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EINFÜHRUNG Hansjörg Staehle 1 Einführung Hansjörg Staehle Rechtsanwalt Präsident der RAK München Am 1.10.2004 wird die Rechtsanwaltskam- mer München zusammen mit den anderen deutschen Rechtsanwaltskammern 125 Jah- re alt. Dies jedenfalls dann, wenn man eine Unterbrechung der Kontinuität unter der Un- rechtsherrschaft in der Zeit des National- sozialismus außer Betracht lässt. Ohne das Unrecht dieser Zeit verdrängen zu wollen, sei dies heute erlaubt. Denn rückschauend lässt sich doch eine kontinuierliche Entwick- lung der selbstverwalteten Anwaltschaft erkennen, seit die Kammern durch die Rechtsanwaltsordnung im Rahmen der Reichsjustizgesetze am 1.10.1879 gegrün- det wurden. Zum 100. Geburtstag erschien 1979 bei C.H. Beck Robert Heinrichs Monografie „100 Jahre Rechtsanwaltskammer Mün- chen“. Seither sind 25 überaus bewegte Jah- re vergangen, Anlass genug zu einem Inne- halten und zu einer wertenden Rückschau. Wir haben dazu nicht eine neuerliche Mono- grafie gewählt, sondern eine Festschrift mit Beiträgen verschiedener Autoren. Sie be- trachten einzelne Aspekte und Entwicklun- gen mit ganz unterschiedlichem Tempera- ment und aus verschiedenen Blickwinkeln. Und wir haben in Kauf genommen, dass eine solche Festschrift keinen Anspruch auf die Vollständigkeit einer zusammenfassen- den Darstellung aus der Feder eines einzi- gen Autors erheben kann. Trotzdem ist es ihr zu wünschen, sie möge für künftige Ge- nerationen ein wenig erhellen, was wir erlebt haben. Die Festschrift erscheint als Sonderausgabe der „Mitteilungen“ unserer Kammer und er- füllt damit einen doppelten Zweck, der den Kammervorstand zu dieser ungewöhnlichen Form einer Festschrift greifen ließ: Zum einen erreichen wir damit alle Mitglieder in der Hoffnung, ihnen etwas Besonderes und Interessantes zu bieten. Zum anderen halten sich dadurch die Kosten für Druck und Ver- sand in moderaten Grenzen. Durch eine „normale Ausgabe“ der Mitteilungen wären sie zu einem guten Teil ohnehin angefallen. Lassen Sie uns also die letzten 25 Jahre betrachten. Der Beitrag unseres Ehrenprä- sidenten Jürgen F. Ernst „Ein Vierteljahr- hundert Rechtsanwaltskammer München“ (S. 6 ff.) verspricht Ihnen einen Überblick. Er hat auch Anwaltspersönlichkeiten gewür- digt, die durch ihre Verdienste das Bild unse- rer Kammer besonders geprägt haben (S. 30 ff.). Elisabeth Schwärzer hat sich der wichtigen Rolle von Anwältinnen im Leben der Kammer angenommen (S. 37 ff.). Als älterer Kollege neigt man vielleicht zu der Aussage: 1979 war die Welt noch in Ordnung! War Sie es wirklich? Erinnern wir uns: Eine vom Einzelanwalt und Sozietäten mit einstelliger Kopfzahl geprägte Anwaltschaft werkelte mit erkennbarem Schwerpunkt in der forensischen Tätigkeit vor sich hin. Leit- bild war der Allgemeinanwalt. Spezialisie- rungen waren selten, werbende Hinweise darauf des Teufels. Im Sekretariat lärmte die elektrische Kipphebel-Schreibmaschine ne- ben der Tippex-Flasche. Fortschrittliche Kollegen besaßen eine IBM-Kugelkopf- Maschine und ganz fortschrittliche verfügten gar über einen Fernschreiber, wegen seines Ratterns nicht selten in finstere Ablage- Räume verbannt. Werbung war den Stan- desgenossen strikt verboten. Das Werbe- verbot und kritische Äußerungen in anwaltli- chem Schriftgut, bisweilen marginale Ent- gleisungen, waren wesentliche Gegenstände der Berufsaufsicht durch den Kammervor- stand. Nicht zu vergessen das nicht selten kleinliche Überwachen der Anwaltschaft zur

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Hansjörg Staehle 1

Einführung

Hansjörg StaehleRechtsanwaltPräsident der RAK München

Am 1.10.2004 wird die Rechtsanwaltskam-mer München zusammen mit den anderendeutschen Rechtsanwaltskammern 125 Jah-re alt. Dies jedenfalls dann, wenn man eineUnterbrechung der Kontinuität unter der Un-rechtsherrschaft in der Zeit des National-sozialismus außer Betracht lässt. Ohne dasUnrecht dieser Zeit verdrängen zu wollen,sei dies heute erlaubt. Denn rückschauendlässt sich doch eine kontinuierliche Entwick-lung der selbstverwalteten Anwaltschafterkennen, seit die Kammern durch dieRechtsanwaltsordnung im Rahmen derReichsjustizgesetze am 1.10.1879 gegrün-det wurden.

Zum 100. Geburtstag erschien 1979 beiC.H. Beck Robert Heinrichs Monografie„100 Jahre Rechtsanwaltskammer Mün-chen“. Seither sind 25 überaus bewegte Jah-re vergangen, Anlass genug zu einem Inne-halten und zu einer wertenden Rückschau.

Wir haben dazu nicht eine neuerliche Mono-grafie gewählt, sondern eine Festschrift mitBeiträgen verschiedener Autoren. Sie be-trachten einzelne Aspekte und Entwicklun-gen mit ganz unterschiedlichem Tempera-ment und aus verschiedenen Blickwinkeln.Und wir haben in Kauf genommen, dasseine solche Festschrift keinen Anspruch aufdie Vollständigkeit einer zusammenfassen-den Darstellung aus der Feder eines einzi-gen Autors erheben kann. Trotzdem ist esihr zu wünschen, sie möge für künftige Ge-

nerationen ein wenig erhellen, was wir erlebthaben.

Die Festschrift erscheint als Sonderausgabeder „Mitteilungen“ unserer Kammer und er-füllt damit einen doppelten Zweck, der denKammervorstand zu dieser ungewöhnlichenForm einer Festschrift greifen ließ: Zumeinen erreichen wir damit alle Mitglieder inder Hoffnung, ihnen etwas Besonderes undInteressantes zu bieten. Zum anderen haltensich dadurch die Kosten für Druck und Ver-sand in moderaten Grenzen. Durch eine„normale Ausgabe“ der Mitteilungen wärensie zu einem guten Teil ohnehin angefallen.

Lassen Sie uns also die letzten 25 Jahrebetrachten. Der Beitrag unseres Ehrenprä-sidenten Jürgen F. Ernst „Ein Vierteljahr-hundert Rechtsanwaltskammer München“(S. 6 ff.) verspricht Ihnen einen Überblick.Er hat auch Anwaltspersönlichkeiten gewür-digt, die durch ihre Verdienste das Bild unse-rer Kammer besonders geprägt haben(S. 30 ff.). Elisabeth Schwärzer hat sich derwichtigen Rolle von Anwältinnen im Lebender Kammer angenommen (S. 37 ff.).

Als älterer Kollege neigt man vielleicht zuder Aussage: 1979 war die Welt noch inOrdnung! War Sie es wirklich? Erinnern wiruns:

Eine vom Einzelanwalt und Sozietäten miteinstelliger Kopfzahl geprägte Anwaltschaftwerkelte mit erkennbarem Schwerpunkt inder forensischen Tätigkeit vor sich hin. Leit-bild war der Allgemeinanwalt. Spezialisie-rungen waren selten, werbende Hinweisedarauf des Teufels. Im Sekretariat lärmte dieelektrische Kipphebel-Schreibmaschine ne-ben der Tippex-Flasche. FortschrittlicheKollegen besaßen eine IBM-Kugelkopf-Maschine und ganz fortschrittliche verfügtengar über einen Fernschreiber, wegen seinesRatterns nicht selten in finstere Ablage-Räume verbannt. Werbung war den Stan-desgenossen strikt verboten. Das Werbe-verbot und kritische Äußerungen in anwaltli-chem Schriftgut, bisweilen marginale Ent-gleisungen, waren wesentliche Gegenständeder Berufsaufsicht durch den Kammervor-stand. Nicht zu vergessen das nicht seltenkleinliche Überwachen der Anwaltschaft zur

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2 Hansjörg Staehle

Verhinderung sonstiger Aktivitäten: Zweitbe-rufe waren weitgehend verboten, insbeson-dere jede „kaufmännisch-erwerbswirtschaft-liche“ Betätigung.

Es entsteht so rückblickend doch eher einBild der Beschränktheit in mancherlei Hin-sicht. Die Anwaltschaft musste sich be-wegen und entwickeln, wollte sie den Her-ausforderungen der kommenden Jahre ge-recht werden. Und solche Herausforderun-gen sollten bald in großer Zahl und Wuchtauf uns Anwälte zukommen.

Schon lange hatte die Anwaltschaft erkannt,dass die ganze Breite des Rechtes dieKompetenz des einzelnen Anwalts in zu-nehmendem Maß überforderte. In der erstenHälfte der achtziger Jahre des letzten Jahr-hunderts kulminierte in den großen Anwalts-organisationen die Diskussion über eine Er-weiterung der Fachanwaltschaft, die bis da-hin nur den Fachanwalt für Steuerrechtkannte. Und der Gesetzgeber kam bei derSchaffung der Rechtsgrundlagen für eineErweiterung nicht voran. Ein überraschenderBefreiungsschlag der Rechtsanwaltskam-mern bildete den Startschuss für eine Ent-wicklung, die bis heute andauert. In derBRAK-Hauptversammlung vom Oktober1986 wurden neben dem Fachanwalt fürSteuerrecht drei weitere Fachanwaltsbe-zeichnungen auf der schwankenden Grund-lage der Richtlinienkompetenz der BRAK-Hauptversammlung (§ 177 Abs. 2 Satz 2BRAO damaliger Fassung) zugelassen.Lesen Sie zur Vorgeschichte und zur be-wegten Entwicklung Uwe Clausens Beitragin dieser Festschrift (S. 76 ff.).

Eine weitere für das Berufsrecht überausbedeutsame Diskussion nahm vor etwa25 Jahren ihren Anfang: Eine zunehmendüberregionale Aufstellung der gewerblichenWirtschaft, Vorbote der beginnenden Inter-nationalisierung und Globalisierung, führteder Anwaltschaft die Grenzen einer örtlichbeschränkten Anwaltstätigkeit vor Augen.Der Grundsatz der Beschränkung einer So-zietät auf einen einzigen Standort – zweifel-los ein Relikt aus Zeiten der Fixierung derAnwälte auf „ihr“ Zulassungsgericht – wurdein Frage gestellt. 1989 war die Frage beimBGH angekommen, der grünes Licht für

überörtliche Sozietäten signalisierte (BGHNJW 1989, S. 2890 f). Endgültig schalteteder BGH durch die Grundsatzentscheidungvom 23.9.1992 (BGHZ 119, 225 ff. „Überört-liche Anwaltssozietät“) die Ampel auf grün.Übrigens aufgrund eines von unserer Kam-mer gegen eine Kollegin geführten Wettbe-werbsprozesses. Der RechtsanwaltskammerMünchen wurde seinerzeit Fortschrittsfeind-lichkeit vorgeworfen. Ein immer wieder gernwiederholter Vorwurf, der die Pflicht einerKörperschaft des öffentlichen Rechts ver-kennt, die rechtlichen Grundlagen des Be-rufsstandes sine ira et studio zu klären. Be-sonders große Kammern – München war vor25 Jahren mit damals ca. 4.600 Mitgliedernbereits die größte deutsche Kammer und istes mit ca. 15.700 Mitgliedern noch heute –stehen hier in der Pflicht.

Zu der Geschichte der überörtlichen Sozietätund der folgerichtigen weiteren Entwicklungfür die Kapitalgesellschaft sowie zur Über-nahme ausländischer Gesellschaftsformendurch deutsche Untergliederungen interna-tionaler Sozietäten befasst sich in dieserFestschrift der Beitrag von Kempter/Kopp„Anwaltsgesellschaften“ (S. 84 ff.).

Und dann waren es natürlich die so ge-nannten „Bastille-Beschlüsse“ des Bundes-verfassungsgerichts vom 14.7.1987, die dieAnwaltschaft mit einem lauten Paukenschlagaufschrecken ließen. Zwei Beschlüsse desBundesverfassungsgerichts zum Gebot derSachlichkeit und zum Werbeverbot kipptendie langjährige Rechtsprechung, in der dieFeststellung der Berufspflichten in Richt-linien durch die BRAK nach § 177 Abs. 2Nr. 2 BRAO als verfassungsmäßig bestätigtworden war. Das Grundrecht der freien Be-rufsausübung verlange eine demokratischeLegitimation einschränkender Regelungen.Nur noch für eine Übergangszeit konnten dieRichtlinien, soweit zur Aufrechterhaltungeiner geordneten Rechtspflege unerlässlich,noch Anwendung finden. Gerhard Hettingerhat die Entwicklung des Berufsrechts imVorfeld der Bastille-Beschlüsse und die Ent-wicklung seither in seinem Beitrag „VomStandesrecht zum Berufsrecht“ (S. 43 ff.)anschaulich beschrieben und dabei das„Münchener Umfeld“ besonders beleuchtet.

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Ich persönlich glaube, wir schulden rück-blickend dem BundesverfassungsgerichtDank. Nicht nur unter den Talaren der Pro-fessoren, wie die Achtundsechziger polemi-sierten, sondern auch unter den Anwalts-roben hatte sich in langen Jahren ein „Muff“angesammelt. Das Bundesverfassungsge-richt hat die Anwaltschaft zu einem neuenund frischen Denken ermutigt. Das zeigt dieGeschichte der Satzungsversammlung, dieeine freiheitliche und liberale Berufsordnunggeschaffen hat. Wir deutschen Anwälte kön-nen uns damit, wie ich meine, durchaus inder Welt sehen lassen.

Auch in der Folgezeit hatte das Bundesver-fassungsgericht Anlass, für eine neue Justie-rung des anwaltlichen Berufsrechts ent-scheidende Anstöße zu geben. Besondersbedeutsam ist die Zweitberufe-Entscheidungvom 4.11.1992 (BVerfG NJW 1993,S. 317 ff.). Die Unvereinbarkeit der Anwalts-zulassung mit der Ausübung (fast) aller an-deren beruflichen Tätigkeiten wich aus ver-fassungsrechtlichen Gründen der Hand-lungs- und Berufsfreiheit der Vereinbarkeitder Anwaltszulassung mit (fast) allen ande-ren Berufen. Im Kammerbezirk meldenheute nahezu die Hälfte aller neu zugelas-senen Kolleginnen und Kollegen sofort oderim Lauf des ersten Berufsjahres einenZweitberuf an, bisweilen ohne erkennbarenBezug zur Jurisprudenz, von der Bio-Bäuerinbis zum Gastwirt. Wir wissen, dass derZweitberuf vielen jungen Kollegen dieschwierige Startphase der freiberuflichenAnwaltstätigkeit erleichtert (vgl. Berufsein-stieg und Berufserfolg junger Rechtsanwäl-tinnen und Rechtsanwälte, Nürnberg, 2000).Wir wissen aber auch, und das mag man-cher bedauern, dass die Berufsbezeichnung„Rechtsanwältin“ oder „Rechtsanwalt“ keinenverlässlichen Schluss mehr auf die wirklicheExistenzgrundlage der Betreffenden und de-ren Vertrautheit mit den Regeln und Not-wendigkeiten des Anwaltsberufes zulässt.Ein nicht ganz unwesentliches Motiv für dieAnwaltszulassung neben einem Zweitberufmag man in der Möglichkeit sehen, Mitglieddes Versorgungswerkes zu werden, das sichin Bayern Anfang der Achtzigerjahre desletzten Jahrhunderts, maßgeblich vorange-

trieben durch den unvergessenen Ge-schäftsführer unserer Kammer, Dr. GiselherGralla, zu formieren begann und am1.1.1984 als Bayerische Rechtsanwaltsver-sorgung ins Leben trat. Es bietet im Ver-gleich zur Angestelltenversicherung als ka-pitalgedeckte Altersversorgung eine unver-gleichlich höhere Sicherheit und markanthöhere Leistungen. Lesen Sie die Erfolgsge-schichte des Versorgungswerks in OttheinzKääbs Beitrag über die Altersversorgung derRechtsanwälte nach (S. 104 ff.).

Die Entwicklung zu überörtlichen und inter-nationalen Sozietäten ist vor dem Hinter-grund einer starken überregionalen und in-ternationalen Verflechtung der Wirtschaft zusehen. Eine andere Ursache ist ein ständi-ges Drängen und Insistieren des euro-päischen Gesetzgebers auf Deregulierungzum Zweck einer erhofften Befreiung derMärkte. Diese Tendenzen haben auch dendeutschen Gesetzgeber bewogen, durch dieAbschaffung des überkommenen Lokalisie-rungszwangs in Zivilsachen – Änderung des§ 78 ZPO – einen bedeutenden Schritt zutun. Ob es ein Schritt nach vorne war, oderob die Aufhebung zu einer Konzentration derAnwaltschaft in größeren Städten und damitzu einer negativen Entwicklung zu Lastender Rechtsuchenden in ländlichen Gebietenführen wird, bleibt noch abzuwarten. Ver-nehmliche Stimmen aus ländlichen Gebietenunseres Kammerbezirks berichten von mas-siven Umsatzeinbrüchen durch den Wegfallvon Korrespondenzmandaten. Andere be-klagen die Reisewut der Anwaltschaft zu Ge-richtsterminen quer durch Deutschland. Nurkonsequent allerdings war dann der im Jahr2002 vollzogene weitere Schritt, durch denalle bei einem deutschen Oberlandesgerichtzugelassenen Rechtsanwälte auch bei allendeutschen Oberlandesgerichten postulations-fähig wurden.

Abzuwarten bleibt auch, ob eine derzeitige,von rein wirtschaftlichen Erwägungen be-stimmte Initiative der Europäischen Kom-mission zur Deregulierung (auch) des An-waltsmarktes den Besonderheiten des An-waltsberufes gerecht wird. Regulierung istnicht gleich Regulierung; für die Rechtspfle-ge und damit verbunden die Grundwerte der

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Anwaltschaft sind manche Regulierungenunerlässlich. Eckhart Müller hat sich in sei-nem Beitrag über den „Rechtsanwalt alsOrgan der Rechtspflege“ (S. 64 ff.) u.a. mitdieser Problematik auseinandergesetzt.

Und was steht uns noch bevor? Können wires uns in der gründlich gefegten und ent-rümpelten Stube des anwaltlichen Berufs-rechts gemütlich machen? Ich fürchte nein.Als Nächstes steht uns eine tiefgreifendeNovellierung des Rechtsberatungsgesetzesins Haus, auch sie maßgeblich von Brüsselangestoßen. Im Interesse der Verbraucherbleibt zu hoffen, dass auch in Zukunft unge-eignete Personen vom sensiblen Markt derRechtsberatung ferngehalten werden. ImInteresse der Anwaltschaft muss man ver-langen, dass ein geschützter Raum beruf-licher Tätigkeit als Basis für eine wirtschaft-lich ausreichende Existenz übrig bleibt. ImInteresse der Rechtspflege muss postuliertwerden, die Rechtsberatung dem Anwalt alsOrgan der Rechtspflege zu belassen.

Lassen Sie mich zum Schluss auf das all-tägliche Erscheinungsbild anwaltlichen Ar-beitens zurückkommen, wie ich es eingangs,sicherlich etwas überspitzt, für die Zeit vor25 Jahren geschildert habe. Was hat sichgeändert? Ich meine fast alles.

Der heutige Anwalt, will er kein Hochstaplersein, hat sich spezialisiert, auch der vielbe-sungene Allgemeinanwalt hat Tätigkeits-schwerpunkte, in denen er besondere Kom-petenz besitzt. Werbende Hinweise auf be-sondere Kenntnisse sind erlaubt und dürfenin allen Medien verbreitet werden. Beson-ders das Internet hat sich als Informations-medium etabliert – vor 25 Jahren ein gänz-lich unbekanntes Phänomen. Der Anwaltverdient 70 % seines Umsatzes mit Bera-tungstätigkeit. Ohne Fremdsprachen ist keinDurchkommen. 29 Länder Europas stehender deutschen Anwaltschaft zur freien Nie-derlassung offen.

Fern von allen rechtlichen und berufsrecht-lichen Rahmenbedingungen hat sich in denzurückliegenden Jahren eine technologischeRevolution vollzogen, die auch die anwalt-liche Tätigkeit tiefgreifend verändert hat. DerComputer hat Einzug in unsere Kanzleien

gehalten. Die Schreibarbeit hat sich ent-scheidend erleichtert und qualitativ verbes-sert. Die Vernetzung der PCs in den Kanz-leien erschließt uns jederzeit den Zugriff aufdas gesamte Schriftgut der Sozien und Mit-arbeiter. Digitale Kopierer mit vielfachentechnischen Funktionen ermöglichen leichteReproduktion benötigter Vorlagen und An-lagen. Das Auffinden von Entscheidungenoder Abhandlungen ist online und offlineeine Sache von wenigen Augenblicken ge-worden. Fax und E-Mail erlauben denmühelosen Transport und die gemeinsameBearbeitung umfangreicher Entwürfe auftelekommunikativem Weg. Und mit Handyund Notebook ist der Anwalt schier überallund immer erreichbar. Diese Möglichkeitenkönnen die Quantität und die Qualität an-waltlicher Arbeit beachtlich steigern, vorallem natürlich auch die für den Mandantenoft wichtige Schnelligkeit anwaltlicher Hilfe.Sie bergen andererseits die Gefahren zu-nehmender Hektik und der Behinderungeigener kreativer Gedanken. Ruhiges Nach-denken und überlegtes Handeln können zu-gunsten eines ständigen Jagens nach dernoch einschlägigeren Information und demnoch passenderen Präjudiz auf der Streckebleiben. Zu schweigen von der ausuferndenSucht, jeden noch so unbedeutenden Punktim Schriftsatz mit umfangreichen Anlagen zubelegen, anstatt gedanklich zu selektierenund sich auf das Wesentliche zu beschrän-ken. Zu schweigen auch vom ständigen„Abwehrkampf“ des beratenden Anwaltsgegen die Neigung der Mandanten, ihn zujeder Tages- und Nachtzeit mit Hilfe mul-tipler Telekommunikationsmittel mit Fragenzu bombardieren, die eine „sofortige“ Ant-wort erheischen.

Kein ungetrübter Jubel also über den unauf-haltsamen Fortschritt. Nur die Feststellung,dass sich der anwaltliche Alltag in nur einemVierteljahrhundert wie kaum je zuvor in sokurzer Zeit verändert hat. Der nach wie vorstarke Andrang zum Anwaltsberuf stellt dasSelbstverständnis der Anwaltschaft auf dieProbe. Sie wird dieser Herausforderung mitden Mitteln eines freien, selbstverwaltetenBerufes Herr werden müssen. Die Steige-rung der Qualität anwaltlicher Dienstleistun-

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gen durch gezielte Spezialisierung und stän-dige, überprüfte Fortbildung sowie die krea-tive Erschließung neuer Betätigungsfelderkönnen dazu geeignete Mittel sein.

Und die Kammer München? Sie hat sichim letzten Vierteljahrhundert zu einemschlagkräftigen Instrument anwaltlicherSelbstverwaltung entwickelt, wie es für bald16.000 Mitglieder notwendig ist. Schlankeund effektive Strukturen haben das Zulas-sungsverfahren drastisch beschleunigt. DieKammer hat, vor dem Hintergrund rasanterEntwicklungen, auch ihren Charakter ver-ändert. Von der rein verwaltendenden Auf-sichtsbehörde hin zu einem für die Belangeder Mitglieder hilfreichen Anbieter wichtigerDienstleistungen. Dazu war eine kontinuier-liche Entwicklung der Willensbildung desVorstands erforderlich, die sich in monat-lichen Plenarsitzungen und einer Vielzahlvon Sitzungen der Vorstandsabteilungenvollzog. Näheres über die ehrenamtlichtätigen Vorstandsmitglieder erfahren Sie indem Beitrag „Entwicklung der Kammer 1979– 2004“ (S. 17 ff.). Notwendig war daherauch eine Erweiterung und Neupositionie-rung der Geschäftsstelle der Kammer, dieheute mit 35 Mitarbeitern, davon siebenRechtsanwältinnen und Rechtsanwälten,unter „Volldampf“ arbeitet, wie ich der Kam-merversammlung im April 2004 berichtenkonnte.

Stephan Kopp hat die Entwicklung der Ge-schäftsstelle in seinem Beitrag (S. 24 ff.)dargestellt.

Wir freuen uns über einen Beitrag der An-waltsgerichtsbarkeit in dieser Festschrift(Sernetz und Radmann, S. 108 ff.). Zu Rechtheben die Autoren auf die notwendige Un-abhängigkeit der Anwaltschaft von der übri-gen staatlichen Gerichtsbarkeit ab. Die An-waltsgerichtsbarkeit leistet so einen uner-setzlichen Beitrag zum Selbstverständnisder Anwaltschaft und sichert deren Bestandals Institution, ohne die dem Bürger der Zu-gang zum Recht verschlossen wäre – heuteebenso wie vor 25 und 125 Jahren.Dieses Vorwort darf nicht schließen, ohneden Autoren für ihre Beiträge zu dieser Fest-schrift sehr herzlich zu danken. Sie habensich ausnahmslos freiwillig dieser müh-samen Arbeit unterzogen, um die alle An-wältinnen und Anwälte berührenden Prob-leme, Entwicklungen und Grundlagen unse-res Berufes darzustellen, Dinge die ihnenam Herzen liegen. Als ausnahmslos erfah-renen Sachkennern, in vielen Ehrenämternüber lange Jahre engagiert, ist ihnen das,wie ich meine, wohl gelungen.Kaum zu glauben, welches Pensum hinteruns liegt. Spannend ist, was kommen wird.Möge diese Festschrift helfen, beides einzu-ordnen und möge sie den Kolleginnen undKollegen Spaß und Nutzen bringen.

München im September 2004

Hansjörg StaehlePräsident

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6 Jürgen F. Ernst

Ein VierteljahrhundertRechtsanwaltskammerMünchen (1979 – 2004)

Dr. Jürgen F. ErnstRechtsanwaltEhrenpräsident der RAK München

1979 erschien die Festschrift „100 JahreRechtsanwaltskammer München“, heraus-gegeben von Dr. Robert Heinrich, demzweiten Präsidenten der Kammer nach demII. Weltkrieg.

1000 Gäste aus Justiz und Wirtschaft trafensich zum Festakt im Herkulessaal derMünchner Residenz. Gefeiert wurde die Ab-schaffung der staatlichen Reglementierungdes anwaltlichen Berufsstandes und die sichdaraus ergebende neue

Freiheit des Zugangs zum Beruf,

Freiheit der Ausübung des Berufs und

Freiheit der Selbstverwaltung des Berufs-standes.

Die Entwicklung zur Freiheit der Advokatur,gefordert von Rudolf Gneist in seiner Schrift„Freie Advokatur, Die erste Forderung allerJustizreformen in Preußen“ im Jahre 1867,schien abgeschlossen.

Auch der Zuwachs der Kammer schien einEnde zu finden. Dies galt für die Zahl derMitglieder der Kammer, die im Jahre 1979mit 4900 einen ungeahnten Höhepunkt er-reicht hatte. Der Nachfolger von Dr. Heinrichim Amt, mein Vorgänger, Eckhard Warmuth,schloss deshalb seine Festansprache miteinem Zitat von Gneist: Der übermäßige Zu-drang werde dem ganzen Beruf das Anse-

hen, die Würde, den Anstand entziehen. Dieunausbleibliche Folge werde sein, dass dieAnwaltschaft aufhöre, eine einladende Lauf-bahn zu sein.

Die Entwicklung ab 1979 lehrte uns etwasanderes; ob etwas Besseres daraus wurde,mögen die Leser entscheiden. Veränderun-gen und Entwicklungen können nur an ihrenAuswirkungen gemessen werden. Die Aus-wirkungen aber und deren Fortwirkungbestimmen unser jetziges Berufsleben. Wirerleben diese Auswirkungen auf unsere Ge-sellschaft, deren Rechte und unsere Ge-richtsbarkeit. Auswirkungen, die nicht aus-schließlich auf der ständig steigenden Zahlder Anwälte beruhen, sondern mindestensgleichwertig ihren Grund haben in der Ände-rung des Begriffs der Freiheit, der Freiheitdes Zugangs zum Beruf, der Freiheit derAusübung des Berufs, der Freiheit derSelbstverwaltung des Berufsstandes.

Nach Überwindung der zwölf Jahre staat-lichen Unrechts und nach In-Kraft-Tretendes Grundgesetzes mit seiner freiheitlichdemokratischen Verfassung im Jahre 1949schien mit der praktizierten Rechtsstaatlich-keit ab dem Jahr 1979 die Entwicklung auchauf dem Gebiet des anwaltlichen Berufs-rechts abgeschlossen zu sein. Richtlinien,aufgestellt von der Bundesrechtsanwalts-kammer in mehrfach überarbeiteter Fas-sung, enthielten die Grundsätze anwaltlichen„Standeslebens“. Berufszulassung und Wi-derruf erfolgten weiterhin durch die Landes-justizbehörden.

Die Kammer München war es in dieser Zeit,die aufgrund der in ihrem Bereich höchstenZahl von Anwälten zu neuen Organisations-formen für die Selbstverwaltung der Anwalt-schaft finden musste. Dies einerseits, um dieanfallende Arbeit überhaupt bewältigen zukönnen, andererseits in Berufsaufsichtsan-gelegenheiten den Grundsatz der Gleichbe-handlung von Kolleginnen und Kollegensicherzustellen, darüber hinaus in Zulas-sungs- und Widerrufsverfahren gleicheMaßstäbe anzuwenden. Die ehrenamtlicheTätigkeit von Präsidium und Vorstand wartrotz Aufgliederung in Abteilungen und be-stimmte Arbeitsbereiche nicht in der Lage si-

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Jürgen F. Ernst 7

cherzustellen, dass die umfangreicheTätigkeit zeitnah erledigt wurde. Die not-wendige zahlenmäßige personelle Erweite-rung der Geschäftsstelle führte dann dazu,dass die Räume im Gebäude der DeutschenBank am Stachus, unmittelbar am Weg zwi-schen Lenbachplatz und Justizpalast ge-legen, aufgegeben werden mussten, da siezu klein geworden waren. Ein Gebäude inder Landwehrstraße 61 wurde angemietet.Dort blieb die Kammer als Mieterin hoch ge-schätzt bis zu ihrem Auszug in das eigeneKammergebäude im Jahre 2002.

Entscheidende Voraussetzung für die voll-ständige und zeitnahe Erfüllung der Kam-meraufgaben war die Einstellung von zweiVolljuristen als berufsmäßige Geschäftsfüh-rer. Eine solche Stellung ist zwar in derBRAO nicht vorgesehen; die Einstellungwurde aber gerechtfertigt mit der Notwen-digkeit der Vorbereitung einerseits und derAbwicklung andererseits der vom Vorstandzu erledigenden bzw. erledigten Aufgaben.Zwischenzeitlich kommt wohl keine deutscheKammer mehr ohne hauptamtlichen Ge-schäftsführer aus.

Wachsende Anwaltszahlen, ständig wach-sende Aufgaben, deren von der KammerMünchen zum Teil überobligatorische Erle-digung, führten dazu, dass die Zahl derVolljuristen in der Geschäftsstelle auf nun-mehr sieben im Jahr 2004 angewachsen ist(fünf Geschäftsführer und zwei wissen-schaftliche Mitarbeiter). Die Zahl der Vor-standsmitglieder wurde im Jahre 1990 von32 auf 34 erweitert, ist seitdem aber unver-ändert.

Die fehlende gesetzliche Regelung einerAbgrenzung der Kompetenz zwischen Vor-stand und Präsidium einerseits und den be-rufsmäßigen Geschäftsführern andererseitsstieß zunächst auf erhebliche Bedenken, wiesich denn die Zusammenarbeit auf Dauergestalten würde. Die berufsmäßigen Ge-schäftsführer leiteten die Geschäftsstelle,bearbeiteten als erste den Posteingang undtrafen dann von sich aus die Entscheidung,welche Vorgänge dem Präsidenten oder an-deren Präsidiumsmitgliedern bzw. dem Vor-stand insgesamt vorzulegen waren. Theore-

tische Abgrenzungsmerkmale erwiesen sichnach kurzer Zeit als nicht hilfreich.

Der Loyalität der Geschäftsführer dem je-weiligen Präsidenten gegenüber war es zuverdanken, dass mit einer einzigen Aus-nahme über 25 Jahre hinweg nie eine Stö-rung im Vertrauensverhältnis zwischen Ge-schäftsführung und Präsidenten bzw. Präsi-dium eintrat. Die wenigen Wechsel im Amtdes Präsidenten stellten die Geschäftsführervor keine allzu großen Probleme. Von zu-mindest gleicher Bedeutung wie die guteZusammenarbeit zwischen Präsident undGeschäftsführung war das vom gegenseiti-gen Vertrauen getragene Zusammenwirkendes Präsidenten mit den jeweiligen Vorsit-zenden der einzelnen Abteilungen, die nachder Regelung in § 77 Abs. 5 BRAO in einerVielzahl von Fällen Entscheidungen anstelledes Vorstandes trafen.

Auch auf diesem Gebiet gab es im Laufedieses Vierteljahrhunderts nur ein einzigesMal Anlass dafür, dass von Seiten desPräsidenten in die Erledigung von Abtei-lungsangelegenheiten eingegriffen werdenmusste.

In Kollegenkreisen wird häufig die Meinungvertreten, der Vorstand der Kammer be-schäftige sich außer mit Gebührengutachtenund berufsrechtlichen Rügen gegenüberKollegen weitgehend nur mit sich selbst.Vielleicht ist diese Vorstellung mit ein Grunddafür, dass einerseits die Teilnahme an denjährlichen Kammerversammlungen, in denenRechenschaft gelegt wird über das vergan-gene Jahr, so gering bleibt, andererseitskaum Interesse gezeigt wird von Kolleginnenoder Kollegen, sich für ein oder zwei Legis-laturperioden in den Vorstand wählen zulassen (die Zahl der sich zur Wahl stellendenAnwälte ist bei jeder Wahl nur um ein Gerin-ges höher als die Zahl der zu wählenden).Wer in den Vorstand gewählt wurde, fand ander Arbeit sehr schnell Interesse.

Die im Vorstand angesprochenen und meistdiskutierten Themen, die in vielen Fällen zueiner schriftlichen Ausarbeitung oder Stel-lungnahme gegenüber dem Staatsministe-rium der Justiz, der Bundesrechtsanwalts-kammer oder den sonstigen Kammern oder

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den Versorgungsträgern führten, sollen des-halb kurz angesprochen werden. Wer die25 Jahre Entwicklung im Beruf selbst erlebt,die Entwicklung des Berufsstandes mitver-folgt hat, kann daraus entnehmen, dass wohlkein einziges Thema, das für die Anwalt-schaft von Bedeutung ist, in den 25 Jahrennicht mindestens einmal erörtert wurde. MitSicherheit haben Stellungnahmen des Vor-standes nicht nur Beachtung gefunden beiallen Adressaten, sondern auch mit dazubeigetragen, dass teilweise berufspolitischunerwünschte Ergebnisse vermieden wur-den, andererseits anwaltschaftliche Inte-ressen über den ursprünglichen Ansatz hin-aus in Gesetzen und behördlichen Maß-nahmen Berücksichtigung fanden. Dabei warsehr hilfreich das Gewicht der Kammer, dienicht nur aufgrund ihrer zahlenmäßigenGröße, sondern auch aufgrund der unter-schiedlichen Struktur von rein ländlichenGegenden bis zur Großstadt alle entschei-denden Gesichtspunkte anwaltlichen Lebensin die jeweilige Diskussion mit einbringenkonnte.

Dass die Freiheit der anwaltlichen Be-rufsausübung noch nicht überall erkanntworden war, stellte sich im Jahr 1979 auf-grund eines Zufalls heraus. Bei der Einsichtin seine Personalakte, die damals beimOberlandesgericht München geführt wurde,stellte ein Kollege fest, dass über mehrereMonate hinweg seine sämtlichen von derKanzlei aus geführten Gespräche mit seinenMandanten minuziös aufgezeichnet und ab-geschrieben worden waren und Abschriftendieser im Auftrage des Innenministeriumsgefertigten Protokolle auch zu den Perso-nalakten des Kollegen gegeben worden wa-ren. Eine Vorsprache des Präsidenten War-muth im Justizministerium ergab nur, dassdas Justizministerium diesen Vorgang be-dauere, aber keine Möglichkeit sehe, die sogenannten Staatsschutzbehörden von sol-chen Maßnahmen abzuhalten. Grund desAbhörens sollen angeblich kommunistischeUmtriebe des Kollegen gewesen sein. AlleVersuche, eine verbindliche Erklärung zu er-halten, dass solche Abhörmaßnahmen inZukunft, wenn nicht unterlassen, so docherst nach Zustimmung der Kammer erfolgen

dürften, blieben ohne Erfolg. Trotzdem dürf-ten die damaligen Vorsprachen im Ministe-rium dazu geführt haben, dass solche Ab-hörmaßnahmen bei Anwälten nur noch ver-einzelt und erst nach richterlicher Genehmi-gung durchgeführt wurden.

Sehr viel Zeit in Anspruch nahm danachdie Diskussion in Vorstandssitzungen zumThema „zulässige Nebenbeschäftigung oderZweitberuf“. Aktueller Anlass war die Grün-dung eines Bestattungsunternehmens durcheinen Kollegen, was zu der berufsrechtlichdamals relevanten Frage führte, ob dieTätigkeit als Inhaber oder Geschäftsführereines Bestattungsunternehmens mit derTätigkeit eines Anwalts vereinbar sei. DieGespräche des Präsidiumsbeauftragten mitden betroffenen Kollegen blieben erfolglos.Soweit ich mich erinnere, ist die Frage die-ser Unvereinbarkeit damals gerichtlich nichtentschieden worden.

Die seit dem In-Kraft-Treten der Justizgeset-ze im Jahre 1879 ständig alle Anwaltsgre-mien beschäftigende Frage der geeignetenJuristen- oder Anwaltsausbildung war imKammerbezirk im Jahre 1979 besondersaktuell geworden, weil vom Freistaat Bayernan der Universität Augsburg das so ge-nannte einstufige Ausbildungsmodell inForm einer Kombination von Studium undpraktischer Ausbildung, unter Einbeziehungder Referendarzeit geschaffen wurde. Eineabschließende Bewertung, die der Öffent-lichkeit zugänglich gemacht wurde, hat esmeines Wissens nicht gegeben. Die Tat-sache, dass das Modell nicht fortgeführtoder für die Gesamtheit aller Referendareübernommen wurde, ist als deutliches Indizdafür zu werten, dass diese vom Ansatz hersicherlich gute Idee nur dann bessere Aus-bildungsergebnisse bringt, wenn sie miteinem überdurchschnittlich hohen Aufwandan engagierten Ausbildern durchgesetztwird. Eine Untersuchung, ob diesem Auf-wand nicht auch ein entsprechender Ertraggegenüberstände, hat es nie gegeben. DieKammer stand dem Modell wegen der ein-geschränkten Anwaltsbezogenheit weitge-hend skeptisch gegenüber.

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Mit der Zeit hatten sich die Anfragen an dieKammer gehäuft, wie alten und krankenKolleginnen und Kollegen geholfen werdenkönne, die altersbedingt oder gesundheits-bedingt nicht mehr in der Lage waren, ihrenBeruf auszuüben. Dabei darf nicht verges-sen werden, dass eine erhebliche Anzahlvon Kammermitgliedern entweder aufgrundKrieg oder Gefangenschaft lange ihren Berufnicht ergreifen oder ausüben konnten, ande-re durch Kriegseinwirkung oder Währungs-reform ihre wirtschaftliche Grundlage ver-loren hatten.

Im Kammervorstand wurde beschlossen,hierfür – wenn auch im beschränkten Um-fang – Gelder zur Verfügung zu stellen, dieder Kammer aus Bußgeldern zuflossen. Eineeigene Abteilung wurde gegründet. Wenn –was auf vielen Wegen möglich war – be-kannt wurde, dass ein Kollege oder eineKollegin oder deren Ehepartner (später er-weitert auch auf Lebenspartner) unverschul-det in Not geraten war, wurde von Seiten derKammer unkonventionell nach sorgfältigerPrüfung der Gesamtumstände Hilfe gewährtdurch einmalige Überbrückungszahlungen,aber auch durch zum Teil lebenslange fort-laufende Unterstützung. Zur weiteren Finan-zierung erfolgte kurz vor Weihnachten einSpendenaufruf an die Kollegenschaft.

Das immer wieder erfreuliche Sammeler-gebnis ermöglichte dem Vorstand, ohne inAnspruchnahme von Mitgliedsbeiträgen, alledrängenden Notfälle zu lindern.

In diesem Zusammenhang darf das Sterbe-geld nicht vergessen werden, eine Einmal-zahlung der Kammer, die unabhängig vonjeweiliger Bedürftigkeit im Falle des Able-bens an die nächsten Angehörigen ausge-zahlt wurde und wird, um ein, wie es ur-sprünglich hieß, standesgemäßes Begräbniszu ermöglichen. Dieses häufig von außer-münchnerischen Kollegen mit Geringschät-zung betrachtete Sterbegeld hat sich in einergroßen Zahl von Fällen als Hilfe für die An-gehörigen erwiesen, da es sofort zur Aus-zahlung kam auf ein von den Angehörigenanzugebendes Konto, während der Nach-lass, auch wenn er noch so beträchtlich war,in vielen Fällen nicht für sofortige Zahlungen,wie insbesondere die Begräbniskosten, zur

Verfügung stand. Bei den immer wieder zurDiskussion gestellten Fragen der Fortfüh-rung des Sterbegeldes sollte dieser Ge-sichtspunkt, der einen wesentlichen Anteilzur Wertschätzung der Institution Kammer inFachkreisen beitrug, nicht gering bewertetwerden.

Der ständige Zuwachs an Rechtsvorschriftenund obergerichtlichen Entscheidungen, dieimmer mehr auf spezielle Sachverhalte ab-stellten und ihre allgemeine Leitfunktion ver-nachlässigten, führte zu einer Diversifizie-rung der Rechtsvorgaben und einem unge-heueren Anwachsen des dem Anwalt zurVerfügung stehenden Materials. Deutlichwird dies an der ständig steigenden Zahl vonFachzeitschriften. Die nicht immer verständ-liche Verschärfung der Haftungsrechtspre-chung durch die Obergerichte zu Lasten desAnwalts kam hinzu. Vom Deutschen Anwalt-verein und nur einem gewerblichem Anbieterwurden damals Fortbildungsseminare ange-boten, die jedoch wegen der damit verbun-denen Kosten und der häufig schwierigenErreichbarkeit des Ausbildungsortes für dieMehrzahl der Kollegenschaft nur mit Mühewahrzunehmen waren.

Es war deshalb die RechtsanwaltskammerMünchen, die im Jahre 1979 mit den erstenäußerst preisgünstigen Fortbildungssemina-ren begann, und zwar zunächst am Wo-chenende im schönen Kloster Scheyern,später in Fischbachau im Richterheim, unddamit den Grundstein legte für ein eigenesAusbildungsprogramm, das entgegen allemWiderstand der zwischenzeitlich zahlreichengewerblichen Anbieter und vor allem auchdem Widerstand aus eigenen Reihen, nachwie vor mit Erfolg fortgesetzt wird, wie diegroße Zahl der die Kammerseminare be-suchenden Kollegen zeigt. Als Schwach-stelle dieser nunmehr mit wenigen Ausnah-men nur noch in München umfangreich an-gebotenen Fortbildung wird angesehen dieVernachlässigung der zwischenzeitlich zah-lenmäßig erstarkten Kollegenschaft in denweiter entfernten Landgerichtsbezirken,die sich weitestgehend – ohne Hilfe derKammer – ihre Fortbildung selbst organisie-ren müssen.

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Das Jahr 1983 war für die damals jüngereKollegenschaft von erheblicher Bedeutungim Hinblick auf die Alterssicherung gewor-den und ist es bis heute geblieben. Nachzweimaligen Negativentscheidungen in denvorangegangenen Jahren wurde im Jahr1983 eine Urabstimmung in der Kollegen-schaft durchgeführt, in welcher sich 75,8 %der Teilnehmenden für eine Pflichtmitglied-schaft in einem berufsständischen Versor-gungswerk entschieden. Damit war die Vor-aussetzung geschaffen für das BayerischeVersorgungswerk, das sich schon nach we-nigen Jahren als segensreiche Einrichtungerwies und heute allen Neuzugelassenen dieMöglichkeit einer von staatlichen Beeinflus-sungen freien berufsständischen Altersver-sorgung bietet.

Ebenfalls im Jahre 1983 begann die Einbin-dung der Anwaltschaft in die Erarbeitungeines Maßnahmenkatalogs zur Entlastungder Gerichte. Die Kammer München hat sichan diesen Diskussionen maßgeblich betei-ligt. Die Notwendigkeit von Kompromiss-lösungen in großen Gremien führte aller-dings dazu, dass bis heute durchgreifendeErgebnisse – mit Ausnahme von Rechts-mittelbeschränkungen – nicht erzielt wurden.

Nachdem die Kollegenschaft in 14 Großver-anstaltungen detailliert informiert und unter-richtet worden war, nahm im Jahr 1984 dieBayerische Rechtsanwaltsversorgung ihreTätigkeit auf. Die Kammer München hattejedem Kollegen, der aufgrund seines fortge-schrittenen Alters nur wahlweise diesemVersorgungswerk beitreten konnte, die Mög-lichkeit eingeräumt, sich bei einem Fachkol-legen hier beraten zu lassen, inwieweit eslohnend sei, durch freiwilligen Beitritt undZahlung – zum Teil erheblicher – Beträgediesem Versorgungswerk beizutreten. Vondieser Informationsmöglichkeit wurde regerund – wie ich meine – ertragreicher Ge-brauch gemacht, wenngleich auch damalsschon vielen Kollegen die Mittel dafür fehl-ten, von der sicherlich wirtschaftlich sinnvol-len Einzahlung größerer Beträge in das Ver-sorgungswerk Gebrauch zu machen. Auchhier hat der Vorstand der Kammer unter demGesichtspunkt der Fürsorge auf Darlehens-basis einer großen Anzahl von Kolleginnen

und Kollegen helfen können, durch Einzah-lung in das Versorgungswerk Rentenan-sprüche zu begründen. Ein erfreuliches Er-gebnis war, dass diese Kolleginnen undKollegen ihre Darlehen, die ihnen den Eintrittin das Versorgungswerk ermöglicht hatten,weitestgehend auf Heller und Pfennig an dieKammer zum Teil mit Dankesschreiben zu-rückbezahlt haben.

Zwei völlig andere Aspekte standen im Jahr1985 im Vordergrund des Kammergesche-hens. Zum einen war dies die Eröffnung desSeehauses in Seeshaupt am StarnbergerSee, das am 20./21. Juni der anwaltlichenÖffentlichkeit übergeben wurde. Die Rechts-anwaltskammer München hat dieses See-haus geerbt von Herrn Kollegen Gänssler,der unter der Auflage, dass es der Anwalt-schaft zugute kommen möge, dieses Anwe-sen am Starnberger See der Rechtsanwalts-kammer als Nacherbin vermachte. Sowohlvom Rechtlichen wie vom Tatsächlichen herwar es nicht ganz einfach, dieses Erbe an-zutreten. Nach vielen Beratungen wurde zu-nächst das hübsche, aber total vernachläs-sigte Anwesen instand gesetzt und zumweiteren Betrieb des Seehauses ein Vereingegründet. Über diesen steht dieses Kleinodnach wie vor gegen geringes Entgelt allenKolleginnen und Kollegen zur Verfügung undwird wegen der guten Betreuung und derschönen Lage auch gerne genutzt. Ein wei-terer Erbfall stellte den Vorstand vor die Ent-scheidung, den Gegenwert eines Vermächt-nisses entweder zu zwei Dritteln der Univer-sität München zu überlassen oder aber dasGebäude in der Gundelindenstraße in Mün-chen selbst zu übernehmen. Der Vorstandhat sich für Letzteres entschieden und damitdie Möglichkeit erhalten, alten und würdigenKollegen eine angemessene Altersunterkunftbieten zu können.

Im gleichen Jahr wurden erstmals offizielleKontakte zu ausländischen Kammern aufge-nommen, wobei die Initiative von diesenKammern ausging. Bordeaux, Partnerstadtder Landeshauptstadt München, hatte durchseinen Bayern verbundenen Präsidentenzum Besuch eingeladen. Der Gegenbesuchführte dann zu einer auch vertraglich fixier-ten gegenseitigen Unterstützung, vor allem

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bei der Unterbringung von Referendaren.Zum anderen hatte die Kammer Mailand imRahmen der Erweiterung ihrer Auslandsbe-ziehungen die Kammer München eingeladenzur jährlichen Eröffnung des Gerichtsjahres.Pracht und Pomp dieser Veranstaltung stan-den im krassen Widerspruch zu der sonsti-gen Ausstattung der Mailänder Justiz. Dieserdamals aufgenommene Kontakt setzt sichfort und gibt den Teilnehmern jeweils ein an-schauliches Bild, mit welchen Schwierigkei-ten andere Anwaltschaften und Gerichtsbar-keiten im jeweiligen Teil Europas zu kämp-fen haben.

Am 25.10.1985 im Münchener Rathaus: Batonnier del‘Ordre Bertrand Favreau (re.) und Präsident EckartWarmuth (li.) unterzeichnen das Partnerschaftsab-kommen

Einen neuen Aspekt der Juristenausbildungbrachte das Jahr 1986. Mit großer Mehrheitbeschloss der Kammervorstand die Einrich-tung von Einführungsseminaren für jungeRechtsanwälte. Ziel dieser leider zeitlich engbegrenzten Veranstaltung ist es, den Blickzu öffnen für anwaltliche Betätigung imSpannungsfeld zwischen Mandant, Gegnerund Gericht. Diese Einführungsveranstaltun-gen haben sich zu einer Institution entwi-ckelt, die nach wie vor – wenn auch in ge-änderter Form – fortgeführt und von denjungen Kollegen gerne wahrgenommen wird.Ergänzt wurden diese Einführungsseminaredann im Jahr 1987 durch die so genanntenBegrüßungsveranstaltungen für junge An-wälte. Diese Veranstaltungen zielen daraufab, allen neu zugelassenen Kolleginnen undKollegen die Kammer als ihre Organisationnahe zu bringen und das Wissen zu vermit-

teln, dass die Kammer im Interesse des Be-rufs tätig wird und auch die Aufsichtsfunktio-nen nicht um ihrer selbst willen, sondern imHinblick auf das Wohlergehen der gesamtenAnwaltschaft ausübt.

Der 70. Geburtstag des EhrenpräsidentenWarmuth im November 1987 gab dann Ge-legenheit, im November wieder einmal sämt-liche Spitzen der bayerischen Justiz zu-sammenzubringen zu einer Veranstaltung inder Bayerischen Residenz. Die Kammer warstets darum bemüht, die persönlichen Kon-takte zu allen Repräsentanten der bayeri-schen Justiz, von den Präsidenten und Di-rektoren der Gerichte über die General-staatsanwälte bis zu den Ministerien, zupflegen. Viele Einzelprobleme, gerade auchzwischen einzelnen Kolleginnen und Kolle-gen einerseits, der Staatsanwaltschaft undden Gerichten oder Verwaltungsbehördenandererseits, konnten deshalb auf dem un-mittelbaren informellen Weg einer meistensbeiderseits befriedigenden Lösung zugeführtwerden.

1988 galt es dem Vorwurf zu begegnen, derVorstand schwebe auf höherer Ebene undentferne sich von den Vorstellungen seinerMitglieder. Zu diesem Zwecke wurde eineBefragung der Mitglieder zu den damals imMittelpunkt stehenden Fragen des „Standes-rechts“ durchgeführt. Zum großen Erstau-nen, nicht nur des Münchner Kammervor-standes, wünschten sich 90 % der Befragteneine berufsrechtliche Regulierung des Wer-beverhaltens und der Kollegialität. Dabei warzum Erstaunen Vieler kein Unterschied imAbstimmungsverhalten zwischen den beidenGroßstädten München und Augsburg undden Landgerichtsbezirken Deggendorf bisKempten festzustellen.

Mit der im gleichen Jahr eingeführten prakti-schen Studienzeit beim Anwalt wurde – voneiner anderen Ausgangsbasis aus – schondamals die Berufsbezogenheit in der univer-sitären Ausbildung eingeführt. WesentlichesGewicht wurde gelegt auf die außergericht-liche Streitbereinigung. Das Seminar „Kon-fliktmanagement“ brachte nicht nur vomWort, sondern auch vom Inhalt neue As-pekte in das anwaltliche Berufsleben. Die

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Einrichtung des neuen Landgerichts Ingol-stadt und die Errichtung der ersten Schlich-tungsstelle beim Amtsgericht Münchenführten zu einiger Unruhe in der Kollegen-schaft, die in Abstimmung mit dem jeweili-gen Gerichtspräsidenten kurzfristig beseitigtwerden konnte.

Im Jahr 1989 war die räumliche Erweiterungder Kammer unumgänglich geworden. Trotzdes damals beschränkten Angebots gelanges, ein Gebäude, die Landwehrstraße 61,anzumieten und damit für eine angemesse-ne Unterbringung nicht nur der Geschäfts-stelle, sondern auch für die Einrichtung ei-nes eigenen Ausbildungssaales Platz zuschaffen. Dieser wurde mit dem Veranstal-tungszyklus Anwaltsausbildung eingeweiht.Die der Anwaltschaft wohlgesinnte Vermiete-rin sorgte für friedliche Stimmung im Innen-hof durch einen fröhlich plätschernden Tau-benbrunnen.

Die Kammerversammlung im Jahr 1989 be-auftragte den Kammervorstand, er möge beider Bundesrechtsanwaltskammer auf eineDemokratisierung drängen, unabhängig vonder Zahl der Mitglieder der jeweiligen Kam-mer; hatte doch jede Kammer nur eineStimme (und hat sie heute noch). Formalkönnte dies zu einer Benachteiligung dergroßen, insbesondere der größten Kammer,der Kammer München, führen. Ich glaube,dass sich daraus ein Nachteil nicht ergebenhat, da es sicherlich gelungen ist, auch ohneStimmengewicht die Belange unserer Kam-mer in der Bundesrechtsanwaltskammer zurGeltung zu bringen.

Die Wiedervereinigung und die sich darausergebenden Fragen haben die Vorstands-tätigkeit im Jahre 1990/91 weitgehend in An-spruch genommen. Anwälte des Kammer-bezirks, die sich nur zeitweise ohne dauern-de Niederlassung in den neuen Bundeslän-dern betätigten, oder Mithilfe von Anwältenunseres Bezirks bei der Beschleunigung zurAbwicklung offener Vermögensfragen, stan-den neben den lokalen Fragen, wie der Um-gliederung der Amtsgerichte Erding undFreising aus dem Landgerichtsbezirk Mün-chen II und der Zuordnung zum LandgerichtLandshut mit ihren Auswirkungen und der

dadurch erforderlich gewordenen Informa-tion und Beratung der Kollegen, im Vorder-grund. Überlegungen, dem auffallendenRückgang der Ausbildungsverhältnisse da-durch entgegenzuwirken, dass man den Be-ruf der/des Rechtsanwaltsfachangestellte/nauch schon während der Ausbildungszeitattraktiver gestaltet, führten zur Bürovorste-herausbildung, die seit dieser Zeit in geson-derten Kursen erfolgreich durchgeführt wird.

Am 11.8.1992 wurde unsere LandshuterKollegin Frau Ute Ertel im Gerichtssaal er-mordet. Mit der Teilnahme an den Beerdi-gungsfeierlichkeiten hat der Vorstand nichtnur seine Verbundenheit mit Herrn KollegenErtel, sondern seine Betroffenheit über denTod als Folge beruflichen Eintretens deutlichbekundet.

Wie so häufig war die Kammer Münchenihrer Zeit voraus, als sie im Jahr 1993„125 Jahre Freie Advokatur“ im Rahmeneines Festaktes mit österreichischen, italie-nischen und französischen Kollegen in Mün-chen beging. Anlass war die bereits ein-gangs genannte Schrift von Rudolf Gneistzur Freien Advokatur in Preußen aus demJahre 1867. Die Verabschiedung einerReichsrechtsanwaltsordnung, die für ganzDeutschland einheitlich und erstmals dieFreiheit der Advokatur brachte, folgte aller-dings erst im Jahre 1878 (in Kraft getretenam 1.10.1879).

Den Bestrebungen um eine „Demokratisie-rung des anwaltlichen Berufes“ war die Bun-desregierung durch die Einführung der Sat-zungsversammlung in das anwaltliche Be-rufsrecht näher getreten. Die erste Ver-sammlung fand im Jahre 1994 statt. Mit gro-ßem Elan ging die Versammlung die Auf-gabe an, das anwaltliche Berufsrecht aufeine mehrheitlich getragene Plattform zustellen. Welche Schwierigkeiten dies mit sichbrachte, ergaben die folgenden Satzungs-versammlungen.

Vielen Kollegen wird noch in Erinnerungsein, dass die Zeitschrift Focus mit ihrerFortsetzungsserie über die 500 besten An-wälte Deutschlands erhebliche Unruhe her-vorrief. Im Interesse der Kollegenschaft hatsich die Kammer München gegen dieses

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öffentliche „Ranking“ auf unzureichenderGrundlage zur Wehr gesetzt und damit er-reicht, dass die Grenzen solcher Darstellun-gen vom BGH so festgelegt worden sind,dass eine Wiederholung dieser Unterneh-mungen nicht mehr erfolgt ist.

Im Jahr 1995 mussten wir im April unserenEhrenpräsidenten Eckhart Warmuth beerdi-gen. Die erste Satzungsversammlung inBerlin beschäftigte sich weitgehend mit demAnwalt im Zweitberuf. Die rechtspolitischeDiskussion über Konfliktregelung ohne Ge-richt wurde fortgeführt durch den Vortrag„Schlichten statt Richten“ des damaligenJustizministers und Kollegen Leeb in derKammerversammlung. Die Berufshaftpflicht-versicherung für Anwälte wurde zur Pflicht-versicherung.

Die sprunghafte Aufwärtsentwicklung wurdedeutlich, als die Kammer im Jahr 1997ihr 10.000-stes Mitglied begrüßen konnte.Gleichzeitig erreichte die Bilanzsummeder Bayerischen Rechtsanwaltsversorgung1 Mrd. DM. Die Unruhe in der Kollegenschaftüber die Abschaffung der Gerichtsferien, diein diesem Jahr in Kraft trat, hat sich erstaun-lich schnell gelegt.

Den Wechsel im Amt des Präsidentendes Bayerischen Anwaltsgerichtshofs vonSchroeder auf Sernetz hat die Kammer inder gebotenen Form gewürdigt. Die auf-grund des geänderten Berufsrechts inKanzleibroschüren und auf Briefköpfen im-mer mehr auftauchenden Interessen- undTätigkeitsschwerpunkte beschäftigten denVorstand weit mehr als der Beitritt der Kam-mer zur UIA (Union Internationale des Avo-cats), der einen neuen Ansatzpunkt für dieKontaktpflege mit auswärtigen Kammern bil-dete.

Die Auswirkungen von Anwalts-GmbH undPartnerschaftsgesellschaft, die Beschäfti-gung von Kollegen in festen Dienstverhält-nissen bis hin zur treuhänderischen Über-nahme von GmbH-Anteilen für Nichtanwältebeschäftigte den Vorstand im Jahr 1998.

Im gleichen Jahr gelang es genau 60 Jahrenach der Reichsprogromnacht vom 9.11.1938,dank der beharrlichen Vorarbeit unseres frü-

heren Geschäftsführers und späteren Vor-standsmitglieds Dr. Gralla im Justizpalasteine Gedenktafel mit den Namen aller imKammerbezirk verfolgten jüdischen Kollegenanzubringen, die anlässlich der Eröffnungder Ausstellung „Anwalt ohne Recht“ enthülltwurde (abgedruckt auf S. 14).

In Fortführung der Bemühungen um außerge-richtliche Streitbeilegung beteiligte sich dieKammer am Modellprojekt „Wiedergut-machung im Strafverfahren über anwaltlicheSchlichtungsstellen“. Neben der ersten An-walts-GmbH im Kammerbezirk standen imMittelpunkt der Vorstandstätigkeit die Prob-leme der Scheinselbstständigkeit von Kolle-ginnen und Kollegen, ein Problemkreis, dernach wie vor aktuell, und gerade im Jahre2004 unter dem Aspekt der Interessen-kollision Gegenstand zahlreicher Diskus-sionen ist.

