5
BEEINFOrmed 1_2014 EINE HISTORISCHE REISE Bienenverluste und ihre aktuelle Relevanz Viele Jahrtausende war Honig das einzige Süßungsmittel, das die Menschheit kannte, und entsprechend groß war die kulinarische und wirtschaftliche Bedeutung der Honigbiene. Nicht zuletzt deshalb gibt es eine Vielzahl von Aufzeichnungen über Bienenverluste. Die Erkenntnisse aus dieser historischen Krankenakte der Bienen können dazu beitragen, die aktuelle Debatte über die Ursachen von Bienenverlusten zu versachlichen. Gleichzeitig zeigt die Geschichte von Bayer das jahrzehntelange Engagement des Unternehmens zum Schutz dieser wichtigen Nützlinge. Warum die pathologische Geschichte so wichtig ist Die Bedeutung historischer Forschung für das Verständnis von Tierkrankheiten wurde in einem bahnbrechenden Buch erläutert, das bereits 1871 in London erschienen ist. Autor George Fleming war Präsident der Central Veterinary Medical Society und Mitglied des Royal College of Veterinary Surgeons. In der Einleitung zu seinem epischen Werk über „Tierseuchen: ihre Geschichte, Natur und Prävention“ von 1490 v. Chr. bis 1800 n. Chr., äußert sich Fleming folgendermaßen über die Bedeutung der pathologischen Forschung: Und mit einem Zitat von Hecker (Annalen, 1828), trifft Fleming eine Aussage von bemerkenswerter Relevanz für die heutige Debatte über die Ursachen von Bienenverlusten: „Die Menschen standen mit Staunen vor den Phänomenen der Natur. Und noch bevor sie klare Erkenntnisse über deren Beschaffenheit hatten, taten sie ihre Meinung dazu kund. Und da sie in diametral entgegengesetzte Lager gespalten waren, vertraten sie diese Meinungen mit fanatischem Eifer.“ Mit diesem Satz hätte Fleming ebenso gut die aktuelle Kontroverse über die Faktoren, die die Bienengesundheit beeinflussen, beschreiben können. George Fleming (1833–1901) von B. Hudson “Die Aufzeichnung von Tierseuchen auf der Basis historischer Fakten und genauer Beobachtung ist zweifellos ein wichtiger Beitrag für die medizinische Wissenschaft und die Zivilisation […]. Der vergleichende Pathologe kann die Geschichte der Krankheiten ebenso wenig ignorieren wie die Heilkundigen der Menschheit […]. Denn je besser er die Vergangenheit kennt, desto eher ist er in der Lage, die Gegenwart zu bewältigen und Vorkehrungen für die Zukunft zu treffen.“

EINE HISTORISCHE REISE Bienenverluste ... - beecare.bayer…beecare.bayer.com/bilder/pdf/Bienenverluste.pdf · Geschichte von Bayer das jahrzehntelange Engagement des Unternehmens

  • Upload
    buikhue

  • View
    213

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

BEEINFOrmed N° 1_2014

EINE HISTORISCHE REISE

Bienenverluste und ihre aktuelle RelevanzViele Jahrtausende war Honig das einzige Süßungsmittel, das die Menschheit kannte, und entsprechend groß

war die kulinarische und wirtschaftliche Bedeutung der Honigbiene. Nicht zuletzt deshalb gibt es eine Vielzahl von

Aufzeichnungen über Bienenverluste. Die Erkenntnisse aus dieser historischen Krankenakte der Bienen können

dazu beitragen, die aktuelle Debatte über die Ursachen von Bienenverlusten zu versachlichen. Gleichzeitig zeigt die

Geschichte von Bayer das jahrzehntelange Engagement des Unternehmens zum Schutz dieser wichtigen Nützlinge.

