Abbruch der Aktivierung visueller Repräsentationen bedeutet oder

eher eine modalitätsbezogene aktive Unterdrückung der visuellen Information darstellt. Im

letzteren Fall wäre die Bezeichnung „Rejection-Positivity“ berechtigt (Alho, Woods und

Algazi, 1994). Für die auditorische Modalität wurde ähnliches gezeigt (Michie, Solowij,

Crawford und Glue, 1993).

Die Interpretation der Differenzpotentiale bleibt also dem theoretischen Rahmen geschuldet,

oder muß auf empirisch begründete Zusatzannahmen bauen. So findet sich beispielsweise im

Page 26: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

3. Psychophysiologie der visuellen Selektiven Aufmerksamkeit ... 24

Paradigma von Posner (1978) eine endogene Verstärkung der P1 und N1 für valide versus

invalide Reize bei räumlicher selektiver Aufmerksamkeit (Mangun und Hillyard, 1991). Ein

Vergleich dieser beiden Bedingungen mit der neutralen Bedingung, zeigt eine qualitative

Dissoziation auf: Während valide Trias ausschließlich mit einer Erhöhung der N1-Amplitude

einhergehen, findet sich für invalide Trials ausschließlich eine Reduktion der P1-Amplitude in

Relation zur Kontrollbedingung. Man könnte nun also argumentieren, daß Inhibition sich in

der P1 und Exitation sich in der N1 widerspiegelt (Hillyard, Luck und Mangun, 1994). Für die

nicht-räumliche Selektion scheinen solche Vergleiche mit dieser Art von „neutraler“

Bedingung nicht unternommen worden zu sein.

Die übliche Prozedur zur Erfassung des Differenzpotentials beinhaltet nach Wijers et al.

(1996, S.486, S.499) die zufällig sequenzierte, sukzessive und schnelle (<1000 ms ISI)

Darbietung einzelner relevanter und irrelevanter Reize. In räumlichen Selektionsaufgaben in

der Regel mit einem Abstand zum Fixationspunkt von mindesten 3° visuellem Winkel. Damit

ist leider die Situation gegeben, daß fast alle Untersuchungen zu grundlegenden Mechanismen

der Selektiven Aufmerksamkeit in einer prozeduralen Form durchgeführt wurden, die mit

dem üblichen Vorgehen im Negative-Priming-Paradigma nicht kompatibel ist, da hier

relevanter und irrelevanter Reiz in einer mehrgliedrigen Reizvorlage simultan dargeboten

werden. (Wijers et al., 1996; Kok, 1999).

Ein zum Negative-Priming eher vergleichbares Vorgehen findet sich im Paradigma der

„Visuellen Suche“, das vorrangig zum Studium von Prozessen im Arbeitsgedächtnis benutzt

wird. Sich also eher mit „später“ Reizevaluation im Arbeitsgedächtnis als mit „früher“,

perzeptiver Reizselektion auseinandersetzt.

Eine häufig verwendete analytische Erweiterung ist die Berechnung des lateralisierten

Bereitschaftspotentials (LRP) (Wijers et al., 1996; Sommer, Ulrich, Leuthold, 1995; Coles et

al., 1995). Hierin spiegeln sich reaktionsvorbereitende Prozesse wider.

Es steht also mit den angesprochenen experimentellen Designs ein Spektrum an

Einsichtsmöglichkeiten zur Verfügung, mit denen Aufmerksamkeitsprozesse auf allen Ebenen

der Informationsverarbeitung erfaßt werden können.

Im folgenden sind nun einige für die vorliegende Studie relevante experimentelle Prozeduren

und experimentelle Variationen detaillierter vorgestellt.

3.1Reiz-Perzeption

Mit der „Einfachen Selektionsaufgabe“ (Wijers, 1996, S.487) können selektionsbezogene

EKP-Phänomene auf perzeptueller Ebene untersucht werden. Es wird definiert, welches

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3.1 Reiz-Perzeption 25

physikalische Reizmerkmal zu beachten ist oder auch welche Konjunktion mehrerer

Merkmale relevant ist. Jeder Reiz, der dem Selektionskriterium entspricht, soll beachtet

werden. Reaktionen sind nicht erforderlich, aber sinnvoll, um die Vpn zu motivieren. Es

können mit diesem Paradigma Aspekte der in Abschnitt 1.2.7 genannten ersten empirischen

Fragestellung behandelt werden. Es kann nun geprüft werden, ob Selektion aufgrund

verschiedener Merkmale, unterschiedliche Variationen im EKP hervorruft, oder ob Klassen

von Merkmalen existieren, die den selben Prozessen unterliegen. Indem Reize in ihrer

Ähnlichkeit mit dem relevanten Merkmal variiert werden, kann anhand der Größe und Latenz

des Potentials die Bandbreite des Aufmerksamkeitskanals bestimmt werden. Mit

mehrdimensional bestimmten Kanälen, können hierarchische Abhängigkeiten der Selektion

untersucht werden.

3.1.1 Visuell-räumliche Verarbeitung

In der visuellen Modalität hat sich gezeigt, daß grundlegend verschiedene EKP-Phänomene

für einerseits räumliche und andererseits nicht-räumliche Selektion zu beobachten sind.

Die räumliche Selektion ist mit lateralisierten Modulationen der exogenen posterioren

Komponenten P1 und N1 verbunden (weil weder Latenzen noch Topographien anders als bei

der exogenen Auslösung sind). Es wurden auch spätere Effekte gefunden, die aber sehr

uneinheitlich und vermutlich aufgabenspezifisch sind (Wijers, S.500). Nach Mangun und

Hillyard (1995) sind diese Effekte einer Schwellenkontrolle („Gain-Control“ oder „Sensory

Gating“) zuzuschreiben, die die Erregbarkeit derjenigen neuronalen Netzwerke moduliert, die

für eine sensorische Kodierung zuständig sind. Vergleicht man das EKP auf relevante mit

dem auf irrelevante Reizen, findet sich ein Verstärkungseffekt für P1 und N1. Wie schon in

der Einleitung zu Abschnitt 3 beschrieben wurde, setzt er sich zusammen aus einer Reduktion

der P1 für irrelevante und einer Verstärkung der N1 für relevante Reize verglichen mit einer

neutralen Bedingung. Während die P1 in ersten Durchgängen einer Sequenz noch nicht

vorhanden ist, wird die N1 gerade von ersten Reizen besonders gut ausgelöst (Wijers, 1996).

Wie in Abschnitt 3.3 genauer beschrieben wird, scheint der N1-Effekt weniger ein Index für

Schwellenregulierung als vielmehr eine Switch-Operation oder die Bereitstellung zusätzlicher

Verarbeitungsressourcen anzuzeigen. Nimmt man die Ergebnisse von Moran und Desimone

(1985) hinzu, die auf neuronaler Ebene ausschließlich Hemmungsprozesse in den

sensorischen okzipito-temporalen Arealen finden konnten, so deutet sich an, daß das „Sensory

Gating“ ausschließlich durch Hemmung bewerkstelligt wird. Nach Mangun und Hillyard

(1995) setzt sich die N1 aus einer Vielzahl von über den Schädel verteilten

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3.1 Reiz-Perzeption 26

Unterkomponenten mit leicht unterschiedlichen Latenzen zusammen. So gibt es z.B. eine

okzipito-temporale und eine okzipito-parietale N1 (Johannes et al., 1992; Mangun et al.

1993), die beide lateralisiert sind. Demgegenüber wird eine frontale, nicht-lateralisierte N1

mit einer etwas früheren Latenz beobachtet.

3.1.2 Visuell-nicht-räumliche Aufmerksamkeit

Die nicht-räumliche Selektion findet ihren Ausdruck in einer erhöhten posterioren Negativität

frühestens ab ca. 150 ms und wird – weil sie ein ähnliches Verhalten zeigt – in Anlehnung an

Erkenntnisse aus der auditiven Modalität auch als Negative-Difference (Nd) bezeichnet

(Näätänen, 1988, 1990). Nach Smid et al. (1997) wird das selbe Phänomen auch „Selection

Negativity“ (SN) genannt. In der auditiven Modalität ist Selektion merkmalsunspezifisch

immer mit einer Nd verbunden (schon ab ca. 70 ms). In der visuellen Modalität geht diese

posteriore Negativität (ab 150 ms) nach Wijers et al. (1996, S.500) mit einer anterioren

Positivität einher und wird ab ca. 200 ms gefolgt von einem zweiphasischen N2b-P3a

Komplex. Der Autor vermutet, daß der frühe Effekt die Selektion selbst widerspiegelt,

während der N2b-P3a Komplex den Zugang der selegierten Information zur

kapazitätslimitierten Weiterverarbeitung widerspiegelt. Kok (1999) charakterisiert N2b und

P3a (Novelty-P3, max. FCz) auch als Orientierungsreaktion auf neuartige, unerwartete Reize,

die schnell habituiert. Dieser Komplex kann auch durch Reize im unbeachteten Kanal

ausgelöst werden und wird dann als kurzzeitige Orientierungsreaktion hin zum irrelevanten

Kanal interpretiert (Wijers et al., 1996). Nach Mangun und Hillyard (1995) wird häufig auch

eine frontale P2 auf relevante Reize beobachtet. Diese Komponente ist vermutlich identisch

mit einer von Wijers (1996) beschriebenen anterioren Positivität.

Die nicht-räumliche Selektion ist in der Regel der räumlichen hierarchisch untergeordnet.

Diese Hierarchie zeigt sich z.B. wenn Reize aufgrund von Farbe und Ort selegiert werden

sollen. Die Verstärkung von P1 und N1 (siehe Abschnitt 3.1.1) findet immer statt, auch wenn

die Farbe nicht relevant ist, die Nd hingegen wird nicht mehr generiert, wenn der Ort

irrelevant ist. Diese Hierarchie ist allerdings nicht absolut. Wenn die Bestimmung der

Lokation erschwert wird, findet man eine Nd auf relevante Farben bei gleichzeitig irrelevanter

Lokation (Hillyard und Münte, 1984). Diese und andere Ergebnisse werden so interpretiert,

daß Selektion über Orte der schnellere und effektivere aber nicht obligatorische Weg ist.

Die Nd wird berechnet, indem das Potential für relevante von dem für irrelevante Reize

subtrahiert wird. Es hat sich gezeigt, daß für jeden Reiz eine Negativität entsteht, die jedoch

um so länger anhält und um so größere Amplituden entwickelt, je ähnlicher sie dem

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3.2 Reiz-Evaluation 27

relevanten Kanal ist. Diese Negativität wird auch Processing-Negativity (PN) genannt

(Näätänen, 1990) und hält solange an, bis der Vergleich zwischen kanaldefinierenden

Merkmalen und dem aktuellen Reiz abgeschlossen ist. Dieser Vergleich ist nicht erschöpfend,

d.h. sobald ein Merkmal als nicht-passend erkannt ist, wird die Analyse des Reizes

abgebrochen. Ein Target-Reiz wird solange verarbeitet, bis jedes Merkmal abgeglichen ist.

Aus den genannten Gründen ist die Latenz der Nd um so größer, je ähnlicher sich Non-Target

und Target sind. Die Nd ist in eine frühe perzeptionsbezogene Komponente (Nde) und eine

späte, nur vom Target beeinflußte evaluationsbezogene Komponente (Ndl) aufgeteilt worden

(Wijers et al., 1996). Die Nde entwickelt sich erst nach einigen (3-6) Durchgängen zu

maximaler Amplitude und minimaler Latenz. Auch nach längeren ISIs zwischen Reizen einer

Sequenz oder wenn die relevanten Reize seltener auftreten, ist sie reduziert. Näätänen (1988,

1990) interpretiert die Nde im Sinne eines Abgleichs zwischen anstehendem sensorischen

Input und einem Modell der relevanten sensorischen Information. Dieses Modell – als

„Attentional Trace“ bezeichnet – ist von „afferenter“ Verstärkung abhängig und kann deshalb

erst nach Interaktion mit relevanter Information in die Verarbeitung eingreifen.

Es wird allerdings auch die Vermutung geäußert (Wijers et al., 1996; Mangun und Hillyard,

1995), daß die visuelle Nd ein spezifischer Effekt der Farbselektion ist und Negativitäten auf

andere Merkmale eher mit objektbasierter später Selektion oder Weiterverarbeitung unter

serieller Kontrolle zusammenhängen. In dieser Weise können z.B. die lateralisierten Effekte

von N2 und N2pc interpretiert werden (siehe auch Abschnitte 3.2 und 3.4.1). Dies wären dann

eher Indizes der Reiz-Evaluation.

3.2Reiz-Evaluation

Die in diesem Abschnitt behandelten Fragen, sind relevant für diejenigen Prozesse, die beim

Negative-Lokation-Priming – nach erfolgter perzeptueller Analyse – dem Response-System

die Lokation des relevanten Reizes verfügbar machen.

Die „Zweifache Selektionsaufgabe“ (Wijers et al., 1996) definiert wie gehabt einen „Kanal“,

allerdings sind jetzt nicht alle durch den Kanal herausgefilterten Reize auch gleichzeitig

relevant für eine weitere Analyse. Unterschiede im EKP lassen dann Schlüsse über die

aufgabenbezogene sogenannte „Evaluation“ eines einmal selegierten und als Perzept

zugänglichen Reizes zu (Abschnitt 1.2.7: dritte empirische Fragestellung). Evaluation heißt

hier soviel wie die Bedeutung eines Reizes im aktuellen Kontext zu erschließen und damit

auch seine auf das aktuelle Handlungsziel bezogene Verwendbarkeit zu erkennen. Evaluation

ist auch als Form der kontrollierten, seriellen Verarbeitung zu verstehen.

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3.2 Reiz-Evaluation 28

Die hier gemachte klare Trennung zwischen Selektions- und Evaluationsprozessen verwischt,

wenn die den Kanal definierenden Eigenschaften nicht mehr rein physikalisch-sensorische

Reizmerkmale, sondern eher objektbezogene oder gar zweckbezogene Qualitäten betreffen.

Die in Abschnitt 3.1 beschriebenen perzeptionsbezogenen EKP-Effekte werden von allen

Reizen ausgelöst, die dem definierten sensorischen Kanal entsprechen, egal ob sie weiter

verwendet werden sollen oder nicht. Die Komponenten, die spezifisch nur für

aufgabenrelevante Reize ausgelöst werden, sind einmal die zentro-parietale P3b und weiterhin

sogenannte „Processing-Negativities“ (PN), wie z.B. die lateralisierte posteriore N2 oder

N2pc (Heinze et al., 1990; Eimer, 1996; Luck et al. 1993). Anders als Nd und P1 werden sie

auch schon durch erste Reize einer Sequenz hervorgerufen. Das bedeutet, daß Selektion auch

auf einer späten Verarbeitungsebene stattfinden kann, wenn frühe Mechanismen noch nicht

eingreifen konnten. Die Latenz der P3b wird als Index für das Ende der Reizevaluation

gesehen. Die P3b selbst gilt als Index für „Context-Updating“. Was soviel bedeutet, wie das

Arbeitsgedächtnis auf den neuesten Stand zu bringen und alle möglichen Parameter aufgrund

der neuen Ereignisse für zukünftige Informationsverarbeitung neu anzupassen. Die

Reizevaluation selbst geht einher mit den erwähnten PNs, die je nach Aufgabe verschiedene

Topographien aufweisen (Wijers, 1996; Mangun und Hillyard, 1995). Sowohl die P3b-

Amplitude als die Negativitäten sind empfindlich für die Aufteilung von

Verarbeitungsressourcen. So zeigte sich im Zweitaufgaben-Paradigma, daß die P3b-

Amplitude nach einer Trade-Off Funktion zwischen beiden Aufgaben aufgeteilt wird, je nach

dem wie wichtig (z.B. über Belohnung induziert) die Aufgaben jeweils sind (Wijers, 1996).

Mein Eindruck ist, daß nicht klar herausgearbeitet ist, worin der Unterschied zwischen

selektionsbezogener und evaluationsbezogener PN besteht (siehe Wijers et al., 1989:

„Selection-Negativity“ versus „Search-Negativity“). Möglicherweise spiegeln sie in

vergleichbarer Weise selektive Verarbeitung auf unterschiedlichen Ebenen wider. Im einen

Fall heißt es dann Perzeption und im anderen Fall Evaluation.

Direkt reaktionsvorbereitende Prozesse bilden sich nicht in P3b-Amplitude oder -Latenz ab,

sondern im Bereitschaftspotential, das aus mehreren Komponenten zusammengesetzt ist

(Kok, 1999, S.137). Die spezifische „Programmierung“ motorische Abläufe wird im

Lateralisierten Bereitschaftspotential (LRP) sichtbar (Sommer et al., 1996). Die Beiträge zum

LRP werden vermutlich im motorischen Kortex generiert und zwar kontralateral zur zu

bewegenden Körperhälfte (Coles et al., 1995). Prozesse, die mit der Selektion bei simultan

aktivierten Reaktionen zusammenhängen, werden in Abschnitt 3.4.2 dargestellt.