An der Beerdigung des Nestors derBayerischen Anwaltschaft, RechtsanwaltDr. Fritz Ostler, nahm ein großer Teil derVorstandsmitglieder teil. Es war auch imJahr 1999, als sich der Vorstand mit derFrage Geldwäsche und Anwaltshonorar auf-grund der ersten – nicht immer nachvoll-ziehbaren – Gerichtsentscheidungen be-schäftigen musste.

Die ab dem Jahre 2000 anstehenden Ver-änderungen, nämlich die Freigabe derPostulationsfähigkeit vor den Landgerichtenund die Einschränkungen der Rechtsmitteldurch die ZPO-Reform, waren Anlass für diedrei bayerischen Kammern, gemeinsam ineiner ganzseitigen Anzeige in den großenTageszeitungen an die Öffentlichkeit zutreten. Dies mag in Zusammenarbeit mit derRichterschaft mitgeholfen haben, dass dieschwerstwiegenden Eingriffe in das Verfah-rensrecht letztendlich doch abgewendetwerden konnten. Die nicht überschaubarenFolgen der Geldwäscherichtlinie wie auchder Niederlassungsrichtlinie, die am 14.3.2000in Kraft trat, haben – wegen ihrer nichtunbedenklichen Auswirkungen und der da-durch in der Kollegenschaft entstande-nen Unruhe – den Vorstand mehrfach be-schäftigt.

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Gedenktafel mit den Namen aller im Kammerbezirk verfolgten jüdischen Kollegen im Justizpalast München

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Ereignisreich für den Vorstand war das Jahr2001. Es wurde zunächst überschattet vomTod unseres Augsburger VizepräsidentenDr. Waibel und dem Tod des über Jahr-zehnte dem Kammervorstand angehören-den, weit über die Grenzen unseres Kam-merbezirkes hinaus bekannten KollegenKlaka. Mit der Gründung des Vereins zurFörderung des Instituts für Anwaltsrecht ander Ludwig-Maximilians-Universität in Mün-chen wurde der Grundstein gelegt für dieAufnahme der Anwaltsausbildung schon ander Universität.

Mit der Einführung des automatischenMahnverfahrens bei dem zentralen Ein-gangsgericht in Coburg zum 1.10.2001 wur-de die Modernisierung der bayerischen Jus-tiz fortgesetzt. Die Tagung der Arbeitsge-meinschaft der Präsidenten der Anwaltsge-richtshöfe sowie die Hauptversammlung derBundesrechtsanwaltskammer am 26.10.2001in München gaben Gelegenheit – verbundenmit der Vorstellung der „Charta der Rechtedes Mandanten“ – die Anwaltschaft als Ge-samtheit positiv der Öffentlichkeit zu präsen-tieren.

Nach umfangreichen Erneuerungs- und Um-bauarbeiten wurde im Herbst 2002 das neueGebäude der Kammer im Tal 33 eröffnet.Damit konnte das jährliche Treffen der be-nachbarten und befreundeten Kammern, ei-ner Einrichtung, die dem beruflichen Gedan-kenaustausch der süddeutschen, österrei-chischen und norditalienischen Kammerndient und gemeinsame Interessen im Hin-blick auf eine europäische Anwaltschaft ent-wickelt, im neuen Haus durchgeführt wer-den. Mit einem Informationstag im neuenGebäude Tal 33 wurde die von Professor Fi-scher gestaltete Statue im Eingangsbereichder Kollegenschaft vorgestellt.

Nachdem das deutsche Geldwäschegesetzmit – im Hinblick auf die Anwaltschaft – eini-gen Verbesserungen in Kraft getreten war,musste sich der Vorstand mit den Gesetz-entwürfen über eine Erweiterung gesetzlichzulässiger Abhörmaßnahmen (Großer Lausch-angriff), in die auch die Anwaltschaft miteinbezogen werden sollte, beschäftigen.Parallel dazu drohte die Einführung der Ge-

werbesteuer auch für Freiberufler. Zumin-dest bis auf weiteres blieben die freien Be-rufe von der Gewerbesteuer befreit. DieAuseinandersetzungen, ob nun Abhörmaß-nahmen, die auch Gespräche des Mandan-ten mit dem Anwalt erfassen, und derenVerwertung zulässig sind, sind noch nichtabgeschlossen.

Anlässlich der Verkündung der Reichs-rechtsanwaltsordnung im Juni 1878, im Jah-re 2003 also vor 125 Jahren, veranstaltetedie Kammer in Augsburg einen Festakt, zudem auch die Präsidenten der Gerichte ausdem Kammerbezirk eingeladen waren undauf dem der aus Augsburg stammendePräsident des Bundesgerichtshofs Prof.Dr. Günter Hirsch den Festvortrag hielt(abgedruckt in: RAK-Mitteilungen III/2003,S. 3 ff.).

Das Jahr 2004 stand im Zeichen der Reformdes Rechtsberatungsgesetzes, das dieStellung des Anwalts als dem gebotenen Be-rater in allen Rechtsangelegenheiten in Fra-ge stellt. Wie weit die Vorstellungen derBundesregierung hier zu Lasten der Anwalt-schaft und des rechtsuchenden Publikumsumgesetzt werden, lässt sich noch nicht er-kennen. Fest steht allerdings, dass das zum1.7.2004 in Kraft getretene neue Rechtsan-waltsvergütungsgesetz, das die BRAGO ab-löste, nur eine geringe Verbesserung derwirtschaftlichen Situation für die Anwaltschaftmit sich bringt und eine Gleichstellung mitanderen Berufsgruppen nicht zulässt. Begon-nen wurde die Anwaltsausbildung an der Uni-versität München.

Darüber hinaus steht das Jubiläumsjahr 2004im Zeichen der neuen Informationstechnolo-gie. Nachdem mit dem automatisiertenMahnverfahren, dem elektronischen Handels-register und dem elektronischen Grundbucherste Probeläufe erfolgreich verlaufen sind,haben Bundesrechtsanwaltskammer undDeutscher Anwaltverein mit der Gründung ei-ner gemeinsamen Kommission die Grundla-ge für eine angemessene Beteiligung derAnwaltschaft an der Entwicklung der in die-sem Bereich notwendigen gesetzlichen Re-gelungen geschaffen. Deren sinnvolle An-wendung unter Berücksichtigung und Auf-

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rechterhaltung von Datenschutz und Berufs-verschwiegenheit ist eine unmittelbar anste-hende Aufgabe der gesamten deutschenAnwaltschaft, zu deren Lösung die KammerMünchen ihren Beitrag leisten wird. Die Zu-sammenarbeit mit DATEV und die Aufnahme

als Zertifizierungsdiensteanbieter sind hier einerster Schritt in eine, wie wir uns alle wün-schen und hoffen, Erfolg versprechende Zu-kunft zum Wohle der Recht suchenden Bür-ger, der Kollegen und damit auch zum Wohleder gesamten Anwaltschaft.

Charta der Rechte des Mandanten

Der Mandant hat

1.das Recht auf anwaltlichen Beistand eines von ihm frei gewählten Anwalts seines Vertrauenszu jeder Zeit, auch wenn er nicht über ausreichende Mittel verfügt,

2.das Recht auf einen persönlich und wirtschaftlich, auch von staatlicher Gewalt unabhängigenAnwalt,

3.das Recht auf einen Anwalt, der von Weisungen und Einflüssen Dritter frei ist,

4.das Recht auf einen der absoluten Verschwiegenheit – auch gegenüber Gerichten und Behör-den – verpflichteten Anwalt, dessen Vertraulichkeit im persönlichen, telefonischen und schriftli-chen Verkehr gewährleistet ist,

5.das Recht auf einen Anwalt, der sorgfältig und ausschließlich die Interessen des Mandantenund keine widerstreitenden Interessen vertritt,

6.das Recht auf vollständige Berücksichtigung des Vorbringen seines Anwalts,

7.das Recht auf einen qualifizierten und fachlich geprüften Anwalt, der für fehlerhafte Dienstleis-tung haftet,

8.das Recht auf eine prüfbare Abrechnung der anwaltlichen Dienstleistung.

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Entwicklung der Kammer1979 – 2004

Hansjörg StaehleRechtsanwaltPräsident der RAK München

1. Die Mitglieder

Die Mitgliederzahl

Am 31.12.1979 zählte die Rechtsanwalts-kammer für den OberlandesgerichtsbezirkMünchen 4.652 Mitglieder. Sie war bereitsdamals die mitgliederstärkste Kammer, ge-folgt mit einigem Abstand von den Rechts-anwaltskammern Hamm mit 4.031 undFrankfurt am Main mit 3.891 Mitgliedern. Dietraditionelle „Spitzenstellung“ in der Mit-gliederzahl ist teilweise aus der geographi-schen Größe des Kammerbezirks, vor allemaber aus der Attraktivität des StandortesMünchen heraus zu erklären. München be-herbergte auch seit jeher eine ungewöhnlichgroße Zahl von Gerichten aller Gerichts-barkeiten und Instanzen.

Am 31.12.2003 hatte die Rechtsanwalts-kammer München 15.272 Mitglieder (am2.8.2004 betrug die Mitgliederzahl 15.697),gefolgt von der Kammer Frankfurt am Mainmit 13.651 Mitgliedern, Hamm mit 11.566und Köln mit 10.031 Mitgliedern. Die kleins-ten Rechtsanwaltskammern im Bundesge-biet sind Zweibrücken mit 1.275 und Saar-brücken mit 1.197 Mitgliedern (BRAK-Mitt.2003, S. 124).

In den 80-iger Jahren steigerte sich die Zahlder Mitglieder der Kammer München von4.652 am 1.1.1980 auf 7.123 Mitglieder am1.1.1990. Das entspricht einem Zuwachs

von ca. 53 % in einem Jahrzehnt. Von 1990bis Ende 1999 war die Zahl der Mitgliederum ca. weitere 69 % auf 12.031 gestiegen.In den vier Jahren von 1.1.2000 –31.12.2003 war ein weiterer Anstieg umknapp 27 % auf 15.272 Mitglieder zu ver-zeichnen.

Manchen mag es bei diesen hohen Zah-len erstaunen, dass der Mitgliederzu-wachs in München sogar etwas geringerist als im Bundesdurchschnitt. Die Zahlder zugelassenen Anwälte betrug am1.1.1980 bundesweit 36.077 gegenüberheute 126.793 Rechtsanwältinnen undRechtsanwälten (Stand 1.1.2004). Bundes-weit ist also seit 1980 eine Steigerung derAnwaltszahl von ca. 250 %, in München einesolche von knapp 230 % zu verzeichnen.Auch gegenwärtig steigt die Mitgliederzahlin München unterhalb des Bundesdurch-schnitts. Der Zuwachs flacht seit demHöchststand im Jahr 2001 offenbar etwasab: Steigerte sich die Zahl der Mitglieder2001 um 963, so verminderte sich der Net-tozuwachs im Jahr 2002 auf 822 und im ver-gangenen Jahr auf 632 neue Mitglieder. Ab-zuwarten bleibt, ob sich diese Tendenz zueinem Trend stabilisiert, was schon im Jahr2007 zu einer tendenziell stabilen Mitglie-derzahl führen könnte.

Alter und Geschlecht

Wenig Änderungen sind bei der altersmäßi-gen Schichtung feststellbar, wie folgendeÜbersicht zeigt:

Stand heute:

Mitglieder jünger als 40 Jahre 7.140 45,7 %Mitglieder 40–49 Jahre 4.089 26,0 %Mitglieder 50–59 Jahre 2.336 14,9 %Mitglieder 60–69 Jahre 1.151 9,0 %Mitglieder 70 Jahre und älter 555 3,5 %

Zum Vergleich:

Die Prozentzahlen für Mitglieder bis 40 Jah-re am 15.4.1980: 46 %; am 31.12.1985:39,3 %; am 1.1.1992 40 %.

Der Anteil weiblicher Mitglieder steigt konti-nuierlich. Der Prozentsatz der zugelassenenRechtsanwältinnen betrug 1980 ca. 8,9 %,

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18 Hansjörg Staehle

im Jahr 1990 bereits 15,7 % und heute ca.30,6 %. Da bei den Neuzulassungen ca.40 % auf weibliche Mitglieder entfallen, mitsteigender Tendenz, erhöht sich der Ge-samtanteil der Rechtsanwältinnen jährlichum ca. einen Prozentpunkt.

Fachanwälte

Die Entwicklung der Fachanwaltschaften imKammerbezirk ist in dem Beitrag von Clau-sen (S. 76 ff.) dargestellt. Der Anteil derFachanwälte liegt heute im Kammerbezirkbei ca. 11,32 % der Mitglieder und damit imBereich des Bundesdurchschnitts.

Verteilung nach LG-Bezirken

Die Verteilung der Mitglieder auf die 10 Land-gerichtsbezirke ergibt sich aus folgenderÜbersicht:

Landgerichtsbezirk Zugelassene ProzentMitglieder

München I 10.102 64,03 %München II 1.501 9,51 %Augsburg 1.224 7,76 %Traunstein 701 4,44 %Landshut 568 3,60 %Ingolstadt 416 2,64 %Kempten 383 2,43 %Memmingen 320 2,03 %Passau 280 1,77 %Deggendorf 139 0,88 %

Einen Sonderfall bildet zweifellos der LG-Bezirk München I mit nicht weniger als10.102 Mitgliedern. Er erklärt sich aus derAttraktivität Münchens mit seiner großenjuristischen Fakultät an der Ludwig-Maximilians-Universität. Seit jeher beher-bergt München eine große Zahl von Gerich-ten. Es ist „Pflichtstandort“ großer Sozietä-ten. Als Versicherungsmetropole, bedeuten-der Bankenstandort, Zentrum der Medien-wirtschaft und der IT-Unternehmen ist Mün-chen sowohl für freiberuflich tätige Anwälte,als auch insbesondere für Zweitberufler ge-eignet, die haupt- oder nebenberuflich einerAngestelltentätigkeit nachgehen. Trotz derhohen Anwaltsdichte in München liegt dieBayerische Landeshauptstadt nach Ham-

burg und Düsseldorf erst an dritter Stelle –wenn auch mit minimalem Abstand.

2. Der Vorstand

Heinrich führt in seiner Monographie „100 Jah-re Rechtsanwaltskammer München“ aufS. 238/239 die 32 im Jahr 1979 amtierendenVorstandsmitglieder auf. Anlässlich der or-dentlichen Wahlen zum Kammervorstand imJahr 1980 schieden die Kollegen Otto Paep-cke, Dr. Anton Sienz und Dr. Hans Schmidt-Siebeth aus dem Kammervorstand aus. Fürsie wurden die Rechtsanwälte Dr. Christophvon Heimendahl, Dr. Fritz-Eckehard Kemp-ter und Hansjörg Staehle neu gewählt. ImJahre 1980 gehörten dem Vorstand damitfolgende Mitglieder an (soweit kein Kanzlei-ort angegeben ist, waren die Vorstandsmit-glieder beim LG München I zugelassen):

Dr. Karl Erich BachmayrHans Gerhard BeckDr. Hans Ludwig DonleChristina Edmond von KirschbaumDr. Paul Ermer/GünzburgDr. Jürgen F. ErnstBernhard Floegel/LandshutWalter Forstner/DeggendorfHans GaßnerDr. Robert GeigelDr. Georg Gruno/AugsburgDr. Christoph von HeimendahlDr. Gerhard Hettinger/AugsburgOttheinz KääbWerner KästleDr. Fritz-Eckehard KempterHans Aegidius KirchnerRainer KlakaDr. Harald KleineMarion Liebl-BlittersdorffDr. Erwin LohnerGünter MaullOtto Wolfgang MüllerDr. Götz PollzienDr. Walter Pothmann/KemptenHelmut Raab/TraunsteinDr. Andreas ReinersDr. Hans Reiter/RosenheimHansjörg StaehleEckart Warmuth

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Gottfried Wörner/AugsburgPeter Wrba/Tegernsee

Anlässlich der ordentlichen Kammervor-standswahlen 1982 schieden folgendeKollegen aus: Dr. Karl Erich Bachmayr,Dr. Robert Geigel, Dr. Walter Pothmann undDr. Hans Reiter. Neu gewählt wurden:Dr. Uwe Clausen, Dr. Rupert Haslinger,Dr. Albert Hägele/Kempten, Freimut Höch-städter/Ingolstadt.

Im Jahre 1983 fand eine Ersatzwahl für denaus gesundheitlichen Gründen vorzeitigausgeschiedenen Walter Forstner/Deggen-dorf statt. Gewählt wurde Dr. ChristianLangnickel/Deggendorf.

1984 schied der Kollege Günter Maull aus.Neu gewählt wurde Dr. Werner Scheuer/Rosenheim.

1986 schieden folgende Kollegen aus:Dr. Robert Haslinger, Hans Aegidius Kirch-ner, Marion Liebl-Blittersdorff und Otto Wolf-gang Müller. Neu gewählt wurden Dr. FranzBockhorni/Garmisch-Partenkirchen, StefanFriederich, Dr. Doris Kloster-Harz undJürgen Völtz.

1988 schieden aus: Dr. Paul Ermer, StephanFriederich, Dr. Harald Kleine, Dr. ChristianLangnickel und Helmut Raab. Neu gewähltwurden Ernst Burgmair/Dachau, TheodorGötze/Viechtach, Armin Griessbach/Traun-stein und Helga Anna Teich.

Ab dem Jahr 1990 erhöhte sich die Zahl derVorstandsmitglieder aufgrund eines Be-schlusses der Kammerversammlung (§ 63Abs. 2 Satz 2 BRAO) von 32 auf 34. Esschieden 1990 aus: Dr. Georg Gruno,Dr. Doris Kloster-Harz, Helga Anna Teich,Jürgen Völtz und der langjährige PräsidentEckart Warmuth, der zum Ehrenpräsidentunserer Kammer ernannt wurde. Neu ge-wählt wurden Dieter Fasel/Memmingen,Peter Klima, Uwe Frhr. von Saalfeld,Dr. Eberhard Waibel/Augsburg, SabineWernet und Klaus Zehner/Passau.

1992 schieden aus: Stephan Friederich,Armin Griessbach und Dr. Götz Pollzien.

Neu gewählt wurden Jürgen Bestelmeyer,Wolfgang Prestele und Cornelia Rohleder/Traunstein.

1994 schieden aus: Hans Gerhard Beck,Ernst Burgmair, Wolfgang Prestele undDr. Andreas Reiners. Neu gewählt wurdender langjährige Hauptgeschäftsführer derKammer nach seinem Eintritt in den Ruhe-stand, Dr. Giselher Gralla, sowie HeinzMerk/Peißenberg und Dr. Eckhart Müller.1996 schieden aus: Armin Griess-bach/Traunstein, Rainer Klaka, Dr. WernerScheuer und Helga Anna Teich sowie Gott-fried Wörner. Neu gewählt wurden Rolf-Werner Bock, Petra Heinicke, Dr. ChristofKrüger, Dr. Thomas Weckbach/Ausburg undDr. Heinrich Thomas Wrede/Prien amChiemsee.1998 schieden aus: Hans Gaßner und Sabi-ne Wernet. Neu gewählt wurden JürgenVöltz, der in den Vorstand zurückkehrte, undDr. Michael von Waldthausen.Im Jahr 2000 schieden aus: Rolf-WernerBock, Theodor Götze, Dr. Christoph vonHeimendahl, Werner Kästle, Dr. Erwin Loh-ner, Uwe Freiherr von Saalfeld, Dr. Michaelvon Waldhausen und Peter Wrba. Neu ge-wählt wurden Andreas Dietzel/Gauting, Mar-kus Eigner, Sabine Feller, Dr. Heinz Giebel-mann, Andreas von Mariassy, Max Pausen-berger/Deggendorf, Helga Anna Teich, die inden Vorstand zurückkehrte, sowie MichaelThen und Jochen Uher.Am 12.2.2001 war Vizepräsident Dr. Eber-hard Waibel verstorben. Anlässlich der Vor-standswahlen im Jahr 2002 schieden aus:Dr. Franz Bockhorni, Markus Eigner,Dr. Jürgen F. Ernst, der langjährige Präsi-dent und heutige Ehrenpräsident, BernhardFloegel und Peter Klima. Neu gewählt wur-den Martin Bläser/Garmisch-Partenkirchen,Angelica von der Decken, Gerhard De-cker/Augsburg, Christian Klima, der Sohndes ausgeschiedenen Vizepräsidenten PeterKlima, Gabriele Loewenfeld und Harald Sei-ler/Landshut.

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2004 schließlich schieden die Kollegen MaxPausenberger/Deggendorf und der Vize-präsident unserer Kammer, Dr. GerhardHettinger/Augsburg, aus dem Vorstand aus.Neu gewählt wurden die Kollegen Dr. Mi-chael Schröter/Viechtach und Werner Weiss/Augsburg. Damit setzt sich der Kammervor-stand für die Wahlperiode 2004/2006 wiefolgt zusammen (Kanzleiorte wiederum nurbei den auswärtigen Kollegen erwähnt):

Jürgen BestelmeyerMartin Bläser/Garmisch-PartenkirchenDr. Uwe ClausenAngelica von der DeckenGerhard Decker/AugsburgAndreas Dietzel/GautingDr. Hans Ludwig DonleChristina Edmond von KirschbaumDieter Fasel/MemmingenSabine FellerDr. Heinz GiebelmannDr. Albert Hägele/KemptenPetra HeinickeFreimut Höchstädter/IngolstadtOttheinz KääbDr. Fritz-Eckehard KempterChristian KlimaDr. Christof KrügerGabriele LoewenfeldAndreas von MariassyHeinz Merk/PeißenbergDr. Eckhart MüllerCornelia Rohleder/TraunsteinDr. Michael Schröter/ViechtachHarald Seiler / LandshutHansjörg StaehleHelga Anna TeichMichael ThenJochen UherJürgen VöltzDr. Thomas Weckbach/AugsburgWerner Weiss / AugsburgDr. Heinrich Thomas Wrede/ Prien am ChiemseeKlaus Zehner/Passau

Die ehrenamtliche Arbeit im Kammervor-stand ist mühevoll und zeitaufwändig. Sie istaber auch, wie jede über den Tellerrandeigener Interessen hinausreichende Tätig-keit, befriedigend. Einen Ausdruck findetdiese Befriedigung in dem oft langjährigen

Engagement der Vorstandsmitglieder. Vonden vor 25 Jahren, also im Jahre 1979, am-tierenden Vorstandsmitgliedern gehörenimmerhin drei noch heute dem Vorstand an:Dr. Hans-Ludwig Donle, Christina Edmondvon Kirschbaum und der unverwüstliche Ott-heinz Kääb, Alterspräsident des Kammer-vorstands.

Einer langjährigen Übung entsprechend (vgl.Heinrich, S. 242) zieht der Vorstand Kolle-ginnen und Kollegen gemäß § 76 Abs. 1Satz 2 BRAO „zur Mitarbeit heran“, die sichfür die Vorstandsarbeit interessieren undengagieren. Sie leisten als Berichterstatterder einzelnen Vorstandsabteilungen vollwer-tige Arbeit als Referenten. Gegenwärtig sinddies in alphabetischer Reihenfolge, folgendeKolleginnen und Kollegen:

Celia Elsdörfer, Irmgard Etlinger, Peter Kli-ma, Dr. Dr. Hans-Jürgen Kramer, WolfgangPrestele, Gudrun Rößler und JoachimSchwarzenau. Eine besondere Verbunden-heit mit der Kammerarbeit drückt sich darinaus, dass mit den Kollegen WolfgangPrestele und dem vormaligen Vizepräsiden-ten Peter Klima Vorstandsmitglieder nachihrem Ausscheiden sich noch weiterhin alsMitarbeiter zur Verfügung stellen.

Die Vorstandsabteilungen

Schon 1968 (vgl. Heinrich, S. 241 f.) war derVorstand dazu übergegangen, seine Aufga-ben in der Regel nicht durch das großeGremium des Gesamtvorstandes, sonderndurch dazu gebildete Abteilungen mit über-schaubarer Mitgliederzahl zu erledigen (§ 77BRAO). Die Alltagsarbeit des Kammervor-stands wäre ohne eine solche Aufteilungschlicht nicht zu bewältigen. Der Kammer-vorstand hat zehn Abteilungen gebildet, dieunter der Leitung besonders erfahrener Kol-legen stehen. Die Abteilung I (Vorsitz: And-reas von Mariassy), II (Vorsitz: HeinzMerk/Peißenberg) und X (Vorsitz: JochenUher) befassen sich mit der Berufsaufsicht,d.h. sie sind für die berufsrechtliche Beur-teilung von Beschwerdeangelegenheiten be-rufen. Ihre Zuständigkeit ist für den LG-Bezirk München I alphabetisch, im Übrigen

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örtlich nach Landgerichtsbezirken aufgeteilt.Drei Vorstandsabteilungen, nämlich die Ab-teilung III (Vorsitz: Christina Edmond vonKirschbaum), II (Vorsitz: Jürgen Völtz) undV (Vorsitz: Jürgen Bestelmeyer) sind für dieErstattung gebührenrechtlicher Gutachtenzuständig. Solche sind bekanntlich von denGerichten einzuholen, wenn die Angemes-senheit von Rahmengebühren in Honorar-streitigkeiten zwischen Rechtsanwalt undMandant streitig werden (§ 12 Abs. 2BRAGO bzw. § 14 Abs. 2 RVG). Darüberhinaus werden gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 8BRAO auch in sonstigen gebührenrechtli-chen Streitfragen Gutachten des Kammer-vorstandes durch die drei Gebührenabtei-lungen erstattet.

Sitzung der Abteilung VI – Fachanwaltschaften,RBerG – am 7.2.2003 (im Bild v.l.n.r.: RA FreimutHöchstädter, RA Andreas von Mariassy, RA Dr. UweClausen, RAin Angelica v. der Decken)

Für die Zulassung von Fachanwälten unddie Verfolgung von Verstößen gegen dasRBerG ist die Abteilung VI des Kammervor-standes (Vorsitz: Dr. Hans Ludwig Donle)zuständig. Mit den wichtigen Bereichender Aus- und Fortbildung von Kammermit-gliedern, Referendaren und Studierendenbefasst sich die Abteilung VII unter derlangjährigen, verdienstvollen Leitung desKollegen Ottheinz Kääb (vgl. dazu auchdessen Beitrag zur Aus- und Fortbildung,S. 72 ff.). Die Abteilung VIII (Vorsitz: DieterFasel/Memmingen) befasst sich mit der Öf-fentlichkeitsarbeit der Kammer und die Ab-teilung IX (Vorsitz: Dr. Christof Krüger) mitden Bereichen internationale Beziehungen,

EU-Recht und Zulassung ausländischerKollegen nach §§ 11 ff. EuRAG).

Für den Bereich der Ausbildung der Rechts-anwaltsfachangestellten hat der Vorstand alsBeauftragte nach dem BBiG die KolleginnenPetra Heinicke und Helga Anna Teich sowieFreimut Höchstädter/Ingolstadt bestellt.

Das Präsidium

Eine wichtige Rolle bei der Erfüllung derAufgaben der Kammer spielt naturgemäßdas Präsidium. Als „geschäftsführendesGremium“ hat es die Geschäfte des Vor-standes zu erledigen und das Kammerver-mögen zu verwalten (§ 79 BRAO). Jeder-mann kann sich ausmalen, dass mit derFührung einer Selbstverwaltungskörper-schaft von nahezu 16.000 Mitgliedern einhoher Zeit- und Arbeitsaufwand verbundenist.

Die Mitglieder des Präsidiums werden vomVorstand „aus seiner Mitte“ gewählt. Im Ge-setz (§ 78 BRAO) sind mindestens vier Prä-sidiumsmitglieder – Präsident, Vizepräsi-dent, Schriftführer, Schatzmeister – vorge-sehen. Die Rechtsanwaltskammer Münchenhatte aber schon vor 25 Jahren von derMöglichkeit Gebrauch gemacht, die Zahl derPräsidiumsmitglieder zu erhöhen (§ 78Abs. 3 BRAO). 1979 – 1982 bestand dasPräsidium aus folgenden fünf Anwaltsper-sönlichkeiten:

Präsident: Eckart WarmuthVizepräsident: Dr. Robert GeigelVizepräsident: Dr. Georg Gruno/AugsburgSchriftführer: Ottheinz KääbSchatzmeisterin: Marion Liebl-Blittersdorff

Die Wahl des Präsidiums findet turnusge-mäß nach jeder ordentlichen Vorstandswahl,also alle zwei Jahre, statt (§ 78 Abs. 4BRAO). Anlässlich der Präsidiumswahl 1982schied Dr. Robert Geigel aus. Die Zahl derPräsidiumsmitglieder wurde vorübergehendauf sechs erhöht. Hinzugewählt wurden dieKollegen Dr. Jürgen F. Ernst und HansGeorg Beck. 1986 schieden die Schatz-meisterin Marion Liebl-Blittersdorff und derSchriftführer Ottheinz Kääb aus dem Präsi-

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dium aus. Neu gewählt wurde als Schatz-meister Dr. Andreas Reiners. Das Präsidiumhatte nun wieder fünf Mitglieder, die 1988 inihren Ämtern bestätigt wurden. 1990 wurdeDr. Jürgen F. Ernst als Nachfolger vonEckart Warmuth zum Präsidenten gewählt.Eckart Warmuth und Dr. Georg Gruno/Augsburg schieden aus. Neu in das Präsi-dium gewählt wurden Gottfried Wörner/Augsburg und Dr. Fritz-Eckehard Kempter.In dieser Besetzung wurde das Präsidium1992 wieder gewählt. 1994 wurde die Zahlder Präsidiumsmitglieder wieder auf sechserhöht. Ferner beschloss der Vorstand,künftig allen Präsidiumsmitgliedern die Be-zeichnung „Vizepräsident (in)“ zu verleihen,eine Erleichterung für die Wahrnehmung derständig wachsenden Repräsentationsauf-gaben in einem großen Kammerbezirk. AllePräsidiumsmitglieder werden vom Vorstandin geheimer Wahl, jedes Präsidiumsmitgliedin einem gesonderten Wahlgang, gewählt.Die fünf Vizepräsidenten vertreten, so derBeschluss des Vorstandes, den Präsidentenin der Reihenfolge ihrer Wahl ins Präsidium,wobei der/die an vierter Stelle Gewähltezugleich das Amt des Schriftführers undder/die an fünfter Stelle Gewählte zu-gleich das Amt des Schatzmeisters wahr-nimmt. Neu gewählt wurden 1994 HansjörgStaehle, Dr. Albert Hägele/Kempten undPeter Klima.

1996 schied Gottfried Wörner/Augsburg aus.An seiner Stelle wurde, einer ungeschriebe-nen Regel folgend, wieder ein Kollege ausAugsburg, wo bis 1945 eine eigene Rechts-anwaltskammer existierte, gewählt, nämlichHerr Kollege Dr. Eberhard Waibel. In der1996 gewählten Zusammensetzung amtiertedas Präsidium über drei Wahlperioden hin-weg bis 2002. Anlässlich der Präsidiums-wahl 2002 wurde Rechtsanwalt HansjörgStaehle als Nachfolger des nach zwölfjähri-ger Präsidententätigkeit ausscheidendenDr. Jürgen F. Ernst gewählt. Für den am12.2.2001 im 55. Lebensjahr allzu früh ver-storbenen Vizepräsidenten Dr. EberhardWaibel wurde Dr. Gerhard Hettinger/Ausburg ins Präsidium gewählt. Er stelltesich nach dreißigjähriger verdienstvollerTätigkeit im Kammervorstand 2004 nicht

mehr zur Vorstandswahl und schied damitauch aus dem Präsidium aus. Der bereitserwähnten Übung folgend wurde wieder einAugsburger Kollege, Dr. Thomas Weckbach,zu seinem Nachfolger ins Präsidium ge-wählt, das sich bei Erscheinen dieser Fest-schrift wie folgt zusammensetzt:

Präsident: Hansjörg StaehleVizepräsident: Dr. Eckhart MüllerVizepräsident: Dr. Thomas Weckbach/

AugsburgVizepräsident: Dr. Albert Hägele/KemptenVizepräsidentin: Cornelia Rohleder/

Traunsteinzugleich Schriftführerin

Vizepräsident: Dr. Fritz-Eckehard Kempterzugleich Schatzmeister

Arbeitsweise von Vorstand und Präsidium

Der Gesamtvorstand tritt mit seinen 34 Mit-gliedern in der Regel zehn Mal pro Jahrzusammen. Auf seiner Agenda stehen dieUnterrichtung über und die Diskussion vonaktuellen Gesetzesvorhaben und Entschei-dungen sowie die Behandlungen von Ein-zelfall-Problemen, die wegen ihrer besonde-ren Bedeutung durch die einzelnen Vor-standsabteilungen dem Gesamtvorstand vor-gelegt werden. Zuständig ist der Gesamtvor-stand nach der Geschäftsordnung auch zurEntscheidung über Einsprüche gegenRügen, welche durch die berufsrechtlichenAbteilungen gegen Kammermitglieder ver-hängt wurden. Der Vorstand hat die Belangeder Rechtsanwaltskammer zu wahren undzu fördern (§ 73 Abs. 1 Satz 2 BRAO). Diegenerelle Willensbildung der Rechtsanwalts-kammer findet also im Gesamtvorstand statt.

Ebenfalls zehn Mal jährlich treten die einzel-nen Vorstandsabteilungen zu Arbeitssitzun-gen zusammen. Häufig erzwingt allerdingsder Arbeitsanfall zusätzliche Sitzungen.

Das Präsidium nimmt praktisch die Funktioneiner zusätzlichen Vorstandsabteilung wahr,in der zum einen die Sitzungen des Gesamt-vorstandes vorbereitet, zum anderen Ange-legenheiten in delegierter Zuständigkeit fürden Gesamtvorstand behandelt und ent-schieden werden. Von besonderer Bedeu-

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tung sind negative Entscheidungen überZulassungsanträge (positive Entscheidun-gen sind gemäß § 80 Abs. 4 BRAO durchVorstandsbeschluss dem Präsidenten allei-ne übertragen) und der Widerruf von Zulas-sungen zur Rechtsanwaltschaft. Das Präsi-dium tagt in vierzehntägigen Abständen.An der Arbeitsweise von Vorstand und Prä-sidium als solcher hat sich in den vergange-nen 25 Jahren wenig geändert (vgl. Heinrich,S. 241 f.). Jedoch haben sich durch viel-fachen Wandel rechtlicher Grundlagen –erweiterte Zuständigkeiten (z.B. Zulas-sungswesen, Fachanwaltschaften), Ge-wichtsverschiebungen im Berufsrecht (z.B.

Wegfall des Werbeverbots) – und durch diemodernen Möglichkeiten der Kommunikationdie Inhalte verändert und die Abläufe be-schleunigt.

Die Kammerarbeit hat sich im Laufe derletzten 25 Jahre in ähnlich grundlegenderWeise dem modernen „Geschäftsleben“ an-passen müssen, wie es für die Arbeit jedereinzelnen Kollegin, jedes einzelnen Kollegender Fall gewesen ist.

Vorstandssitzungssaal

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24 Stephan Kopp

Die Geschäftsstelle derRechtsanwaltskammer

Stephan KoppRechtsanwaltStellvertretender Hauptgeschäftsführerder RAK München

In der Festschrift „100 Jahre Rechtsanwalts-kammer München“ schloss der damaligeGeschäftsführer und Festschriftherausgeber,Rechtsanwalt Dr. Robert Heinrich1, seinenBeitrag zum „Personal der Kammer“2 mitdem Satz: „Die Zeiten haben sich in denhundert Jahren verändert, die Zahl derKammermitglieder ist auf das Zweiundzwan-zigfache der damaligen angestiegen – dementspricht das innere und äußere Anwach-sen der Kammertätigkeiten und der Kam-mergeschäftsstelle.“

Die Mitgliederentwicklung und der damit zu-sammenhängende Personalbedarf der Kam-mergeschäftsstelle in den darauf folgenden25 Jahren dürften wohl alles übertroffenhaben, was sich Rechtsanwalt Dr. Heinrichhätte vorstellen können. Inzwischen zähltdie Rechtsanwaltskammer München über15.700 Mitglieder. Gegenüber dem Mitglie-derstand im Gründungsjahr stellt dies das78-fache3 dar. Selbst gegenüber dem Zeit-punkt der Herausgabe der ersten Festschriftim Jahre 1979 mit einem Mitgliederstand von

_________1 Bei Personen mit Berufsbezeichnung wird aus aus red.

Gründen auf den Zusatz „Herr“ bzw. „Frau“ verzichtet2 Vgl. Heinrich, 100 Jahre Rechtsanwaltskammer München,

S. 352 – 3573 Vgl. Heinrich, 100 Jahre Rechtsanwaltskammer München,

S. 20 f.: Am 13.11.1879 zählte die Rechtsanwaltskammer203 Mitglieder. In den Jahren 1878/79 waren 112 königli-che Advokaten, davon 44 in München, registriert

4.600 hat sich die Anzahl der Kammermit-glieder mehr als verdreifacht4.

Dieser hohe Mitgliederzuwachs und die da-mit verbundenen Tätigkeiten der Geschäfts-stelle im Zusammenhang mit dem Zulas-sungswesen, der Berufsaufsicht, der Er-stellung von Gutachten, der Einführung undErweiterung der Fachanwaltschaften, derIntensivierung der anwaltspezifischen Juris-tenausbildung, der europäischen und welt-weiten Verflechtung der Anwaltschaft sowieder Übertragung der Aufgaben und Befug-nisse der Landesjustizverwaltung im Zu-sammenhang mit der Zulassung zur Rechts-anwaltschaft zum 1.1.20005 vom Oberlan-desgericht München auf die Rechtsanwalts-kammer München bedingten eine weiterepersonelle und strukturelle Veränderung derGeschäftsstelle.

1. Die hauptamtliche Geschäftsführung be-stand zunächst aus Rechtsanwalt Dr. RobertHeinrich6, der 1969 aus dem Amt des Präsi-denten ausschied und sich voll und ganzder Leitung der Geschäftsstelle widmete. Alssog. „zweiter Geschäftsführer“ wurde 1974Rechtsanwalt Dr. Giselher Gralla eingestellt.Dieser war bis zu seinem Ausscheiden imJahre 1994 mit großem Engagement u.a. inden Fragen der Organisation der Anwalt-schaft im Allgemeinen wie der Rechtsan-waltskammer München im Konkreten tätig.Er vertrat die Rechtsanwaltskammer Mün-chen in zahlreichen Ausschüssen der BRAKund wirkte bei der Einführung der erstenFachanwaltschaften, bei der Aus- und Fort-bildung der Rechtsanwaltsfachangestellten7

sowie bei der Erfüllung der sonstigen Auf-gaben nach dem Bundesbildungsgesetz8,der Ausarbeitung eines Aktenordnungspla-

_________4 Der Mitgliederstand betrug am 1.1.1980 4.652 Mitglieder.

Am 1.1.1945 zählte die Kammer 680 Mitglieder (Vgl. Hein-rich, 100 Jahre Rechtsanwaltskammer München, S. 209)

5 §§ 1 und 4 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung zur Übertragungvon Aufgaben und Befugnissen der Landesjustizver-waltung nach §§ 224, 224 a BRAO vom 2.3.1999 –BayGVBl. Nr. 6/1999, S. 81

6 Vgl. Heinrich, 100 Jahre Rechtsanwaltskammer München,S. 208

7 Frühere Bezeichnung bis 1996: Rechtsanwaltsgehilfenbzw. -gehilfinnen

8 Herr Rechtsanwalt Dr. Gralla war lange Jahre bis zu sei-nem Tod im Jahre 2001 auch Vorsitzender des Berufsbil-dungsausschusses der Rechtsanwaltskammer München

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Stephan Kopp 25

nes für die Rechtsanwaltskammern inDeutschland sowie bei der Koordinierungdes EG-Dienstleistungs- und Niederlas-sungsrechts mit. Ihm ist weitgehend die Er-richtung der berufsständischen Altersversor-gung in Bayern in Form der BayerischenRechtsanwaltsversorgung (BRAV), seit demJahr 2001 Bayerische Rechtsanwalts- undSteuerberaterversorgung (BRAStV), zu ver-danken9. Ebenso war er 1989 federführendfür den Umzug der Kammergeschäftsstellevom Gebäude der Deutschen Bank bzw. derBayerischen Börse am Lenbachplatz10 indas Gebäude Landwehrstraße 6111 zustän-dig. Im Anschluss an seine Geschäftsfüh-rertätigkeit wirkte er von 1994 – 2000 nochim Vorstand der Kammer verdienstvoll mit,insbesondere auch bei der Erstellung derGedenktafel für die in der NS-Zeit verfolgtenund ausgeschlossenen Rechtsanwaltskolle-gen im Münchner Justizpalast.

Als Nachfolger von Rechtsanwalt Dr. Hein-rich war seit 1978 Rechtsanwalt Wolf vonAusin12 16 Jahre lang bis 1994 als Ge-schäftsführer tätig. Er konnte hierbei seinevorausgegangene Tätigkeit als Vorstands-mitglied (1966 – 1967) und als Schatzmeis-ter (1968 – 1977) zum Vorteil der Ge-schäftsstelle in die tägliche Arbeit einbrin-gen. Mit seiner umsichtigen und gewissen-haften Amtsführung betreute er u.a. schwer-punktmäßig das Zulassungswesen und dieBerufsaufsicht. Zu seinen Aufgaben zähltenauch die für die Kammer förderliche Kon-taktpflege zur Justizverwaltung und die Ver-_________9 Herr Rechtsanwalt Dr. Gralla war von 1986 bis 1996 der

erste gewählte „1. Vorsitzende“ des Verwaltungsaus-schusses und von 1995 bis 1996 der erste gewählte„1. Vorsitzende“ des Verwaltungsrats der BRAV

10 Bis 1968 befand sich die Kammergeschäftsstelle inRäumen des Justizpalastes. 1968 wurde sie durch An-mietung des 1. OG im Gebäude Lenbachplatz 2 und durchAnmietung weiterer Räume im Jahre 1975 in der BarerStraße 1 a, in der sich dann die Buchhaltung und der Fort-bildungsraum befanden, verlegt und erweitert. Vgl. hierzuHeinrich, 100 Jahre Rechtsanwaltskammer München,S. 207/208

11 Mit der Nutzung des Erdgeschosses für Fortbildungs-zwecke sowie der Büroräume im 1. und 5. OG standen derKammer rd. 1.100 qm zur Verfügung. Diese Fläche wurdenach Auszug des medizin-technischen Verlages Urban &Fischer im Jahre 1999 mit ca. 200 qm im 2. OG erweitert.Das 6. OG wurde an die Wirtschaftsprüferkammer unter-vermietet

12 Vgl. Heinrich, 100 Jahre Rechtsanwaltskammer München,S. 208

tretung der Kammerinteressen vor den An-waltsgerichten. Zudem betreute er 16 Jahrelang (1981 – 1997) die Münchener JuristischeGesellschaft. Über seine Zeit als Geschäfts-führer hinaus unterstützte er die Geschäfts-führung noch bis Ende 1998 als freier Mitar-beiter, insbesondere bei der Bearbeitungschwieriger Zulassungsverfahren.

Die Geschäftsführung wurde im Jahre 1990mit Rechtsanwalt Henning Hiersemenzel umeinen dritten Geschäftsführer erweitert, derbis 1992 in der Kammer tätig war.

Es zeigte sich bereits Anfang der 90erJahre, dass die Kammertätigkeit zunehmendeine wissenschaftlich ausgerichtete Vorbe-reitung der jeweiligen Materie benötigte. DasPräsidium strebte aus diesem Grunde eineweitere Ergänzung der Geschäftsführung mitwissenschaftlich orientierten Mitarbeitern an.

Zum 1.11.1992 wurde die Geschäftsführungmit Rechtsanwalt Dr. Wieland Horn wiederum einen dritten Geschäftsführer ergänzt. Erwar zuvor seit 1971 als Mitarbeiter einerKanzlei von Anwälten beim BGH, als Leiterdes wissenschaftlichen Dienstes der Hans-Soldan-Stiftung sowie als aktiver Anwalt, vorallem im Gewerblichen Rechtsschutz und imUrheber- und Verlagsrecht, tätig. Ihm obla-gen neben den Aufgaben der Anwaltszulas-sung und der Berufsaufsicht insbesondereauch die Modernisierung der Geschäftsstellemit der Einführung der elektronischen Da-tenverarbeitung und die Zusammenarbeit mitder Firma DATEV in Nürnberg. Darüber hin-aus war er zuständig für die Einrichtung derersten beiden Homepages der Kammer imInternet. Aufgrund seines hohen Engage-ments wirkte er als Gründungsmitglied undSchatzmeister im Verein zur Förderung ei-nes Instituts für Anwaltsrecht sowie im Insti-tut für Rechtsvergleichung mit. Nach Erwei-terung der Geschäftsführung in den Jahren1994 und 1996 um weitere Geschäftsführererhielt er ab Juli 1997 den Titel des Haupt-geschäftsführers und wurde zum Dienstvor-gesetzten aller Angestellten in der Ge-schäftsstelle bestellt.

Zum 1.4.1994 verstärkte Rechtsanwältin Eli-sabeth Schwärzer die Geschäftsführung undarbeitete sich vor allem im Zulassungswesen

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ein, welches sie von Rechtsanwalt von Ausinübernahm. Daneben erhielt sie auch denAufgabenbereich der Berufsbildung derRechtsanwaltsgehilfen bzw. heute derRechtsanwaltsfachangestellten. Ihr obliegtzudem seit 1999 die Verantwortung für dieDurchführung der Fortbildungsprüfungen der„Bürovorsteher/Geschäftsleiter – Bürovor-steherinnen/Geschäftsleiterinnen im Rechts-anwaltsbüro“ bzw. seit 2001 der „GeprüftenRechtsfachwirte/Rechtsfachwirtinnen“.

Nach dem Ausscheiden der GeschäftsführerDr. Gralla und von Ausin zeigte sichbald, dass die Geschäftsführung aufgrunddes anwachsenden Arbeitsumfangs wiedereinen dritten Geschäftsführer benötigte. Ab1.1.1996 wechselte sodann RechtsanwaltStephan Kopp in die Geschäftsführung. Erwar zuvor in einer mittelgroßen wirtschafts-und steuerberatenden Anwaltskanzlei inMünchen tätig und übernahm in der Kammeru.a. die Aufgabenbereiche Berufsaufsicht,Fachanwaltschaften, Anwaltsgesellschaftenund Juristenausbildung. Von 1998 bis in dasJahr 2004 hinein war er zudem intensiv mitFragen und Problemen im Zusammenhangmit dem Erwerb und dem Umbau der neuenKammergeschäftsstelle im Tal befasst13.Darüber hinaus folgte er 1997 Rechtsanwaltvon Ausin als Schriftführer in der MünchenerJuristischen Gesellschaft und auf Empfeh-lung von Rechtsanwalt Dr. Gralla als Ver-treter der Angestellten im Verwaltungsrat derBayerischen Rechtsanwalts- und Steuer-beraterversorgung. Seit April 2003 ist erStellvertretender Hauptgeschäftsführer derKammer.

Vom 1.9.1998 – 30.6.2001 unterstützteRechtsanwalt Dr. Thomas Schmid zunächstals freier Mitarbeiter, dann als Geschäftsfüh-

_________13 Bei der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten für die

Kammergeschäftsstelle prüfte das Präsidium mehr als34 Objekte und besichtigte hiervon rd. 8 Gebäude. Begon-nen von den Vertragsverhandlungen über den Kaufvertragund den Generalübernehmervertrag im Jahre 1998 bis zurAbwicklung der meisten Mängelbeseitigungen im Jahre2004 war die Geschäftsstelle rd. 6 Jahre mit den baujuris-tischen und bautechnischen Fragen der neuen Kammer-immobilie befasst. Sie wurde hierbei unterstützt von juris-tischer Seite von Herrn Rechtsanwalt Jürgen Bestelmeyersowie in technischer Hinsicht von Herrn ArchitektenRoland Jäcklin-Volkert, Herrn Innenarchitekt Toni Tschenkund Herrn Dipl.-Ing. Matthias Locker

rer die Arbeit der Kammergeschäftsstelle.Ihm folgte vom 1.9.2000 – 28.2.2003Rechtsanwalt Florian Draf, dem insbesonde-re die Bereiche der Zulassung der ausländi-schen Rechtsanwälte und der EDV übertra-gen wurden.

Seit Juli 2001 arbeitet Rechtsanwältin Bri-gitte Doppler zunächst als wissenschaftlicheMitarbeiterin, seit August 2002 als Ge-schäftsführerin in der Geschäftsstelle mit.Sie übernahm in ihrem Aufgabenbereich u.a.einen großen Teil der Berufsaufsicht und derFachanwaltschaften. Daneben ist sie seit2002 zuständig für Veranstaltungen derKammer zu besonderen Anlässen, für dasMarketing14 der Kammer und für die Pflegeder Kammerhomepage.

Mit Rechtsanwalt Alexander Siegmund er-hielt die Geschäftsführung ab April 2003 ei-nen weiteren Mitarbeiter der Geschäftsfüh-rung, der am 1.6.2004 zum Geschäftsführerernannt wurde. Er übernahm neben einemTeilbereich der Zulassungen von deutschenRechtsanwälten und der Betreuung der bau-lichen und technischen Anlagen in der Ge-schäftsstelle vor allem die Zulassungsver-fahren für europäische Rechtsanwälte nachdem EuRAG15 und für sonstige ausländischeRechtsanwälte nach §§ 206 f. BRAO sowiedie Betreuung der EDV der Kammer. ImJahr 2004 setzte er die Einführung des bun-deseinheitlichen Anwaltsausweises in unse-rem Kammerbezirk organisatorisch um.

2. Schon bald zeigte sich, dass die Kammerneben den Geschäftsführern weitere juris-tische Mitarbeiter benötigte, die die Tätig-keiten in der Geschäftsstelle vor allem in_________14 Seit 2002 hat die Rechtsanwaltskammer die Buchstaben

„mr“ als Logo. Davor führte sie kein offizielles Logo. ImJahre 1991 befasste sich zwar das Präsidium mit einemLogoentwurf, der sich aus einer Waage und den Wappender Regierungsbezirke Ober- und Niederbayern undSchwaben sowie der Aufschrift „JUSTITIA PACEM REGIT“zusammensetzte, führte ihn offenbar aber nie ein. Für dieUrkunden im Berufsbildungsbereich kreierte Herr Rechts-anwalt Dr. Gralla verschiedene Logos, u.a. aus der Buch-stabenfolge „RAKM“. Von 1996 bis 2002 führten verschie-dene Schreiben und der Übersichtsbogen über den Vor-stand der Kammer das von Herrn Rechtsanwalt Kopp ent-wickelte Logo der drei bayerischen Rauten

15 Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwältein Deutschland vom 9.3.2000 – BGBl. I, S. 182; BGBl. III303-19. Vgl. im Einzelnen Feuerich/Weyland, BRAO, 6.Aufl. 2003, EuRAG, § 1 Rdnrn. 1 ff.

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den Bereichen des Zulassungswesens, derBerufsaufsicht, des Gebührenrechts, derÖffentlichkeitsarbeit und der Begleitung vonGesetzgebungsvorhaben unterstützen. Zudiesem Zweck stellte die Rechtsanwalts-kammer ab Oktober 2002 RechtsanwältinSilke Pfahl zunächst als wissenschaftlicheMitarbeiterin und ab Juni 2003 Rechtsan-wältin Dorothee Klaiß als Referentin ein. Seit2004 sind beide Mitarbeiterinnen als Refe-rentinnen tätig.

3. Mit der Funktion des Geschäftsstellenlei-ters war zunächst Herr Michael Prößl von1964 – 1979 und ab 1980 Dipl.-Rechts-pfleger Karl Sporer betraut.

Als weitere Mitarbeiter der Geschäftsstellewaren neben den bei Heinrich16 bereitserwähnten Mitarbeiterinnen Frau BrigitteHeigl (seit 1969) und Frau Edith Eberl (seit1971) zunächst Frau Anneliese Morbitzer(1972 – 1984) und dann Frau Susanne Hö-ber (seit 1983) umfassend im Sekreta-riatsdienst für das Zulassungswesen, dieBerufsaufsicht, die Berufsbildung und dieJuristenausbildung tätig.

Die „Nothilfe“ der Kammer17 betreute von1968 – 1989 in verdienstvoller Weise für alleBeteiligten Frau Liselotte Wagner18. Ab 1989übernahm diesen Bereich Frau Elborg vonArmin-Spellenberg.

Die Betreuung der Fortbildungsseminare derKammer übertrug das Präsidium 1980 zu-nächst Rechtsanwalt Gerd Gorewoda (bis1998). Die hierfür in der Geschäftsstelle er-forderlichen Registrier- und Schreibarbeitensowie die Kontrolle der Zahlungseingängeoblagen der schon 1978 eingestellten FrauAngelika Bunte, ab 1987 dann Frau MartinaVollprecht. Der wachsende Umfang derFortbildungsveranstaltungen machte es not-wendig, ab 1994 Frau Elborg von Armin-Spellenberg zusätzlich als Sachbearbeiterinmit diesem Bereich zu betrauen.

_________16 Vgl. Heinrich, 100 Jahre Rechtsanwaltskammer München,

S. 35717 Vgl. Heinrich, 100 Jahre Rechtsanwaltskammer München,

S. 202 f.18 Die Nothilfe leitete zunächst seit 1960 Herr Rechtsanwalt

Dr. Otto Paepcke mit ungewöhnlichem Engagement undgroßem Erfolg

Mit der Übertragung der Aufgaben undBefugnisse im Zusammenhang mit derZulassung zur Rechtsanwaltschaft aufdie Rechtsanwaltskammer München gem.§§ 224, 224 a BRAO seit 1.1.2000 und derentsprechenden Verordnung19 stellten sichweitere Herausforderungen an die Arbeits-leistung und die Organisation der Kammer.Dank des Wechsels der JustizangestelltenAchim Schäfer und Waltraud Thiele für dieBereiche Zulassungswesen und Haftpflicht-versicherung sowie von Frau Uta Henck ab1.1.2000 vom Oberlandesgericht Münchenkonnte sich die Kammer die langjährige Er-fahrung im Zulassungswesen weiterhin zuNutze machen. Dies galt umso mehr, als mitJustizamtfrau Karin Üblacker aufgrund einerAbordnung in der Zeit von Dezember 1999bis Ende 2002 eine weitere herausragendeFachkraft zur Verfügung stand. Dank desgroßen Engagements aller Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter der Geschäftsstelle konntendie neuen gesetzlich übertragenen Aufgabenim Zulassungsbereich reibungslos fortge-führt werden. Herr Achim Schäfer übernahmzudem die Aufgabe eines stellvertretendenGeschäftsstellenleiters neben Herrn KarlSporer und ist seit 2002 Vorsitzender desneu gewählten Personalrates20.

Mit den Eintragungen, Änderungen undLöschungen von Personaldaten war seit1977 Frau Brigitte Roth und ab 1990 FrauMariella Pezzi-Roberts (bis 2004) befasst,die dank stetig verbesserter EDV auch fürdie Durchführung von Selektionen und dieErstellung von Statistiken zuständig war.Diesen Bereich übernahm ab Mitte 2004Herr Christian Reiner.

4. In der Buchhaltung ist seit 1977 diebereits bei Heinrich erwähnte Frau KarinMerixbauer mit herausragendem Engage-_________19 §§ 1 und 4 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung zur Übertragung

von Aufgaben und Befugnissen der Landesjustizver-waltung nach §§ 224, 224 a BRAO vom 2.3.1999 –BayGVBl. Nr. 6/1999, S. 81

20 Von 1994 bis 1998 bestand der Personalrat aus FrauSchaller als Vorsitzende und Herrn Sporer. Zuvor übteFrau Merixbauer die Position des Personalrats aus. Von1998 bis 2002 bestand kein Personalrat. Ab 2002 bestehtder Personalrat aus Herrn Schäfer als Vorsitzenden, FrauEberl als stellvertretende Vorsitzende sowie aus FrauEschenlohr, bzw. während deren Erziehungszeit, FrauSpellenberg

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ment tätig. Aufgrund der zunehmenden Auf-gaben wurde sie zunächst von Frau Angeli-ka Fitterer (später verh. Bunte), Frau MartinaVollprecht (seit 1987), Frau Sabine Kauf-mann (seit 1995) und Frau Miriam Hohen-reiter (seit 1998) unterstützt. Aufgrund desWechsels der vorgenannten Mitarbeiterinnenvon Frau Merixbauer in die Sekretariate derGeschäftsführung folgten ihnen Frau RitaStrasser (seit 1999) und Frau JohannaHartshauser (seit 2001) als neue Mitarbeite-rinnen der Buchhaltung nach.

5. Ab 2000 musste die Geschäftsstelle auf-grund der Übertragung der Aufgaben undBefugnisse im Zulassungswesen auf dieRechtsanwaltskammer in den Tätigkeitsbe-reichen der Mitarbeiter umstrukturiert wer-den. Frau Heigl und Frau Höber konzentrie-ren sich seither weitgehend auf die Durch-führung von Zulassungen. Frau Eberl über-nahm schwerpunktmäßig die Ausführung derAufgaben nach dem Berufsbildungsgesetz,zusammen mit Frau Fitterer (später verh.Bunte).

Die Sekretariatsaufgaben für die Ge-schäftsführung wurden sukzessive ab 1996übernommen von Frau Martina Vollprecht,Frau Sabine Kaufmann, Frau Claudia Adena(1999 – 2001), Frau Stephanie Merk (seit1999), die zudem auch die Betreuung der„Mitarbeiterseminare“ für die nichtanwalt-lichen Kanzleiangehörigen übernahm, FrauMiriam Hohenreiter und Frau Sabine Sedl-mair (seit 2003). Aushilfsweise unterstütztsie Frau Henriette Oswald bei der Erledi-gung der Schreibarbeiten.

6. Die Registratur führte zunächst von 1975bis 1984 Herr Alfred Rohrlich, der über seineAngestelltentätigkeit hinaus nach einer Aus-zeit von fünf Jahren der Kammer von 1989bis 1998 noch als freier Mitarbeiter zur Ver-fügung stand. Ihm folgte Frau Paula Fischervon 1984 bis 1990. Ab 1.5.1990 war HerrAugust Hamberger als Registrator tätig. Ihmoblag besonders in der Phase des Umzugsder Geschäftsstelle von der Landwehrstraßeins Tal im Jahre 2002 die schwierige Auf-gabe der Umstrukturierung der Registraturvon liegender und alphabetischer zur hän-genden und nummerischen Ablage. Seiner

gründlichen Arbeitsweise war es zu verdan-ken, dass der Versuch einer Zeitungsjourna-listin, einen Anwaltsausweis durch Vorgabeeiner fremden Identität zu erschwindeln,vereitelt wurde.

Nach seinem Ausscheiden zum 31.1.2003übernahm ab 1.2.2003 Herr Thomas Klein-henz die kompetente Leitung der Registra-tur. Mit dem Ausscheiden von Frau Henckübernahm Mitte 2004 Herr Christian Reinerdie Aufgaben des zweiten Registrators.

In den Aufgabenbereich der Registratur fällttraditionell auch die Ausgabe der An-waltsausweise, die seit April 2004 bundes-einheitlich gestaltet und von der FirmaDATEV in Nürnberg hergestellt werden.

Seit 2002 ist die Rechtsanwaltskammer zu-dem als Zertifizierungsdienste-Anbieter zurAusgabe von Signaturkarten für die elektro-nische Verschlüsselung und Signatur aner-kannt. Dieser Bereich wurde seitens derGeschäftsführung von Herrn Draf (bis Feb-ruar 2003), sodann von Herrn Kopp als Lei-ter und den Herren Siegmund und Schäferals Stellvertreter sowie Frau Kaufmann undHerrn Kleinhenz betreut.

7. Die Zentrale (Empfang, Telefonzentrale,Organisation von Geschäftsreisen) betreutevon 1979 – 1985 Frau Maria Schloer. Ihrfolgten teilweise in Doppelbesetzung FrauChrista Betz (1985 – 1994), Frau SabineBrix (1987 – 1992) und Frau Martha Stoica(1990 – 1992).

