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 Eine magische Sommernacht

Eine magische Sommernacht von Maite Carranza

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Marina kann ihr Glück kaum fassen: Sie, die sonst immer im Schatten ihrer hübschen Schwester Angela steht, darf diesen Sommer nach Dublin fliegen — und wird dort endlich Angelas attraktiven Freund kennen lernen, den sie bisher nur von einem Foto her kennt. Doch mit der Reise ist ein gefährlicher Auftrag verbunden...

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Eine magische Sommernacht

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 MaitE Carranza

EinE 

magische SoMMErnaCht

roman

Deutsch von hanna Grzimek

BloomsburyKinderbücher & Jugendbücher

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ErStEr tEil

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Lilianlilian, die kleine  lila Fee, wippte auf  ihrem Weidenblatt nervös hin und her. nicht größer als der nagel eines klei­nen Fingers und mit ihrer zarten haut, den samtweichen Flügeln und dem schimmernden haar war  sie eine hüb­sche irische Fee, wie dafür geschaffen, von Blüte zu Blüte zu flattern und fröhlich durch die langen Sommernächte der dichten Wälder von Wicklow zu tanzen, dort, wo der Fluss Slaney entspringt, unweit des Berges tallaght.

Doch lilian war anders als die anderen Feen, nicht so frivol und falsch wie die meisten. Wenn zaghaft die Som­mersonne  zwischen  den  alten  moosbedeckten  Ulmen hindurchzuschimmern begann, überkam lilian eine  tiefe trauer und Sehnsucht nach der Dunkelheit. Sie war die einzige  Waldbewohnerin,  die  nicht  freudig  der  warmen Jahreszeit entgegensah, in der die Daoine Sidhe, die magi­schen Wesen unter den hügeln, ihre nächtlichen Feste und Feenreigen veranstalteten. Bis nach wenigen Wochen die Kälte zurückkehrte und die schönen Erinnerungen unter reif und Moder begrub.

an  diesem  nachmittag  empfand  lilian  den  intensi­ven  Jasminduft  und  die  Wärme  als  besonders  drückend. Doch sie durfte nicht dem Sommer die Schuld geben. in Wahrheit fürchtete sich die Fee vor dem näherrückenden treffen  mit  König  Finvana,  dem  herrscher  der  Daoine Sidhe.

Manche iren vermuteten das legendäre reich der  tuatha De  Danann  vor  den  vernebelten  Küsten  von  Pembroke­

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shire, auf einem kleinen Eiland, das den Seeleuten als die Gespensterinsel hy Breasail bekannt war; doch die meis­ten wussten, dass sich die tuatha De Danann vor langer, langer zeit nach ihrer niederlage gegen die Milesier unter die  Erde  zurückgezogen  hatten  und  mit  ihrem  geheim­nisumwobenen  hofstaat  im  hohlen  innern  der  irischen hügellandschaft hausten.

Von ihrer Schlossburg auf Knockmaa aus gaben König Finvana und Königin oonagh, die alten Götter der tua­tha De Danann, noch immer ihre höfischen Feste, erließen willkürlich Gesetze und regierten über sämtliche Feenwe­sen der irischen Wälder.

Ein Sonnenstrahl lugte durch die zweige der alten Eiche hindurch,  kletterte  lilians  zierliche  Füße  hinauf,  kitzel­te sie am ohr und flüsterte ihr zu: »König Finvana und sein treuer Kammerherr Diancecht sind mit ihren Pferden nur noch eine halbe Meile  entfernt.« lilian dankte  ihm, benetzte sich das Gesicht mit raureif, um munter zu wer­den, und kniff sich in die bleichen Wangen. Finvana soll­te ihr nicht anmerken, wie geschwächt sie war, sie musste unbeschwert wirken, sorglos und fröhlich.

lilian, die zeitreisende, besaß die Fähigkeit, die tren­nungslinie  zwischen Menschen und Feen zu überschrei­ten,  und  war  seit  vielen  Jahren  in  beiden  Welten  unter­wegs.  Doch  nun,  so  bemitleidete  sie  sich,  war  sie  ihrer Mittlerrolle zum opfer gefallen. obwohl sie als Einzige die Fähigkeit besaß, die Verbindung zwischen traum und realität  herzustellen  und  den  Geist  der  Feen  zu  bewah­ren – oder gerade deshalb –, befand sie sich jetzt in einer schrecklichen zwickmühle. aus beiden Welten kamen ihr nichts als Klagen zu ohren.

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»Da kommen sie! Sie sind da!«, rief das Eichhörnchen von seinem Wipfel herab.

lilian beeilte  sich, die Szenerie hier und da noch ein wenig zu verbessern. Um den Monarchen möglichst mil­de zu stimmen, ermunterte sie den Distelfink, ein lied zu singen.  als  sein  zwitschern  die  Schläfrigkeit  des  nach­mittags verscheucht hatte, bat  sie den Sonnenstrahl, das halbdunkel zu lichten, und die Glockenblumen und Stief­mütterchen, ihre Knospen zu öffnen und die Wiesen far­big zu schmücken. im handumdrehen hatte die Fee ein kleines idyll geschaffen. Energisch schlug sie nun mit den  Flügeln und wuchs und wuchs, bis  sie Menschengestalt angenommen hatte. Dabei verteilte sie einen zarten Gold­staub,  der  den  Wind  besänftigte  und  Wohlbehagen  ver­breitete – genau zur rechten zeit, um ihre Gäste zu emp­fangen, zwei Götter, blond und stattlich wie alle tuatha De Danann.