Warum die pathologische Geschichte so wichtig ist

Die Bedeutung historischer Forschung für das Verständnis von Tierkrankheiten wurde in einem bahnbrechenden Buch erläutert, das bereits 1871 in London erschienen ist. Autor George Fleming war Präsident der Central Veterinary Medical Society und Mitglied des Royal College of Veterinary Surgeons. In der Einleitung zu seinem epischen Werk über „Tierseuchen: ihre Geschichte, Natur und Prävention“ von 1490 v. Chr. bis 1800 n. Chr., äußert sich Fleming folgendermaßen über die Bedeutung der pathologischen Forschung:

Und mit einem Zitat von Hecker (Annalen, 1828), trifft Fleming eine Aussage von bemerkenswerter Relevanz für die heutige Debatte über die Ursachen von Bienenverlusten: „Die Menschen standen mit Staunen vor den Phänomenen der Natur. Und noch bevor sie klare Erkenntnisse über deren Beschaffenheit hatten, taten sie ihre Meinung dazu kund. Und da sie in diametral entgegengesetzte Lager gespalten waren, vertraten sie diese Meinungen mit fanatischem Eifer.“ Mit diesem Satz hätte Fleming ebenso gut die aktuelle Kontroverse über die Faktoren, die die Bienengesundheit beeinflussen, beschreiben können.

George Fleming (1833–1901)

von B. Hudson

“Die Aufzeichnung von Tierseuchen auf der Basis historischer Fakten und genauer Beobachtung ist zweifellos ein wichtiger Beitrag für die medizinische Wissenschaft und die Zivilisation […]. Der vergleichende Pathologe kann die Geschichte der Krankheiten ebenso wenig ignorieren wie die Heilkundigen der Menschheit […]. Denn je besser er die Vergangenheit kennt, desto eher ist er in der Lage, die Gegenwart zu bewältigen und Vorkehrungen für die Zukunft zu treffen.“

2

BEEINFOrmed N° 1_2014

3

BIENENVERLUSTE UND IHRE AKTUELLE RELEVANZ

Altägyptische Darstellung eines Imkers mit Röhrenstöcken Skulptur eines kuppelförmigen Bienenstocks, Dänemark (1823)

Historische Hürden

So wichtig die Geschichte der Tierkrankheiten zweifellos ist, beim Studium der zahlreichen historischen Quellen stößt man bald auf schwerwiegende Hindernisse. Vom Altertum bis in das 18. Jahrhundert wurde die Urteilsfähigkeit der Menschen durch blinde Religiosität und Aberglaube getrübt als sie ver-suchten, bestimmte Krankheiten von Mensch und Tier eine Ursache zuzuordnen. Die Menschen des Altertums und des Mittelalters hatten nur wenig Wissen über Tiermedizin und sahen daher in Tierkrankheiten eine göttliche Strafe oder das Werk böser Geister. Diese “göttliche Erklärung von Tier- seuchen” (Fleming) hat zu historischen Aufzeichnungen ge-führt, die meist das Leid beschrieben, das die Seuchen ver-ursachten, oft nur vage auf die Symptome eingingen und fast immer die Krankheit auf eine zornige Gottheit zurückführten. Moderne Historiker können daher nicht viel mehr tun, als die dürftigen Fakten zu zitieren, die über Bienenverluste existie-ren: von den ersten Anfängen der Imkerei im alten Ägypten bis zum Zeitalter der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Die Aufklä-rung brachte dann das Licht der Wissenschaft in viele Berei-che – darunter auch in die dunklen Annalen der Tierpathologie. Ein echter Pionier der objektiven Untersuchung von Tierkrank-heiten war der italienische Arzt und Philosoph Bernadino Ramazzini (1633-1714). Er legte die Grundlagen für akkurate Beobachtungen in diesem Bereich der Veterinärmedizin.

Einziges Süßungsmittel des Menschen

Über viele Jahrtausende war Honig „das einzige Süßungs-mittel der frühen Zivilisationen Afrikas, Europas und des Nahen Ostens“ (vanEngelsdorp et al., 2009). Im alten Ägypten wurden deshalb bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. Bienen zu diesem Zweck domestiziert. Im 7. Jahrhundert v. Chr. bewirtschafteten auch die alten Griechen eigene Bie-nenvölker und reichten ihre imkerlichen Fähigkeiten etwa 150 v. Chr. an die Römer weiter. Das Imkerhandwerk verbreitete sich dann im ganzen Römischen Reich, und im frühen Mittelal-ter war Bienenhaltung in Europa eine gängige Praxis. Als dann Nachfahren der mittelalterlichen Imker aus Europa auswan-derten, nahmen sie ihre Bienen mit und brachten die Kunst der Bienenhaltung in die ganze Welt. Bis zur Entwicklung der Technologie zur Rüben- und Rohrzuckergewinnung war Honig das einzige Süßungsmittel in Europa und damit ein wirt-schaftlich wichtiges Nahrungsmittel – und er ist es auch heute noch, wenn auch aus anderen Gründen.