Empfang am 7.2.2003 (v.l.n.r.: Agnes Eschenlohr,Gabriele Huber)

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Seit Juni 1992 führte Frau Erika Schaller bisFebruar 2000 die Zentrale, danach FrauAgnes Eschenlohr (seit 1998) und FrauGabriele Huber (seit 2002). Aufgrund der Er-ziehungszeit von Frau Eschenlohr warenzwischenzeitlich Frau Iris Puschner (2003)und Frau Barbara Ginschel (2003) tätig. Seit2004 ist die Zentrale mit Frau Sabine Diet-rich zusammen mit Frau Huber wieder konti-nuierlich besetzt.

8. Im früheren Ehrengericht bzw. dem seitder BRAO-Novelle von 1994 neu be-zeichneten Anwaltsgericht für die Rechtsan-waltskammer des OberlandesgerichtsbezirksMünchen waren zunächst als Leiter HerrChristian Lang (von 1987 – 1997) und zuseiner Unterstützung Frau Inge Jäger (seit1975) tätig. Seit 1997 ist RechtsanwältinPetra Coulibaly zunächst als Mitarbeiterinund dann seit 1998 als Leiterin der Gerichts-geschäftsstelle tätig.

9. Eine wichtige Rolle spielten in der Ge-schichte der Kammer stets die sog. „Hiwis“.Sowohl bei der Bearbeitung der berufsrecht-lichen Fälle als auch bei der Betreuung derFortbildungsveranstaltungen sind sie stetsunentbehrlich gewesen. Bis zur personellenErweiterung der Geschäftsführung in denJahren 2000/2001 waren zur Bearbeitungder berufsrechtlichen Beschwerden alsexterne Mitarbeiter Rechtsanwalt Ernst-Wilhelm Weiß (1986 – 1999) und Rechtsan-walt Gerd Gorewoda (bis 1998) befasst. ImFortbildungsbereich waren dies u.a. HerrGaidosch, Herr Sauerbruch, Frau Staehle,Frau Kröger, Herr Kröger, Frau Hundham-mer, Herr Csanadi, Herr Silbernagel, Herr v.Schickfus und Frau Koch.

10. Für die Sauberkeit der Kammerge-schäftsstelle waren zunächst Frau ElseDrischberger (1971 – 1984), dann FrauChrista Mohr (1980 – 1991) und Frau MariaKurzlechner (1984 – 1988) tätig. Ihnen folg-ten Frau Gülcay Poyraz (1988 – 1997) undFrau Olcay Pala (1990 – 1997). Nach einerPhase der betriebsbedingten Auslagerungdes Reinigungswesens im Jahre 1998 über-nahm Frau Civjeta Vidakovic diese Aufga-

ben (1999 – 2002). Ihr folgten Frau GordanaMilosovic (seit 2001 – 2003), Frau ZorkaSrijemac (seit 1997) und für Frau MilosovicFrau Cornelia Nefzger (seit 2003).

11. Als Besonderheit nannte Heinrich in sei-ner Festschrift noch die Wächter des „An-waltsparkhofs“ im Justizpalast, Herrn CarlIllmer (1968 – 1975) und Herrn Franz Bi-schof (1975 – 1988). Ihm folgte Herr HelmutRech (1988 – 1989). Ein neuer Mitarbeiterwurde zur Betreuung des Anwaltsparkhofesnicht mehr eingestellt. Mit Kündigung desÜberlassungsvertrages durch die Justizver-waltung wegen der anstehenden Erweite-rungsarbeiten für die Justizkantine ging dielangjährige Geschichte des Anwaltsparkho-fes (1954 – 1992) schließlich zu Ende.

12. Die Rechtsanwaltskammer München er-lebt im 125. Jahr ihres Bestehens eine Zeitgroßer Veränderungen im anwaltlichen Be-rufsrecht, einen nahezu ungehemmten Re-formeifer des Gesetzgebers und einen nichtenden wollenden hohen Zuwachs an Mit-gliedern. Eine verbesserte Computersoft-ware und die Einführung eines Datenmana-gementsystems für ein Dokumentenauf-kommen von über 370.000 Seiten pro Jahrsollen hierbei spätestens ab dem Jahr 2005neue Wege der Sachbearbeitung und eineVerbesserung der Büroorganisation ermögli-chen. Der stetige Zuwachs an Kammerauf-gaben in den letzten 25 Jahren und die da-durch bedingte Erweiterung der personellenAusstattung der Geschäftsstelle von 7 Mitar-beitern im Jahre 1979 auf 35 Mitarbeiter imJahre 2004 erfordert auch ein grundsätzli-ches Überdenken der strukturellen Gliede-rung und der funktionellen Arbeitsabläufe inder Geschäftsstelle. Hierfür erarbeitete dieGeschäftsführung im Jahr 2003 ein Organi-sationsschema, das einen Überblick über dieZuständigkeiten in der Geschäftsstelle er-möglicht. Das Präsidium beauftragte zudemim Jahre 2004 einen externen Berater mitder Überprüfung und Überarbeitung der Per-sonalstruktur der Geschäftsstelle, um dieKammer als modernes Dienstleistungsun-ternehmen der Anwaltschaft weiterhin zu-kunftsfähig zu machen.

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30 Jürgen F. Ernst

Persönlichkeiten

Dr. Jürgen F. ErnstRechtsanwaltEhrenpräsident der RAK München

In den vergangenen fünfundzwanzig Jahrenhat uns eine Reihe großer Anwaltspersön-lichkeiten für immer verlassen.

Ihr Wirken im Beruf und für die Anwaltschaftwar durchaus unterschiedlich, aber beispiel-haft und prägend. Ihrer sei mit den nachste-henden Einzelportraits gedacht.

Dr. Alfred Endrös

1914 – 2004

Anwalt in Zeiten des Umbruchs

Auf wenige Anwälte wird diese Überschriftso gut anwendbar sein wie auf Dr. Endrös.Vom Stil her ein Anwalt alten Schlages, zu-rückhaltend in der Formulierung, präzis inder Durchsetzung und immer bemüht, dasGute im Menschen zu sehen, sei es der Be-schuldigte im damaligen ehrengerichtlichenVerfahren, sei es der Gegner.

Als Dr. Endrös im Februar 1949 unter derListennummer 1472 in das Anwaltsverzeich-nis der Kammer München eingetragen wur-de, waren die schwersten Jahre seines Le-bens überstanden. Mit dem Antrag auf Zu-lassung als Assessor zum anwaltschaft-lichen Anwärterdienst im Jahre 1942 mussteer nicht nur in umfangreichen Ausführungenseine Herkunft darlegen, sondern auch unter

dem Stichwort „Abstammungsverhältnis“ die„Deutschblütigkeit“ versichern. Die bean-tragte Zulassung zur Aufnahme in den an-waltlichen Anwärterdienst wurde nur ge-nehmigt unter der Bedingung, dass der auf-nehmende Anwalt sich verpflichtet, die ge-setzlichen Bezüge des Assessors aus eige-nen Mitteln zu bestreiten. Zur Aufnahme derTätigkeit kam es nicht, weil Herr KollegeEndrös als Leutnant eines Infanteriere-giments die Feldzüge in Frankreich undRussland mitmachte. An die kurze Kriegs-gefangenschaft schloss sich unmittelbar dieAufnahme des anwaltlichen Probedienstesan, bis er im Februar 1949 zur Anwaltschaftzugelassen wurde. Als einer der ersten wur-de Herr Rechtsanwalt Dr. Endrös im Februar1949 zum Fachanwalt für Steuerrecht – auf-grund Beschluss des Kammervorstandes –bestellt. Diese Auszeichnung bestätigt, wassein Ausbildungsanwalt der Kammer schonvorher mitgeteilt hatte, dass Herr Rechtsan-walt Dr. Alfred Endrös für den Beruf desRechtsanwalts „vorzugsweise“ geeignet sei.Dieser vorzugsweisen Eignung opferte erauch seine anderen beruflichen Möglichkei-ten, für die er während seiner Zeit alsAssistent des Instituts für Wirtschaftsrechtan der Universität München die Grundlagengelegt hatte. Durch die Wahl seinerberuflichen Schwerpunkte im gesellschafts-rechtlichen-, kartellrechtlichen- und bank-rechtlichen Bereich war er allen Neuerungenaufgeschlossen. Seine Leidenschaft galt derEinführung der EDV mit moderner Textbear-beitung an vernetzten Arbeitsplätzen, deranwaltlichen Konfliktlösung durch den Wirt-schaftsanwalt als speziell geschultem Ver-treter mittelständischer Unternehmen unddem Berufsstand insgesamt. Über 20 Jahrewar Herr Dr. Endrös Mitglied eines Senatsdes Bayerischen Ehrengerichtshofs. Seinevornehme Zurückhaltung, sein Mitgefühl mitjedem, auch solchen, die nach MeinungAußenstehender es nicht verdient hätten,haben seine Ausstrahlung geprägt. In einemDankesbrief des damaligen PräsidentenWarmuth an Herrn Dr. Endrös wird er be-zeichnet als der Mäzen der Alten und Kran-ken. Seine jährlichen namhaften Spenden fürdie Nothilfe der Anwaltschaft begründete ereinmal mit einem Hinweis darauf, „dass bei

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Petrus eines Tages nur die den Mitmenschengeschenkten Kopeken zählen“. Verständnisfür den Mitmenschen, berufliches Ethos undunerbittliches Eintreten für das Recht warender Inhalt seines Anwaltslebens. Der Anwalt-schaft ist zu wünschen, dass sie noch vieleseinesgleichen hervorbringt.

Dr. Georg Gruno

1922 – 1994

Die Spannung stieg in jeder Vorstandssit-zung, wenn Georg Gruno, der Vizepräsidentder Kammer, das Wort ergriff. Prägnant imAusdruck, messerscharf in der Formulierungwaren seine Ausführungen. Wehe dem Vor-redner, der mit Allgemein-Plätzen berufs-rechtliche Entscheidungen zu rechtfertigenoder auch zu begründen suchte.

Grunos Stellungnahmen waren kurz – waswir alle vor allem in den Vorstandssitzungenam Freitagnachmittag zu würdigen wuss-ten –, aber sie waren deutlich. Vielleicht wares die begonnene theologisch-philo-sophische Ausbildung an der HochschuleDillingen, die seine prägnante Ausdrucks-weise geformt hat. Gern wurde er vom Prä-sidium in den BRAK-Hauptversammlungenan das Pult geschickt, um dort die Münche-ner Interessen, die sich weitgehend mit denbayerischen Interessen deckten, zu vertre-ten. Fast immer folgte die Beschlussfassungseinem Vorschlag.

Sein größter anwaltlicher Wunsch, den ermit Leidenschaft vertrat, wurde jedoch nichterfüllt. Seit ich ihn kennen lernte, trat er einfür die Gründung einer eigenen KammerAugsburg; alle Versuche in der Nachkriegs-zeit – in Erinnerung an die 20er Jahre, eineigenes Oberlandesgericht in Augsburg ein-zurichten – blieben, aus gesamtbayerischerSicht zu Recht, ohne Erfolg.

Die Interessen der Augsburger Anwaltschaftlagen bei ihm in besten Händen; doch hatGeorg Gruno bei allen vertretenen Lokal-interessen niemals das Wohl der gesamtenbayerischen Anwaltschaft aus dem Blickfeldverloren. Anwaltliches Berufsethos war für

ihn kein leeres Wort. Unabhängigkeit deseinzelnen Anwalts, wie erst recht die Unab-hängigkeit der Rechtsanwaltskammern ge-genüber Weisungen des Staatsministeriumsder Justiz, waren stets auf seine Fahnen ge-schrieben, mit denen er gegen jedes Un-recht zu Felde zog, ungeachtet persönlicherVerluste. Grunos Verdienst war es, dass dieWahlordnung zugunsten der Landgerichts-bezirke außerhalb Münchens geändert wur-de, hatten doch Anwälte aus den anderenLandgerichtsbezirken gegen die überwie-gende Anzahl der in München niedergelas-senen Kollegen keine Chance, in den Vor-stand gewählt zu werden. Die jetzige Aus-gewogenheit im Kammervorstand und diedarin zum Ausdruck kommende Berücksich-tigung auch der kleineren Landgerichtsbezir-ke sind sein bleibendes Verdienst. SeinenAnstößen war es zu verdanken, dass die inden 70er Jahren in den Anfängen steckendeAnwaltsfortbildung an der Rechtsanwalts-kammer München aufgenommen und zumWohle von Mandanten und Anwaltschaftausgebaut wurde. Wer an den ersten vonGruno geleiteten Wochenendseminaren teil-genommen hat, wird ihn in bleibender Erin-nerung behalten.

Schon 1975 hat der Bundespräsident durchdie Verleihung des Verdienstordens derBundesrepublik Deutschland Georg Grunofür den unermüdlichen Einsatz für das Ge-meinwohl gewürdigt.

Rainer Klaka

1927 – 2001

Als Rechtsanwalt Klaka sich im April 1996nach 28jähriger Tätigkeit im Kammervor-stand mit einer Festrede verabschiedete,legte er das Motto offen, unter welches erseine ehrenamtliche Tätigkeit stets gestellthatte – Konfuzius soll vor ca. 2500 Jahrengesagt haben: „Fordere viel von dir selbstund erwarte wenig von anderen, so bleibt dirviel Ärger erspart“.

Klaka hat nicht nur sehr viel von sich selbstgefordert, er hat auch viel getan für die An-

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32 Jürgen F. Ernst

waltschaft, für die RechtsanwaltskammerMünchen, der er seit 1968 bis zum Mai 1996angehörte und in der er in führender Weisedie damals als Abteilung für Standesrechtbezeichnete Berufsrechtabteilung leitete. Alslangjähriges Mitglied des Richtlinienaus-schusses der Bundesrechtsanwaltskammerhat er maßgebliche Akzente zur Fortent-wicklung des anwaltlichen Standesrechtsgesetzt.

Wie sich die Zeiten verändern, lässt sich ausseiner Personalakte entnehmen. Bei derZulassung zum „Probedienst“ (Assessoren-zeit) wurde er darauf hingewiesen, dass eram Ort des Probedienstes nur dann zuge-lassen werden könne, wenn der Anwalt, beidem er den Probedienst ableiste, mit seinerZulassung am gleichen Ort einverstandensei. Seine Gesuche um Bestellung einesVertreters wurden bis Ende der 70er Jahreeingehend damit begründet, dass seine be-rufliche Tätigkeit schwerpunktmäßig auf demGebiet des gewerblichen Rechtsschutzes,Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts liegeund dies ihn im Gegensatz zu üblicher an-waltlicher Tätigkeit zu häufigen Reisen imBundesgebiet zwinge.

Sein berufliches Ansehen, das Gewicht sei-ner Argumentation kam dem Ansehen derKammer München zugute. Die wiederholtenVorschläge, sich in das Präsidium der Kam-mer wählen zu lassen, lehnte er stets abunter Hinweis auf seine umfangreiche Be-lastung als Mitglied der deutschen Vereini-gung für Gewerblichen Rechtsschutz undUrheberrecht und der StudienvereinigungKartellrecht e.V. Er war es, der, nachdem ernoch 1943 bis 1945 in der Luftwaffe dienteund unter großen Entbehrungen im Jahr1948 das Erste Juristische Staatsexamenabgelegt hat, zahlreiche hitzige Diskussio-nen mit wohl formulierten und vor allem alleAspekte abdeckenden Lösungsvorschlägenbeendete. Seine jeweiligen Kurzbegründun-gen waren in ihrer Prägnanz so überzeu-gend, dass alle Vorstandsmitglieder, die mitihm zusammen tätig waren, ihm ewig dank-bar sein müssen für die viele ersparte Zeit.

Distanzwahrende Zurückhaltung im Umgangmit Gegner und Gericht wurden wohltuend

ergänzt durch die Offenheit und Freundlich-keit, womit er all denjenigen begegnete, mitdenen er beruflich oder persönlich zusam-menarbeitete. Seine Arbeitskraft schien un-erschöpflich. Nie hat er sich irgendeinerTätigkeit entzogen. Seine beruflichen Erfah-rungen und seine juristischen Interessenlassen sich in seinen zahlreichen Veröffent-lichungen nachverfolgen. Mit der Kommen-tierung der 4. Auflage zum Warenzeichen-gesetz (WZG, Althammer/Klaka/Ströbele,Heymanns-Verlag) hat er sich selbst einDenkmal gesetzt.

Der Kammer wird er in Erinnerung bleibenals einer derjenigen, der seiner Vorbilds-funktion als Vorstandsmitglied immer undüberall gerecht wurde.

Dr. Fritz Ostler

1907 – 1999

Münchens, ja Bayerns Anwaltschaft warnicht nur die vergangenen 25 Jahre, sondernschon seit Bestehen der Bundesrepublik festverbunden mit dem Namen Dr. Fritz Ostler.Er entsprach dem Bild des streitbaren An-walts, der keiner Auseinandersetzung ausdem Wege ging, und des Anwalts, der imInteresse des Berufsstandes die strikte Ein-haltung berufsrechtlicher Regeln forderte.Konfrontationen mit Gegnern, aber auch mitden Gerichten, waren vorprogrammiert. Sei-ne scharfe Zunge und sein glänzender Stilmachten selbst Auseinandersetzungen mitihm zum Vergnügen. Im Widerspruch zumNS-Regime stehend, wurde er bereits imNovember 1945 von der amerikanischenMilitärregierung wieder zur Anwaltschaft zu-gelassen. Sorge um das Erscheinungsbildder Anwaltschaft veranlassten ihn, schon1949 nach der Wiedergründung des DAV inCoburg diesem beizutreten und in den fol-genden Jahren die führende Stelle nicht nurim Münchner Anwaltverein, sondern imBayerischen Anwaltverband zu übernehmenund im Deutschen Anwaltverein als Vize-präsident in prägender Weise zu wirken.Wer Fritz Ostler persönlich kannte, weiß,dass gegen seine Stimme dort nichts ent-

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schieden werden konnte. Sein scharferIntellekt, verbunden mit einer überdeutlichenDarstellungsweise, begründeten seine Über-zeugungskraft. Unerschöpflich schien seineArbeitskraft.

Soweit aus Unterlagen feststellbar, began-nen seine wissenschaftlichen Veröffent-lichungen mit der Schrift „Der Deutsche An-walt“ im Jahr 1962. Die von ihm herausge-gebenen „Bayerischen Justizgesetze“ er-lebten mehrere Auflagen. Insgesamt wurdenüber 160 Veröffentlichungen gezählt. SeineTätigkeit als Lehrbeauftragter, Mitherausge-ber der NJW und Mitkommentator des Stau-dingers zeichnen das Bild eines Anwaltes,der weit über seine beruflichen Tätigkeitenhinaus für das Recht und dessen Durchset-zung eintrat. Es wird kaum eine Veranstal-tung gegeben haben, die so viele Spitzen-vertreter der Bayerischen Justiz vereinte wieder 80. Geburtstag von Fritz Ostler im Jahre1987. Auch danach blieb er Anwalt mit vol-lem Einsatz, rastlos und ohne Rücksicht aufden sich langsam, aber stetig verschlech-ternden Gesundheitszustand.

Nicht vergessen werden darf seine Tätigkeitan der Ludwig-Maximilians-Universität, ander er als erster Dozent Anwaltsrecht lehrte,und die sich daraus ergebende Stellung alsPrüfer im Ersten Staatsexamen. Gefürchtetwaren seine Fragen, vor allem seine Uner-bittlichkeit, mit der er vagen und auswei-chenden Antworten begegnete.

So hoch er die anwaltliche Selbstverwaltungschätzte, so sehr fürchtete er die Gefahr dersich hieraus ergebenden Einschränkung derSelbständigkeit und Eigenverantwortlichkeitder Berufsausübung des Einzelnen. Ostlerist in München zu einer Institution geworden,ohne je ein Ehrenamt in der anwaltlichenSelbstverwaltung begleitet zu haben.

Charakteristisch für ihn ist der Satz, der ineiner Festschrift zu seinem 50-jährigen Be-rufsjubiläum niedergelegt ist:

„Es gab Zeiten, in denen mancher froh war,dass es nur einen Fritz Ostler gab; heute istder Anwaltschaft zu wünschen, dass es sei-ner viele gäbe.“

Geehrt wurde Fritz Ostler durch die Verlei-hung der Hans-Dahs-Plakette durch denDAV, die Verleihung des Bundesverdienst-kreuzes in einem großen Festakt zu seinem90. Geburtstag, zu dem die Rechtsanwalts-kammer München nach Schäftlarn ins schö-ne Isartal eingeladen hatte. Sämtliche Spit-zen der Bayerischen Justiz waren erschie-nen, um den Anwalt, der in über 60 Berufs-jahren das Bild des kämpferischen Anwaltsprägte und Vorbildfunktion für kommendeGenerationen übernommen hatte, zu feiern.Nicht von ungefähr kommt es, dass FritzOstler bereits in der Festschrift „100 JahreRechtsanwaltskammer München“ im Jahre1979 hervorgehoben wurde und nach25 Jahren immer noch besondere Würdi-gung verdient. Die Vielseitigkeit seines be-ruflichen Wirkens ist für die heutige Genera-tion, die sich auf immer enger werdendeFachbereiche beschränkt und möglicherwei-se in der Ideenlosigkeit versinkt, nicht mehrfassbar. Mitwirkung beim Staudinger, dieHerausgabe der „Bayerischen Justizgeset-ze“ sowie die Kommentierung des Abzah-lungsgesetzes sind neben der „Geschichteder Deutschen Rechtsanwälte 1871 bis1971“ nur kleine Hinweise darauf, warumFritz Ostler Aufnahme in „Kürschner´s Deut-schen Gelehrtenkalender“ fand.

Erhard Senninger

1933 – 1996

Es war das Jahr 1968. Erhebliche Unruheverbreitete sich in der Anwaltschaft. Es gabGerüchte darüber, dass spätestens 1970auch in Bayern die Singularzulassung fürneu zugelassene Anwälte zwingend einge-führt werde, mit der Folge, dass alle ab die-sem Zeitpunkt zur Anwaltschaft Zugelasse-nen entweder nur beim Oberlandesgerichtoder nur an den Landgerichten zugelassenwerden können. Die Vorstellung, dass einzwingender Wechsel im Instanzenzug eineQualitätsverbesserung gegenüber dem be-stehenden Zustand mit sich bringt, wurdevor allem von denjenigen Kolleginnen undKollegen vertreten, die aufgrund ihrer bereitsvorhandenen Doppelzulassung sich auf die

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Dauer einer Generation einen Vorsprung anAnsehen und wohl auch an Ertrag gegen-über der nachdrängenden Junganwaltschafterhofften. Innerhalb der jungen Kollegen-schaft wiederum herrschte der Eindruck,dass der ehrenwerte und ehrwürdige Kam-mervorstand, der sich ja aus Anwälten mitDoppelzulassung zusammensetzte, nichtangemessen auf diese Vorstellungen desGesetzgebers reagiere und deshalb die Inte-ressen der jungen Anwälte nicht ausrei-chend im Kammervorstand gewahrt seien.Es war zusammen mit einigen anderen Er-hard Senninger, der Ende 1968 über Ge-spräche mit jungen Kollegen den Versuchmachte, den Interessen der damals nochnicht fünf Jahre zugelassenen Kollegen da-durch gerecht zu werden, dass entweder diePläne auf Singularzulassung in Bayern ins-gesamt zurückgezogen werden oder abermit Einführung der Singularzulassung auchsämtliche Kollegen, die bereits die Doppel-zulassung hatten, zur Rückgabe einer Zu-lassung verpflichtet werden. Hiergegen wur-den, möglicherweise zu Recht, unter demGesichtspunkt der Wahrung des Besitz-standes verfassungsrechtliche Bedenkenerhoben.

Überlegungen zu Veränderungen imMünchner Kammervorstand wurden erheb-lich gedämpft durch die Tatsache, dass je-weils nur die Hälfte des Vorstandes imZweijahresrhythmus zur Wahl ansteht unddamit die Veränderungsmöglichkeit äußerstbeschränkt war. Als einziger altersbezogenWählbarer der so genannten Jungen wurdeErhard Senninger bei den Ersatzwahlen inder Kammerversammlung vom 11.4.1969von einer eigens mobilisierten Gruppe vonJunganwälten in den Kammervorstand ge-wählt. Als diese Gruppe im darauf folgen-dem Jahr durch so genannte „junge Wilde“verstärkt wurde, gehörte Senninger bereitsdem etablierten Vorstand an und hat in die-ser Zwischenrolle einige Jahre des Aus-gleichs zwischen Alt und Jung im Vorstandgeschaffen und zu einer gedeihlichen Kam-mertätigkeit erheblich beigetragen. Im Rah-men der Kammerarbeit erlebte er auch dieUnstimmigkeiten, die immer wieder zwi-schen den Vertretern der Anwaltschaft in

den Kammern und denjenigen in den jewei-ligen Anwaltvereinen (Münchner Anwaltver-ein, Bayerischer Anwaltverband) auftratenund zum Unfrieden in der Gesamtanwalt-schaft führten. Diese – damals in München –zumindest erheblichen Spannungen undSenningers Abneigung gegen kleinlicheRoutinearbeit, wie er meinte (Gebührengut-achten erstellen, Beschwerdeentscheidun-gen begründen), hatten zur Folge, dass ernach siebenjähriger Kammertätigkeit aufsein Vorstandsamt verzichtete und sich ab1977 ausschließlich dem Deutschen Anwalt-verein widmete. Seine Kenntnisse anwalt-licher Organisationsformen und seine Ziel-strebigkeit führten ihn dort im Jahr 1988 alszweiten Bayern, nach Merkel, an die Spitzedes Deutschen Anwaltvereins. Seine Ver-dienste für die Anwaltschaft wurden im An-waltsblatt 2/1997 gewürdigt. Er war ein tat-kräftiger Vertreter der bayerischen Anwalt-schaft in Deutschland.

Dr. Eberhard Waibel

1946 – 2001

Dr. Eberhard Waibel war seit 1974 im Land-gerichtsbezirk Augsburg als Anwalt tätig. Erwar ein glänzender Zivilist, der sich auf Ge-werblichen Rechtsschutz spezialisiert hatteund auf diesem Gebiet in unserem Bezirkführend war. 1990 wurde er in den Kammer-vorstand gewählt, 1996 vom Kammervor-stand zum Vizepräsidenten bestellt. Am12.2.2001 – seinem Geburtstag – ist er nachjahrelanger schwerer Krankheit verstorben,erst 55 Jahre alt.

In den 11 Jahren seiner Kammertätigkeit hatDr. Waibel ein riesiges Arbeitspensum be-wältigt. Sein besonderes Interesse galt demBerufsrecht, das bei Beginn seiner Kam-mertätigkeit nach den Entscheidungen desBVerfG vom 14.7.1987 neu zu gestaltenwar, sowie der Ausbildung der Juristen. Dr.Waibel war in allen wichtigen Arbeitsgrup-pen, die sich mit der Neuordnung der Juris-tenausbildung beschäftigen, für die Kammertätig: Er war seit 1997 Vorsitzender der Ar-

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beitsgruppe Juristenausbildung der KammerMünchen und der Arbeitsgruppe Juristen-ausbildung aller bayerischen Rechtsan-waltskammern. 1998 wurde er Mitglied dergemeinsamen Kommission der bayerischenRechtsanwaltskammern und des Bayeri-schen Staatsministeriums der Justiz zurÜberarbeitung der Stoff- und Unterrichts-pläne für die Arbeitsgemeinschaft I (Justiz).

Sein Anliegen war die Verbesserung derAusbildung der Juristen im Hinblick auf denAnwaltsberuf und insbesondere die Stärkungdes Praxisbezugs. Sein Werk war vor allemder 4-wöchige Anwaltskurs für Rechtsrefe-rendare, der erstmals im Herbst 2000 durch-geführt wurde und bei den Teilnehmerngrößten Anklang fand. Für die künftigenKollegen war dieser Kurs vielfach die einzigeGelegenheit, sich mit den alltäglichen Anfor-derungen des künftigen Berufs vertraut zumachen. Für diesen Kurs und für die Beteili-gung an der allgemeinen Referendarausbil-dung als Gastdozenten hat Dr. Waibel eineVielzahl von Kollegen angeworben. SeineBegeisterung für das Projekt zur Verbesse-rung der Ausbildung des anwaltlichenNachwuchses war so ansteckend, dass mansich dieser Aufgabe nicht nur nicht entziehenkonnte, sondern nicht einmal entziehenwollte. In der neuen Form des Pflichtwahl-praktikums „Berufsfeld Anwaltschaft“ fanddieser Anwaltskurs Eingang in die refor-mierte Referendarausbildung.

Als Kammervorstandsmitglied war Dr. Wai-bel geborenes Mitglied des Beirats desAugsburger Anwaltvereins. Zusammen mitdem Vereinsvorstand hat er unsere Einfüh-rungskurse „Berufs- und Kostenrecht fürAnfänger“ gestaltet und dem Nachwuchs dieKollegialität als Weg zur beruflichen Le-bensqualität nahe gebracht. Auch die„Augsburger Bräuche“ – ein Kompendiumvon lokalem Anwaltsgewohnheitsrecht –haben wir mit ihm zusammen entwickelt.

Dr. Waibel hatte Autorität. Er verstand es,engagierte Interessenvertretung mit Konzi-lianz und Gelassenheit zu verbinden. Ergenoss unser aller uneingeschränktes Ver-trauen. Konflikte hat er mit viel Geschick undin aller Stille gelöst. Er hat viel zu dem kolle-

gialen Klima, das uns in Augsburg so wichtigist, beigetragen.

(Rechtsanwältin Dr. Ingrid Groß, Augsburg)

Eckart Warmuth

1917 – 1995

Seit 1990 versammeln sich jedes Jahr imApril Präsidium und Vorstand im EnglischenGarten um mit ernster Miene vom Seehaus150 m weiter nach Osten zu wandern. Dortsteht unweit des Reitweges ein zwischen-zeitlich dreistämmiger Lindenbaum. Ge-pflanzt wurde er 1990 bei eisigem Wind undSchneetreiben von Eckart Warmuth zuEhren seiner 21-jährigen Präsidentschaft.Pflanzer und zu Pflanzender versanken imMorast. Dennoch, die Linde hat den Pflanz-tag überstanden. Sie wächst und gedeiht.

Jährlich wird gerätselt, ob die Zahl der Blät-ter des Baumes, deren Grün im April schondeutlich hervortritt, die Zahl der Kammermit-glieder im jeweiligen Jahr erreicht, über-schreitet oder nicht mehr ausreicht. Beiheute rund 16.000 Kammermitgliedern kannman sich nicht mehr sicher sein, trotz derzwischenzeitlich weit ausladenden Kronedes Baumes.

Die Erinnerung an Eckart Warmuth hochzu-halten hat seinen guten Grund. 1962 wurdeer in den Vorstand der Kammer gewählt,schon 1968 zum Vizepräsidenten, zum Prä-sidenten 1969. Dieses Amt als dritter Präsi-dent der Nachkriegszeit hat er, unange-fochten bei jeder Wiederwahl bestätigt, sou-verän ausgeübt, bis er 1990 auf eine Wie-derwahl verzichtete. Seiner Führungsqualitätgelang es, die Kammerarbeit in dieser Zeiteffizient der ständig wachsenden Mitglieder-zahl und dem neuen Verständnis für beruf-liche Pflichten der Anwaltschaft anzupassen.Er legte den Grundstein für die Kammer alsDienstleistungsbetrieb von der Zulassung biszur Fortbildung. Seiner Überzeugungskraftgelang es, das Präsidium von der Notwen-digkeit der Einstellung eines Volljuristen alsersten Geschäftsführer einer Kammer zuüberzeugen. Die Übertragung der Aufgaben

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des Vorstandes auf Abteilungen, die über-haupt nur noch eine echte sachliche Arbeitermöglichten, da die monatlichen Vor-standssitzungen durch zu regelndeAlltagsfragen von der Zulassung bis zur Ge-setzesreform sonst erstickt wären, war dasErgebnis seiner zielgerichteten Organisati-onsstrukturreform. Seine Aufmerksamkeitgalt stets der Aufrechterhaltung der ausge-zeichneten Beziehungen zu den übrigenOrganen der Rechtspflege in Bayern. AlleBeteiligten erinnern sich gerne daran, wie esin der Zeit der Präsidentschaft Warmuthsgelang, durch eine Vielzahl wohl ausgerich-teter Veranstaltungen die Repräsentantenaller Gerichte und Behörden zu verbinden,so dass zum Wohl aller Beteiligten anste-

hende Probleme der Rechtspflege ohneformalen Aufwand schnell und ohneErregung von Aufmerksamkeit in der Öffent-lichkeit erledigt werden konnten. Seine be-stimmte – jedoch stets auf Ausgleich zielen-de – Art war es, die in der Bundesrechtsan-waltskammer, in der er als Vertreter dergrößten deutschen Kammer sechs Jahre alsVizepräsident tätig war, dazu beitrug, dasAnsehen Bayerns über die Grenzen desFreistaats hinaus zu mehren. Die Verleihungdes Bundesverdienstkreuzes, vor allem aberdie Verleihung des Bayerischen Verdienst-ordens lassen erkennen, dass sein Wirkenüber die Anwaltschaft hinaus im FreistaatBayern wie auch im Bund geschätzt wurde.

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Die Rechtsanwältinnen

Elisabeth SchwärzerRechtsanwältinGeschäftsführerin der RAK München

Da die Rechtsanwaltschaft seit vielen Jahrenüberfüllt sei und diese Überfüllung noch zuwachsen drohe, werde der gegenwärtigeZeitpunkt als höchst ungeeignet für die Zu-lassung der Frauen zur Rechtsanwaltschaftangesehen. Dieses Zitat stammt aus demSitzungsprotokoll des Vorstands der Rechts-anwaltskammer München vom 18.6.1919.Erst am 11.7.1922 erging das Reichsgesetzüber die Zulassung der Frauen zu den Äm-tern und Berufen der Rechtspflege. Die erstein Deutschland aufgrund dieses Gesetzeszur Rechtsanwaltschaft zugelassene Frauwar Dr. Maria Otto in München. Die Ge-schichte der ersten Frauen in der Anwalt-schaft ist nachzulesen in der Festschrift„100 Jahre Rechtsanwaltskammer Mün-chen“, von Dr. Robert Heinrich, C.H. BeckVerlag, 1979.

Die Zeiten haben sich seit 1919 erheblichgeändert. War die Rechtsanwaltschaft imJahr 1920 mit insgesamt 642 zugelassenenAnwälten im Kammerbezirk „überfüllt“, sozählte sie zum 1.1.2004 15.272 Mitglieder.Ab Beginn der 90er Jahre begeisterten sichmehr und mehr Frauen für den Beruf derRechtsanwältin. Im Jahr 1997 hat PräsidentDr. Ernst als 10.000stes Mitglied eine jungeKollegin als neu zugelassene Rechtsanwäl-tin begrüßt und in der Kammerversammlungwillkommen geheißen. Es war Frau KolleginEllen Schöpfel aus München. Sie ist der An-waltschaft treu geblieben, heißt zwischen-zeitlich Ellen Ringel und hat im Jahr 2003

ihre Kanzlei nach Sachsen verlegt. In sei-nem letzten Bericht der Geschäftsführunggab Hauptgeschäftsführer Dr. Wieland Hornbekannt, dass die Mitglieder der Kammerimmer „jünger und weiblicher“ werden. DemZahlenmaterial der Mitteilungen der Rechts-anwaltskammer München Ausgabe I/2004ist auf Seite 3 der erneute Anstieg derFrauenquote zu entnehmen. Von den15.272 Kammermitgliedern sind 4.618 weib-lich. Dies entspricht einem Anteil von30,24 % gegenüber knapp 29,5 % im Jahre2002. Weiterhin steigt der Anteil der Rechts-anwältinnen mit steter Regelmäßigkeit umdurchschnittlich einen Prozentpunkt proJahr.

Trotz eines Anteils von über 30 % der Ge-samtmitglieder sind die Kolleginnen imKammervorstand mit immerhin 34 Mitglie-dern derzeit lediglich mit 7 Rechtsanwältin-nen vertreten. Aber es zählt freilich nicht dieAnzahl der Vertreterinnen, sondern dasEngagement jedes Einzelnen/jeder Einzel-nen.

Früher war der Vorstand der Kammer, wieVizepräsident Dr. Gerhard Hettinger einmalerwähnte, vergleichbar mit einem „eng-lischen Herrenclub“. Erst knapp 50 Jahrenach der ersten Zulassung von Rechtsan-wältinnen eroberten diese auch den Kam-mervorstand. Im Jahr 1970 wurde als ersteAnwältin in den Kammervorstand Rechtsan-wältin Marion Liebl-Blittersdorff gewählt. Siewurde im Jahr 1925 in München als Tochtereines Universitätsprofessors geboren, wuchsin Schwabing auf und besuchte dort dashumanistische Max-Gymnasium. Nach demAbitur studierte sie an der Ludwig-Maximilians-Universität München Jura. Alssie in den 50er Jahren zur Rechtsanwalt-schaft in München zugelassen wurde, warsie eine der wenigen zugelassenen Rechts-anwältinnen. Wegen ihrer Beliebtheit, ihresscharfen Intellekts und ihrer herausragendenKompetenz wurde sie im Jahr 1978 alsSchatzmeisterin in das Präsidium gewählt,dem sie bis zu ihrem Ausscheiden im Jahr1986 angehörte. Das Lob für ihre Kassenbe-richte drang bis in die Richterschaft vor.Gleichzeitig engagierte sich Frau KolleginLiebl-Blittersdorff seit den 50er Jahren im

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Deutschen Juristinnenbund und war dort bis1979 Mitglied im Bundesvorstand. Im Jahr1982 hat Rechtsanwältin Liebl-Blittersdorffdurch stetes Werben und eine kluge Perso-nalpolitik die besten Voraussetzungen für dieGründung der Untergruppe München/Süd-bayern geschaffen. Für ihre Verdienste umdie Anwaltschaft wurde Rechtsanwältin Ma-rion Liebl-Blittersdorff 1984 mit dem Ver-dienstkreuz am Bande des Verdienstordensder Bundesrepublik Deutschland ausge-zeichnet. Am 16.2.2004 verstarb sie imChiemgau im 79. Lebensjahr und wurdeunter großer Anteilnahme der Kolleginnenund Kollegen auf dem Waldfriedhof zurletzten Ruhe geleitet.

Marion Liebl-BlittersdorffRechtsanwältin

Einen Nachruf über das Leben und Wirkenvon Rechtsanwältin Marion Liebl-Blittersdorffund über die Vielzahl ihrer Publikationenist bei bei Frau Gertrud Hofmann, Richterinam OLG München, in den „aktuellen Infor-mationen“ des Deutschen Juristinnenbun-des, Heft 2/2004, S. 59 ff. zu finden.

Zweite Frau im Kammervorstand ist seit1978 Rechtsanwältin Christina Edmond vonKirschbaum aus München. Mit über26 Jahren Vorstandszugehörigkeit ist sie so-zusagen die Alterspräsidentin des Kammer-vorstands. Seit der Gründung des Seehaus-Vereins bis 1998 hatte sie den Vorsitz inne.Viele Fachanwältinnen und Fachanwälte fürFamilienrecht schätzen sie als versierteFachbetreuerin und Veranstaltungsleiterinfür die Fortbildung der Anwälte auf dem Ge-biet Ehe- und Familienrecht. Zudem führt

Frau Kollegin Edmond von Kirschbaum seitApril 2000 den Vorsitz der Abteilung III Ge-bührenrecht. Derzeit organisiert Rechtsan-wältin Edmond von Kirschbaum mit großemErfolg die Fortbildung der Anwälte zumKostenrechtsmodernisierungsgesetz, dasam 1.7.2004 in Kraft trat. Seit vielen Jahrenübernimmt Frau Kollegin Edmond vonKirschbaum regelmäßig die wöchentlicheTelefonberatung der jungen Kolleginnen undKollegen in allen berufs- und gebührenrecht-lichen Fragen. Alleine ihr Name ist in derMünchner Anwaltschaft jedem ein Begriff.Für ihre Verdienste wurde RechtsanwältinChristina Edmond von Kirschbaum im Jahr2001 von Bundespräsident Johannes Rauauf Vorschlag des Bayerischen Minister-präsidenten mit dem Verdienstkreuz amBande des Verdienstordens der Bundes-republik Deutschland ausgezeichnet.

Die dritte im Bunde der Rechtsanwältinnenim Kammervorstand war und ist Rechtsan-wältin Helga Anna Teich. Sie gehörte demKammervorstand in der Zeit von 1988 bis1996 an, kandidierte im Jahr 2000 erneut fürden Kammervorstand und schaffte auf An-hieb wieder den Sprung in die Berufspolitik.Rechtsanwältin Teich ist Mitglied einer ge-bührenrechtlichen und einer berufsrechtli-chen Abteilung sowie im Münchner Prü-fungs- und Aufgabenausschuss. Beruflich istFrau Kollegin Teich im Familienrecht enga-giert und gehört seit 1994 dem Ausschuss„Mediation“ der Bundesrechtsanwaltskam-mer an. Besonders am Herzen liegt ihrdaneben die Ausbildung der Rechtsan-waltsfachangestellten. Sie ist Vorstandsbe-auftragte für berufliche Bildung sowie Mit-glied im Aufgaben- und Berufsbildungsaus-schuss.

Rechtsanwältin Sabine Wernet war in derZeit von 1990 bis 1998 im Kammervorstandaktiv. Ihr Interesse für die Berufspolitik wur-de im Rahmen ihrer wissenschaftlichenTätigkeit an der Akademie für Politische Bil-dung in Tutzing geweckt. Im Kammervor-stand waren ihre Schwerpunkte die Rechts-anwalts- und Juristenausbildung, die Öffent-lichkeitsarbeit und das Redaktionswesen.Daneben ist und war Rechtsanwältin Wernetin einer Vielzahl von berufspolitischen Gre-

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mien tätig. Im Jahr 1997 wurde sie zur Vize-Präsidentin des Deutschen Verkehrsge-richtstags gewählt. Als Vertreterin der FreienBerufe war sie in der Zeit von 1997 bis 1999Mitglied des Bayerischen Senats. Im Jahr2001 übernahm Rechtsanwältin Wernet alsRepräsentantin die Leitung des neu eröff-neten CSU-Büros in Berlin. Auf sozialerEbene war sie im Jahr 1996 Mitgründerindes Lions-Club München Helen Keller. Hier-bei handelt es sich um einen Lions-Club nurfür Damen; er wurde in der SüddeutschenZeitung mit dem Artikel „Als bayerischeLöwinnen Gutes tun“ gewürdigt.

Die derzeit einzige Frau im Präsidium derRechtsanwaltskammer München ist Rechts-anwältin Cornelia Rohleder aus Traunstein.Sie ist seit 1992 Mitglied des Kammervor-stands, vertritt vorrangig die Interessen derKolleginnen und Kollegen des Landgerichts-bezirk Traunstein und wurde im Jahr 2002zur Vizepräsidentin gewählt. Zuvor war sievon 1996 bis 2002 Vorsitzende der Abtei-lung I für Berufsrecht. Für ihre umsichtigeLeitung der Abteilung und ihren heraus-ragenden Einsatz erhielt sie höchste Aner-kennung sowohl im Kammervorstand, alsauch in der Kollegenschaft und in der Justiz.Ihre besondere Fähigkeit besteht beispiels-weise darin, verstrickte Diskussionen zueinem bestimmten Thema anzuhören undam Ende mit einem klaren Wort auf einenNenner zu bringen. Die Juristenausbildungliegt ihr besonders am Herzen. Frau Vize-präsidentin Rohleder ist seit 1997 sowohlMitglied der Arbeitsgruppe Juristenausbil-dung in Bayern als auch ehrenamtlicheDozentin des Bayerischen Rechtsanwalts-kurses. Für ihre Verdienste wurde sie imJahr 2001 von Bundespräsident JohannesRau auf Vorschlag des Bayerischen Minis-terpräsidenten mit dem Verdienstkreuz amBande des Verdienstordens der Bundes-republik Deutschland ausgezeichnet.

Rechtsanwältin Petra Heinicke kandidierteim Jahr 1996 und wurde auf Anhieb damalsals jüngstes Mitglied in den Kammervor-stand gewählt. Berufspolitisch aktiv wurdesie erstmals mit der Verbandsarbeit beimMünchener Anwaltverein. Im Jahr 1995kandidierte sie für die Satzungsversamm-

lung. Bemerkenswert war, dass sie mit1.912 Stimmen die höchste Stimmzahl imKammerbezirk erreichte. Sie ist bis heuteMitglied der Satzungsversammlung; ihre lei-denschaftlichen Plädoyers in verschiedenenberufspolitischen Fragen eilten ihrem Ruf inder Kammer voraus und sind legendär ge-worden. Im Kammervorstand ist sie nebender Abteilungsarbeit (Berufs- und Gebühren-recht, Öffentlichkeitsarbeit) auch Vorstands-beauftragte für berufliche Bildung sowie Mit-glied des Berufsbildungsausschusses. AlsVorsitzende des Münchener Anwaltvereinswurde sie im Jahr 1999 als Nachfolgerin vonRechtsanwalt Werner Kästle gewählt. Unterihrer Führung konnte der Münchener An-waltverein viele Erfolge verbuchen. Dazuzählt die Feier am 15.12.1999 zum120-jährigen Jubiläum, die Ausrichtung des53. deutschen Anwaltstags in München so-wie die hochrangig besuchten Neujahrs-empfänge des MAV, die die Vorsitzende mitaußergewöhnlichem Charme moderiert. ImJahr 2000 wurde sie zudem neu in den Vor-stand des Bayerischen Anwaltverbandesgewählt. Besonders verbunden ist Frau Kol-legin Heinicke den Juristinnen. Dem Vor-stand des Deutschen Juristinnenbundes ge-hörte sie als 2. Vorsitzende von 1991 bis1997 an. Ihre juristischen Qualitäten hat siebereits im Jahr 1992 mit dem Erwerb desTitels Fachanwältin für Arbeitsrecht abge-rundet. Wer mehr über den „Schreibtisch“von Frau Kollegin Heinicke erfahren möchte,dem sei die Lektüre der monatlichen Mit-teilungen des Münchener Anwaltvereinsempfohlen.

Jüngste Kollegin im Kammervorstand istderzeit Rechtsanwältin Sabine Feller.Während ihrer vierjährigen Tätigkeit hat siesich durch ihre engagierte Art in den Abtei-lungen X (Berufsrecht), III (Gebührenrecht)und VIII (Öffentlichkeitsarbeit) ausgezeich-net. Ihre umfangreichen Sprachkenntnissestellt sie gerne auch für Übersetzungen inden Dienst der Kammer. Zugleich ist sie seit1999 Mitglied der Satzungsversammlungund eine engagierte Vertreterin der Erweite-rung der Fachanwaltschaften. Seit 1996führt sie den Titel Fachanwältin für Arbeits-recht. Ein großes Anliegen von Frau Kollegin

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Feller ist die Rhetorikkultur der Anwälte, dienach ihrer Auffassung noch entwicklungs-fähig ist. Anlässlich des 53. deutschen An-waltstages im Mai 2002 in München hat sieam DAV-Rednerwettstreit teilgenommen,den sie als dritte Preisträgerin mit dem The-ma „Gibt es die männliche, gibt es die weib-liche Anwaltssprache?“ gewann. Den Textder Rede können Sie nachlesen in den Mit-teilungen des MAV Juni 2002, S. 9 ff.

Gleichzeitig mit Frau Kollegin Feller erfolgtedie Wahl von Rechtsanwältin GabrieleLöwenfeld im Jahr 2002 in den Kammervor-stand. Mit großem Engagement und Fleißbringt sie ihr anwaltliches Können in dieArbeit der Abteilungen II (Berufsrecht) undIII (Gebührenrecht) ein. Regelmäßig begrüßtsie im Namen des Kammervorstands diejungen Anwälte und Anwältinnen zur feier-lichen Vereidigung, die jeden Mittwoch beimLandgericht München I stattfindet.

Rechtsanwältin Angelica von der Deckenwar zunächst von 1993 bis 2002 beim An-waltsgericht für den Bezirk der Rechtsan-waltskammer München tätig, erwarb sichdort einen herausragenden Ruf als ehren-amtliche Richterin und wechselte im Jahr2002 in den Kammervorstand. Sie bringt denBlickwinkel der Großkanzleien in die Vor-standsarbeit ein. Frau Kollegin von derDecken ist seit vielen Jahren Sozia derKanzlei Beiten Burkhardt Goerdeler mit demSchwerpunkt Wettbewerbsrecht.

Die einzelnen Abteilungen des Kammervor-stands werden unterstützt von einer Anzahlvon „Hiwis“. Die Tätigkeit als „Hiwi“ ist oftSprungbrett für die Wahl in den Kammervor-stand. Die jungen Kolleginnen, die derzeitsehr engagiert in den Abteilungen ehrenamt-lich arbeiten, sind Rechtsanwältin Celia Els-dörfer, Rechtsanwältin Gudrun Rößler sowieRechtsanwältin Irmgard Etlinger.

Grande-Dame der Anwältinnen im OLG-Bezirk München ist Rechtsanwältin Dr. IngridGroß aus Augsburg. Sie ist seit 1985 ersteVorsitzende des Augsburger Anwaltvereinsund vertritt auch gegenüber der Rechtsan-waltskammer München die spezifischen In-teressen der Augsburger Kollegenschaft. AlsFachanwältin für Familienrecht und Dozentin

ist sie gleichzeitig bei der DAA in einer Viel-zahl von familienrechtlichen Veranstaltungentätig. Rechtsanwältin Dr. Groß ist zugleichVorsitzende des Familienrechtsausschussesund des geschäftsführenden Ausschussesder Arbeitsgemeinschaft Familien- undErbrecht im Deutschen Anwaltverein. Siewurde auf der Mitgliederversammlung desDeutschen Anwaltvereins am 29.5.2003 inFreiburg mit dem Ehrenzeichen der Deut-schen Anwaltschaft ausgezeichnet. Rechts-anwältin Dr. Groß ist die erste Frau, die mitdem Ehrenzeichen, das für besondere Ver-dienste um die Anwaltschaft verliehen wird,ausgezeichnet wurde. In seiner Laudatio hobDAV-Präsident Dr. Michael Streck hervor,dass es Frau Kollegin Dr. Groß in beeindru-ckender Weise gelungen sei, im Familien-recht Wissenschaft, Praxis und Rechtspolitikzu verbinden. Sie wurde im Jahr 2003 miteiner eigenen Festschrift geehrt (Schriften-reihe der Arbeitsgemeinschaft Familien- undErbrecht, Festschrift für RechtsanwältinDr. Ingrid Groß, DeutscherAnwaltVerlag,2004).

Rechtsanwältin Dr. Groß ist Autorin des imDeutschen AnwaltVerlag erschienen Bucheszum Gebührenrecht in Familiensachen undhat im Münchener Anwaltshandbuch das Be-rufsrecht kommentiert. Mit ihrem Lehrbuch„Anwaltsgebühren in Ehe- und Familiensa-chen“, erschienen im Jehle Rehm Verlag,wurde sie bundesweit bekannt. Ihre zahlrei-chen Verdienste wurden im Jahr 1990 mitdem Verdienstkreuz am Bande des Ver-dienstordens der Bundesrepublik Deutsch-land gewürdigt.

Hervorgehoben werden soll auch Rechtsan-wältin Dr. Louisa Leer aus dem Kammerbe-zirk München, die sicherlich vielen älterenKolleginnen und Kollegen bekannt war undim Jahr 2002 im 94. Lebensjahr in Münchenverstorben ist. Dr. Louisa Leer kam währendder Zeit des Nationalsozialismus nach Mün-chen. Frauen durften damals nicht Rechts-anwältinnen werden. Als dann allerdings dieMänner zum Kriegsdienst eingezogen wur-den, hat sie nicht nur ihren Mann, Dr. EugenLeer, sondern auch andere Rechtsanwältevertreten – ohne eigene Anwaltszulassung.Besondere Verdienste erwarb sich Frau

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Kollegin Leer mit ihrer engagierten Arbeit imDeutschen Juristinnenbund. Sie war von1969 bis 1973 Mitglied des Bundesvorstandsund gleichzeitig Mitglied des Familien-rechtsausschusses. An den Reformbestre-bungen im Ehe- und Familienrecht wirkte siemaßgeblich mit. Richterin am OLG MünchenGertrud Hofmann hielt in ihrem Nachruf fest:„Unsere Veranstaltungen hat sie mit ihrerEleganz, ihrem reichen Wissen und ihrer wun-derbar warmen Menschlichkeit bereichert.“(djb, aktuelle informationen 2002, S. 28).

Rechtsanwältinnen sind nicht nur aus-schließlich als Anwältinnen tätig, sondernprofilieren sich auch als Richterinnen sowohlbeim Bayerischen Anwaltsgerichtshof alsauch beim Anwaltsgericht für den Bezirk derRechtsanwaltskammer München.

Rechtsanwältin Irina Lindenberg-Lange ausAugsburg ist Richterin im 3. Senat des Baye-rischen Anwaltsgerichtshof. RechtsanwältinUta Leskien, Rechtsanwältin Esther Herzogund Rechtsanwältin Anneliese Lehmpuhlsorgen als Richterinnen am Anwaltsgerichtfür eine ausgewogene Rechtsprechung.Allen Kolleginnen ist gemeinsam, dass siemaßgeblich mit ihrem ehrenamtlichen Enga-gement als Richterinnen das Berufsrecht mitprägen.

Ihren „Mann“ stehen die Rechtsanwältinnenim OLG-Bezirk München auch in der Politik.Hervorzuheben ist allen voran Frau KolleginSabine Leutheusser-Schnarrenberger. Siewar von 1992 bis 1996 Bundesministerin derJustiz und ist derzeit Mitglied des Bundes-tages, stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion und Landesvorsitzendeder FDP in Bayern. Im Jahr 2002 wurdeFrau Kollegin Leutheusser-Schnarrenbergerfür ihre Verdienste vom Bayerischen Minis-terpräsidenten mit dem Bayerischen Ver-dienstorden ausgezeichnet. Aktuell kämpftFrau Kollegin Leutheusser-Schnarrenbergerfür die Freien Berufe und insbesondere fürdie Anwaltschaft gegen den neuen Gesetz-entwurf von Frau Justizministerin Zyprieszum Großen Lauschangriff (SüddeutscheZeitung vom 7.7.2004, S. 1: „GroßerLauschangriff soll noch größer werden“).

Die Interessen der Anwaltschaft vertritt auchRechtsanwältin Dr. Angelika Niebler. Sieist Spitzenkandidatin der Frauenunion inBayern. Erst dieses Jahr wurde sie erneut indas Europäische Parlament in Brüssel ge-wählt. Daneben übt sie eine Vielzahl weite-rer öffentliche Ämter und Parteiämter aus.Große Sympathien in der Anwaltschaft imOLG-Bezirk München erwarb sie sich mitihrem herausragenden Vortrag als Gast-rednerin der Kammerversammlung im Jahr2001 zum Thema: „Rechtspolitische Fragender Anwaltschaft in Europa“.

Rechtsanwältin Dr. Evelyne Menges, Fach-anwältin für Arbeitsrecht, ist seit 1996ehrenamtliches Mitglied des Stadtrats derLandeshauptstadt München und aktiv imKreisverwaltungsausschuss tätig. Ihre politi-schen Schwerpunkte sind Wirtschaftpolitikfür eine aktive Bürgergesellschaft und För-derung des Ehrenamts, familienfreundlicheWohnpolitik sowie aktiver Tierschutz. FrauKollegin Dr. Menges ist neben Frau KolleginWernet auch Gründungsmitglied desDamen-Lions-Club in Bayern.

Von 1998 bis 2003 war RechtsanwältinSusanna Tausendfreund Mitglied des Baye-rischen Landtags und vertrat die Landtags-fraktion „DIE GRÜNEN“ im Ausschuss fürKommunale Fragen und Sicherheit sowie imRichterwahlausschuss.

Keine Rechtsanwältin, aber eine Frauaus einem Münchner Prüfungsausschuss„mischt“ die Ausbildungsszene im Bereichder RA-Fachangestellten auf. In kürzesterZeit arbeitete sie sich vom Prüfungsaus-schuss München III über den Aufgabenaus-schuss hoch bis zum Berufsbildungsaus-schuss. Der Ausschuss bestellte sie alsAusbildungsbeauftragte nach BBiG. Seit Be-ginn ihrer Tätigkeit im Prüfungsausschuss imJahr 1992 arbeitete sie mit vollem Engage-ment und viel Erfolg. Insider werden sicher-lich schon erraten haben, von wem die Redeist, Rechtsfachwirtin Sabine Jungbauer ausder Kanzlei Unger & Duvinage in München.Neben der Durchführung der jährlichen Zwi-schen- und Abschlussprüfungen für RA-Fachangestellte, ist Rechtsfachwirtin Jung-bauer als Dozentin für eine Vielzahl von Mit-arbeiterseminaren bei der Kammer München

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D I E R E C H T S A N W Ä L T I N N E N

42 Elisabeth Schwärzer

tätig, die auch mit wachsender Begeisterungvon Rechtsanwältinnen, Rechtsanwältenund Lehrer/innen besucht werden. Stellver-tretend für alle engagierte/n Bürovorste-her/innen und Rechtsfachwirte/innen in deneinzelnen Ausschüssen der Kammer sollhier ein besonderer Dank ausgesprochenwerden.Dies kann sicherlich keine abschließendeListe unserer herausragenden Anwältinnenim Bezirk der Rechtsanwaltskammer Mün-chen sein. Viele kompetente und engagierteKolleginnen sind in Anwaltsvereinen, ver-schiedenen weiteren Anwaltsgremien, in denPrüfungsausschüssen oder als Dozentinnenan Universitäten, Fachhochschulen, in derReferendarausbildung oder der Ausbildungder Rechtsanwaltsfachangestellten tätig.Eine ganze Reihe von Fachanwältinnenzeichnen sich zudem durch hervorragendeKommentierung von Fachliteratur aus. Je-doch würde ihre Aufzählung den Rahmender Festschrift sprengen.

Als weitere Lektüre zum Thema Juristinnenund Rechtsanwältinnen sei empfohlen:

– Vorkämpferinnen der Frauen in derAnwaltschaft von Rechtsanwältin WinyClemens in der Festschrift 12 JahrzehnteMAV, DeutscherAnwaltVerlag, 1999

– Juristinnen in Deutschland, Schriften-reihe Deutscher Juristinnenbund e.V.,Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden, 3. Auflage 1998

– Rechtsanwältinnen im Bezirk der Rechts-anwaltskammer Frankfurt am Main vonRoswita Eggert, Herausgeber Rechtsan-waltskammer Frankfurt

– „Frau Rechtanwältin“ gibt es – erst – seit70 Jahren, von Rechtsanwalt Dr. FritzOstler, München, Anwaltsblatt 1992,S. 409

– Die Rechtsanwältinnen in 100 JahreRechtsanwaltskammer München, vonRechtsanwalt Dr. Robert Heinrich, VerlagC.H. Beck, 1979

Folgende Arbeitsgruppen für Rechtsanwäl-tinnen und Juristinnen treffen sich regel-mäßig im OLG-Bezirk München:

Am 20.5.2004 fand beim Deutschen An-waltstag die Gründungsversammlung derArbeitsgemeinschaft Anwältinnen statt. AlsVorsitzende wurde Rechtsanwältin MechtildDüsing aus Münster gewählt. Einen ausge-zeichneten Einführungsvortrag hielt FrauKollegin Leutheusser-Schnarrenberger, derin Kürze im Anwaltsblatt nachzulesen seinwird. Weitere Informationen zur Arbeitsge-meinschaft finden sich im Internet unterwww.anwaltverein.de/05index.html.

Nach dem Anwältinnen-Kongress „Karriere,Kohle, Kompetenz“ hat sich ein Kolleginnen-stammtisch gegründet, der sich regelmäßigalle zwei Monate trifft. Näheres hierzukönnen Sie unter der [email protected] erfah-ren. Regelmäßig trifft sich die Regionalgrup-pe München/Südbayern des DeutschenJuristinnenbundes zu einem Stammtisch mitFrau Prof. Dr. Tiziana Chiusi an jedem1. Donnerstag im Monat im Ratskeller inMünchen ab 20.00 Uhr.