Finvana und Diancecht brachten ihre Pferde zum Ste­hen und stiegen fast gleichzeitig aus dem Sattel. Doch wäh­rend Diancecht auf beiden Beinen zu stehen kam, rutschte Finvana ab und stürzte geräuschvoll zu Boden. Ein peinli­cher Sturz für jeden reiter, der etwas auf sich hält, beson­ders natürlich für einen König. zwar konnte sich lilian das lachen noch verkneifen, doch nicht so ein Pixie, der in unverschämtes Gelächter ausbrach und mit seinen unfläti­gen Versen die Stimmung ruinierte.

Finvana, der hält sich für ’n fliegenden Gott Schwingt hurtig sich von seinem RossUnd landet im DreckDieser fette Koloss!

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»hahaha …«, ertönte sein widerliches Gelächter.Finvana erblasste, lilian zitterte von Kopf bis Fuß und 

Diancecht zog sein Schwert aus der Scheide.»Wer wagt es, König Finvana zu verspotten?«, wetter­

te der Kammerherr und durchforstete mit jagdgeschultem Blick das dichte Gestrüpp.

»Ein getreuer Untertan der Königin oonagh«, erwider­te die spöttische Stimme.

lilian beklagte ihr Pech. Die bloße Erwähnung der ge­hässigen Königin brachte ihren Gatten zur Weißglut. Wie wütend musste ihn da erst der Gedanke machen, oonagh könnte von seinem peinlichen Sturz erfahren. ihre Possen­reißer würden die Sache auf dem bevorstehenden Ernte­fest vor allen leuten zum Besten geben.

»Komm raus, du Feigling, zeig dich!«, brüllte Diancecht in Verteidigung der beschmutzten Ehre seines Monarchen.

lilian eilte Finvana zu hilfe und reichte ihm die hand. »Ärgert Euch nicht, Majestät. Das ist nur so ein dreister Pixie, der das ganz schnell wieder vergisst.«

Diancecht  seinerseits  half,  den  Dreck  von  der  könig­lichen  nase  zu  wischen.  »Ein  vergesslicher  Feigling, Majestät. Ein dummer Pixie.«

Doch Finvanas Blick verfinsterte sich, als der dumme Pixie laut und deutlich erklärte: »Die augen des Waldes haben es gesehen, die ohren des Wassers haben es gehört, und wir schwatzhaften Pixies werden dafür sorgen, dass es niemand vergisst. Es lebe der fette fliegende König!«

an seinem wunden Punkt getroffen, versuchte Finva­na, die Wölbung seines leibes zu verbergen, und hielt die luft an. Das fortgeschrittene alter und die vielen Bankette rächten sich – und das in einem Königreich, in dem häss­lichkeit unverzeihlich war.

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»Verfluchter,  erbärmlicher  Kobold!«,  rief Dianchecht. »ich schwöre dir,  ich schneide dir die zunge ab, schmo­re sie mit giftigen Pilzen und bereite der Königin damit ein Mahl!«

»Eine prächtige idee!«, lachte Finvana zufrieden. »Erin­nere mich beim nächsten Bankett daran.« Dann fügte er in wehleidigem  tonfall  hinzu:  »Und  verbiete  mir,  bis  zur Kavalkade zu essen.«

»Jawohl, Eure Majestät.«»Du hättest mich warnen müssen.«»ich habe nichts außergewöhnliches bemerkt, Majes­

tät.«»ach nein? ich kann nicht mal mehr meine Füße sehen.«»›Dick ist gemütlich‹, heißt es bei den Menschen.«»ich bin weder ein Mensch noch gemütlich!«»Sehr wohl, Majestät. Bis auf Weiteres sei es Euch unter­

sagt, nahrung zu Euch zu nehmen.«»Bis mein Bauch verschwunden ist«, beharrte Finvana.»Wie  ihr  wünscht«,  erwiderte  Diancecht,  »doch  ich 

muss  Euch  warnen.  ihr  bekommt  furchtbar  schlechte laune davon.«

»noch schlechtere bekomme ich, wenn sich die Köni­gin über mich lustig macht.«

»allerdings«, bestätigte Diancecht bei dem Gedanken an oonaghs feinen Sarkasmus.

Da lächelte der König mit einem Mal vergnügt. »aber ich  werde  mich  doppelt  und  dreifach  rächen.  Sie  wird toben, wenn sie von meiner neuen Errungenschaft erfährt. Erzähl mir von ihr, lilian.«

lilian biss sich auf die lippen und brachte kein Wort heraus.

»ich höre nichts, lilian. Sie reitet also wie eine amazo­

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ne, spricht etliche Sprachen, musiziert wie ein Engel und ihr haar schimmert wie der Sonnenaufgang?«

»Gewiss, Majestät, obwohl –«»hat sie gute Manieren?«lilian zögerte. »Menschen lernen sehr langsam.«»Du bekommst keinen aufschub mehr, lilian, ich war­

te nicht noch einmal sieben Jahre.«»obwohl sie in sieben Jahren viel besser –«, stammel­

te die Fee.Doch  der  König  schnitt  ihr  das  Wort  ab.  »zwischen 

einer blühenden und einer welken Schönheit ist kein Ver­gleich. Die Menschen verlieren sehr schnell an Pracht.«

»ihr  irrt,  Majestät,  die  Mädchen  der  Menschen  sind kleine  irrwische und unberechenbar, die  jungen Frauen dagegen haben noch dieselbe glatte haut, sind aber viel sanfter«, beharrte lilian nachdrücklich. 