Der mit Abstand wichtigste Beitrag der Honigbiene zur heuti-gen Weltwirtschaft ist die Bestäubung von Pflanzen. Studien haben gezeigt, dass 52 der 115 weltweit wichtigsten Ernäh-rungsrohstoffe auf die Bestäubung durch Bienen und ande-re Insekten angewiesen sind. Damit ist 35 Prozent unserer Ernährung direkt oder indirekt von dieser Bestäubungs- leistung abhängig (Klein et al., 2007).

5.000 Jahre

Seit fast 5.000 Jahren leisten Honig- bienen einen wichtigen Beitrag zu unserem Wohlbefinden, und das erklärt wohl auch, warum es so viele historische Aufzeichnungen über Bienenverluste gibt.

Prähistorisches Bienensterben

Das erste Massensterben von Bienen von dem wir wissen ereignete sich in prähistorischer Zeit. Vor rund 65 Millionen Jahren, in der Übergangsphase von der Kreide zur Tertiär-zeit (auch KT-Grenze genannt), verschwand der Bienentyp der Xylocopinae. Mithilfe molekular-evolutionärer Analysen konnte kürzlich ein Biologenteam von der Universität New Hampshire nachweisen, dass bei diesem Massensterben sowohl die nicht-vogelartigen Dinosaurier als auch zahlreiche Blühpflanzen verschwanden. Sandra Rehan et al. berichteten im Oktober 2013 über diese Forschungsergebnisse im

Bienensterben im Mittelalter

Flemings früheste Erwähnung eines Bienensterbens im mit-telalterlichen Europa bezieht sich auf Irland im Jahre 950 n. Chr. Die Annalen von Ulster verzeichneten damals „eine Bienenmortalität“. Leider enthält der Eintrag keine Informa-tionen über die näheren Umstände. Fleming zitiert einen wei-teren, aufschlussreicheren Eintrag in den Annalen von Ulster, diesmal aus dem Jahre 992 n. Chr.. Es ist die Rede von einer „hohen Sterberate von Mensch, Vieh und Bienen in Irland“. Vorausgegangen war ein „langer und strenger Winter, und ein extrem trockener Sommer, gefolgt von einer Hungersnot. Der Weizen war vom Mehltau befallen […] und die Qualität des Grünfutters war allgemein schlecht”. Solche Wetterbe- dingungen hatten zwangsläufig auch eine negative Auswirkung auf Blühpflanzen. Fleming führt weiterhin aus: „Bienen in Irland waren damals meist domestiziert und stellten eine große Quelle des Wohlstands für die Menschen dar“.

1035 berichtet die Oefele-Chronik, dass ein sehr harter Winter und ein extrem trockener Sommer zu „beispiellosen Tierverlusten“ geführt habe und dass dies, „bei gleichzeiti-ger Vernichtung von Bienen ganz Bayern betroffen hat“. In England war das Wetter im Juni jenes Jahres so kalt, dass die Getreide- und Obsternte komplett vernichtet wurde.

Die Verbindung zum Klima liegt auch 1124 klar auf der Hand. Damals berichteten die Annalen von Ulster von einer Sonnen-finsternis am 3. August, „gefolgt von einer großen Seuche un-ter Ochsen, Schafen, Schweinen und Bienen. Selbst die Ernte fiel aus.“ Eine faszinierend detaillierte Chronik von Tierkrank-heiten gibt es aus dem 14. Jahrhundert. Das Grundbesitzreg-ister eines Landgutes im englischen Norfolk umfasst 63 Jahre zur Zeit der Regentschaft von Edward III., Richard II. und Heinrich IV. Mehrere Male wird dort von einer Tierpest gespro-chen, die Bienen heimsucht. 1380 zum Beispiel wurde der Verlust von 10 Bienenstöcken verzeichnet, und in den näch-sten 20 Jahren wurden fast jedes Jahr weitere Verluste im Bienenhaus notiert. Ein wenig später, im Jahr 1443, bericht-en die Annalen von Irland erneut über eine wetterabhängige Bienenmortalität: Es war ein „ein regnerisches und stür-misches Jahr nach dem Mai, so dass […] viele Bienen und Schafe in Mitleidenschaft gezogen wurden“.