Page 31: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

3.3 Sukzessive versus simultane Darbietung... 29

3.3Sukzessive versus simultane Darbietung relevanter und irrelevanter Reize

Es gibt einige Befunde im Zusammenhang mit räumlicher Aufmerksamkeit, die auf

bedeutende Unterschiede für sukzessiv versus simultan dargebotene Reize hindeuten.

Inwieweit diese Unterschiede auch für nicht-räumliche Selektion gelten ist nicht systematisch

untersucht worden. In jedem Fall machen diese Erkenntnisse deutlich, daß viele Studien mit

sukzessiver Darbietung möglicherweise nur bedingt für die Interpretation der EKPs im

Negative-Priming-Paradigma verwendbar sind.

So wurden nach Wijers (1996, S.503-504) für unilaterale Darbietungen kontralaterale N1-

Verstärkungen für relevante Reize nachgewiesen. Für die P1 ist die Befundlage uneinheitlich:

es wurden sowohl kontralaterale auch ipsilaterale Verstärkungen gefunden (Wijers, 1996,

S.505). In Kok (1999, S.143) findet sich ein Verweis auf eine Studie von Hopfinger und

Mangun (1998), die nahelegt, daß die widersprüchlichen P1-Ergebnisse möglicherweise auf

unterschiedliches Cue-Stimulus-Timing zurückgeführt werden können. Hier zeigte sich eine

kontralaterale P1-Verstärkung für ein ISI von 100 ms und eine kontralaterale P1-Reduktion

für ein ISI>300 ms. Dies könnte mit dem Inhibition-of-Return-Phänomen (Posner und Cohen,

1984) zusammenhängen, das für kurze Latenzen (bis 100 ms) eine Erleichterung und für

größer Latenzen eine Hemmung mit sich bringt.

Bei simultaner, bilateraler Darbietung findet sich keine N1 Modulation, dafür aber eine

kontralaterale Verstärkung der P1 (Heinze et al. 1990). Dieselben Autoren interpretieren in

Luck et al. (1990) die Unterschiede zwischen diesen beiden Darbietungsformen so, daß in der

unilateralen, sukzessiven Darbietungsform automatische Aufmerksamkeitsverlagerungen zur

irrelevanten, reizbesetzten Seite hin stattfinden und deshalb in der Hälfte der Trials ein

Neuorientierung zurück zur (konstanten) Targetseite stattfinden muß, der sich in dem N1-

Effekt niederschlägt (die N1-Switch-Hypothese wird auch von Näätänen (1988) vertreten. Er

spricht auch von einem „call for processing resources“).

In Studien mit Einzelzell-Ableitung wurde beobachtet, daß inhibitorische Effekte der

räumlichen Aufmerksamkeit in dem prästriaten visuellen Areal V4 und im inferioren

Temporalkortex nur bei simultaner Darbietung von Target und Distraktor gefunden werden

konnten (Desimone et al., 1990; Moran und Desimone, 1985). Aus der

Reaktionszeitforschung schließlich ist bekannt, daß der Negative-Priming Effekt nur bei

Vorhandensein eines Probe-Distraktors konsistent auftritt (Fox, 1995). Eine diesem

Sachverhalt gerecht werdende theoretische Konzeption ist in dem kompetitiven

Netzwerkmodell von Houghton und Tipper (1994) zu finden (siehe Abschnitt 2.2).

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3.4 Negative Priming? 30

3.4Negative-Priming?

Wie gesagt ist ein definierender Bestandteil des Negative-Priming-Paradigmas die simultane

Darbietung von Target und Distraktor, um kompetitive Mechanismen der Selektion studieren

zu können. Wie ebenfalls schon mehrfach betont wurde, gibt es in der psychophysiologischen

Forschung kaum Studien, die in dieser Hinsicht ein einigermaßen geschlossenes Bild ergeben

würden. Die nächsten beiden Abschnitte behandeln Studien, die eine gewisse Relevanz für

das in dieser Diplomarbeit durchgeführte Experiment besitzen. Es wird sich zeigen, daß die

Befundlage gar nicht so mager ist, wie befürchtet.

3.4.1 Visuelle Suche

Im Paradigma der Visuelle Suche wird eine mehrgliedrige Reizvorlage auf das Vorkommen

eines Zielreizes hin „durchsucht“. Der Zielreiz ist über nicht-räumliche Objekt-Merkmale

definiert, anders als in den Studien zur räumlichen Aufmerksamkeit bei mehrgliedrigen

Reizvorlagen, die in Abschnitt 3.3 behandelt wurden (Luck et al. 1993). Dieses Paradigma

kommt dem Aufbau des Negative-Lokation-Priming recht nahe, denn auch hier muß ein

räumlich angeordneter Zielreiz vor einem Distraktorhintergrund identifiziert werden.

Allerdings ist die Aufgabenbelastung in Suchaufgaben normalerweise wegen einer größeren

Anzahl potentieller Zielreize und simultan dargebotener Distraktoren höher.

Ein Experiment, daß fast schon als Negative-Priming bezeichnet werden kann, wurde von

Luck et al. (1993) durchgeführt. Sie beziehen sich auf die schon erwähnte Studie von Heinze

et al. (1990), in der neben den oben erläuterten Befunden auch gezeigt wurde, daß ein völlig

unspezifischer, unstrukturierter Probe-Reiz (ein „Lichtfleck“) genauso wie ein Buchstaben-

Probe eine erhöhte P1 mit sich bringt, wenn er an einer zuvor beachteten verglichen mit einer

nicht-beachteten Lokation dargeboten wird. Das wird als Nachweis für ein

merkmalsunabhängiges räumliches Gating gewertet.

Luck et al. benutzten nun nicht eine räumliche Selektionsaufgabe, sondern die visuelle Suche,

um auch hier nachzuweisen, daß die Identifikation eines Targets an die dazugehörige

räumliche Position gebunden ist. Es wurden 16 t-förmige Reize dargeboten, von denen 14

irrelevante, sämtlich rote Distraktoren waren. Die beiden anderen Reize wurden in

verschiedene Halbfelder projiziert und einer sollte aufgrund seiner Farbe (blau oder grün)

gefunden und seine Orientierung per Tastendruck indiziert werden. Diese Aufgabe war mit

einer posterioren, kontralateral zum Target maximalen sogenannten N2pc Komponente

zwischen 200 und 300 ms verbunden, die spezifisch für Selektion im Kontext der visuellen

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3.4 Negative Priming? 31

Suche sein soll. In einigen Trials wurde ein Probe-Reiz (als Rahmen um eine Position)

entweder an der Targetposition oder an der kontralateralen Distraktorposition in das aktuelle

Display hinein projiziert. Geschah dies 250 ms nach Einsatz des Such-Displays, so wurde

sowohl die P1 als auch die posteriore N1 für die Targetposition verglichen gegen die

Distraktorposition verstärkt. Nach 400 ms fand sich nur noch eine N1-Verstärkung. In beiden

Fällen wurde auch die anteriore N1 verstärkt. Die Autoren interpretieren diese Ergebnisse im

oben genannten Sinne einer positionsabhängigen visuellen Suche und nehmen an, daß die P1-

Effekte davon abhängig sind, ob der Mechanismus der N2pc noch aktiv ist.

Wijers et al. (1989) haben aus einer Studie auf einen Unterschied zwischen einem schnellen

prä-attentiven Klassifikationssystem und einem langsamen weil seriellen attentionalen System

unterschieden, die beide in der Lage sind, Reize in Targets und Non-Targets zu klassifizieren.

Während Ersteres mit einer posterioren N2 (vielleicht identisch mit N2pc) und einer zentralen

N2b verknüpft ist, ist letzteres in einer zentralen langsamen „Search-Negativity“ sichtbar.

Luck und Hillyard (1994) haben weitere Eigenschaften der N2pc aufgezeigt. Erstens wird sie

auch von Non-Targets ausgelöst, die dem Target ähnlich sind. Zweitens tritt die N2pc nicht

auf, wenn keine Distraktoren vorhanden sind. Drittens wird sie auch von Targets ausgelöst,

die über eine Kombination von Merkmalen selegiert werden sollten, ein reizgesteuerter „Pop-

Out“ Mechanismus also ausgeschlossen werden kann. Viertens konnten sie zeigen, daß die

Komponente in den prästriaten okzipito-temporalen visuellen Arealen generiert wird. Aus

diesen Erkenntnissen haben die Autoren auf eine Rolle dieser Komponente in der aktiven,

top-down gesteuerten Unterdrückung(!) irrelevanter Information geschlossen.

Eimer (1996) hat diese Hypothese weiter untersucht und konnte zeigen, daß die N2pc auch

bei nur einem Distraktor vorhanden ist und zwar genauso stark, wie bei drei Distraktoren. Er

schließt daraus eher auf targetbezogene Bahnung, weil keine Variation in der N2pc mit der

Anzahl an Distraktoren und damit mit dem Aufwand an Hemmung einhergeht.

3.4.2 Späte Selektion bei bereits vorbereiteten Reaktionsalternativen

Zusammenfassungen von Eimer (1999) und Kok (1999) ist zu entnehmen, daß in bestimmten

Situationen unter Umgehung attentionaler Kontrolle falsche Reaktionen über direkte

perzeptuo-motorische Verbindungen gebahnt werden können. Diese Prozesse bilden sich im

LRP ab. Wenn beispielsweise ein Reiz auf der Seite, die der Reaktionshand gegenüberliegt,

dargeboten wird, kommt es in dieser inkompatiblen Bedingung („Simon-Effekt“) zunächst

zur Vorbereitung einer Reaktion mit der falschen Hand, die mit der Darbietungsseite

assoziiert ist. Im LRP ist das als eine frühe motorische Aktivierung in die falsche Richtung

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3.4 Negative Priming? 32

sichtbar. Die korrekte Aktivierung setzt dann im Vergleich zur kompatiblen Bedingung

(Darbietungsseite gleich Reaktionsseite) erst verspätet ein (De Jong et al., 1994). Ähnliche

LRP-Effekte finden sich beim Eriksen-Flanker-Effekt, wenn inkompatible Buchstaben den

zentralen reaktionsrelevanten Buchstaben umgeben (Coles et al., 1988). Diese Befunde

machen deutlich, daß unter bestimmten Umständen Selektion auf höherer Ebene erforderlich

ist, um widersprüchliche motorische Befehle zu klären und fälschlicherweise vorbereitete

Reaktionen zugunsten einer korrekten Reaktion zu verhindern. Prozesse, die mit der Selektion

bei gleichzeitig aktivierten Reaktionen verbunden sind, können auch im Stop-Change-

Paradigma untersucht werden (De Jong et al., 1995). Hier soll auf schnell hintereinander

dargebotene Reize mit z.B. linker oder rechter Hand reagiert werden. In einigen Fällen wird

ein Stop-Change Signal gesetzt, daß die Ausführung der intendierten Reaktion untersagt. Statt

dessen soll mit der anderen Hand reagiert werden. Auch für diese Situation wird

angenommen, daß auf einer späten Verarbeitungsebene Selektion stattfinden muß, um die

neue Anweisung gegen die alte durchzusetzen. Als eine Möglichkeit wird die Inhibition der

alten Anweisung erwogen.

Eimer (1999) und Eimer und Schlaghecken (1998) haben eine Art sukzessives Negative-

Priming realisiert, indem sie Target-Reize (Pfeil-links oder Pfeil-rechts) einem entweder

reaktionskompatiblen, -inkompatiblen oder neutralen maskierten Prime-Reiz (ebenfalls Pfeile,

bei 16 ms Darbietungszeit) folgen ließen. In kompatiblen Durchgängen wurden abhängig von

der SOA zwischen Prime und Target für kurze SOA verkürzte und für längere SOA

verlängerte Reaktionszeiten im Vergleich mit der neutralen Bedingung gefunden. Die

Verläufe im LRP lassen vermuten, daß dieses etwas paradoxe Muster durch einen

Inhibitionsmechanismus zustandekommt, der auf die Prime-Verarbeitung einwirkt.

Abbildung 3.1 Die LRP-Verläufe bei Eimer und Schlaghecken (1998). Die involvierten Elektroden sind C3‘ und C4‘. Der Prime

wurde von 0-16 ms dargeboten, die Maske von 16-116 ms und das Target von 116-216 ms.

Maske Target

Prime-Onset

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3.4 Negative Priming? 33

Fällt die Reaktionsvorbereitung für das Target in das erste Intervall (Abbildung 3.1:

schwarzer Pfeil, 200-280 ms), so findet sich eine Erleichterung der Verarbeitung. Fällt sie in

das zweite Intervall (weißer Pfeil, 280-400 ms), so muß die Hemmung erst überwunden

werden, bevor die korrekte Reaktion vorbereitet werden kann.

Warum aber wird die automatische Reaktionsvorbereitung des Prime-Reizes gehemmt? Das

Modell von Houghton und Tipper (1994) nimmt eine Hemmung für den Fall an, daß ein Reiz

nicht mit dem „Attentional-Target“ übereinstimmt. In der besprochenen Studie sind aber die

konsistenten Prime-Reize gleich den Target-Reizen, d.h. sie können gar nicht wie

Distraktoren behandelt werden.

Die Konzeption von Eimer (1999) postuliert einen zentralen Überwachungsmechanismus, der

aktuelle Reaktionsanweisungen mit aktueller perzeptueller Information vergleicht. Wird keine

Übereinstimmung festgestellt, werden die fälschlicherweise aktivierten Repräsentationen

gehemmt.

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4.1 Logik der Untersuchung 34

4 Die Planung der Untersuchung

4.1Logik der Untersuchung

Es sollen Inhibitionseffekte als Teilmechanismus der visuellen selektiven Aufmerksamkeit im

EKP sichtbar gemacht werden. Zu diesem Zweck soll eine Negative-Priming-Prozedur

verwendet werden.

� Welche experimentelle Prozedur?

Aufgrund sehr großer Effekte auf Verhaltensebene wurde die experimentelle Prozedur von

Neill et al. (1992) adaptiert. Für den Negative-Priming Haupteffekt der Reaktionszeiten

wurde eine Größe von 2=.83 gefunden! In dieser Untersuchung wurde Negative-Location-

Priming realisiert. Obgleich die Autoren die Untersuchung zur Aufdeckung von Effekten

durch Episodic-Retrieval (nach der Theorie von Baddeley, 1976) angelegt haben und ihre

Ergebnisse auch entsprechend interpretieren, spricht die Abhängigkeit des Negative-Priming-

Effektes von der zeitlichen Diskriminierbarkeit der Prime-Episode –wie in Abschnitt 2.3.4

erläutert– nicht zwangsläufig gegen Inhibition. Für diese Studie wird angenommen, daß die

Inhibition der Distraktorrepräsentation an die entsprechende Episode gebunden ist.

Das Experiment eignet sich auch besonders gut zur EKP-Analyse, weil sowohl die Reize als

auch die Reaktionen lateralisiert sind, und deshalb lateralisierte Potentiale berechnet werden

können, anhand derer die Verarbeitung von Target und Distraktor getrennt betrachtet werden

kann.

� Der explorative Charakter der Studie

Es sollen alle Ebenen des Selektionsprozesses beleuchtet werden, um mögliche

Inhibitionseffekte (den Inhibitionsvorgang selbst, oder die Auswirkungen von Inhibition auf

spätere Prozesse) über den gesamten Selektionszyklus nachvollziehen zu können. Diese

Ebenen beziehen sich nach Wijers et al. (1996) erstens auf reizbezogene Selektionsvorgänge

(Perzeption), zweitens auf aufgabenbezogene Evaluationsvorgänge und drittens auf exekutive

Kontrollfunktionen zur Einrichtung, Aufrechterhaltung und Veränderung eines

Selektionskanals (siehe Abschnitt 1.7).

Die ersten beiden Ebenen sollen anhand früher (N1, P1, Nd) und später (N2, P3, LRP) EKP-

Komponenten voneinander getrennt werden, während die Untersuchung der exekutiven

Prozesse eine eigene experimentelle Variation in Form einer Switch-Bedingung (siehe unten)

erfordert.

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4.1 Logik der Untersuchung 35

� On-Line Beobachtung des Inhibitionsvorgangs während des Selektionsprozesses

Die Analyse von EKPs ermöglicht es, die Verarbeitung des Distraktors

„on-line“ zu beobachten ohne allein auf die sehr indirekte Prime-Probe-Technik der

Verhaltensanalyse angewiesen zu sein. Um dies leisten zu können, muß aber irgendwie der

distraktorbezogene Anteil des EKP vom targetbezogenen Anteil isoliert werden.

Es wurde deshalb ein eigenständiges Experiment konzipiert (Exp31), in dem Target und

Distraktor entweder simultan dargeboten werden (Select-Bedingung) oder das Target alleine

erscheint (Nonselect-Bedingung). Unterschiede dieser beiden Bedingungen im EKP

kennzeichnen dann im besten Fall Inhibitionsvorgänge während des Selektionsprozesses.