Da  schaltete  sich  Diancecht  ein:  »Willst  du  damit andeuten, dass du dein Wort nicht halten kannst?«

»in keiner Weise.«»Versuchst du nicht gerade, um aufschub zu bitten?«»Vielleicht –«»abgelehnt.«»aber ich will doch nur, dass alles glatt läuft –«»Deshalb sind wir hier, um uns zu vergewissern, dass 

alles glatt läuft. Wird es glatt laufen? antworte!«, dräng­te sie Diancecht.

lilian nickte verzweifelt. »Selbstverständlich.«Diancecht, die Stimme seines herrn, des Königs, schob 

sich eitel den Pony zurecht und näherte sich mit seinem zuckersüßen Blick der lila Fee. »liebe lilian, du wirst dei­nen auftrag in der kommenden Woche endgültig ausfüh­ren. nichts darf dem zufall überlassen werden. alles muss 

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nach Plan verlaufen. Wir haben dich vor drei Jahren damit betraut, Finvanas Wunsch zu erfüllen, weil wir dich  für absolut zuverlässig hielten. Solltest du jedoch dein Wort brechen, dann …« Er räusperte sich.

»ich halte mein Wort, seid ganz unbesorgt.«»andernfalls … Du weißt ja.«lilian senkte den Blick. »ich habe verstanden.«»ausgezeichnet.« Finvana klatschte in die hände. »ich 

brenne  darauf,  oonagh  mit  einer  Milesierin  zu  demüti­gen. Eine solche Schmach wird sie nur schwer ertragen.«

»Sprecht leise, mein herr«, versuchte Diancecht ihn zu zügeln, »sie darf davon nichts erfahren!«

Doch Finvana wollte, dass man ihn hörte. »Doch. Be­stimmt erzählen oonaghs Spione ihr in genau diesem au­genblick von meinen Plänen, und sie tobt bereits vor Wut.«

lilian erbebte. »Das bedeutet, dass sie möglicherweise versuchen wird, es zu verhindern!«

Finvana zuckte die Schultern. »Vielleicht.«»Majestät,  damit  machen  wir  es  lilian  sehr  schwer«, 

kam Diancecht der Fee zu hilfe.»Vielleicht.«Diancecht  warf  ihr  einen  entschuldigenden  Blick  zu. 

Der Egoismus des Königs war grenzenlos.»Kennt ihr die größte Qual aller Qualen?«, fragte Fin­

vana und genoss die antwort schon im Voraus.Beide wussten, dass sie ahnungslos tun mussten, damit 

Finvana sich selbst antworten konnte. Was er auch feier­lich  tat:  »Seine  bevorstehende  Qual  zu  kennen  und  sie nicht verhindern zu können. Dieses leid füge ich oonagh alle sieben Jahre zu, das ist meine rache!«

Da  erklangen  die  spöttischen  Stimmen  der  Pixies  im Chor:

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König Finvana geckenhafter als ein GeckFliegt vom GaulFällt aufs Maul undLandet im Dreck!

Diancecht wollte den frechen Kobolden etwas erwidern, doch  sein  König  hieß  ihn  zu  schweigen.  als  sie  keine Widerworte hörten, riefen sie: »lang lebe der fette Finva­na, der fliegende König!«

Finvana stieg aufs Pferd und  lächelte lilian zu. »Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Stimmt’s, liebe lilian?« 

lilian nickte demütig.»Diancecht, ab sofort trägst du die Verantwortung für 

meinen Bauch, bis zur Kavalkade muss der weg sein.«lilian schüttelte es. Eine undankbarere aufgabe konn­

te  ein Monarch  seinem Kammerherrn kaum übertragen. Um nichts in der Welt hätte sie in Diancechts haut stecken mögen. obwohl ihre lage, wenn sie es sich recht überleg­te, noch weit aussichtsloser war.

als die beiden reiter nur noch ein dunkler Fleck  in der Ferne waren, nahm die lila Fee wieder ihre ursprüngliche Gestalt an und brach in tränen aus.

»hey,  hey,  beruhige  dich«,  tröstete  sie  eine  freundli­che Stimme.

als lilian aufsah, erkannte sie durch den tränenschlei­er hindurch die schlanke Silhouette der purpurroten Fee. »ach, herrin, ich kann mein Versprechen nicht einhalten!«

Die  purpurrote  Fee  lächelte  ihr  zu.  »Einen  Moment, wir werden doch nicht den gleichen Fehler begehen wie der König, meinst du nicht auch?« Dann hob sie die Stim­me gegen den dichten Wald und rief, nicht ohne Spott: »ihr 

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lieben Pixies, tut mir leid für euch und eure heilige Mis­sion als Spione der Königin!«

Ein simples Fingerschnippen und ein unverständlicher Singsang beförderten die beiden Feen in die Schlucht am See, wo es weit und breit weder neugierige augen noch ohren gab. Dort rief die purpurrote Fee lilian zur Ver­nunft. »hör zu, meine liebe: nichts ist verloren – es ist ja noch gar nichts geschehen.«

lilian war da anderer Meinung. »herrin, ihr wisst sehr gut, was passiert  ist. Es  ist  furchtbar, aber  ich bin nicht fähig, mein Versprechen einzuhalten. Wie hätte  ich dem König denn die Wahrheit sagen sollen? ich kann ihm die Milesierin nicht aushändigen,  ich habe es Euch ja schon erklärt.«

Die purpurrote Fee strich ihr schweigend übers haar.»Vor drei Jahren«, fuhr lilian fort, »als ich mich zu all­

dem verpflichtete, hatte ich keine ahnung, wie schwierig es werden würde.«

»Komm, trockne deine tränen, ich werde dir helfen.«»Wirklich?«»natürlich, ich habe eine großartige idee, wie sich alles 

klären lässt.«»Danke, herrin!«, rief die kleine lilian aus und küss­

te  ihrer Beschützerin die hand. »Dafür werde ich Euch ewig dankbar sein.«

»Willst du nicht wissen, warum ich dir helfe?«»Warum?«Schmeichlerisch schlang die purpurrote Fee die arme 

um sie und wisperte: »Weil du jung und einfältig bist und mir etwas beschaffen kannst, das ich gern hätte.«

»Und was?«»Errätst du es nicht selbst?«

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»nein, herrin, ich habe nicht die leiseste ahnung …«Die  purpurrote  Fee  seufzte  herablassend.  lilian  war 

wirklich noch sehr jung und einfältig.