Selbst diese unwissenschaftlichen historischen Aufzeichnun-gen aus dem Europa des Mittelalters zeigen auf eine klare Kausalität: bei schlechtem Wetter bringen die Blüten weniger Nektar hervor, was sich wiederum negativ auf die Produktivi-tät der Bienenkolonien auswirkte. Genau diese Beobachtung wird von der modernen Forschung bestätigt. vanEngelsdorp et al. berichten in ihrer 2009 veröffentlichten Studie über Fak-toren, die bewirtschaftete Honigbienenpopulation beeinträch-tigen, und kommen zu dem Schluss, dass

„Wetterbedingungen eine sehr reale Auswirkung auf das Wohlergehen einer Kolonie haben. Länger anhal-tende Perioden mit Kälte, Hitze oder Regen wurden in der Vergangenheit für plötzliches, oft unerklärliches Bienensterben verantwortlich gemacht.“

Wissenschaftsmagazin PloS One. Im Verlauf der mitt- leren und späten Kreidezeit hatten die Bienen eine co- evolutionäre Beziehung mit den Eudicotylen entwickelt, einer große Unterabteilung der Pflanzengruppe der Dicotylen, zu der die meisten Kulturpflanzen und viele Bäume gehören. Als Ursache für das Massensterben an der K-T-Grenze vermutet man einen verheerenden globalen Klimawandel, ausgelöst vermutlich durch den Einschlag eines riesigen Kometen oder Asteroiden. Interessanterweise korrelieren auch die meisten mittelalterlichen Fälle von Bienensterben, über die Fleming berichtet, mit widrigen Wetterbedingungen, wenn auch natürlich in deutlich kleinerem Umfang.

Bienenhaus-Hütten, Irland Antike Bienenstöcke aus Puertomingalvo, Spanien

4

BEEINFOrmed N° 1_2014

5

BIENENVERLUSTE UND IHRE AKTUELLE RELEVANZ

Ländern in den letzten Jahren verzeichnet wurden […]. Moderne Schädlingsbekämpfungsmittel mit niedriger akuter Toxizität mögen subletale Auswir- kungen haben, die aber schwerer zu quantifizieren sind. Eine Anzahl weiterer Faktoren haben messbare Auswirkungen auf bewirtschaftete Honigbienenpo-pulationen. Dazu gehören der Rückgang der Tracht-flächen, der Klimawandel, die geringer werdende genetische Vielfalt, der Gesundheitsstatus der Bienenkönigin sowie sozioökonomische Faktoren.“

Diese anerkannten Wissenschaftler sehen die Bienensterb-lichkeit ganz klar als Resultat mehrerer Ursachen.

Der aktuelle Dürremonitor in den USA meldet, dass in diesem Jahr 80 Prozent des Bundesstaates Kalifornien schon im drit-ten Jahr „extremer“ oder „außergewöhnlicher“ Dürre ausge-setzt ist. Diese Wetterbedingen haben laut US-Agrarministeri-um dazu geführt, dass die kalifornische Honigernte drastisch zurückgegangen ist: „von 27,5 Millionen Pfund in 2010 auf 10,9 Millionen Pfund im vergangenen Jahr“.

Rätselhafte Seuchen

Viele Bienenseuchen, die in der jüngeren Vergangenheit de-tailliert dokumentiert wurden, sind nach wie vor ein Rätsel. 1903 wurde im Cache Valley im US-Bundesstaat Utah der Verlust von 2.000 Kolonien verzeichnet. Die Ursache dieser „Schwundkrankheit“ blieb ungeklärt. Allerdings ist bezeich-nend, dass die vorangegangenen Winter hart und die Früh-linge kalt waren. 1995/96 verloren Imker in Pennsylvania 53 Prozent ihrer Kolonien ohne identifizierbare Ursache. Eine der berüchtigtsten Epidemien ereignete sich auf der Isle of Wight, einer kleinen Insel vor der Südküste Englands. Dort vernichteten drei Epidemien zwischen 1905 und 1919 insge-samt 90 Prozent der Bienenpopulation. Imker notierten damals den Tod „vieler ihrer Honigbienenkolonien, wobei zahlreiche Bienen aus dem Bienenstock krabbelten und nicht fliegen