� Manipulation der exekutiven Kontrolle und resultierende Implikationen

Die Zielsetzung, auch exekutive Prozesse zu untersuchen, wurde in einem weiteren

eigenständigen Experiment (Exp30) durch die Einführung eines Instruktionswechsels

(Switch) verwirklicht. Diese Manipulation hat zur Folge, daß das zu beachtende Merkmal in

der einen Hälfte der Fälle geändert wird (Switch-Bedingung) während es in den übrigen 50%

gleich bleibt (Nonswitch-Bedingung). Diese Manipulation hat neben der eigentlich damit

verknüpften Intention weitergehende Implikationen:

Erstens haben Park und Kanvisher (1994) genau diese Variation eingeführt, um ein generelles

Problem der vorliegende Art von Location-Priming Prozeduren zu thematisieren: die Feature-

Mismatch-Hypothese. Die Ergebnisse sprechen allerdings nach Meinung der Autoren

eindeutig gegen die Inhibitionstheorie und für die Feature-Mismatch-Hypothese. Deshalb

wurde eine weitere unabhängige Variable eingeführt, um wenigstens ansatzweise die

Einflüsse von Switch und Feature-Mismatch zu orthogonalisieren. Damit soll gezeigt werden,

daß mit dem Switch verbundene Konfundierungen zu den Ergebnissen von Park und

Kanvisher geführt haben.

Eine dieser Konfundierungen liegt in Erkenntnissen der EKP-Forschung begründet, die eine

Differenzierung zweier unterschiedlicher Selektionsformen nahelegen. Zum einen

lokationsbezogene Selektion durch direkte Modulationen (Gating) auf der Ebene sensorischer

Repräsentationen (Harter und Aine, 1984), zum anderen die indirekte Selektion durch

Vergleich der sensorischen Information mit einer Aufmerksamkeitsspur (Näätänen, 1990).

Während die Einrichtung einer Aufmerksamkeitsspur afferente Verstärkung voraussetzt,

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4.1 Logik der Untersuchung 36

funktioniert die intraperzeptive Selektion auch ohne afferente Verstärkung.5 Im Vergleich zu

Exp31 kann in Exp30 keine konsistente Aufmerksamkeitsspur angelegt werden, weil das

relevante Merkmal hier ständig wechselt. In Exp31 findet Selektion in einem „Sustained-

Attention-Setting“ statt, während in Exp30 ein „Transient-Attention-Setting“ hergestellt wird.

Innerhalb von Exp30 sollte in der Nonswitch-Bedingung ein gewisser Vorteil durch eine

rudimentär angelegte Aufmerksamkeitsspur vorhanden sein, während in der Switch-

Bedingung noch keinerlei afferente Verstärkung stattgefunden hat.

Eine zweite Konfundierung liegt vor, weil der Cue in der Switch-Bedingung Informationen

über den Prime-Distraktor enthält und deshalb schon im Cue-Probe Intervall die Inhibition

wieder abgebaut werden könnte (Milliken et al., 1994). Dieser Fall ist in Anhang A1 in der

Bedingung [NP-Switch-OhneWechsel] veranschaulicht.

Schließlich könnte der Instruktionswechsel zu einer Neutralisierung aller vorheriger

Inhibitionen führen („Reset“), so daß nur noch der Mismatch-Effekt übrig bleibt.

5 Allerdings ist das nach dem detaillierten Studium der Literatur nicht mehr ganz so eindeutig. Während die P1

ebenso wie die Nd auch von afferenter Verstärkung abhängt, gilt dies nicht für die N1. Sowohl P1 als auch N1

gelten beide als Indikatoren für frühe Gating-Prozesse. Siehe Abschnitt 3.1.1.

4.1.1 Versuchspläne und Hypothesen

Der vollständige Versuchsplan für Exp30, der aus den oben genannten Überlegungen

resultiert, ist sehr komplex und bezüglich der Auflösung der besprochenen Konfundierungen

auch nicht wirklich in allen Aspekten aufschlußreich. Er ist deshalb nur im Anhang A1

aufgeführt. Im Rahmen dieser Diplomarbeit werden daraus lediglich die Bedingungen [NP-

NonSwitch-OhneWechsel] und [KO-NonSwitch-OhneWechsel] besprochen. Diese beiden

Bedingungen sind in ihrem Reizaufbau identisch mit [NP-Select-Select] und

[KO-Select-Select] aus Exp31. Der vollständige Versuchsplan für Exp31 ist in Anhang A2 zu

finden. Aus der Beschreibung der Sequenzbildung in Abschnitt 4.3.2 wird deutlich, daß jeder

Probe-Reiz gleichzeitig als Prime-Reiz für den nächsten Reiz in einer kontinuierliche Sequenz

dient. Da, wie beschrieben, in Exp31 auch eine Nonselect-Bedingung untergebracht ist,

werden wegen der speziellen Methode der Sequenzierung zwangsläufig auch Fälle erzeugt, in

denen im Prime kein Distraktor vorhanden ist. Hinsichtlich des Negative-Priming-Effektes ist

diese Bedingung natürlich sinnlos. Deshalb werden diese Fälle in der Analyse unterschlagen.

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4.1 Logik der Untersuchung 37

Die folgende Abbildung 4.1 gibt die übrig gebliebenen vier Anordnungen für Prime-Probe-

Abfolgen aus Exp30 und Exp31 wieder, die einer Analyse unterzogen werden.

Abbildung 4.1 Beispiele für die analysierten vier Prime-Probe-Anordnungen.

Diese vier Anordnungen werden nach den folgenden beiden Versuchsplänen verschiedenen

experimentellen Bedingungen zugeordnet. Alle Bedingungen werden innerhalb der Personen

variiert.

Versuchsplan A (VPL A)

Faktor [Priming]

Negative-Priming Kontrolle

Select NP-Select-Select KO-Select-SelectFaktor

[Probe-Select] Nonselect NP-Select-NonSelect KO-Select-NonSelect

Versuchsplan B (VPL B)

Faktor [Priming]

Negative-Priming Kontrolle

Sustained (Exp31) NP-Select-Select KO-Select-SelectFaktor

[Attention] Transient (Exp30) NP-NonSwitch-OhneWechsel KO-NonSwitch-OhneWechsel

Abbildung 4.2 Versuchspläne A und B.

Mit diesen beiden Versuchsplänen wird der Negative-Priming-Effekt in drei verschiedenen

Selektions-Settings untersucht. Einmal im Select- bzw. Sustained-Attention-Setting (realisiert

in VPL A bzw. VPL B), weiterhin im Nonselect-Setting (in VPL A) und schließlich im

Transient-Attention-Setting (in VPL B).

X o O Prime

O o X Probe

X o O Prime

O o Probe

X o O Prime

O o X Probe

X o O Prime

O o Probe

[NP-Select-Select] bzw.

[NP-NonSwitch-OhneWechsel]

[KO-Select-Select] bzw.

[NP-NonSwitch-OhneWechsel]

[NP-Select-NonSelect] [KO-Select-NonSelect]

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4.1 Logik der Untersuchung 38

�Gerichtete Hypothese A1

Im Select-Setting sind die Reaktionszeiten für Negative-Priming größer und die

Fehlerraten höher als für die Kontrolle. Dieser Effekt ist die Replikation des üblichen

Vorgehens im Negative-Location-Priming und sollte sehr groß sein.�

Gerichtete Hypothese A2

Auf Verhaltensebene sollte der Negative-Priming-Effekt im Nonselect-Setting kleiner als

im Select-Setting ausfallen oder gar nicht mehr vorhanden sein.�

Ungerichtete Hypothese A3

Unterschiede im EKP bezüglich der Bedingungen Select und Nonselect, sollten Hinweise

auf distraktorbezogene Selektionsprozesse geben.

�Ungerichtete Hypothese B1

Unter Transient-Attention ist der Unterschied in den Verhaltensdaten zwischen Negative-

Priming und Kontrolle in seiner Größe oder seiner Richtung anders als im Sustained-

Attention-Setting, weil hier keine konsistente Aufmerksamkeitsspur angelegt werden kann

und die Selektion deshalb „irgendwie“ anders bewerkstelligt werden muß.�

Ungerichtete Hypothese B2

Eventuell im EKP sichtbare Negative-Priming-Effekte, sind für Sustained-Attention

andere als für Transient-Attention (Begründung wie in Hypothese B1).�

Ungerichtete Hypothese B3

Zu prüfen ist, ob sich die unter Hypothese B2 genannten Effekte in frühen (P1, N1, Nd)

oder späten Komponenten (N2b, N2pc, LRP) niederschlagen.

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4.2 Die Prozedur 39

4.2Die Prozedur

Da sich das Experiment an der Studie von Neill et al. (1992) orientiert, wäre nichts

naheliegender, als das prozedurale Vorgehen zu übernehmen. Leider sind dem Artikel nur

sehr wenige detaillierte Informationen zum Ablauf des Experimentes zu entnehmen. Es ist zu

erfahren, daß vier horizontal auf einer Geraden angeordnete gleichabständige Positionen

durch Gleichheitszeichen markiert sind, ein Fixierkreuz zwischen den beiden inneren

Positionen erscheint (aber wie lange?) und das RSI zufällig zwischen 500 ms und 4000 ms

variiert. Ein Hinweis verweist auf eine Untersuchung von Tipper und McLaren (1990), an der

sich Neill et al. orientiert haben. Hier erfährt man mehr über Sehwinkel zwischen – allerdings

nicht horizontal auf einer Geraden und nicht gleichabständig angeordneten – Positionen. Der

Sehwinkel zwischen den inneren Positionen betrug 4.3° (also 2.15° zwischen der

Bildschirmmitte und der Buchstabenposition), zwischen den äußeren Positionen 8.2° (also

4.1° zwischen der Bildschirmmitte und der Buchstabenposition). Die Distanz zum Monitor

lag bei 45 cm. In diesem Experiment wurde kein Fixierkreuz angezeigt und die Prime-Probe

Abfolge war gepaart. Dieselbe Anordnung wurde auch von Park und Kanvisher (1994)

benutzt.

4.2.1 Anordnung der räumlichen Positionen

In einer Reihe von Target-Identifikationsaufgaben wurde eine umgekehrt proportionale

Abhängigkeit der Größe des Negative-Priming-Effektes von der räumlichen Distanz zwischen

Target und Distraktor im Probe festgestellt (Fox, 1995, S.157). Konsistent wurden nur Effekte

bei Distanzen beobachtet, die kleiner als ca. 1° waren. Möglicherweise gelten diese Angaben

aber nicht für Aufgaben der Target-Lokalisierung, jedenfalls liegen hierzu anscheinend keine

Untersuchungen vor. Vielleicht liegt aber gerade in der Distanzabhängigkeit eine Begründung

für die Ergebnisse von Park und Kanvisher (1994), die in Abschnitt 2.3.5 erläutert wurden. In

diesen Experimenten konnte unter Umständen deshalb keine Inhibition nachgewiesen werden,

weil die Distanzen dort mit 1.3°, 4.3° und 8.9° zu groß waren.

In einer Voruntersuchung zum vorliegenden Experiment wurden alle vier Positionen in die

Fovea projiziert (zentraler Sehwinkel = 1°). Die Faktoren [Switch], [Change], [Prime-Select]

und [Probe-Select] waren hier noch nicht realisiert. Es zeigte sich in einer Varianzanalyse mit

dem Design [Priming: NP vs. Kontrolle] x [Distanz Prime: eine Position vs. zwei/drei

Positionen] x [Distanz Probe: eine Position vs. zwei/drei Positionen] über sechs Vpn kein

Haupteffekt [Priming] (F(1,5)=2.6, p(F)=0.164), allerdings ein marginal signifikanter

Page 42: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

4.2 Die Prozedur 40

Wechselwirkungseffekt [Priming] x [Distanz Prime] x [Distanz Probe] (F(1,5)=4.3,

p(F)<0.093). Aufgrund einer Effektgröße von 2=0.83 bei Neill et al. für den Haupteffekt

[Priming] (F(1,17)=177.17), ist auch bei nur sechs Vpn mit einer genügend großen Power

( �! #"�$&%'%)(&*,+ -! #". #/ )6, die Aussage zu treffen, daß dieser Effekt unter den fovealen

Projektionsbedingungen nicht gefunden werden konnte. Der Vergleich Negative-Priming

versus Kontrolle für die Prime-Distanz=1 und eine Probe-Distanz=2 ergibt im t-Test ein

signifikantes Ergebnis (t(5)=2.15, p(t)<0.042; dx=28.2 ms), allerdings mit einem sehr viel

kleineren Effekt von 2=0.23. Alle anderen distanzbezogenen einfachen-einfachen

Haupteffekte für [Priming] gingen sogar in die falsche Richtung. Schweren Herzens wurde

unter dem Eindruck dieser Ergebnisse, eine Entscheidung für die extrafoveale Projektion der

vier Positionen getroffen, weil es einfach das übliche Vorgehen ist. Die Anordnung sah also

zusammenfassend folgendermaßen aus:

Abbildung 4.3 Anordnung der Reize in Exp30 und Exp31

6 Die Powerberechnungen wurden mit dem Programm Gpower (Faul und Erdfelder, 1992) durchgeführt.

4.2.2 Zeitliche Abfolge

Die Abfolge der Reize ist entgegen dem üblichen Vorgehen als kontinuierliche Sequenz von

zeitlich gleichabständigen Reizen angelegt. So ist jeder Probe-Reiz gleichzeitig Prime-Reiz

für den folgenden Reiz. Dies macht die Aufgabe weniger durchschaubar, als wenn isolierte

Prime-Probe Paare dargeboten werden. So soll verhindert werden, daß die Vpn eine

Abfolgestruktur erkennen können und möglicherweise der Distraktor beachtet wird, um ihn

strategisch zu nutzen und somit schon im Prime-Trial die Inhibition wieder reduziert wird.

Außerdem spart man natürlich viele zusätzliche Prime-Trials!

Für eine Entscheidung über die zeitliche Trennung der Reize ist zu beachten, daß

möglicherweise bei zu langen Abständen keine Inhibition mehr vorhanden ist und

andererseits bei zu kurzen Abständen noch keine Inhibition aufgebaut wurde. Die Frage, ob

Inhibition passiv auf ein neutrales Niveau abfällt („Passive Recovery“) und wenn ja wie

16cm

O+X

0.8cm1.3°4.25°

100cm

VP

5.5cm

Page 43: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

4.2 Die Prozedur 41

schnell, ist nach Fox (1995, S.164) noch nicht eindeutig geklärt. Für das vorliegende

Experiment von hervorgehobener Bedeutung ist die schon vielzitierte Studie von Neill et al.

(1992), die wahrscheinlich die Widersprüche zwischen verschiedenen Studien aufklären kann

(siehe Abschnitt 2.3.4). Sie finden nur einen marginalen Recovery-Effekt (p<0.1) zwischen

500 ms und 4000 ms RSI, wenn die episodische Diskriminierbarkeit konstant gehalten wird.

Bezüglich einer Untergrenze für Negative-Priming findet Yee (1991) Positive-Priming bei

einer Stimulus-Onset-Asynchrony (SOA) von 500 ms und erst ab 600 ms SOA einen

Negative-Priming-Effekt. Um wegen der vielfältigen Abwandlungen zur Studie von Neill et

al. sicher zu gehen, daß mögliche Inhibition noch nicht wieder verschwunden ist, wurde trotz

der Ergebnisse ihrer Studie, die auch ein längeres RSI als zulässig erscheinen lassen würde,

ein kurzes RSI von konstant 750 ms gewählt.

Das Fixierzeichen (Cue) wurde 500 ms vor dem Reiz dargeboten und blieb bis zur Reaktion

stehen, 250 ms nach der Reaktion wurde der nächste Trial mit einem neuen Cue gestartet. Das

ISI zwischen Cue und Reiz wurde auf 500 ms gesetzt, damit noch eine vollständige

Reizanalyse im EKP auf den Cue bis zur P3 gemessen werden kann7. In Exp30 wurde das

Fixierzeichen durch einen der drei verwendeten Buchstaben (X,O,T) gebildet, in Exp31 war

es wie in Abbildung 4.3 ein Pluszeichen (+).

500ms max. 1000ms 250ms

Zeit

Cue ein Reiz ein Reaktion neuer Cue ein

Cue und Reiz aus

Abbildung 4.4 Das Timing

7 Zum Zeitpunkt der Planung waren leider die Erkenntnisse von Milliken et al. (1994) noch nicht bekannt.

Danach wäre eine simultane Darbietung von Cue und Reiz empfehlenswert!