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Marina Es war schwül. Schwül war gar kein ausdruck. Die luft an diesem Julinachmittag war drückend, lähmend, die reins­te hölle. Das war schon näher dran. Was für ein unerträg­licher, entsetzlicher nachmittag, einfach zum Verzweifeln. zum Verzweifeln, der ausdruck gefiel ihr. Das kam ihren Qualen noch am nächsten. Verzweiflung einer Verzweifel­ten, die nichts mehr zu erwarten hat. auch wenn es heißt: »Die hoffnung stirbt zuletzt« – Marina hatte kein Fünk­chen hoffnung mehr. Die war vor hitze, vor Überdruss und  langeweile  während  dieser  nicht  enden  wollenden täglichen  Mathematikstunden  längst  draufgegangen.  zu allem Übel hieß sie auch noch Marina. Was, außer nach Margarine, höchstens noch nach Meer klang.

Das  Meer.  ironie  des  Schicksals.  Dass  es  überhaupt existierte, sagte ihr nur ein Blick auf die landkarte oder auf ihre Schwester Ángela, die sich tag für tag in das blaue nass werfen durfte und unverschämt braun war. Und die mit dieser unverschämten Bräune den ganzen august lang durch die Straßen von Dublin schlendern würde in Beglei­tung des hübschesten Jungen der Welt, während Marina in dieser nachhilfeschule vor sich hin schmorte.

Warum hatten manche so ein Glück und andere so ein Pech?

Das leben war einfach ungerecht.in  diesem  Sommer  hatte  Marina  das  Meer  nicht  mal 

gerochen.  Da  saß  sie  nun  mit  ihrem  tollen  namen,  der Matheblamage  und  ihrer  unbändigen  lust  auf  Strand, 

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gefangen in Sant Feliu de llobregat, einem kleinen Kaff unweit  von  Barcelona,  nur  dass  es  hier  keine  touristen oder Sommergäste gab und auch sonst nichts los war. im Sommer legte sich ein klebriger Dunst über Straßen und Plätze, der eine Massenflucht hervorrief. Gegen Ende Juli verwandelte sich Sant Feliu in eine Geisterstadt. Bäckerei­en, apotheken und Cafés ließen die rollläden runter und hängten  ihre  Während-der-Ferienzeit-geschlossen­tafeln auf,  und  in  der  trist  gewordenen  Fußgängerzone  fielen gelangweilt die welken Platanenblätter zu Boden. nicht ein Fahrrad, ein Eis, ein lachen, das der Gewissheit wider­sprach, alles leben in Sant Feliu sei ausgelöscht.

Frustriert  starrte  Marina  auf  die  tafel  voller  zahlen. Was hatte sie bei dreiunddreißig Grad im Schatten nur in einem Klassenzimmer verloren? Sie versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten, der Sommer sei nur eine Erfindung, eine große lüge wie der Weihnachtsmann oder der oster­hase. aber nein. Prompt kam so ein kleines Wesen ange­flogen, ein schlagender Beweis des Sommers, der sich da draußen genüsslich breitmachte. Ein Bote, der verkünde­te, dass die Welt voller glücklicher Menschen war, die im Wasser plantschten und Wassermelone aßen. Erst war es nur ein kaum hörbares Sirren, das jedoch sofort in einem vor  sommerlicher  Freude  nur  so  sprühenden  winzigen Schatten Gestalt annahm: eine riesige Mücke. Eine Mücke, die gerade an der Glatze des Mathematiklehrers vorüber­schwirrte, der ohne rücksicht auf die Gefühle seiner Mit­menschen unentwegt Formeln an die tafel kritzelte. Und Marina, einzige Schülerin auf dem gesamten Planeten Erde, sah  die  vage  Möglichkeit  aufblitzen,  eine  Stunde  früher von ihren Qualen erlöst zu sein. Die Mücke müsste nur angreifen. Ein schöner Stich, ein aufschrei, ein hieb, ein 

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»Wir machen morgen weiter!«, eine hektische Flucht aus dem Klassenzimmer. Und wieder ein tag überstanden. Seit sie die hoffnung auf Erlösung verloren hatte, konzentrier­te sich Marina verzweifelt darauf, die tage im Kalender zu zählen, die sie noch durchhalten musste. So schlecht war sie im rechnen gar nicht.

Mit  aller  Kraft  fixierte  sie  die  Mücke  und  flehte  sie inständig an, sich doch auf diese hübsche Glatze zu set­zen und es sich schmecken zu lassen.

»Und ein neuntel mal sechs ergibt …?«Keine antwort. Marina war schließlich nicht Einstein 

und konnte nicht zwei Dinge auf einmal tun. »Weißt du das denn nicht?«»Es  ist  nur …  da  ist …  da  ist  eine  Mücke«,  stammel­

te sie.»Marina, das ist wirklich die dümmste ausrede, die ich 

je gehört habe. Fällt dir keine bessere ein?«Und auf einmal stach diese Verräterin von Mücke Mari­

na in die hand. Erschrocken zuckte sie zusammen. natür­lich – ihr Brot fiel immer auf die Marmeladenseite! ihre Schwester Ángela bekam die blauen augen, die hübschen Jungs, die guten noten und fläzte sich jetzt am Strand, sie dagegen hockte in diesem loch und ließ sich von Mücken stechen. Doch so schnell gab sie nicht auf.

»aua,  aua,  es  tut  so  schrecklich  weh!  Mein  Daumen schwillt richtig an.«

Der Glatzkopf kam ins Schwitzen. Vielleicht, weil es so heiß war, oder aus Verlegenheit, weil er seiner Schü lerin nicht geglaubt hatte. Das geschah ihm nur recht – sollte er sich doch schuldig fühlen und ein bisschen schwitzen!