Bernardino Ramazzini, 1633 bis 1714, Arzt und Physiologe

“Diejenigen, die es versäumen, aus der Geschichte zu lernen, sind dazu verdammt, sie zu wiederholen.“ Dieses Zitat wird Winston Churchill zuge- schrieben, und es zeigt uns, warum es sinnvoll ist, alle Faktoren zu untersuchen, die zu Bienenverlusten beitragen. Und schließlich hatte ja schon Fleming erkannt: „Je besser wir die Vergangenheit kennen, desto eher sind wir in der Lage, die

Gegenwart zu bewältigen und Vorkehrungen für die Zukunft zu treffen.“

Wissenschaftliche Beobachtungen

Die Bienenmortalität in der Lombardei, die Bernadino Ramazzini 1690 so akkurat aufgezeichnet hat, lässt sich ganz klar auf die schlechten Bedingungen bei der Futtersuche zu-rückführen: „Starken Regenfällen, die fast ununterbrochen bis Ende Juni anhielten, folgte eine fast zweimonatige Trocken-periode […] begleitet von großer Hitze.“ Im Anschluss an die Protokollierung der Folgen dieser Wetterextreme für Tiere aller Spezies, die „in großer Anzahl starben“, berichtet Ramazzini, dass auch „andere Tiere durch die kranken Pflanzen in Mit-leidenschaft gezogen wurden. Selbst Bienen, die keine Süße aus den Blütenkelchen gewinnen konnten, sondern bitteres Gift, starben entweder oder verließen das Land.“ In Schlesi-en wurde 1717, ein Jahr, das Fleming allgemein als kalt und mit einem kalten und feuchten Frühling beschreibt, „eine hohe Mortalität unter Bienen und Karpfen“ verzeichnet. 1780 gab es Vulkanausbrüche des Ätna und Vesuv, und in Sachsen wur-de eine Krankheit oder “Fäule” verzeichnet, die von 1780 bis 1783 die Bieneneier befiel. Von 1796 bis 1803 wurden die Bie-nen in Sachsen erneut von dieser hochdestruktiven Eierfäule heimgesucht.

„Die Krankheit trat 1796 auf, nachdem die Bienen stark unter einem harten, langen Winter und einem ungewöhnlich kalten, nahrungsarmen Frühling ge- litten hatten. Sie setzt sich fort im Verlauf ähnlicher Frühlingsperioden, in denen das unbeständige Wetter und starke Stürme die Weinreben beschädigten.“

(Die Faulbrut oder Bienenpest, Dresden, 1804).

Die Bienenlarven litten offenkundig an der Europäischen Faul- brut (EFB), einer Krankheit, die durch das grampositive Bakterium Melissococcus plutonius verursacht wird. Flemings großartiges Werk endet im frühen 19. Jahrhundert. Zu diesem Zeitpunkt waren die historischen Aufzeichnun-gen über Bienenverluste weit ausführlicher und informativer geworden.

Bienenverluste in Amerika

Der erste beurkundete Bienenimport nach Amerika kam im Jahr 1621 aus England. Bis 1650 hielten den Berichten zu-folge fast alle Farmen in New England ein oder zwei Bienen- kolonien. Nach 1670 nehmen dann die Belege über von ameri-kanischen Siedlern bewirtschaftete Bienenvölker ab. In seiner „Geschichte der Bienenhaltung in Amerika“ (1938) geht F.C. Pellett davon aus, dass dies auf die Amerikanische Faulbrut (AFB) zurückzuführen sei. Diese bakterielle Bienenbrut-Krank-heit wird durch das grampositive Bakterium Paenibacillus larvae verursacht. Wie H. A. Surface 1916 in einer Studie zeigt, waren AFB und EFB gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in vielen Teilen des Landes zu einer „wahren Geißel“ geworden.