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V O M S T A N D E S R E C H TZ U M B E R U F S R E C H T

Gerhard Hettinger 43

Vom Standesrechtzum Berufsrecht

Dr. Gerhard HettingerRechtsanwaltVizepräsidnet der RAK München bis 2004

Das Panorama

In der Berichtszeit 1979–2004, die sich anRobert Heinrichs „100 Jahre Rechtsanwalts-kammer München“ anschließt, herrschten inDeutschland und Mitteleuropa friedliche,aber aufregende Jahre vom blühenden finde siècle bis hin zum Defaitismus im begin-nenden 3. Jahrtausend. Prägend war diedeutsche Wiedervereinigung 1989, in der dieDeutsche Demokratische Republik und ihrUnrechtssystem samt wirtschaftlicher Pleitehinweg gefegt wurden. Erst zum Ende hinwurde die Europäische Union um die Ost-staaten auf insgesamt 25 Staaten erweitert,was in Zukunft auf ein befriedetes Europahoffen lässt. Die Welt wurde erschüttert, alsgekaperte Linienflugzeuge am 11. Septem-ber 2001 von fundamentalistischen Isla-misten in das World Trade Center in NewYork gesteuert wurden – Beginn einer welt-weit eskalierenden Serie von Selbstmord-attentaten, möglicherweise im Zuge vonProtesten gegen Globalisierung, Kommer-zialisierung und westlich geprägte Herrschaftvon Geld und Erfolg, entleert jeglicher Bin-dungen und Wertungen von Ethik und Ge-meinsinn. Die Hochkonjunktur mit Vollbe-schäftigung rutschte in die wirtschaftlicheBaisse mit Massenarbeitslosigkeit und Be-völkerungsflucht aus den neuen Bundeslän-dern mit der Folge einer immer größer wer-denden Kluft zwischen Arm und Reich –

auch in der Anwaltschaft. Die elektronischenKommunikationsmittel traten ihren Sieges-zug an. Bund und Länder stehlen sich in diePrivatisierung davon, ja in die Verscherbe-lung lebenswichtiger Anlagegüter, wovonselbst das Rechtswesen nicht verschontbleibt. Der Staat, der vor 1000 Jahren gegendie Selbsthilfe in organisierter Rache-Fehdeerstarkte als kluge Veranstaltung zumSchutz der Individuen gegeneinander1, setztzum Rückzug an mit der Folge, dass macht-volle Wirtschaftszusammenballungen bis hinzu mafiosen Strukturen das Gewaltmonopoldes Staates usurpieren. Im Berichtszeitraumhat sich diese Entwicklung in Deutschlandzwar noch nicht voll entfaltet. Es geht mehrum ein Wetterleuchten. Der Einkauf vonSicherheit durch Schutzgelder ist aberdurchaus schon zu beobachten. Der Rück-zug des Staates verlagerte auch weitere ho-heitliche Aufgaben auf die Rechtsanwalts-kammer, die als Körperschaft des öffent-lichen Rechts und damit auch als Wächterüber die Berufsausübung der Anwaltschaftzum Ende des Berichtszeitraumes aberselbst in Frage gestellt wird: Im Zuge derÖkonomisierung wurden die Freiberufe inder Europäischen Union immer mehr zumbloßen Dienstleister, der sich allein nachWettbewerbsregeln reguliert, degradiert.

Das Bild des Rechtsanwaltes vom Organ derRechtspflege, der sich in erster Linie demWohl der Allgemeinheit verpflichtet fühlt undan einer geordneten Rechtspflege mitwirkt,hat sich weiter zum Bild des Rechtskauf-mannes hin verschoben, den der Job mitdem jus nur als Quelle der Maximierung vonGewinn und Vermögen interessiert. Große,weltweit operierende Anwaltsgesellschaftenhaben in Deutschland weiter Fuß gefasst mitDutzenden bis zu Hunderten von Funktionä-ren (Managementdirektoren), Partnern undMitarbeitern. Sie machen bis zuletzt zwarnur einen winzigen Teil der Anwaltschaftaus. Das Aufkommen an Großmandaten ausder Wirtschaft und die wirtschaftliche Potenzstehen aber im umgekehrten Verhältnis zudiesem prozentualen Anteil in der Anwalt-_________1 Friedrich Nietzsche, Menschliches, allzu Menschliches

1. Bd. Nr. 235

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schaft. Das Berufsrecht bemüht sich nachwie vor darum, eine gemeinsame Klammerzwischen den Einzelanwälten, den Klein-strukturen und den Konzernen zu bilden. DerTrend zur unregulierten Rechtsberatung undRechtsbesorgung in der Annahme, derMarkt werde alles auch zum Wohle der All-gemeinheit regulieren (wobei es letztendlichauch weniger um Qualität als um kosten-günstige Quantität geht) zwingt ggf. mit derAbschaffung der Freiberufe auch zur Ab-schaffung besonderer Rechtsregeln für dieAusübung dieser Berufe. Auch das war inder Berichtszeit lediglich ein Wetterleuchten.Es steht aber zu hoffen, dass das Gewittervorbeizieht. Die freie Advokatur eines RudolfGneist war anders gedacht. Sie lebtejedenfalls in der Berichtszeit fort. In seinemSinne legte schon § 28 der Rechtsanwalts-ordnung von 1878 fest: „Der Rechtsanwaltist verpflichtet, seine Berufstätigkeit gewis-senhaft auszuüben und durch sein Verhaltenin Ausübung des Berufs sowie außerhalbdesselben sich der Achtung würdig zu zei-gen, die sein Beruf erfordert“.

Diese Grundnorm hält auch § 43 BRAO fest.Allerdings hat die Verpflichtung zum außer-beruflichen Wohlverhalten in der Praxis derRAK München so gut wie keine Rolle mehrgespielt. Die Berufsausübungsregeln, diesich auf der Grundlage dieser Grundnormherausgebildet hatten, wurden etwas anti-quiert bis zum Jahre 1987 als „Standesrecht“bezeichnet und danach als „Berufsrecht“.„Berufsrecht“ ist an sich ein weiter Begriff,der alle Rahmenbedingungen zur Ausübungdes Berufes mit umfasst wie z.B. die Zulas-sung zur Anwaltschaft selbst, die Zulassungbei Gerichten, die Berechtigung zum Zu-sammenschluss mit anderen Rechtsanwäl-ten, Anwaltsgesellschaften oder anderen Be-rufsträgern und das flankierende Rechtsbe-ratungsgesetz. In diesem Bericht wird derBegriff jedoch im engeren Sinne, nämlichdem der Berufsausübungsregeln im Sinnevon § 43 BRAO, der „Grundsätze des an-waltlichen Standesrechts“ bzw. der „Richtli-nien“ und der Berufsordnung verwendet.Fragen der Sozietätsbildung und der berufli-chen Zusammenarbeit bleiben ausgeklam-mert. Sie sind Gegenstand eines weiteren

Aufsatzes in dieser Festschrift. Der Berichtwill im Übrigen nüchtern sein und möglichstohne Wertungen und Bewertungen aus-kommen. Allerdings soll er auch nicht sterilbleiben. Dazu hat der Autor zu aktiv an derEntwicklung mitgewirkt.

Zum Verständnis der Entwicklung seien diebereits aufgezeigten Aspekte noch etwasvertieft:

Der Versuch, die Entwicklung der Gesell-schaft von den Verbrauchern bis hin zu den„Machern“ zu skizzieren, müsste scheitern.Unverkennbar ist aber der Zug zur Konsum-gesellschaft, zur „vom Konsum banalisiertenGesellschaft“2, zur Informationsgesellschaftund zur Mediengesellschaft, in der es „Bes-te“ gibt vom Schlagersänger über die Sex-nudel bis zum Zahnarzt, „Stars“, die morgenwieder vergessen sind, und „Stars im Kum-pelformat“, deren Sorge der steten Präsenzin der Öffentlichkeit gelten muss, um nicht imOrkus zu verschwinden. Sollte das nichtauch auf die Anwaltschaft abfärben?

Gefördert wird die Konsumgesellschaft mitihrem Hedonismus durch das Leben vordem Fernsehschirm: Man lebt nicht, sondernlässt sich etwas vorleben3, fällt schließlicheiner Kritiklosigkeit, ja sogar einer Empfin-dungslosigkeit zum Opfer bei entsprechen-dem Sprachverlust. Filz, Kumpanei bis hinzur Bestechung zum Eigennutz sind stetseine Gefahr im gesellschaftlichen Leben. DieZeit, in der nur der Erfolg zählt, wurde dafüraber besonders anfällig. Das Rechtsbe-wusstsein schwindet mit dem Vertrauen indie Gerechtigkeit. Maßgebend ist dann nichtmehr Unrechtsbewusstsein, sondern nur dieAngst vor dem Erwischtwerden.

Beim Berufsrecht geht es auch darum, beisolchen Tendenzen zur Proletarisierung undHilflosigkeit in der Bevölkerung eine Anwalt-schaft zu erhalten, die Vertrauen erwecktund dem Einzelnen wie dem GroßkonzernStütze und Wegbereiter durch die zuneh-mende Komplexität der Sachverhalte undder Rechtsnormen ist.

_________2 Tomy Ungerer3 Philip Rosenthal

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Gerhard Hettinger 45

Die Technifizierung beherrscht auch dieKommunikation, um dieses „Müllschlucker-wort“4 der Einfachheit halber zu verwenden:Jeder kann mit jedem ohne zeitliche und ört-liche Distanz Kontakt pflegen. Das technischMachbare verführt aber auch zu immer mehrBeliebigkeit, Geschwätz und Effekthasche-rei. Die Massenverbreitungsmittel werdenzur Gefahr, wenn sich die Monopolisierungauch in den Medien fortsetzt. Auf der ande-ren Seite ist es oftmals das Verdienst derMedien, in die Lücke, die der schwächelndeStaat hinterlässt, hineinzustoßen und Skan-dale, Korruption und Verbrechen aufzu-spüren und anzuprangern, wie es HeribertPrantl in der Kammerversammlung 2002eindrucksvoll vor Augen geführt hat.

Geprägt wird die Gesellschaft auch durchdie Werbung, in der die Sprache so man-ches Mal verhunzt, verhackstückt und virtuellwieder zusammengesetzt wird mit Versatz-stücken, möglichst anglo-amerikanischenUrsprungs. „Wohnen Sie noch oder loungenSie schon? Ein Sofa ist kein Möbelstück,sondern ein Lebensgefühl“5. Der Bäcker„bäckt, damit man die Frische schmeckt“.Man gewöhnt sich daran, dass die Werbe-aussagen keinen Sinn machen, aber zumunumgänglichen „Outfit“ gehören, um „in“ zusein. Man ist erinnert an Christian Morgen-sterns 3 Hasen im Wiesenwinkel am See:

„Wer fragt, der ist gerichtet,hier wird nicht kommentiert,hier wird an sich gedichtet;Doch fühlst du dich verpflichtet,erheb sie ins Geviertund füge dazu den Purzelaus einem Purzelbaumund zieh aus dem Ganzen die Wurzelund träum den Extrakt als Traum“.

Morgensterns Wortgeklingel passt zwarweniger auf die Werbung für ein Produkt,aber umso mehr auf den Textproduzenten,der auf sich aufmerksam machen will. AufDichtung stößt man dabei allerdings leiderweniger oft. Sollte der „inflatorische Ge-brauch elendester Phraseologie“6 um die_________4 Botho Strauß5 Kultur „SPIEGEL“6 Karl Hugo Pruys

Anwaltschaft einen Umweg machen, mitoder ohne Berufsrecht?

Gesellschaft und alle Lebensbereiche sindtrotz der Deregulierungsbeteuerungen undtrotz des Rückzugs des Staates von Rechts-regeln durchdrungen7. Vielfach wird aber nurein hilflos anmutendes, dichtes Regulie-rungsgestrüpp produziert, das unüberschau-bar, undurchschaubar und teilweise un-durchführbar den Einzelnen weiter in dasGefühl der Ohnmacht drängt, das ihn hilfs-bedürftig macht. Eine Chance für die An-waltschaft? Jedenfalls eine große Aufgabe.

Die Massenproduktion von Gesetzen bringteine hohe Fehlerquote mit sich. Die Gesetzewerden auch nicht mehr geändert, sondern„modernisiert“ oder gar mit Ablaufdatumversehen. Der SPIEGEL spottet8: „MitStolz präsentierte die Bundesregierung vor2½ Jahren ihr neues Mietrecht ... als Jah r-hundertwerk. Doch blieb es gerade Mal121 Tage ungeschoren. Dann stand die1. Änderung an: Es kollidierte mit demSchuldrechtsreformgesetz. Das hatte manschlicht übersehen.“

Nicht nur der Anwaltschaft, sondern demRechtsstaat macht zu schaffen, dass immermehr der Einzelrichter und immer wenigerBerufungs- und Revisionsinstanz zur Ent-scheidung eines Falles berufen sind mit derzwangsläufigen Folge, dass die subjektiveSicht einzelner Richter den Ausschlag gibt9.Dazu kommt die Tendenz zur Privatisierungdes Rechts, der ureigensten Aufgabe einesRechtsstaats10.

Mit all dem hat die Anwaltschaft zu kämpfen.Im Berichtszeitraum war für sie, abgesehenvon der Berufsrechtsentwicklung, besonderseinschneidend der Wegfall der „Lokalisie-rung“, also der Postulationsfähigkeit beim

_________7 Vgl. BGBl. I 2004, S. 580: 8 Seiten VO über die Be-

rufsausbildung zum Modisten/zur Modistin – nur als Bei-spiel fortlaufender derartiger Berufszugangsregelungen imBGBl.

8 Am 21.2.20049 Erwin Deutsch: Der Rechtsstaat ist nicht mehr gewähr-

leistet: NJW 2004 S. 115110 Besonders lesenswert: Die Glosse von Böhlk in BRAK-

Mitteilungen 1998 S. 217 „Die Landgericht Frankfurt amMain GmbH“

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LG/OLG der Zulassung11. Verfassungsrecht-lich war dies nicht geboten12. Der Wegfallbewirkte, dass die Anwaltschaft in kleinerenländlichen Gerichtsbezirken einen Großteilihrer Mandate an überregional tätige Kolle-gen verlor. Die Konkurrenzsituation ver-schärfte sich.

Ähnliches gilt auch für die Etablierung inter-national tätiger mega-firms im Berichtszeit-raum und deren Auswirkungen auf die An-waltschaft13. Dem soll in diesem Rückblick,der die Problematik der Zusammenschlüsseausklammert, aber nicht nachgegangenwerden.

Die Anwaltschaft ist berufen, der im EG-Vertrag hervorgehobenen Staatsaufgabe,die notwendige Daseinsfürsorge in möglichstweitgehender Harmonie mit der Marktwirt-schaftsordnung zu optimieren, gerecht zuwerden14. Auch dem dienen die Grundre-geln, die die Ausübung des Anwaltsberufesin der Berichtszeit prägen. Die Anwaltschaftim Kammerbezirk wuchs in dieser Zeit vonca. 4.500 Mitglieder auf ca. 15.700 Mitglie-der an. Die Anwaltsdichte betrug zuletzt imAmtsgerichtsbezirk München 131 Einwohnerauf einen Rechtsanwalt (an dritter Stelle imBundesgebiet bei einer durchschnittlichenAnwaltsdichte von 680 Einwohnern jeRechtsanwalt). Der SPIEGEL überschriebschon am 7.11.1983 einen Aufsatz zurJuristenschwemme mit „Horden von hungri-gen Anwälten“ und ca. 30 % arbeitslos ge-meldeten Volljuristen. Im Jahre 2002 gab esim Kammerbezirk – ähnlich in den Jahrendavor – einige Insolvenzverfahren und10 Fälle, in denen wegen Vermögensverfallsein Widerrufsbescheid erlassen werdenmusste. Etwa 30 % bis 40 % der neuzuge-lassenen Rechtsanwälte waren nebenberuf-lich tätig, darunter allerdings Titularanwälte,die in der Wirtschaft, in Banken und Versi-cherungen arbeiten. Bundesweit ging derregistrierte Umsatz je Anwalt von 1994 bis2001 stetig zurück.

_________11 Änderungsgesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der

Rechtsanwälte und Notare, BGBl. I 1999 S. 244812 BVerfG NJW 1990 S. 103313 Hettinger in BRAK-Mitteilungen 1988 S. 229; Zulassung

überörtlicher Sozietäten durch BGH NJW 1989, S. 289014 Vgl. Christian Heinze in BayVBl. 2004 S. 33 ff. (35)

In diesen Rahmen war das Berufsrecht ein-gespannt, das sich allerdings nicht auf dieEinhaltung von Leistungsstandards bezieht,sondern auf die Einhaltung von Rahmenbe-dingungen zur Ausübung des Berufes. Wäh-rend das Bundesverfassungsgericht zu-nächst noch den Anwaltsberuf als staatlichgebundenen Vertrauensberuf sah, bei demes dem Rechtsanwalt eine auf Wahrheitund Gerechtigkeit verpflichtete amtsähnlicheStellung zuweist15, misst es ihn in der jünge-ren Rechtssprechung am Grundsatz derfreien und unreglementierten Selbstbestim-mung16.

Das Gericht hat den Beruf bislang nicht alsVerfassungsprinzip anerkannt, sondern alsGemeinwohlbelang in das Prüfungspro-gramm des thematisch einschlägigen Grund-rechts der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) einge-bettet17. Immerhin hat die Richterin am Bun-desverfassungsgericht Renate Jaeger, diedas neue Berufsrecht entscheidend mitge-prägt hat und die im Jahre 2004 zur Richte-rin am Europäischen Gerichtshof für Men-schenrechte ernannt wurde, ausgeführt: „DiePflichten des Anwalts bieten ihm Schutz ge-gen die Konkurrenz durch andere Anbieterauf dem Rechtsberatungs- und Rechtsbe-sorgungsmarkt, die eine solche Bürde, diezugleich Vertrauensprivileg ist, nicht tragen.Deshalb bietet dem Rechtsanwalt seineStellung als unabhängiges Organ derRechtspflege ein Alleinstellungsmerkmal ge-genüber anderen Dienstleistern, die Rat undRechtsbesorgung anbieten. Sie ist ein Vor-zug. In diesem Begriff bündeln sich unter-schiedliche essentielle Merkmale der an-waltlichen Tätigkeit, die die Anwälte insge-samt zum unverzichtbaren Bestandteileines funktionierenden Rechtsstaates ma-chen18.“

_________15 BVerfG 38, 105; 11916 BVerfG 76, 171; 18817 So Papier in Festschrift 50 Jahre Deutsches Anwalts-

institut S. 5. Adolf Arndt erblickte dagegen in Art. 103Abs. 1 GG eine institutionelle Garantie der unabhängigenRechtsanwaltschaft: NJW 1959, S. 6 ff.; S. 1297 ff. Vgl.dazu auch Krämer in NJW 1995 S. 2313 ff. und Koch inHenssler-Prütting, § 1 BRAO Rdn. 78

18 NJW 2004 S. 1 ff. (6) mit Hinweis auf Zuck FN 32

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Eigenart der freien Berufe ist es, dasssie hoch spezialisierte Dienste anbieten, inderen Ausübung Lebens- und Existenzge-fährdungen eintreten können (Arzt, Rechts-anwalt, Statiker) und die deshalb berufs-spezifische Regelungen mit sich gebrachthaben, die auch differenziert zu betrachtensind. Die Leistungen können vom Laienvielfach überhaupt nicht auf ihre Richtigkeitund Zuverlässigkeit hin überprüft werden.Die Erhaltung grundlegender Normen, die imInteresse der Verbraucher eine qualitativhochwertige und von Interessenkollisionenfreie, unabhängige anwaltschaftliche Dienst-leistung schützen, muss deshalb gegen„gleichmacherische Scheinliberalisierung Brüs-seler Provenienz verteidigt werden“ 19.

Die Richtlinien 1979 – 1987

Die Bundesrechtsanwaltsordnung bestimmtebis zum Jahre 1987 in § 177 Abs. 2 Nr. 2,der Bundesrechtsanwaltskammer obliege esinsbesondere, die allgemeine Auffassungüber Fragen der Ausübung des Rechtsan-waltsberufes in Richtlinien festzustellen.Dem kam die BRAK durch Beschlüsse ihrerHauptversammlung nach. Das Präsidiumhatte dazu aufgrund der Organisationssat-zung Art. V (Abs. 1 S. 2) den so genanntenRichtlinienausschuss als ständigen Aus-schuss gebildet, der diese Beschlüsse vor-bereitete. Mit äußerster Akribie und Gewis-senhaftigkeit sondierte dieser Ausschuss dieallgemeine Auffassung der Rechtsanwalt-schaft über die Grundsätze, die die „Stan-des“-Auffassung prägten. Zu deren Fort-schreibung wurden Literatur und Rechtspre-chung sowie Umfragen bei den einzelnenKammern ausgewertet. Gerungen wurde umPunkt, Komma und Strich, nicht nur zursprachlichen Hygiene, sondern auch im Be-wusstsein, dass Punkt, Komma und Strichden Sinn eines Rechtssatzes verändernkönnen. Die Vorgaben des Rili-Ausschusseswurden in aller Regel von der HV der BRAKübernommen. Sie wurden in den „Grundsät-zen des anwaltlichen Standesrechts“ ge-

_________19 So Präsident Hansjörg Staehle in den RAK-Mitteilungen

IV/2003 S. 1

sammelt.20. Diese „Grundsätze“ wurden zu-letzt von der BRAK 1973 in 90 Paragraphenfestgestellt und dann bis zum Februar 1987fortentwickelt. Sie hielten die Rechtsauffas-sungen in Form einer Satzung fest. Vielleichtdeshalb wurden die Richtlinien des öfterenauch wie gesetztes Recht zitiert. In dermaßgeblichen Literatur und Rechtsprechungwar aber unangefochten, dass es sich umdie widerlegbar festgestellte communis opi-nio der Rechtsanwaltschaft handelte undnicht um Rechtsschöpfung. Wer sich auf dieRichtlinien berufen konnte, war aber jeden-falls exculpiert, wenn ihm seine Handlungs-weise zum Vorwurf gemacht wurde21. Nebendieser Erkenntnisquelle für das Berufsrechtgab es nur einige wenige gesetzliche berufs-rechtliche Bestimmungen außer der Grund-norm des § 43 BRAO wie § 203 StGB (Be-rufsgeheimnis), § 352 StGB (Gebührenüber-hebung), § 356 StGB (Parteiverrat).

Das so gewachsene Berufsrecht spiegeltedie Überzeugung der großen Mehrheit derRechtsanwälte wider, wie es auch vom Pub-likum erwartet wurde. Die Anwaltschaft ver-stand ihren Beruf nämlich seit eh und je indem Sinne, dass er im öffentlichen Interessezur Verwirklichung des Rechts gebildet warund dass der Rechtsanwalt dem Recht dient,indem er die legitimen Interessen seinesMandanten wahrnimmt und durchsetzt22.Dabei kann sich seine Tätigkeit nicht sinnvollauf die technokratische Steuerung vonSachprozessen reduzieren lassen23. DieRichtlinien waren so der „Schattenwurf“einer Berufsethik, nämlich der Ausgestaltungdes uralten Grundsatzes „honeste vivere“:„Rechtliches Denken, ehrenhaftes Verhaltenim Verkehr mit Klienten, Kollegen und demGericht sind die sittlichen Grundlagen desBerufsstandes. Sie verbürgen das Vertrauender Rechtsgenossen in das zuverlässigeVerhalten des Anwalts, in seine gewissen-

_________20 Die letzte Kommentierung stammte von Rüdiger Zuck, der

schon unter Berücksichtigung der Entscheidungen desBVerfG von 1987 den Kommentar von Lingenberg/Hummel 1988 in 2. Auflage grundlegend überarbeitetherausgab (unter Mitwirkung von Alexander Eich)

21 EGH München 8.7.1976, AnwBl. 1976 S. 41122 Theodor Weigel, BRAK – Schriftenreihe Bd. 6, 25 Jahre

BRAK 1984 S. 73 ff. (81)23 Rüdiger Zuck (ebendort S. 86)

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48 Gerhard Hettinger

hafte Berufsausübung, in die Redlichkeitseines Wollens“ 24. Das Herkommen und dieRichtlinien trugen so dem Rechtsanwaltsbe-ruf als Dienstleistung besonderer Art Rech-nung, der an die Berufsausübenden einenhohen Anspruch nicht nur an Überblick undBeherrschung des Rechtssystems stellt,sondern auch an Einsatzfreudigkeit und Ge-wissenhaftigkeit der Berufsausübung.

In der Praxis der RAK München gab es kei-ne Diskussion um die Verbindlichkeit derRichtlinien. Die Akzeptanz des Standes-rechts stand außer Frage. Im Einzelfall wur-de die Auslegung der Rili im Vorstand disku-tiert, nicht aber ihre Berechtigung an sich.Nur vereinzelt wurde die Richtigkeit einzel-ner Grundsätze hinterfragt. Drei beschlie-ßende Abteilungen des Vorstandes25 be-fassten sich mit der Überwachung des be-ruflichen Verhaltens von Kollegen i.S.v. § 73Abs. 2 Nr. 4 BRAO. Alljährlich wurden die-sen Abteilungen zwischen 600 und 700 Be-schwerden zur näheren Prüfung vorgelegt,die nicht schon im Filter der Vorprüfungdurch die Geschäftsführung als offensichtlichabwegiges Vorbringen hängen gebliebenwaren.

Die Masse der Beschwerden erwies sichzumeist als unbegründet oder konnte miteinem Hinweis erledigt werden. Die Zahl dererteilten Rügen schwankte alljährlich um die100 Fälle26, die Abgaben an die Staatsan-waltschaft beim OLG München zur weiterenPrüfung oder Verfolgung um die Hälfte da-von. Bezogen auf das Jahr 1983 warenlediglich knapp 2 % der Kammermitglieder inberufsrechtliche Konflikte geraten.

Aus der Praxis des Kammervorstandes sei-en einige Probleme und Problemfälle bei-spielsweise herausgegriffen:

Allgemein wurden die Zunahme von Ruppig-keit im Umgang mit Gerichten, Behörden,

_________24 RA Dr. habil Hans Merkel, ehem. Präsident des Deutschen

Anwaltvereins in Bd. 2 der Schriftenreihe der BRAK 1981;Auszug aus seinem Festvortrag 100 Jahre Rechtsanwalts-kammer München am 19.10.1979 im Herkules-Saal derResidenz in München

25 § 77 Abs. 1 und 5 BRAO26 Gegen Rügebescheide war Einspruch zulässig, über den

der Gesamtvorstand zu entscheiden hatte

Kollegen und auch dritten Verfahrensbetei-ligten, also von Unsachlichkeit, beobachtetsowie von Verstößen gegen das Werbever-bot. Auch nahmen der unkorrekte Umgangmit Fremdgeldern und fehlerhafte Abrech-nungen zu.

– Untätigkeit im Mandat und verschlampteMandate beschäftigten die Berufsrechts-abteilungen ebenfalls nicht selten. Einefindige Kollegin hatte ein Mandat glattvergessen. Das war ihr peinlich. Kurzer-hand fotokopierte sie die Urteilsabschriftaus einer anderen Sache und präsen-tierte sie dem Mandanten als Urteil indessen eigener Sache.

– Die zuverlässige Rückgabe von Ge-richts- und Behördenakten sowie vonEmpfangsbekenntnissen ist ein nobileofficium, nicht um Untertanengeist zubeweisen, sondern um der geordnetenRechtspflege zu dienen und sicher zustellen, dass auch anderen Kollegen dieVorteile dieser Vereinfachung imRechtsverkehr zukommen. Nicht alleKammermitglieder hielten sich daran.Der Kammervorstand vertrat einschrän-kend die Auffassung, dass Empfangsbe-kenntnisse nur bei gesetzlich vorgese-henen förmlichen Zustellungen zu ertei-len sind. Bei „Quasizustellungen“ vonsonstigen Schriftstücken könne sich dieVerpflichtung jedoch aus der allgemei-nen Kollegialitätspflicht ergeben.

– Ein RA vertrat in einer Scheidungssachesowohl Ehemann als auch Ehefrau. Erberief sich darauf, dass bei einvernehm-lichen Scheidungen keine widerstreiten-den Interessen im Spiele seien. Dem istder Kammervorstand entschieden ent-gegen getreten. Zumindest beim Versor-gungsausgleich seien stets gegenläufigeInteressen zum Ausgleich zu bringen.

– Widerstreitende Interessen können auchim Spiel sein, wenn bei einer Schadens-regulierung aus einem Straßenverkehrs-unfall die gegnerische Haftpflichtver-sicherung zur Beschleunigung der Erle-digung Ablichtungen aus den Akten derStaatsanwaltschaft erbittet. Der Vorstandvertrat die Auffassung, dass dabei ge-

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wissenhaft zu prüfen ist, ob die Interes-sen der Versicherung und des Mandan-ten verlässlich gleich gerichtet sind unddie Unfallstrafakten nicht etwa Grund-lage für Regressansprüche der Versiche-rung gegen den Mandanten sein können.

– Geht es auch um die Vertretung wider-streitender Interessen, wenn eine Straf-verteidigung von Medien angetragen undbezahlt wird? In der Presse wurde voneinem Rechtsanwalt berichtet, der sei-nen in Malaysia mit der Todesstrafe be-drohten Mandanten schlecht gemachthaben und dem es in erster Linie nur umdie Vermarktung der Story gegen hor-rendes Honorar gegangen sein soll unterdem Motto: „Ist doch ne gute Story füreuch, wenn der Junge hängt“ 27.

Trotz Abgrenzungsschwierigkeiten beiDrittbeauftragung und Drittfinanzierungeiner Strafverteidigung sah sich derKammervorstand veranlasst, mit großerMehrheit die Zulässigkeit der Annahmevon Pressemandaten zu befürworten.

Dagegen wurde das Verhalten eines sogenannten „Starverteidigers“ als uner-laubtes Werben um Mandat beanstan-det, der aus den Medien von einem sen-sationellen Fall erfahren hatte, dasnächste Flugzeug bestieg und sich zurHaftanstalt begab, in der der Delinquenteinsaß, um das Verteidigungsmandat zuerhalten. Er musste allerdings erfahren,dass der Verdächtigte seine Verteidi-gung nicht wünschte.

– Schon 1977 tauchte das Problem derTelefonberatung auf. Nach allgemeinerAuffassung war diese unzweifelhaftstandeswidrig.

– So wurde das auch bei unzulässigerZweck-Mittel-Relation gesehen: Ein RAhatte einem Gastarbeiter mit einemausländerrechtlichen Verfahren gedrohtfür den Fall, dass er die RA-Gebührennicht bezahlt. Auch der standesrechtliche

_________27 „Antiquierte Standesrichtlinien“: Leserbrief des Autors in

AnwBl. 1987 S. 225

Überhang nach Bestrafung des RA we-gen versuchter Nötigung wurde bejaht.

– Standeswidrigkeit bei Umgehung desGegenanwalts wurde auch dann bejaht,wenn der RA in eigener Sache tätig wur-de: Semel advocatus semper advocatus.

– Die Verschwiegenheitsverpflichtung wur-de stets sehr ernst genommen. Meldetsich ein Wahlverteidiger, muss diePflichtverteidigung zurückgenommenwerden (§ 143 StPO). Ein Gerichtsvorsit-zender wollte das davon abhängig ma-chen, dass der Wahlverteidiger die Erklä-rung abgab, die Honorarfrage sei geklärt.Dies wurde im Vorstand eingehend dis-kutiert mit dem Ergebnis, dass derRechtsanwalt seine Verschwiegenheits-pflicht verletzt, wenn er die Anfrage desGerichtes beantwortet.

– Nach § 55 Rili war Gebührenteilung zwi-schen Rechtsanwälten schlechthin un-tersagt. Das führte zu intensiven Bera-tungen im Vorstand wie auch im Rili-Ausschuss. Schließlich wurde § 55 imJahre 1979 durch § 55 a ergänzt. Damitwurde insbesondere anerkannt, dass derProzessbevollmächtigte den Verkehrs-anwalt für seine Mitarbeit angemessenhonorieren kann.

– 1980 beauftragte die BRAK-HV den Rili-Ausschuss mit der Prüfung, ob die unbe-schränkte Haftung des Anwalts im Hin-blick auf seine Unabhängigkeit und dasbesondere Vertrauensverhältnis zumMandanten zwingend sei. Auch der Vor-stand der RAK München hat sich damiteingehend befasst und kam zu dem Er-gebnis, dass das Verbot von Haftungs-ausschlüssen weiter zu präzisieren sei.Im Rahmen der allgemeinen Gesetzemüsse es zulässig sein, Haftungsaus-schlüsse zu vereinbaren. In diesem Sin-ne wurde dann auch § 49 Rili neu ge-fasst.

– Seit jeher wurde aus der Pflicht zur ge-wissenhaften Berufsausübung auch die

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Pflicht zur Fortbildung abgeleitet28.Stimmen wurden laut, dass daraus auchdie Standespflicht abzuleiten sei, Man-date abzulehnen, von denen derRechtsanwalt nichts versteht29. Weiter-gedacht führt das zur möglichen berufs-rechtlichen Relevanz von Falschbera-tung, z.B. wenn eindeutig festgestelltwerden kann, dass der RA eine Geset-zesänderung oder wesentliche Wand-lung in der Rechtsprechung nicht zurKenntnis genommen hat30. In der Praxisder RAK München wurde das so wedergesehen noch ist die Frage ernsthaftaufgetaucht. Auch die frühere Recht-sprechung hatte sich zwar wiederholt mitder Standeswidrigkeit nachlässiger Man-datsführung befasst31. Dabei ging esaber nicht um mangelnde fachlicheQualifikation, sondern um mangelndeEinsatzfreude.

– Beim Werbeverbot des § 2 Rili war mansich im Klaren darüber, dass der Begriff„Werbung“ auch zulässige, ja geboteneKundmachungen über die Kanzlei um-fasst wie das Kanzleischild, eine Pres-seanzeige bei Eintritt weiterer Mitgliederu.a.m. sowie auch Öffentlichkeitsarbeitbei Presseauskünften über Mandate, dieder Mandant wünscht. Von Anfang anhandelte es sich also um ein einge-schränktes Werbeverbot. Es ging darum,die Grenzen abzustecken32. Sie wurdendogmatisch unterschiedlich gesehen.Zuck unterschied zwischen Informati-onswerbung und Mandatswerbung. Au-ßer Frage stand jedenfalls, dass Wer-bemethoden, wie sie in der Wirtschaftüblich sind, insbesondere die reklame-hafte Herausstellung oder gar markt-schreierische Anpreisung unzulässigwaren. Wie sollte auch dem Publikumder richtige Anwalt im Sinne von erfah-ren, tüchtig, einsatzfreudig, gar charis-matisch durch Werbung zu vermitteln

_________28 Zuck Rili-Kommentar § 1 Rdn. 8; Eylmann in Henssler/

Prütting § 43 a BRAO Rdn. 16629 Konrad Redeker NJW 1982 S. 2761 ff.30 Eylmann a.a.O. Rdn. 17531 Z.B. EG IV 39; 6032 Zuck, Kommentar § 2 Rdn. 19

sein? Im Wesentlichen gibt die Werbungja nur Auskunft über die Findigkeit, sichin Szene zu setzen und über den Wer-beetat, also die wirtschaftliche Potenzdes Anbieters. Die sachliche Informationbeschränkt sich weitgehend auf das be-ackerte Arbeitsgebiet.

Vorstand und Standesrechtsabteilungen derRAK waren vielfach und intensiv mit derProblematik befasst. Im Wesentlichen ginges darum, Systematik in die Kasuistik zubringen. Dazu wurden auch Ausschüsse ge-bildet und Papiere gründlich erarbeitet.Die Erörterungen wurden dann durch denBeschluss des Bundesverfassungsgerichtesvom 14.7.1987 überholt.

Die Beratungen des Kammervorstandeswurden oft mit Witz und stets verantwor-tungsbewusst geführt. Nicht alles nahm manaber bierernst. Das mag ein Gruß derSchatzmeisterin Marion Liebl-Blittersdorffzum Jahreswechsel 1983/1984 „Im Volks-ton“ beweisen, in dem es heißt:

Z´Minga drobn sans alle beinandde Großkopfatn von unserm Stand,de ois wissen, was ma net toa deaf,des geht am einfachn Advokatn am Neav,der muaß si plagn und a Geld vodeanaund sollt – zweng dene! – die Richtlinienauswendi leana.Da gfoilln ma die andern fei scho bessa,di wo eim helfa in den Honorarprozessa.

Zu schaffen machte dem Kammervorstandallerdings die Politik.

Im Zusammenhang mit der Bekämpfung desTerrorismus – Rote Armee Fraktion – kames zu Resolutionen der Kammerversamm-lungen vom 22.4.1977 und 14.4.1978, mitdenen die Bedrohung der bürgerlichen Frei-heiten scharf gegeißelt wurden. „Auch dienotwendige Bekämpfung des Terrorismusund der Gewaltkriminalität, auch die Gefahr,dass einzelne Verteidiger gemeinsameSache mit Kriminellen machen, rechtfertigtes nicht, die verfassungsmäßige freiheitlicheOrdnung unseres Staates aufzuheben undzu durchbrechen.“ „Mit Bestürzung und Ver-bitterung haben wir zur Kenntnis nehmenmüssen, dass das Bundesverfassungsge-

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richt es nicht für Wert hielt, der AnwaltschaftSchutz ihrer Würde zu gewähren, derenVerteidigung Berufspflicht des Rechtsan-walts und deren Achtung Verpflichtung allerstaatlichen Gewalt ist“. Es ging um die Ent-scheidung vom 7.4.1978 über Verfassungs-beschwerden gegen unwürdige Verteidiger-kontrollen in den Haftanstalten, die so ge-nannten „Hosenladen-Erlasse“. In solchentwürdigenden Kontrollen wurde vomKammervorstand ein wichtiger Grund dafürerblickt, dass eine Pflichtverteidigung abge-lehnt werden konnte.

Auf der anderen Seite führte der Verdacht,dass ein Kammermitglied im Sinne des ma-oistischen Kommunismus zum Kampf mitder Waffe gegen die verfassungsmäßigeOrdnung der BRD aufgerufen haben soll,dazu, dass die Staatsanwaltschaft einge-schaltet wurde. Als berufswidrig und mit demabgelegten Eid auf die Verfassung nicht inEinklang zu bringen wurde es gewertet,wenn ein Kammermitglied die freiheitlichdemokratische Grundordnung in strafbarerWeise bekämpft oder die gewaltsame Be-seitigung von Verfassungsgrundsätzen öf-fentlich fordert. Eine ähnliche Problematiktrat bis zum Schluss der Berichtszeit, auchim Zusammenhang mit islamistischen „Got-teskriegern“, nicht mehr auf.

Sensationell wurde ein Vorgang aus demJahre 1984: Dr. Edmund Stoiber, Kammer-mitglied und Staatssekretär, der späterebayerische Ministerpräsident, hatte sichöffentlich über eine „seltsame Moral“mokiert, wenn sich „Leute, die Mörder undTerroristen verteidigt haben, für Sauber-männer der Republik halten“. Gemünzt wardas auf RA Otto Schily, seinerzeit Abgeord-neter und späterer Bundesinnenminister imRahmen einer Auseinandersetzung im Flick-Ausschuss. Das Präsidium wies Dr. Stoiberschriftlich darauf hin, es dürfte nicht möglichsein oder gang und gäbe werden, dassRechtsanwälte wegen ihrer Berufszuge-hörigkeit oder wegen der ordnungsgemäßenAusübung ihres Berufes diffamiert oder inder Ausübung von öffentlichen Ämtern zu-rückgesetzt werden. Auch die Verteidigungvon Mördern und Terroristen gehöre zu denschwierigen Aufgaben und Pflichten des

Rechtsanwalts. Dr. Stoiber wurde gebeten,bei sich bietender Gelegenheit zur Korrekturdes Bildes der Anwaltschaft beizutragen.Dies wies der Betroffene in einem 5-seitigenSchreiben empört zurück. Er stellte seineErwiderung im Wortlaut in eine Presseerklä-rung der Bayerischen Staatskanzlei ein.Damit entfiel auch die Verschwiegenheits-pflicht des Kammervorstandes in diesemZusammenhang nach § 76 BRAO.

Der Vorgang schlug noch weiter Wellen inder Publizistik. Ein Boulevard-Blatt nahm ihnzum Anlass, Vizepräsidenten Dr. Gruno, derdas Schreiben an Dr. Stoiber unterschriebenhatte, als „Sittenwächter des heute in vielerHinsicht nicht mehr zeitgerechten Standes-rechts“ abzukanzeln bzw. zu ironisieren.

Das zeigt, wie in der Öffentlichkeit bereits inder ersten Hälfte der 80er Jahre das Stan-desrecht in Frage gestellt wurde33. Führendbei der Demontage der „antiquierten Stan-desrichtlinien“ war RA Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg, der auch Prozessvertreterin einer der beiden Verfassungsbeschwer-den war, die dann zu den Entscheidun-gen des Bundesverfassungsgerichtes vom14.7.1987 führten. Er stellte Standesrechtund „Ethosfiktion“ in Frage u.a. mit der Be-gründung, dass die Richtlinien ihre Bedeu-tung dem Faschismus verdankten34. Diesforderte entsprechende Kritik heraus35 undwurde im Kammervorstand als Polemik ge-wertet.

Der Richtlinienausschuss befasste sich inseiner Sitzung vom Mai 1987 und nochmalspäter mit den beiden Verfassungsbe-schwerden, noch bevor die Beschlüsse hier-über bekannt wurden. Die Verfahren gabenAnlass zu umfassenden Grundsatzerörte-rungen, zu denen die Mitglieder des Aus-schusses umfangreiche schriftliche Ausar-

_________33 Damit befasste sich schon die Göttinger Dissertation von

Sue 1986 „Rechtsstaatliche Probleme des anwaltlichenStandesrechts“

34 AnwBl. 1986 S. 505 ff.35 Leserbriefe AnwBl. 1987 S. 224 ff.

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beitungen beibrachten36. Einbezogen wur-den auch die Grundsätze des europäischenStandesrechts. Die CCBE37 hatte bereits inihrer Erklärung über die Grundsätze des an-waltlichen Standesrechts in den Mitglieds-staaten 1977 dargelegt: „Der Anwalt mussdem Interesse der Gerechtigkeit ebensodienen wie dem Interesse eines Mandanten;es ist seine Pflicht, nicht nur blindlings des-sen Anliegen zu vertreten, sondern auchsein Berater zu sein. Seine Aufgabe bringtdaher eine Fülle von unterschiedlichenrechtlichen und moralischen Verpflichtungen...“. Richtlinienausschuss wie Kammervor-stand waren nicht bereit, sich in die Eckedrängen zu lassen: „Auch unser Herz glühtfür die Freiheit, aber für Freiheit mit hoherobrigkeitlicher Bewilligung“.

Die Beschlüsse des Bundesverfassungs-gerichts vom 14.7.1987

Die gesetzliche Regelung der §§ 43, 177Abs. 2 Satz 2 BRAO wurde vom Bundes-verfassungsgericht jahrzehntelang gut ge-heißen. Noch in der Entscheidung vom4.4.198438 heißt es: „Allerdings sind die Be-rufspflichten in § 43 BRAO entsprechend derherkömmlichen Rechtstradition nur general-klauselartig umschrieben ... Für disziplinäreund standesrechtliche Maßnahmen hat dasBVerfG indessen in ständiger Rechtspre-chung entschieden, dass hier eine Einzel-normierung weder nötig noch möglich ist,dass vielmehr Generalklauseln deshalb ge-rechtfertigt sind, weil eine erschöpfende Auf-zählung der Berufspflichten unmöglich istund weil diese im Allgemeinen den Berufs-angehörigen bekannt sind ... An dieserRechtsprechung ist festzuhalten.“

_________36 Der Rili-Ausschuss setzte sich 1987, im letzten Jahr seiner

bisherigen Aufgabe, wie folgt zusammen: RAuN Dr. Bern-hard Dombek, Berlin, späterer Präsident der BRAK; RA Dr.Otto Haas, Konstanz; RA Dr. Gerhard Hettinger, Augsburgals Nachfolger von RA Rainer Klaka, München; RAuN Dr.Henning Hübner, Bremerhaven; RA Ernst Jacobs, Krefeld;RAuN Friedrich Mohr, Münster; RA Prof. Dr. Rüdiger Zuck,Stuttgart; Vorsitz: RAuN Theodor Weigel, Frankfurt/M.

37 Commission Consultative des Barreaux de la Commu-nauté Européenne

38 NJW 1984 S. 2341

Mit den beiden Beschlüssen vom14.7.198739 änderte das Gericht seine Mei-nung. Es entschied, dass den Richtlinienrechtserhebliche Bedeutung nur noch füreine Übergangszeit bis zur Neuordnung desanwaltlichen Berufsrechts zukomme, soweitihre Heranziehung unerlässlich sei, um dieFunktionsfähigkeit der Rechtspflege aufrechtzu erhalten. Das Grundrecht der Berufsfrei-heit (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) müsse mitden Belangen der Allgemeinheit in Einklanggebracht werden. Die Abwägung, gegenüberwelchen Gemeinschaftsinteressen und wieweit das Freiheitsrecht des Einzelnen zu-rücktreten muss, falle aber in den Verant-wortungsbereich des Gesetzgebers. Wäh-rend der Übergangsfrist könne zwar auf dieRili als Konkretisierung der Generalklauselzurückgegriffen werden, aber nur soweit eszur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigenRechtspflege unerlässlich ist. Dies gelte imWesentlichen für Berufspflichten, die dieEhrengerichte in anerkannter Rechtspre-chung aus der Generalklausel und ausunbestritten fortgeltendem Gewohnheits-recht hergeleitet haben, wie etwa die Ver-schwiegenheitspflicht, das Verbot der Wahr-nehmung widerstreitender Interessen, dieGrundsätze der Gebührenberechnung u.a.m.Das Sachlichkeitsgebot sei nur verletzt, so-weit es sich um strafbare Beleidigungen, diebewusste Verbreitung von Unwahrheitenoder solche herabsetzenden Äußerungenhandele, zu denen andere Beteiligte oderder Verfahrensverlauf keinen Anlass ge-geben hätten. Nur berufswidrige, nicht jeg-liche Werbung durch öffentliche Informationsei untersagt. Die Vermeidung von Quali-tätsanpreisungen durch ein reklamehaftesSichherausstellen gegenüber Berufskollegenkönne aber verhindern, dass durch werten-de, nicht überprüfbare Werbeaussagen un-richtige Erwartungen entstehen, die umsonäher liegen, als die anwaltlichen Leistungenvon den Rechtsuchenden in der Regel nurschwer einschätzbar seien. Eine Unterbin-dung von Werbemethoden, wie sie in dergewerblichen Wirtschaft üblich sind, wurdeim Gesamtzusammenhang gebilligt.

_________39 NJW 1988 S. 191; 194

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Die beiden Entscheidungen wurden erst ge-gen Jahresende 1987 veröffentlicht. In einerPresseerklärung der BRAK vom 24.11.1987wurden sie als Wegweiser zu einem moder-nen Berufsrecht der Anwaltschaft vorgestellt,der das anwaltliche Berufsbild stärkt und dieStellung unterstreicht, die dem Anwalt nichtum seiner selbst Willen, sondern wegen sei-ner Aufgabe in der Rechtspflege zukommt.In der ersten Sitzung des Kammervor-standes nach der Veröffentlichung am11.12.1987 wurden die Entscheidungen alsformale Wende gewertet. In der Beurtei-lungspraxis der 3 Abteilungen werde sich imErgebnis nicht sehr viel ändern. Die Mess-latte werde allerdings höher gehängt werdenmüssen und der Begründungsaufwand wer-de größer. Die Abteilungen hatten zur Sit-zung bereits Detailausarbeitungen zu deneinzelnen Rili-Paragraphen vorgelegt. An-derweitig wurden die Entscheidungen desBVerfG als Befreiung von engstirniger Pro-vinzialität gefeiert.

Wenn das Gericht dem Gesetzgeber verord-net hat, Bestimmungen in Gesetzesform zuerlassen, die der Berufsfreiheit nur dortGrenzen setzen, wo dies dem Gemeinwohldient, beruht das auf dem Grundgedankenvon 1789, dass solch einschränkende Vor-schriften der Mehrheitsüberzeugung desVolkes entsprechen müssen. Das entspringtdem Ideal der Willensbildung des Volkesdurch das gewählte Parlament. Dies kannmit der heutigen Gesetzesmaschinerie undangesichts der zunehmenden Verrecht-lichung aller Lebensbereiche nur noch theo-retisch verwirklicht werden. Der einzelneAbgeordnete hat keinen Durchblick mehr, erist auf die Ministerialbürokratie, Lobby undFraktionsvorstand angewiesen, soweit dieVorgaben nicht ohnehin aus undemokratischgesteuerten EU-Richtlinien herrühren. Als-dann verbleibt im Wesentlichen nur ein for-meller Filter, den die Bestimmungen passie-ren müssen, der allerdings der Rechtsstaat-lichkeit40 dient. Die Entscheidung, ob dasGesetz dann wirklich Gemeinwohlinteressenfördert, behalten sich die 16 Richter des_________40 Der Begriff „Rechtsstaat“ findet in anderen Sprachen keine

Entsprechung: Fritz Ossenbühl in Deutscher JuristentagGutachten B zur 50. Tagung S. 143 ff.

Bundesverfassungsgerichtes vor. Deshalbwurde auch die Frage aufgeworfen, obRichter (oder Richterinnen) die Deutschenregieren.

Die Übergangszeit 1987 – 1994

Progressisten und Konservative waren inihren Auseinandersetzungen um das Be-rufsbild und das Berufsrecht schon bis dahinnicht zimperlich. Dem Aufruf, das Recht neuzu gestalten, wurde nunmehr mit Leiden-schaft Folge geleistet. Beiträge gerieten ge-legentlich ins Abseits. Gefochten wurde nichtnur mit Florett, sondern auch mit schweremSäbel. Der Erfindungsreichtum bis hin zuVerunglimpfungen der Gegner machte demKampfesberuf der Rechtsanwälte alle Ehre.

Daran nahm die Öffentlichkeit, d.h. dieMedien, regen Anteil. DER SPIEGEL pole-misierte in einer 2-teiligen Serie41 gegen dasüberkommene „Zunftwesen“ mit Schutz-zonen für das Establishment. Auf der ande-ren Seite wurde beklagt, dass dieses Rechtnicht in der Lage dazu gewesen sei, für qua-lifizierte Dienstleistungen der Rechtsanwältezu sorgen. Aufgemacht war das an der Per-son des „Starverteidigers B“, der mit Bild undvollem Namen als Schaumschläger undjuristischer Versager, aber schlitzohrigerWerbekünstler porträtiert wurde, der mit demVerkauf der Story eines Habenichts undDelinquenten an die Presse dessen Persön-lichkeitsrechte kapitalisiere. Die RAK Mün-chen sei nicht in der Lage dazu gewesen,dessen Praktiken abzustellen. Auf der ande-ren Seite wurde die völlige Freigabe derWerbung propagiert, bei der das recht-suchende Publikum dann den richtigen An-walt finden werde. Rezeptiert wurde also,Satan mit dem Beelzebub auszutreiben. DerVerfasser des Aufsatzes bemerkte nicht dendoppelten Widerspruch seiner Argumen-tation: Einmal redete er der Erweiterung derBerufsaufsicht über die fachliche Arbeit derRechtanwälte das Wort, die er gerade ab-schaffen wollte. Zum anderen wurde der_________41 Nr. 49; 50 vom Dez 1989 „Über den Ansehensverlust der

Westdeutschen Anwälte“. Leserbriefe hierzu in Nr. 51 vom18.12.1989

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völligen Freigabe der Werbung das Wortgeredet, obwohl der Verfasser geradeden „Hochglanzadvokaten“, der seine eitleSelbstdarstellung virtuos in Szene setzt, ab-getakelt hatte.

Heribert Prantl meinte, die BRAO sei einRahmen aus dem Gips der standesrecht-lichen Romantik. „Die Ecken sind ange-schlagen, die Verzierung gesprungen. Die-ser Rahmen versucht, etwas zusammen zuhalten, das es nicht mehr gibt: Die Würdedes Standes“ 42.

DIE ZEIT dagegen beklagte unter der Über-schrift „Ghetto-Lüge vor Gericht. Neonazi inder Anwaltsrobe. Der Bundesgerichtshofverteidigte die advokatische Freiheit an derfalschen Stelle“, dass der BGH die Verurtei-lung eines Strafverteidigers aufgehobenhatte43. Dieser habe die historische Wahrheitgeleugnet, indem er „die Mordumständeeines angeklagten SS-Führers hinwegreden“wollte, der vorgetragen hatte, dass die Hun-gersnot in dem berüchtigten Ghetto „bei einbisschen Solidarität der dort lebenden260 000 Juden verhindert worden wäre“.Das Gericht habe die „wenigen für den Ver-teidiger sprechenden Elemente mühsam zu-sammengetragen, um auf absurde, untaug-liche Weise die Freiheit der Advokatur zuverteidigen“. Ehrenschutz der Juden und dasAndenken der Ermordeten blieben auf derStrecke. „Der Schaden besteht darin, dassnun auch in Zukunft rechte Ungeheuerlich-keiten vor einem staatlichen Gericht ausge-breitet werden dürfen“.

Auch fachlich setzten heftige Aktivitäten ein,begleitet von zahlreichen Publikationen44:

Der DAV veranstaltete am 4./5.3.1988 inDortmund das Forum „Zukunft der Anwalt-schaft“, an dem 600 Juristen, darunter zahl-reiche Justizminister und Kammerpräsiden-ten, teilnahmen45. Treffend formulierte einerder Referenten, RA Prof. Dr. Zuck: „Der An-

_________42 Süddeutsche Zeitung 3/4.5.198943 DIE ZEIT 9.10.198744 Z.B. Commichau JZ 1988, S. 824; Wimmer DVBl. 1988

S. 821; Jähnke NJW 1988, S. 1888; Odersky AnwBl. 1991S. 238; Hettinger BRAK-Mitt. 1988 S. 229

45 Zusammenfassende Berichte BRAK-Mitt. 1988 S. 106 ff.

walt soll nicht nur anständig Geld verdienen,sondern Geld auch anständig verdienen“.

Der 57. Deutsche Juristentag in Mainzwidmete seine Schlussveranstaltungam 30.9.1988 dem „Standesrecht im Um-bruch“ 46. Das Podium war prominent be-setzt, darunter Dr. Simon, der an den Ent-scheidungen vom 14.7.1987 mitgewirkt hat-te. Vorgetragen wurden Statements, die vonder Kritik an den Entscheidungen über derenRechtfertigung bis hin zur säkularen Chancegingen, das Berufsrecht neu zu gestalten.Der Moderator, RA/BGH Dr. Brandnermeinte, der „Paukenschlag“ der Gerichtsbe-schlüsse habe trefflich gewirkt. Als ob eineSchleuse geöffnet worden wäre, habe einevielstimmige Diskussion eingesetzt über dasBerufsbild, die Rechtsstellung und die innereOrdnung der deutschen Rechtsanwälte.Simon wollte die Entscheidungen als Chan-ce für eine Neuordnung des Berufs- undStandesrechts verstanden wissen. In der all-gemeinen Publikumsdiskussion wurde unteranderem davor gewarnt, „dass man demüberholten Manchester-Liberalismus des 19.Jahrhunderts das Wort redet, der nur derFreiheit des großen Kapitals und der Mäch-tigen dienen kann, der aber die Freiheit derVielen, auf die es im freiheitlichen Rechts-staat ankommt, tötet und untergräbt“. Ausdiesem Geist entspringe die Tendenz zurradikalen Deregulierung. Der Manchester-Liberalismus setze dem homini als hominislupus keine Grenzen, selbst nicht bei Aus-beutung von Kindern in der Bergwerks-Untertage-Arbeit, während der soziale Libe-ralismus eines Theodor Heuss darauf ab-stellt, dass die Freiheit des Einzelnen ihreGrenzen in der Sphäre und in der Freiheitdes anderen findet.

Die RAK München veranstaltete im Septem-ber 1988 eine Befragung ihrer Mitglieder zurNeuordnung des Berufsrechts. Themenwaren Lokalisierung und Anwaltszwang,Werbung, Kollegialität und Sachlichkeit. DieFragen wurden im Einzelnen aufgegliedert.

_________46 Sitzungsberichte Bd. 2 Teil P; zusammenfassender Bericht

NJW 1988 S. 2997. Auf dem Podium Michael Kleine-Cosack; Gerd Pfeiffer; Jürgen Rabe; Helmut Simon; Theo-dor Weigel

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Knapp 20 % der Kammermitglieder habensich daran beteiligt. Mehr als die Hälfte da-von meinte, dass sie sich bei Freigabe derWerbung auch dem Werbezwang ausge-setzt sähen. 82 % befürchteten, dass derWerbezwang auch zur Mogelpackung führe.67 % befürworteten die Beibehaltung desKollegialitätsprinzips, 75 % nähere Bestim-mungen über das Gebot der Sachlichkeit.

Der Münchner Anwaltverein veranlasste zu-sammen mit dem BMJ und dem DAV eineUntersuchung der Prognos AG und derInfratest über Zugangsschwellen, Bera-tungsbedarf und Anwaltsimage, die dannauch zum Sonderheft des DAV „Zukunft derAnwaltschaft“ führte47.

Der 45. Deutsche Anwaltstag im Mai 1989 inMünchen machte bisher verborgene Frontensichtbar. Friedrich Mohr fragte, wie eigentlichdie Unabhängigkeit des Anwalts gesichertwerden solle. Die Reform des Berufsrechtsmüsse in erster Linie garantieren, dass demrechtsuchenden Bürger und nicht nur derKlientel aus der Wirtschaft (bei Begünsti-gung der Elefantensozietäten und Anwalts-fabriken) geholfen werde.

Am 5.4.1989 hat der Autor mit RA Dr. Klei-ne-Cosack ein Podiumsgespräch in derJuristischen Gesellschaft Augsburg geführt,in der der Autor den konservativen Stand-punkt vertrat – im Großen und Ganzen inÜbereinstimmung mit der Auffassung desKammervorstandes48. Daraus sei zitiert: Deräußere Anstoß, den das BVerfG gegebenhat, gebe die Chance, zu neuen Ufern auf-zubrechen. „Was liegt auch näher in einerZeit gesellschaftlicher Wandlungen zur post-industriellen Gesellschaft und eines epo-chalen Wertewandels“. Letzterer sei u.a.durch Strömungen gekennzeichnet von„Fundamentalisten aller Schattierungen,denen die Ablehnung der säkularisierten,pluralistischen und toleranten Zivilisationgemeinsam ist. Wo soll da das neue Berufs-recht der RAe hinaus? Ein handfester An-satzpunkt bewegt die Anwaltschaft: Das

_________47 Bericht Cramer in BRAK-Mitt. 1989 S. 17448 Das Statement von Dr. Kleine-Cosack ist nicht erhalten.

Dr. Kleine-Cosack und der Verfasser bedauern, dass da-raus nicht zitiert werden kann

sprunghafte Anwachsen der Anwaltschafteinerseits und der Marktverlust andererseits.Immer mehr Rechtsrat wird von anderenStellen erteilt, von Verbänden, Banken, Ver-sicherungen und steht da das bisherige Be-rufsrecht einer wirtschaftlichen Expansiondes Heeres von Rechtsanwälten nicht imWege? Der radikalste Vorschlag geht dahin,das Berufsrecht einfach abzuschaffen. DasStichwort heißt dazu: Deregulierung. Dabeiwird verkannt, dass es um eine Tätigkeitgeht, die gegenüber sonstigen Gewerbenmöglicherweise kein aliud ist, die aber dochals ein hoch differenzierter Beruf Besonder-heiten aufweist, die auch besonderer Rege-lungen bedürfen“. Zitiert wurde Wimmer49:Die RAe seien mehr als bloße Interessen-vertreter, weil sie objektivierte Sachkundeanbieten. Der Mandant bedürfe aus der ob-jektiven Sicht der Gesellschaft eines läu-ternden, von der Sache selbst distanziertenRatgebers und Vertreters. „Der RA muss mitseinem Mandanten bis an die Grenze desRechts gehen. Dort hat er aber stehen zubleiben, auch wenn es sein Mandant nichtwill“. Im Anschluss daran wurde aufgezeigt,dass sich unverzichtbare Regeln herausge-bildet haben wie etwa diejenigen über dieVerschwiegenheit, Vertraulichkeit, Lauter-keit, Zuverlässigkeit im Geldverkehr, Kolle-gialität und Meidung schon des Anscheinsder Vertretung widerstreitender Interessen.

Am 15.3.1991 schließlich kam es auch zueiner Aussprache der Vorstände von RAKMünchen und DAV in der Kammer München.