4.2.3 Instruktionen und Ablauf

In eine ähnliche Richtung wie die kontinuierliche Abfolge der Reize zielt die Anwendung der

„Accuracy-Speed“ Instruktion. „Accuracy“, damit die Vpn auch sorgfältig selegieren und also

auch inhibieren und „Speed“, damit nicht noch Zeit für die bewußte Verarbeitung des

Distraktors bleibt. Alle ca. 70 Trials bekommen die Vpn deshalb Rückmeldung über ihre

durchschnittliche Reaktionszeit und Fehlerquote. Fehlerhafte Trials werden mit zwei

Vorgängern und einem Nachfolger nach einer vollständig durchlaufenen Sequenz wiederholt.

In Exp30 werden 576 und in Exp31 384 korrekte Trials ermittelt.

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4.3 Das Reizmaterial 42

4.3 Das Reizmaterial

4.3.1 Zusammensetzung des Reizmaterials

Als Reize kommen grundsätzlich alle möglichen Zweierkombinationen von Target und

Distraktor auf vier horizontal angeordneten Positionen in Frage. So kommt man auf zwölf

unterschiedliche Reize.

Neill et al. (1992) erhalten nach der Logik, daß auf jeden Prime der Zielreiz zufällig (p=0.33)

an einer von drei Positionen erscheinen kann, und unter Berücksichtigung zweier weiterer

Einschränkungen folgende Auswahlsituation für aufeinanderfolgende Prime-Probe

Sequenzen:

Abbildung 4.5 Das Reizmaterial bei Neill et al. (1992)

Per Zufall wird also in einem Drittel der Fälle ein Negative-Priming-Durchgang und in zwei

Drittel der Fälle ein Kontroll-Durchgang ausgewählt. Die exakte Zusammenstellung der

verwendeten Reize (absolute Häufigkeiten und Zuordnungshäufigkeiten zu den Bedingungen)

ist erst nachträglich nach erfolgtem Zufallsprozeß zu bestimmen.

Das Vorgehen von Neill et al. (1992) gewährleistet nicht, daß jeder Reiz gleich häufig in jeder

Bedingungen verwendet wird. Das mag bei der Gleichartigkeit der zwölf verschiedenen Reize

weniger von Bedeutung sein, stellt aber trotz allem eine Verletzung des Prinzips der

Konstanthaltung nicht-hypothesenrelevanter Variation im Reizmaterial dar. Da eine spätere

Prime-Reiz (z.B.): T D _ _

Nachfolgeroptionen für den Probe-Reiz:

Negative Priming:

Option 1: entweder _ T D _ oder: _ T _ D (zufällige Platzierung von „D“)

Kontrolle:

Option 2: _ _ T D

Option 3: _ _ D T

Die drei Nachfolgeroptionen sind unter folgenden Einschränkungen ausgewählt:

1. Kein Positive-Priming, d.h. Zielreiz [T] darf nicht unmittelbar folgend an derselben Stelleerscheinen.

2. Der Distraktor [D] darf weder an derselben Stelle wie der vorherige Distraktor noch an der

selben Stelle wie der vorherige Zielreiz erscheinen.

Page 45: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

4.3 Das Reizmaterial 43

Erweiterung der Untersuchung auf komplexeres Reizmaterial (z.B. semantische Merkmale)

vorgesehen ist, wurde auch hier schon Wert auf Einhaltung dieser Forderung gelegt.

Wie im Anhang A3 vollständig aufgeführt ist, wurde a priori für jeden der zwölf möglichen

Reize unter Berücksichtigung der oben genannten Einschränkungen bestimmt, welcher Reiz

unter welcher Bedingung als Nachfolger erlaubt ist. Es zeigt sich (durch auszählen), daß auf

diese Weise die geforderte Konstanthaltung der Bedingungszuordnung gewährleistet ist, wenn

alle möglichen Nachfolger realisiert werden . Im Gegensatz zu Neill et al. (1992) ergibt sich

ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Positive-Priming-, Negative-Priming- und Kontroll-

Bedingungen, da jedem Reiz pro Bedingung genau zwei Reize als Nachfolger zugeordnet

werden können. In Abbildung 4.5 bedeutet dies, daß immer beide Nachfolgeroptionen unter

der Negative-Priming-Bedingung deterministisch realisiert werden müssen und nicht

probabilistisch nur eine der beiden ausgewählt wird. Wie im folgenden Kapitel beschrieben

ist, erzeugt ein geeigneter Zufallsgenerator zufällige Sequenzen in denen garantiert und

deterministisch jeder im Anhang A3 aufgeführte Reiz verarbeitet ist.

Warum Neill et al. das Verhältnis ein Drittel zu zwei Drittel gewählt haben, bleibt offen.

Möglicherweise wollten sie vermeiden, daß durch die Realisierung beider Negative-Priming

Optionen ein verdecktes Positive-Priming stattfindet, weil für beide Optionen dieselbe

Zielreizposition verwendet wird. Über alle Reize und die gesamte Sequenz hinweg gilt aber,

daß der Zielreiz in der Negative-Priming-Bedingung und genauso in den anderen

Bedingungen exakt gleich häufig an jeder der vier Positionen auftritt, wenn beide Negative-

Priming-Optionen realisiert werden.

4.3.2 Erzeugung der Zufallssequenzen

Im Gegensatz zum üblichen Vorgehen im Negative-Priming-Paradigma mit paarweiser

Präsentation von Prime und Probe, werden hier die Reize in einer kontinuierlichen Sequenz

dargeboten. Das bedeutet: jeder Probe ist gleichzeitig Prime für den folgenden Reiz in der

Sequenz. Anders als bei der paarweisen Präsentation, wo jedes Paar eine abgeschlossene

Analyseeinheit darstellt und die Reihenfolge der Paare unerheblich ist, müssen bei der

sequentiellen Darbietung nicht nur die verschiedenen Reize auf die verschiedenen

Bedingungen zufällig aufgeteilt werden, sondern diese Aufteilung muß auch kompatibel mit

dem vorherigen Reiz sein. Die dieser Arbeit zugrundeliegende Untersuchung von Neill et al.

läßt aufgrund der Beschreibung ihrer experimentellen Prozedur vermuten, daß auch sie eine

kontinuierliche, d.h. nicht gepaarte Sequenzierung der experimentellen Bedingungen

vorgenommen haben.

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4.3 Das Reizmaterial 44

Es bleibt aber völlig offen, inwieweit eine kombinatorische Kontrolle stattgefunden hat:

erstens bezüglich der absoluten Häufigkeiten der einzelnen verwendeten Reize (siehe

Abschnitt 4.4.1), zweitens bezüglich der Zuordnungshäufigkeiten Reiz 0 Bedingung und

drittens bezüglich der Frage wie häufig je zwei spezifische Bedingungen einander in der

Sequenz folgen. Es wird nun kurz beschrieben, wie diese Kontrolle in der vorliegenden

Untersuchung ausgesehen hat. Das Prinzip sei mit einem der zwölf möglichen Reize

beispielhaft demonstriert.

Abbildung 4.6 Beispiel für die Zuordnung von Prime-Probe Abfolgen

Die Auswahlsituation für alle zwölf Reize ist im Anhang A3 aufgeführt. Dort kann auch

nachvollzogen werden, wie auf diese Weise tatsächlich gewährleistet ist, daß erstens jeder

Reiz insgesamt exakt gleich häufig vorkommt und zweitens jeder Reiz exakt gleich häufig

unter jeder Bedingung verwendet wird.

Die dritte kombinatorische Problemstellung, nämlich, daß jede Bedingung jeder anderen

gleich häufig folgen soll, wurde approximativ gelöst: jede vollständig erzeugte Sequenz

wurde einem Testkriterium unterzogen und erst nach bestandenem Test akzeptiert. Die

Der Prime-Reiz [m1]

z.B. Target[O] Distraktor[X] CUE[O] ________ ________

dann ergeben sich für den Probe-Reiz folgende Möglichkeiten:

SwitchChange

SwitchNonchange

NonSwitchChange

NonSwitchNonChange

SelectSelect

SelectNonSelect

NonSelectSelect

NonSelectNonSelect

PositivePriming

m5,m10 m5,m10 m5,m10 m5,m10 m5,m10 m5,m10 m5,m10 m5,m10

NegativePriming

m7,m11 m7,m10 m5,m10 m7,m11 m7,m11 m7,m10 m5,m10 m7,m11

Kontrolle m3,m4 m3,m4 m3,m4 m3,m4 m3,m4 m3,m4 m3,m4 m3,m4

Angenommen Reiz [m7] sei ausgewählt worden, und zwar für die Switch/Change Bedingung, dann

sieht der Probe-Reiz folgendermaßen aus:

Der Probe-Reiz [m7]

_______ Target[ T ] CUE[ T ] _______ Distraktor[O]

Der grafisch dargestellte Prime-Reiz [m1] mit Target [O] sei in der Sequenz für Stelle s ermittelt

worden, dann wird einer der darunter aufgeführten Reize nach einer Zufallsauswahl der Nachfolger

in der Sequenz an Stelle s+1 sein.

Nachdem ein Reiz für Stelle s+1 ausgewählt wurde, ist er “verbraucht” und kann nicht mehr als

Nachfolger für diesen speziellen Vorgänger verwendet werden. Im Beispiel gilt dies z.B. für [m7] als

Nachfolger von [m1], wenn die Negative-Priming/Switch/Change Bedingung ausgewählt wird.

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4.3 Das Reizmaterial 45

tatsächlich erzeugten Kontingenzhäufigkeiten durften nur um vier Fälle nach oben oder drei

Fälle nach unten von der optimal zu erwartenden Häufigkeit (4 Fälle pro

Kontingenzbedingung) abweichen. Wie beschrieben, wurde dieser Test für die

experimentellen Bedingungen durchgeführt, bezogen auf die einzelnen Reize gilt diese

Verteilungseigenschaft nicht.

Es wäre sicherlich wünschenswert gewesen, das Abweichungskriterium enger zu fassen. Es

zeigte sich jedoch, daß bei zu strenger Auswahl gar keine vollständigen Sequenzen oder nur

ca. vier unterschiedliche Sequenzen erzeugt werden konnten.

Es wurde daher die Strategie gewählt, nicht für jede einzelne Vp streng gleich verteilte

Kontingenzhäufigkeiten zu fordern, sondern über alle Vpn eine gemittelte nährungsweise

Gleichverteilung anzustreben. Für Exp30 verbesserte sich das Verhältnis Mittelwert zu

Standardfehler durch die Mittelung über die verwendeten 19 Sequenzen von 2.7 (bei einem

Mittelwert=4 und einem Range zwischen 1 und 8) für eine einzelne Sequenz, auf 134 (bei

einem Mittelwert=76 und einem Range zwischen 59 und 95). Die genauen Ergebnisse dieser

Analyse für Exp30 und Exp31 sind im Anhang A4 zu finden.

Abbildung 4.7 Anzahl der verwendeten Reize

Es werden 48 (576/12 bzw. 384/8) Trials pro Bedingung realisiert, was für die Mittelung des

EEGs in EKPs eine ausreichende Anzahl darstellt, um den Signal-Rausch-Abstand auf ein

handhabbares Maß zu reduzieren. Für eine EKP-bezogene Analyse der Faktoren [Distanz

Target-Distraktor im Prime] x [Distanz Target-Distraktor im Probe] stehen leider mit 8 bzw.

16 Trials pro Bedingung (siehe nächster Abschnitt 4.4.3) zu wenige Trials zur Verfügung.

In Exp30 wird ein 3x2x2 Versuchsplan verwirklicht:

[Positive-Priming, Negative-Priming, Kontrolle] x [Switch, Nonswitch] x [Nonchange, Change].

Daraus resultieren:

12 (Bedingungen) • 2 (Nachfolger pro Bedingung) • 2 (jeweils zweimal vergeben) • 12 (Reize)= 576 Trials.

In Exp31 wird ein 2x2x2 Versuchsplan verwirklicht:

[Negative-Priming, Kontrolle] x [PrimeSelect, PrimeNonselect] x [ProbeSelect, ProbeNonselect].

Daraus resultieren:

8 (Bedingungen) • 2 (Nachfolger pro Bedingung) • 2 (jeweils zweimal vergeben) • 12 (Reize) = 384 Trials.

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4.3 Das Reizmaterial 46

4.3.3 Die Distanzen zwischen Target und Distraktor als Prime-Probe

Kontingenzhäufigkeiten

Bei genauer Analyse des Reizmaterials zeigt sich, daß die Stufen des Faktors [Priming] mit

den Distanzen zwischen Target und Distraktor in Prime und Probe Trial konfundiert sind. Die

Abbildungen 4.8 gibt die Häufigkeiten der Reize aufgeteilt nach Prime und Probe Distanzen

und Priming-Bedingungen wieder. Diese Aufteilung ist austauschbar für PrimeSelect-,

PrimeNonselect-, ProbeSelect-, ProbeNonselect- Switch-, Nonswitch-, Match- oder

Mismatch- Bedingungen. Zwischen diesen Bedingungen gibt es also keine Unterschiede in

den beschriebenen Kontingenzhäufigkeiten. Eine vollständige Tabelle der

Kontingenzhäufigkeiten, die nach allen drei vorkommenden Distanzen differenziert, ist in

Anhang A5 zu finden.

Um das Problem etwas handlicher zu gestalten, bietet es sich an, die ursprünglich drei

distanzbezogenen Reizkategorien (ungleich verteilt im Verhältnis 72:48:24 in Exp30 und

48:32:16 in Exp31) in zwei gleich verteilte Kategorien (72:72 in Exp30 bzw. 48:48 in Exp31)

zusammenzufassen. Die Kontingenzhäufigkeiten sehen dann wie folgt aus:

Probe Distanz =1 Probe Distanz >1 Summe

Prime Distanz =1 NP: 8 NP: 16 24KO: 16 KO: 8 24PP: 8 PP: 16 24

Summe Exp30 (mit PP) 32 40 72Exp31 (ohne PP) 24 24 48

Prime Distanz >1 NP: 16 ( 132 24) NP: 8 ( 132 24) 24KO: 8 ( 132 24) KO: 16 ( 1#2 24) 24PP: 16 ( 132 24) PP: 8 ( 132 24) 24

Summe Exp30 (mit PP) 40 32 72Exp31 (ohne PP) 24 24 48

Summe total Exp30 (mit PP) 72 72 144Exp31(ohne PP) 48 48 96

Abbildung 4.8 Vereinfachte Darstellung der Kontingenzen der Prime-Probe Distanzen

Betrachtet man die Verteilung für Prime- und Probe-Distanzen getrennt, sind die

Bedingungen (NP, KO, PP) für jede Prime- bzw. Probe-Kategorie gleichhäufig ( 465 24)

vertreten. Erst für die Prime-Probe-Kontingenzen ergibt sich eine problematische

Verschiebung des Gleichgewichts. Während z.B. bei einer Prime-Distanz=1 für NP und PP

die Probe-Distanz=1 acht mal und die Probe-Distanz>1 in 16 Fällen vertreten ist (Verhältnis

8:16), ist diese Verhältnis für KO genau andersherum (16:8) ausgeprägt. Dieses

spiegelbildliche Verhalten für KO versus NP/PP ist für alle Kontingenzen gleichartig.

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4.3 Das Reizmaterial 47

Angenommen eine geringere Distanz sei mit erhöhter Interferenz verbunden, dann würde dies

über alle Trials gemittelt bedeuten, daß für die Negative-Priming-Bedingung hohe Interferenz

im Prime-Trial mit geringer Interferenz im Probe-Trial einhergeht und geringe Prime-

Interferenz mit hoher Probe-Interferenz verknüpft ist. In der Kontroll-Bedingung verhält es

sich genau spiegelbildlich. In der Literatur (siehe Fox, 1995) sind leider nur Daten bezüglich

einer Variation der Distanz und damit der Interferenz im Prime-Trial diskutiert. Es lassen sich

also keine Vorhersagen über die Auswirkungen der hier vorhanden Kontingenz-Verzerrung

machen. Eine Möglichkeit mit dem Problem umzugehen, besteht darin die Hälfte der Reize

per Zufallsauswahl nicht in die Analyse aufzunehmen, so daß in der obigen Tabelle 4.8 alle

Zellhäufigkeiten =8 betragen, was aber die Ausbalanciertheit der Reizsequenzen zerstören

würde (siehe vorheriger Abschnitt 4.3.1). Eine weitere Option wäre es, die Faktoren [Prime

Distanz] und [Probe-Distanz] in die Varianzanalyse mit aufzunehmen. Auf diese Weise

könnte über die dreifache Wechselwirkung [Prime-Distanz] x [Probe-Distanz] x [Priming]

getestet werden, ob der Negative-Priming-Effekt mit den Distanzkontingenzen variiert.