Die Bienenverluste im Amerika des 20. Jahrhunderts sind von besonderem Interesse für die historische Pathologie, weil die sogenannte „Colony Collapse Disorder“ (CCD) erstmals 2006 in den USA auftauchte. vanEngelsdorp et al. führen dazu aus, dass „Krankheitsfaktoren wie AFB und EFB beim Rückgang der Bienenpopulation in den USA vor über einem Jahrhun-dert vermutlich eine wichtige Rolle gespielt haben. Allerdings dürfte ihr Anteil an den aktuellen Rückgängen minimal sein.“ In ihrer Studie von 2009 schlussfolgern die Autoren dass

„Varroa-Milben, zusammen mit dem Viruskomplex, der mit der parasitären Milbe einhergeht, wahrschein-lich eine der Hauptursachen der erheblichen Über-winterungsverluste sind, die in vielen nördlichen

Entwicklungsstadien der Honigbiene:

Eier, Larve, Puppe

konnten“ (Neumann und Carreck, 2010). Die Imker gingen davon aus, dass diese Symptome von einer neuen und hoch-infektiösen Krankheit verursacht wurden, insbesondere da es Berichte gab, dass die „Isle of Wight Krankheit“ Bienen in ganz Britannien befallen habe.

Die “Isle of Wight Disease” und CCD

Viele Jahrzehnte später hat eine detaillierte Untersuchung dieser Epidemie (Bailey und Ball, 1991; Adam, 1968) zu der Erkenntnis geführt, dass die Krankheit durch ein Zusammen-treffen mehrerer Faktoren ausgelöst wurde: „insbesondere die chronische Bienenlähmung (eine damals vollkommen unbe-kannte Infektion) in Kombination mit schlechtem Wetter, das die Futtersuche behinderte, sowie ein Nahrungsangebot, das für die Anzahl der bewirtschafteten Kolonien nicht ausreichte.“ Neumann und Carreck führen aus, dass “die aktuelle Sorge hinsichtlich CCD sehr viel Ähnlichkeit mit der historischen ´Isle of Wight´-Krankheitsepisode aufweist und man viel daraus ler-nen kann.

Die Bedenken über die Kolonieverluste in den USA haben zu weltweiter medialer Aufmerksamkeit geführt. Kolonieverluste in der ganzen Welt werden CCD zugeschrieben, obwohl der Begriff geprägt wurde, um ein spezifisches Krankheitsbild zu de- finieren (vanEngelsdorp et al., 2009) und nicht, um den Kolonieverlust per se zu beschreiben. Viele Ursachen können zum Untergang von Honigbienen-völkern führen und CCD ist nur eine davon.“

Da die Debatte über die Ursachen von CCD und anderen Mor-talitätsfällen von Honigbienen weitergeht, ist es sinnvoll, die historischen Erkenntnisse der Pathologen im Hinterkopf zu behalten und keine vorschnellen Schlüsse zu ziehen.

6

BEEINFOrmed N° 1_2014

7

BIENENVERLUSTE UND IHRE AKTUELLE RELEVANZ

Tests von Pflanzenschutzmitteln

Bereits 1917 hatte Bayer eine unabhängige Abteilung für Pflan-zenschutz und Schädlingskontrolle eingerichtet. Im selben Jahr erwarb das Unternehmen das nahe der Unternehmens- zentrale in Leverkusen gelegene Gut Paulinenhof, denn man brauchte Gewächshäuser und Felder für die Versuche mit den neuen Pflanzenschutzprodukten. 1940 erwarb Bayer einen weiteren Betrieb nahe Leverkusen – Gut Höfchen – und errich-tete dort auf rund 180 Hektar die weltweit erste Versuchssta-tion, die ausschließlich der Prüfung von Pflanzenschutzmitteln diente. Das Bienenhaus, das dort eigens für die Bienenversu-che eingerichtet wurde, zeigt, dass sich Bayer bereits seit lan-gem für die Bienensicherheit seiner Pflanzenschutzprodukte engagiert.

Bayer hat seine Pflanzenschutzmittel aber nicht nur in Deutschland umfassend getestet. 1931 wurde eine wei-tere Versuchsstation in Japan gegründet. 1962 erwarb Bayer außerdem für weitere Tests einen Betrieb nahe Mon-heim, rheinabwärts nahe Leverkusen gelegen. 1964 wurde eine zusätzliche Bayer-Teststation in Kaha nahe Kairo eingerichtet. Von den 3 Mrd. Euro, die Bayer jährlich in die Forschung und Entwicklung investiert, gehen signifikante Summen in die Überprüfung der Pflanzenschutzprodukte, um unter anderem die Nützlingssicherheit zu gewährleisten.