»Übertreibst du nicht etwas?«natürlich übertrieb sie. nach angestrengten zwei Minu­

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ten gelang es  ihr, zwei dicke tränen ihre Wangen herun­terkullern zu  lassen und herzerweichend zu schluchzen. Der Glatzkopf zögerte, lugte auf die Uhr, räusperte sich und  legte  schließlich  die  schweißnasse  Kreide  zur  Sei­te: »na gut, geh schon … Wir machen dann morgen wei­ter und –«

Bevor er den Satz zu Ende bringen konnte, war Mari­na schon draußen. Doch nicht nur sie. zu ihrer Verblüf­fung war ihr die Mücke gefolgt und surrte um ihren Kopf herum, als wollte sie ihre Mahlzeit fortsetzen. Wie nervig. Marina rannte los, um so schnell wie möglich nach hau­se zu kommen. 

»Marina, Marina!«, hörte sie auf einmal  jemanden lei­se nach ihr rufen.

Sie blieb stehen, sah sich um, konnte aber niemanden entdecken.  Wer  würde  sich  um  diese  zeit  auch  auf  das kochende Straßenpflaster wagen? Die Sterblichen, die sie kannte, waren am Strand oder im Schwimmbad, oder sie lagen auf dem Sofa ihres klimatisierten Wohnzimmers.

»Marina.«Kein zweifel. Da war ein Surren, eine Stimme, die aus 

einer  anderen  Dimension  zu  kommen  schien,  vielleicht aus der der träume. Ein Schauer lief ihr über den rücken. War das womöglich Patricks Stimme – Patrick, von dem sie jede nacht träumte? Dieser ire mit dem gefühlvollen Blick und dem strahlenden lächeln, an den sie unentwegt denken musste?

»Marina.«Die  Stimme  war  leicht  wie  der  Wind,  flötenähnlich, 

eher weiblich. Erneut blieb Marina  stehen und  sah  sich um. Vergeblich. Sie war vollkommen allein auf der Straße. nicht ein auto, nicht ein Passant, nicht einmal eine ange­

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lehnte Balkontür, die auf irgendeine menschliche regung schließen ließ.

abgesehen von einer Mücke. Und  da  sah  sie  sie  erst  richtig.  Das  war  ja  gar  keine 

Mücke! Mücken können schließlich nicht  sprechen und haben kein blondes haar auf dem Kopf oder zwei perfek­te Füßchen mit den dazugehörigen zehen.

»Ángela geht es sehr schlecht«, gab das winzig  kleine, undefinierbare  fliegende  Wesen,  das  sie  gerade  noch  für eine Mücke gehalten hatte, laut und deutlich von sich.

Marina klappte den Mund auf und wieder zu. Sie hat­te richtig gesehen. Was da eine handbreit vor ihrer nase mithilfe zweier winziger, durchsichtiger Flügel umherflat­terte, war ein Mädchen, kaum größer als der nagel ihres kleinen Fingers und bekleidet mit einem lila Blütenblatt. in ihrer hand glänzte ein spitzer Gegenstand, eine hauch­dünne  nadel,  die  sie  zuvor  in  Marinas  Finger  gerammt hatte, daher die Verwechslung mit einem Mückenstich. Es war keine Erscheinung. Das hier dachte sie sich nicht aus. oder doch?

»lauf, geh schnell nach hause!«, beharrte die halluzi­nation. »Ángela braucht dich, hörst du?«

aber sie hörte die Worte des winzigen, fliegenden Ein­dringlings nicht mehr. ihr Gehirn trat in Denkstreik und schaltete sich ab. Sie strauchelte, schnappte wie ein Fisch nach luft,  spürte noch, wie  ihr die Knie weich wurden und einknickten.

Dann verlor Marina das Bewusstsein.

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RaeynDer horizont ist rot getönt. Es dämmert. raeyn schleicht sich den hügel hinauf und nimmt die Burg mit ihren sechs runden türmen ins Visier.

Stirnrunzelnd lässt er seinen Blick ein ums andere Mal über das massive Mauerwerk wandern. Kein einziger Spalt oder riss. Die Steinquader sind fest ineinandergefügt, aber da! Seine scharfen augen, unendlich schärfer als die eines Menschen,  erspähen  etwas  zwischen  dem  zweiten  und dem  dritten  turm,  eine  Geheimtür.  Hab dich, Trumble, Amigo!, denkt er, während er zurückschleicht, hinunter in den Schutz des schattigen Waldes.

raeyn lässt sich so leicht von nichts einschüchtern. Er ist ein furchtloser nachtelf­Jäger, der die herausforderung liebt. Er freut sich schon auf die bevorstehende, vermutlich unvergessliche Schlacht. trumble ist clever. Die Macht des smaragdgrünen Drachen ist legendär, und nur wenige, sehr wenige haben sich bisher getraut, es mit ihm aufzunehmen, um ihm die Beute zu entreißen, die er misstrauisch hortet.

raeyn trägt ein mit einem ledergurt umfasstes silber­nes  Panzerhemd  und  weiche  hirschlederstiefel,  und  an seiner hand  funkelt der ring, den er  in der  legendären Schlacht gegen reslof erbeutet hat. Dank des Sárgum­tarn­umhangs von seinem letzten raubzug ist er zwischen den hundertjährigen  Eiben  kaum  zu  erkennen.  Und  doch muss ihn jemand entdeckt haben, denn ohne Vorwarnung fallen Schüsse und dringen in die Eibe hinter ihm ein. Um ein  haar  hätte  es  ihn  erwischt.  Er  wirft  sich  zu  Boden 

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und zieht sich die Kapuze über den Kopf. Jetzt ist er völ­lig unsichtbar und außer Gefahr, zumal sein Gegner nicht besonders treffsicher zu sein scheint.