All das, was so zusammengetragen wurde,haben die Ausschüsse von DAV und BRAKin Vorschlägen für Gesetzesregelung undBerufsordnung verarbeitet. Die heftigenAuseinandersetzungen führten auch zu einergewissen Polarisierung zwischen DAV, umden sich die Progressisten geschart hatten,und der BRAK, in der vorwiegend Traditio-nalisten arbeiteten. Dennoch wurde auchdort beinahe alles und jedes der bisherigenOrdnung in Frage gestellt und überprüft. DerGesetzgeber wartete auf stimmige Ergeb-nisse aus der Anwaltschaft und einen mehr-

_________49 DVBl. 1988 S. 821

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heitlichen Interessenausgleich50. In derBRAK beschäftigten sich mehrere Aus-schüsse mit dem künftigen Recht. Der Ver-fassungsrechtsausschuss arbeitete an dererforderlichen Regelung durch Gesetz, derbisherige Rili-Ausschuss, nunmehr unbe-nannt in Berufsrechtsausschuss, an der Ge-samtregelung, vorwiegend an einer durchdie Anwaltschaft autonom zu gestaltendenBerufsordnung. Einbezogen wurden auchdie internationalen Regeln, insbesonderediejenigen der CCBE. Mit der gewohntenUmsicht und Gründlichkeit arbeitete derAusschuss in zahlreichen, mehrtätigen Sit-zungen und schriftlichen Voten am neuenRecht. Sämtliche Entscheidungssammlun-gen der Ehrengerichtshöfe aus der vorkon-stitutionellen Zeit wurden auf Gewohnheits-recht hin überprüft. Das war für die Katz´.Das zeigt das Beispiel Versäumnisurteil:

Herkömmlich durfte im Zivilprozess das VUnur beantragt werden, wenn es dem anwalt-lichen Gegner vorher angedroht war. Er-wartet wurde, dass bei Säumnis des Geg-ners zumindest dessen Kanzlei fernmündlichzu verständigen war. Wenn die Säumnisnicht entschuldigt werden konnte, war derWeg nach angemessener Wartezeit für denVU-Antrag frei. Das entsprach auch vorkon-stitutionellem Recht51. Der BGH wischte je-doch die alte Regel im Urteil vom27.9.199052 vom Tisch. Gleichwohl nahm siedie spätere Satzungsversammlung als § 13in die Berufsordnung wieder auf. DieBestimmung wurde vom BVerfG am14.12.1999 jedoch für unwirksam erklärt53,während das Verbot der Umgehung des Ge-genanwaltes in § 12 BORA der Überprüfungdurch das BVerfG standhielt54. Das zeigt,auf welch schwankendem Boden sich dasBundesverfassungsgericht bewegt. BeideRegelungen dienen (auch) der Kollegialität.Im Vordergrund steht aber bei beiden dieRechtspflege und damit das Gemeinwohl.Beim VU zeigt das am Besten die Vorschrift_________50 So Bundesjustizminister Engelhard auf dem 45. Deutschen

Anwaltstag51 BRAK-Mitt. 1988 S. 13; 1991 S. 33; Hettinger in NJW 1991

S. 116152 NJW 1991, S. 4253 BGBl. I 2000 S. 54; NJW 2000 S. 34754 Entscheidung vom 12.7.2001, NJW 2001 S. 3325

des § 337 S. 1 ZPO: Das VU ist nicht zu er-lassen, wenn eine Partei ohne ihr Verschul-den am Erscheinen verhindert ist.

DER SPIEGEL unkte: Der Richtlinienaus-schuss der BRAK versuche, aus den Trüm-mern des eingerissenen Gebäudes seineGrundmauern zu sichern und Barrieren ge-gen den Fortschritt zu errichten. Er mussteaber einräumen, dass das „revolutionäreBVG-Urteil erstaunlicherweise“ nicht dazugeführt habe, dass die westdeutschen An-wälte plötzlich über die Stränge schlagenoder auch nur den Spielraum ausloten, denihnen „der übrig gebliebene Standes-Torsoeröffnet“.

Der Rili-Ausschuss hatte schon in einer Eil-sitzung im Januar 1988 ausgearbeitet, wel-che Bestimmungen der Rili fortgelten. Schonmit dem Beiheft August 1990 zu den BRAK-Mitteilungen konnte der Entwurf eines Ge-setzes zur Änderung des Berufsrechts derRechtsanwälte sowie eine Berufsordnungvorgestellt werden, die dann weitgehend indas spätere Gesetzes- und SatzungsrechtEingang gefunden haben – zunächst in denGesetzesentwurf der Bundesregierung vom19.5.199355.

Auch im Rili-Ausschuss ging es bei allemErnst und aller Emsigkeit nicht immer bier-ernst zu. Ironie und Selbstironie waren demAusschuss nicht fremd. Die BRAK hatte beiden Kammern rundgefragt, ob Fachanwältemit „RA und Fachanwalt für ...“ firmierendürfen. 12 Kammervorstände hatten sichdamit befasst. Nun sollte der Rili-Ausschussdazu Stellung nehmen. RAuN Mohr ausMünster verfasste dazu eine ausführlicheStellungnahme in Versform, in der es u.a.heißt:

„Doch fragen sich die schlauen Kammern– und dies ist wirklich nur zum Jammern –,ob man es wohl gestatten kann,wenn hier und dort und dann und wannein Anwalt üble Werbung treibtund beides aneinander reiht;Den Anwalt solo und mit Fachmit „und“ verbunden aber ach.Auf Schildern und auf den Papieren

_________55 Drucksache 12/4993

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will er dies Teufelszeug nun führen.“

Abschließend hieß es dann, Gegenvotenwerden wegen der besonderen Bedeutungder Sache nur in gereimter Form entgegengenommen. Aus Augsburg tönte es zurück:

Etsi Roma (id est die RAK monacensis)locuta - tamen causa non finita:

„Die münsteraner Mohrenwäschedes Wörtchens ‚und‘veranlasst diese Kurzdepesche –sie geht ihm auf den Grund:Als FA bin ich auch RAals RA keineswegs FA.Der RA steckt in dem FAund duldet keine Kopula.zu deutsch:Ich find` es unerhört,das Wörtchen ‚und‘: es stört!“

Dr. Eich, Geschäftsführer der BRAK, rief zurOrdnung: Die Erklärung, Gegenvoten wür-den nur in gereimter Form entgegen ge-nommen, entbehre jeder satzungsmäßigenGrundlage. Ein derartig einschneidenderHinweis in der bisherigen Arbeitsweise desAusschusses könne, wenn überhaupt, nurvom Ausschussvorsitzenden vorgenommenwerden. Bei Veröffentlichung sei im Übrigendie Entscheidung des Präsidenten erforder-lich. „Hinsichtlich des Votums von HerrnKollegen Dr. Hettinger ist darauf hinzuwei-sen, dass die Ausschusssprache Deutschist. Laut Anlage 13 zum 34. Ergänzungs-protokoll zu den Ausschussstatuten kannhiervon nur in begründeten Ausnahmefällenund nur dann abgewichen werden, wennauch die R-Nr. in die entsprechende Fremd-sprache übersetzt und vom fremdsprach-lichen Text insgesamt eine autorisierteÜbersetzung ins Deutsche vorgelegt wird ...“

Die BRAK veröffentlichte in Mitt. 1995 S. 12dann einen endgültigen Diskussionsvor-schlag des Ausschusses für eine Berufsord-nung auf der Grundlage des vorgenanntenGesetzentwurfes der Bundesregierung. Erwar geprägt von dem Prinzip: Möglichst vielFreiheit und Entfaltungsmöglichkeit fürmöglichst viele. Die Grenzen der Freiräumewurden zum Schutz der Mandanten, der

Freiheit der anderen und der Rechtspflegegezogen.

Auch im Vorstand der RAK München wurdendie Entwicklungen in zahlreichen Sitzungeneingehend erörtert, wobei aber weitgehendÜbereinstimmung mit den Ausarbeitungendes Rili-Ausschusses festgestellt wurde.

In der alltäglichen Praxis konnte der Vor-stand vorübergehend mit 2 Berufsrechtsab-teilungen auskommen. Schwerpunkte warennach wie vor verschlampte Mandate, Wahr-nehmung widerstreitender Interessen undUnregelmäßigkeiten bei Mandantengeldern.Der Vorstand befasste sich viel und einge-hend mit Problemen der zulässigen Wer-bung, insbesondere der Briefkopfgestaltung.Werbebroschüren wurden bereits als zuläs-sig erachtet.

Die Wiedervereinigung spielte berufsrecht-lich in der RAK München so gut wie keineRolle.

Das Berufsrecht 1994 – 2004

Am 9.9.1994 trat das Gesetz zur Neuord-nung des Berufsrechts der Rechtsanwälteund der Patentanwälte in Kraft56. Es formu-lierte die Grundpflichten in §§ 43 a ff. BRAOund regelte die Bildung einer Satzungsver-sammlung57 mit Kompetenzzuweisung fürden Erlass einer Berufsordnung in § 59 bBRAO. Wesentlich war die Einführung dersanktionsbewehrten bindenden Verpflich-tung, eine Berufshaftpflichtversicherung miteiner Mindestversicherungssumme zu unter-halten58. Allerdings hatten schon die Rili einediesbezügliche Standespflicht festgestellt,deren Einhaltung aber nur schwer kontrol-lierbar war59. Als Veränderungen zum bis-herigen Recht sprangen ferner besondersins Auge: Die Kollegialitätspflichten mit allihren Ausästelungen in den Rili entfielengänzlich. Das eingeschränkte Werbeverbot60

wurde ins Gegenteil verkehrt, nämlich indie eingeschränkte Werbefreiheit61. Die An-scheinsregelungen der Rili sind entfallen.

_________56 BGBl. I S. 227857 §§ 191 a ff. BRAO58 § 5159 Rili § 4860 § 2 Rili61 § 43 b BRAO

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Die RAK München hat umgehend mit Hin-weisen und dem Abdruck des Gesetzes fürseine Publikation gesorgt und die Delegier-ten-Wahlen zur Satzungsversammlung in dieWege geleitet. Dazu wurde festgelegt, dassdie Delegierten getrennt für 2 Wahlbezirke(I = München; II = Region) zu wählen waren.Das aktive Wahlrecht verblieb jedem Kam-mermitglied für beide Wahlkreise, das passi-ve Wahlrecht beschränkte sich auf denWahlkreis, in dem die Gerichtszulassung1. Instanz bestand. Die Frist zur Ausübungder Briefwahl endete am 31.12.1994. An derWahl haben sich knapp 36 % der Kammer-mitglieder beteiligt62. Gewählt wurden imWahlkreis I: Petra Heinicke; Dr. Fritz-Eckehard Kempter; Dr. Eckhart Müller; Ott-heinz Kääb; Hans-Gerhard Beck; Im Wahl-kreis II: Dr. Gerhard Hettinger, Augsburg;Andreas Dietzel, Gauting; Dr. WernerScheuer, Rosenheim; Dr. Heinrich ThomasWrede, Prien.

Die Satzungsversammlung trat erstmals am7./9.9.1995 in Berlin zusammen. Sie be-fasste sich mit den Formalien, mit einer um-fassenden Generaldebatte und mit den vor-liegenden Vorschlägen für eine Berufsord-nung und eine Fachanwaltsordnung. Be-schlossen wurde auch bereits, die Werbe-regelung des Gesetzes zu konkretisieren.Die Befürchtungen, es könnte zu Fraktions-bildungen etwa von Anhängern der BRAK-Vorstellungen und der DAV-Sympathisantenkommen, bestätigten sich nicht. Erfreulichschnell wurde klar, dass in der Sachdiskus-sion nicht Gruppendenken, sondern persön-liche Vorstellungen zum einzelnen Problemausschlaggebend waren. Die Kontroversenwurden heftig, spannend, zum Teil geist-reich, aber durchaus effektiv ausgetragen.Es herrschte ein erfreulich sachliches Klima.Das diplomatische Geschick des BRAK-Präsidenten Dr. Haas, der auch die Sat-zungsversammlung leitete, und seine Kunst,einerseits zu integrieren und andererseitsbei dem großen Kreis von Mitgliedern dieDiskussionen letztendlich nicht ausufern zulassen, taten das Ihre dazu, den Weg zurBerufsordnung zu bahnen. So kam es auch,

_________62 Von 8.650 Mitgliedern 3.106

dass die Delegierten aus der RAK Münchenzwar vielfach einheitlich abstimmten, aberselten einstimmig.

In der Folgezeit wurden in der Satzungsver-sammlung über die einzelnen Bestimmun-gen noch nicht bindende Beschlüsse gefasstmit dem Ziel, abschließend das, was bislangeine Mehrheit gefunden hatte, in die Berufs-ordnung aufzunehmen. In der 2. Sitzungwurde mehrheitlich beschlossen, bezahlteWerbung in Radio, Fernsehen, Kino und auföffentlichen Reklameflächen als unzulässigzu erklären. Bis zur 5. Sitzung im November1996 hatten einige Mitglieder ihre Meinunggeändert. Nunmehr wurde eine derartigeBestimmung mit 42:41 Stimmen wieder fal-len gelassen. In der Berichtszeit zeigte sichallerdings, dass von dieser Werbemöglich-keit im Kammerbezirk München so gut wiekein Gebrauch gemacht wurde. Eine spekta-kuläre Ausnahme war ein Rundfunk-Spot,der mit einem Höllenkrach aufeinander pral-lender Autos begann, um auf die Unfallregu-lierungen des Werbenden aufmerksam zumachen. Dies fand allerdings keine Billigung,auch nicht bei Gericht.

Am Ende der 5. Sitzung wurde über die Sat-zung im Ganzen abgestimmt. Die Berufs-ordnung wurde mit 78:3 Stimmen bei 4 Ent-haltungen angenommen63. Enthalten habensich hiervon drei weibliche Mitglieder, diedamit unzufrieden waren, dass die weiblicheForm von Rechtsanwalt keinen Eingang indie Satzung gefunden hat. Lange war da-rüber debattiert worden. Schließlich bemühtesich die Satzungsversammlung zwar darum,möglichst neutral zu formulieren, folgte aberder Vorgabe des Gesetzes, das nur diemännliche Form verwendet. Ein Text, in demes heißt: „Der Rechtsanwalt/die Rechtsan-wältin darf nicht ohne Einwilligung desRechtsanwaltes/der Rechtsanwältin einesanderen Beteiligten/einer anderen Beteilig-ten mit diesem/dieser unmittelbar Verbin-dung aufnehmen“ wird unverdaulich. Mankönnte das auch noch fortspinnen: „DerRA/die RAin/die RA-Gesellschaft darfnicht ...“.

_________63 Beschlüsse in BRAK-Mitt. 18.12.1996

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Gerhard Hettinger 59

Aus der Berufsordnung hob das BMJ gemäߧ 191 e BRAO lediglich § 21 Abs. 2 auf,der vorsah: „Die Vereinbarung einer höherenals der gesetzlichen Vergütung verstößtnicht gegen § 49 b Abs. 2 BRAO, wenn siean erfolgsbezogene Bestimmungen derBRAGO anknüpft“ 64. Im Übrigen wurde dieBerufsordnung am 11.3.1997 verbindlich.Auch die Ausfertigung bestand eine gericht-liche Überprüfung65.

In den §§ 6 – 10 regelt die BO zulässigeKundgaben. Informationen über Dienstleis-tung und Person sind zulässig, soweit dieAngaben sachlich unterrichten und berufs-bezogen sind. Die Satzungsversammlunglegte der BO und der Fachanwaltsordnungdabei nach sachlichen Kriterien gestaffelteWerbemöglichkeiten zu Grunde: Die Wer-bung mit Interessenschwerpunkten ist jedemRA offen, mit Tätigkeitsschwerpunkten unterbestimmten Voraussetzungen und mit derBezeichnung „Fachanwalt“ nur nach einerÜberprüfung der besonderen Kenntnisseund Erfahrungen auf dem entsprechendenRechtsgebiet durch die zuständige Kammer.

In § 25 BO wurde in geringem Umfang dasKollegialitätsprinzip wieder verankert: Hin-weise an einen Kollegen, dass er gegen Be-rufspflichten verstoße, dürfen regelmäßignur vertraulich erfolgen. Holl kommentiertdas wie folgt66: „Was aus heutiger Sichtfälschlicherweise als Manifestation des„Krähen-Prinzips“ angesehen werden könn-te, erweist sich bei näherem Hinsehen alseine Ausprägung des Mandantenschutzge-dankens. Das Vertrauen, das der Mandantseinem RA und dessen Stellung im Verfah-ren entgegenbringt, gründet sich zu einemnicht geringen Anteil auf die Vertrauenswür-digkeit der gesamten Berufsgruppe. Der RA,der sich einem anderen RA gegenüber un-kollegial verhält, höhlt dieses Vertrauen aus.Indem er zeigt, wie leicht ein RA in unkolle-gialer Weise angegriffen werden kann, un-terminiert er zugleich auch seine eigenePosition gegenüber dem Mandanten.“

_________64 BAnz 8.3.199765 BGH 21.6.1999, BRAK-Mitt. 1999 S. 23366 Thomas Holl in Hartung-Holl, Anwaltliche Berufsordnung

2. Auflage § 25 Rdn. 14

Liest man die §§ 43 ff. BRAO neu im Zu-sammenhang mit der Berufsordnung undanderen gesetzlichen Regelungen, zeigtsich, dass ein Großteil der Grundsätze, diein den Richtlinien festgehalten waren, auchim neuen Recht wieder verankert wurden,sei es unverändert, sei es in abgewandelterForm:

So § 1 Rili in § 43, 43 a BRAO; §§ 2; 3 in§ 43 b BRAO, §§ 6/10 BO; § 4 in § 3BRAO67; § 5 in § 49 a BRAO; § 7 in § 201StGB; § 8 in § 43 a Abs. 1 BRAO; §§ 9/10 in§ 43 a Abs. 3 BRAO; § 11 in § 20 BO; §§ 12;27 in § 14 BO; § 13/16 in § 19 BO; § 17 Abs.1; 2 in § 56 Abs. 1 BRAO; § 17 Abs. 3 in§§ 56 Abs. 2 BRAO, 24 BO; § 19 Abs. 1 in§ 25 BO; § 23 in § 13 BO; § 24 in § 15 BO;§§ 28/32 in §§ 30 ff. BO; § 33 in § 59 BRAO;§ 36 in § 50 BRAO; § 34 in §§ 44; 43 BRAOi.V.m. §§ 611 ff., 675 BGB; § 37, 38 in § 17BO; § 39 in § 11 BO; § 40 in §§ 43 a, 46BRAO; § 42 in § 43 a Abs. 2 BRAO, § 2 BO;§ 46 in §§ 43 a Abs. 4, 45, 46 BRAO; § 47 in§ 43 a Abs. 5 BRAO, § 4 BO; § 48 in § 51BRAO; § 49 in § 51 a BRAO; §§ 50 ff. in§ 49 b BRAO, 21 BO, § 3 BRAGO; §§ 55,55 a in § 49 b Abs. 3 BRAO, § 22 BO;§§ 57 ff. in §§ 48, 49, 49 a BRAO, § 16Abs. 2 BO; § 68 Abs. 1 in § 43 a Abs. 3BRAO; § 81 in § 26 BO; § 84 in § 59 aBRAO, § 30 BO; § 86 in § 27 BO; § 87 in§§ 26 Abs. 2, 28 BO.

Der vielstimmige Chor, mit dem ein „Erd-rutsch” besungen wurde kommt also eheraus der Froschperspektive. Es war Evolu-tion, nicht Revolution. In den Turbulenzeneiner veränderten Welt hat sich auch dasBerufsrecht mutatis mutandis verändert. Dasentspricht dem Anspruch an ein lebendigesRecht, das auch einer gewandelten Welt ge-recht werden muss. πάντα ρει68.

1999 wurden die Delegierten zur 2. Sat-zungsversammlung gewählt69, die erstmals

_________67 I.V.m. I § 8 RberG: Feuerich-Weyland § 3 BRAO Rdn. 1368 „Alles fließt“69 Gewählt wurden in Wahlkreis I: Ottheinz Kääb; Sabine

Feller; Petra Heinicke; Dr. Fritz-Eckehard Kempter;Dr. Eckhart Müller; Hans-Gerhard Beck; Hansjörg Staehle.Wahlkreis II: Dr. Gerhard Hettinger; Dr. Werner Scheuer;Dr. Heinrich Thomas Wrede; Harald Seiler; Dr. AlbertHägele

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am 20.6.2000 zusammentrat. Sie erörtertemannigfache Probleme, so z.B., ob dieRegelung Interessenschwerpunkt/Tätigkeits-schwerpunkt wie bisher beibehalten werdensoll, zeigte aber keine Neigung, die Berufs-ordnung wesentlich zu ändern. ZentralesThema der 2. Satzungsversammlung war dieFachanwaltsordnung einschließlich der Ein-führung weiterer Fachanwaltschaften.

Zum Ende der Berichtszeit, im Jahre 2004schließlich nahm die 3. Satzungsversamm-lung ihre Beratungen auf70.

Vom In-Kraft-Treten des Änderungsgesetzes1994 bis zum Ende der Berichtszeit war dieTragweite des § 43 b BRAO, also die Ein-schränkung der Werbefreiheit, am meistenumstritten. Keine andere Bestimmungmachte in der Auslegung und Anwendungauch vergleichbare Wandlungen durch. DasGesetz erlaubt dem RA Werbung nur, soweitsie über die berufliche Tätigkeit in Form undInhalt sachlich unterrichtet und nicht auf dieErteilung eines Auftrages im Einzelfall ge-richtet ist.

Die Grenzen zulässiger „Information“ wurdendabei immer weiter gesteckt. Zielgruppen-orientierte Werbung mit Informationsveran-staltungen, Massenmailing in Hochglanzbro-schüren, Bandenwerbung und Spezialisten-bezeichnungen setzten sich immer mehrdurch. Auch mit Selbstverständlichkeiten wieder Fortbildung des Werbers (Grundpflichtnach § 43 a Abs. 6 BRAO) durfte schließlichgeworben werden. Die so genannte Infor-mationswerbung passte sich immer mehrder Werbung in der Wirtschaft an mit wort-reichen, aber inhaltsleeren Floskeln. Die3 Hasen im Wiesenwinkel am See lassengrüßen. Die ursprünglich noch beanstandetemarktschreierische Aufmachung stieß immerweniger auf Widerstand. Zulässig wurdeschließlich auch Sponsoring, bei dem in derRegel keine Berufsbezogenheit ausgemachtwerden kann. Der Anwalt wirbt nicht mehr

_________70 Delegierte Wahlkreis I: Sabine Feller; Ottheinz Kääb; Petra

Heinicke; Martin Amelung; Hansjörg Staehle; Dr. WielandHorn; Dr. Fritz-Eckehard Kempter; Gudrun Fischbach;Siegried Hörauf. Delegierte Wahlkreis II: Helmut Müller;Dr. Heinrich Thomas Wrede; Dr. Werner Scheuer; HaraldSeiler; Andreas Dietzel; Klaus P.Wittmann

durch Leistung, sondern durch Gags und mitPublicity. Der Werbeetat macht den „Star“.Rechtlich untermauert wird solche Aushöh-lung des Gesetzes mit seiner angeblichverfassungskonformen Auslegung. DasBundesverfassungsgericht will allerdings beiseiner Rechtsprechung dem europäischenRecht entgegenkommen71. Die EuropäischeKommission hat jedoch im Juli 2003 eine„Claims-Verordnung“ vorgeschlagen. Da-nach müssen Werbeaussagen mit Angabenvon Nährwert und gesundheitsbezogenenInformationen vor ihrer Verlautbarung wis-senschaftlich erwiesen sein72. Ist dem daslebenswichtige Gut des Rechtes und seinerEntschlüsselung für den Einzelnen nichtgleich zu stellen?

Die andere Komponente des § 43 b BRAOist das Werben um ein Einzelmandat. In derPraxis der RAK München wurde diese Be-stimmung im Berichtszeitraum objektiv aus-gelegt: Hat ein aktuelles Ereignis wie einFlugzeugabsturz Beratungsbedarf ausgelöst,ist es unzulässig, sich den Hinterbliebenenanzudienen. Darauf, ob das anstößig ist,kommt es nicht an. Dagegen wurde dieWerbung bei latentem Beratungsbedarf(jeder muss Steuern zahlen) als zulässigeMandantenwerbung gewertet. Vor allemaußerhalb des Kammerbezirkes setzten je-doch Bemühungen ein, dies zu relativieren:Danach ist die Grenze zwischen Mandats-werbung und Mandantenwerbung fließend.Die subjektive Komponente kommt schondadurch hinein, dass gelegentlich erst dieWerbung das Problembewusstsein schafft.Demnach sei bei verfassungskonformerAuslegung Werbung im Einzelfall nur dannunzulässig, wenn sie gemeinwohlschädlich,insbesondere aufdringlich ist. Die Entschlie-ßungsfreiheit des Betroffenen dürfe nichteingeengt werden73. In dieser Auslegungnähert sich dann auch diese Komponente in§ 43 b BRAO den allgemeinen Wettbe-

_________71 Vgl. Jäger, Fußnote 1872 Geiger, EuZW 2004 S. 19373 Kleine-Cosack in AnwBl. 2004 S. 153 ff.

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werbsbestimmungen74. Schließlich bleibt einPlacebo-Gesetz allerdings auch keine ab-solute Seltenheit in der neueren Gesetz-gebung.

Aus der Kammerpraxis sei zur Werbungnoch angemerkt:

Die Internetseite eines Kollegen stieß aufBedenken eines Konkurrenten. Auf dessenVeranlassung hin wurde der Textverwendervon der zuständigen Abteilung gebeten,hierzu Stellung zu nehmen. Er fragte zurück,ob der Vorstand denn keine wichtigerenProbleme hätte als seine Internetseite zukontrollieren. Ihm musste geantwortet wer-den: Auch die Vorstandsmitglieder würdenlieber in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen. Wennaber Kollegen bis an die äußersten Grenzendessen gehen, was vielleicht gerade nochunbeanstandet bleiben kann, muss der Vor-stand auf Beschwerde hin diese Grenzenausloten.

Als unzulässig wurde es angesehen, dassdas QM-Zertifikat nach DIN EN ISO 9001auf dem Briefbogen geführt wird, da esmissverständlich ist: Zertifiziert wird nur derBüroablauf, nicht die anwaltliche Leistung.

Ein Mitglied wurde zum Vorwurf mannig-facher Werbeverstöße angehört. Er rief dar-aufhin in einem Hochglanzmagazin, das sichdurch Werbeanzeigen finanziert, ganzseitigauf 2 Seiten die Leserschaft auf, ihre Mei-nung zur Beschränkung der Werbefreiheit zuäußern, nachdem die Anwaltskammer Mün-chen ihm als renommiertem Experten dieWerbung untersagen wolle. Eine Antwortaus der Leserschaft auf diese Umfrage wur-de allerdings nie publiziert.

Im Vorstand musste auch ausgelotet wer-den, inwieweit ein RA in seiner Eigenschaftals Insolvenzverwalter an das Berufsrechtgebunden ist. Dies wurde dahingehend be-urteilt, dass das Berufsrecht in einzelnen

_________74 Vgl. Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbsrecht 20. Auflage

§ 1 UWG Rdn. 57; 67: unerbetene Telefonanrufe wider-sprechen als anreißerische Werbung den Grundsätzendes Leistungswettbewerbs, indem sie den Kunden in einepsychologische Zwangslage bringen

Beziehungen (z.B. Sachlichkeit) beachtetwerden muss, diese berufliche Tätigkeit aberweitgehend außerhalb des Berufsrechtsauszuüben ist.

Zum Ende der Berichtszeit wurde das An-waltsfranchising propagiert, das an denGrundlagen der freien Advokatur rüttelt: Un-abhängigkeit und Schweigepflicht werdenzur Disposition gestellt75. In der Praxis derRAK wurde das Problem allerdings nichtaktuell.

Die Masse der „Fälle“, die zu bearbeitenwaren, betraf nach wie vor vermögensrecht-liche Berufsrechtsverletzungen, Untätigkeitim Mandat, Vertretung widerstreitender Inte-ressen, Unsachlichkeit und Umgehung desGegenanwaltes. Anfragen des Kammervor-standes wurden vielfach nicht beantwortet.Im Jahre 2003 (ähnlich in den Vorjahren)gingen in der Kammer allerdings nur 2129Beschwerden ein, die sich nicht selten ge-gen ein und denselben Betroffenen richte-ten. Lediglich 1/5 davon wurde von der Ge-schäftsführung nach Vorprüfung an die Ab-teilungen zur weiteren Bearbeitung abgege-ben, die wiederum ca. 200 Verfahren einge-stellt haben. Lediglich ca. 100 Verfahrenwurden an die Staatsanwaltschaft abgege-ben und knapp 60 Rügen erteilt. Angesichtsder ca. 15.700 Mitglieder zeugt das von ei-ner generellen Beachtung des Berufsrechtsdurch die Rechtsanwaltschaft im Kammer-bezirk München.

Wie sehr das Berufsrecht im Bewusstseinder Anwaltschaft des Kammerbezirkes ver-ankert ist, zeigen auch Bewegungen in derMitgliedschaft, die Berufsmoral, die unter-halb der rechtlichen Verpflichtungen ange-siedelt ist, lebendig zu erhalten. So hatz.B. der Augsburger Anwaltverein erst imDezember 2003 die „Augsburger Bräuche“wieder neu formuliert, die u.a. die Einigkeitder Anwesenden festhält, dass bei Säumniseines Kollegen in dessen Kanzlei zurückge-fragt werden soll, bevor das Versäumnis-

_________75 So Sieghart Ott in RAK-Mitt. IV/2003 S. 13. Siehe auch

Langheid in NJW-editorial 30/2003, Munz in NJW-aktuell2003 XIV und Alexander Siegmund in NJW 2004 S. 1635

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urteil genommen wird76. Schon Zuck hattewiederholt auf die Existenz dieser Berufs-moral unterhalb des Levels des Berufsrechtshingewiesen77.

Die Kammer bemühte sich auch um einemöglichst einheitliche Auslegung von Gesetzund Satzung in der Bundesrepublik. So batsie erstmals am 28./29.11.1997 die anderenKammern zu einer Berufsrechtsreferenten-konferenz nach München. Sämtliche Kam-mern folgten dem Ruf. In den folgenden Jah-ren wurde die Konferenz in München undHamburg fortgesetzt.

Den neuen Mitgliedern übergab die Kammerab 2001 eine „Charta der Rechte des Man-danten“, die Kehrseite der Medaille vonPflichten des Rechtsanwaltes.

Ausblick

Man schreibt das Jahr 2004. Kämpfer für dieAbschaffung der Kammern, also der anwalt-lichen Selbstverwaltung und des Berufs-rechts, bedienen sich der Vokabeln aus der20 Jahre alten Mottenkiste wie „mittelalter-liches Zunftdenken“. Nicht ganz verfehlt istallerdings eine Überschrift in „Anwalt – DasMagazin das Magazin“ vom April 2004:„Brüssel will die Burgen mittelalterlichenZunftdenkens schleifen“. Der EU-Wett-bewerbskommissar Monti arbeitet, jedenfallsaus der Sicht seines Ressorts an einer iso-liert rein ökonomischen Betrachtung desAnwaltsberufes, insbesondere am Verbotjeglicher Werbeverbote.78 Weiter gedachttendiert das zur Rechtsberatung durch denrechtlich ungebildeten Dienstleister in derWarenhausabteilung „right and more“ und

_________76 Veröffentlichung in Anl. 2 der Mitteilungen des Augsburger

Anwaltvereins vom 16.3.200477 Z.B. in BRAK-Mitteilungen 1988 S. 8778 Bereits abgeschwächt im Entwurf einer Dienstleistungs-

rahmenrichtlinie der Kommission für den Binnenmarkt vom13.1.2004

zur Rechtsberatung in Haftpflicht- undRechtsschutzversicherungen sowie Banken,wo das Eigeninteresse des Beraters durchkeinen Vorbehalt bei Vertretung widerstrei-tender Interessen gebremst ist. Merkt dasder arglose Bürger? Er tappt in die Falle.Wie soll er sich auch zurechtfinden im Ge-strüpp und in den Verschachtelungen allerRegelwerke und aller Interessen, die ihnfremd steuern?Es geht um sein Recht und um seine Frei-heit. Freiheit bedeutet zu Beginn des 3.Jahrtausends weniger als im 19. Jahrhun-dert Freiheit von obrigkeitlicher Gewalt, son-dern vielmehr Freiheit von globalen Wirt-schaftsmächten. Bedarf es da nicht des un-abhängigen, verschwiegenen, unparteili-chen, kompetenten Pfadfinders79, der denDurchblick hat, den Weg weisen und demder Mandant vertrauen kann? Der Zugangzum Recht ist wesentlicher Bestandteil desRechtsstaates, die Institution der Anwalt-schaft als Organ der Rechtspflege Gebotdieser Rechtsstaatlichkeit.

Der Streifzug vom Standesrecht zum Berufs-recht möge deutlich gemacht haben, dass esdabei nicht um das „Ob“, sondern nur umdas „Wie“ des Berufsrechts gehen kann80.Europäischer Gerichtshof und EuropäischesParlament lassen hoffen, dass dies auch inZukunft gilt.

_________79 Selbstverständlich beiderlei Geschlechts oder auch eines

kollegialen Zusammenschlusses solcher „Pfadfinder“.Stürner/Bormann weisen allerdings darauf hin, dass dieanwaltliche Unabhängigkeit durch die zunehmende Oligo-polbildung im oberen Marktsegment in Frage gestellt wird:NJW 2004 S. 1483

80 Dafür setzen sich auch so exzellente Vertreter der deut-schen Anwaltschaft innerstaatlich und auf internationalemParkett ein wie Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig, Frankfurt/M.und Heinz Weil, Paris. So auch Martin Henssler in BB2004 Heft 22, Die erste Seite: „Berufsrechtliche Regelndürfen nicht für eine Deregulierung um ihrer selbst Willengeopfert werden“

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V O M S T A N D E S R E C H TZ U M B E R U F S R E C H T

Gerhard Hettinger 63

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64 Eckhart Müller

Der Rechtsanwalt als„Organ der Rechtspflege“ –vom Instrument der Diszip-linierung zum Argumentgegen die Deregulierung

Dr. Eckhart MüllerRechtsanwaltVizepräsident der RAK München

1. Einleitung

Die Bezeichnung des Rechtsanwalts als„Organ der Rechtspflege“ ist so alt wie dieRechtsanwaltskammer München. Die Ge-schichte dieses Begriffs spiegelt die Ge-schichte der Anwaltschaft wider. Es wirddeutlich, wie sich Berufsbild und Selbstver-ständnis gewandelt haben. Insbesonderedas Bundesverfassungsgericht hat den Wegder Anwaltschaft weg von einer amtsähn-lichen Pflichtenstellung hin zum Sachwalterdes Mandanten und Gegenspieler von Ge-richten und staatlichen Einrichtungen ge-ebnet. Trotz unterschiedlicher Funktionenzeichnen sich sowohl die Richterschaft alsauch die Anwaltschaft durch ihre Unabhän-gigkeit aus. Gefahren für das anwaltschaft-liche Selbstverständnis gerade auch auf-grund von europarechtlichen Veränderungenmüssen ernst genommen werden.

2. Geschichtliche Entwicklung

a) Konfliktverteidigung im 19. Jahrhundert

In einem Strafverfahren hatte der Verteidigerimmer wieder versucht, mit ständig neuenAnträgen die Verkündung von Beschlüssen

zu verhindern, die für den Mandanten hättenungünstig werden können. Der verärgerteVorsitzende erklärte die Sitzung für beendetund ließ den Saal räumen. Darüber war wie-derum der Verteidiger erbost und hatte denVorsitzenden zum Duell herausgefordert.

Der Fall spielt in längst vergangenen Zeitenund ist im 1. Band der 1885 erschienenenehrengerichtlichen Entscheidungen wieder-gegeben. Erstinstanzlich war der Verteidigerfreigesprochen worden, vom Ehrengerichts-hof wurde er wegen Herausforderung desVorsitzenden zum Duell mit einem Verweisbestraft. Dieser Verweis wurde u.a. folgen-dermaßen begründet:

„Es darf nicht die Meinung aufkommen, eshabe der Richter seine amtlichen Handlun-gen durch Annahme einer Herausforderungzu vertreten. Auch der Rechtsanwalt ist Or-gan der Rechtspflege und berufen, eine un-abhängige Rechtspflege zu fördern, nament-lich auch dadurch, dass er die Achtung vonden Trägern der richterlichen Gewalt unddas Vertrauen, dass ihm gegen Unbildendes einzelnen Richters die Vorgesetztendesselben ausreichend Genugtuung gewäh-ren werden, nicht aus den Augen setzt“.1

b) Von der RAO 1878 zur BRAO 1959

Ob nun die Ehrengerichtsbarkeit den Begriff„Organ der Rechtspflege“ erfunden understmals gebraucht hat oder ob dieserBegriff bereits in der allgemeinen Begrün-dung der Motive für die Rechtsanwaltsord-nung von 1878 Erwähnung findet2, mag da-hinstehen. Ohne ausdrückliche Erwähnungdieses Begriffes im Gesetzestext ist die RAOvon 1878 neben dem GVG, der ZPO und derStPO eines der grundlegenden Justizgeset-ze des 19. Jahrhunderts und sie verwirklichtvier bereits von Gneist aufgestellte Grund-forderungen3:

– Freiheit von der Ernennung und Anstel-lung durch den Staat,

_________1 EGH I 1885, S.114 ff.2 Vgl. Koch, in: Henssler/Prütting, BRAO, 2. Auflage, 2004,

§ 1 Rdnr. 43 Vgl. Gneist, Freie Advocatur, die erste Forderung aller

Justizreformen in Preußen, 1867

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Eckhart Müller 65

– Freiheit von der Einbindung in einebeamtenähnliche Stellung,

– Freiheit von staatlicher Disziplinargewalt,

– Freiheit von richterlicher Honorarkon-trolle.

In der Rechtsprechung des Reichsgerichtswurde der Begriff „Organ der Rechtspflege“dazu verwendet, entweder standesrechtlicheVerstöße besser zu ahnden oder den ge-setzlich nicht vorgesehenen Ausschluss desVerteidigers vom Verfahren begründen zukönnen. In der Zeit des Nationalsozialismuswurde der Begriff nicht juristisch prägnantverwendet; er war dehnbar und konnte des-halb jeweils mit einem der Staatsführunggenehmen Inhalt unterlegt werden4.

Nachdem schon die RAO für die britischeZone vom 10.3.1949 die Rechtsanwaltschaftals „Organ der Rechtspflege“ thematisierthat5, bestimmt nunmehr § 1 der am 1.8.1959in Kraft getretenen BRAO:

Der Rechtsanwalt ist ein unabhängigesOrgan der Rechtspflege.

3. Begriffsbestimmung

a) Organ der Rechtspflege

§ 1 BRAO definiert das überlieferte und seitüber einem Jahrhundert durchgesetzte Be-rufsbild des Rechtsanwalts als Angehörigerder „Freien Advocatur“. Die Tätigkeit desRechtsanwalts unterliegt weder staatlicherKontrolle noch ist er durch beamtenähnlicheTreuepflichten gebunden6.

Der Rechtsanwalt hat der Verwirklichungund Vollziehung des Rechts zu dienen durchMitwirkung an der Rechtsprechung und einekonflikt- sowie prozessvermeidende Bera-tung. Als beauftragter Berater und Vertreterder Rechtsuchenden hat er die Aufgabe,zum Finden einer sachgerechten Entschei-dung beizutragen, das Gericht – und ebensoStaatsanwaltschaft oder Behörden – vor

_________4 Vgl. Knapp, Der Verteidiger – Ein Organ der Rechts-

pflege?, 1974, S. 47; S. 695 Vgl. Koch a.a.O. Rdnr. 116 Vgl. Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Auflage, 2003, § 1

Rdnr. 2

Fehlentscheidungen zu Lasten seines Man-danten zu bewahren und insbesondere dierechtsunkundige Partei vor der Gefahr desRechtsverlustes zu schützen7.

Der Begriff „Organ“ leitet sich aus dem Grie-chischen her, bedeutet Werkzeug und dieseetymologische Deutung des Wortes trifft denKern.8

Rechtspflege ist Pflege des Rechts – nichtetwa der Justiz – und bezieht sich auf des-sen Verwirklichung und Vollziehung. Erfasstist jedoch nicht nur die forensische, sondernauch die beratende Tätigkeit des Rechtsan-walts9.

b) Unabhängigkeit

Die anwaltliche Berufsausübung unterliegtseit 1878 der freien unreglementiertenSelbstbestimmung des einzelnen Rechtsan-walts ohne staatliche Kontrolle. Der freie unddurch das Grundrecht der Berufsfreiheit ge-schützte Anwaltsberuf darf nicht entgegender rechtsstaatlichen Tradition der freienAdvocatur an die Staatsorganisation heran-geführt, beamtenähnlichen Treuepflichtenunterworfen oder berufsrechtlich der Stel-lung von Richtern und Staatsanwälten ange-glichen werden10.

Ein Zweitberuf im Öffentlichen Dienst ist mitdem Beruf des Rechtsanwalts nicht verein-bar, wenn aus der Sicht des rechtsuchendenPublikums die Unabhängigkeit des Rechts-anwalts durch Bindungen an den Staat mög-licherweise beeinträchtigt ist11.

Auch die Stellung des Syndikusanwaltes istin der Diskussion12. Das Tätigkeitsverbot des§ 46 Abs. 2 BRAO sichert nach Auffassungdes BGH13 die Unabhängigkeit des Rechts-anwalts in zweierlei Hinsicht: zum einen, weilsich der Syndikusanwalt bei der anwaltlichenBearbeitung eines Auftrags möglicherweisevon dem Abhängigkeitsverhältnis zu seinem

_________7 Vgl. Kleine-Cosack, BRAO, 4. Auflage, 2003, § 1 Rdnr. 28 Vgl. Jehle, BRAO, 1976, § 1 Anm. IV B 19 Vgl. Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Auflage, 2003, § 1

Rdnr. 610 Vgl. Kleine-Cosack, BRAO, 4. Auflage, 2003, § 1 Rdnr. 1211 Vgl. BVerfG NJW 1993, S. 31712 Vgl. Redeker NJW 2004, S. 889 ff.13 Vgl. BGH NJW 1999, S. 1715 ff.

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66 Eckhart Müller

Dienstherrn leiten lassen könnte und zumanderen, weil er aufgrund seiner Abhängig-keit von einem ständigen Dienstherrn Man-date auch dann nicht ablehnen könnte, wenndiese ihm ein gesetz- oder standeswidrigesVerhalten abverlangen. Diese BGH-Recht-sprechung ist bis heute nicht aufgegeben.

Der EuGH wird sich mit dem Problem zu be-schäftigen haben, ob die Korrespondenzeines Unternehmens mit einem bei ihmarbeitenden Syndikusanwalt, der zugleichzugelassener Rechtsanwalt ist, beschlag-nahmefrei ist oder nicht. In der Vergangen-heit wurde eine solche Beschlagnahme fürzulässig gehalten, weil der Syndikusanwaltin wirtschaftlicher und organisatorischer Hin-sicht von einem Arbeitgeber abhängig istund nicht die Unabhängigkeit eines externenAnwaltes genießt. Ob diese Auffassungnoch zu halten ist, wenn der interne Rechts-berater zugleich eine Anwaltszulassung be-sitzt und externen Standesregeln unterliegt,ist fraglich. Im Wege der einstweiligen An-ordnung wurde eine diesbezügliche Be-schlagnahme zunächst unterbunden; in derHauptsache ist noch nicht entschieden14.

Die Freiheit des Rechtsanwalts endetselbstverständlich am geltenden Recht undseine Unabhängigkeit ist auch durch einspezielles Disziplinar- und Berufsrecht nichtbeeinträchtigt, sondern gewährleistet. Esmuss offensichtlich wieder daran erinnertwerden, dass der Rechtsanwalt der gerichtli-chen Sitzungspolizei und Ordnungsstrafge-walt nach §§ 177, 178 GVG nicht unterliegt15

und er haftet auch nicht ersatzweise fürFehler der Rechtsprechung, nur weil er haft-pflichtversichert ist16.

4. Disziplinierende Begriffsverwendung

Der in der Ehrengerichtsbarkeit entwickelteund vom Bundesgesetzgeber in § 1 BRAOübernommene Begriff „Organ der Rechts-pflege“ wurde in der Vergangenheit gernverwendet, wenn es um eine Einschränkung

_________14 W.N. bei Redeker NJW 2004, S. 88915 Vgl. OLG Hamm StraFO 2003, S. 24416 Vgl. BVerfG AnwBl 2002, S. 655; dazu auch Medicus

AnwBl 2004, S. 257 ff.

anwaltlicher Befugnisse oder um die Dis-ziplinierung anwaltlichen Verhaltens ging.Knapp fordert in seiner 1974 erschienenDissertation nach einer ausführlichen Be-griffsanalyse eine Abschaffung der Bezeich-nung mit folgender Begründung:

„Der Begriff, der unreflektiert übernommenund historisch stark vorbelastet ist, verlagertden verfassungsrechtlichen Standort desVerteidigers gefährlich nahe an das institu-tionelle Gefüge des Staates. Im Zuge einerderartigen ,Erhöhung‘ des Verteidigers, diein Wahrheit lediglich eine funktionshemmen-de Abschwächung seiner Stellung bedeutet,kommt es zu gefährlichen Einschränkungender Berufsfreiheit des Anwalts und mög-licherweise auch zu einer Ausdehnung derStrafbarkeit wegen Begünstigung.“ 17

Aus der Organstellung des Rechtsanwalteswird auch hergeleitet, er sei zur Mitwirkungan der Rekonstruktion von im Bereich derJustiz verloren gegangenen Straf- (Ermitt-lungs-) Akten aus standesrechtlicher Sichtverpflichtet, und zwar unabhängig davon, obeine Schweigepflichtentbindung des Man-danten vorliegt oder nicht.18

Der BGH begründet in seinem Urteil vom4.7.2001 die Strafbarkeit des Verteidigerswegen Geldwäsche, der Honorar annimmt,von dem er weiß, dass es aus einer Kata-logtat im Sinne von § 261 Abs. 1 Satz 2StGB stammt, u.a. mit folgender Erwägung:

„Zudem liegt hier ein Eingriff (in die Berufs-freiheit, der Verfasser) schon deshalb nichtvor, weil es dem Berufsbild eines Strafver-teidigers nicht entspricht, Honorar entgegen-zunehmen, von dem er weiß, dass es ausschwerwiegenden Straftaten herrührt. Diesfolgt aus der Stellung des Verteidigers alsOrgan der Rechtspflege (§ 1 BRAO) ...“ 19

Auch wenn das BVerfG in seiner Entschei-dung vom 30.3.200420 die Argumentationdes BGH nicht teilt, ist es doch bemerkens-wert, dass die disziplinierende Verwendung

_________17 Vgl. Knapp, a.a.O., S.140, S. 14118 Vgl. Rösmann NStZ 1983, S. 44619 BGH St 47, 69, 73,7420 Vgl. BVerfG NJW 2004, S. 1305 ff., ausführlich dazu unten

5. c)

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Eckhart Müller 67

des Begriffs „Organ der Rechtspflege“ in derhöchstrichterlichen Rechtsprechung jeden-falls 2001 noch nicht beendet war.21

5. Rechtsprechung desBundesverfassungsgerichts

a) Zeugenbeistandsentscheidungvom 8.10.1974

1974 hatte sich das Bundesverfassungsge-richt mit dem Recht des Zeugen auf einenRechtsbeistand zu befassen und festgestellt,dass ein Zeuge unter Berufung auf Art. 2Abs. 1 GG grundsätzlich berechtigt sei,einen Anwalt seines Vertrauens hinzuzuzie-hen, wenn er dies für erforderlich halte, umvon seinen prozessualen Befugnissenselbstständig und in eigenem Interessesachgerecht Gebrauch zu machen22. Durchden Ausschluss eines Zeugenbeistands wirdnicht nur die grundrechtlich verbürgte Posi-tion des Zeugen, sondern auch das Grund-recht des Rechtsanwalts auf Berufsfreiheitgemäß Art. 12 GG verletzt. In einem obiterdictum findet sich dabei folgende – an sichüberflüssige und auch kritisierte23 Formulie-rung:

„Nach § 1 BRAO ist der Rechtsanwalt einunabhängiges Organ der Rechtspflege. SeinBeruf ist ein staatlich gebundener Vertrau-ensberuf, der ihm eine auf Wahrheit und Ge-rechtigkeit verpflichtete, amtsähnliche Stel-lung zuweist.“ 24

An diese BVerfG-Entscheidung, die den An-walt als staatlich gebundenen Vertrauensbe-ruf versteht, wurde allerdings nicht mehr an-geknüpft.

b) Gewährleistung der Berufsfreiheit

In einer glänzenden Analyse der jüngerenverfassungsrechtlichen Rechtsprechung unterdem Titel „Rechtsanwälte als Organ derRechtspflege – notwendig oder überflüssig?Bürde oder Schutz?“ kommt die Richterinam Bundesverfassungsgericht Jäger zu dem

_________21 Vgl. Knapp, a.a.O., S. 14122 Vgl. BVerfG NJW 1975, S. 103 ff.23 Vgl. Krämer NJW 1975, S. 849 ff.24 BVerfG NJW 1975, S. 103, 105

Befund, dass der Begriff weder „Ausflussvon Standesideologie“, noch „nichtssagend“oder „ewig gestrig“ ist25. Die Zuweisungeiner „amtsähnlichen Stellung“26 an denRechtsanwalt ist aufgegeben und einemVertrauen gegenüber der Berufsgruppe derAnwälte gewichen, das der Position ent-spricht, die im Gesetz den Anwalt zum„Organ der Rechtspflege“ macht. DerGesetzgeber bezeichnet die Rechtsanwälteals unabhängige Organe der Rechtspflege(§ 1 BRAO). Auf deren Integrität, Professio-nalität und Zuverlässigkeit ist die Rechts-pflege angewiesen.

„Das Gesetz geht nicht davon aus, dassein berufswürdiges und gesetzeskonformesHandeln der Rechtsanwälte nur im Wegeder Einzelkontrolle oder mit Mitteln desStrafrechts gewährleistet werden kann. Dasanwaltliche Berufsrecht beruht auch nichtauf der Annahme, dass eine situationsge-bundene Gelegenheit zur Pflichtverletzungim Regelfall pflichtwidriges Handeln zurFolge hat.“ 27

Das Vertrauen, das mit dieser Formulierungden Rechtsanwälten entgegengebracht wird,ist ein Ausfluss ihrer Stellung als Organ derRechtspflege. Auch die Äußerungsfreiheit,die den Rechtsanwalt zugebilligt wird, resul-tiert aus dieser Stellung als Organ derRechtspflege28. Eine regelmäßige Kontrolleder vom Mandanten mitgeteilten Tatsachenkann vom Rechtsanwalt nicht verlangt wer-den. Müsste er befürchten, regelmäßig per-sönlich belangt zu werden, wenn er in seinerberuflichen Funktion Informationen seinesMandanten in ordnungsgemäßer Form wei-tergibt, wäre die nachdrückliche Interessens-vertretung als wesentlicher Teil der anwalt-lichen Berufsausübung gefährdet29.

Den Beruf des Rechtsanwalts kennzeichnet,wie vom BVerfG herausgearbeitet und im-mer wieder bekräftigt wurde:

– Staatsferne,

_________25 Vgl. Jäger NJW 2004, S. 1 ff.26 Vgl. BVerfG NJW 1975, S. 103, 10527 Vgl. BVerfG BRAK-Mitt 2003, S. 231, 234 = NJW 2003,

S. 2520 ff.28 Vgl. BVerfG NJW 2003, S. 326329 Vgl. Jäger NJW 2004, S. 1, 3

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68 Eckhart Müller

– Parteinahme für den Mandanten und

– Kontrollbefugnis zu Gunsten des Man-danten.

Nicht zu vergessen ist die

– soziale Verantwortung durch die Vertre-tung und Beratung wirtschaftlich bedürfti-ger Mitbürger zu geringeren Gebüh-rensätzen.

Jäger kommt zu dem eindrucksvollen undnachvollziehbaren Fazit, dass nichts gewon-nen wäre, wenn der Begriff „Organ derRechtspflege“ aufgegeben würde:

„Kein Rechtsstaat, kein garantierter Zugangzum Recht für den Bürger ist denkbar ohneden mit Rechten und Pflichten ausgestatte-ten Anwalt als Sachwalter des Mandantenund als Gegenspieler von Gericht, Staats-anwaltschaft und anderen staatlichen Ein-richtungen. Der Sache nach brauchen wirdas Organ der Rechtspflege.“ 30

c) Geldwäscheentscheidung vom 30.3.2004

Ein Höhepunkt der verfassungsrechtlichenRechtsprechung zur Berufsfreiheit desRechtsanwalts und zur Gewährleistung einereffektiven Strafverteidigung ist das Urteilvom 30.3.2004, das in Abkehr der BGH-Entscheidung vom 4.7.2001 die Geldwäsche-strafbarkeit des Strafverteidigers gemäߧ 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB nur dann als mitdem Grundgesetz vereinbar ansieht, wennder Rechtsanwalt im Zeitpunkt der Annahmedes Honorars sichere Kenntnis von dessenHerkunft hatte. In den Gründen finden sichfolgende Bemerkungen zum Rechtsanwaltals Organ der Rechtspflege, die eindrucks-voll belegen, dass Disziplinierung und Ein-bindung der Anwaltschaft in eine quasi-amtsähnliche Bindung der Vergangenheitangehören:

„Der Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Or-gan der Rechtspflege und unterliegt einerReihe von besonderen Berufspflichten, dieweit über das Maß an Rechtstreue hinaus-reichen, die von jedermann erwartet wird.Treuepflichten, das Zulassungsverfahren

_________30 Jäger NJW 2004, S. 1, 7

und die Überwachung durch spezielleAnwaltsgerichte bieten eine erhöhte Gewährdafür, dass der Rechtsanwalt ein Berufs-ethos entwickelt und sich rechtstreu ver-hält“. 31

6. Gemeinsamkeit mit Richtern

Dieses Berufsethos des Rechtsanwalts istauch für den Richter kennzeichnend, wennauch weder im Grundgesetz noch im deut-schen Richtergesetz der Begriff „Organ derRechtspflege“ in Zusammenhang mit Rich-tern verwendet wird. Im Vordergrund stehtdie in Art. 97 Abs. 1 GG verbürgte Unab-hängigkeit, die auch in § 25 DRiG angespro-chen ist. Diese Unabhängigkeit dient demSchutz der rechtsprechenden Gewalt vorEingriffen durch Legislative und Exekutive.

Der Rechtsanwalt hat eine eigenständigeund vornehmlich dem Mandanten verpflich-tete Aufgabe zu erfüllen, während die ver-bindliche Rechtsfindung die originär demGericht zugewiesene Funktion ist. Wenn je-doch – zu Recht – davon ausgegangen wird,dass die juristischen Professionen in unter-schiedlichen Rollen doch eine gemeinschaft-liche Verantwortung für die Verwirklichungdes Rechtsstaats haben, dann muss – trotzaller Unterschiede – nach Gemeinsamkeitenim beruflichen Selbstverständnis gefragtwerden.

Das Bundesverfassungsgericht betont inseiner Sozietätswechsler-Entscheidung32 ei-ne grundlegende Gemeinsamkeit zwischenanwaltlicher und richterlicher Berufsaus-übung: Genauso wie von einem Richter einverantwortlicher Umgang bei der Offen-legung von Gründen zur Selbstablehnungerwartet werden kann, muss ein Rechtsan-walt die Mandatsniederlegung bei befürch-teter Interessenkollision eigenverantwortlicheinschätzen. Insoweit ist die Wahrung dereigenen professionellen Unabhängigkeitdem Rechtsanwalt genauso anvertraut wieder Richter seine Unabhängigkeit im jeweilszu entscheidenden Fall sorgfältig prüfenmuss.

_________31 BVerfG NJW 2004, S. 1305, 131132 Vgl. BVerfG NJW 2003, S. 2520; vgl. o. FN 27

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Diese Gleichsetzung ist nur auf den erstenBlick verblüffend. Der Einwand, der Rechts-anwalt verliere bei der Mandatsniederlegungeinen u.U. beträchtlichen Vergütungsan-spruch, wohingegen der Richter im Fall derSelbstablehnung allenfalls der Pflicht ent-hoben sei, sich mit einem u.U. unangeneh-men und komplizierten Fall befassen zumüssen33, ist nicht zwingend, weil zu sehrdie unterschiedliche Funktion bei der Ver-wirklichung des Rechtsstaates hervorge-hoben wird, wohingegen das gemeinschaft-liche Fundament, nämlich die professionelleUnabhängigkeit, doch im Vordergrund steht.Beim Richter ist diese Unabhängigkeit durchUnabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit sowieHaftungsfreistellung gekennzeichnet, wäh-rend sich die Unabhängigkeit des Rechts-anwaltes auch darin widerspiegelt, dass ihmein eigenverantwortlicher Umgang mit Kon-fliktsituationen im Zusammenhang mit einemSozietätswechsel zugebilligt wird. Unabhän-gigkeit und persönliche Verantwortung ge-hören zusammen. Für den Anwalt geht esnicht nur um die Unabhängigkeit vom Staat,sondern auch vom Mandanten.

7. Grenzen eines gemeinsamenBerufsethos

Der Anfragebeschluss des 3. Strafsenateszur Unwirksamkeit eines vorab verabrede-ten Rechtsmittelverzichts und insbeson-dere der daraufhin ergangene Beschlussdes 1. Strafsenats34 zeigt die Probleme undGrenzen einer gemeinsamen Berufsethikauf. Die Rechtsprechung fordert dabei aucheine „Unabhängigkeit“ der Rechtsanwältevon den Gerichten und gerade der ersteStrafsenat nimmt in diesem Zusammenhangden Strafverteidiger in die Pflicht. Es wirdvon ihm verlangt, bei Gesprächen über eineVerständigung dem Tatgericht zu vermitteln,sein Mandant werde einen Rechtsmittelver-zicht im Anschluss an die Urteilsverkündungnicht in Aussicht stellen:

„Das ist seine Pflicht, und an deren Erfüllungmuss im Interesse seines Mandanten fest-

_________33 Vgl. Staehle BRAK-Mitt. 2003, S. 23834 Vgl. BGH StraFo 2004, S. 57 ff.

gehalten werden, auch wenn er besorgt, da-durch etwaigen oder vermeintlichen Erwar-tungen des Tatgerichts nicht gerecht zuwerden.“ 35

Salditt macht in einer Anmerkung zu diesemBeschluss36 auf ein allgemein bekanntesund völlig unstreitiges Phänomen aufmerk-sam: Der Rechtsmittelverzicht ist eineselbstverständliche Bedingung der Abspra-che, die nicht zustande kommt, wenn nichtzumindest eine diesbezügliche Erwartungbei sämtlichen Verfahrensbeteiligten hervor-gerufen wird.

Auch wenn der Rechtsmittelverzicht nichtbindend vereinbart ist, gerät der Strafvertei-diger in ein Dilemma, wenn er entgegen denmöglicherweise unausgesprochenen abernichtsdestoweniger bindenden Erwartungendoch ein Rechtsmittel einlegt. Ist in einemsolchen Fall die Irreführung des Tatrichtersgerechtfertigt, weil ein solcher Rechtsmittel-verzicht gar nicht erst hätte besprochen odererwartet werden können? Ist insoweit demMandanteninteresse der Vorzug zu geben?Oder kommt der Strafverteidigung die Ver-antwortung dafür zu, arglistige Rechtsmittelzu unterlassen? Geht hier ein gemeinsamesBerufsethos den Mandanteninteressen vor?

Der Antwort des Großen Senats kann hiernicht vorgegriffen werden.

8. Gefahren für das anwaltlicheSelbstverständnis

a) Soziologische Entwicklung

Die nach fast zehnjähriger Beratung 1959 inKraft getretene Bundesrechtsanwaltsord-nung knüpfte im Wesentlichen an dem An-waltsbild an, das auch die Rechtsanwalts-ordnung des Jahres 1878 schon gekenn-zeichnet hatte. Es wurde abgestellt auf den

– Einzelanwalt,

– der Prozesse führte,

– am Ort der Zulassung residierte und

– vor den dortigen Gerichten auftrat._________35 BGH StraFo 2004, S. 5836 Vgl. Salditt StraFo 2004, S. 60

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Die Zahl der Anwälte war überschaubar, derWettbewerb beherrschbar und das Rechts-beratungsgesetz ebenso unangefochten wiedie Standesrichtlinien.

Die Entwicklung zur heutigen Situation hatRabe unter dem Titel „Vom regulierten Pro-zessagenten zum selbstbestimmten Dienst-leister“ beschrieben37.