Die Bekämpfung der Varroa-Milbe

Die meisten Wissenschaftler sind heute der Ansicht, dass die Honigbienenmilbe Varroa destructor die größte Bedrohung der Imkerei darstellt. Die Varroa-Milbe ist ein relativ neuer Parasit für die Westliche Honigbiene. Er kam in den 1970er Jahren von Asien nach Europa und dann in den 1980ern nach Nordamerika. Seitdem hat er sich in relativ kurzer Zeit weltweit verbreitet, mit Ausnahme von Australien. Varroose, die von der Varroa verursachte Krankheit, befällt sowohl die erwachsenen Bienen als auch ihre Brut.

Zusätzlich beeinträchtigt der Parasit die Bienengesundheit durch die Übertragung von bis zu zwanzig Viren, die bei den Bienen unter anderem schwerwiegende Deformationen zur Folge haben können, wie beispiels-weise fehlende Beine oder Flügel. Unbehandelter Varroa-Befall kann zum Sterben von Bienenvölkern führen. Angesichts dieser potentiell verheeren-den Auswirkungen des Parasiten beschloss Bayer, wirksame Arzneimittel zur Behandlung befallener Honigbienenkolonien zu entwickeln. Das erste Produkt, das daraufhin auf den Markt kam, war Perizin®. Es wurde 1986 als erstes orales Präparat für die Behandlung von Bienenstöcken ohne Brut zugelassen. Es folgte die Zulassung von Bayvarol® (1991) und Check-Mite+® (2001). Beide Produkte basieren auf Wirkstoffstreifen, die heute in Bienenvölkern während der Brutzeit eingesetzt werden. Die unterschied- lichen Wirkstoffe – Coumaphos (Perizin® und CheckMite+®) und Flumethrin (Bayvarol®) – und die verschiedenen Formulierungen ermöglichen es, die Behandlung in ein breites Spektrum von Bekämpfungsprogrammen zu integrieren.

Bei korrekter Anwendung können diese Behandlungen den Varroa- Milbenbefall in Honigbienenvölkern wirksam bekämpfen. Aktuell ar-beitet Bayer an der Entwicklung weiterer innovativer Lösungen für das Varroa-Problem. Ein Beispiel ist das Varroa-Gate, ein innovatives Tier-arzneimittel, um den Erstbefall und die Reinfektion von gesunden Völkern zu verhindern.

Bayer Bee Care Programm

Seit fast 30 Jahren engagieren sich die Forschungs- und Entwicklungsteams bei Bayer mit spezifischen Produkten für die Bienenge-sundheit. 2011 traf Bayer außerdem die strate-gische Entscheidung, ein Bee Care Programm aufzulegen. Im Rahmen dieses Engagements sind inzwischen zwei Bee Care Center gegründet worden, eins davon 2012 in Deutschland. Das an-dere ist für Nordamerika zuständig und wurde im April 2014 eröffnet. In diesem Rahmen hat Bayer auch die Kooperation mit externen Partnern inten-siviert. Gemeinsam will man neue Lösungen für die Bienengesundheit entwickeln und den Stakehold-ern mit Informationen und Support zur Seite stehen. Bayer ist davon überzeugt, dass diese Koopera-tionen entscheidend sind, um nachhaltige Lösun-gen für die Verbesserung der Bienengesundheit zu entwickeln.

Wetterbedingungen entscheidend für geringere Verluste im Winter 2013/14Im Juli 2014 hat das unabhängige Wissenschaftlernetzwerk zum Schutz von Honigbienen, COLOSS, die vorläufigen Er-gebnisse einer internationalen Studie über die Verluste von Bienenvölkern im Winter 2013/14 veröffentlicht. Die Daten wurden in Israel, Algerien und 19 europäischen Ländern erho-ben. Durch die Vielzahl der teilnehmenden Länder und Imker ist die Studie als statistisch signifikant einzustufen. Insgesamt hatten 17.135 Imker mit über 376.754 Völkern COLOSS ihre Daten zu Überwinterungsverlusten übermittelt. Sie reich- ten von 6 Prozent in Norwegen bis 14 Prozent in Portugal und zeigten innerhalb der meisten Länder markante regionale Un-terschiede. Die durchschnittlichen Überwinterungsverluste in allen 21 Ländern betrug 9 Prozent – das ist die niedrigste Ver-lustrate seit Beginn der Datenerfassung durch die internatio-nale Arbeitsgruppe im Jahr 2007.

