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122 tarotkarte des monats Unsere Karte des Monats ist die „Sechs der Kelche“. Wenn sie in einer Legung fällt, will sie uns sagen, dass wir Altes getrost hinter uns lassen können. Auf den ersten Blick scheint sich die Szene in einer anderen Welt abzuspielen: Zwei Kinder sind sich zugewandt, wobei das grö- ßere Kind dem kleineren einen Kelch über- reicht. Das Bild ist in helles Sonnenlicht getaucht und vermittelt einen strahlenden, liebevollen und sorglosen Eindruck. Angenehm sind auch die Farben. Es dominiert eindeutig die Farbe Gelb, die für Lebensfreude und Kreativität steht. Blau, die Farbe der Spiritualität und des Schut- zes, ist auch dabei, ebenso ein paar Tupfer Rot und Orange, die Farben der Lebens- freude ... Betrachten wir die Sechs der Kelche aus der Sicht der Zahlenmystik: Es beginnt alles mit der Eins (As), wo es um die Ini- tialzündung, den Beginn und das damit verbundene Wachstumspotenzial geht. Mit der Zwei entsteht nun eine Verdoppelung, was erstmals eine Dualität zur Folge hat – es existieren zwei Pole, die sich entwe- der bekämpfen oder ergänzen. Mit der Drei wird das Spannungsverhältnis wieder aufgehoben, es besteht die Chance zur Eine Reise durch die Zeit Die Sechs der Kelche entführt uns zurück in unsere Kindheit Vollendung und Weiterentwicklung. Mit der Vier bekommt die Angelegenheit rich- tig Struktur und etabliert sich in der sicht- baren Welt. Und während uns die Fünf zum ersten Male mit den menschlichen Krisen konfrontiert und ein Ungleichge- wicht anzeigt, das es zu bereinigen gilt, ist die Sechs wiederum eine „vollkommene“ Zahl, bei der es u. a. um Begegnung, Ent- scheidung und Ausgleich geht. Die Sechs ist die erste Zahl, bei der es eine Bewegung nach außen gibt. Bei den Kelten galt die Sechs als heilige Zahl, denn sie stellte eine wichtige Zeit vor und nach Vollmond – nämlich jeweils 3 Tage – dar. Sie repräsentierte die Mitte zwi- schen dem Guten und dem Bösen und ist somit von jeher ein Symbol des Ausgleichs und des Gegengewichts. In der christ- lichen Mythologie galt die Sechs als die Zahl der Erlösung, denn Christus wurde am 6. Wochentag zur 6. Stunde gekreu- zigt. Des Weiteren dauerte die Schöpfung durch Gott 6 Tage lang. Aber auch noch heute wird das so genannte „Hexagramm“, der sechszackige Stern, zur Abwehr von Dämonen und bösen Geistern benutzt. Die Kelche entsprechen dem Element Wasser, und mit der Zahl Sechs kombiniert ist die Bedeutung nicht mehr schwierig zu erraten: Bei den Sechs der Kelche geht es um die Begegnung mit den Gefühlen, es geht um die Emotionen, die nach außen gebracht werden. Deshalb weckt diese Karte auch oftmals ähnliche Gefühle wie die „Liebenden“ aus den hohen Arkana. Auf der Karte beugt sich eine zwergähn- liche Gestalt zu einem kleinen Mädchen herunter; die beiden befinden sich inner- halb schützender Stadt- oder Burgmauern und die Kelche im Vordergrund sind mit weißen Lilien bepflanzt. Somit kann uns die Karte an unsere Kindheit erinnern. Im Hintergrund bewegt sich ein Wächter auf den Turm zu, der Mann scheint immer kleiner zu werden und zu verblassen. Und hier kommen wir der Bedeutung schon näher: Nicht nur die beiden Kinder erin- nern uns an die eigene Vergangenheit,

Eine Reise durch die Zeit - Tarot · PDF filevon Aleister Crowley. Interessant, dass hier ... Vorsitzende des Tarotverbandes „Tarot e.V.“ unter der Leitung von Hajo Banzhaf Tarotkarte

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tarotkarte des monats

Unsere Karte des Monats ist die

„Sechs der Kelche“. Wenn sie in einer

Legung fällt, will sie uns sagen, dass

wir Altes getrost hinter uns lassen

können.