Da, ein Knacken, leise, aber laut genug, um seinen Jagd­instinkt zu wecken. Grinsend tastet er nach seinem Dolch. Er hält den atem an. Dieses schwerfällige Gestapfe, das kann nur der Gnom sein, das  stummelbeinige,  langohri­ge Großmaul. Mit einem Satz ist er hinter ihm, packt ihn an Schultern und armen, setzt ihm die Waffe an den hals und schreit: »Keine Bewegung, Mirior!«

Mirior strampelt und schnaubt. Er will sich umdrehen, doch der Dolch bohrt sich ihm ins Fleisch. »Was machst du da? lass mich los!«

»Du wolltest mich abknallen!«»raeyn, lass mich los, oder du wirst es bereuen.«»nicht, bevor du nicht zugegeben hast, dass du mich 

umbringen wolltest.«»ich?«»hier ist der ast, den die Schüsse zerfetzt haben, den 

kann ich gern allen zeigen!«Mirior entspannt sich. »ach was, das hast du dir nur 

eingebildet. ich hab doch nicht auf dich geschossen, ich hab nur geübt.«

raeyn kennt die Methoden feiger hexer. »Du wusstest genau, auf wen du zielst.«

»Komm schon, raeyn,  tut mir  leid,  ich hab dich mit ’nem Frosch verwechselt«, antwortet Mirior verächtlich. 

Er hält sich für sehr witzig, doch über Miriors Scher­ze konnte raeyn noch nie lachen. Die abneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Dabei kämpfen sie auf derselben Sei­te. hat der Gnom wirklich auf ihn gezielt? Soll das etwa eine Kampfansage sein? 

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auf einmal zucken beide zusammen. leise Schritte sind zu  hören.  Unwillkürlich  fährt  raeyn  sich  durchs  haar, den  warlock immer  im  auge,  der  sich  seinerseits  räus­pert. 

Es ist thana, die menschliche Magierin mit den Katzen­augen und der tiefen melodischen Stimme.

»na, auf raubzug?«, sagt sie und lächelt. »hinter Mäd­chen her natürlich.« 

raeyn und Mirior sind perplex.»ich hab euch auf der lauer liegen sehen … Da hab ich 

mir gedacht, ich schau mal in eurem Jagdrevier vorbei.«nur mühsam kann sich raeyn ein lächeln abringen. Er 

ist von natur aus schüchtern, und thana fasziniert ihn zu sehr, als dass er das risiko einginge, sich mit irgendeinem dummen Spruch zu blamieren.

Glücklicherweise  erscheint  in  diesem  Moment  noch jemand auf der Bildfläche und drängt sich, munter seine axt hin und her schwingend, zwischen sie.

»Salute, Freunde. Dir zu Füßen, werte thana. ihr habt wohl  gedacht,  ihr  wärt  mich  los?«  Er  lacht  dröhnend. »Varlik, der zwerg, gibt niemals auf, und schon gar nicht gegen den alten Drachen trumble. zeigen wir’s ihm! ich kann’s kaum erwarten.«

Seine  herzlichkeit  ist  ansteckend.  Die  anspannung löst sich. Mit Varlik scheint  jeder raid  schon so gut wie gewonnen.

nach und nach treffen die anderen ein. losungen und Grüße  werden  gewechselt.  Jerjes,  ihr  anführer,  ein  mit Juwelen bedeckter nachtelf­Priester mit zahlreichen rin­gen über den handschuhen, versammelt sie schließlich alle um sich und erklärt ihnen seine Strategie. 

»Wir  haben  eine  exzellente  truppe.  ich  baue  auf  die 

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ausdauer der tanks, die Stärke der rogues und das Geschick der hunters.« 

raeyn hört beeindruckt zu. Dieser Jerjes hat Charisma und ist tougher als jeder andere. nie wankt er in seinen Entscheidungen. Und er verfügt über die besondere Fähig­keit, seine Krieger in Begeisterung zu versetzen.

»trumble ist kein leichter Feind. Wir werden viel mana brauchen, viel DPS und alle unsere Waffen.«

Jubelnd heben sie die Schwerter, Äxte, hämmer, Bögen und armbrüste. 

»Wie ihr wisst«, fährt Jerjes fort, »ist der alte Drache trumble im nahkampf besonders gefährlich, in null Kom­ma nichts pustet er uns mit seinem bloßen atem einfach um. achtung vor seinem mörderischen Schwanz und sei­ner tödlichen taktik der verbrannten Erde!«

raeyn  zittert  vor  aufregung,  wie  vor  jeder  Schlacht. Die nahende Gefahr erfüllt  ihn mit Energie.  Jerjes  sieht jedem Einzelnen in die augen wie ein erfahrener General, der den zustand seiner truppen prüft, und fährt fort: »Wir müssen irgendwie die Mauern bezwingen.«

raeyns augenblick ist gekommen. Er schielt zu thana. »Das wird nicht nötig sein, es gibt eine Geheimtür.« Seine Stimme zittert. Von allen Blicken, die sich auf ihn richten, nimmt er nur den schneidend scharfen Blick des Gnoms und die liebevollen augen thanas wahr. 

»Bist du dir sicher?«, fragt Jerjes zweifelnd.»absolut!«, ruft raeyn.»zeigst du sie uns?«raeyn läuft zum Pfad am rand der lichtung, spannt 

seinen  Bogen  und  schießt  einen  Pfeil  ab,  der  fast  laut­los durch den nächtlichen himmel schwirrt und in einer Mauer rille stecken bleibt, genau bei der Geheimtür.