4.3.4 Die Darbietungsseiten von Target und Distraktor als Prime-Probe

Kontingenzhäufigkeiten

Eine ähnliche Situation ergibt sich, wenn man die Reize in Kontingenzhäufigkeiten einteilt,

abhängig davon, ob Target und Distraktor auf derselben visuellen Halbfeldseite oder auf

unterschiedlichen Seiten erscheinen. Denn Distanzen>1 gehen immer einher mit

unterschiedlichen Halbfeldseiten, während bei der Distanz=1 vier Reize existieren, in den

Target und Distraktor auf derselben Seite vorkommen. Die Situation ist hier sogar noch

extremer.

Probe Seite gleich Probe Seite ungleich Summe

Prime Seite gleich NP: 0 NP: 16 16KO: 16 KO: 0 16PP: 0 PP: 16 16

Summe Exp30 (mit PP) 16 32 48Exp31 (ohne PP) 16 16 32

Prime Seite ungleich NP: 16 ( 132 16) NP: 16 ( 1#2 32) 32KO: 0 ( 132 16) KO: 32 ( 1#2 32) 32PP: 16 ( 132 16) PP: 16 ( 1#2 32) 32

Summe Exp30 (mit PP) 32 64 96Exp31 (ohne PP) 16 48 64

Summe total Exp30 (mit PP) 48 96 144Exp31 (ohne PP) 32 64 96

Abbildung 4.9 Kontingenzen der Prime-Probe Darbietungsseiten

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4.3 Das Reizmaterial 48

Auch hier sind nur die Kontingenzhäufigkeiten (Prime x Probe) ungleich auf die drei

experimentellen Bedingungen verteilt. Wenngleich die Häufigkeiten für die „einfachen

Haupteffekte“ wie auch schon bezüglich der Prime-Probe-Distanzen für alle Bedingungen

gleich sind. Da in vier Bedingungen überhaupt keine Fälle auftreten, läßt sich diese

Konfundierung nicht einmal mehr varianzanalytisch handhaben.

Wird z.B. eine Bedingung mit Probe-Seite-gleich realisiert, gilt für die Kontrollbedingung

immer Prime-Seite-gleich, für NP- oder PP-Bedingungen hingegen immer Prime-Seite-

ungleich.

Außerdem ergibt sich, daß Reize mit bilateraler Plazierung von Target und Distraktor doppelt

so häufig vorkommen. Es ist also zu vermuten, daß die Vpn nach einigen Trials eine

Erwartung der bilateralen Anordnung entwickeln.

Zur möglicherweise gravierenden Bedeutung, ob Reize über „generell areas of visual space“

(wie z.B. visuelle Halbfelder) hinweg oder über „contiguous regions“ (z.B. innerhalb eines

Halbfeldes) selegiert werden, siehe Eimer (1999b). Auch Wijers et al. (1989b) haben

unterschiedliche Prozesse für die Aufteilung der Aufmerksamkeit zwischen Halbfeldern und

innerhalb von Halbfeldern identifiziert.

Abbildung 4.10 Tabelle der Darbietungsseite von Probe-Target und Probe-Distraktor in Abhängigkeit der Prime-Anordnung. Die Werte

geben die Häufigkeiten der Fälle an.

Wie Abbildung 4.10 zeigt, sind die Häufigkeiten für den Probe-Distraktor in allen drei

Bedingungen gleichsinnig verteilt. Die Häufigkeiten für das Probe-Target sind aufgrund der

immanenten Logik für die drei Bedingungen verschiedenartig auf beide Halbfeldseiten

verteilt. Das führt natürlich ebenfalls zu einer Konfundierung zwischen Bedingungen und den

Kontingenzen der Prime-Probe-Halbfeldseite. Dies läßt sich für die bilaterale Darbietung aber

grundsätzlich nicht vermeiden.

Probe- Target erscheint auf Probe- Target erscheint auf Probe- Target erscheint auf Probe- Target erscheint aufder Seite des Prime-Target der gegenüberliegenden der Seite des Prime-Distraktors der gegenüberliegenden

Seite des Prime-Target Seite des Prime-Distraktors

PP: 192 0 64 128NP: 64 128 192 0KO: 64 128 64 128

Probe- Distraktor erscheint auf Probe- Distraktor erscheint auf Probe- Distraktor erscheint auf Probe- Distraktor erscheint aufder Seite des Prime-Distrakors der gegenüberliegenden der Seite des Prime-Targets der gegenüberliegenden

Seite des Prime-Distraktors Seite des Prime-Distraktors

PP: 64 128 64 128NP: 64 128 64 128KO: 64 128 64 128

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4.4 Durchführung 49

4.4Durchführung

Die beiden Experimente Exp30 und Exp31 wurden den Versuchspersonen in abwechselnder

Reihenfolge präsentiert. Direkt nach Eintreffen, wurden die Vpn über den groben Ablauf des

Experimentes, über die Umstände einer EEG-Ableitung und ihr Recht jederzeit ohne Angabe

von Gründen das Experiment abbrechen zu können, aufgeklärt. Alle Vpn haben daraufhin ihre

Bereitschaft zur Teilnahme schriftlich bestätigt. In Anhang A6 sind die schriftlichen

Instruktionen dokumentiert, die jeder Vp zu Beginn vorgelegt wurden. Vor jedem Experiment

sollten die Vpn so oft eine Serie von 20 Testdurchgängen durchlaufen, bis ihre Fehlerrate auf

unter 10% gesunken war. Im Laufe der Experimente wurde ca. alle 70 Durchgänge eine Pause

von 15 Sekunden mit einer Information über Fehlerrate und durchschnittliche Reaktionszeit

gezeigt. Jeder Teilnehmer erhielt 25 DM für die Teilnahme. Exp30 hatte eine Dauer von ca.

23 Minuten und Exp31 von ca. 15 Minuten. Alle Teilnehmer waren Studenten und

Rechtshänder. Die Darbietung wurde von einem DOS-PC gesteuert und die Reaktionen

wurden mit einer normale PC-Tastatur erfaßt (siehe Instruktionen im Anhang).

4.4.1 EEG- und EOG-Ableitung

Das EEG wurde über 29 Ag/AgCl-Elektroden nach dem internationalen 10-20-Standard ohne

Elektrodenkappe gegen Cz abgeleitet. Die Positionen waren Fp1, Fpz, Fp2, F7, F3, Fz, F4,

F8, FC3, FCz, FC4, T3, T4, C3, Cz, C4, CP3, CPz, CP4, P3, Pz, P4, T5, T6, O1, Oz, O2 und

die beiden Mastoiden. Die Kopfhaut wurde mit Alkohol gereinigt und mit abrasivem

Elektrodengel (Theodor-Körner-Apotheke, A-8010 Graz) aufgerauht. Die Elektroden wurden

dann mit der Elektrodencreme EC2TM (GRASS INSTRUMENT DEVISION) fixiert. Durch

diese Maßnahmen ist es gelungen, die Impedanzen auf unter 5kOhm zu bringen. Das

horizontale EOG wurde bipolar zwischen den äußeren Augenpositionen von linkem und

rechtem Auge mit Ag/AgCl-Elektroden abgeleitet. Das vertikale EOG wurde am linken Auge

ebenfalls bipolar abgeleitet. EEG und EOG wurden über einen Verstärker vom Typ SYNAMP

(Model 5083, Neuroscan©, Herndon, Vs., USA) mit AC-Charakteristik verstärkt (Lowpass:

30Hz, Highpass: 0.05Hz, Notch: 50Hz) und mit 200Hz digitalisiert. Diese Daten wurden

online mit der AQUIRE-Software (Version 3.2, NEUROSCAN, INC.© 1993) auf einem

DOS-Rechner aufgezeichnet und abgespeichert. Über eine serielle Verbindung mit dem

Darbietungs-PC wurden reiz- und reaktionssynchrone Markierungen ebenfalls online

eingefügt. Die offline Weiterverarbeitung der Rohdaten erfolgte mit BRAIN-VISION

(Version 1.02, Brain Products© 1998-1999) und der laboreigenen Softwareentwicklung

EKPSCAN (Version 1.03, Seifert, 1998-2000) bei 100 Hz.

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4.5 Auswertungsstrategien 50

4.5Auswertungsstrategien

Zur Vorbereitung auf die Mittelung des EEG zum EKP wurde von Cz auf verbundene

Mastoiden umreferenziert. Weiterhin wurde der in BRAIN-VISION implementierte Augen-

Korrektur Algorithmus nach Coles und Gratton angewandt (vor der Aufspaltung nach

experimentellen Bedingungen). Und schließlich wurde ebenfalls anhand einer BRAIN-

VISION Prozedur die Beseitigung nicht-physiologischer Artefakte durchgeführt.

Die Erzeugung der EKPs wurde nach drei verschiedenen Strategien vorgenommen. Erstens

wurden reizsynchrone Epochen in einem Intervall von –600 ms (Exp30) bzw. –700 ms

(Exp31) bis 1250 ms um den Reiz herum ausgeschnitten und gemittelt, um reizbezogene

Komponenten klar herauszufiltern. Zweitens wurden reaktionssynchrone Epochen in einem

Intervall von –1005 ms bis 750 ms gemittelt, um reaktionsgekoppelte Komponenten optimal

bestimmen zu können. Drittens sollten sowohl reizsynchrone (-700 ms bis 1250 ms) als auch

reaktionssynchrone (-1005 ms bis 750 ms) lateralisierte Potentiale berechnet werden. In

einem ersten Schritt wurden die Potentiale auf alle Reize, in denen Target und Distraktor auf

verschiedenen Halbfeldseiten erschienen sind, getrennt für links und rechts dargebotene

Targets berechnet. Von den hierfür geeigneten Reizen, stehen 32 (von 48) pro experimenteller

Bedingung zur Verfügung. Für jede Targetseite sind dies also 16 Reize. Anhand einer

BRAIN-VISION Prozedur wurden über diese Zwischenergebnisse die lateralisierten

Potentiale hergestellt. Die Berechnung folgt der Standardformel, wie sie z.B. in Coles et al.

(1995) beschrieben ist. Der Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, daß alle habituellen

Hemispherenasymmetrien (wie z.B. linksseitige verbale Dominanz) herausgefiltert werden.

Abbildung 4.11 Die Formel zur Berechnung lateralisierter Potentiale

Für a priori nicht bekannte Lateralisierungseffekte ist es günstig, die nach Darbietungsseite

getrennt berechneten EKPs zu inspizieren, um zu sehen, ob man es mit ipsi- oder

kontralateralen Lateralisierungen zu tun hat. Je nach dem sind dann „korrekte“ Aktivierungen

als positive oder negative Ausschläge zu beobachten.

Die Formel zur Berechnung eines lateralisierten Potentials am Beispiel des LRP:

LRP = [Mittel(C3‘-C4‘)linke Hand + Mittel(C4‘-C3‘)rechte Hand] /2

Wird wie im Beispiel jeweils die Differenz ipsi- minus kontralateral berechnet, erhält man folgende

Amplitudenpolaritäten:

kontralateral negativer: Positivierung; kontralateral positiver: Negativierung

ipsilateral negativer: Negativierung; ipsilateral positiver: Positivierung

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5.1 Verhaltensdaten 51

5 Ergebnisse

Es werden zunächst die nach Versuchsplan A und B ausgewerteten Verhaltensdaten

dargestellt. Danach wird die ebenfalls nach beiden Versuchsplänen gestaltete Analyse der

Ereigniskorrelierten Potentiale beschrieben. Die Betrachtung der Verhaltensdaten schließt

auch eine Analyse der Prime-Probe-Kontingenzen für die Anordnung von Target und

Distraktor mit ein. Eine Auswertung der EKPs für derart aufgespaltete Bedingungen erübrigt

sich, wegen der wenigen darin enthaltenen Trials (8 bzw. 16 Trials pro Bedingung reichen für

einen akzeptablen Signal-Rausch-Abstand nicht aus).

Grundsätzlich werden Effekte nur erwähnt, wenn die Signifikanzen mindestens auf einem

Fehlerniveau von p<0.1 angesiedelt sind8. Folgetests (t-Test) werden nur gerechnet, wenn ein

ANOVA-Effekt mindestens marginal signifikant ist.

5.1Verhaltensdaten

In beiden Versuchsplänen wurden Reaktionszeiten und Fehlerraten in jeweils einer

zweifaktoriellen Varianzanalyse mit Meßwiederholung auf beiden Faktoren analysiert. Die

Reaktionszeiten sind für jede VP median-gemittelt in die Varianzanalyse eingegangen. Die

Fehlerraten sind Absolutwerte in den einzelnen Bedingungen (Fehler pro 48 Trials). Die

Fehlerraten sind im Schnitt sehr klein (7.3%), was ihre Reliabilität stark einschränken dürfte,

die Diskussion wird deshalb auf Basis der Reaktionszeiten geführt.

Im Anschluß daran wird die Problematik der Prime-Probe-Kontingenzen für die Distanzen

zwischen Target und Distraktor aufgegriffen. Wie bereits in Abschnitt 4.3.3 erläutert, werden

beide Versuchspläne zur Aufhellung des Sachverhaltes mit den Faktoren [Prime-Distanz] und

[Probe-Distanz] angereichert. Ansatzweise wird auch versucht, die Kontingenzen bezüglich

der Darbietungsseite etwas zu durchleuchten.

5.1.1 Auswertung nach Versuchsplan A

Die beiden Haupteffekte [Priming] und [Probe-Select] sind für die Reaktionszeiten mit

p<0.001 (F(1,18)=55.5 bzw. F(1,18)=142.9) hoch signifikant. Die Interaktion ist mit

p<0.018 (F(1,18)=6.7) signifikant. Für die Fehlerraten sind der Haupteffekt [Priming] mit

p<0.062 (F(1,18)=4.0) und die Interaktion mit p<0.096 (F(1,18)=9.5) marginal signifikant.

Der Haupteffekt [Probe-Select] ist mit p<0.014 (F(1,18)=7.2) signifikant.

8 Terminologie: p<0.1: marginal signifikant; p<0.05: signifikant; p<0.001 hoch signifikant.

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5.1 Verhaltensdaten 52

Negative Priming Kontrolle

Select 464.1 ms (s=61.7)5.4 Fehler (s=6.1)

435.3 ms (s=56.6)3.4 Fehler (s=4.0)

Nonselect 426.0 ms (s=58.4)2.6 Fehler (s=3.0)

411.8 ms (s=55.1)2.6 Fehler (s=2.8)

Abbildung 5.1 Tabelle der Zellmittelwerte nach der Analyse von Versuchsplan A

Der Negative-Priming-Effekt ist auf der Select-Stufe bei einer absoluten Differenz von –28.7

ms und einem 2=0.60 mit peinseitig<0.001 (t(18)=7.6; Nobs=38) für die Reaktionszeiten hoch

signifikant. Auf der Nonselect-Stufe ist der Negative-Priming-Effekt für die Reaktionszeiten

mit pzweiseitig<0.003 signifikant und erreicht ein 2=0.22 (t(18)=3.4; Nobs=38)

5.1.2 Auswertung nach Versuchsplan B

Sowohl die Haupteffekte [Priming] und [Attention] als auch die Interaktion sind für die

Reaktionszeiten mit p<0.001 (F(1,18)=19.9; F(1,18)=74.2; F(1,18)=15.8) hoch signifikant

von Null verschieden. Für die Fehlerraten ist nur der Haupteffekt [Priming] mit p<0.009

(F(1,18)=8.6) signifikant.

Negative Priming Kontrolle

Sustained Attention 464,1 ms (s=61.7)5.4 Fehler (s=6.1)

435,3 ms (s=56.6)3.4 Fehler (s=4.0)

Transient Attention 539,4 ms (s=73.4)3.1 Fehler (s=2.4)

533,3 ms (s=67.5)2.4 Fehler (s=2.3)

Abbildung 5.2 Tabelle der Zellmittelwerte nach der Analyse von Versuchsplan B

Der Negative-Priming-Effekt auf der Sustained-Stufe ist identisch mit dem Negative-Priming-

Effekt auf der Select-Stufe in Versuchsplan A 798;:=< 2= 0.60). Auf der Transient-Attention

Stufe kann der Negative-Priming-Effekt nicht abgesichert werden (pzweiseitig<0.29; t(18)=1.1).

Fazit: Es bleibt festzuhalten, daß die Replikation der üblichen Location-Priming Ergebnisse

im Select- bzw. Sustained-Attention-Setting gelungen ist. Sogar die Effektgröße ist annähernd

so groß wie bei Neill et al. (1992). Im Nonselect-Setting ist dieser Effekt auf ein Drittel

reduziert. Die Reaktionszeiten sind hier im Vergleich zum Select-Kontext generell schneller

(-31.2 ms). Unter transienter Aufmerksamkeit bleibt der Negative-Priming-Effekt vollständig

aus. Die Reaktionszeiten sind im Vergleich zu Sustained-Attention generell erheblich

verlangsamt (+86.65 ms). Ob diese Unterschiede zwischen den drei Selektions-Settings

lediglich quantitative Abstufungen eines Inhibitionseffektes darstellen, oder ob hier qualitativ

andersartige Prozesse wirksam sind, wird erst in der Analyse der EKPs transparenter.