Die Zulassungszahlen sind dramatisch ge-stiegen; 2004 gibt es über 126.000 Rechts-anwälte in der BRD. Neue Tätigkeitsfelderund die Dienstleistungs- und Niederlas-sungsfreiheit kennzeichnen den soziologi-schen Wandel. In welchem Ausmaß die an-waltliche Unabhängigkeit durch die Größevon Kanzleien und die Konditionen einesAngestelltenverhältnisses bedroht ist, warnoch nicht Gegenstand einer verfassungsge-richtlichen Entscheidung38.

b) Abschaffung der Selbstverwaltung

Es liegt im Trend der Politik, das öffentlicheLeben von Bürokratismus befreien zu wol-len. Zauberworte wie „Verschlankung desStaates“ oder „Deregulierung“ machen dieRunde. Auch die Rechtsanwaltskammernsind Gegenstand dieser Diskussionen undForderungen nach Abschaffung der Kam-merpflichtmitgliedschaft werden laut.

c) Europarechtliche Veränderungen

Die europäische Kommission hat am9.2.2004 einen Bericht über den Wettbewerbbei freiberuflichen Dienstleistungen ver-öffentlicht, in dem u.a. angekündigt wird, dasRechtsberatungsmonopol auf den Prüfstandzu stellen, ebenso wie das alleinige Rechtder Anwälte zur Vertretung vor Gericht. InAustralien habe, so die Kommission, „dieAufhebung der Ausschließlichkeitsrechtevon Rechtsanwälten zur Erbringung vonDienstleistungen bei Eigentumsübertragun-gen und des Monopols des Barristers für die

_________37 Vgl. Rabe AnwBl. 2004, S. 65 ff.38 Vgl. Jäger NJW 2004, S. 1, 4

Vertretung vor Gericht zu einem Rückgangvon 12 % der gesamten Rechtskosten bei-getragen“ 39. Die Kommission räumt zwarein, dass eine gewisse Reglementierung ge-rechtfertigt sei. Nach Meinung der Kommis-sion zählen zu den reformbedürftigen, res-triktiven Regelungen solche zu verbindlichenFestpreisen, Preisempfehlungen, Regeln fürdie Werbung, Zugangsvoraussetzungen undausschließliche Rechte und Vorschriften fürdie zulässige Unternehmensform und dieberufsübergreifende Zusammenarbeit. NachAnsicht der Kommission schaden Mindest-preise dem Wettbewerb am meisten undschalten die Vorteile wettbewerbsfähigerMärkte für Verbraucher aus.

Dabei wird außer Acht gelassen, dass ge-rade der rein marktwirtschaftliche Ansatz imHinblick auf die anwaltliche DienstleistungVerbraucherschutzinteressen unberücksich-tigt lässt. Das anwaltliche Berufsrecht dientin erster Linie dem Mandantenschutz undzentrale Elemente sind die Kostenerstattungdurch die unterlegene Partei und die Pro-zesskostenhilfe für die wirtschaftlich schwä-chere Partei. Diese Prinzipien setzen einegesetzliche Regelung gerichtlicher Anwalts-gebühren voraus und der uneingeschränkteZugang zum Recht für jeden Bürger ist beieiner vollständigen Liberalisierung des Ge-bührenrechts nicht gewährleistet.

Auswirkungen dieser soziologischen Ver-änderungen und europarechtlichen Bedro-hungen auf den Rechtsanwalt als Organ derRechtspflege sind nahe liegend, in ihrerkonkreten Ausgestaltung jedoch noch nichtabschätzbar. Das Gefahrenpotenzial, dashier droht, ist gewichtig. Die mindestens seit1885 bestehenden Probleme mit Konflikt-verteidigern sind demgegenüber geringfügig.Sie waren in der Vergangenheit lösbar undsie erfordern auch in Zukunft keine grundle-genden Änderungen eines bewährten Sys-tems.

_________39 Vgl. NJW 2004, Heft 11, Umschlag S. 14

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9. Zusammenfassung

Der Begriff „Organ der Rechtspflege“ hatsich historisch in Zusammenhang mit derRechtsanwaltschaft entwickelt und war ur-sprünglich ein Disziplinierungsinstrument.

Sowohl die Bundesrechtsanwaltsordnung alsauch insbesondere nachhaltig die Recht-sprechung des Bundesverfassungsgerichtshaben dem Begriff „Organ der Rechtspflege“eine freiheitliche Dimension vermittelt.

Das gemeinsame Berufsethos der Organeder Rechtspflege wird insbesondere im Zu-sammenhang mit der Unabhängigkeit derjeweiligen Funktionen, ob als Richter oderals Rechtsanwalt, deutlich.

Die unterschiedlichen Funktionen im Pro-zess der Rechtsfindung und insbesonderedie Funktion des Rechtsanwalts als einseiti-gem Interessenwahrnehmer für seinen Man-danten bedingen aber auch ein unterschied-

liches Verständnis gerade im Hinblick auf dieUnabhängigkeit. Im Zusammenhang mit derProblematik des Rechtsmittelverzichts beiabgesprochenen Urteilen wird dies beson-ders deutlich.

Unabhängig von diesen rollenbedingtenUnterschieden drohen dem Berufsbild desRechtsanwalts als Organ der RechtspflegeGefahren von der nationalen Gesetzgebungim Hinblick auf Diskussionen über die Ab-schaffung der Kammern und europarechtlichinsbesondere unter dem Gesichtspunkt einerabsolut marktwirtschaftlich orientierten Dienst-leistungsfreiheit.

Die Rückschau auf die vergangenen125 Jahre macht jedoch zuversichtlich, dassder Rechtsanwalt als Organ der Rechts-pflege und die Kammer München noch einemindestens ebenso lange Zukunft habenwerden.

Präsidentenzimmer im Kammergebäude München

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Ausbildung – Fortbildung1979 – 2004

Ottheinz KääbRechtsanwalt

Die Frage, was sich zwischen den Jahren1979 und 2004 bei der Ausbildung und Fort-bildung geändert hat, kann knapp und kurzbeantwortet werden. Es ist mehr geworden.

1. Pflichtaufgabe des Vorstands einerRechtsanwaltskammer ist es, Gutachten zuerstatten, die eine Landesjustizverwaltunganfordert (§ 73 Abs. 2 Nr. 8 BRAO). DerVorstand hat ferner bei der Ausbildung undPrüfung der Studierenden und der Referen-dare mitzuwirken (§ 73 Abs. 2 Nr. 9 BRAO)und anwaltliche Mitglieder der Prüfungsaus-schüsse vorzuschlagen (§ 73 Abs. 2 Nr.10BRAO). Jede Anwältin, jeder Rechtsanwalt,ist verpflichtet, sich fortzubilden (§ 43 aAbs. 6 BRAO), und dem Vorstand der Kam-mer obliegt es, die Erfüllung der den Mitglie-dern der Kammer obliegenden Pflichten zuüberwachen (§ 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO).

Wer sich mit Aus- und Fortbildung beschäf-tigt, erhält häufig sofort die harsche Antwort,warum man sich denn eigentlich seine eige-ne Konkurrenz heranzüchten solle. Im Rah-men dieser kurzen Ausführungen soll ver-sucht werden, die Tätigkeit der Kammer zuerklären, Rück- und Ausblick zu geben:

2. Dass die Kammer sich in Ausbildungs-und Fortbildungsfragen einmischen muss,ergibt sich aus dem Gesetz – wie man dastut, steht im Gesetz nicht, man kann nämlichzum Beispiel halbherzig das Gesetz beach-ten oder engagiert im Interesse aller etwasbetreiben.

Die Anwaltschaft sieht sich starkem Gegen-wind ausgesetzt – das ist nicht erst ein Zei-chen des Jahres 2004, sondern hat sichüber die Jahre/Jahrzehnte hin entwickelt. Dawird am Rechtsberatungsgesetz gerüttelt, danimmt die Zahl der Anwältinnen und Anwälteerheblich zu, weil der Staat zu wenig Asses-soren aufnimmt, die Industrie Einstellungs-stopps verkündet und der Mittelstand keinejuristischen Akademiker haben will.

Wollen wir unseren Vorsprung auf demRechtsberatungsmarkt behaupten, so kön-nen wir das nur erreichen mit der Argumen-tation und dem ständig wiederkehrendenBeweis, dass die Qualität anwaltlicherDienstleistung sehr hoch ist und nur damitVerbraucherschutz in hohem Grade gewährtist. Die Qualitätssteigerung der anwaltlichenLeistung liegt also im Interesse von unsallen. Sie dient nicht – nur – dem Ansehenunseres Berufsstandes. Sie dient schlicht-weg der wirtschaftlichen Existenzsicherungunseres Berufs. Der „Anwalt so nebenbei“hat keine Zukunft, er gefährdet die Zukunftaller Anwältinnen und Anwälte.

3. Ausgehend von diesen Ausgangsbe-trachtungen war es also verständlich, dassdie Anwaltschaft sich mit der Änderung derAusbildungsordnung unserer Studenten undReferendare intensiv beschäftigt hat. DenStreit darüber, wer eher da war, die Henneoder das Ei, will ich nicht ausgraben. Für unsist es nicht einmal mehr historisch inte-ressant, ob die Anwaltschaft zuerst beimJustizministerium angeklopft hat oder dasJustizministerium zuerst bei der Kammernachfragte. Allerdings will scheinen, dass dieAnwaltschaft zuerst wieder einmal Anstößegab – das alles ist völlig falsch ausgedrückt,denn mit der Ausbildungs- und Prüfungsord-nung war die Anwaltschaft nie zufrieden, hatnie Ruhe gegeben nachzubohren, ist ja auchjetzt immer noch nicht voll zufrieden. DasInteresse der Anwaltschaft an einer Ausbil-dung und an Prüfungen, die es nicht verlan-gen, ein Urteil oder eine Anklageschrift zufertigen, sondern die eine Klageschrift oderein Verteidigerplädoyer zum Inhalt haben,war immer schon gewünscht, und schon vormehr als 100 Jahren hatte die Anwaltschaftsolche Bestrebungen nach anwaltsorien-

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tierter Ausbildung unterstützt. Das ist derwesentliche Gesichtspunkt für die Anwalt-schaft, aber ganz egoistische Gründe sollteman nicht verheimlichen. Wir alle haben dieChance, besser für uns ausgebildetenNachwuchs in unsere Kanzleien zu erhalten.

Der Weg zu einer neuen Ausbildungs- undPrüfungsordnung wurde, soweit das über-blickt werden kann, seit Mitte der 80iger Jah-re im Übrigen andersherum beschritten alsfrüher. Wir haben uns in einer Kommissionim Justizministerium zusammengesetzt undAusbildungsinhalte und Lehrpläne erarbeitet.An dieser Kommission haben aus dem Be-reich unserer Kammer mitgewirkt:

– Frau Cornelia Rohleder, Traunstein,Rechtsanwältin und Vizepräsidentin derKammer,

– Dr. Eckhard Müller, München, Rechtsan-walt und Vizepräsident der Kammer,

– Stephan Kopp, Rechtsanwalt und stell-vertretender Hauptgeschäftsführer derKammer ,

– der Verfasser.

Waren auf diesem Weg neue Lehrpläne undAusbildungsinhalte geschaffen, so war derWeg, dies in die neue Ausbildungsordnungeinfließen zu lassen, nicht mehr allzuschwierig. Unser Bestreben ist Gesetz ge-worden. Die Vorbereitungen laufen. DieÜberleitung der bisherigen Ausbildung in dasneue System hat begonnen. Die Anwalt-schaft muss nur mitmachen. Jahrzehntelan-ges Klagen über Referendare, die für dieAnwaltschaft schlecht ausgebildet sind,bringt nichts: „Machen wir halt bessere Refe-rendare“. Vervollkommnet ist das Systemaber immer erst dann nach dem Prinzip„gelernt wird nur, was auch geprüft wird“,wenn in der Zweiten juristischen Staatsprü-fung anwaltstypische Klausuren gestelltwerden – die Kammer hat häufig dazu auf-gerufen, doch solche Klausuren zur Verfü-gung zu stellen.

4. Mit den Arbeiten an der Ausbildungsord-nung lief so nebenbei das „Gastdozenten“-Modell an. Natürlich waren in den früherenJahren immer in irgendwelchen Arbeits-gemeinschaften irgendwelche Anwälte, die

der hauptamtliche Arbeitsgemeinschaftslei-ter kannte und die den Referendaren dannetwas erzählten, weil sie in die Arbeitsge-meinschaft eingeladen wurden. Das Bestre-ben, Praxis so in die Arbeitsgemeinschafteinzubringen, darf nicht unterschätzt wer-den. Es hing aber natürlich von der jeweili-gen Kollegin und dem jeweiligen Kollegenab, was er an Stoff in der Arbeitsgemein-schaft den Teilnehmern beibrachte. Mit derEinführung des „Gastdozenten“-Modells undgleichzeitig den geänderten Ausbildungs-plänen, den einheitlich herausgegebenenMustermappen, konnte die AnwaltschaftGewähr bieten dafür, dass der Stoff syste-matisch vermittelt wurde und nur rhetorischeFähigkeiten einzelner Dozenten noch Unter-schiede brachten – dieses Problem tritt je-doch bei Veranstaltungen von hauptamt-lichen Arbeitsgemeinschaftsleitern gleicher-maßen auf. Um auch hier fortzubilden,haben wir es dankbar angenommen, dassden Gastdozenten durch das Justizministe-rium Gelegenheit gegeben wurde, Rhetorik-seminare im Richterheim in Fischbachau zubesuchen. Die Teilnehmer – auch so ge-nannte „alte Hasen“ – haben nicht nur fürsVortragen in den Arbeitsgemeinschaften vieldabei gelernt und geben das Erlernte nunauch an Kolleginnen und Kollegen weiter.Die Gastdozenten haben sich auch in denbeiden anderen bayerischen Kammerbezir-ken durchgesetzt, in Bamberg und Nürn-berg. Bayernweit sind etwa 100 Gastdozen-ten tätig, in Zukunft werden es noch mehrsein müssen, um den neuen Anforderungender geänderten Ausbildungsordnung gerechtzu werden.

5. Zwangsläufig kam neben dem Gastdo-zenten-Modell aufgrund reger Nachfrageweiteres Angebot. Es wurde mit der gemein-samen Trägerschaft des Justizministeriums,der Hans-Soldan-Stiftung und den Kammernein Anwaltsmonat eingeführt. Das war einMonat strenger Unterricht für solche Refe-rendare, die den schriftlichen Teil derAssessorenprüfung abgelegt hatten. Diesesehr geballten Veranstaltungen, teilweise inder Beamten-Fachhochschule in Starnberg,teilweise im Leibnitz-Institut der UniversitätMünchen und zuletzt in der Universität,

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haben jeweils zwischen 50 und 80 Referen-darinnen und Referendare erreicht, wurdenmit großem Lob aufgenommen, und ausmancher Anfrage einer Kollegin oder einesKollegen wissen wir, dass die Zeugnisseüber die Ablegung dieses Anwaltsmonatsbei Bewerbungen vorgelegt wurden.

Aus diesem Anwaltsmonat hat sich – noch-mals konzentriert – jetzt eine Vortragsreiheentwickelt mit dem Titel „Berufsfeld Anwalt-schaft“. Die Anzahl der Tage ist zwar aufzwölf geschrumpft, aber noch konzentrierterals bisher werden Themen behandelt wieBerufsrecht, Anwaltshaftung, steuerrecht-liche Aspekte der Anwaltstätigkeit sowieRechtsformen und Haftungsfolgen anwaltli-cher Zusammenarbeit. Taktik der Mandats-führung wird besprochen in verwaltungs-rechtlichen, strafrechtlichen und zivilrecht-lichen Angelegenheiten, und dann wirdselbstverständlich anwaltliches Gebühren-und Kostenrecht gelehrt. Grundzüge derMediation werden ebenfalls vermittelt. Refe-renten sind ausschließlich solche Kollegin-nen und Kollegen, die Erfahrung als Gast-dozent gesammelt haben.

6. Bei den Fortbildungsveranstaltungen fürdie Anwältinnen und Anwälte haben wir unseinige grundsätzliche Gedanken gemacht:

a) Wir wollen und machen gewerblichen An-bietern von Fortbildungsveranstaltungenkeine Konkurrenz, veranstalten insbesonde-re nicht mehrtägige Seminare oder garWochenseminare.

b) Soweit es sich um Tages- odergar Mehrtagesveranstaltungen handeln muss,soll dies durch das Institut veranstaltet wer-den, das von den Anwaltskammern, alsoauch von uns, getragen wird, nämlich dasDAI in Bochum.

c) Dem Fortbildungsgebot der Fachanwälte(zehn Zeitstunden pro Jahr: § 15 FAO) wol-len wir, wenn irgend möglich, Rechnung tra-gen.

d) Unsere Fortbildungsveranstaltungen sol-len sich in der Regel auf zweistündige Ver-anstaltungen in den Räumen der Kammer

abends, werktags ab 18:00 Uhr, beschrän-ken.

e) Wenn Bedarf besteht, werden Fortbil-dungsveranstaltungen auch außerhalb desKammersitzes durchgeführt.

Aus diesen Vorgaben hat sich nun seit 1979ein weites Betätigungsfeld eröffnet. Erreich-ten solche Veranstaltungen im Jahre 1980knapp 1000 Interessenten, so stieg die Teil-nehmerzahl erheblich:

1980 Teilnehmer: 9981984 Teilnehmer: 1.3001994 Teilnehmer: 1.6041997 Teilnehmer: 3.6232000 Teilnehmer: 4.3942001 Teilnehmer: 9.1142002 Teilnehmer: 9.5172003 Teilnehmer: 7.702

Der starke „Ausbruch“ im Jahr 2001 istdarauf zurückzuführen, dass Sonderveran-staltungen zur Einführung des automatisier-ten Mahnverfahrens durchgeführt wurden,und dann fanden stark besuchte Veranstal-tungen zum Schuldrechtmodernisierungsge-setz statt. Im Jahr 2002 war herausragendesEreignis das Zweite Gesetz zur Änderungschadenersatzrechtlicher Vorschriften. Dasalles hat sich dann im Jahr 2003 etwas be-ruhigt, aber für das Jahr 2004 steht wohlschon wieder neuer Rekord an: Das Rechts-anwaltsvergütungsgesetz treibt die Kollegin-nen und Kollegen zu uns und die Referentenauch in andere Landgerichtsbezirke.

Neben diesen Veranstaltungen findet Mit-arbeiterfortbildung statt. Hierbei handelt essich meist um dreistündige Veranstaltungen.Die Teilnehmerzahlen hierfür schwankenzwischen 1.500 und 1.700 Teilnehmern.

Die einzelnen Themen können hier auchnicht annähernd und abschließend wieder-holt werden. Für Mitarbeiter werden natürlichbesonders Gebühren- und Kostenrecht ver-mittelt sowie alle Arten der Zwangsvoll-streckung. Auch die englische Rechts-sprache für Mitarbeiter sowie Buchführungs-und Rechnungswesen werden angeboten.Für Anwältinnen und Anwälte findet einreichhaltiges Angebot statt. Unterschiedenwird zwischen Grundausbildung und Fach-

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anwaltsfortbildung. Neben den besondershäufig gefragten Themen aus Familienrecht,Mietrecht, Steuerrecht, Verkehrs- und Ver-sicherungsrecht, Arbeitsrecht, Sozialrecht,Verwaltungsrecht und Strafrecht sind natür-lich auch Spezialthemen behandelt worden.Ein Crashtest unter besonderer Berücksich-tigung der Tinnitusproblematik wurde durch-geführt. Fortbildungsveranstaltungen in derenglischen Rechtssprache fanden großeResonanz. Der „verarmte Schenker“ wurdefamilienrechtlich und sozialrechtlich behan-delt. Europarechtliche Aspekte kamen beimneuen EU-Kartellrecht sowie bei dem deut-schen Sozialrecht zu vielen Hörern. DieVerbraucherinsolvenz und die Geldwäschewaren weitere Themen aus der buntenPalette vieler Angebote.7. Das alles bedarf der Organisation. DieReferenten müssen nicht nur gesucht wer-

den, Termine müssen verabredet und ver-schoben werden. Referenten müssen umSkripten gebeten werden – die sollen nachunserer Übung aber keine Lehrbücher sein,sondern für eine Zweistundenveranstaltungdreißig Seiten nicht überschreiten, also kon-zentriert das mitgeben, was über zwei Stun-den behandelt wird. Die Skripten müssenfotokopiert werden, Teilnahmebestätigungenim Rahmen der Fachanwaltsordnung wer-den geschrieben, Kolleginnen und Kollegenwerden ein- und bei Überfüllung umgeladen,neue Referenten müssen eingeführt werden– alles bedarf also der Organisation, täglichwechselnd, in unendlich viel Mühe undKleinarbeit. Der Verfasser könnte dies allesehrenamtlich nicht betreiben, hätte er nichtin der Kammer ständig Hilfe durch Frau El-borg Spellenberg und Frau Stephanie Merk.Danke!

Zugang Seminarräume

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76 Uwe Clausen

Chaos und Reglementder Fachanwaltschaften

Dr. Uwe ClausenRechtsanwalt

Wenn die Rechtsanwaltskammer Münchenim Oktober 2004 125 Jahre alt wird, dannhaben die Fachanwaltschaften einen Monatzuvor, nämlich am 11.9.2004 – gänzlich un-bemerkt und ungefeiert – ihren 75. Ge-burtstag gehabt. Der Anwalt, der dies bis-lang nicht wusste, muss sich nicht genieren.Denn zum Feiern hat so recht auch keinAnlass bestanden.

Es ist keine normale Geschichte im Sinnedes Werdens und Reifens und einer sichkontinuierlich entwickelnden Ordnung. Es istein Hin und Her, ein Auf und Ab. Die Erklä-rung dafür sollte nicht allein in den histori-schen Wirren des 20. Jahrhunderts gesuchtwerden; wirr hat sich manches Mal auchdie deutsche Anwaltschaft verhalten. Nochheute reicht der Fächer der vehement undmit tiefster Überzeugung geforderten Rege-lungen von der völligen Abschaffung bis zurunbegrenzten Freigabe. In diesem Sinnestand auch das Symposium, das die Bun-desrechtsanwaltskammer und die Rechts-anwaltskammer Hamburg im Februar 2004in Berlin veranstalteten unter dem Thema„Freigabe der Fachanwaltschaften – Durch-bruch oder Chaos?“

Die Geschichte der Fachanwaltschaften ver-lief von Anfang an chaotisch und ist es bisheute geblieben. Das gilt sowohl für ihre ge-setzlichen Grundlagen (s. unten 1.) wie auchfür die Ausgestaltung im Rahmen der Sat-

zungsversammlung ab 1995 (s. unten 2.).Zwar gibt es mit der Fachanwaltsordnungheute eine sich auf gesetzliche Grundlagenstützende Reglementierung. Ob diese aberdauerhaften Bestand haben wird und wo-hin die Entwicklung der Fachanwaltschaftenüberhaupt gehen wird, erscheint so unsicherwie im Geburtsjahr 1929.

1. Die Entwicklung der gesetzlichenGrundlagen

1929 (Auf): Am 11.9.1929 beschloss der24. Deutsche Anwaltstag in Hamburg nacheiner jahrelang kontrovers geführten Diskus-sion, dass die Bezeichnung „Fachanwalt“künftig zulässig sein solle.1 Es wurde eineKommission gebildet, die eine „Richtlinie zurEinführung von Fachanwaltsbezeichnungen“schuf.2 Schon damals wurden folgendeFachgebietsbezeichnungen anerkannt:

– Steuerrecht,– Urheber- und Verlagsrecht, gewerblicher

Rechtsschutz,– Staats- und Verwaltungsrecht,– Ausländerrecht,– Arbeitsrecht,– Sozialversicherungsrecht.3

Voraussetzungen für die Zulassung alsFachanwalt waren eine fünfjährige Zulas-sung als Rechtsanwalt und die Erteilungeiner Unbedenklichkeitsbestätigung durchdie zuständige Rechtsanwaltskammer imSinne eines Befähigungsnachweises.

1935 (Ab) wurde die Führung der Fachan-waltsbezeichnungen wieder verboten;Fachanwälte passten nicht in das national-sozialistische Bild des Rechtsanwalts.4 Ge-setze sollten weniger fachlich dogmatisch

���������1 AnwBl. 1929, S. 245. – Der Meinungsstreit über Pro und

Contra der Fachanwaltsbezeichnungen nach dem ErstenWeltkrieg hatte zunächst zu einem Verbot der von einigenSpezialisten verwendeten Bezeichnung „Fachanwalt fürSteuerrecht“ geführt (Ehrengerichtshof am Reichsgericht,JW 1923, S. 609).

2 AnwBl. 1930, S. 50 und S. 1633 AnwBl. 1930, S. 355; AnwBl. 1931, S. 204 Anordnung des Präsidenten der Reichsrechtsanwalts-

kammer vom 23.12.1935 Nr. 59

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als vielmehr nach der nationalsozialistischenWeltanschauung ausgelegt werden.5

1937 (Auf): Zwei Jahre später sahen sich dieReichsminister der Finanzen und der Justizallerdings nicht gehindert, im gemeinsamenRunderlass vom 10.11.19376, den „Fachan-walt für Steuerrecht“ wiederum zuzulassen.Die Gestattung wurde von den Präsidentender Oberfinanzdirektionen ausgesprochenund verlangte den Nachweis besondererKenntnisse auf dem Fachgebiet.

1941 (Ab): Mangels Akzeptanz in der An-waltschaft wurde die Bezeichnung „Fachan-walt für Steuerrecht“ vier Jahre später mitAnordnung vom 3.5.19417 durch die Be-zeichnung „Steuerberater“ ersetzt8.

1947 (Auf): Im September 1947 beschlossendie Rechtsanwaltskammern in der BritischenZone, die Bezeichnung „Fachanwalt fürSteuerrecht“ wieder einzuführen.9 Demschlossen sich auch die bayerischen Rechts-anwaltskammern an.10 Dies blieb aber eineSonderregelung für die Steuerrechtler unterden Anwälten. Für alle anderen Fachanwalt-schaften, auch die 1930/31 bereits imple-mentierten fünf weiteren Fachanwaltschaf-ten, galt ein generelles Verbot, nach außenhin kundzumachen, dass ein Anwalt einSondergebiet bevorzugt bearbeite.11

1959 (Ab): Die Bundesrechtsanwaltsordnungvon 1959 verzichtete infolge der kontrover-sen Debatte in der Kollegenschaft für undgegen eine Einführung weiterer Fachanwalt-

���������5 So für das Steuerrecht ausdrücklich § 1 Abs. 1 Steueran-

passungsgesetz vom 16.10.1934 (s. dazu Ott, StuW 1935Sp. 704 – 711)

6 Deutsche Justiz 1937, S. 17617 Reichssteuerblatt 1941, S. 3598 Das Steuerberatungsgesetz vom 16.8.1961 hat diese

„Steuerberater“ – zunächst durch Militärverordnung derBesatzungsmächte 1946 verboten – später wieder aner-kannt.

9 F.J. Haas, in Haas-Festschrift, Steuerrecht und Gesell-schaftsrecht als Gestaltungsaufgabe, S. 10

10 Führrohr, NJW 1949, S. 5911 Richtlinien für die Ausübung des Anwaltsberufs vom

10.3.1949 der Vereinigung der Vorstände der Rechtsan-waltskammer der Britischen Zone, dort Nr. 55; Beschlussder Arbeitsgemeinschaft der Vorstände der Rechtsan-waltskammern vom 27.8.1955 (Tagung Bamberg) und vom27./28.10.1956 (Tagung Gosslar)

schaften auf eine gesetzliche Regelung.12

1964 (Auf): Für das Steuerrecht kam esallerdings durch Beschluss der 13. Haupt-versammlung der Bundesrechtsanwalts-kammer am 4./5.5.1964 zu den „Richtlinienfür die Gestattung der Bezeichnung ,Fach-anwalt für Steuerrecht‘“.

1985 (Ab): Zwanzig Jahre lang setzte sichdie Kontroverse um die Führung vonFachanwaltsbezeichnungen und ihre Aus-dehnung über das Steuerrecht hinaus mitgrößter Intensität und Heftigkeit fort. Vorstö-ße der Bundesrechtsanwaltskammer unddes Deutschen Anwaltvereins, weitereFachanwaltsbezeichnungen einzuführen,scheiterten. Erst 1985 sah sich die Bundes-regierung zum „Entwurf eines Gesetzes zurÄnderung des Berufsrechts der Rechtsan-wälte, der Patentanwälte und der Notare“13

veranlasst, der auch die Zulassung vonFachanwaltschaften zum Gegenstand hatte,allerdings im Gesetzgebungsverfahren imRechtsausschuss des Bundestages schei-terte.14

1986 (Auf): Bundesrechtsanwaltskammerund Deutscher Anwaltsverein sahen darineinen Affront gegenüber ihren Bemühungenund änderten auf der 60. Hauptversammlungam 10.10.1986 in Freiburg § 76 der Stan-desrichtlinien dahingehend, dass über dasSteuerrecht hinaus auch das Verwaltungs-recht, das Arbeitsrecht und das Sozialrechtzu Fachgebieten erklärt wurden. Die auf die-ser Basis beschlossenen „Richtlinien für dieGestattung der Bezeichnung ,Fachanwalt fürVerwaltungsrecht / Steuerrecht / Arbeitsrecht/Sozialrecht‘“ entsprachen inhaltlich dem ge-scheiterten Gesetzesentwurf.15

1990 (Ab): Mit Urteil vom 14.5.1990 stellteder Bundesgerichtshof allerdings fest, dieVerleihung der Fachanwaltsbezeichnungen���������12 In Anlehnung an Nr. 55 der Richtlinien der Britischen Be-

satzungszone war gem. § 68 Standesrichtlinien von 1957,die Entscheidung über weitere Sondergebiete der Bundes-rechtsanwaltskammer übertragen. Diese entschied sichauf ihrer 5. Hauptversammlung in Frankfurt am27./28.1.1961 allerdings dazu, die Ausdehnung derFachanwaltschaften auf weitere Rechtsgebiete als das desSteuerrechts nicht weiter zu verfolgen.

13 BR-Drucks. 256/8214 Vgl. Henssler/Prütting-Henssler, § 43c Rz. 315 Vgl. BRAK-Mitt. 1996, S. 177, 198

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sei mangels hinreichend bestimmter gesetz-licher Grundlage unzulässig; die Entschei-dung über die Einführung sei dem Gesetz-geber vorbehalten16.

1991 (Weiter abwärts): Im Jahr 1991 nahmdeshalb der Deutsche Bundestag einenzweiten Anlauf und verabschiedete das„Gesetz zur Änderung des Berufsrechtsder Notare und Rechtsanwälte“ vom29.1.1991.17 Der neu eingefügte § 42 dBRAO sah den Erlass einer Rechtsverord-nung mit Zustimmung des Bundesrats vor, inder die Nachweis- und Fortbildungsfragen zuregeln waren. Mit dem Entwurf einerRechtsverordnung über Fachanwaltsbe-zeichnungen18 machte die Bundesregierungvon dieser Ermächtigung Gebrauch. Indesverweigerte der Bundesrat, gestützt aufverfassungsrechtliche Bedenken gegen diezugrunde liegende Ermächtigungsnorm, derVerordnung seine Zustimmung.

1992 (Auf): Der dritte gesetzgeberische An-lauf in der Nachkriegszeit führte zu dem„Gesetz über die Fachanwaltsbezeichnun-gen“ (RAFachBezG) vom 22.2.1992.19 Auchdieses Gesetz wurde nicht alt.

1994 (Ab und Auf): Im Jahr 1994 erging das„Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechtsder Rechtsanwälte und Patentanwälte“ vom2.9.199420, mit dem zugleich das RAFach-BezG mit der Maßgabe aufgehoben wurde,es bis zum Erlass einer Satzung weiter an-zuwenden. In der BRAO wurden durch dasNeuordnungsgesetz die früheren § 42 a bis§ 42 d in einem neuen § 43 c zusammen-gefasst. Die Satzungsermächtigung wurdeim neu eingefügten § 59 b BRAO verankert.

���������16 Zu den hoch schlagenden Wogen der Kritik an dieser Ent-

scheidung vgl. Birkner, AnwBl. 1990, S. 359; Kleine-Cosak, ZIP 1990, S. 742; Prütting, JZ 1990, S. 1022;Odersky, AnwBl. 1991, S. 228

17 BGBl. I 1991, S. 15018 BRAK-Mitteilungen 1991, S. 2619 BGBl. I 1992, S. 36920 BGBl. I 1994, S. 2278, 2294

2. Die Entwicklung durch die Satzungs-versammlung

a) Die erste Satzungsversammlung(1995 – 2000)

Ab 1995 hat sich dem Gesetzesauftrag ge-mäß die Satzungsversammlung der Ent-wicklung der Fachanwaltschaften ange-nommen – und getreulich der Historie fol-gend – äußerst kontrovers und durchauschaotisch über Pro und Contra, Wie und fürWen gestritten und gerungen. Die Fachan-waltsordnung war das Thema, das die Sat-zungsversammlung zeitlich am meisten be-anspruchte und emotional am heftigsten be-wegte.

Das 1. Plenum der Satzungsversammlungvom 7. – 9.9.1995 in Berlin kam über eineGrundsatzdiskussion nicht hinaus und über-trug die Ausarbeitung eines Entwurfs einerFachanwaltsordnung einem Ausschuss. Diegrundsätzliche Diskussion nahm ihren Fort-gang im 2. Plenum der Satzungsversamm-lung vom 1. – 3.2.1996 in Bonn, auf demman sich schließlich durchrang, eineFachanwaltsordnung auf den Weg zu brin-gen, indem über jede vom Ausschuss erar-beitete Bestimmung einzeln beraten und ab-gestimmt wurde. Endgültig beschlossenwurde die Fachanwaltsordnung dann aufdem 5. Plenum am 29.11.1996 in Berlin.

Zu den seit 1986 eingerichteten Fachanwalt-schaften Arbeitsrecht, Sozialrecht, Steuer-recht und Verwaltungsrecht kamen mit demIn-Kraft-Treten der FAO am 11.3.199721 dieFachanwaltschaften für Familienrecht undfür Strafrecht hinzu. Ferner schuf die ersteSatzungsversammlung auf ihrer 7. Plenarsit-zung vom 21./22.3.1999 in Köln den„Fachanwalt für Insolvenzrecht“.

Mit der Fachanwaltsordnung stehen dieFachanwaltschaften nunmehr auf dem Fun-dament einer rechtlich einwandfreien Rege-lung. Zur Ruhe gekommen sind sie damitallerdings nicht. Noch in 1996 wurde die���������21 Bezeichnenderweise war sogleich das Datum des In-Kraft-

Tretens wegen vermeintlich widersprüchlicher Regelungenin § 191 d Abs. 5 BRAO und § 191e BRAO streitig; s. dazuRing, AnwBl. 1998, S. 57, dort FN 1.

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FAO sogleich nach ihrem In-Kraft-Tretendurch zwei Änderungsinitiativen wieder inFrage gestellt. Beide scheiterten.22 Letztlichmusste sich die FAO bis 2004 nur gering-fügige Änderungen ihrer Verfahrensregelun-gen gefallen lassen, so die Aufhebung des§ 15 FAO23 durch das Bundesjustizministe-rium24, und einige Präzisierungen, die sichaufgrund der Anwendung in der Praxis alserforderlich erwiesen hatten.25

b) Die zweite Satzungsversammlung(2000 – 2003)

Seit In-Kraft-Treten der FAO bis heute drehtsich die Diskussion vor allem um die Frage,ob und welche weiteren Fachanwaltschafteneingeführt werden sollen.Die zweite Satzungsversammlung hat sichüberfordert gezeigt, ordnend auf die Ent-wicklung der Fachanwaltsordnung einzuwir-ken und damit die Geschicke der Fachan-waltschaften insgesamt aktiv zu gestaltenund zu bestimmen.Auf ihrer 1. Plenarsitzung am 20.6.2000 inBonn hielten sich Befürworter und Gegnereiner Ausweitung in etwa die Waage, sodass es bei den sieben bisherigen Fach-anwaltschaften verblieb. Am 15./16.2.2001tagte dann die 2. Plenarsitzung der zweitenSatzungsversammlung in Berlin wiederummit dem zentralen Thema, ob über die be-stehenden sieben Fachanwaltschaften wei-tere zugelassen werden sollten. Es warenAnträge gestellt, eine ganze Reihe weitererFachanwaltschaften zu etablieren, so dieFachanwaltschaften für Medizinrecht, für pri-vates Baurecht, für Unternehmens- und Ge-sellschaftsrecht, für Verkehrsrecht, für Um-weltrecht, für Europarecht, für Neue Medien/Informationstechnologie, für Transportrecht,für Finanzdienstleistungsrecht, für Immobili-

���������22 Das Ziel, die Anforderungen an die Zulassung zu ver-

schärfen, wurde auf der 4. Sitzung der Satzungsver-sammlung vom 13. – 15.6.1996 in Berlin abgelehnt, eben-so auf dem 5. Plenum der Satzungsversammlung vom28. – 29.11.1996 in Berlin das Ziel, FAO und BORA zueinem einzigen Regelwerk zusammenzufassen.

23 § 15 FAO betraf ausländische Rechtsanwälte und dieRechtsbeistände

24 Grund für die Aufhebung war die Ermächtigung in § 191 eBRAO.

25 6. Plenum der Satzungsversammlung vom 5. und6.11.1998; 7. Plenum am 21. – 22.3.1999 in Köln

en- sowie Miet- und Wohnungseigentums-recht und für Versicherungsrecht.

„Die von der Satzungsversammlung dazugegebene Antwort ist eindeutig, der Wegdahin war kurios, teilweise chaotisch undalles andere als überzeugend.“ 26 Mit ein-deutiger Antwort ist wohl gemeint, dass nachheftigen Diskussionen27 immerhin ein kon-zeptioneller Lösungsansatz diskutiert wurde.Am Ende des ersten Tages beschloss maneinen Kriterienkatalog, anhand dessen diePrüfung erfolgen soll, ob und welche weitereFachanwaltschaft künftig eingeführt wird.Der Kriterienkatalog umfasst folgendeFragen:

1. Ist das Fachgebiet nach seinem Auf-gabenspektrum hinreichend breit, vielfältigund als ein eigenständiges Rechtsgebiet vonanderen Rechtsgebieten, insbesondere denbestehenden Fachanwaltschaften, abgrenz-bar?

2. Erfasst das Fachgebiet eine hinreichendeNachfrage potentieller Mandanten?

3. Erfordert das Fachgebiet aufgrund desrechtlichen Schwierigkeitsgrades und wegender Komplexität der Lebenssachverhalte,etwa aufgrund interdisziplinärer Bearbei-tungsnotwendigkeit oder sonstiger „Quer-schnittsbereiche“ für eine sachgerechte Be-arbeitung und Vertretung der Mandanten,den Spezialisten?

4. Dient die Anerkennung des Fachgebietsder Erhaltung oder Ausweitung anwaltschaft-licher Tätigkeitsfelder im Wettbewerb mitDritten?

Der zweite Sitzungstag in Berlin sollteeigentlich die Nutzanwendung der Sachkrite-rien erweisen. Indes: Sämtliche zur Wahlgestellten Fachanwaltschaften fielen durch,auch das Versicherungsrecht. Die vier be-schlossenen Kriterien wurden allerdingsauch nicht für jedes kandidierende Fachge-biet einzeln gewertet und dann nach einemvon der Gewichtung eines Kriteriums ab-hängigen Schlüssels rechnerisch zusam-mengefasst.28 Vielmehr wurde pauschal���������26 So Quaas, BRAK-Mitt. 2004, S. 5827 Zum Verlauf der Satzungsversammlung vom

15./16.2.2001 s. im Einzelnen Quaas a.a.O. (s. FN 24).28 S. dazu Offermann-Burckart, BRAK-Mitt. 2004, S. 65

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nach Zustimmung oder Ablehnung des ein-zelnen Fachgebiets als weitere Fachanwalt-schaft gefragt.

Es nutzt wenig, allgemeine Kriterien überFachbereichszulassungen zu entwickeln,wenn man sie bei der konkreten Entschei-dung nicht oder nur halbherzig anwendet.Dass die zweite Satzungsversammlungmehr dazu neigte, aus dem Bauch anstattnach sachlichen Voraussetzungen zu ent-scheiden, zeigte sich auch darin, dass deram 16.2.2001 mit 27 zu 61 Stimmen durch-gefallene „Fachanwalt für Versicherungs-recht“ in der 5. Sitzung der zweiten Sat-zungsversammlung am 7.11.2002 mit großerMehrheit zur achten Fachanwaltsbezeich-nung gewählt wurde.

Zu einem Zeitpunkt, in dem sich die Fachan-waltschaften nach wechselvollem Schicksalersichtlich der Nachfrage in der Anwaltschaft(s. unten 3.), aber auch der Anerkennungbeim rechtsuchenden Publikum erfreuen,also in einem Zeitpunkt, an dem es eigentlichaufwärts mit den Fachanwaltschaften geht,hat die zweite Satzungsversammlung mit derisolierten Zulassung des Fachanwalts fürVersicherungsrecht bei gleichzeitiger Ableh-nung weiterer Fachanwaltschaften für ver-gleichbare anwaltschaftliche Arbeitsgebieteder weiteren Entwicklung der Fachanwalt-schaften keinen guten Dienst erwiesen. Stattzu fördern, gefährdete sie damit die Fachan-waltschaften (s. unten 4.).

3. Die gewonnene Akzeptanz derFachanwaltschaften

Die Akzeptanz der Fachanwaltschaft bei denAnwälten selbst hat sich zögerlich ent-wickelt. Der „Richtlinie zur Einführung vonFachanwaltschaften“ im Jahr 1930 warwenig Erfolg beschieden. 1932 waren imDeutschen Reich lediglich 150 Fachanwältezugelassen worden, davon 64 für Steuer-recht, 32 für gewerblichen Rechtsschutz,25 für Arbeitsrecht, 16 für Auslandsrecht,12 für Staats- und Verwaltungsrecht undeiner für Sozialversicherungsrecht29. Auchdie Umbenennung der Fachanwälte für

���������29 Statistik vom 25.10.1932, AnwBl. 1932, S. 344

Steuerrecht in „Steuerberater“ durch denRunderlass des Reichfinanzministeriums imJahr 194130 hatte im Desinteresse der An-waltschaft einen wichtigen Grund.

Dies änderte sich zunächst auch nach demZweiten Weltkrieg nicht. Zwar wurde sehrbald die Fachgebietsbezeichnung für dasSteuerrecht wieder eingeführt. Dies wurde– unter der Geltung des generellen Werbe-verbots für Rechtsanwälte31 – jedoch langeZeit als zu duldende Ausnahme begriffen,nicht als Vorbild für andere Rechtsgebiete.Der breiten Anwaltschaft fiel diese Duldungleicht, gab sie sich doch dem bequemenGlauben hin, die steuerlichen Rechtsfolgeneiner anwaltschaftlichen Beratung seien ihreSache nicht; Steuerrecht wurde weithin nichtals Geschäftsfeld der Anwaltschaft, sondernals eher exotisches Terrain verstanden. An-dererseits starteten dazu bereits 1949 die„Arbeitsgemeinschaft der Rechtsanwälte fürSteuerrecht e.V.“ im OLG-Bezirk Hamm so-wie die „Rheinische Vereinigung derFachanwälte für Steuerrecht e.V.“ in Düssel-dorf eine Gegeninitiative.32 Ab 1949 veran-staltete die Arbeitsgemeinschaft die fachlichhochrangige „Steuerrechtliche Jahresar-beitstagung“, ab 1950 dann auch die legen-dären sechswöchigen Lehrgänge in Det-mold. Seither vermittelt der Detmold-Lehrgang aufgeschlossenen Juristen pro-fund und kompakt das steuerrechtlicheGrundwissen. Insbesondere dank dieserFörderinitiativen entwickelte sich dieFachanwaltschaft fürSteuerrecht wie folgt: 1960: 836, 1970:1296, 1980: 1600, 1990: 2145 Fachanwältefür Steuerrecht.

1986 kamen dann auf standesrechtlicherGrundlage die Fachanwaltschaften für Ar-beitsrecht, Sozialrecht und Verwaltungsrechthinzu. Schon auf standesrechtlicher Grund-lage, vor allem aber unter dem Schirm derFAO haben die Fachanwaltschaften seither

���������30 Runderlass des Reichsfinanzministeriums, DJ 1941,

S. 142; zitiert in F. J. Haas a.a.O. (s. FN 9)31 § 2 Abs. 1 RiliRA lautete: „Der Rechtsanwalt handelt stan-

deswidrig, wenn er um Praxis wirbt. Er darf eine ihm ver-botene Werbung auch durch Dritte nicht dulden.“

32 S. dazu Haas a.a.O. (s. FN 9) S. 10, 11. – 1967 fusionier-ten beide zu einer Arbeitsgemeinschaft

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eine beachtliche Entwicklung gemacht, wennauch durchaus unterschiedlich auf den ein-zelnen Fachgebieten. Das Steuerrecht legtekontinuierlich um jährlich durchschnittlich150 neue Fachanwälte zu und kommt per1.1.2004 auf 3.570 Fachanwälte. Am stärk-sten gefragt waren jedoch das Arbeitsrecht(1986 auf standesrechtlicher Grundlage hin-zugekommen) und das Familienrecht (1996mit der FAO eingerichtet), für die

bis 2004 5.446 Gestattungen (Arbeitsrecht)bzw. 5.648 Gestattungen (Familienrecht)ausgesprochen wurden. Vorläufig als Floperwies sich der Fachanwalt für Versiche-rungsrecht mit bundesweit 14 Gestattungenbis 1.1.2004. Laut Statistik der Bundes-rechtsanwaltskammer33 verlief die Entwick-lung seit 1960 wie folgt:

Fachanwälte für Fach-anwältegesamtJahr

SteuerR VerwR StrafR FamR ArbR SozR InsR

1960 836 75 911

1970 1.296 52 1.348

1980 1.609 32 1.641

1989 2.097 259 692 145 3.193

1990 2.145 307 911 190 3.553

1991 2.137 316 952 196 3.601

1993 2.170 355 1.060 250 3.835

1994 2.260 413 1.340 294 4.307

1995 2.350 464 1.557 319 4.690

1996 2.415 520 1.749 349 5.033

1997 2.507 579 2.110 384 5.580

1998 2.674 643 194 1.160 2.487 409 7.567

1999 2.769 706 438 2.238 2.843 432 9.426

2000 2.792 785 702 2.997 3.315 459 30 11.080

2001 2.939 866 912 3.789 3.827 542 141 13.016

2002 3.151 966 1.129 4.502 4.414 612 268 15.042

2003 3.391 1.044 1.326 5.126 5.000 673 373 16.933

2004 3.570 1.111 1.456 5.648 5.446 733 446 18.410

––––––––––��

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82 Dr. Uwe Clausen

Erheblichen Anteil an dem Wachstum hattendie in § 4 Abs. 1 FAO und schon zuvor imRAFachBezG verankerten Fachlehrgänge,deren erfolgreicher Abschluss den Regel-nachweis für den Erwerb besonderer theo-retischer Kenntnisse darstellt. Nicht nur dasinzwischen gebildete „Deutsche Anwaltsin-stitut e.V.“, im Keim hervorgegangen aus der„Arbeitsgemeinschaft für Fachanwälte fürSteuerrecht e.V.“ in Hamm, sondern auchzahlreiche eingesessene Repetitorien undsich auf privatrechtlicher Basis neu bildendeAusbildungsinstitute bieten seit Beginn der90er Jahre in vielen deutschen StädtenFachlehrgänge für die verschiedenenRechtsgebiete an.

4. Die gegenwärtige Situation derFachanwaltschaften

Mit der Ablehnung z.B. eines Fachanwaltsfür Medizinrecht (43 zu 47 Stimmen), für pri-vates Baurecht (43 zu 57 Stimmen) oderUnternehmens- und Gesellschaftsrecht (28zu 62 Stimmen) bei gleichzeitiger Zulassungeines Fachanwalts für Versicherungsrechtstellen sich endgültig verfassungsrechtlichewie auch europarechtliche Fragen „mit bis-her nicht bekannter Dringlichkeit“.33 Die Ori-entierung an spezialisierten Fachgerichts-barkeiten (Arbeitsrecht, Steuerrecht, Straf-recht, Verwaltungsrecht, Sozialrecht) oderwenigstens an speziellen Gerichtszweigen(Strafrecht, Familienrecht, Insolvenzrecht) istjetzt aufgegeben, ohne dass sachlich nach-vollziehbare Gründe für die Zulassung aus-gerechnet des Versicherungsrechts alsachter Fachanwaltschaft und für die Ableh-nung der neunten, zehnten, elften, zwölften,dreizehnten Fachanwaltschaft zu erkennenwären.

Dass der derzeitige Zustand mehr einemFlickenteppich als einem Fachanwaltssy-stem gleicht,34 ist ernsthaft nicht zu bestrei-ten. Für die Zukunftsgestaltung stehen sichwieder einmal die Fraktionen unvereinbargegenüber. Die einen sehen die Rettungdarin, weitere Fachanwaltschaften unver-

���������33 Kirchberg, BRAK-Mitt. 2002, S. 4734 So zutreffend Hellwig, BRAK-Mitt. 2004, S. 53

züglich zuzulassen. Noch Eifrigere fordern:„Fachanwaltschaften für Alles“ wie z.B. fürKleingartenrecht35. Die andere Abteilungwarnt wie eh und je im Interesse der Allge-meinanwälte vor einer „unkontrollierten Viel-zahl neuer Fachanwaltschaften“ mit demnicht überraschenden Argument: „Das Cha-os ist zu befürchten“.36 Vielleicht ist es aberals alter Weggefährte auch einfach nur da.

Mit ihrem widersprüchlichen Hin- und Herzum Fachanwalt für Versicherungsrecht37

und ihrer mutlosen Nichtzulassung anderermindestens gleichwertiger, vielleicht auchwichtigerer Fachgebiete hat die Satzungs-versammlung die Fachanwaltschaften erneutan den Rand der Legitimität gestellt. Derverfassungsrechtliche Befund von Kirch-berg38 lässt sich nicht ignorieren: Aus dergesetzlichen Festschreibung der vier (Alt-)Fachanwaltsbezeichnungen für das Arbeits-,Sozial-, Steuer- und Verwaltungsrecht in§ 43 c BRAO und die Satzungsermächtigungin § 59 b Abs. 2 Nr. 2 BRAO zur „Bestim-mung der Rechtsgebiete, in denen weitereFachanwaltsbezeichnungen verliehen wer-den können“, lässt sich kein Schutz vorÄnderungs- oder Ergänzungsansprüchenableiten; auch die Satzungsautonomie stehtunter der Verpflichtung einer grundrechts-konformen Satzungsausgestaltung. Messenlassen muss sich die FAO am Gleichheits-satz des Art. 3 Abs. 1 GG und an der Be-rufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, diegrundsätzlich auch die Werbung für den Be-ruf unter Schutz stellt.39 Mit der isoliertenZulassung des „Fachanwalts für Versiche-rungsrechts“ ist die FAO im Hinblick auf die-se Grundrechte systematisch aus den Fugengeraten. Überzeugende sachliche Rechtfer-tigungsgründe für die Zulassung des Ver-sicherungsrecht, aber die Ablehnung etwades privaten Baurechts oder des Medizin-rechts werden sich schwerlich finden lassen.Der „Tod des Allgemeinanwalts“ oder ähn-liche Szenarien taugen insoweit wenig; es

���������35 So Scharmer, BRAK-Mitt. 2004, S. 5436 Kitz-Trautmann, BRAK-Mitt. 2004, S. 6137 Abgelehnt mit 27 zu 61 Stimmen auf der Sitzung am

16.2.2001, beschlossen mit großer Mehrheit auf der Sit-zung am 7.11.2002

38 Kirchberg, BRAK-Mitt. 2004, S. 4639 Kirchberg a.a.O. (FN 39 S. 47)

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Uwe Clausen 83

handelt sich bei den genannten und ver-gleichbaren Rechtsgebieten um Spezial-materien, die der Generalist nicht abzu-decken vermag. Schon aus verfassungs-rechtlicher Notwendigkeit muss daher diedritte Satzungsversammlung (konstituiert am19.11.2003) in die Initiative gehen und untermaterieller Anwendung der 2001 entwickel-ten Kriterien oder eines vergleichbaren Kon-zeptes den Katalog der Fachanwaltschaftenausweiten, will sie das Konzept des Han-delns insoweit nicht aus der Hand gebenund die Entwicklung den Gerichten überlas-sen. „Es kann – im Rahmen einer pflichtge-mäßen, ausgewogenen, grundrechtskonfor-men und insbesondere auch dem Prinzip derSystemgerechtigkeit verpflichteten Aus-übung des Satzungsermessens – allenfallsdarum gehen, Überschneidungen mit beste-henden Fachanwaltschaften zu vermeidenbzw. eine Stimmigkeit hinsichtlich der Breiteund Qualität des Angebots, der Nachweiseund der Prozeduren mit den bestehendenFachanwaltschaften sicherzustellen.“40

In die gleiche Richtung führen europarecht-liche Überlegungen. Wie Hellwig41 dezidiertnachgewiesen hat, kann die Angabe einerzutreffenden Spezialisierungsbezeichnung– solange keine Verwechslungsgefahr miteiner Fachanwaltsbezeichnung besteht –durch deutsches Recht nicht verboten wer-den. Aus dem System der Fachanwalt-schaften und dessen Schutz vor Umgehungund Aushöhlung lässt sich ein solches Ver-bot nicht ableiten. Andererseits würde dasVerbot in mehrfacher Hinsicht gegen dasGemeinschaftsrecht verstoßen, insbesonde-re gegen die Dienstleistungsfreiheit unddie ihr innewohnende Werbefreiheit deseinzelnen Rechtsanwalts, gegen die dieseFreiheiten regelnde Richtlinien und gegendas gemeinschaftsrechtliche Wettbewerbs-recht.42

Spezialisierungsbezeichnungen bedürfenkeiner reglementierten Befähigungsnach-weise und keiner Verleihung. Es sollte derdritten Satzungsversammlung ein Anliegen

���������40 Kirchberg a.a.O. (FN 39 S. 47)41 BRAK-Mitt. 2004, S. 4842 S. im Einzelnen Hellwig a.a.O. (FN 42)

sein, der Verbreitung von Spezialisierungs-bezeichnungen kraft (zutreffender)Selbsteinschätzung die Attraktivität dadurchzu nehmen, dass sie neue fachanwaltschaft-liche Gebiete schafft, für die sowohl von derAnwaltschaft wie auch vom rechtsuchendenPublikum her ein Bedarf besteht. Neben die-sem praktischen Argument gilt es aber auchdie gemeinschaftsrechtliche Gefahr zu be-rücksichtigen, dass die Satzungsermächti-gung des § 59 b Abs. 2 Nr. 2 a BRAO einerÜberprüfung am europäischen Gemein-schaftsrecht, insbesondere dem Kartellver-bot in Art. 81 EGV, nicht standhalten könnte,wenn die Satzungsversammlung sich in derFrage der Öffnung der Fachanwaltschaftenzu restriktiv verhält.43

Auf der anderen Seite besteht kein Grund,das Kind mit dem Bade auszuschütten unddas Heil in „Fachanwaltschaften für Alles“ zusuchen. Im Ergebnis würde dies nichts an-deres als das Zurückfallen auf Spezialisie-rungsbezeichnungen kraft Selbsteinschät-zung bedeuten und den entscheidendenVorteil und tragenden Rechtfertigungsgrundder heutigen Fachanwaltschaften verschen-ken, nämlich den verfassten Weg des Er-werbs und der Gestattung, der für denRechtssuchenden eine Gewähr bietet, dasshinter der Bezeichnung fachliches Könnenund Erfahrung stehen. „Fachanwaltschaftenfür Alles“ würden den Wert und die Wert-schätzung, die die heutigen Fachanwaltsbe-zeichnungen genießen, aushöhlen, ohnedass dem ein erkennbarer Nutzen für An-waltschaft und Öffentlichkeit gegenüber-stünde.44

���������43 Siehe im Einzelnen Hellwig a.a.O. (FN 42)44 Einerseits „Fachanwaltschaften für alles“ und andererseits

dann für x-beliebige Rechtsbereiche eine Qualitätsprüfungdurch Prüfungsausschüsse bei den Kammern zu fordern(so Scharmer, BRAK-Mitt. 2004, S. 55), erscheint nicht nurkonzeptionell inkonsequent, sondern auch rechtlich undpraktisch undurchführbar. Es liegt auf der Hand, dass danndie rechtlich gebotene Überprüfbarkeit der Gestattung oderAntragsablehnung verloren geht und somit die Rechtmä-ßigkeit des gesamten Zulassungsverfahrens in Frage ge-stellt wird. Wer bestimmt denn z.B. die Qualitätsanforde-rungen für den „Fachanwalt für Haustierrecht“?

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84 Fritz-Eckehard Kempter/Stephan Kopp

Anwaltsgesellschaften

Dr. Fritz Eckehard KempterRechtsanwaltVizepräsidentder RAK München

Stephan KoppRechtsanwaltStellvertretenderHauptgeschäftsführerder RAK München

Die Jahre von 1979 bis 2004 waren nicht nurbezüglich des allgemeinen Berufsrechts fürRechtsanwälte, sondern auch hinsichtlichder anwaltlichen Organisationsformen vongroßen Veränderungen und Umbrüchen ge-prägt. Die Ausübungsform des Anwaltsbe-rufes entwickelte sich zunächst von derklassischen Einzelkanzlei und Bürogemein-schaft hin zur Kooperation und Sozietät. Esfolgten die Partnerschaft und die Kapitalge-sellschaften sowie mit der zunehmendenInternationalisierung die Anwaltsgesellschaf-ten aus dem europäischen Ausland und denUSA. Neuerdings zeigen sich wieder neuereAusformungen der Zusammenarbeit wieFranchise-Ketten. Diese Entwicklung istnoch nicht abgeschlossen. JahrzehntealteTabus wurden gebrochen, was, wie so oft,Vor- und Nachteile für den Berufsstand mitsich brachte.

1. Die Sozietät

Die Sozietät1 ist im Wesentlichen die imLaufe des letzten Jahrhunderts speziell fürdie berufliche Zusammenarbeit von Rechts-

_________1 Vgl. zum Sozietätsbegriff: Michalski/Römermann, in:

Henssler/Streck, Handbuch des Sozietätsrechts, 2001,B Rdnr. 8; Römermann, Anwaltliche Berufsordnung,2. Aufl. 2001, Berufs-ABC, S. 1219

anwälten gewählte Gesellschaft bürgerlichenRechts. Als solche stellt sie nach wie vor dietraditionelle und noch am häufigsten ver-wendete Organisationsform2 unseres Be-rufsstandes dar.

a) Eine Legaldefinition des Begriffs „Sozie-tät“ war angesichts der bestehenden Rege-lungen zur BGB-Gesellschaft sowie der ein-schlägigen Rechtsprechung3 und der beste-henden Literatur4 mit Ausnahme von § 39Abs. 3 des Rechtsanwaltsgesetzes (RAG)vom 13.9.19905 bis heute nicht erforderlich6.Auch in § 28 der Standesrichtlinien7 erfolg-ten nur Festlegungen hinsichtlich der „ge-meinsamen Kanzlei“, der „gemeinschaft-lichen Entgegennahme der Aufträge undEntgelte“ sowie der Außendarstellung der„Sozietät“. Mit der BRAO-Novelle von 1994wurde § 59 a in die BRAO eingefügt, der dieberufliche Zusammenarbeit von Rechtsan-wälten und den sozietätsfähigen Berufsträ-gern in einer Sozietät regelt. Doch auch die-se Vorschrift wurde vom Gesetzgeber nochbewusst offen formuliert, um die spätereEinbeziehung der Partnerschaft zu ermög-lichen8.

Unter einer Anwaltssozietät im engeren Sin-ne verstand man bereits in der Kommentar-literatur der 30er Jahre des letzten Jahrhun-derts „die dauernde Vereinigung mehrererRechtsanwälte, welche die Berufsausübungder Gesellschafter im Interesse und aufRechnung aller Sozien unter Benützung ge-meinsam zu treffender Einrichtungen be-

_________2 Dazu ausf. Heussen, in Rechtsanwaltshandbuch, 3. Aufl.

1993, Anwaltliches Berufsrecht H II3 Grundlegend BGH NJW 1963 S. 1302; 1971 S. 1801;

1982, 1866; 1984 S. 10; 1985 S. 2635; 1988 S. 1973;1990 S. 827

4 Vgl. zur RAO: Friedländer, a.a.O.; zur RRAO: Noack,a.a.O.; zur BRAO: Isele, a.a.O.; so auch noch in Kleine-Cosack, BRAO, 1. Aufl. 1993, Einl. Rdnr. 27. Vgl. auchRedeker, AnwBl. 1987, S. 528

5 GBl. (der DDR) I Nr. 61 S. 1504, mit Wirkung vom9.9.1994 aufgehoben

6 Posegga, Rechtliche Grundlagen einer Sozietät vonRechtsanwälten und Steuerberatern, 1999, Rdnr. 58;Michalski/Römermann, in: Henssler/Streck, Handbuch desSozietätsrechts, 2001, Kap. B. Die Sozietät, Rdnr. 1, S. 82

7 Beschluss der Bundesrechtsanwaltskammer vom21.6.1973 gem. § 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO

8 BT-Drucks. 12/4993 S. 23; Römermann/Spönemann,NZG 1998 S. 15

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Fritz-Eckehard Kempter/Stephan Kopp 85

zweckt.“9 Im RAG hieß es: „Eine Sozietätliegt dann vor, wenn sich Rechtsanwälte aufvertraglicher Basis zur gemeinsamen Be-rufsausübung und gemeinsamen Kostentra-gung und Haftung zusammengeschlossenhaben. Die Auftragsübernahme erfolgt indiesen Fällen gemeinsam.“ Heute findensich in der Literatur10 je nach Betrachtungs-weise unterschiedliche Definitionen der So-zietät. Man könnte sie im Vergleich mit denverschiedenen Fundstellen als einen organi-sierten Zusammenschluss von Angehörigensozietätsfähiger Berufe nach den Regeln derGesellschaft des bürgerlichen Rechts odereines entsprechenden ausländischen Rechtszur gemeinsamen Berufsausübung durchgemeinsame Entgegennahme von Aufträgenund Entgelt bei gesamtschuldnerischer Haf-tung11 beschreiben.