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»Unglaublich!«, ruft die menschliche Magierin bewun­dernd aus.

raeyn  reckt  sich  stolz.  Jerjes  ist  begeistert  und  gibt sofort den Befehl zum aufbruch. »los geht’s!«

»Das  ist  zu  einfach«,  murrt  der  Gnom.  »Diese  tür könnte eine Falle sein.«

raeyn beißt sich auf die zunge.»Es wird uns genauso ergehen wie beim Überfall auf 

den  Kerker  von  Serbrun«,  fährt  der  warlock  fort.  »Wir werden in einen hinterhalt geraten.«

»hier ist sie! ’ne Wahnsinnstür!«, ruft der Varlik freu­dig aus.

alle laufen zusammen. Der zwerg schlägt mit seinem Streitkolben  dagegen,  doch  die  tür  bewegt  sich  keinen Millimeter. Daraufhin macht thana ihm zeichen, zur Sei­te zu treten, bündelt ihre zauberkräfte und sendet einen Feuerball aus. Geschafft! Die rostigen angeln quietschen, die alte Steintür öffnet sich einen Spalt. Elfen, Menschen, zwerge,  Gnome  und  Draeneis  werfen  sich  gemeinsam dagegen, bis sie endgültig nachgibt. Vor ihnen gräbt sich ein dunkler Gang in die Erde, der sich um den Burghof zu schlängeln scheint. Vermutlich führt er genau in trumbles unterirdisches Verlies. 

»Großartig, raeyn!«, lobt Jerjes, tief beeindruckt. Das nächste hindernis ist der unterirdische Wassergra­

ben. ihn zu durchqueren ist ohne Magie unmöglich. Die Magier  und  hexenmeister  müssen  ihre  Gefährten  vorü­bergehend buffen, ihnen die Gabe übertragen, unter Was­ser zu atmen. raeyn ist unter den letzten. Er hat auf tha­na gehofft, aber irgendjemand hat darauf bestanden, dass sie  sich  früher  auf  den  Weg  macht.  Unerklärlicherweise übernimmt der Gnom Mirior für ihn das buffen.

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Mutig springt raeyn ins Wasser, aber aus dem augen­winkel sieht er das Grinsen des Gnoms und ahnt Böses. Doch er kann sich problemlos unter Wasser fortbewegen. Bis  er  auf  einmal merkt,  dass  irgendetwas  nicht  stimmt. auf halber Strecke spürt er einen schrecklichen Druck auf der Brust. Er kann nicht mehr atmen! Der zauber des war-lock hat aufgehört zu wirken. Verzweifelt krault er nach oben, aber er ist noch immer in der unterirdischen höh­le und stößt mit dem Kopf gegen die Decke. Überall Was­ser. Völlige Finsternis. Der tunnel wird enger und enger. Er  hat  die  Wahl  zwischen  Weiterschwimmen  und  Ster­ben.  Seine  angst  darf  ihn  nicht  lähmen,  das  wäre  fatal. Er  zwingt  sich,  arme  und  Beine  automatisch  zu  bewe­gen, während sein herz mit letzter Kraft Blut in die lun­gen pumpt, in die bereits Wasser eingedrungen ist. Da, ein lichtstrahl in der Ferne! Verzweifelt klammert er sich an diesen hoffnungsschimmer. aber er kann nicht mehr. im selben Moment spürt er schon, wie seine Kräfte ihn ver­lassen und sein herz aufhört zu schlagen. Gleich ist es aus mit ihm. Er wird sterben! Mit allerletzter Kraft versucht er sich nach vorne zu werfen und erschlafft in dem Moment, als thana vor ihm auftaucht und ihn mit dem rettenden lebensodem bufft.

raeyn öffnet ungläubig die augen. Er lebt! Von einem Moment auf den anderen kann er wieder atmen und sich zügig im Wasser fortbewegen. Mirior hat also schon wie­der  versucht,  ihn  umzubringen.  Diesmal  wird  er  dafür büßen!

aber der Gnom kommt ihm zuvor. Er erreicht das Ufer wenige Sekunden vor raeyn, streckt ihm mit hängendem Kopf die hand hin und raunt angeblich untröstlich: »tut mir  so  leid,  da  muss  ich  mich  verrechnet  haben.  Wahr­

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scheinlich  deshalb,  weil  du  ein  bisschen  wie  ein  Frosch aussiehst.«

raeyn weiß, niemand würde ihm glauben, wenn er Mi­rior des versuchten Mordes beschuldigte. Warum sollte ein Gnom auch kurz vor einer Schlacht einen befreundeten Elf lynchen wollen? also nimmt er seine hilfe an, kann sich aber ein vorwurfsvolles »Um ein haar wär ich ertrun­ken« nicht verkneifen.

»ich hab gleich gemerkt, dass du zu lange brauchst, du bist doch sonst immer der Schnellste«, sagt thana erleich­tert.

raeyn spürt einen Knoten im hals. thana hat sich Sor­gen um ihn gemacht und hält ihn für einen schnellen, fähi­gen Elfen. Es muss an ihrem guten Einfluss liegen, dass er nicht zu seinem Dolch greift und auf den Gnom losgeht. 

»ohne deine hilfe wäre ich ertrunken. thana, ich ver­danke dir mein leben.«

Ein wütendes Fauchen, das tief aus der Erde zu dringen scheint, lässt ihnen das Blut in den adern gefrieren. Der Smaragddrache! trumbles Kriegsgebrüll.

»ihr da, Varlik, Mirior, thana und raeyn, durch den tunnel da links!«, befiehlt Jerjes hastig.

So ein verdammtes Pech! Jerjes schickt Mirior mit ihm mit. Er glaubt wohl, der nahkampf könnte ihre gegensei­tige Solidarität stärken. 

Behutsam  tasten  sie  sich  im  Dunkeln  vor,  zögern  an jeder  abzweigung  und  lassen  sich  von  ihrem  instinkt oder dem Schicksal leiten. raeyn weicht thana nicht von der Seite. Solange er bei ihr ist, wird ihr nichts zustoßen, schwört er sich. aber trumble spürt sie auf. Es wird immer heißer in der höhle, je näher der Drache kommt. Die Mau­ern glühen.