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5.1 Verhaltensdaten 53

5.1.3 Analyse des Einflusses der Kontingenzen der Prime-Probe-Distanzen auf den

Negative-Priming Effekt

Zunächst wurde eine vierfaktorielle 2x2x2x3 ANOVA mit Meßwiederholung auf allen

Faktoren gerechnet. Die Faktoren waren [Prime-Distanz], [Probe-Distanz], [Priming] und ein

Faktor [Setting], der als Stufen die drei in den Versuchsplänen A und B realisierten

Selektionsvarianten zugewiesen bekommen hat9. Relevant für die vorliegende Fragestellung

sind die beiden Interaktionseffekte mit Beteiligung der Distanz-Faktoren und dem Faktor

[Priming].

Sowohl der Effekt [Prime-Distanz] x [Probe-Distanz] x [Priming] als auch der Effekt [Prime-

Distanz] x [Probe-Distanz] x [Priming] x [Setting] wurden mit p<0.011 (F(1,18)=8.0) bzw.

mit p<0.035 (F(2,36)=3.7) signifikant. Das bedeutet erst einmal, daß die Prime-Probe-

Kontingenzen einen generellen Einfluß auf die Ausprägung des Negative-Priming-Effektes

haben. Dieser Einfluß ist zusätzlich abhängig von der speziellen Variante des

Selektionssettings. Es wurden deshalb noch drei weitere dreifaktorielle ANOVAs gerechnet,

in denen jeweils nur eine Stufe des Faktors [Setting] realisiert war. Hier ist jetzt nur noch

jeweils die einzige dreifache Interaktion relevant. Für die Variante [Probe-Nonselect] wurde

diese Interaktion nicht signifikant (p<0.64; F(1,18)=0.23). Für die Varianten [Probe-Select]

und [Transient-Attention] waren die Effekte mit p<0.03 (F(1,18)=5.4) bzw. p<0.005

(F(1,18)=10.1) statistisch bedeutsam.

Distanz-Kontingenzen

Prime=1Probe=1

Prime=1Probe=2

Prime=2Probe=1

Prime=2Probe=2

Sustained-Attention

bzw. Probe-Select

dx=21.9ms; 2=0.16

t(18)=2.9;p<= 0.01

dx=29.4ms; 2=0.22

t(18)=3.4; p<= 0.003

dx=29.7ms; 2=0.13

t(18)=2.6; p<= 0.02

dx=11.5ms

t(18)=1.4; p<= 0.17

Transient-Attention dx= -8.4ms

t(18)= -0.73; p<= 0.47

dx=24.3ms; 2=0.09

t(18)=2.2; p<= 0.04

dx=12.9ms

t(18)=0.9; p<= 0.38

dx= -24.1ms; 2=0.12

t(18)= -2.5; p<= 0.02

Abbildung 5.3 Tabelle der Negative-Priming-Effekte unter verschiedenen Darbietungsbedingungen. Die Tests sind zweiseitig.

Die Struktur dieser beiden Wechselwirkungen fällt recht unterschiedlich aus. Während in der

Sustained-Attention-Bedingung mit Ausnahme von [Prime=2, Probe=2] alle Negative-

Priming-Effekte in die gleiche Richtung gehen und auch in derselben Größenordnung liegen,

existieren in der Transient-Attention-Bedingung zwei gegenläufige Effekte.

Die Interpretation dieser komplexen Struktur ist völlig offen. Bemerkenswert ist, daß die

Negative-Priming-Effekte im Sustained-Attention-Setting kaum von den Distanzkontingenzen

beeinflußt werden. Ein Grund für den ausgebliebenen [Priming]-Haupteffekt unter

9 Diese drei Stufen sind demnach Probe-Select/ Sustained-Attention, Probe-Nonselect und Transient-Attention

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5.1 Verhaltensdaten 54

Transient-Attention, scheint das Muster sich gegenseitig neutralisierender Teileffekte unter

den verschiedenen Distanz-Bedingungen zu sein.10

Jedenfalls kann festgehalten werden, daß da, wo ein Negative-Priming-Effekt auftritt, keine

großen Einflüsse der Distanz-Kontingenzen feststellbar sind. Das Problem der Konfundierung

der Distanz-Kontingenzen mit den Ausprägungen des [Priming]-Faktors ist also vorhanden

aber nicht erheblich, zumal alle Teileffekte in dieselbe Richtung gehen.

5.1.4 Analyse des Einflusses der Kontingenzen der Prime-Probe-Darbietungsseiten auf

den Negative-Priming Effekt

Wie aus Abbildung 4.9 hervorgeht, treten gar nicht alle Kontingenzen zwischen Prime- und

Probe-Darbietungsseiten für Negative-Priming bzw. Kontrolle auf. Eine vollständig gekreuzte

Varianzanalyse wie für die Kontingenzen der Distanzen, ist hier also nicht möglich. Ein

direkter Vergleich zwischen Negative-Priming und Kontrolle ist nur für einen einzigen Fall

(Prime-Seite ungleich und Probe-Seite ungleich) möglich. Hier existiert ausschließlich auf der

Select-Stufe ein signifikanter Negative-Priming-Effekt (F(1,18)=9.6; p<0.006). Die drei

(marginal) signifikanten Effekte der Seiten-Kontingenzen weisen aber darauf hin, daß hier ein

genereller Einfluß besteht. Ob dieser Einfluß zwischen Negative-Priming und Kontrolle

differenziert ausfällt, läßt sich wegen der fehlenden Zellbesetzungen nicht klären.

Seiten-Kontingenzen

Prime-gleichProbe-gleich

Prime-gleichProbe-ungleich

Prime-ungleichProbe-gleich

Prime-ungleichProbe-ungleich

Effekt derSeitenkontingenzen

NP Select / 471.4 ms 456.2 ms 558.4 ms F(2,36)=3.17; p<0.054

KO Select 526.9 ms / / 440.4 ms F(1,18)=3.10; p<0.096

NP Nonselect / 429.9 ms 422.1 ms 417.3 ms ns.

KO Nonselect 404.3 ms / / 413.8 ms ns.

NP Transient / 566.9 ms 555.3 ms 560.4 ms ns.

KO Transient 533.9 ms / / 562.6 ms F(1,18)=10.6; p<0.004

Abbildung 5.4 Tabelle der Reaktionszeiten, abhängig davon, ob Distraktor und Target in Prime und Probe jeweils auf derselben

Halbfeldseite oder auf gegenüberliegenden Halbfeldseiten dargeboten wurden. Die Tests sind zweiseitig.

10 Das ist dasselbe Muster, wie in der Voruntersuchung mit vollständig fovealer Darbietung aber ohne Switch-

Bedingung.

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5.2 EKP-Analyse 55

5.2 EKP-Daten

Die Aufbereitung der EEG-Daten nach den in Abschnitt 4.5 erläuterten Strategien hat eine

immense Fülle an EKP-Daten hervorgebracht. Einen ersten intuitiven Eindruck erhält man

sicherlich am besten durch eine eingehende „Meditation“ über den nach verschiedenen

Bedingungen aggregierten Kurven in ihrer vollständigen Topographie. Auf eine umfassende

Visualisierung der Daten wird hier aus Platz- und Übersichtlichkeitsgründen aber verzichtet.

Vielmehr werden wenige beispielhafte Aggregationen und Elektrodenpositionen als Grafiken

dargestellt. Darüber hinausgehende und zum Verständnis ebenfalls notwendige Informationen

werden kurz zusammengefaßt im Text gegeben.

Es wird hier die Philosophie vertreten, daß wichtige Erkenntnisse über die beteiligten

Verarbeitungsprozesse bereits ohne jede Statistik aus der Komponentenstruktur der EKPs

gewonnen werden können. In einem ersten Abschnitt zur qualitativen Analyse der Daten

werden deshalb die auffälligen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen

Bedingungen, systematisch nach den beiden Versuchsplänen beschrieben und klassifiziert.

In dieser visuellen Analyse wird sich zeigen, daß statistische Vergleiche anhand einzelner

Komponenten nur für den Negative-Priming-Effekt jeweils getrennt auf den drei Stufen

Select, Nonselect und Transient-Attention sinnvoll sind. Der Grund liegt darin, daß die

Morphologien der EKPs unter diesen drei Selektions-Settings zu große Eigenheiten

aufweisen, um direkt vergleichbar zu sein. Außerdem ist eine der Grundvoraussetzung für den

quantitativen Vergleich von EKPs nicht gegeben, daß nämlich unspezifische Einflüsse

zwischen Bedingungen konstant gehalten sein müssen (Coles et al., 1995). Hier ist aber davon

auszugehen, daß allein wegen unterschiedlich großer Anstrengung zur Bewältigung der

Aufgaben, unterschiedliche Arousal-Niveaus vorhanden sein dürften.

In der quantitativen Auswertung werden also verschiedene Vergleiche zwischen Negative-

Priming und Kontrolle angestellt. Es wird hier wiederum über eine vorgeschaltete visuelle

Inspektion bestimmt, in welchen Komponenten an welchen Elektroden und innerhalb welcher

Latenzbereiche möglicherweise Unterschiede bestehen. Nur dort wird dann ein

Signifikanztest durchgeführt. Dieses Vorgehen mag die Gefahr zu subjektiver Urteile bergen,

erscheint aber unter dem Eindruck des sehr reichhaltigen und komplexen Materials sinnvoll,

um erst einmal eine grobe Ordnung und Orientierung herzustellen.

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5.2 EKP-Analyse 56

Abbildung 5.5 Reizsynchrone EKPs

Baseline: -700 bis –500 msHelle Kurve: EKP für Select über [Priming] aggregiertDunkle Kurve: EKP für Nonselect über [Priming] aggregiert

5.2.1 Qualitative Analyse der EKPs nach Versuchsplan A

Bezüglich des Faktors [Probe-Select] zeigen sich

unabhängig von der Ausprägung des [Priming]-

Faktors große qualitative Differenzen in den

Kurvenverläufen. Die Unterschiede zwischen

Negative-Priming und Kontrolle spiegeln sich

auschließlich in Modulationen der beiden

Grundmuster wider. Es folgt nun die

Beschreibung der Komponenten und eine eher

intuitive Klassifizierung.

In beiden Kurven ist eine etwa gleich stark

ausgeprägte anteriore N1 (150 ms) zu finden.

Wie in der Literatur beschrieben, folgt etwas

später eine posteriore N1 (200 ms). Auch die

Latenzen sind so, wie sie üblicherweise in der

visuellen Modalität vorgefunden werden.

Entgegen der sonst berichteten Topographie, ist

die posteriore N1 nicht okzipital sondern

temporal maximal. In der Select-Bedingung ist

diese späte N1 deutlich größer, als in der

Nonselect-Bedingung. Wie die Betrachtung der

nach Targetseite getrennt gemittelten

lateralisierten Potentiale zeigt, ist die N1 bei der

unilateralen Darbietung im Nonselect-Kontext

stark lateralisiert (Anhang A7). Die jeweiligen

lateralen Peaks sind genauso stark ausgeprägt,

wie die Peaks der bilateralen N1. Deshalb fällt

die lateralisierte N1 im Mittel über die beiden

Targetseiten nur etwa halb so groß aus, wie die N1 bei bilateraler Darbietung. Weiterhin

existieren für beide Kurven eine posteriore P1 und eine sehr breit gestreute P3b. In der

Nonselect-Bedingung ist eine anteriore P3a wegen ihrer deutlich erkennbar kürzeren Latenz

von der weiter posterior verteilten P3b zu trennen. In der Select-Bedingung sind die Latenzen

der anterioren und posterioren P3-Peaks etwas gleich. Allerdings ist in der frontalen

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5.2 EKP-Analyse 57

Abbildung 5.6 Reaktionssynchrone EKPs

Baseline: -1005 ms bis –500 msHelle Kurve: EKP für Select über [Priming] aggregiert.Dunkle Kurve: EKP für Nonselect über [Priming] aggregiert.

Querreihe (F7,F3,Fz,F4,F8) ein starke linksseitige Asymmetrie festzustellen. Auch hier wird

deshalb die Bezeichnung P3a für die frontale P3 vergeben. Da dieselbe asymmetrische

Topographie auch für die frühere P3a in der Nonselect-Bedingung gilt, handelt es sich

vermutlich in beiden Bedingungen um ein und dieselbe Komponente.

Der vorherrschende qualitative Unterschied in den Kurvenverläufen zeigt sich erstens in einer

an Fz maximalen P2, mit einer symmetrischen frontopolaren bis fronto-zentralen Topographie

in der Select-Bedingung. Zweitens existiert ebenfalls in der Select-Bedingung, eine an FCz

maximale N2 (vermutlich eine N2b), die an frontalen Elektroden linksseitig asymmetrisch

verteilt ist und ihr Maximum kurz nach 300 ms hat. Nach posterior wird die N2 kleiner, ist

aber bis zu den parietalen Elektroden deutlich sichtbar. Sie unterscheidet sich von der

anterioren N2 durch ein etwas früheres Maximum kurz vor 300 ms und durch eine

symmetrische bilaterale Topographie. Vermutlich handelt es sich hierbei um eine N2pc. In

den reaktionssynchron gemittelten Daten

sind keine grundsätzlich verschiedenen

Muster für die beiden Bedingungen zu

erkennen. Die Differenzierung der P3 in

eine P3a und P3b bestätigt sich hier.

Weiterhin klärt sich die Topographie der

P3b dahingehend auf, daß sie deutlich an

Pz maximal ist. An posterioren Elektroden

deutet sich in der Select-Bedingung ein

positives Zwischenmaximum kurz vor der

Reaktion an. Nach der Reaktion treten

drei Komponenten auf, die entweder als

Off-Potentiale zu deuten sind, oder

ansonsten eine ungeklärte Bedeutung

haben. Diese drei Komponenten sind mit

dem Index pr für “post-reaktion”

gekennzeichnet. Die Npr1 tritt besonders

frontopolar hervor. Die Ppr1 ist an FCz

maximal und linksfrontal asymmetrisch.

Die Npr2 ist an Oz maximal und okzipito-

temporal rechtsseitig asymmetrisch.

Page 60: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

5.2 EKP-Analyse 58

Abbildung 5.7 Reizsynchrone lateralisierte EKPs

Baseline: -700 ms bis 0 msHelle Kurve: EKP für Select über [Priming] aggregiert.Dunkle Kurve: EKP für Nonselect über [Priming] aggregiert.

In den reizsynchron gemittelten lateralisierten Potentialen, sind P1 und N1 in der unilateralen

Darbietung (Nonselect-Bedingung) an posterioren temporalen Elektroden maximal. Bei

bilateraler Darbietung (Select-Bedingung), findet sich keinerlei Lateralisierung der P1 oder

N1. Das deutet darauf hin, daß zu diesem

Zeitpunkt (bis ca. 200 ms) die Targetseite

noch nicht erkannt worden ist. Ab 200ms

setzt dann aber kontralateral zum Target

eine lateralisierte N2 ein. Das zeigt

eindeutig, daß nach spätestens 200 ms die

Targetseite identifiziert worden ist. Auch

weil die Latenzen dieser N2 und der

vorher klassifizierten N2pc gut

übereinstimmen, handelt es sich hier

vermutlich um den lateralisierten Aspekt

der N2pc. In der Nonselect-Bedingung

bleibt diese lateralsierte N2pc vollständig

aus. Die ebenfalls um etwa 300 ms

frontocentral maximale negative

Komponente wird aufgrund ihrer von der

N2pc verschiedenen Topographie als LRP

klassifiziert. In der Select-Bedingung hat

das LRP erst ca. 100 ms später ein

Maximum erreicht. Die Positivierungen

nach dem LRP werden in der folgenden

Darstellung der reaktionssynchron

gemittelten EKPs beschrieben.

Page 61: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

5.2 EKP-Analyse 59

Abbildung 5.9 Reizsynchrone EKPs in VPL B

Baseline: -600 bis –500 msHelle Kurve: Sustained Attention (Exp31)Dunkle Kurve: Transient Attention (Exp30)

Abbildung 5.8 Reaktionssynchrone lateralisierte EKPs

Baseline: -1005 bis -800Helle Kurve: Select; Dunkle Kurve: Nonselect

In beiden Kurven tauchen nach dem LRP drei lateralisierte Komponenten auf, die lediglich

unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Zeitgleich mit der nicht-lateralisierten, taucht hier eine

posterior-temporal maximale LPpr1 (steht für erste lateralisierte Positivität nach der Reaktion)

auf.

Weiterhin existieren eine ebenfalls

posterior-temporal maximale LNpr1 (Peak

bei ca. 100 ms) und eine LPpr2 nach ca. 200

ms. Welche Bedeutung diese Komponenten

haben könnten, ist unklar. Sie werden hier

zwar beschrieben, aber später weder

statistisch analysiert, noch inhaltlich

interpretiert.