Soweit Kanzleien nach außen nur gemein-sam auftreten, ohne jedoch im Innenverhält-nis einer echten Sozietät zu entsprechen,handelt es sich um eine so genannte„Scheinsozietät“, auch „Außensozietät“ ge-nannt12. Die auf dem Briefkopf mit aufge-führten Rechtsanwälte, die lediglich Ange-stellte sind oder zu denen nur eine Büroge-meinschaft besteht13, werden im Außenver-hältnis wie Gesellschafter einer Gesellschaftdes bürgerlichen Rechts behandelt. Siehaften demnach auch persönlich für alleVerbindlichkeiten der „Sozietät“.

b) Die Zulässigkeit der Sozietät ist heute an-gesichts der verfassungsrechtlich gewähr-

_________9 So schon Friedländer, RAO, 3. Aufl. 1930, Exk. Zu § 40

Rdnr. 1, S. 318. Vgl. auch Noack, RRAO, 2. Aufl. 1937,§ 35 Ziff. 1 Buchst. h, S. 144

10 Vgl. Isele, BRAO, 1976, Anhang zu § 43, S. 712; Feue-rich/Weyland, BRAO, 6. Aufl. 2003, § 59 a Rdnr. 1 und 6;Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl. 2003, § 59 a Rdnr. 4;Henssler/Prütting – Hartung, BRAO, 2.Aufl. 2004, § 59 aRdnr. 18

11 Henssler/Prütting/Hartung, BRAO, 2. Aufl. 2004, § 59 aRdnr. 18; Feuerich, AnwBl. 1989 S. 360, 362 m.w.N.;BGHZ 56, 355, 357 m.w.N.; ähnlich: Feuerich/Weyland,BRAO, 6. Aufl.2003, § 59 a Rdnr. 6

12 Vgl. hierzu Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl.2003, § 59 aRdnr. 6; Henssler/Prütting-Hartung, BRAO, 2. Aufl. 2004,§ 59 a Rdnr. 19; Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl. 2003,vor § 59 a Rdnr. 16

13 Zur Zulässigkeit vgl. BGH DB 2001 S. 381

leisteten Berufsfreiheit unangefochten14.Noch in den ersten Jahrzehnten des letztenJahrhunderts begegnete die Sozietät aller-dings einem großen Misstrauen. Von „ge-schäftsmäßiger Routine“, „mechanischerBetriebsamkeit“, ja sogar von „Versklavunganderer Anwälte“ war die Rede15. Insgesamtbildeten sich jedoch aufgrund der Vorteileder organisatorischen Zusammenarbeit im-mer mehr Sozietäten. Stellvertretend fürviele seien hier nur die Sozietäten „Dr. MaxFriedlaender – Siegfried Jacoby“, „Dr. MaxHirschberg – Dr. Philipp Löwenfeld – Dr.Ludwig Regensteiner – Dr. Elisabeth Kohn16“und „Karl Hardt – Dr. Jörn Seuffert17“ ge-nannt. 1934 sprach der damals beimReichsgericht angesiedelte Ehrengerichts-hof18 schließlich ein Verbot für eine überört-liche Sozietät auch nur mit der Begründungaus, dass der Anwalt nicht Gewerbetreiben-der, sondern Organ der Rechtspflege seiund damit seine Erwerbsinteressen demInteresse des Auftraggebers und derRechtspflege unterzuordnen habe19.

c) Nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenin Bezirk der Rechtsanwaltskammer Mün-chen so manche, teilweise noch heute be-kannte Sozietäten, von denen wieder – so-weit ermittelbar, nur stellvertretend für vieleandere und ohne Anspruch auf Vollständig-

_________14 Vgl. Kleine-Cosack, BRAO, 1. Aufl. 1993, Einl. Rdnr. 27.

Anders noch Anfang des 20. Jahrhunderts: Damalsglaubte man, dass die Anwaltschaft sich nicht zu „großbe-trieblicher Konzentration“ eigne. Vgl. hierzu: Lingen-berg/Hummel/Zuck/Eich, Komentar zu den Grundsätzendes anwaltlichen Standesrechts, 2. Aufl. 1988, § 28Rdnr. 3

15 Vgl. den historischen Rückblick in: Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, Kommentar zu den Grundsätzen des anwalt-lichen Standesrechts, 2. Aufl. 1988, § 28 Rdnr. 3; Henss-ler/Prütting-Hartung, BRAO, 2. Aufl. 2004, § 59 a Rdnr. 2

16 Hirschberg, Jude und Demokrat, Erinnerungen einesMünchener Rechtsanwalts 1883 bis 1939, S. 238 undLandau/Rieß, Recht und Politik in Bayern zwischen Prinz-regentenzeit und Nationalsozialismus, S. XXI, 570, 663,675; zuvor „Dr. Heinrich Rheinstrom – Max Hirschberg“,vgl. Hirschberg a.a.O. S. 84. Rechtsanwalt Dr. TheodorLöwenfeld, der Vater von Rechtsanwalt Dr. PhilippLoewenfeld, hatte Anfang des 20. Jahrhunderts eineSozietät mit Rechtsanwalt Max Bernstein, vgl. Landau/Rieß, a.a.O., S. 10, 246

17 Seit 1948: Karl Hardt – Dr. Rolf Seuffert18 Vgl. Kopp, BRAK-Mitt. 1998 S. 56 f.19 EGHE XXVIII, S. 174

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86 Fritz-Eckehard Kempter/Stephan Kopp

keit die Kanzleien20 „Dr Anton Besold –Emmanuel Besold21“, „Rolf Bossi – IngoBrehme – Steffen Ufer22“, „Dr. Helmut Bütt-ner – Dr. Leo A. Seufert23“, „Dr. Hugo Die-pold – Friedrich Wilhelm Spigaht“24, „Dr. LoisErdl – Dr. Joachim Wunderlich – Dr. HaraldPeters – Dr. Hans Robert Dissmann –Dr. Peter Fleschutz – Dr. Horst Hahn25“,„Dr. Rolf Fiedler – Dr. Manfred Gegerle26“,„Dr. Otto Gritschneder – Dr. Hans Weber –Dr. Wolfgang Hahn27“, „Dr. Hans Hertkorn –Dr. Alexander von Berlin – Günther Seufert –Dr. Christoph von Heimendahl – WalterLabbé – Dr. Friedrich Wilhelm Graf von Ritt-berg28“, „Dr. Alfons Höchstädter – RudolfLangscheid29“, „Ottheinz Kääb – Peter

_________20 Wegen der großen und unüberschaubaren Zahl an

Sozietäten können hier nur einige Sozietäten aus den50er, 60er und 70er Jahren in alphabetischer Reihenfolgenach dem Anfangsbuchstaben des erstgenannten Soziusgenannt werden. Zu Tätigkeiten einzelner Sozien imKammervorstand, in der Geschäftsführung und in derEhren- bzw. Anwaltsgerichtsbarkeit vgl. dort

21 Später: Dr. Anton Besold – Emmanuel Besold – FlorianBesold

22 Später: Rolf Bossi – Gunter Widmaier – Steffen Ufer –Erwin Brandl – Albrecht Heyng – Dr. Eckhart Müller, stattder letzten beiden Sozien kamen in der Folgezeit mitunterschiedlicher Dauer der Zugehörigkeit hinzu: HansDieter Gross, Harald Greve, Wolf-Dieter Fritz, Ulrich Bau-schulte, Franz Xaver Wittl, Peter Witting. Heute heißt dieSozietät: Bossi – Ufer – Ziegert

23 Heute: Dr. R. Büttner, Dr. Seufert & Partner24 Später: Dr. H. Diepold – Arnulf R. Seufert – Dr. Wieland

Horn25 Später: Dr. Harald Peters - Dr. Peter Fleschutz – Dr. Horst

Hahn, Peters Fleschutz Graf v. Carmer26 Später: Dr. Rolf Fiedler – Dr. Manfred Gegerle – Dr. Man-

fred Maischein – Dr. Paul Köppl bzw. Dr. Nikolaus vonSchoeler bzw. Dr. Werner Wellhöfer, dann: Fiedler &Forster, heute ist die Münchener Kanzlei Bestandteil vonCMS Hasche Sigle

27 Später: Dr. Otto Gritschneder – Dr. Hans Weber –Dr. Klaus Werner – Peter Luger, Dr. Otto Gritschneder –Erwin Ehrensperger – Gerhard Geigenberger – KonradGritschneder – Ludwig Widl, heute: Gritschneder Rechts-anwälte Steuerberater

28 Später: Günther Seufert - Dr. Christoph von Heimendahl –Walter Labbé – Dr. Friedrich Wilhelm Graf von Rittberg –Christoph Messerschmidt - Dr. Herwig Bachelin, GüntherSeufert – Dr. C. von Heimendahl – Dr. F.W. Graf von Ritt-berg - Dr. Herwig Bachelin - Dr. Karsten Küppers – HaraldBardenhagen, heute: Seufert Rechtsanwälte. Herr Rechts-anwalt Labbé bildete mit weiteren Kollegen in den 70erJahren die Sozietät Walter Labbé – Christoph Messer-schmidt – Dr. Wilfried Niedermeier, später: Labbé & Part-ner. Herr Rechtsanwalt Chr. Messerschmidt bildete mitweiteren Kollegen in den 90er Jahren die Sozietät Chris-toph Messerschmidt – Dr. Wilfried Niedermeier – Conradvon Neumann-Cosel – Ulrich Numberger

29 Später Rudolf Langscheid – Dr. Kajetan Schwaiger,Rudolf Langscheid – Freimut Höchstädter – Dr. KajetanSchwaiger, heute: Höchstädter & Kollegen

Grimm30“, „Dr. Kreuz & Dr. Niebler31“,„Dr. Erwin Lohner – Michael Fischer32“,„Herrmann Meidert – Dr. Fritz Wiesenthal –Peter Schicker33“, „Dr. Eduard Oehl –Dr. Rudolf Nörr – Dr. Alfred Stiefenhofer34“,„Dr. Fritz Ostler – Hans Georg Then35“,„Dr. Albert Preu – Dr. Manfred Bohlig –Dr. Matthias Brandi-Dohrn – Dr. Lutz Don-le36“, „Dr. Franz Reisert – Klaus Reisert“,„Max Reisinger – Dr. Bernhard Ott37“,„Dr. Otto Rembold – Dr. Herbert Sernetz –Wolf-Dieter Hochleitner38“, „Dr. GerhartF. Rothe – Erhard Senninger – Dr. EberhardKollmar 39“, „Dr. Wilhelm Scheuer – Dr. Wer-

_________30 Später: Ottheinz Kääb – Gerhard Kaßing, Ottheinz Kääb &

Partner bzw. Kääb Bürner Kiener & Kollegen einerseitsund Peter Grimm – Dr. Karl von Lutterotti – Iris-MariaJandel – Rolf E. Müller andererseits. Herr RechtsanwaltKääb ist neben seiner langjährigen Tätigkeit im Vorstandund im Präsidium der Kammer seit 1998 Vorsitzender derSelbsthilfe der Rechtsanwälte e.V. München

31 Es handelte sich um die Rechtsanwälte Dr. Theo Kreuzund Dr. Horst Niebler, später: Kreuz, Niebler & Mittl, dann:Beiten Burckhardt Mittl & Stever, Beiten Burckhardt Mittl &Wegener, KPMG Treuhand & Goerdeler GmbH, KPMGTreuhand Beiten Burkhardt GmbH, heute: Beiten Burk-hardt Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

32 Später: Dr. Erwin Lohner – Michael Fischer – HansWerner Bauer bzw. Peter P. Christ, heute: Dr. Lohner –M. Fischer

33 Später: Hermann Meidert – Peter Schicker – Dr. NikolausD. Birkl – Inge Koutses bzw. Uta Rüping – Dr. Walter Alt-hammer bzw. Ulrike Setzer-Holm – Josef Deuringer, heu-te: Meidert & Kollegen

34 Später: Dr. Eduard Oehl – Dr. Rudolf Nörr – Dr. AlfredStiefenhofer – Dr. Friedrich Zimmermann – Ulrich Lutz –Peter von Schaabner – Dr. Eckart Rabich – Rüdiger vonPezold – Dr. Bertold Gaede – Dr. Ronald Frohne, heute:Nörr Stiefenhofer Lutz

35 Später: Dr. Fritz Ostler – Hans Georg Then – ChristophOstler – Michael Then. Herr Rechtsanwalt Dr. Fritz Ostlerwar der Begründer des Münchener AnwaltVereins unddes Bayerischen AnwaltVerbandes sowie dessen Präsi-dent

36 Später: Dr. Albert Preu – Dr. Manfred Bohlig – Dr. Matthi-as Brandi-Dohrn – Dr. Lutz Donle – Dr. Klaus von derLaden, heute. Preu, Bohlig & Partner

37 Später: Max Reisinger – Dr. Dr. Karl Weiss – Dr. BernhardOtt – Dr. Karl Heinz Weiss – Harald Eschenlohr, Dr. Bern-hard Ott – Dr. Karl Heinz Weiss – Harald Eschenlohr –Dr. Otto L. Walter – Ulrich Nehm – Dr. Peter v. Borch –Dietmar Luz – Dr. Ulrich Hartel – Dr. Florian Bauer –Dr. Heiner Köster, Ott, Weiss, Eschenlohr & Partner,Weiss & Hasche, Hasche Eschenlohr Peltzer, heute: CMSHasche Sigle

38 Später: Rembold Sernetz Hochleitner v.Gronau, heute:Sernetz Schäfer

39 Heute: Rothe Senninger Kollmar. Herr RechtsanwaltSenninger war von 1988 bis 1991 Präsident des Deut-schen AnwaltVereins, von 1979 bis 1995 DAV-Vorstandsmitglied sowie lange Jahre Vorstandsmitgliedder Selbsthilfe für Rechtsanwälte

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Fritz-Eckehard Kempter/Stephan Kopp 87

ner Scheuer – Dr. Fritz Fremuth40“, „Dr. CarlSchramm – Rainer Klaka – Walter Zipf –Peter Goltz – Dr Peter Schade41“, „Dr. ErnstSchroeder – Ernst Schroeder“, „Dr. WolfSchwarz – Dr. Friedrich Schniewind42“,„Dr. Hans Steichele – Dr. Walter Neu-mann43“, „Dr. Adolf Trepte – Dr. AndreasReiners44“, „Dr. Karl Wiedemann – Dr. GeorgGruno45“, „Dr. Henning Wegener - Dr. HansSchmidt-Sibeth46“ sowie „Dr. HeinrichJoachim Wrede I – Dr. Heinrich ThomasWrede II47“ genannt seien.

d) Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre er-schien die auf einen Standort beschränkteSozietät für manche anwaltliche Tätigkeit zueinengend. Sie wurde den praktischen An-forderungen in manchen Fällen des beruf-lichen Alltags nicht mehr gerecht. Zum einenerforderte die prosperierende Wirtschaft inForm von Konzernen mit Tochtergesell-schaften und Zweigniederlassungen, dieüber die gesamte Bundesrepublik verteiltsind, als auch die zunehmende wirtschaft-liche Betätigung ausländischer Unternehmenin Deutschland eine anwaltliche Beratungund Vertretung aus einer Hand über einenOrt hinaus. Zum anderen ergaben sich aberauch aus persönlichen Umständen Gelegen-heiten, überörtlich eine Sozietät zu bilden.

Von den ersten überörtlichen Sozietäten inunserem Kammerbezirk seien hier nur

_________40 Später: Dr. Wilhelm Scheuer – Dr. Werner Scheuer –

Wolfgang Prestele – Dieter Hagen, heute: Scheuer – Mertl– Fricke – Blume (d.h.: Dr. Werner Scheuer, Anton Mertl,Karl Fricke, Thomas Blume). Herr Rechtsanwalt AntonMertl ist z.Zt. der Präsident des Bayerischen AnwaltVer-bandes

41 Später: Dr. Carl Schramm – Rainer Klaka – Walter Zipf –Dr. Peter Schade – Dr. Michael Nieder – Siegmar Wiede-mann – Guido Diemer, Rainer Klaka – Dr. Michael Nieder– Guido Diemer – Dr. Christoph Krüger – Dr. AndreasSchulz, heute: Klaka Rechtsanwälte

42 Später: Dr. Wolf Schwarz – Dr. Friedrich Schniewind –Klaus Kelwing – Chlodwig P. Würdig bzw. Dr. BardiaKhadjavi-Gontard, Schwarz Kurtze Schniewind KelwingWicke, heute: Schwarz Kelwing Wicke Westpfahl

43 Später: Dr. Walter Neumann – Dr. H. Dieter Steichele –Bernd G. Maier. Ende 1994 wurde die Sozietät beendet.Herr Rechtsanwalt Dr. H. Dieter Steichele führte danneine Sozietät mit Herrn Rechtsanwalt Dr. Heinz Sonnauerfort

44 Später: Dr. Andreas Reiners – Michael Buch – AntonMartinek

45 Später: Dr. Georg Gruno – Jürgen Weisbach46 Später: Schmidt-Sibeth Zirngibl Langwieser Heisse, heute:

ARCON Schmidt-Sibeth Heisse Weisskopf Kursawe47 Heute: Dr. Wrede

exemplarisch die Sozietäten „Tetzel RubeSziel Oehm-Blaser Ulsch-Kohl“ mit Büros inMünchen und Nürnberg sowie „Sträßer &Hermann“ mit Büros in Passau und Eggen-felden genannt.

e) Das Auftreten einer überörtlichen Sozietätbetrachteten die Standesvertreter damals alsTätigwerden des einzelnen Rechtsanwaltsan verschiedenen Orten. Die BRAO enthieltnoch keine Regelung im Sinne von § 59 aBRAO. Die überörtliche Sozietät war viel-mehr an § 28 Abs. 1 der damaligen Standes-richtlinien sowie den Vorschriften der BRAOzum Lokalisationsprinzip, zur Residenz-pflicht und dem Verbot der Zweigstellen zumessen.

§ 28 Abs. 1 der Standesrichtlinien sah vor,dass eine Sozietät „eine“ gemeinsameKanzlei erfordere. Das Lokalisationsprinzipgem. § 18 BRAO regelte damals wie heute,dass jeder Rechtsanwalt bei „einem“ be-stimmten Gericht der ordentlichen Gerichts-barkeit zugelassen sein muss. § 27 BRAO1959 enthielt die Bestimmung, dass einRechtsanwalt innerhalb des Oberlandesge-richtsbezirks, in dem er zugelassen ist, sei-nen Wohnsitz nehmen und an dem Ort desGerichts, an dem er zugelassen ist, „eine“Kanzlei einrichten muss. Nach § 28 BRAOdurfte der Rechtsanwalt ebenso wie heuteweder eine Zweigstelle einrichten noch aus-wärtige Sprechtage abhalten.

Die führenden Kommentare48 hielten daherdie überörtliche Sozietät als mit dem damalsgeltenden Berufsrecht unvereinbar. DieRechtsanwaltskammern waren folglich imRahmen der Erfüllung ihrer gesetzlichenAufgaben verpflichtet, gegen die überört-lichen Sozietäten vorzugehen49.

Im ersten Verfahren, das zur Überprüfungder Zulässigkeit der überörtlichen Sozietät inunserem Kammerbezirk stattfand, bestätigtedas Landgericht München I in seinem Urteil_________48 So noch: Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, Kommentar zu

den Grundsätzen des anwaltlichen Standesrechts, 2. Aufl.1988, § 28 Rdnr. 9. unter Berufung auf die damals herr-schende Meinung. Vgl. auch: LG München I AnwBl. 1989S. 567 f.; BayEGH AnwBl. 1990 S. 265 ff.; Feuerich,AnwBl. 1989 S. 360 ff.

49 Vgl. die Nachweise in Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl.2003, § 59 a Rdnr. 11

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88 Fritz-Eckehard Kempter/Stephan Kopp

vom 23.8.1989 die Rechtsauffassung desVorstands der Rechtsanwaltskammer Mün-chen50. Anderenorts zeigte sich jedochschon eine abweichende Rechtsprechung.Die Gerichte begannen, je nach Auslegungder §§ 18, 27 und 28 BRAO, die überörtlicheSozietät für zulässig zu erklären, wie dies inder Entscheidung des Landgerichts Kölnvom 8.8.198951 erfolgt war.

Der Bundesgerichtshof hat erstmalig in sei-nem Beschluss vom 18.8.198952 wegwei-sende Ausführungen zur Frage der Zuläs-sigkeit der überörtlichen Sozietät gemacht,ohne diese jedoch im konkreten Fall zu ent-scheiden. Er führte dabei aus, dass Rechts-anwälte nach dem Zusammenschluss mitanderen Rechtsanwälten zwar weder diePflicht zur Lokalisierung (§ 18 BRAO) nochdie Residenzpflichten (§ 27 BRAO) verletz-ten, wenn sie weiterhin bei jeweils einembestimmten Gericht zugelassen bleiben undihre Wohnsitzpflicht sowie die Pflicht, am Ortihrer Zulassung eine Kanzlei zu unterhalten,erfüllen. Allerdings seien, so der Bundesge-richtshof weiter, bei einer überörtlichen So-zietät auch Sachverhaltsgestaltungen denk-bar, in denen der Rechtsanwalt „seine“Kanzlei nicht nur an dem Ort seiner Zulas-sung habe, sondern ebenso die Kanzlei amanderen Ort rechtlich als „seine“ Kanzlei zuwerten sei. Dies wäre dann der Fall, wennder Rechtsanwalt auch diese zweite Kanzleizu einem tatsächlichen Mittelpunkt seinerberuflichen Tätigkeit mache wie die erste.

f) In der Anwaltschaft bestand aufgrund derunterschiedlichen Rechtsprechung und Lite-raturmeinungen noch große Unsicherheithinsichtlich der Zulässigkeit der überört-lichen Sozietät. Sowohl die Präsidenten-konferenz als auch ein Ausschuss der Bun-desrechtsanwaltskammer, in der der da-malige Vizepräsident der Rechtsanwalts-kammer München, Rechtsanwalt Hans-Gerhard Beck, die Interessen unserer Kam-mer vertrat, befassten sich intensiv mit derFrage, ob und ggf. wie der Sozietätsbegriffals solcher und damit auch die überörtliche_________50 LG München I AnwBl. 1989 S. 567 f.51 Vgl. LG Köln AnwBl. 1989 S. 564 ff.52 BGH NJW 1989 S. 2890 f. = AnwBl. 1989 S. 563 f. =

BRAK-Mitt. 1989 S. 211 f.

Sozietät in der BRAO geregelt werdenmüssten. Die Beratungen gestalteten sichaber angesichts der stark differenzierendenAnsichten der Mitglieder schwierig.

Das Präsidium der RechtsanwaltskammerMünchen53 ging zunächst dazu über, ent-sprechende Fälle zu sammeln und zu prü-fen. Aufgrund der Entscheidung des Bun-desgerichtshofes vom 18.8.198954 stelltesich die Frage, wie auf Anfragen aus derKollegenschaft zur Zulässigkeit und Gestal-tung überörtlicher Sozietäten geantwortetwerden solle. Im Ergebnis war man sicheinig, dass nur auf konkrete Gestaltungs-konzepte eingegangen werden könne undauch bei positivem Prüfungsergebnis daraufhingewiesen werde, dass die betreffende Artder überörtlichen Sozietät und ihrer Kund-machung vom Vorstand zwar nicht bean-standet werde, dass damit aber keine wett-bewerbsrechtlichen und andere zivilrecht-lichen Bewertungen vorgenommen werdenkönnen.

g) Im Vorstand der RechtsanwaltskammerMünchen erregte im Jahre 1988 – also nochvor der Entscheidung des BGH vom18.8.1989 – eine Sozietät aus Passau Auf-sehen, aus der ein Sozius unter Aufrechter-haltung des Sozietätsnamens nach Eggen-felden wechselte. Sowohl das Präsidium alsauch der Vorstand hielten diese überörtlicheSozietät als mit dem Berufsrecht unverein-bar. Der Bayerische Ehrengerichtshof inMünchen differenzierte in seinem Beschlussvom 17.1.199055 allerdings aufgrund derEntscheidungen des Bundesverfassungsge-richts vom 14.7.198756, wonach die Richt-linien des anwaltlichen Standesrechts nichtmehr als Hilfsmittel zur Auslegung und Kon-kretisierung der Generalklausel über die an-waltlichen Grundpflichten (§ 43 BRAO 1959)herangezogen werden konnten, und der in-zwischen ergangenen Entscheidung des

_________53 Mitglieder des Präsidiums waren: Präsident Warmuth,

Vizepräsidenten Dr. Gruno, Beck, Dr. Ernst und Schatz-meister Dr. Reiners

54 BGH NJW 1989 S. 2890 f. = AnwBl. 1989 S. 563 f. =BRAK-Mitt. 1989 S. 211 f.

55 BayEGH, AnwBl. 1990 S. 265 ff.56 BVerfG NJW 1988 S. 191 = BRAK-Mitt. 1988 S. 54 ff. =

AnwBl. 1987 S. 598

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Bundesgerichtshofs vom 18.8.198957, wo-nach eine überörtliche Sozietät von Rechts-anwälten in einem obiter dictum unter be-stimmten Voraussetzungen für zulässiggehalten wurde. Der Ehrengerichtshof sahlediglich die Voraussetzung, dass die An-kündigung der Sozietät in der Öffentlichkeitauch der Wahrheit entsprechen müsse, alsnicht erfüllt an, da im konkreten Fall die Auf-träge durch die „Sozien“ getrennt angenom-men wurden und dies dem Wesen derSozietät widersprach.

Die Anfrage einer Münchener Sozietät hin-sichtlich der Zulässigkeit einer intraurbanenSozietät verbeschied das Präsidium Ende1989 noch unter dem Hinweis auf dasZweigstellenverbot als unzulässig58.

h) Der wichtigste Fall aus unserem Ka m-merbezirk betraf eine Münchener Anwältin,die in den Jahren 1988/1989 eine überört-liche Sozietät mit Nürnberger Rechtsanwäl-ten bildete. Entsprechend der damaligenherrschenden Meinung (noch vor der Ent-scheidung des BGH vom 18.8.1989!) be-schloss das Präsidium, ein wettbewerbs-rechtliches Verfahren einzuleiten. Dies führtezu einem bundesweit großes Aufsehen er-regenden gerichtlichen Verfahren über dieZulässigkeit einer überörtlichen Sozietät.

In seinem Urteil vom 23.9.199259 entschiedder Bundesgerichtshof, dass der Bildungüberörtlicher Anwaltssozietäten weder dieStandesrichtlinien noch die Regelungen derBRAO noch vorkonstitutionelles Gewohn-heitsrecht entgegenstehe. Den Standesricht-linien fehlte nach der Entscheidung desBundesverfassungsgerichts vom 14.7.198760

die Qualität einer Rechtsnorm i.S.v. Art. 12GG. Das Lokalisierungsgebot nach § 18BRAO und die Residenzpflicht nach § 27BRAO sah der Bundesgerichtshof bei Be-stehen der Zulassung des einzelnen Anwaltsbei einem Gericht, der Erfüllung der Wohn-

_________57 BGH NJW 1989 S. 2890 f. = AnwBl. 1989 S. 563 f. =

BRAK-Mitt. 1989 S. 211 f.58 Vgl. zur Frage der Zulässigkeit der intraurbanen Sozietät:

OLG Karlsruhe NJW 1992 S. 1837 ff.59 BGH AnwBl. 1993 S. 130 ff.60 BVerfG NJW 1988 S. 191 = BRAK-Mitt. 1988 S. 54 ff. =

AnwBl. 1987 S. 598; BVerfGE 76, 196 = NJW 1998S. 197

sitzpflicht der Sozien und der Unterhaltungeiner Kanzlei am Ort ihrer Zulassung alsnicht verletzt an. Auch das gesetzgeberischeZiel, wonach verhindert werden sollte, dasseine kleine Anzahl von Anwälten sich dieMehrheit der Mandate teile61, trug nicht dasVerbot des überörtlichen Zusammenschlus-ses von Rechtsanwälten. Eine Verbots-wirkung des § 28 BRAO könnte nur ange-nommen werden, wenn mit der Verein-barung der überörtlichen Sozietät notwendi-gerweise die Errichtung einer weiterenKanzlei oder einer Zweigstelle verbundenwäre, was wiederum aber auch nur alsselbstständiger Verstoß gegen § 28 BRAOanzusehen wäre. Die Gefahr eines übertrie-benen oder irreführenden Werbens seiebenfalls nicht notwendigerweise mit einerüberörtlichen Tätigkeit verbunden. Die Auf-sichtstätigkeit der Kammern sei nicht einge-schränkt. Besonders wichtig war noch dieFeststellung des Bundesgerichtshofs, dasssich die tatsächlichen Verhältnisse, geradein Hinblick auf die europäische Niederlas-sungsfreiheit, gewandelt haben.

Damit war der erste Schritt hin zu moderne-ren Organisationsformen der Anwaltschaftgetan.

i) Durch das Gesetz zur Neuordnung desBerufsrechts der Rechtsanwälte und derPatentanwälte vom 2.9.199462 wurdeschließlich die BRAO um § 59 a ergänzt, dererstmalig gesetzliche Regeln der Zusam-menarbeit von Rechtsanwälten untereinan-der und mit Angehörigen anderer Berufs-gruppen in einer Sozietät auf örtlicher, über-örtlicher und internationaler Ebene beinhal-tete63. Damit erhielten die überörtlichen64,aber auch die „interprofessionellen65“ und_________61 BT-Drucks. III/120, S. 64; BVerfG NJW 1990 S. 1033.62 BGBl. I S. 2278 ff.63 Feuerich/Braun, BRAO, 3. Aufl. 1995, § 59 a Rdnr. 164 Vgl. im Einzelnen die Kommentierung in: Henssler/

Prütting-Hartung, BRAO, 2. Aufl. 2004, § 59 a Rdnr. 63 ff.;Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl. 2003, § 59 a Rdnr.11 f.; Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl. 2003, § 59 a Rdnr.16 ff.; Henssler/Streck, Handbuch des Sozietätsrechts, BRdnrn. 586 ff.

65 Vgl. im einzelnen die Kommentierung bei: Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl. 2003, § 59 a Rdnr. 18;Henssler/Prütting-Hartung, BRAO, 2. Aufl. 2004, § 59 aRdnr. 86 ff.; Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl. 2003, § 59 aRdnr. 8 ff.; Henssler/Streck, Handbuch des Sozietäts-rechts, B Rdnrn. 617 f. und 764 ff.

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die „internationalen66“ Sozietäten eine Ver-ankerung in der BRAO.

j) Aufgrund der zunehmenden Internationali-sierung des Rechtsberatungsmarktes, aberauch aufgrund der engeren Zusammenarbeitvon Rechtsanwaltskanzleien mit grenzüber-schreitend tätigen Steuerberatungs- undWirtschaftsprüferkanzleien, begannen seitden 90er Jahren vor allem angelsächsischeund nordamerikanische Sozietäten sich inMünchen mit eigenen Büros oder in Zu-sammenarbeit mit deutschen Büros nieder-zulassen. Teilweise handelte es sich um dieEröffnung neuer Büros, teilweise aber auchum Fusionen mit oder Beitritten von deut-schen Sozietäten bei ausländischen Gesell-schaften. Hier seien nur exemplarischHammonds, Jones Day, Linklaters67 undShearman & Sterling genannt.

Die Berufsausübung und die Zulassung zurRechtsanwaltschaft von Staatsangehörigender Mitgliedstaaten der Europäischen Union,der anderen Vertragsstaaten des Abkom-mens über den Europäischen Wirtschafts-raum und der Schweiz regelt das Gesetzüber die Tätigkeit europäischer Rechts-anwälte in Deutschland (EuRAG) vom9.3.200068. Diese Kolleginnen und Kollegensind berechtigt, als europäische Rechtsan-wälte unter den ihnen zustehenden, in derAnlage zum EuRAG genannten Berufsbe-zeichnungen aus ihren Heimatländernselbstständig ihren Beruf auszuüben unddie Zulassung zur Rechtsanwaltschaft inDeutschland zu beantragen69. Soweit sie imHerkunftsland einem Zusammenschluss zurgemeinschaftlichen Berufsausübung ange-hören, können sie im Rechtsverkehr die Be-zeichnung des Zusammenschlusses ange-ben. In diesem Fall muss dann auch ein

_________66 Vgl. im einzelnen die Kommentierung bei: Feuerich/

Weyland, BRAO, 6. Aufl.2003, § 59 a Rdnr. 17; Henss-ler/Prütting-Hartung, BRAO, 2. Aufl.2004, § 59 aRdnr. 95 ff.; Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl.2003, § 59 aRdnr. 86; Henssler/Streck, Handbuch des Sozietätsrechts,B Rdnrn. 621 ff. und H Rdnrn. 124 ff.

67 Entstanden aus einem Zusammenschluss von Linklatersmit Oppenhoff & Rädler, vormals: Rädler RaupachBezzenberger

68 BGBl. 2000 I S. 182; BGBl. III 303-19. Vgl. im EinzelnenFeuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl. 2003, EuRAG, § 1Rdnr. 1 ff.

69 §§ 11 ff. EuRAG

Hinweis auf die Rechtsform des Zusammen-schlusses erfolgen70.

Für Berufsträger aus den anderen Mit-gliedstaaten der Welthandelsorganisation(WTO)71, darunter Australien, Rumänien, dieTürkei und die Vereinigten Staaten vonAmerika, gelten §§ 206 Abs. 1 und 207BRAO in Verbindung mit der Durchfüh-rungsverordnung vom 18.7.200272. Danachsind die Anwälte aus diesen Staaten be-rechtigt, sich unter der Berufsbezeichnungihres Herkunftsstaates zur Rechtsbesorgungauf den Gebieten des Rechts ihres Heimat-landes und des Völkerrechts in Deutschlandniederzulassen. Allerdings müssen sie zumeinen einen Beruf ausüben, der in der Aus-bildung und den Befugnissen dem Beruf desRechtsanwalts nach der BRAO entspricht,und zum anderen in die für den Ort ihrerNiederlassung zuständige Rechtsanwalts-kammer aufgenommen werden. Von An-waltsgesellschaften als solchen spricht dieVorschrift zwar nicht, jedoch sind diese be-reits in § 59 a Abs. 3 BRAO berücksichtigtund damit zulässig.

Angehörige anderer Staaten, die weder derEuropäischen Union, dem EuropäischenWirtschaftsraum noch dem GATS ange-hören, sind nach § 206 Abs. 2 BRAO be-rechtigt, auf dem Gebiet des Rechts desHerkunftslandes tätig zu sein, wenn die Ge-genseitigkeit mit dem Herkunftsland verbürgtist73. Die einzige Verordnung des Bundes-ministeriums der Justiz hierzu betraf dieRechtsanwälte der DDR und wurde durchdie Wiederveinigung hinfällig. Neue Verord-nungen wurden bisher nicht erlassen, da dieRegelung im Hinblick auf Abs. 1 und dengroßen Kreis der Mitgliedstaaten der WHOweitgehend bedeutungslos geworden ist.

Über die bestehenden gesetzlichen Vor-schriften hinaus bleiben noch zahlreiche_________70 § 8 Abs. 3 EuRAG71 Es handelt sich um Angehörige aus den Vertragsstaaten

des Übereinkommens vom 15.4.1994 zur Errichtung derWelthandelsorganisation (GATS). Gemeint sind die Ange-hörigen der entsprechenden Berufe in den Mitgliedstaatender WHO

72 BGBl. 2002 I S. 2886, BGBl. III 303-8-3 in der Fassungder Verordnung vom 11.8. 2003 – BGBl. 2003 I S. 1671

73 Vgl. im Einzelnen: Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl.2003, § 206 Rdnr. 8

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Fragen im Zusammenhang mit der Aus-übung der Berufstätigkeit der ausländischenKollegen und Sozietäten innerhalb vonDeutschland als auch im grenzüberschrei-tenden Bereich, gerade im Hinblick auf dieunterschiedlichen Berufsrechte, zu klären.Mit dieser Aufgabe befasst sich seit derBRAK-Hauptversammlung vom 12.5.2000der BRAK-Ausschuss „Internationale Sozie-täten“, dem seitens der Rechtsanwaltskam-mer München deren Präsident, Rechtsan-walt Hansjörg Staehle, als Ausschussvorsit-zender sowie deren stellvertretender Haupt-geschäftsführer, Rechtsanwalt StephanKopp, angehören. Der Ausschuss erarbeitetzur Unterstützung des BRAK-PräsidiumsPositionspapiere zu berufsrechtlich relevan-ten Themen, die die internationalen Sozie-täten betreffen, und zu eventuell erforder-lichen Konsequenzen für das anwaltlicheBerufsrecht.

k) Eine neue gesellschaftsrechtliche Weiter-entwicklung erfuhr die Sozietät mit der Ent-scheidung des Bundesgerichtshofes vom29.1.200174, wonach einer BGB-Gesellschafteine beschränkte Rechtsfähigkeit zugespro-chen wurde, soweit diese durch Teilnahmeam Rechtsverkehr eigene Rechte undPflichten begründet. In diesem Rahmen hatder Bundesgerichtshof die BGB-Gesellschaftkonsequenterweise auch im Zivilprozess füraktiv und passiv parteifähig erklärt.

l) Bezüglich der Firma einer überörtlichenSozietät mit Büro in München entschied derBundesgerichtshof, dass auf Briefbögen vorder Kurzbezeichnung eine Buchstabenfolgegeführt werden kann, wenn sich diesezugleich auf die Beteiligung der Sozietät aneiner EWIV unter dieser Bezeichnung be-zieht75. Ganz in diesem Sinne entschiedschießlich die Satzungsversammlung in ihrerSitzung am 26.4.2004 in München, als siedie Absätze 2 und 3 von § 9 BORA ersatzlosstrich76._________74 BGH NJW 2001 S. 1056 ff. = BB 2001 S. 374 = ZIP 2001,

S. 330 ff.; vgl. auch K. Schmidt, NJW 2001S. 993 ff.; Jauernig, NJW 2001 S. 2231 ff.; Habersack, BB2001 S. 477 ff.; Jacoby, NJW 2003 S. 1644 ff.; bestäti-gend: BVerfG NJW 2002 S. 3533

75 BGH NJW 2002 S. 608 = BRAK-Mitt. 2002 S. 92 („CMS“)76 BRAK-Mitt. 2004, S. 177; Mitteilungen der RAK München

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2. Die Partnerschaft

a) Der frühere Präsident der Bundesrecht s-anwaltskammer, Rechtsanwalt Dr. EberhardtHaas, fasste die Argumentation um neueOrganisationsformen für die Anwaltschaft inder BRAK-Hauptversammlung vom31.5.1991 wie folgt zusammen:

„Die Suche nach einer neuen anwaltlichenGesellschaftsform neben der als BGB-Gesellschaft gestalteten Sozietät hat Emoti-onen geschürt. Hier die Forderung nacheiner Anwalts-GmbH als Voraussetzung fürgrößere Beratungseinheiten, als einen Weg,anwaltliches Berufsrisiko unter Haftungsbe-schränkungen zu stellen und als Vorausset-zung für steuerlich wirksame Pensionsrück-stellungen. Dort die Warnung vor einer allzustarken Annäherung an gewerbliche Vorbil-der, vor dem möglichen Verlust der beson-deren Prägung anwaltlicher Beratung, näm-lich der unabhängigen, allein dem Gesetzverpflichteten und nicht in erster Linie ge-winnorientierten Beratung, vor der Gefahrder Anonymisierung und Technokratisierungder Beratung statt auf der Basis eineshöchstpersönlichen Vertrauensverhältnisses,vor einer Zweiteilung der Anwaltschaft zwi-schen flächendeckenden Großsozietätenund den historisch gewachsenen kleinen Be-ratungseinheiten, den Einzelanwälten.“

b) Um diese Gegensätze zu überbrücken,haben zunächst Anfang der 90er Jahre fürden DAV die Kollegen Hahndorf und Dr. vonFalkenhausen und für die BRAK derenPräsident Kollege Dr. Haas und KollegeDr. Kempter, Vizepräsident der Rechtsan-waltskammer München, versucht, unter demStichwort „Partnerschaft“ eine speziell an-waltliche Gesellschaftsform zu finden. Dabeikam ein Entwurf zustande, der sich aus-schließlich an den anwaltlichen beruflichenAnforderungen orientierte und von beidenAnwaltsorganisationen, also von der BRAKund vom DAV, getragen wurde.

c) Kurze Zeit später überschlugen sichdann die Ereignisse insofern, als der vonden beiden anwaltschaftlichen Organisatio-nen vorgelegte Entwurf einer Ergänzung der§§ 59 ff. BRAO mit den Regeln über eine

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Anwaltspartnerschaftsgesellschaft vom Bun-desjustizministerium verworfen wurde.

Dies geschah zu Gunsten einer übergeord-neten Lösung, nämlich der Suche nach einerneuen gesellschaftsrechtlichen Organisa-tionsform für alle Freien Berufe. Auslöserhierfür war eine Anfrage des Bundeswirt-schaftsministeriums an alle Bundesorgani-sationen der Freien Berufe zu der Frage, obund gegebenenfalls unter welchen KautelenInteresse an einem eventuellen künftigenPartnerschaftsgesetz bestünde.

Dies war Anfang 1991 und führte seitens derBundesrechtsanwaltskammer zu intensivenInitiativen, an denen die Kammer Münchenmit maßgebendem Engagement beteiligtwar. Unter Vorsitz von VizepräsidentDr. Kempter legte der Gesellschafts-rechtsausschuss der Bundesrechtsanwalts-kammer im ersten Halbjahr 1992 einen Ge-setzesentwurf zu einem Partnerschaftsge-sellschaftsgesetz vor, der, nur in wenigenPositionen geändert, am 25.7.199477 Gesetzwurde.

d) Mit der Partnerschaft nach dem Partner-schaftsgesellschaftsgesetz steht den in § 1PartGG genannten Freien Berufen eine ge-sellschaftsrechtliche Gestaltungsform zurVerfügung, die den spezifischen Anforde-rungen der Freiberufler im Hinblick auf dieRechtsfähigkeit und Registerpflichtigkeit derGesellschaft einerseits und die Haftungs-konzentration andererseits gerecht werdensoll78 und hierbei die Wesensmerkmale derFreien Berufe, insbesondere die persönlich-vertrauensvolle Beziehung zum Auftragge-ber79, berücksichtigt. Die Partnerschaft übt_________77 Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger

Freier Berufe (Partnerschaftsgesellschaftsgesetz –PartGG), BGBl. 1994 I S. 1744. Zur Entstehungsge-schichte vgl. Burgmair/Brink, Die erfolgreiche Rechtsan-waltskooperation, S. 105 ff.; Henssler, Einf PartGG Rdnr.1 ff.; Michalski/Römermann, Einf PartGG Rdnr. 1 ff.;Ulmer, Gesellschaft bürgerlichen Rechts und Partner-schaftsgesellschaften, Vor § 1 PartGG Rdnr. 1 ff.

78 Vgl. auch Seibert, AnwBl. 1993 S. 155 mit dem Hinweisauf die speziell auf die Angehörigen Freier Berufe zuge-schnittenen Gesellschaftsform

79 Vgl. die Aufzählung der Wesensmerkmale des Anwaltsbe-rufes als eines Freien Berufes im Beschluss des Bayeri-schen Obersten Landesgerichts vom 24.11.1994 zurRechtsanwalts-GmbH, abgedruckt u.a. in NJW 1995S. 199, 201; hierzu auch Kempter, BRAK-Mitt. 1994S. 122

nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 1Abs. 1 Satz 2 PartGG kein Handelsgewerbeaus80. Die Partnerschaftsgesellschaft isteinerseits durch ihre Teilrechtsfähigkeit denKapitalgesellschaften angenähert. Anderer-seits ist sie jedoch keine juristische Person.

e) Zwischen den einzelnen Partnern bestehteine Haftungsgemeinschaft, bei der nebender Haftung des Gesellschaftsvermögensauch die grundsätzlich unbeschränkte, per-sönliche Haftung der Partner fortbesteht81.Allerdings sieht § 8 Abs. 2 PartGG in seinerheutigen Form im Gegensatz zu den Rege-lungen zur OHG und zur ursprünglichenRegelung82 eine Beschränkung der Haftungauf einzelne, mit der Bearbeitung des Auf-trages befasste Partner vor83. Die gesetz-liche Handelndenhaftung war ein wichtigerSchritt zur Vereinfachung und zu mehrRechtsklarheit gegenüber der früheren ver-traglichen Handelndenhaftung.

Für die gesamte Anwaltschaft von grund-legender Bedeutung war auch die Tatsache,dass das Partnerschaftsgesellschaftsgesetzerstmalig in § 8 Abs. 3 eine Öffnungsklauselfür eine gesetzliche Regelung vorsah, dieeine Beschränkung der Haftung für An-sprüche aus Schäden wegen fehlerhafterBerufsausübung auf einen Höchstbetrag er-möglichte, wenn zugleich eine Pflicht zumAbschluss einer Berufshaftpflichtversiche-rung der Partner oder der Partnerschaft be-gründet wird. Damit war der Gesetzgebergefordert, diese Öffnungsklausel im Rahmendes anwaltlichen Berufsrechts zu berück-sichtigen, was nahezu gleichzeitig durch dieNeueinführung des § 51 a BRAO geschehenist.

f) Eine wichtige Änderung gab es durch dieEinführung der Partnerschaft hinsichtlich der

_________80 Die Ausübung der Tätigkeit eines Freien Berufes in einer

OHG ist wegen der begrifflichen Bindung der OHG an denBetrieb eines Handelsgewerbes nicht erlaubt – vgl. BGHZ56, 355; 70, 247; 83, 328; 108, 290; Baumbach/Hopt, § 1HGB Rdnr. 3 und § 105 Rdnr. 3; Henssler/Streck-Kopp,Handbuch des Sozietätsrechts, C Rdnr. 3

81 Vgl. Henssler, PartGG, § 1 Rdnr. 5 und § 8 Rdnr. 10;Michalski/Römermann, PartGG, § 8 Rdnr. 1

82 Vgl. Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl. 2003, PartGG, § 8Rdnr. 9; Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl. 2004, PartGG§ 8 Rdnr. 12

83 Gesetz vom 22.7.1998 – BGBl. I S. 1878

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Namen der Sozietäten, die in ihrer Kurzbe-zeichnung den Zusatz „und Partner“ führten.Gem. § 2 Abs. 1 PartGG sind die Bezeich-nungen „und Partner“ und „Partnerschaft“ausschließlich für den Namen der Partner-schaft vorgesehen. Alle Sozietäten mit die-sen Zusätzen mussten daher gemäß derÜbergangsvorschrift in § 11 PartGG ab dem1.7.1997 in ihrer Kurzbezeichnung einenHinweis auf die andere Rechtsform aufneh-men. Eine Gesellschaft, die die Bezeichnung„A, B und Partner“ führte und diese auchweiterhin beibehalten wollte, musste somitden eindeutigen Hinweis auf die Gesell-schaft bürgerlichen Rechts in ausgeschrie-bener oder abgekürzter Form hinzufügen84.Neu gegründete Gesellschaften, die nichteine Partnerschaft im Sinne des Partner-schaftsgesetzes sind, dürfen die Bezeich-nungen „und Partner“ und „Partnerschaft“nicht führen85.

Unklar war zunächst, ob die Partnerschafts-gesellschaft in ihrem Namen nach § 2 Abs. 1PartGG neben dem Namen mindestenseines Partners und dem Zusatz „und Part-ner“ oder „Partnerschaft“ sowie den Berufs-bezeichnungen aller in der Partnerschaftvertretenen Berufe auch eine Fantasiebe-zeichnung enthalten darf86. Der Bundesge-richtshof stellte hierzu in seinem Urteil vom11.3.200487 fest, dass die Aufnahme einerFantasiebezeichnung in den Namen einerPartnerschaft weder gegen § 2 PartGG,noch gegen das anwaltliche Berufsrecht,noch gegen § 3 UWG verstoße. § 2 PartGGenthalte keine Regelung für Sach- oderFantasiebezeichnungen. Das Gericht führteweiterhin aus, dass die Begründung des Ge-setzes88 von der grundsätzlichen Zulässig-keit entsprechender Zusätze ausgehe. Auch§ 9 BORA enthalte keine entsprechendeRegelung, so dass dieser Vorschrift ein Ver-bot der Verwendung einer Fantasiebezeich-nung bei beruflicher Zusammenarbeit zu

_________84 Dazu Kempter, BRAK-Mitt. 1994 S. 122, 124; Henssler,

PartGG, § 11 Rdnr. 185 Vgl. im Einzelnen: Henssler/Streck-Kopp, Handbuch des

Sozietätsrechts, C Rdnrn. 43 ff.86 Zustimmend: OLG Karlsruhe AnwBl. 2001 S. 240 f.87 BGH BRAK-Mitt. 2004, S. 135 f. („artax“); Henss-

ler/Prütting, BRAO, 2. Aufl. 2004, PartGG § 2 Rdnr. 588 BT-Drucks. 12/6152, S. 12

entnehmen sei. Ganz in diesem Sinne ent-schied schließlich die Satzungsversammlungin ihrer Sitzung am 26.4.2004 in München,als sie die Absätze 2 und 3 von § 9 BORAersatzlos strich89.

g) Zur Postulationsfähigkeit hat der Bun-desfinanzhof in seinem Beschluss vom26.2.199990 entschieden, dass eine Partner-schaftsgesellschaft, die als solche eineRevision in der „Wir“-Form und unter Ver-wendung des Briefkopfes der Partnerschafteingelegt hatte, keine Vertretungsbefugnisvor Gericht besitze. Diese Entscheidungging über die bisherige Rechtsprechung desBundesfinanzhofes hinaus, wonach lediglicheine Partnerschaftsgesellschaft, die nicht alsSteuerberatungsgesellschaft anerkannt war,nicht vertretungsbefugt war91.

Wieder war der Gesetzgeber gefordert, die-se Lücke zu schließen. Durch Gesetz vom19.12.200092 wurde § 7 PartGG um einenneuen Abs. 4 ergänzt, wonach ausdrücklichgeregelt wurde, dass die Partnerschaft alsProzess- und Verfahrensbevollmächtigtebeauftragt werden kann. Sie handelt dabeidurch ihre Partner und Vertreter, in derenPerson die für die Erbringung rechtsbesor-gender Leistungen gesetzlich vorgeschrie-benen Voraussetzungen im Einzelfall vorlie-gen müssen, und ist im gleichen Umfang wiediese postulationsfähig.

h) Fraglich war zwischendurch, ob derUnternehmensgegenstand einer Partner-schaft, die als Wirtschaftsprüfungsgesell-schaft anerkannt war, durch die Aufnahmeeines Rechtsanwalts erweitert werden kann.Allerdings waren sich die Rechtsanwalts-kammern und die Landesjustizverwaltungensehr schnell einig, dass der Eintritt einerPerson mit einer weiteren beruflichen Quali-fikation den nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 PartGGfestgelegten Gegenstand der Partnerschaftnicht ändert und damit nicht zu einer Erwei-_________89 BRAK-Mitt. 2004 S. 177; Mitteilungen der RAK München

2004/II S. 1290 BRAK-Mitt. 1999 S. 152 = NJW 1999 S. 2062; vgl. auch

BFH NJW 1999 S. 365591 BFH BStBl. 1999, S. 363 = NJW 1999, S. 2062; BStBl II

1998 S. 692 = NJW-RR 1999 S. 205 = NZG 1998 S. 900m. Anm. Römermann

92 BGBl. I S. 1757, 1759; vgl. auch Feuerich/Weyland,BRAO, 6. Aufl. 2003, PartGG § 7 Rdnr. 9

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terung der Rechtsberatungsbefugnisse einerWirtschaftsprüfungsgesellschaft über denRahmen des Art. 1 § 5 Nr. 2 RBerG hinausführt.

i) Die Akzeptanz der Partnerschaft als neueGesellschaftsform war anfangs noch gering.Dies lag nicht zuletzt wohl an der ursprüng-lichen Regelung einer nur vertraglich zuvereinbarenden Haftungskonzentration. BisAnfang 1996 waren bundesweit bei denPartnerschaftsregistern bloß ca. 450 Anmel-dungen erfolgt93. Für die zahlenmäßige Ent-wicklung nach 1995 gibt es leider nur sehruneinheitliche Angaben. Einerseits findetsich eine Veröffentlichung, wonach die Zahlder Partnerschaften in den zwei darauffol-genden Jahren bis Ende 1998 auf über 2000gestiegen sein soll94. Laut BRAK-Mitteilun-gen von Juli 2004 gibt es im Bundesgebietderzeit 1061 Partnerschaften95.

Im Kammerbezirk München sind derzeit rund125 Partnerschaftsgesellschaften registriert,darunter96 „Amelung und Partner“, „Barber,Hüttisch & Partner“, „Bub, Gauweiler & Part-ner“, „Clifford Chance97“, „Ehlers Ehlers &Partner“, „Ernst und Späth“, „Gleiss LutzHootz Hirsch“, „Gritschneder und Partner“,„Haarmann, Hemmelrath & Partner“, „CMSHasche Sigle“, „Hohenlohe und Partner“,„Dr. Kainz & Partner“, „Kaufmann Lutz StückAbel v. Lojewski“, „Kempter, Gierlinger undPartner“, „Klima, Vigier & Partner“, „Dr. Klix& Partner“, „Offinger Stürzer & Partner“,„Preu, Bohlig & Partner“, „P+P Pöllath +Partner“, „Riebe, Villwock & Partner“, „Röhrlund Partner“, „Schmid, v. Buttlar & Partner“,„Schmidt-Sibeth Heisse Weisskopf Kursa-we“, „Spitzweg“, „Prof. Dr. Thieler, Huber,Heike, Maurer, Wittmann“, „Dr. Weigl,Augustinowski & Partner“, „Weishäupl-

_________93 Zu Einzelheiten vgl. Seibert, GmbHR 7/1996, R 15394 Seibert, in: DSWR 1999 S. 19195 BRAK-Mitt. 2004 S. 12596 Die Aufzählung berücksichtigt die ersten zehn eingetrage-

nen Partnerschaften und jene Partnerschaften, aus denenVertreter sich ehrenamtlich in der Kammer engagieren, inalphabetischer Reihenfolge der erstgenannten Partner.Nicht unerwähnt bleiben sollen die Partnerschaften „Dres.F. Kohlndorfer, G. Riedl & Partner“ (bis 1999) und „Friede-rich, Ernst, Engelhard & Partner“ (heute Bestandteil derSozietät „Ulsenheimer – Friederich“.

97 Entstanden aus einem Zusammenschluss aus CliffordChance mit Pünder Vollhard Weber & Axter

Prokisch & Partner“, „Graf von WestphalenBappert & Modest“, „Winter, Brandl, Fürniß,Hübner, Röß, Kaiser, Polte“, „Zehner BinderWirth“, „Ziegler + Feller“.

3. Die GmbH

a) Entgegen den Erwartungen der Kammernkonnte die neue Organisationsform derPartnerschaft das Bestreben vieler Kollegennach einer Organisation in Form einer Kapi-talgesellschaft nicht abfangen. Entsprechendder den Anwälten üblichen beruflichen Geni-alität haben deshalb Münchener Kollegen imJahre 1992 eine Rechtsanwaltsgesellschaftmit beschränkter Haftung gegründet.

Gegen die Nichtzulassung der Eintragungdieser Rechtsanwalts-GmbH durch das Re-gistergericht beim Amtsgericht Münchenwurde Beschwerde eingelegt und diesesVerfahren bis zum Bayerischen OberstenLandesgericht geführt. Das Ergebnis war einfundierter und wohl abgewogener Grund-satzbeschluss vom 24.11.199498, der einmalmehr dieses einzigartige bayerische Gerichtin ganz Deutschland berühmt machte, indemes sich für die Zulässigkeit99 der GmbH alsOrganisationsform auch für den Berufsstandder Anwälte aussprach.

b) Das Gericht verkannte hierbei nicht, dassdie Stellung des Rechtsanwalts, der ein un-abhängiges Organ der Rechtspflege ist, eserfordert, eine Anwalts-GmbH nur dann alszulässig anzusehen, wenn bestimmte uner-lässliche Mindestnormen eingehalten wer-den. Zu den zwingend notwendigen Be-standteilen waren dabei nach Auffassungdes Gerichts anzusehen, dass die Ge-schäftsführerpositionen auf Rechtsanwältebeschränkt werden, die Geschäftsführer hin-sichtlich der anwaltlichen Tätigkeit im Ein-zelfall keiner Weisungsbefugnis der Gesell-schafterversammlung unterliegen, eine aus-wärtige Kapitalbeteiligung verboten ist undeine Haftpflichtversicherung abgeschlossen

_________98 BayObLG NJW 1995 S. 199 = BB 1994 S. 2433 = AnwBl

1995 S. 35 ff. = BRAK-Mitt. 1995 S. 35 ff.99 Von der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Anwalts-GmbH

ist deren Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft inForm eines Verwaltungsakts zu unterscheiden

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wird, deren Mindestbetrag deutlich höherliegt als die Mindestversicherungssummeeines Einzelanwalts100.

c) Damit konnten die Anwälte ihren Bürob e-trieb unter der Rechtsform der GmbH orga-nisieren, also Büroräume anmieten, Perso-nal einstellen, für die EDV Hard- und Soft-ware erwerben usw., aber noch nicht denAnwaltsberuf als solchen ausüben. Denn dieAnwalts-GmbH konnte bis zu deren gesetz-licher Regelung, einschließlich der Ein-fügung der Zulassungsvorschriften fürRechtsanwaltsgesellschaften in der BRAOund im Rechtsberatungsgesetz, de lege latanicht als Berufsausübungsgesellschaft, son-dern nur als Organisations- oder Besitzge-sellschaft tätig werden101. Ausgehend vonder Entscheidung des Bundesgerichtshofszur Zulässigkeit einer Zahnbehandlungs-GmbH102 musste davon ausgegangen wer-den, dass die Anwalts-GmbH nur die „recht-lichen und tatsächlichen Voraussetzungenfür die Ausübung der Rechtsberatungstätig-keit schafft“, sie selbst aber keine Rechtsbe-ratung ausübt103.

Insoweit enthielten die ersten Anwaltsgesell-schaften mbH in ihren Satzungen auch dieRegelung, dass die Gesellschaft für die Be-sorgung fremder Rechtsangelegenheitendurch die in ihren Diensten stehenden zu-gelassenen Rechtsanwälte die erforder-lichen personellen, sachlichen und räum-lichen Voraussetzungen schafft sowie diedamit verbundenen Geschäfte tätigt104.

d) Immerhin war die Entscheidung desBayerischen Obersten Landesgerichts derletzte und entscheidende Anstoß auch fürdie Kammern, sich nunmehr für die GmbHals Rechtsform für die Berufsausübung derAnwälte einzusetzen. Im Bezirk der Rechts-anwaltskammer München gab es Mitte derneunziger Jahre u.a. die Seufert Rechtsan-_________100 BayObLG NJW 1995 S. 199, 201; vgl. zur Gestaltung der

Satzung einer Rechtsanwalts-GmbH: Kempter/Kopp,BRAK-Mitt. 1998 S. 254 ff.; MittBayNot 1999 S. 256 ff.