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»achtung, zur Seite!«, ruft Varlik.als  tank  führt  er  die  kleine  truppe  an  und  als  guter 

warrior  wittert  er  den  Drachen  vor  allen  anderen.  tha­na zückt  ihre Eislanze, raeyn spannt die armbrust. Da ist er! riesig und dabei erstaunlich wendig. trumble stellt sich auf die hinterbeine und speit von hoch oben einen zerstörerischen Feuerstrahl auf sie herab, der raeyns Stie­felspitzen  versengt.  Gleichzeitig  ist  der  Smaragddrache geradezu atemberaubend schön. raeyn erkennt darin ein gefährliches ablenkungsmanöver und schreit: »nicht  in die augen sehen!«

Varlik, der zwerg, wäre dem zauber um ein haar verfal­len, aber er reagiert auf der Stelle und wendet den Blick ab. Die Bestie will sich wütend auf ihn stürzen. Schon bohren sich dem Drachen raeyns Pfeile und thanas Eislanze ins Fleisch. Er jault laut auf.

nach und nach werden raeyns Pfeile immer  ungenauer. Seine  Energie  ist  langsam  erschöpft.  hilfesuchend  wen­det er sich an thana: »Mein mana ist fast aufgebraucht!«

Seine Freundin reicht ihm einen magischen, mit ihrem Duft und ihrem liebreiz getränkten Edelstein, und schon nimmt er den Kampf mit neuen Kräften wieder auf.

»raeyn!«,  ruft  da  die  menschliche  Magierin  erschro­cken. »Varlik hält nicht mehr lange durch.«

Sie hat recht. zu lange schon muss der tapfere zwerg die  gesamte  Wut  der  Bestie  mit  seinem  Plattenpanzer abwehren.

»Der Drache ist ihm weit überlegen.«Varlik ist der einzige tank unter ihnen, niemand kann 

ihn ablösen. ihre Kräfte aufzuteilen, war keine gute idee gewesen. Sie brauchen dringend Verstärkung.

thana fleht raeyn an: »leite seine aggro um auf mich.«

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als hunter hat raeyn die Fähigkeit, die Wut des Dra­chen  von  Varlik  auf  jemand  anderen  umzulenken.  aber erst  muss  er  ganz  sichergehen,  dass  thana  gegen  den angriff gewappnet ist. nein, sie ist dem Drachen zu nahe! trumble würde sie mit einem Prankenhieb aus dem Weg schleudern.

»Geh weg von ihm!«, ruft er ihr zu.thana macht  einen Schritt zurück, doch  irgendetwas 

verstellt  ihr  den  Weg.  Es  ist  der  Gnom,  der  hinter  ihr Schutz sucht.

»Platz da, Mirior!«, befiehlt ihm raeyn.Doch Mirior rührt sich nicht von der Stelle.»Kämpfst  du  gegen  den  Drachen  oder  gegen  uns?«, 

knurrt raeyn wütend.»tu es! leite seine aggro um auf mich, sonst wird Var­

lik sterben!«, ruft thana noch einmal.Varliks leben hängt an einem seidenen Faden. raeyn 

beschließt, den hass der Bestie auf den Gnom zu lenken. auch er soll sein Fett wegbekommen.

»Was  tust  du  denn  da?«,  ruft  thana,  als  sie  sieht,  in welche richtung der arm des Elfen zeigt. »Du wirst ihn töten!«

zu  spät.  raeyn  hat  den  Drachen  bereits  auf  Mirior gehetzt. Es ist falsch von ihm, denn er ist der Schwächs­te von allen, aber er kann nicht zulassen, dass thana auch nur ein haar gekrümmt wird.

Der Gnom schreit vor Entsetzen auf. Schon bald hat der Drache nur noch augen für ihn. Seine ganze Wut wendet sich gegen das feige stummelbeinige langohr. Mit einem spektakulären Sprung lässt der Drache Varlik links liegen, fliegt über thana und raeyn hinweg, ohne sie auch nur zu berühren. Sein ziel ist jetzt der Gnom, er kommt direkt 

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auf ihn zu, seine Feueraugen bohren sich in den warlock und seine Krallen holen schon aus. 

»nein!«, schreit thana.»tu doch was, raeyn!«, fleht Varlik.raeyn weiß, dass nur er Mirior retten kann. Verdammt! 

Was  jetzt?  Jerjes  würde  ihn  aus  der  truppe  schmeißen, wenn  er  erführe,  dass  er  dem  Gnom  nicht  geholfen  hat. thana  erträgt  keine  Ungerechtigkeit,  und  Miriors  tod wäre  wohl  eine,  eine  absichtlich  begangene.  Und  Varlik ist so ehrenhaft, dass er mit großer Sicherheit lieber selbst stürbe. alle würden es ihm vorwerfen. Mirior würde zum Märtyrer,  er  zum  Mörder.  Er  muss  ihn  retten.  aber …, aber … 

Was war denn jetzt los? Der Curser reagierte nicht mehr auf die Maus, die tastatur ließ sich nicht mehr bedienen. Und raeyn stand starr. Er reagierte auf keine seiner hand­bewegungen.

C. C.  hatte  kein  netz  mehr!  Die  internetverbindung war unterbrochen!

nein, das durfte nicht wahr sein! nicht jetzt! Man wür­de ihn wegen Verrats aus der Gruppe ausschließen! ohne seine hilfe würden seine Freunde sterben! Er konnte tha­na nicht mehr beschützen! Sobald der Drache Mirior getö­tet hatte, würde er sich thana und Varlik vorknöpfen.

niemand würde ihm glauben!