Zum Vergleich: Im selben Zeitraum betrugen die durchschnitt-lichen Überwinterungsverluste in England und Wales 7,85 Prozent, während in den USA die Verlustzahlen im Winter 2013/14 gegenüber dem Vorjahr um 24 Prozent sanken. Auch die meisten kanadischen Provinzen hatten signifikant nied-rigere Verluste als 2013. Die Koordinatorin der COLOSS-Ar-beitsgruppe „Monitoring und Diagnostik“, Dr. Renée van der Zee aus dem niederländischen Zentrum für Bienenforschung, kommentiert die Studienergebnisse so: „Die Bedeutung vieler Einflussfaktoren in Verbindung mit Kolonieverlusten scheint stark von den Wetterbedingungen abhängig zu sein. Wegen des relativ kalten Frühlings haben die Kolonien ihre Brutnester 2013 recht spät entwickelt. Das mag die Zahl der reprodukti-ven Zyklen der parasitären Varroa-Milbe verringert haben, so dass weniger Milben produziert wurden. Das gute Wetter im Sommer bot dann ausgezeichnete Bedingungen für die Nah-rungssuche.“

Einmal mehr hatten die Wetterbedingungen einen ent- scheidenden Einfluss auf den Grad der Bienen- sterblichkeit.

Varroa-Gate schützt Honigbienen

Beim Einflug in den Stock streift die

Biene den Antimilben-Wirkstoff vom

Rand ab und nimmt ihn mit nach

innen. Aus dem Kunststoffstreifen

strömt sofort neue Substanz an die

Oberfläche nach und bietet so einen

Langzeitschutz.

8

BEEINFOrmed N° 1_2014

Autor Dr. Julian Little, Bayer Bee Care Team

FOTOSBayer CropScience: Seiten 2 rechts, 7 unten Fotolia: 3Shutterstock: Seiten 1 unten, 6, 7, 8 Royal College of Veterinary Surgeons: Seite 1 untenWandzeichnung aus dem Grab von Pa-bu-Sa, 630 v. Chr: Seite 2 linksGeneva_ Cramer & Perachon, 1717: Seite 4 oben

www.twitter.com/bayerbeecarewww.facebook.com/bayerbeecarecenterwww.youtube.com/user/bayerbeecarecenter

Impressum

HERAUSGEBER _ SEPTEMBER 2014Bayer Bee Care CenterAlfred-Nobel-Straße 5040789 Monheim am Rhein | Deutschland [email protected]

GESTALTUNGageko . agentur für gestaltete kommunikation DRUCKHH Print Management Deutschland GmbH

ILLUSTRATIONENBayer CropScience: Seiten 2, 4 unten, 6 untenShutterstock: Seiten 3 unten, 6 unten, 7 oben

Quellen, auf die der Text Bezug nimmt:

Adam B (1968): “"Isle of Wight" or acarine disease: its historical and practical perspectives”. Bee World, vol. 49Bailey L, Ball BV (1991): “Honey bee pathology”. Academic Press, London, UKvanEngelsdorp D, Meixner MD (2009): “A historical review of managed honey bee populations in Europe and the United States, and the factors that may affect them”. Journal of Invertebrate Pathology Fleming G (1871): “Animal Plagues: Their History, Natury and Prevention” Hecker JFC (1828): “Annalen der gesammten Heilkunde” Klein AM, Vaissière BE, Cane J, Steffan-Dewenter I, Cunningham SA, Kremen C, Tscharntke T (2007): “Importance of pollinators in changing landscapes for world crops“ . The Proceedings of the Royal Society of LondonNeumann P, Carreck NL (2010): “Honey bee colony losses” (2010). Journal of Apicultural Researchhttp://www.researchgate.net/journal/0021-8839_Journal_of_Apicultural_Research Rehan S, Leys R, Schwarz MP (2013): “First Evidence for a Massive Extinction Event Affecting Bees Close to the K-T Boundary”. PLoS ONE

Julian ist Communications & Government Affairs Manager bei Bayer CropScience UK. Er hält einen Doktortitel in molekularer Pflanzenpathologie von der Universität von Wales. Ansässig in Cambridge ist er Ansprechpartner für Medien, Politiker und die breite Öffentlichkeit zu Themen wie dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und nachhaltiger Landwirtschaft.