Auf den ersten Blick scheint sich die Szene in einer anderen Welt abzuspielen: Zwei Kinder sind sich zugewandt, wobei das grö-ßere Kind dem kleineren einen Kelch über-reicht. Das Bild ist in helles Sonnenlicht getaucht und vermittelt einen strahlenden, liebevollen und sorglosen Eindruck. Angenehm sind auch die Farben. Es dominiert eindeutig die Farbe Gelb, die für Lebensfreude und Kreativität steht. Blau, die Farbe der Spiritualität und des Schut-zes, ist auch dabei, ebenso ein paar Tupfer Rot und Orange, die Farben der Lebens-freude ... Betrachten wir die Sechs der Kelche aus der Sicht der Zahlenmystik: Es beginnt alles mit der Eins (As), wo es um die Ini-tialzündung, den Beginn und das damit verbundene Wachstumspotenzial geht. Mit der Zwei entsteht nun eine Verdoppelung, was erstmals eine Dualität zur Folge hat – es existieren zwei Pole, die sich entwe-der bekämpfen oder ergänzen. Mit der Drei wird das Spannungsverhältnis wieder aufgehoben, es besteht die Chance zur

Eine Reise durch die ZeitDie Sechs der Kelche entführt uns zurück in unsere Kindheit

Vollendung und Weiterentwicklung. Mit der Vier bekommt die Angelegenheit rich-tig Struktur und etabliert sich in der sicht-baren Welt. Und während uns die Fünf zum ersten Male mit den menschlichen Krisen konfrontiert und ein Ungleichge-wicht anzeigt, das es zu bereinigen gilt, ist die Sechs wiederum eine „vollkommene“ Zahl, bei der es u. a. um Begegnung, Ent-scheidung und Ausgleich geht. Die Sechs ist die erste Zahl, bei der es eine Bewegung nach außen gibt. Bei den Kelten galt die Sechs als heilige Zahl, denn sie stellte eine wichtige Zeit vor und nach Vollmond – nämlich jeweils 3 Tage – dar. Sie repräsentierte die Mitte zwi-schen dem Guten und dem Bösen und ist somit von jeher ein Symbol des Ausgleichs und des Gegengewichts. In der christ-lichen Mythologie galt die Sechs als die Zahl der Erlösung, denn Christus wurde am 6. Wochentag zur 6. Stunde gekreu-zigt. Des Weiteren dauerte die Schöpfung durch Gott 6 Tage lang. Aber auch noch

heute wird das so genannte „Hexagramm“, der sechszackige Stern, zur Abwehr von Dämonen und bösen Geistern benutzt. Die Kelche entsprechen dem Element Wasser, und mit der Zahl Sechs kombiniert ist die Bedeutung nicht mehr schwierig zu erraten: Bei den Sechs der Kelche geht es um die Begegnung mit den Gefühlen, es geht um die Emotionen, die nach außen gebracht werden. Deshalb weckt diese Karte auch oftmals ähnliche Gefühle wie die „Liebenden“ aus den hohen Arkana. Auf der Karte beugt sich eine zwergähn-liche Gestalt zu einem kleinen Mädchen herunter; die beiden befinden sich inner-halb schützender Stadt- oder Burgmauern und die Kelche im Vordergrund sind mit weißen Lilien bepflanzt. Somit kann uns die Karte an unsere Kindheit erinnern. Im Hintergrund bewegt sich ein Wächter auf den Turm zu, der Mann scheint immer kleiner zu werden und zu verblassen. Und hier kommen wir der Bedeutung schon näher: Nicht nur die beiden Kinder erin-nern uns an die eigene Vergangenheit,

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sondern auch der graue Turmwächter im Hintergrund weist auf Vergängliches hin. Erscheint diese Karte in einer Legung, dann ist sie oft die Karte des Rückblicks. Oftmals zeigt sie auch das Wiederauftau-chen früherer Hoffnungen, Wünsche und Ziele an. Je nach Fragethema sind wir ange-halten, uns mit unserer Vergangenheit und unserer Herkunft auseinander zu setzen. Dabei machen sich oft ungeahnte Tiefen auf. So kann sie oftmals Situationen oder Menschen anzeigen, mit denen wir in der Vergangenheit zu tun hatten. Manchmal erscheint die Karte auch, wenn es um die Beschäftigung mit unseren Ahnen geht. Aber sie kann auch anzeigen, dass unsere jetzige Situation bereits so gut wie vorbei ist – dann steht die Sechs der Kelche für Abschied. Aber noch eine andere Bedeutung kommt dieser Karte zu: Im weiteren Sinne verkörpert sie nämlich alle Eigenschaften, die wir mit den beiden Kindern auf dieser Karte – und somit auch mit dem Kind-sein als solches – in Verbindung bringen: Es geht um Unschuld, Geborgenheit und Sorglosigkeit; ebenso können Freunde oder Geschwister angezeigt sein, denen wir vertrauen können. Ziehen wir diese Karte, dann haben wir manchmal auch das Gefühl, uns in einer Märchenwelt zu bewegen. Natürlich kann diese Karte auch für Verliebtheit stehen.