5.2.2 Qualitative Analyse der EKPs nach Versuchsplan B

Die Kurvenverläufe für Sustained- versus

Transient-Attention sind bezüglich der

vorkommenden Komponenten sehr ähnlich.

Einzige Ausnahme ist das Potential auf den

Cue. Hier wird das Bild in der Sustained-

Bedingung im Gegensatz zur Transient-

Bedingung von einer parietalen P2 und P3

dominiert.

Page 62: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

5.2 EKP-Analyse 60

Aufgrund der vielfältigen Amplituden- und Latenzunterschiede in den einzelnen

Komponenten, wird in der statistischen Analyse –wie auch schon in Versuchsplan A–

lediglich ein Vergleich zwischen Negative-Priming und Kontrolle jeweils getrennt für die

beiden Stufen des [Attention]-Faktors gerechnet. Für die lateralisierten Potentiale ist die

Situation ähnlich. Abbildungen hierzu sind in Anhang A8 zu finden. Während sich in beiden

Kurven die selben Komponenten wiederfinden, sind die Morphologien im Vergleich dann

doch so gegeneinander verzerrt, daß eine separate Betrachtung des Negative-Priming-Effektes

unter der beiden [Attention]-Stufen sinnvoll erscheint.

Fazit: Festzuhalten bleibt, daß sich die unterschiedlichen Verarbeitungsprozesse bezüglich

Select- und Nonselect-Bedingung (VPL A) in eigenständigen Komponenten widerspiegeln.

Im Kontrast dazu bestehen die Unterschiede bezüglich der Sustained- und Transient-

Attention-Bedingung (VPL B) in Modulationen der Latenzen, Amplituden und

Flankensteilheiten ein und derselben Komponenten.

Nachschlag: Zum Abschluß soll ein Blick auf die über alle Versuchspersonen gemittelten

horizontalen Augenbewegungen aufzeigen, wie schnell „die Augen wissen“ auf welcher Seite

das Target ist. Zum Vergleich sind die sehr viel trägeren Reaktionszeiten eingetragen.

Es wird auch deutlich, daß relativ große Reaktionszeitunterschiede sehr viel kleineren

Unterschieden in den Latenzen der Blickbewegungen gegenüberstehen. Eine quantitative

Analyse der Einsatzlatenzen wurde nicht vorgenommen.

Abbildung 5.10 Reizsynchron gemitteltes Heog

Positive Amplituden sind Blickbewegungen nach rechts. In die Mittelungsind nur die Reize eingegangen, in denen Target und Distraktor aufgegenüberliegenden Halbfeldseiten dargeboten wurden.Die beiden Kurven mit positivem Ausschlag, sind jeweils korrekteAugenbewegungen nach rechts, wenn das Target rechts erschienen ist.

Helle Kurven: Negative-PrimingDunkle Kurven: Kontrolle

RT: 461ms RT: 429ms

RT: 538ms

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5.2 EKP-Analyse 61

Abbildung 5.11 Reizsynchron gemittelt, Baseline von -700 bis -500ms

Helle Kurve: Negative-Priming/ SelectDunkle Kurve: Kontrolle/ Select

Es wurden drei Average-Amplituden gerechnet. Die entsprechendenEpochen sind umrahmt und der Latenzbereich ist eingetragen.

5.2.3 Quantitative Analyse nach Versuchsplan A

Es werden jetzt getrennt für die beiden Stufen des [Probe-Select]-Faktors Vergleiche

zwischen Negative-Priming und Kontrolle gerechnet. Begonnen wird mit den reizsynchron

gemittelten Potentialen auf der Select-

Stufe. Hier zeigt sich in der visuellen

Inspektion der Kurven als dominierender

Unterschied eine breit gestreute, erhöhte

Negativität für die Negative-Priming-

Bedingung zwischen ca. 150 und 400 ms.

Dieser Effekt reicht von frontozentral bis

okzipital, ist an Pz maximal und hat eine

leichte linkshemispherische Dominanz.

Eine Betrachtung der Differenzpotentiale

zeigt auf, daß diese Negativität aus zwei

separaten Komponenten besteht. Zum

einen werden posteriore N1 und N2

zwischen ca. 120 und 300 ms von einer

zusätzlichen langsamen negativen

Komponente mit einem Maximum bei

etwa 230 ms überlagert. Die zweite

Komponente ist in der steil abfallenden

Flanke der P3 „versteckt“ (in Abbildung

5.11 als N3 gekennzeichnet) und erstreckt

sich über einen Bereich zwischen ca. 300

und 400 ms, mit einem Maximum bei ca.

350 ms (Anhang A9). Für die statistische

Absicherung dieser vorläufigen Effekte

wurden, entsprechend der beiden relevanten Komponenten, Average-Amplituden über die

Epochen von 150-300 ms und von 300-400 ms gerechnet. Als zusätzliche Baseline wurde

auch noch eine Average-Amplitude zwischen 50 und 150 ms ausgewertet. Es wurden

folgende 19 Elektroden in jeweils eine zweifaktorielle Varianzanalyse für jede Epoche

aufgenommen: FC3, FCz, FC4, T3, C3, Cz, C5, T4, CP3, CPz, CP4, T5, P3, Pz, P4, T6, O1,

Oz, O2.

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5.2 EKP-Analyse 62

Abbildung 5.12 Reizsynchron gemittelt, Baseline von -700 bis -500ms

Helle Kurve: Negative-Priming / NonSelectDunkle Kurve: Kontrolle / NonSelect

Es wurden drei Average-Amplituden gerechnet. Die Epochen mitvermuteten Effekten sind umrahmt und der Latenzbereich isteingetragen.

O2

Oz

O1

T6

P4

Pz

P3

T5

CP4

CPz

CP3

T4

C4

Cz

C3

T3

FC4

FCz

FC3

1

0

-1

-2

-3

-4

-5

Bedingung

Kontrolle

Negative-Priming

Weder in der Baseline zwischen –700 und –500 ms noch in der zusätzlichen Baseline

zwischen 50 und 150 ms unterschieden sich Negative-Priming und Kontrolle signifikant

voneinander. Die erwarteten Effekte in den beiden späteren Epochen ließen sich statistisch

absichern.

Latenzbereich 150 – 300 ms Latenzbereich 300 – 400 ms

NP vs. KO F(1,18) = 7.9; p(F) < 0.012 F(1,18) = 6.7; p(F) < 0.018

Die Interaktion mit den Elektrodenpositionen wurde für keine der Epochen signifikant.

Die qualitative Analyse der Kurven auf der Nonselect-Stufe zeigt, daß hier kein Effekt

zwischen 150 und 300 ms vorhanden ist. Allerdings deutet sich ein zur Select-Stufe

vergleichbarer Effekt zwischen 300 und

400 ms an. Ebenfalls über viele

Elektroden verteilt, ist eine erhöhte

Negativierung für Negative-Priming

zwischen 50 und 150 ms zu erkennen. Die

statistische Absicherung bleibt allerdings

weit über akzeptablen Fehlerwahrschein-

lichkeiten, selbst wenn nur die Elektroden

mit den größten absoluten Differenzen

und den kleinsten Streuungen in eine

Varianzanalyse aufgenommen werden.

O2

Oz

O1

T6

P4

Pz

P3

T5

CP4

CPz

CP3

T4

C4

Cz

C3

T3

FC4

FCz

FC3

5

4

3

2

1

0

Bedingung

Kontrolle

Negative-Priming

Die Average-Amplituden im Latenzbereich 300-400 ms

auf der Select-Stufe

Die Average-Amplituden im Latenzbereich 150-300 ms auf

der Select-Stufe

Page 65: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

5.2 EKP-Analyse 63

Die Analyse der reizsynchron gemittelten lateralisierten Potentiale, erwies sich als

problematisch, weil starke Schwankungen in der Baseline vorhanden sind. Deshalb wird hier

auf eine statistische Auswertung verzichtet. Wenngleich doch angemerkt werden soll, daß

sich Negative-Priming-Effekte auf der Select-Stufe in einer vergrößerten LRP- und N2-

Amplitude andeuten.

Die Analyse der reaktionssynchron gemittelten Potentiale ergab für die späten Komponenten

nach der Reaktion deutlich sichtbare Amplitudenvergrößerungen in der Negative-Priming-

Bedingung für die Select-Stufe. Weder unter Transient-Attention (VPL B) noch in der

Nonselect-Bedingung sind entsprechende Effekte nachweisbar.

Die Betrachtung der nach Targetseite getrennt gemittelten Potentiale zeigt, daß die in

Abbildung 5.13 sichtbare Amplitudenvergrößerung durch eine kontralateral vergrößerte

Positivität in der Negative-Priming-Bedingung zustande kommt.

Die statistische Auswertung der Average-Amplituden zwischen 0 und 250 ms ergab über die

Elektroden P3/4, T5/6 und O1/2 aggregiert, einen marginal signifikanten Unterschied von>@?BAC#DFE#GIH6J9K LNM F(1,18)=3.96; p<0.063).

Abbildung 5.13 Reaktionssynchron gemittelte lateralisierte Potentiale auf der Select-Stufe.Zwischen 0 und 250 ms wurden Average-Amplituden berechnet.

Helle Kurve: Negative-PrimingDunkle Kurve: Kontrolle

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5.2 EKP-Analyse 64

Abbildung 5.14 Reizsynchron gemittelt, Baseline von –600 bis –500ms

Helle Kurve: KontrolleDunkle Kurve: Negative-Priming

Die vier gekennzeichneten Epochen wurden statistisch ausgewertet

5.2.4 Quantitative Analyse nach Versuchsplan B

Nachdem die Unterschiede im EKP zwischen Transient- und Sustained-Attention in der

qualitativen Analyse (Abschnitt 5.2.2) thematisiert wurden und die Negative-Priming-Effekte

unter Sustained-Attention im vorherigen Abschnitt 5.4.3 beschrieben sind, bleibt nur noch die

quantitative Auswertung der Effekte unter Transient-Attention. Wie schon auf der Nonselect-

Stufe ist auch hier wieder keine erhöhte Negativität im Latenzbereich zwischen 150 und 400

ms für die Negative-Priming-Bedingung

zu entdecken. Dafür zeigt sich eine

markante anteriore Verstärkung der P2-

und P3a-Amplituden. Zudem scheinen die

Latenzen von N2b und P3a verlängert zu

sein. An posterioren Elektroden deutet

sich eine reduzierte P1-Amplitude in der

Negative-Priming-Bedingung an.

Statistisch abgesichert werden konnten

erstens die P2- und P3a-Amplituden-

unterschiede und zweitens die

Latenzunterschiede für N2b und P3a.

Sowohl mittels Average-Amplituden als

auch mittels Peak-Amplituden konnte der

P1-Effekt an posterioren Elektroden nicht

bestätigt werden. In der folgenden Tabelle

sind die Ergebnisse der Analyse

wiedergegeben.

Latenz Peak-Amplitude Average-Amplitude

Negative-Priming-Effekt

Anteriore P2

n.s. F(1,18)=4.7; p<0.045OQP3RTSVU W XZY\[^]=R,_#U S X F(1,18)=4.3; p<0.054OQP3R6`aU b X\YQ[=]=RVcdU W XNegative-Priming-Effekt

Anteriore N2

F(1,18)=3.7; p<0.07

NP=298.9ms, KO=311.8ms

n.s. n.s.

Negative-Priming-Effekt

Anteriore P3a

F(1,18)=7.3; p<0.01

NP=377.5ms, KO=361.3ms

n.s. F(1,18)=3.8; p<0.067OQP3R6`aU b XZY[=]=RVcdU b XAbbildung 5.15 Die Ergebnisse von 3 ANOVAs mit jeweils den Elektroden F3, F7, F4, FC3, FCz, FC4 und dem Faktor [Priming].

Page 67: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

5.3 Abschließende Diskussion 65

5.3 Abschließende Diskussion

Die Analyse der Verhaltensdaten ergibt unterschiedlich große Ausprägungen des Negative-

Priming-Effektes, abhängig davon, in welchem Setting die Selektion und der nachfolgende

Probe-Test stattgefunden haben. Über die Analyse der dazugehörigen EKPs können Aussagen

getroffen werden, die weit über die Feststellung quantitativer Unterschiede zwischen den

Effektgrößen hinausgehen. Bevor dieser Sachverhalt diskutiert wird, sollen aber zuerst

generelle Aspekte der vorgefundenen ereigniskorrelierten Potentiale besprochen werden.

Unabhängig von der Untersuchung des Negative-Priming-Effektes, konnte über den

Vergleich der EKPs zwischen Select- und Nonselect-Bedingung demonstriert werden, daß

hier jeweils sehr unterschiedliche Verarbeitungsprozesse beteiligt sein müssen. In der Select-

Bedingung traten im Vergleich zur Nonselect-Bedingung zusätzlich eine anteriore P2, eine

anteriore N2b und eine posteriore lateralisierte N2pc auf. Diese drei Komponenten scheinen

also spezifisch mit Selektionsprozessen zur Trennung von Target und Distraktor

zusammenzuhängen. Die Eigenschaften der N2pc in dieser Untersuchung, stimmen sehr gut

mit der von Luck et al. (1994) beschriebenen Charakteristik überein (siehe Abschnitt 3.4.1).

Ob die hinter dieser Komponente stehenden neuronalen Vorgänge eher für die Unterdrückung

irrelevanter Information sorgen oder entgegengesetzt eine Erleichterung der

Targetverarbeitung bedeuten, wird von verschiedenen Autoren kontrovers diskutiert (Luck et

al., 1994; Eimer, 1996). Auch die vorliegenden Ergebnisse bringen diesbezüglich keine

Klarheit. Die beiden anterioren Komponenten könnten aufgrund ihrer Topographie die

Aktivität derjenigen Netzwerke widerspiegeln, die an der exekutiven Steuerung der Selektion

beteiligt sind. Möglicherweise hängt diese anteriore Aktivität spezifisch mit der Trennung von

Target und Distraktor zusammen, wie dies im Modell von Houghton und Tipper (1994)

konzipiert wurde. Es ist aber auch vorstellbar, daß die Komponenten immer dann auftauchen,

wenn zur Bewältigung der Aufgabe eine exakte Analyse der Buchstaben notwendig ist. Da in

der Nonselect-Bedingung der allein dargebotene Buchstabe immer auch Target ist, kann eine

Reaktion hier auch schon nach unvollständiger Analyse des Reizes beispielsweise durch

Kopplung an eine frühe Orientierungsreaktion (wie sie in der N1 manifestiert ist) bestimmt

werden. Zur Klärung dieser Frage, wäre eine zusätzliche Bedingung mit der isolierten

Darbietung eines einzigen Distraktors sinnvoll, so daß vor einer Reaktion in der Nonselect-

Situation ebenfalls zwischen Target und Distraktor differenziert werden müßte.

Im Gegensatz zur unilateralen Darbietung in der Nonselect/Sustained-Attention-Bedingung,

konnte in den beiden anderen Bedingungen mit bilateraler Darbietung (Select/Sustained-

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5.3 Abschließende Diskussion 66

Attention und Select/Transient-Attention), wie gesagt, eine Aufmerksamkeitsausrichtung hin

zur Targetseite nicht „einfach“ über eine unspezifische Orientierungsreaktion geleistet

werden. Vielmehr ist hier zur korrekten Orientierung zuerst eine Analyse der beiden

Buchstaben zumindest auf der Ebene physikalischer Merkmale notwendig. Wie aus der

Betrachtung der horizontalen Augenbewegungen und der lateralisierten N2pc hervorgeht, ist

die Targetseite unter bilateralen Darbietungsbedingungen spätestens nach ca. 200 ms und nur

wenige Millisekunden später als bei unilateraler Target-Darbietung erschlossen. Die absoluten

Unterschiede zwischen Select/Sustained-Attention und Select/Transient-Attention, einerseits

bezüglich der Reaktionszeiten (461 ms vs. 538 ms) und andererseits bezüglich der HEOG-

Einsatz-Latenzen (ungefähr gleich bei ca. 230 ms) und N2pc-Peak-Latenzen (ungefähr gleich

bei ca. 300 ms) weisen darauf hin, daß Entscheidungen über unwillkürliche Blickbewegungen

und über die Lateralisierung der N2pc von einer anderen Instanz getroffen werden, als

Entscheidungen über willkürliche Reaktionen. Dieses Muster paßt zu den Vorstellungen von

Wijers et al. (1989) über die Unterscheidung zwischen einem schnellen präattentiven

Klassifikationssystem (verknüpft mit einer posterioren N2) und einem seriell arbeitenden

attentionalen System (verknüpft mit einer langsamen „Search-Negativity“). Die Funktion der

präattentiven Klassifikation liegt vermutlich eher in der Optimierung der perzeptuellen

Analyse über unspezifische Orientierungsreaktionen als in der Reizevaluation (Latenz der

P3b) oder der Festlegung von Reaktionsparametern, wie sie im LRP sichtbar werden.