Die Deutung der Kelch Sechs

Und wie sieht es mit der Deutung in den verschiedenen Lebensbereichen aus? In der Liebe und in den Beziehungen blicken wir auf nostalgische Art und Weise zurück, viel-leicht fühlen wir uns auch an die so genann-te „alte Liebe“ erinnert. Möglicherweise tau-chen alte Bilder vor uns auf – in Form von Erinnerungen oder indem wir Menschen von früher – die „Jugendliebe“? - wieder treffen. Vielleicht führen wir aber auch nur eine platonische Beziehung, denn diese Karte weist auf ein unschuldiges Verhältnis wie z.B. unter Geschwistern hin. Näheres verraten uns die umliegenden Karten. Im beruflichen Erleben kann die Karte andeuten, dass wir frühere Ideen und Ziele aufgreifen; manchmal zeigt sie auch ein-fach nur an, dass wir auf die „gute alte Zeit“ zurückblicken und in Erinnerungen schwelgen. Vielleicht aber schaffen wir es auch, einen Wunsch von früher zu verwirk-lichen?

Auch auf der Ebene unserer spirituellen Entwicklung kann die Karte anzeigen, dass wir uns mit unseren Wurzeln auseinander-setzen. Vermutlich wird uns klar, wer und was uns geprägt hat und wir begreifen, was genau für unser heutiges Tun und Handeln mitverantwortlich ist. Manchmal aber auch zeigt sie nur ein unschuldiges Einlassen an – wir sind buchstäblich noch klein und blauäugig auf dem Gebiet und lassen uns von den neuen Eindrücken inspirieren. Im täglichen Alltagserleben können die 6 der Kelche ankündigen, dass wir Altes hinter uns lassen werden. Insbesondere mit Karten wie dem Wagen (VII), den 6 der Schwerter oder den 8 der Kelche kann ein Arbeitsplatzwechsel oder ein Umzug angedeutet werden. In Verbindung mit „sta-bilen“ Karten, wie z.B. den 4 der Münzen, 10 der Münzen, VIII Gerechtigkeit, wird der mehr romantisch-naive Aspekt der Karte sowie die Erinnerung hervorgehoben. Natürlich hat die 6 der Kelche wie jede Karte ihre Schattenseiten. So warnt die Karte vor Gutgläubigkeit und Naivität. Viel-leicht sind wir aber einfach nur unreif – oder wir hängen längst Vergangenem und alten Bildern nach, obwohl es schon längst an der Zeit wäre, nach vorne zu blicken. Welcher Aspekt der Karte nun stärker zum Ausdruck kommt, hängt von der Position der Karte innerhalb des gewählten Legesystems ab.

Die Kelch Sechs im Crowley-Deck

Werfen wir abschließend noch einen Blick auf die Sechs der Kelche aus dem Tarotdeck von Aleister Crowley. Interessant, dass hier die Schwerpunkte wieder anders gelagert sind, was eindeutig durch die Symbolik des Bildes zum Ausdruck gebracht wird. Wir sehen sechs reichlich bestückte und leuchtende Kelche als Zeichen der Fülle und Freude. Dass die Kelche gleichmä-ßig angeordnet und miteinander verbun-den sind, unterstreicht den ausgewogenen und hilfreichen Charakter der Zahl Sechs. Die gelben Blüten weisen auf Wachstum und Schönheit hin. Das im Hintergrund tanzende türkisfarbene Wasser zeigt die bewegte Gefühlswelt an. Der Schwerpunkt dieser Karte liegt also hier nicht in den Erinnerungen und einer etwaigen Stand-ortbestimmung, sondern in der Ausgewo-genheit und in der inneren Mitte; dement-sprechend lautet auch der Untertitel der Karte, der auf die Balance zwischen Viel und Wenig hinweist: „Genuss“. Im partnerschaftlichen Bereich steht die Karte für Liebesglück, Sinnlichkeit und Freude. Im beruflichen Erleben weisen die Sechs der Kelche von Crowley ebenfalls auf Harmonie hin, und zeigen demzufolge Schaffensfreude, Kreativität und Unter-stützung an. In spiritueller Hinsicht sind wir richtig unterwegs, wenn wir diese Karte ziehen, denn sie symbolisiert alle Formen der Liebe sowie die ideellen Werte, und sie zeigt uns an, dass wir uns in unserer Mitte befinden. Im Alltagserleben kann die Karte mit sozialem Engagement, Nächstenlie-be und Hilfsbereitschaft in Verbindung gebracht werden. Geht es um die Schattenseiten in uns, dann warnt diese Karte vor Scheinheilig-keit und unnötiger Einmischung in fremde Angelegenheiten, aber auch vor Überdruss und Gier.

Susanne Zitzl2. Vorsitzende des Tarotverbandes „Tarot e.V.“ unter der Leitung von Hajo Banzhaf

Tarotkartedes MonatsHajo Banzhaf Tarot

Die 6 Kelche „Genuss“ aus dem Crowley-Deck