Tatsächlich deutet sich bezüglich der P3b und im LRP an, daß die Unterschiede der Peak-

Latenzen etwa in der Größenordnung der Unterschiede der Reaktionszeiten liegen. Eine

statistische Absicherung der Latenzunterschiede wurde allerdings in keinem der erwähnten

Fälle vorgenommen.

Es folgt nun die Diskussion der Negative-Priming-Effekte. Die quantitative Abstufung der

Effekte für die drei Selektions-Settings findet sich in dieser einfachen Form in den EKPs nicht

wieder. Im Select/Sustained-Attention-Kontext geht der insgesamt größte Effekt aufLfeag�h�>iDFG�e@j'Akea?�e@j&elM 2=0.60; 29.8 ms) mit zwei markanten Veränderungen im EKP einher.

Erstens finden sich in der Negative-Priming-Bedingung im Vergleich zur Kontrolle zwei

erhöhte Negativitäten zwischen 150 und 400 ms nach Reizeinsatz. Zweitens ist im

lateralisierten Potential eine kontralateral zur Targetseite erhöhte, posterior verteilte

Positivität zwischen 0 und 250 ms nach erfolgter Reaktion zu beobachten. Der immer noch

große, aber doch deutlich reduzierte Verhaltens-Effekt im Nonselect/Sustained-Attention-m Cdj#G�e@n&G)M 2=0.22; 14.2 ms), findet im EKP überhaupt keine statistisch bedeutsame

Entsprechung. Besonders interessant ist die Situation im Select/Transient-Attention-Setting.

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5.3 Abschließende Diskussion 67

Hier sind keine Effekte in Reaktionszeiten oder Fehlerraten zu beobachten. Dafür sind in der

Negative-Priming-Bedingung zum einen die Amplituden von anteriorer P2 und P3a

vergrößert und zum anderen sind die Latenzen von N2b und P3a verlängert. Dieses

Ergebnismuster wird wie folgt interpretiert:o Select/Sustained-Attention

Die Negativierungseffekte zwischen 150 und 400 ms nach Reizeinsatz können als erhöhte

„Processing-Negativities“ im Sinne von Nd-Komponenten (Näätänen, 1990; Wijers, 1996)

klassifiziert werden. Die Aufteilung in zwei Teilkomponenten wird auch in der neueren

Literatur berichtet (Wijers, 1996). Danach stellt die frühe Negativierung eine

selektionsbezogene Nde dar, während die zweite Komponente zwischen 300 und 400 ms

vermutlich der evaluationsbezogenen Ndl entspricht.

In diesem Rahmen läßt sich der Nde-Effekt als erschwerter Vergleich zwischen Reiz und

Aufmerksamkeitsspur in der Negative-Priming-Bedingung interpretieren. Dieser Vergleich

dauert länger und erfordert mehr Verarbeitungsressourcen, wenn die relevanten

Repräsentationen vorher gehemmt wurden. Die so interpretierte Befundlage bestätigt sehr

geradlinig die theoretischen Vorstellungen von Houghton und Tipper (1994) zur Genese des

Negative-Priming-Effektes. Der Ndl-Effekt könnte als akkuratere Weiterverarbeitung des

selegierten Targets betrachtet werden.

Die nach der Reaktion zu beobachtende kontralaterale Positivierung für Negative-Priming,

verglichen mit der Kontroll-Bedingung, ist in ihrer Bedeutung völlig unklar.o Nonselect/Sustained-Attention

Der reduzierte Negative-Priming-Effekt der Reaktionszeiten im Nonselect-Setting könnte

darauf zurückgeführt werden, daß sich Inhibition hier auf dieselben Prozesse auswirkt, wie im

Select-Setting – nur eben in abgeschwächter Form. In diesem Fall sollten die Effekte im EKP

in geringerer Größe ebenfalls noch vorhanden sein. Die Empirie zeigt nun aber, daß keinerlei

statistisch absicherbare Effekte existieren. Da es aber um die Interpretation von

Nullhypothesen geht, ist natürlich die Power-Problematik zu berücksichtigen. Für die Ndl und

die reaktionsgekoppelten Positivierungen sind absolute Amplitudenunterschiede in die

richtige Richtung vorhanden. Die gescheiterte statistische Absicherung könnte hier also unter

Umständen auf zu geringe Teststärke zurückgeführt werden. Für die frühe Nde ist aber noch

nicht einmal eine absolute Amplitudendifferenz auszumachen, weshalb die Interpretation der

Nullhypothese in diesem Fall vertretbar erscheint.

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5.3 Abschließende Diskussion 68

Im Rahmen der Theorie der Aufmerksamkeitsspur (Näätänen, 1990; Houghton und Tipper,

1994), kann der Negative-Priming-Effekt hier also nicht im Sinne einer Nachwirkung von

Inhibition gedeutet werden.o Select/Transient-Attention

Es konnten keine Nd-Effekte nachgewiesen werden. Die absoluten Amplitudenunterschiede

gehen sogar in die falsche Richtung, weshalb eine Aussage zugunsten der Nullhypothese hier

unproblematisch erscheint. Dieses Resultat paßt bestens in den bisher vertretenen

theoretischen Rahmen. Mangels konsistenter afferenter Verstärkung, können im Transient-

Attention-Setting keine Aufmerksamkeitsspuren angelegt werden, weshalb sich inhibitorische

Nacheffekte auch nicht auf die damit verbundenen Prozesse auswirken können. Da in dieser

Bedingung nicht mehr Fehler, als in der Sustained-Attention-Bedingung gemacht wurden,

muß auch hier ein vergleichbarer Mechanismus für eine erfolgreiche Selektion gesorgt haben.

Die Tatsache, daß im EKP Negative-Priming-Effekte nachweisbar sind, zeigt, daß der

Selektionsmechanismus auch hier –zumindest teilweise– über eine Modulation von

Distraktorrepräsentationen wirken muß. Ansonsten dürfte distraktorbezogene Information

keinerlei Einfluß auf die Verarbeitung haben. Die Verstärkungen der anterioren P2 und P3a

weisen darauf hin, daß zur Überwindung der Inhibition exekutive Systeme beteiligt sind.

Fazit: Unter Berufung auf die Theorie der Aufmerksamkeitsspur von Näätänen (1990), das

konnektionistische Modell von Houghton und Tipper (1994) und den von Cummings (1995)

beschriebenen anatomischen Strukturen, werden folgende Arbeitshypothesen aufgestellt:o Ist durch konsistente afferente Verstärkung die Einrichtung einer Aufmerksamkeitsspur

möglich, sorgt dieses System dafür, daß die durch konkurrente Selektion erzeugte

Hemmung der Distraktor-Repräsentationen (Object-Field) überwunden wird. Die

Aufmerksamkeitsspur wird in einem separaten Repräsentationsmodul (Match-Mismatch-

Field) angelegt und ermöglicht eine automatische Selektion unter Entlastung exekutiver

Systeme (Target-Field). Eine plausible anatomische Struktur für das Match-Mismatch-

Field wäre ein Verbundsystem aus Caudatum und kortikalen Assoziationsarealen. Die

elektrophysiologischen Effekte spiegeln dann eine erhöhte Aktivität dieses Systems wider.o Kann keine Aufmerksamkeitsspur angelegt werden, muß die Hemmung durch direkte

Interaktion zwischen frontalen Exekutivsystemen und posterioren Assoziationsarealen

überwunden werden. Die elektrophysiologischen Effekte spiegeln hier also eine erhöhte

Aktivität des frontalen Systems (Target-Field) wider.

Page 71: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

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Page 78: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

Anhang 75

Anhang

Inhaltsübersicht

A1 ................... Vollständiger Versuchsplan Exp30

A2 ................... Vollständiger Versuchsplan Exp31

A3 ................... Überblick Reizauswahl

A4 ................... Verteilung der Bedingungskontingenzen

A5 ................... Distanz-Kontingenzen

A6 ................... Instruktionen

A7 ................... Vergleich der lateralisierten Potentiale für bilaterale und unilaterale N1

A8 ................... Vergleich der lateralisierten Potentiale für den Faktor [Attention]

A9 ................... Differenzpotential für Negative-Priming versus Kontrolle im Select-Kontext

Page 79: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

Switch Nonswitch

ohne Wechsel ohne Wechsel

Mismatch: NP Mismatch: PPInhibition: PP Inhibiton: PPPreCue: -Reset: p Mismatch

PP mit Wechsel mit Wechsel

Mismatch: NP Mismatch: PPInhibition: PP Inhibition: PPPreCue: - Kontrolle zu Switch/ mit WechselReset: p Mismatch

ohne Wechsel ohne Wechsel

Mismatch: PP Mismatch: NPInhbition: NP Inhibition: NPPreCue: p MismatchReset: p Mismatch

NP mit Wechsel mit Wechsel

Mismatch: NP Mismatch: NPInhibition: NP Inhibition: NPPreCue: p Inhibition Kontrolle zu Switch/ mit WechselReset: p Mismatch

ohne Wechsel ohne Wechsel

KO mit Wechsel mit Wechsel

A1 Vollständiger Versuchsplan für Exp30

Hier sind alle in Exp30 realisierten 12 Bedingungen aufgeführt. Die Vorhersagen aus Feature-

Mismatch-Theorie und Inhibitiontheorie sind jeweils angeben. Außerdem ist angedeutet in

welche Richtung Pre-Cueing und Reset die Effekte zugunsten einer der beiden Haupteinflüsse

verschieben sollte. Erläuterung sind in Abschnitt 4.1 zu finden.

Legende: PP = Positive-Priming, NP = Negative-Priming, KO = Kontrolle

X o O

O x X

X o O

O T T

X o O

X O x

X o O

T O T

X o O

O x X

X o O

O T T

X o O

X o O

X o O

T o O

X o O

O X o

X o O

O T o

X o O

X o O

X o O

T o O

Page 80: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

A2 Vollständiger Versuchsplan für Exp31

Negative-Priming Kontrolle

PrimeSelect-ProbeSelect

PrimeNonselect-ProbeSelect

PrimeSelect-ProbeNonselect

PrimeNonselect-ProbeNonselect

X o O

O o X

o O

O o X

X o O

O o

o O

O o

X o O

O o X

o O

O o X

X o O

O o

o O

O o

Page 81: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

A3 Auswahlsituation für die Erzeugung der Zufallssequenzen für Exp30 und Exp31

Reiz im Prime Muster im Prime

T=Target

D=Distraktor

Bedingung

PP=Positive Priming

NP=Negative Priming

KO=Kontrolle

mögliche Reize im

Probe

(werden jeweils

zweimal vergeben)

Wie oft wird der

Reiz pro Bedingung

vergeben?

m1 T D __ __ PPNPKO

m5, m10m7, m11m3, m4

2

m2 D T __ __ PPNPKO

m7, m11m10, m5m3, m4

2

m3 __ __ T D PPNPKO

m6, m12m8,m9m1, m2

2

m4 __ __ D T PPNPKO

m8, m9m6, m12m1, m2

2

m5 T __ D __ PPNPKO

m1, m10m3, m12m7, m8

2

m6 D __ T __ PPNPKO

m3, m12m1, m10m7, m8

2

m7 __ T __ D PPNPKO

m2, m11m4, m9m5,m6

2

m8 __ D __ T PPNPKO

m4, m9m2, m11m5, m6

2

m9 T __ __ D PPNPKO

m4, m8m1, m5m11, m12

2

m10 D __ __ T PPNPKO

m1, m5m4, m8m11, m12

2

m11 __ T D __ PPNPKO

m7, m2m6, m3m9, m10

2

m12 __ D T __ PPNPKO

m6, m3m7 ,m2m9, m10

2

Die Platzhalter für Target (T) und Distraktor (D) werden durch „X“, „O“ oder „T“ ersetzt.Die Tabelle wird für die Erzeugung der Zufallssequenzen für jede Bedingung kopiert.

Also für Exp30: und für Exp31:

1. Switch/Nonchange (48 Trials)2. Switch/Change (48 Trials)3. Nonswitch/Nonchange (48 Trials)4. Nonswitch/Change (48 Trials)

1. PrimeSelect/ProbeSelect (48)2. PrimeSelect/ProbeNonselect (48)3. PrimeNonSelect/ProbeSelect (48)4. PrimeNonSelect/ProbeNonSelct (48)

Page 82: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

A4 Bedingungskontingenzen für Exp30 und Exp31

Descriptive Statistics

144 36,00 59,00 95,00 75,8681 ,5682 6,8186

144 7,00 1,00 8,00 3,9931 ,1490 1,7877

144

Exp30: Summe über alle19 VpnBedingungskontingenzenVp30_001Valid N (listwise)

Statistic Statistic Statistic Statistic StatisticStd.Error Statistic

N Range Minimu Maximu Mean Std.

Exp30 Summe über alle 19 Vpn

95,0

92,5

90,0

87,5

85,0

82,5

80,0

77,5

75,0

72,5

70,0

67,5

65,0

62,5

60,0

40

30

20

10

0

Bedingungskontingenzen für Vp30_001

8,07,06,05,04,03,02,01,0

40

30

20

10

0

Descriptive Statistics

32 32,00 211,00 243,00 227,41 1,3251 7,4956

32 6,00 9,00 15,00 11,9688 ,3028 1,7130

32

Exp31: Summe über alle19 Vpn

Bedingungskontungenzenfür Vp31_001

Valid N (listwise)

Statistic Statistic Statistic Statistic StatisticStd.Error Statistic

N Range Minimu Maximu Mean Std.

Bedingungskontingenzen für Vp31_001

15,014,013,012,011,010,09,0

8

6

4

2

0

Exp31 Summe über alle 19 Vpn

245,0240,0235,0230,0225,0220,0215,0210,0

12

10

8

6

4

2

0

Page 83: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

A5 Vollständige Tabelle für die Kontingenzhäufigkeiten der Prime-Probe Distanzen

Probe Distanz=1 Probe Distanz=2 Probe Distanz=3 Summe

Prime Distanz=1

NP: 8 12 4 24

PP: 8 12 4 24

KO: 16 0 8 24

Summe: Exp30 32 24 16 72

Exp31 24 12 12 48

Prime Distanz=2

NP: 12 0 4 16

PP: 12 0 4 16

KO: 0 16 0 16

Summe: Exp30 24 1 6 8 48

Exp31 12 16 4 32

Prime Distanz=3

NP: 4 ( qirasut@v 4 ( qirxwuykv 0 ( qxrazav 8

PP: 4 ( qirasut@v 4 ( qirxwuykv 0 ( qxrazav 8

KO: 8 ( qirasut@v 0 ( qirxwuykv 0 ( qxrazav 8

Summe: Exp30 16 4 0 24

Exp31 12 4 0 16

Summe Total Exp30 72 48 24 144

Exp31 48 32 16 96

Man erkennt, daß jede der drei Bedingungen (PP, NP, KO) über alle drei Distanzen summiert,

gleich häufig vertreten ist ( {}| 24, 16 und 8, für jeweils die Distanzen 1, 2, 3). Das gilt sowohl

für die einzelnen Distanzen im Prime, wenn über alle Probe-Distanzen summiert wird, als

auch für die einzelnen Distanzen im Probe, wenn über alle Prime-Distanzen summiert wird.

Problematische Ungeichverteilungen sind für die Prime-Probe-Kontingenzen festzustellen.

Hier ist z.B. für die Prime-Distanz=1 in der NP-Bedingung das Verhältnis der

Kontingenzhäufigkeiten für die drei Probe-Distanzen 8:12:4. Geradezu entgegengesetzt hierzu

lautet das selbe Verhältnis in der Kontroll-Bedingung 16:0:8.

Page 84: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

A7 Vergleich der lateralisierten Potentiale für bilaterale und unilaterale N1

In der Select-Bedingung sind keine Unterschiede zwischen linker und rechter Target-Darbietung zu

erkennen. In der Nonselect-Bedingung wird nur kontralateral eine N1 hervorgerufen, deren Amplitude

keinen Unterschied zur bilataralen N1 aufweist.

Page 85: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

A8 Vergleich der lateralisierten Potentiale für den Faktor [Attention]

Die helle Kurve repräsentiert hier die Sustained-Bedingung, während die dunkle Kurve die Transient-

Bedingung widergibt. Es ist lediglich über die Kontroll-Bedingung aggregiert worden.

Die helle Kurve repräsentiert wieder die Sustained-Bedingung, während die dunkle Kurve die

Transient-Bedingung widergibt. Es ist hier lediglich über Negative-Priming aggregiert worden.

Page 86: Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde, sollen über die Ableitung von

A9 Differenzpotential für Negative-Priming versus Kontrolle im Select-Kontext

Die Kurve gibt das reizynchron gemittelte Differenzpotential für Kontrolle minus Negative-Priming

im Select-Setting wider. Im Latenzbereich 150 bis 400 ms treten zwei Komponenten auf. Die erste

zwischen 150 und 300 ms wird als Nde klassifiziert. Die zweite zwischen 300 und 400 ms erhält die

Bezeichnung Ndl.