101 Vgl. BayObLG NJW 1996 S. 3217 f.102 BGH NJW 1994 S. 786 = ZIP 1994,S. 381103 So auch die Begründung zum Gesetzesentwurf des Bun-

desministeriums der Justiz vom 19.3.1997 S. 26104 Vgl. hierzu die Sachverhaltsdarstellung mit Angabe des

Unternehmensgegenstandes in BayObLG NJW 1995,S. 199

waltsgesellschaft mbH105, die Heinz B.Huebler GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft,die Freihalter Krüger & Partner GmbHRechtsanwaltsgesellschaft, die Furtmayr &Elsberger Rechtsanwaltsgesellschaft mbHund die Senft & Collegen Rechtsanwaltsge-sellschaft mbH.

e) Zum Verfahrensrecht stellte das Bayeri-sche Oberste Landesgericht in seinem Be-schluss vom 28.8.1996106 klar, dass dieRechtsanwaltskammern als Organe des Be-rufsstandes im Eintragungs- und Lö-schungsverfahren einer Anwalts-GmbH auchohne ausdrückliche Nennung im FGG inanaloger Anwendung von § 126 FGG zubeteiligen sind.

f) Das Bayerische Oberste Landesgerichthatte in seiner Entscheidung vom24.11.1994 auch deutlich gemacht, dass esgrundsätzlich Sache des Gesetzgebersbleibt, die Organisationsform der Anwalts-GmbH im Interesse einer geordnetenRechtspflege und Rechtsberatung mit denerforderlichen Mindestnormen auszustatten.

Im Frühjahr 1997 endlich hat das Bundes-ministerium der Justiz auf Druck der beidengroßen Anwaltsorganisationen den erstenEntwurf des Gesetzes zur Regelung derAnwaltsgesellschaft mit beschränkter Haf-tung vorgelegt, zu dem unter anderem derAusschuss Gesellschaftsrecht der BRAKunter Beteiligung der RAK München undihres Vizepräsidenten Dr. Kempter mehrereumfangreiche Stellungnahmen abgegebenhat. Bemerkenswert ist u.a., dass nach§ 59 p des Referentenentwurfs des Bun-desministeriums der Justiz die mit der Be-arbeitung befassten Geschäftsführer nebender Rechtsanwaltsgesellschaft persönlichals Gesamtschuldner für berufliche Fehlerhaften sollten. Dies wurde aber bereits imArbeitspapier vom 8.10.1997 wieder fallengelassen. Von der Regelung der Postula-_________105 Gegründet durch die Sozietät Seufert Rechtsanwälte,

vormals „Dr. Herkorn, Dr. A. von Berlin, Günther Seufert,Dr. C. von Heimendahl, W. Labbé, Dr. F.W. Graf von Ritt-berg“ bzw. „Günther Seufert, Dr. C. von Heimendahl,Walter Labbé, Dr. F.W. Graf von Rittberg, C. Messer-schmidt, Dr. Herwig Bachelin“, „Günther Seufert, Dr. C.von Heimendahl, Dr. F.W. Graf von Rittberg, Dr. HerwigBachelin, Dr. Karsten Küppers“, vgl. oben bei Sozietäten

106 BayObLG AnwBl. 1996 S. 583

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tionsfähigkeit der Rechtsanwaltsgesellschafthatte das Ministerium zunächst abgesehen,da es davon ausging, dass Kapitalgesell-schaften keine Prozessvertreter sein könnten.

Im Sommer 1998 schließlich wurde dieBRAO um die entsprechenden Bestimmun-gen in den §§ 59 c ff. BRAO107 sowie dasRechtsberatungsgesetz in Art. 1 § 3 Nr. 2RBerG mit der Bezugnahme auf die Rechts-anwaltsgesellschaft ergänzt. Damit war dieGmbH als erste Organisationsform ge-schaffen, die in Form einer Kapitalgesell-schaft und juristischen Person den Beruf alsRechtsanwalt ausüben darf. Sie bedarf derZulassung108 durch einen Verwaltungsaktder zuständigen Rechtsanwaltskammer undkann dann als Prozess- oder Verfahrensbe-vollmächtigte beauftragt werden109.

g) Das Interesse der Anwaltschaft an derBerufstätigkeit in Form einer GmbH ist nachwie vor zurückhaltend. Zur Zeit zählen wir imKammerbezirk München rund 26 GmbH.Die ersten vier zugelassenen Gesellschaftenwaren „Dr. Beck Bennert & KollegenRechtsanwaltsgesellschaft mbH“, „DissmannOrth Rechtsanwaltsgesellschaft Steuerbe-ratungsgesellschaft GmbH“, „Furtmayr &Elsberger Rechtsanwaltsgesellschaft mbH“und „Köhne Kulle & Kollegen Rechtsan-waltsgesellschaft mbH“. Bundesweit gibt esrund 168110 RechtsanwaltsgesellschaftenmbH.

Die Motive für die Gründung einer Anwalts-GmbH waren in den ersten Jahren vielfältig.Zunächst wollten manche Rechtsanwältelediglich ein Instrumentarium schaffen, mitdem der Erwerb und das Halten von Ge-meinschaftseigentum für die ansonstenweiterbestehende Sozietät leichter gehand-habt werden konnte. Nach der Ergänzungder BRAO und des RBerG um die Vor-schriften der Rechtsanwaltsgesellschaft gingdie Initiative zur Gründung einer Rechtsan-walts-GmbH teilweise von einer Steuerbe-ratungsgesellschaft oder einer Wirtschafts-_________107 Gesetz zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung,

der Patentanwaltsordnung und anderer Gesetze vom31.8.1998, BGBl. I 1998 S. 2600 ff.

108 §§ 59 d, 59 g BRAO109 § 59 l BRAO110 BRAK-Mitt. 2004 S. 125

prüfungsgesellschaft aus, die im Rahmenihres „Gesellschaftsverbundes“ auch denBereich der Rechtsberatung, unter anderemdurch Übernahme von Treuhandaufträgenfür die Beteiligung an Fondsgesellschaf-ten111, anbieten wollten. Nur gelegentlich wardie Haftungsbegrenzung der alleinige Be-weggrund für die Gründung der Gesell-schaft.

Als Ironie der Geschichte ist es anzusehen,dass gerade die Gesellschaft, die das ent-scheidende gerichtliche Verfahren zur Fest-stellung der Zulässigkeit der Anwalts-GmbHin Gang gebracht hatte, nach Einführung dergesetzlichen Voraussetzungen für eineRechtsanwaltsgesellschaft den Unterneh-mensgegenstand änderte und nach Ablaufder Übergangsfrist bis 1.9.1999112 den Zu-lassungsantrag gem. §§ 59 c ff. BRAO nichtstellte.

h) Schon 1996, also noch vor der gesetz-lichen Regelung der Rechtsanwaltsgesell-schaft, stellte sich hinsichtlich einer in Kölnansässigen überörtlichen Rechtsanwaltsge-sellschaft mit einer Zweigniederlassung inMünchen die Frage, inwieweit – damalsnoch gestützt auf die analoge Anwendungder Grundsätze einer Sozietät gem. § 59 aBRAO – auch in den Zweigniederlassungeneiner Anwalts-GmbH alleinvertretungsbe-rechtigte anwaltliche Geschäftsführer tätigsein müssen, für die die Zweigniederlassungden Mittelpunkt ihrer beruflichen Tätigkeitbildet. In München war die Gesellschaftlediglich durch einen generalbevollmächtig-ten Gesellschafter vertreten, der nur im We-ge der Gesamtvertretung zusammen mit ei-nem Geschäftsführer, einem anderen Gene-ralbevollmächtigten, einem Prokuristenoder sonstigem VertretungsberechtigtenMandate mit Wirkung für die Gesellschaftanzunehmen berechtigt war.

Das Landgericht München I nahm einenVerstoß gegen § 59 a BRAO an, da anjedem Kanzleiort zumindest „ein Mitglied der

_________111 Vgl. hierzu BGH, Urt. V. 14.6.2004 – II ZR 393/02112 Art. 8 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung der Bundes-

rechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung und an-derer Gesetze vom 31.8.1998, BGBl. I 1998 S. 2600,2603

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Sozietät“, also nicht nur ein angestellterRechtsanwalt, zugelassen sein muss, unddieser Grundsatz auch für die überörtlicheAnwalts-GmbH gelte113.

Auch das Oberlandesgericht München gingin seinem Berufungsurteil vom 22.10.1998114

davon aus, dass Selbstständigkeit undEigenverantwortlichkeit des Rechtsanwaltsin Verbindung mit dem Normzweck des§ 59 a Abs. 2 BRAO und mit dem Zweig-stellenverbot des § 28 BRAO, das dem un-erwünschten Wettbewerb durch einen amKanzleiort nicht ständig erreichbarenRechtsanwalt entgegenzutreten bezweckt,es erfordern, dass an jedem Kanzleisitzmindestens ein Anwalt zur Einzelvertretungim Hinblick auf die Annahme von Mandatenbefugt sein muss, also nicht von der Zu-stimmung anderer Gesellschafter oder sons-tiger Personen abhängig ist.

Während des Berufungsverfahrens erfolgtedie gesetzliche Neuregelung mit Einfügungder §§ 59 c ff. in die BRAO. Der Gesetzge-ber hat sich in § 59 i BRAO eindeutig füreinen „geschäftsführenden Rechtsanwalt“sowohl am Hauptsitz als auch in den Zweig-niederlassungen der Gesellschaft entschie-den. Die Gesetzesbegründung führt hierzuaus, dass im Hinblick auf die Bedeutung vonZweigniederlassungen, die den Rechtsan-waltsgesellschaften eine den überörtlichenSozietäten entsprechende Ausbreitung er-lauben, eine organschaftliche Vertretung an-gemessen sei115. Das OberlandesgerichtMünchen116 und die Kommentarliteratur117

sprechen daher auch hinsichtlich der quali-tativen Einstufung dieses „geschäftsführen-den Rechtsanwalts“ von einem „Geschäfts-führer“.

_________113 LG München I, Urteil vom 10.7.1997 – 7 O 6511/96; wei-

tergehend: Henssler/Prütting, BRAO, 1. Aufl.1997,Anh § 59 a Rdnr. 11: Geschäftsführer und generalbevoll-mächtigter Gesellschafter.

114 OLG München, Urteil vom 22.10.1998 – 29 U 4534/97115 BT-Drucks. 13/9820 S. 17; BR-Drucks. 1002/97 S. 18;

ablehnend: Henssler ZIP 1997 S. 1481, 1485116 OLG München, Urteil vom 22.10.1998 – 29 U 4534/97117 Vgl. Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl.2004, § 59 i Rdnr. 5;

Zuck, Anwalts-GmbH, 1999, § 59i Rdnr. 5 mit Verweis aufdie Kommentierung zur Geschäftsführung in Rdnr. 9 zu§ 59 f.

In der Revision schließlich verneinte derBundesgerichtshof in seinem Urteil vom25.10.2001 aufgrund der neuen gesetzlichenLage die Wiederholungsgefahr und hob dieVorinstanz teilweise auf, da nicht derSchluss gezogen werden könne, dass derBeklagte auch nach In-Kraft-Treten des§ 59 i BRAO weiterhin darauf bestehen wer-de, dass in München und anderen Nieder-lassungen der Rechtsanwaltsgesellschaftkein organschaftlicher Vertreter tätig seinmüsse. Der Bundesgerichtshof stellte jedocheindeutig klar, dass das beanstandete Ver-halten des beklagten Rechtsanwalts nicht imEinklang mit der Neuregelung in § 59 iBRAO stehe118. Allerdings lasse sich, so derBundesgerichtshof, nach altem Recht alleinaus § 59 a Abs. 2 Satz 1 BRAO und demZweigstellenverbot des § 28 BRAO nichtohne Weiteres schließen, dass die überört-liche Rechtsanwaltsgesellschaft an jedemStandort durch einen Rechtsanwalt vertretensein müsse, der einzelvertretungsbefugterGeschäftsführer ist. Auch der Gesetzgeberhabe die Frage der Alleinvertretungsbefug-nis in § 59 i BRAO nicht dahingehend ge-klärt, dass der geschäftsführende Rechts-anwalt alleinvertretungsbefugt sein muss119.Eine Vertretungsregelung, nach der ein ge-schäftsführender Rechtsanwalt mit einemanderen in derselben Niederlassung tätigenRechtsanwalt vertretungsbefugt ist, begeg-net im Hinblick auf § 59 i BRAO und auf dasZweigstellenverbot für Rechtsanwälte keinenBedenken. Mit dem Zweigstellenverbot gem.§ 28 BRAO geriete eine solche Vertretungs-regelung erst dann in Konflikt, wenn die ineiner Niederlassung tätigen Anwälte auchgemeinsam nicht zur Vertretung berechtigtwären, sondern noch der Mitwirkung einesweiteren, am Hauptsitz oder in einer ande-ren Niederlassung tätigen Rechtsanwaltsbedürften120.

Die Frage, ob nach § 59 i Abs. 2 BRAO inder Zweigniederlassung einer Rechtsan-

_________118 BGH NJW 2002 S. 2039, 2040 = BRAK-Mitt. 2002 S. 139

= AnwBl. 2002 S. 602119 Vgl. hierzu eingehend Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl.

2003, § 59 f Rdnrn. 6 ff.120 BGH NJW 2002 S. 2039, 2041 = BRAK-Mitt. 2002 S. 139

= AnwBl. 2002 S. 602; Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl.2003, § 59 i Rdnr. 7

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waltsgesellschaft ein Geschäftsführer i.S.v.§ 6 GmbHG tätig sein muss, bejahte derBundesgerichtshof erneut in seinem Be-schluss vom 13.1.2003121 und bestätigtedarin seine bisherige Rechtsprechung122.Darüber hinaus erörtert er in dieser Ent-scheidung – ohne dass hierfür eine Veran-lassung bestand – auch die Frage, ob dasdem § 59 i Abs. 2 BRAO zu entnehmendeGebot eines vorhandenen Geschäftsführersmit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist.Gerade im Hinblick auf die überörtlichen So-zietäten bestehen nach Auffassung desBundesgerichtshofes Bedenken, da die So-zietät an dem jeweiligen Kanzleistandortkeine in das Handelsregister einzutragendeGeschäftsführer zu bestellen braucht. Auchgegenüber den Steuerberatungs- und Wirt-schaftsprüfungsgesellschaften könnte eineungerechtfertigte Ungleichbehandlung derRechtsanwaltsgesellschaften vorliegen. Aus-reichende Gründe des Gemeinwohls füreinen aus dem Gebot von § 59 i BRAO re-sultierenden Eingriff in die Berufsfreiheit er-kennt das Gericht nicht. Umgekehrt verkenntdas Gericht aber die Unterschiede zwischeneiner Rechtsanwaltsgesellschaft einerseitsund überörtlichen Sozietäten sowie Steuer-beratungs- und Wirtschaftprüfungsgesell-schaften andererseits. Im Gegensatz zurPersonengesellschaft sieht das GmbH-Recht die Eintragung eines Geschäftsführersvor. Die Eintragung hat eine für das Gewer-berecht immens wichtige Beweisfunktion, diein vielerlei Hinsicht, gerade bei der Geltend-machung von Haftungsansprüchen von Be-deutung ist. Im Gegensatz zu Steuerbera-tern und Wirtschaftsprüfern ist die Tätigkeitals Rechtsanwalt gerade aufgrund der Situ-ation in einer kontradiktorischen Beratungund des daraus resultierenden unangefoch-tenen Verbotes widerstreitender Interessenwesentlich personenbezogener und in gerin-gerem Umfang einer Vervielfältigung durchBeiziehung von Hilfspersonen zugänglich123.

_________121 BGH NJW 2003 S. 2025 ff.122 BGH NJW 2002 S. 2039, 2040 = BRAK-Mitt. 2002 S. 139

= AnwBl. 2002 S. 602123 Vgl. zur Bedeutung des äußeren Erscheinungsbildes einer

Sozietät in Abgrenzung zum Anwalts-Franchising als neu-er Form der Kooperation: Kopp, BRAK-Mitt. 2004S. 154 ff.

i) Im Jahre 1999 hatte in München, diesmalnicht eine Rechtsanwaltsgesellschaft, son-dern eine Patentanwaltsgesellschaft ihreZulassung beantragt, deren Satzung vorsah,dass Gesellschafter auch eine Gesellschaftdes bürgerlichen Rechts sein kann, derenZweck ausschließlich das Halten von Antei-len an der Patentanwaltsgesellschaft mbHist.

Im Gegensatz zum Recht der GmbH124 er-gibt sich aus § 59 e Abs. 1 und 3 BRAO undder entsprechenden Regelung in § 52 ePAO, dass Gesellschafter einer Rechtsan-waltsgesellschaft nur natürliche Personensein können, die in der Gesellschaft beruflichtätig sind, und eine Beteiligung juristischerPersonen und Personenhandelsgesellschaf-ten ausgeschlossen ist. Auch die Gesetzes-begründung führt hierzu aus, dass die Ge-schäftsanteile den Gesellschaftern ungeteiltzustehen müssen und daher Berufsange-hörige einer BGB-Gesellschaft in ihrer ge-samthänderischen Verbundenheit nicht Ge-sellschafter sein können125.

So musste bei der antragstellenden Gesell-schaft grundsätzlich von der Gesetzeswid-rigkeit der Satzung ausgegangen werdenund diese zum Gegenstand einer gericht-lichen Überprüfung gemacht werden.

Das OLG München126 entschied hierzu, dasssich aus dem Gesetz kein Verbot ableitenlasse, wonach sich eine BGB-Gesellschaftnicht an einer Patentanwaltsgesellschaftbeteiligen dürfe. Wenn mehrere Personen,die nach dem Gesetz Gesellschafter einer(Patent)Anwaltsgesellschaft werden können,sich gesamthänderisch zu einer GbR zu-sammenschließen, ändere das nichts daran,dass allein sie als natürliche Personen dieGesellschafter seien. Die GbR sei keine vonihren Mitgliedern unterscheidbare eigeneRechtspersönlichkeit, der als solcher Rechteund Pflichten im Sinne einer Gesellschafter-stellung zugeordnet werden könnten. DieGesetzesbegründung finde im Gesetzes-wortlaut keinen entsprechenden Nieder-

_________124 Vgl. Rohwedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl. 2002,

§ 2 Rdnrn. 7 ff.125 BT-Drucks. 13/9820 S. 14126 OLG München, Beschluss vom 28.7.2000 – PatA Z 1/00

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schlag und könne daher nicht als Aus-legungshilfe verwertet werden. Ein Verbotdes Zusammenschlusses in der GbR könnedaher Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG nicht gerechtwerden.

Der Bundesgerichtshof folgte dieser Argu-mentation in seiner Entscheidung vom9.7.2001127.

Nach dieser Rechtsprechung können sichaufgrund der Übereinstimmung der Rege-lungen in § 52 e PAO und § 59 e BRAOheute auch Rechtsanwälte jedenfalls dann ingesamthänderischer Bindung als BGB-Gesellschafter an einer Rechtsanwaltsge-sellschaft mbH beteiligen, wenn die Gesell-schaft bürgerlichen Rechts ihrerseits soausgestattet ist, dass den an eine Rechts-anwaltsgesellschaft gestellten berufsrecht-lichen Anforderungen Genüge getan ist.Durch die Satzung der GmbH muss sicher-gestellt sein, dass der Gesellschaft bürger-lichen Rechts nur Personen angehören dür-fen, die sämtliche berufsrechtliche Anforde-rungen nach § 59 e BRAO erfüllen. Auch dienunmehr durch die Rechtsprechung derBGB-Gesellschaft zugesprochene Rechts-fähigkeit steht diesem Ergebnis nicht entge-gen, da es sich nur um die Feststellung einerbeschränkten Rechtssubjektivität, nicht aberum die Gleichsetzung mit der Rechtsfähig-keit juristischer Personen handelt128.

k) Hinsichtlich der Firmierung schreibt § 59 kBRAO vor, dass die Firma der Gesellschaftden Namen wenigstens eines Gesellschaf-ters, der Rechtsanwalt ist, und die Bezeich-nung „Rechtsanwaltsgesellschaft“ enthaltenmuss. Sonstige Firmenbestandteile sind nurzulässig, soweit sie gesetzlich vorgeschrie-ben sind. Einen Bestandschutz sieht dasGesetz lediglich für in zulässiger Weise vonSozietäten verwendeten Kurzbezeichnungenvor.

Eine größere RechtsanwaltsgesellschaftmbH trat seit 1999 bundesweit mit einerBuchstabenfolge in ihrer Firma auf. Dieswidersprach dem Wortlaut des Gesetzes_________127 BGH NJW-RR 2001 S. 1642 = BRAK-Mitt. 2002 S. 37 =

AnwBl. 2002 S. 183128 Vgl. im Einzelnen: Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl.

2003, PAO § 52 e Rdnr. 3 ff.

und wurde sowohl von einigen Rechtsan-waltskammern als auch von Anwalts-vereinen als Verstoß gegen die Regelungder Firma in der BRAO angesehen, so dassdie Zulässigkeit dieser Firma ebenfalls zumGegenstand einer gerichtlichen Überprüfungwurde.

Der Bundesgerichtshof sah hingegen in derAufnahme einer Buchstabenkombination inder Firma der Rechtsanwaltsgesellschaftkeinen Verstoß gegen das Berufsrecht. Inseinem Urteil vom 23.10.2003129 führt derBundesgerichtshof aus, dass die betroffeneRechtsanwaltsgesellschaft in analoger An-wendung von § 59 k Abs. 1 Satz 2 BRAO dieBuchstabenfolge in zulässiger Weise führe.Mit der in § 59 k Abs. 1 Satz 2 BRAO ge-regelten Fortführung einer Sozietät durcheine Rechtsanwaltsgesellschaft sei derSachverhalt vergleichbar, dass eine Rechts-anwaltsgesellschaft eine Gesellschaft ausRechtsanwälten, Steuerberatern, Wirt-schaftsprüfern und sonstigen in § 59 aBRAO angeführten Berufsgruppen fortsetzt,die unabhängig von ihrer Rechtsform eineKurzbezeichnung in der Firma zulässiger-weise verwendet hat. Es sei, so der Bun-desgerichtshof, kein Grund ersichtlich, Steu-erberatungs- oder Wirtschaftsprüfungsge-sellschaften, die zulässigerweise eine Kurz-bezeichnung führen konnten, die Möglichkeitzur Weiterführung einer Kurzbezeichnung zuversagen, wenn sie auch als Rechtsan-waltsgesellschaft tätig werden, soweit dieseKurzbezeichnung mit der Berufsordnung fürRechtsanwälte vereinbar sei. Dies sah derBundesgerichtshof als gegeben an, da § 9BORA a.F. auf die Rechtsanwaltsgesell-schaft keine Anwendung fand130. Spätestensseit Aufhebung der Absätze 2 und 3 von § 9BORA in der 2. Sitzung der 3. Satzungsver-sammlung am 26.4.2004131 in Münchendürfte dieser Auffassung nichts mehr entge-genstehen.

l) Nicht unerwähnt bleiben soll auch die seitden neunziger Jahren festzustellende Bil-dung von mehrschichtigen bzw. mehr-_________129 BGH NJW 2004 S. 1099 ff. („KPMG“)130 Vgl. BayObLG NJW 2000 S. 1647, 1648131 BRAK-Mitt. 2004 S. 177 ; Mitteilungen der RAK München

2004/II S. 12

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stufigen Gesellschaften. Diese sind Zusam-menschlüsse von Rechtsanwaltskanzleienund Rechtsanwaltsgesellschaften, die zwarnational organisiert sind, aber gleichzeitigauf internationaler Ebene Mitglied einer sogenannten Alliance bzw. eines weiteren Zu-sammenschlusses sind. Zu nennen sindhierzu die KPMG Treuhand Beiten BurckhartGmbH Rechtsanwaltsgesellschaft Steuerbe-ratungsgesellschaft als Mitglied der KPMGInternational, die Raupach & Wolert-Elmendorff Rechtsanwaltsgesellschaft mbHals Mitglied der Deloitte Touche Tohmatsuoder die frühere PricewaterhouseCoopersVeltins Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, in-zwischen Heussen Rechtsanwaltsgesell-schaft mbH, diese ist zusammen mit denanderen PricewaterhouseCoopers-Gesell-schaften weltweit in der Dachorganisation„Landwell“ organisiert. Inwieweit bei diesenvertikalen Verbindungen die Grundsätze desanwaltlichen Berufs eingehalten werden,muss noch einer gesonderten Überprüfungüberlassen bleiben.

4. Die Rechtsanwalts-AG

a) Mit der Einfügung der §§ 59 c ff. BRAOerhielt die Rechtsanwalts-GmbH ihre ge-setzliche Grundlage, inbesondere hinsicht-lich ihrer Zulassung als Rechtsanwaltsge-sellschaft. Bedauerlich war, dass das Gesetzausweislich der Einzelbegründung nur dieZulassung von Gesellschaften mit be-schränkter Haftung als Rechtsanwaltsgesell-schaften vorsieht und ausdrücklich nicht dieZulassung anderer Gesellschaftsformenregelt132. Im ersten Referentenentwurf warsogar angeregt worden, sich gegen dieTätigkeit eines Anwalts in anderen Gesell-schaftsformen als der Sozität, der Partner-schaft und der GmbH auszusprechen, wasallerdings dann im weiteren Gesetz-gebungsverfahren unterblieb.

b) Nicht überraschend führte diese Geset-zeslücke wieder dazu, dass im Rahmeneines registergerichtlichen Verfahrens eini-ge Kollegen, diesmal aus Nürnberg, dieRechtsform der Aktiengesellschaft als Orga-_________132 BT-Drucks. 13/9820 S. 13

nisationsform für die Anwaltschaft zur rich-terlichen Entscheidung stellten.

Das Bayerische Oberste Landesgerichthat hierzu in seiner Entscheidung vom27.3.2000133 (allerdings lediglich durch Be-zugnahme auf Literaturmeinungen ohneeigene inhaltliche Auseinandersetzung mitder Frage der Zulässigkeit134) festgestellt,dass eine Rechtsanwalts-Aktiengesellschaftnicht von vornherein unzulässig sei. Da sichdie Überprüfung der verfahrensgegenständ-lichen Anmeldung durch das Gericht auf dasvom Registergericht in seiner Zwischenver-fügung bezeichnete Eintragungshindernisbeschränkte135 und das Gericht aus den be-stehenden Regelungen nach dem HGB unddem AktG kein Verbot für eine Fantasiebe-zeichung erkennen konnte, stellte es fest,dass die angemeldete Firma eintragungs-fähig sei.

Allerdings wies das Bayerische ObersteLandesgericht am Schluss seiner Entschei-dung auch darauf hin, dass die beanstan-dete Firma einem Unterlassungsanspruchnach § 3 UWG ausgesetzt sein kann. Diesverwundert insoweit, als der klagende undobsiegende Anwalt sich auf die Einheit derRechtsordnung verlassen können muss.Eine wettbewerbsrechtliche Überprüfungdurch das Oberlandesgericht Nürnberg er-gab schließlich, dass die Fantasiefirma füreine Rechtsanwaltskanzlei unzulässig ist136.Allerdings dürfte nun nach Änderung der Be-rufsordnung durch Streichung der Absätze 2und 3 von § 9 BORA in der 2. Sitzung der3. Satzungsversammlung am 26.4.2004 inMünchen137 auch die Fantasiefirma fürRechtsanwalts-Aktiengesellschaften zulässigsein._________133 BayObLG MDR 2000 S. 733 ff. m. Anm. Römermann =

NZG 2000 S. 641 m. Anm. Henssler NZG 2000 S. 875 =AnwBl. 2000 S. 368 („PRO-VIDENTIA“)

134 Vgl. hierzu auch Kempter/Kopp, NJW 2000 S. 3449135 Kritisch: Kempter/Kopp, NJW 2000 S. 3449, 3440, wo-

nach der Senat auch hätte untersuchen müssen, ob imkonkreten Fall die angemeldete Rechtsanwalts-AG unterBerücksichtigung zwingender berufsrechtlicher Vorgabenzulässig ist und eingetragen werden kann. Das Gerichthätte zunächst die Zulässigkeit der Zwischenverfügungprüfen müssen

136 OLG Nürnberg MDR 2003 S. 898 m. Anm. Römermann;Kempter/Kopp, NJW 2000 S. 3449, 3450

137 BRAK-Mitt. 2004 S. 177 ; Mitteilungen der RAK München2004/II S. 12

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c) Für die Satzung einer Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft gelten grundsätzlich dieallgemeinen Regelungen für Aktiengesell-schaften. Mangels konkreter gesetzlicherBestimmungen, die die Besonderheiten füreine Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft imSystem des anwaltlichen Berufsrechtsregeln, ist darüber hinaus eine Orientierungan der Rechtsprechung des BayerischenObersten Landesgerichts zur Gestaltung derSatzung einer Anwalts-GmbH138 vor derenRegelung in der BRAO und an den Vor-schriften des Berufsrechts139 erforderlich140.Danach folgt aus der Stellung des Rechts-anwalts als unabhängiges Organ derRechtspflege, dass auch eine Rechtsan-walts-Aktiengesellschaft nur dann zulässigsein kann, wenn nach deren Satzung be-stimmte unerlässliche Mindestnormen ein-gehalten werden. Nach den Satzungsbe-stimmungen der Aktiengesellschaft müssendie Wesensmerkmale des Anwaltsberufs alseines Freien Berufs, insbesondere hinsicht-lich des Unternehmensgegenstandes, derAktionäre, der Organe, der Unabhängigkeit,der Weisungsfreiheit, der Verschwiegenheitund der Berufshaftpflichtversicherung, ge-wahrt bleiben. Eine Rechtsanwalts-Aktien-gesellschaft außerhalb des anwaltlichen Be-rufsrechts ist nach der Systematik der Be-rufsrechte nicht zulässig141.

d) Unabhängig von der grundsätzlichen Z u-lässigkeit einer Rechtsanwalts-Aktiengesell-schaft ist bis zu einer Regelung der Zulas-sungskriterien in der BRAO wieder davonauszugehen, dass die Rechtsanwalts-AGnicht als Rechtsausübungsgesellschaft zu-gelassen werden kann. Sie kann ihre Tätig-keit nur als Organisations- und/oder Besitz-gesellschaft142 ausgestalten.

_________138 BayObLG NJW 1995S. 199, 201 = BRAK-Mitt. 1995

S. 34, 35139 §§ 59 a, 59 c ff. BRAO, §§ 8 ff., 29 ff. BORA. Vgl. auch für

Partnerschaftsgesellschaften die Verweisung auf das Be-rufsrecht in § 6 Abs. 1 PartGG

140 Kempter/Kopp, NJW 2000 S. 3449141 Vgl. die Hinweise zur Gestaltung der Satzung einer

Rechtsanwalts-AG von Kempter/Kopp, NJW 2001S. 777 ff.

142 Vgl. zur rechtlichen Situation der Anwalts-GmbH vor derengesetzlichen Regelung in BRAO und RBerG: BayObLGNJW 1996 S. 3217 f.; vgl. auch Kempter/Kopp, NJW 2000S. 3449; NJW 2001 S. 777, 781

Daraus folgt auch, dass eine Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft als solche keine eigeneBefugnis zur Vertretung und Beratung inRechtsangelegenheiten143 hat. Insoweit istdie Entscheidung des Bundesfinanzhofsvom 11.3.2004144, abgesehen von der weite-ren zweifelhaften Tatsache, dass das Ge-richt ohne jede nähere Prüfung von einer(in Wirklichkeit nicht erfolgten) Zulassungdurch die zuständige Rechtsanwaltskammerausgegangen war, sehr kritisch zu hinter-fragen145.

Der Anwaltsgerichtshof Nordrhein-Westfalenhatte in seiner Entscheidung vom 17.1.2003zur Frage der Zulassungsfähigkeit derRechtsanwalts-Aktiengesellschaft noch fest-gestellt, dass die Rechtsform der Aktienge-sellschaft keine durch die BRAO gedeckteGesellschaftsform darstellt146.

e) In München haben sich erst zwei Rechts-anwalts-Aktiengesellschaften eintragen las-sen. Diese sind die „Knorr RechtsanwälteAktiengesellschaft“ und „Ihr Anwalt 24 –Rechtsanwalt-Aktiengesellschaft“.

f) Trotz dringender Bemühungen der An-waltschaft steht die entsprechende Ergän-zung der Bestimmungen der BRAO um dieAktiengesellschaft heute noch aus. Eine sol-che ist jedoch notwendig, um auch die Be-rufsausübung in Form einer Aktiengesell-schaft betreiben zu können. Hintergrund fürdie Verzögerung ist u.a., dass das Bundes-justizministerium die Meinung vertritt, dasseine solche Ergänzung der BRAO nur dannvorgenommen werden kann, wenn Gesell-schafter einer solchen Aktiengesellschaftnicht nur Anwälte, sondern vielmehr Jeder-mann sein müsste. Das aber lässt sich nichteinmal mit dem liberalsten Verständnis desAnwaltsberufs vereinbaren.

_________143 Vgl. zur fehlenden Vertretungsbefugnis einer Partner-

schaftsgesellschaft vor deren Regelung in § 7 Abs. 4PartGG: BFH BStBl. 1999 S. 363 = NJW 1999 S. 2062;BStBl II 1998 S. 692 = NJW-RR 1999 S. 205 = NZG 1998S. 900 m. Anm. Römermann

144 NJW-Spezial 2004 S. 94 m. Anm. Dahns; BRAK-Mitt.2004 S. 138

145 Kempter/Kopp, NJW 2004146 BRAK-Mitt. 2003 S. 186

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5. Ausländische Gesellschaftsformen

Seit den 90er Jahren treten zunehmendausländische Anwaltsgesellschaften inDeutschland auf. Sie kommen vorwiegendaus dem Vereinigten Königreich und denVereinigten Staaten von Amerika. Zu nen-nen sind hierbei die Gesellschaftsformen derPartnership, der Limited Liability Partnershipund der Limited. In Deutschland war dasAuftreten dieser Gesellschaften bisher nichtproblematisch. Diese Gesellschaften ließensich entweder durch Einrichtung eigenerKanzleien, durch Zusammenschluss oderdurch Beitritt deutscher Sozietäten inDeutschland nieder.

Nach den Entscheidungen des Euro-päischen Gerichtshofes in Luxemburg inSachen „Centros147“, „Überseering148“ und„Inspire Art149“ steht es den Gesellschaftenaufgrund der europäischen Niederlassungs-freiheit frei, sich in jedem Land der Euro-päischen Union niederzulassen. Es wird ab-zuwarten sein, ob aufgrund der Rechtspre-chung des Europäischen Gerichtshofes auchbei den Rechtsanwaltsgesellschaften einWettbewerb der Gesellschaftsformen eintritt.Zu denken wäre an die spanische SociedadLimitada Nueva Empresa (SLNE), die fran-zösische Société anonyme simplifiée (SAS),die niederländische Besloten Vennootschap(BV), die englische Private Limited Company(PLC) bzw. Limited Liability Company (LLC)oder eventuell auch Gesellschaftsformenaus den zehn neuen EU-Mitgliedstaaten150.

Zu nennen sind gegenwärtig in Mün-chen, stellvertretend für viele andere, diePartnerships „Ashurst“, „Freshfields151”,„Lovells152” und „Norton Rose Vieregge“ so-wie die Limited Liability Partnerships „Baker& McKenzie“, „McDermott Will & Emery“,„Gipson Dunn & Crutcher“ und „Hogan &Hartson Raue“.

_________147 EuGH NJW 1999 S. 360148 EuGH NJW 2002 S. 3914149 EuGH NJW 2003 S. 3331150 Zur EuGH-Rspr. zur Niederlassungsfreiheit: Horn,

NJW 2004 S. 893 ff.151 Entstanden aus einem Zusammenschluss von Freshfields

mit Bruckhaus Westrick Heller Löber152 Entstanden aus dem Beitritt von Boesebeck Droste, vor-

mals: Droste Kilius Friebel, bei Lovells

Angesichts der Rechtsprechung zur ur-sprünglich fehlenden Prozessführungs- undVertretungsberechtigung von Anwaltsgesell-schaften mbH153 und von Partnerschaftsge-sellschaften154 vor der jeweiligen gesetz-lichen Regelung ist fraglich, inwieweit dieausländischen Gesellschaften als solche zurBeratung und Vertretung in Rechtsange-legenheiten in Deutschland berechtigt sind.Bei Gesellschaften aus den Mitgliedstaatender Europäischen Union, die im Heimatlanddie Befugnis zur Besorgung fremderRechtsangelegenheiten haben, werden ent-gegenstehende nationale Vorschriften ent-sprechend der Rechtsprechung des Euro-päischen Gerichtshofs wohl unanwendbarsein.

Bemerkenswert hinsichtlich der Organisa-tionsstruktur dieser Gesellschaften ist, dasssie grundsätzlich einer sehr zentralen Len-kung aus der jeweiligen Kanzlei am Haupt-sitz im Vereinigten Königreich oder in denUSA unterliegen und hierbei auch Konfliktehinsichtlich der Beachtung deutschen Be-rufsrechts entstehen können. Auch unterlie-gen die Gesellschaften einem erheblichenwirtschaftlichen Druck aus dem Ausland, dersich mit dem herkömmlichen deutschen Be-rufsbild des Rechtsanwalts nur bedingt ver-einbaren lässt.

6. Ausblick in die Zukunft

Folgt man der Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofs aus der Zeit vor Einfügung der§§ 59 c ff. BRAO, wonach Rechtsanwältemangels eines entsprechenden gesetzlichenVerbots aufgrund Art. 12 Abs. 1 GG eineAnwalts-GmbH gründen konnten, dann istauch die Gründung anderer Gesellschafts-formen, z.B. einer Anwalts-KGaA oder einerAnwalts-Genossenschaft, denkbar155.

Unter internationalen Gesichtspunkten wäreab Herbst 2004 eventuell sogar eine euro-päische Aktiengesellschaft für Großkanz-_________153 BayObLG NJW 1996 S. 3217, 3218154 BFH BStBl. 1999 II S. 363 = NJW 1999 S. 2062; BStBl.

1998 II S. 692 = NJW-RR 1999 S. 205 = NZG 1998S. 900 m. Anm. Römermann

155 Vgl. Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl.2003, § 59 aRdnr. 34 m.w.N.

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leien, eine so genannte Societas Europea,oder Mischformen zwischen aus- und inlän-dischen Gesellschaftstypen, wie z.B. eineLimited und Co. KG, möglich, soweit sichdiese auf die Tätigkeit einer Besitz- und/oderOrganisationsgesellschaft beschränken.

Neuerdings treten zur Ausübung des An-waltsberufes auch Kooperationen in derKonstellation des Franchising156 auf. In denersten Erscheinungsformen von heute zei-gen sich allerdings erhebliche berufsrecht-liche Probleme, insbesondere hinsichtlichder Abgrenzung dieser Franchiseketten zurSozietät157 aufgrund des einheitlichen Mar-keting nach außen, hinsichtlich des Verbotsder Vertretung widerstreitender Interessen,der Einhaltung der Verschwiegenheitspflichtund der Irreführung158 des rechtsuchendenPublikums.

Als Ausfluss des heutigen Konkurrenz-kampfes um den Rechtsberatungsmarkt sindunter dem Begriff „Anwalts-Shop“ auch sogenannte Kaufhaus-Kanzleien gegründetworden. Diese richten sich in großen Kauf-häusern mit einer kleinen Boutique ein undversuchen, durch Billigangebote neue Kun-denkreise anzusprechen. Auch hier ist dieEinhaltung berufsrechtlicher Grundsätze derAnwaltschaft, insbesondere der Verschwie-genheitspflicht, des Verbots widerstreitenderInteressen und des Gebührenrechts, sehrzweifelhaft159.

Immer häufiger treten auch die so genann-ten „Netzwerke160“ mittelständischer Kanz-leien in Erscheinung, die gegründet werden,um gegen die Konkurrenz internationalerKanzleien anzukommen. Hierbei handelt essich um Mischformen von Kooperationen,bestehend aus Einzelkanzleien, aber auchaus Verbindungen von Kanzleien im In-und Ausland. Inwieweit diese Verbindungenund deren Tätigkeit sich in das Berufsrechteinfügen werden, wird die Zukunft zeigenmüssen.

_________156 Heintze, NJW 2003 S. 2888; hierzu auch AGH Hamburg

zur Zulässigkeit der Kurzbezeichnung „Legitas“ in: NJW2004, S. 371

157 Kopp, BRAK-Mitt. 2004158 Vgl. hierzu Siegmund, NJW 2004 S. 1635 ff.159 Vgl. LG Berlin, Beschl. V. 6.12.2003 – 15 O 690/03160 Handelsblatt vom 5.5.2004

7. Fazit

Die Entwicklung der Rechtsanwaltsgesell-schaften ist sicherlich noch nicht abge-schlossen. Mit den Änderungen der sozio-ökonomischen Verhältnisse hat die Anwalt-schaft auch ihre Formen der beruflichen Zu-sammenarbeit weiterentwickelt. Gegenwärtigteilen sich in Deutschland etwa 130.000Rechtsanwälte161 den Rechtsberatungsbe-darf. Die Zahl steigt jährlich um 8.000 neu-zugelassene Rechtsanwälte. In manchenGebieten kommt ein Rechtsanwalt auf rund150 Bürger und weniger. Diese sich zuspit-zende Verdichtung im Rechtsberatungsbe-reich führt zwangsläufig zu immer neuerenAusgestaltungen der Anwaltstätigkeit. Weite-re Auswirkungen wird auch die beabsichtigteLiberalisierung und Öffnung des Rechtsbe-ratungsgesetzes mit sich bringen. Ein Teilder Anwaltschaft wird sich durch Spezialisie-rungen und Abdeckung von Nischen, derandere Teil durch Fusionen zu behauptenversuchen. Heutzutage sind allerdings erstca. 7 % der Anwälte in so genannten Groß-kanzleien tätig. Dies ist eine noch relativkleine Zahl. Die meisten Anwälte arbeitennach wie vor in kleinen und mittelgroßenKanzleien. Es wird abzuwarten sein, ob die-se sich gerade aufgrund ihrer flexiblen,überschaubaren und kostengünstigerenStrukturen gegen die Großgesellschaftenund gegen die Beratungstätigkeit andererUnternehmungen in Zukunft werden be-haupten können.

_________161 BRAK-Mitt. 2004 S. 125

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104 Ottheinz Kääb

Die Altersversorgung

Die Bayerische Rechtsanwalts-und Steuerberatungsversorgung

Ottheinz KääbRechtsanwalt

Blickt die Anwaltschaft zurück auf die Ent-wicklungen der letzten 25 Jahre, sind einigeZeilen über die Altersversorgung geboten.

Lange bevor sich die Selbstverwaltung derAnwaltschaft mit den Reichsjustizgesetzen1879 zu verwirklichen begann, hatte derbayerische König bereits an die Altersver-sorgung der bayerischen Advokaten ge-dacht. Mit königlicher Stiftungsorder vom27.6.1806 schuf er den bayerischen Advo-katen in der „Pensionsanstalt für die Witwenund Waisen der Advokaten des Königreichs“eine erste Versorgungseinrichtung für dieHinterbliebenen. Diese Versicherung hatteimmerhin bis 1879 als PflichtversicherungBestand, und diese Pensionsanstalt bestehtseit 1963 als freiwillige Alters- und Hinter-bliebenenversicherung unter der fürsorgli-chen Leitung des Münchner Kollegen ErnstSchroeder bis heute fort. Eine Pflichtversor-gung für die Anwälte selbst gab es nicht.

Nach dem In-Kraft-Treten der Reichsrechts-anwaltsordnung (1879) wurde dann alsbaldeine freiwillige Versicherung gegründet,nämlich die „Ruhegehalts-, Witwen- undWaisenkasse der deutschen Rechtsanwäl-te“, die aus der Genossenschaft der„Hülfskasse für deutsche Rechtsanwälte“hervorging. Die „Hülfskasse“ wurde 1934aufgelöst. Sie war nie eine Pflichtversiche-rung. 1948 wurde die „Hülfskasse“ zwarwieder gegründet, beschränkte sich aber auf

einzelne Bundesländer und auf Nothilfe-Unterstützungen. Daneben bestanden Ster-begeld-Einrichtungen der einzelnen Rechts-anwaltskammern. Einige Versuche nachdem Ersten Weltkrieg, berufsständischePflichtversorgungseinrichtungen für bayeri-sche Anwälte einzuführen, etwa 1923 und1938, scheiterten; den Ärzten gelang es indiesen Zeiten, berufsständische Pflichtver-sorgungswerke zu gründen.

1951 begann die deutsche Anwaltschaft er-neut mit Arbeiten an einem Gesetzesentwurffür eine Alters- und Hinterbliebenenversor-gung. Die Bundesregierung verabschiedete1961 einen Entwurf – er versickerte 1964 imGesetzgebungsverfahren, ohne dass eigent-lich klar wurde, woran das lag. Viele Ver-suche einzelner Länder führten damalsebenfalls nicht zum Erfolg.

Für die Selbstständigen kam 1972 Hoffnungauf – die gesetzliche Rentenversicherungwurde für die Selbstständigen geöffnet. DieHoffnungen allerdings erfüllten sich allenfallsfür die Angehörigen solcher Jahrgänge, diedem Renteneintritt nahe standen und die miteigenen Ersparnissen oder Darlehen Nach-entrichtungen vornehmen konnten. In dieserZeit schrumpften auch die Erwartungen inLeistungen der gesetzlichen Rentenver-sicherung. Beitragsfreiheit der Krankenver-sicherung für Rentner war ein Schlagwort,bald aber eine Luftblase. Die jüngeren Kol-leginnen und Kollegen konnten auch nichteinsehen, welche Vorteile es für sie bringensollte, ein Versorgungswerk zu unterstützen,in dem „alte Lasten“ renditeschädigend ge-tragen werden mussten.

Gerade auftretende Unsicherheiten bei dergesetzlichen Altersversorgung, aber auchder sich geradezu zwingend aufdrängendeSchluss, ein Versorgungswerk ohne „alteLasten“ zu gründen, war dann auch Endeder 70-iger Jahre Grund, erneut nachzuden-ken und berufsständische Versorgungswer-ke jeweils in den einzelnen Bundesländern,selbstverwaltet, ohne „alte Last“ zu favorisie-ren. Viele soziale Einrichtungen der Anwalt-schaft, die Nothilfeorganisationen der ein-zelnen Kammern, die „Hülfskasse“, dieSelbsthilfe der Rechtsanwälte e.V. in Mün-chen wurden mehr und mehr Sammel-

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becken sozialer Not. Die steigende Lastder Altersversorgung, die Altersstrukturdatenwurden mittlerweile als gesamtgesellschaft-liches Problem erkannt – der Versorgungs-gedanke konnte nicht länger reine Privat-sache sein. Welches Sicherungssystementsprach dem Versorgungsbedarf undzugleich der wirtschaftlichen Leistungsfähig-keit der Anwaltschaft? Können wir Anwältenicht dadurch sehr viel Geld sparen, dasswir selbst verwalten und dies am besten eh-renamtlich? Es entstand eine neue Genera-tion von Versorgungswerken der Anwalt-schaft; Niedersachsen war die Nummer 1,dann folgte Bayern, und schließlich folgtennacheinander alle deutschen Bundesländer.

Nach dem Entschluss tätig zu werden, be-gann das Taktieren. Niemand kann mehrauch nur annähernd nachvollziehen, wieviele informelle Gespräche bei geheimenZusammenkünften mit den verschiedenendeutschen Rechtsanwaltskammern erfolg-ten. Klar war ja, dass ein Gesetz ohne Politi-ker nicht zustande kommen konnte. Politikerwurden also beratend einbezogen. Deutlichvor Augen war allerdings jedem, dass zuersteine Satzung, ein Satzungsentwurf, ge-schaffen sein musste, damit man den An-wältinnen und Anwälten auch Konkretes an-bieten konnte.

Nach weiteren intensiven Gesprächen mitVersorgungseinrichtungen anderer Berufs-stände wurde dann auf Anregung des dama-ligen Präsidenten der RAK Bamberg, JörnLoewer, im September 1981 eine Vorberei-tungskommission gebildet, die ein Konzepterarbeiten sollte. Ihr gehörten an:

Für die Rechtsanwaltskammer Bamberg– Jörn Loewer, Bamberg– Günther Heibrok, Würzburg

Für die Rechtsanwaltskammer München– Eckart Warmuth, München– Dr. Robert Geigel, Tittmoning– Hans-Achim Fritzsche, München

Für die Rechtsanwaltskammer Nürnberg– Dr. Hans Prager, Nürnberg– Dr. Helmut Finckh, Nürnberg

Für den Bayerischen Anwaltsverband– Wolfgang Burnhauser MdS, München– Karl-Heinrich Wirschinger, München

Für die Pensionsanstalt– Erhard Senninger, München

Für die Rechtsanwälte Bayerns– Dr. Eberhard Kollmar, München

Von der Rechtsanwaltsversorgung Nieder-sachsen– Diethart Heinemann, CelleMit der Geschäftsführung der Vorberei-tungskommission wurden der Geschäftsfüh-rer der Rechtsanwaltskammer München,Rechtsanwalt Dr. Giselher Gralla, und vomPräsidium der Kammer München der dama-lige Vizepräsident, der Verfasser dieser Zei-len, beauftragt.Aus den Arbeiten dieser Kommission wurdefür die künftige Gestaltung der bayerischenVersorgung einiges klar:Wir wollten eine gesetzliche Pflichtversiche-rung in der Rechtsform einer Anstalt desÖffentlichen Rechts.Wir wollten weg von einem Umlageverfahren(wie es zum Beispiel bei der gesetzlichenRentenversicherung vorherrscht) und wolltenein reines Anwartschaftsdeckungsverfahren,also ein Finanzierungsverfahren, bei demEckpunkte feststehen und jeder Zahlendeweiß, was er dafür erhält.

Wir wollten keinesfalls eine reine berufs-ständische Selbstverwaltung, sondern wirwollten als Geschäftsführungsorgan eineschon bewährte Verwaltungseinrichtung be-nutzen, jedoch stark von ehrenamtlich Täti-gen aus dem Kreis des Versorgungswerkskontrolliert.

Damit wich das bayerische Konzept in nichtunwesentlichen Punkten von der Rechtsan-waltsversorgung Niedersachsen und ande-ren Versorgungswerken ab, die als Körper-schaften des Öffentlichen Rechts organisiertsind und Leistungen im offenen Deckungs-planverfahren, also mit Elementen des Um-lageverfahrens, finanzieren.Im März 1982 wurde in Niedersachsen dasGesetz über das Niedersächsische Versor-gungswerk der Rechtsanwälte verkündetund im Sommer 1982 waren die Arbeiten derbayerischen Vorbereitungskommission soweit abgeschlossen, dass die Ergebnissein gemeinsamen Mitteilungen den bayeri-

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schen Rechtsanwaltskammern vorgestelltwurden. An der endgültigen Fassung hattennatürlich die sachlich beteiligten Ressortsder bayerischen Ministerien für Wirtschaft,Inneres, Justiz und Soziales nicht un-wesentlichen Anteil. Dadurch war es mög-lich, nun den nächsten Schritt zu gehen: Derdamalige Ministerpräsident Bayerns, FranzJosef Strauß, schrieb den Kammern am12.11.1982 Wohlwollendes: Das Kabinettwerde tätig, wenn sich denn in der bayeri-schen Anwaltschaft eine überzeugendeMehrheit für diese Konzeption finden werde.Die Folge war eine enorme Reisetätigkeitder von den einzelnen Kammern Beauftrag-ten. Es fanden an vierzehn Orten unseresOberlandesgerichtsbezirks Informations- undDiskussionsveranstaltungen statt, die vonden örtlichen Anwaltsvereinen organisiert,jedoch vor allem engagiert mitgetragen wur-den. Das Konzept wurde gründlich, vielfachkontrovers diskutiert. Das Wetter im Winterwar nicht immer gut; der Kemptener An-waltsverein meinte, die Informationsveran-staltung sei auf dem Buchenberg besondersgut ausgerichtet. Der Schnee lag so hoch,dass der Schneepflug die Straße nicht räu-men konnte, und mit etwa zwei- bis drei-stündiger Verspätung konnte die Veranstal-tung beginnen. Dass die Münchner über-haupt auf den Buchenberg kamen, wareinem allradgetriebenen Fahrzeug zu ver-danken, das dann auch spät nachts – besserfrüh morgens – die Kommission wiederpünktlich zur Wahrnehmung der Kanzlei-arbeit nach München brachte.Neben diesen öffentlichen örtlichen Veran-staltungen erfolgten persönliche Vorspra-chen, Telefongespräche in unendlicher Zahlund von unendlich langer Dauer. Die Infor-mation hatte aber Erfolg.Die vom Gesetzgeber gewünschte Urab-stimmung fand dann im Februar 1983 stattund hatte für den Bereich der Rechtsan-waltskammer München nach dem Protokolldes Wahlausschusses vom 7.3.1983 folgen-des Ergebnis:Von den damals 5.387 stimmberechtigtenMitgliedern der Rechtsanwaltskammer Mün-chen haben sich an der Urabstimmung4.185 beteiligt, das sind also 77,7 % aller

Kammermitglieder. Die Zahl der Ja-Stimmenbetrug 3.142, also 75,8 % der abgegebenenStimmen. Von allen Mitgliedern der KammerMünchen haben 58,3 % mit „Ja“ gestimmtund mit „Nein“ 18,5 %.

Von Nürnberg ist Ähnliches zu berichten. DieWahlbeteiligung dort betrug jeweils über80 %, und jeweils deutlich über 80 % dieserStimmen waren Ja-Stimmen.

Damit war für den Gesetzgeber eine „über-zeugende Mehrheit“ vorhanden. Die Staats-regierung legte den Entwurf eines „Gesetzesüber die Bayerische Rechtsanwaltsversor-gung“ vor und dieses Gesetz hat der Bayeri-sche Landtag – im Übrigen fast einstimmig –am 13.8.1983 beschlossen; es ist am1.1.1984 in Kraft getreten. Die Satzung warvorbereitet. Nach Genehmigung durch Auf-sichtsbehörden und Veröffentlichung imBayerischen Staatsanzeiger ist die Satzungzum 1.3.1984 in Kraft getreten, und damitwar die Bayerische Rechtsanwaltsversor-gung errichtet.

Dass unmittelbar vor Verabschiedung desGesetzes damals Repräsentanten anderer– bayerischer – Versorgungswerke gegen„unser Gesetz“ bohrten, hat damals ge-ärgert, vielleicht auch zu manch geheimenWutausbruch geführt. Nachträglich kann diebayerische Anwaltschaft darüber nur lachen,wenn sie nämlich die Gründe des Wider-stands hört: Unsere Satzung sei zu demo-kratisch – das eben gerade wollten wir.

Diese festen Gründe, auf denen das Versor-gungswerk steht, verdanken wir Vielen, be-sonders aber unserem Freund, Dr. GiselherGralla, der mit unendlicher Zähigkeit, penibelund nie nachgebend, stets freundlich, aberauf der Sache beharrend, geradlinig denWeg suchte und fand, den wir alle danngerne gegangen sind.

Das, was so als demokratische Grundnormvon uns gefordert war, hat sich nun bisheute bewährt. Organ der BayerischenRechtsanwaltsversorgung ist der Verwal-tungsrat als Beschluss- und Kontrollorgansowie – jetzt – die Bayerische Versorgungs-kammer als Geschäftsführungsorgan. DieMitglieder des Verwaltungsrats – ehrenamt-

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lich tätig – werden von den Vorständen derbayerischen Rechtsanwaltskammern vorge-schlagen und vom Bayerischen Staats-ministerium des Inneren als Rechtsauf-sichtsbehörde für jeweils vier Jahre berufen.Der Verwaltungsrat überwacht die Versor-gungskammer bei der Geschäftsführung undbeschließt über die Satzung und derenÄnderungen sowie über die Feststellung desJahresabschlusses, die Wirtschaftsplanungund vieles andere mehr. Aus dem Verwal-tungsrat wird ein Verwaltungsausschuss ge-bildet. Er bereitet Entscheidungen des Ver-waltungsrats vor und unterstützt den Ver-waltungsrat bei der täglichen Überwachungder Geschäftsführung der Versorgungs-kammer. Die Versorgungskammer als Ge-schäftsführungsorgan ist bei bestimmtenGeschäften an die Zustimmung des Ver-waltungsrats gebunden, zum Beispiel beimErwerb, der Bebauung und Veräußerungvon Grundstücken.

Hatten wir zu Beginn die Bayerische Ver-sicherungskammer als Dienstleister gewählt,so hat der Gesetzgeber uns anderes be-schert. Mit Wirkung zum 1.1.1995 wurde dieBayerische Versicherungskammer gesplittet,nämlich in die Versicherungskammer Bayernund in die Versorgungsgruppe BayerischeVersorgungskammer. Mit der BayerischenVersicherungskammer, jetzt also Versiche-rungskammer Bayern, hatten Anwälte häufigemotionale Schwierigkeiten, weil diesesVersicherungsunternehmen ja häufig „Geg-ner“, ja geradezu „Feind“ war, wenn manAnsprüche für Mandanten geltend machte.Aus diesem Gesichtspunkt allein heraus wares sehr begrüßenswert, dass die BayerischeVersorgungskammer gegründet wurde, inder alle bayerischen berufsständischen Ver-sorgungswerke zusammengefasst verwaltetwerden. Zunächst war also der 1.1.1995 mitgroßer Sorge von der Anwaltschaft beäugtworden; allein das Abspalten in diese Ver-sorgungsgruppe „Bayerische Versorgungs-kammer“ hat sich als äußerst segensreicherwiesen. Die Trennung hatte für die An-waltsversorgung auch äußere Zeichen:Bis zum 31.12.1994 hatte den Vorsitz in Sit-zungen des Verwaltungsrats der Präsidentder Bayerischen Versicherungskammer. Seit

1.1.1995 hat den Vorsitz der Vorsitzendedes Verwaltungsrats, Herr Kollege Dr. Grallafür die Jahre 1995 und 1996 und seit 1997der Verfasser dieser Zeilen.Seit dem 1.1.2000 sind die Steuerberater zuuns gekommen. Die Steuerberater hättenwohl ein eigenes Versorgungswerk bei dergeänderten politischen Landschaft nichtmehr „geschafft“, und für jedes Versor-gungswerk kann es nur gut sein, möglichstviele Mitglieder zu haben, denn je größer dieMitgliederzahl ist, desto geringer ist derVerwaltungsaufwand für das einzelne Mit-glied. Die Übergangsschwierigkeiten mitdoppelter Buchführung, etwa, um Steuerbe-rater an stillen Reserven, die über mehr alsein Jahrzehnt die Anwälte geschaffen ha-ben, zu beteiligen, sind beseitigt. Es kannjetzt einheitlich bilanziert werden; die Steu-erberater sind voll integriert.

Das Versorgungswerk ist gewachsen. Es istbesonders gewachsen, als die Steuerberaterzu uns kamen, gerne gekommen, aber auchgerne aufgenommen. Steuerberater im Ver-waltungsausschuss und im Verwaltungsratneben sich als Anwalt sitzen zu haben, ist jabeileibe nicht ehrenrührig, sondern äußerstbefruchtend und im Interesse der Gesamt-heit der Mitglieder außerordentlich produktiv.Im März 1984 wurde das Versorgungs-werk errichtet. Zum Jahresende 1994, alsauch das Gesetz über das öffentliche Ver-sorgungswesen in Kraft trat (25.6.1994) unddie Bayerische Versorgungskammer ge-gründet wurde, hatte das Versorgungswerk8.105 Mitglieder, und zum 31.12.2003 hattedie Bayerische Rechtsanwalts- und Steuer-beraterversorgung 21.326 Mitglieder. DasVersorgungswerk steht auf gesunden Bei-nen. Die wirtschaftliche Situation der An-waltschaft ist äußerst angespannt. Vielenmachen die Mitgliedsbeiträge zum Versor-gungswerk Kummer. Natürlich fällt es jungenKolleginnen und Kollegen schwer, mit müh-sam erkämpften Mandaten und EinkünftenZukunftsvorsorge betreiben zu „müssen“,aber im sozialen Geflecht kann nur Alters-sicherung erfolgen in einer Solidargemein-schaft, und wenn diese berufsständischorganisiert ist, ist der Einzelne dort mitSicherheit am besten aufgehoben.

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Die für die RAK Münchenzuständige Anwalts-gerichtsbarkeit

Wolfgang RadmannRechtsanwaltGeschäftsleitender Vorsit-zender des Anwaltsge-richts München

Dr. Herbert SernetzRechtsanwaltPräsident des Bayeri-schen Anwaltsgerichts-hofs

I. Allgemeines

1. Die Anwaltsgerichtsbarkeit ist weder ge-nerell noch in einzelnen Instanzen ein Teilder Rechtsanwaltskammern. Dennoch be-stehen zwischen den Rechtsanwaltskam-mern und der Anwaltsgerichtsbarkeit inmehrfacher Hinsicht enge regionale, perso-nelle und sachliche Beziehungen.

So wird das Anwaltsgericht, also die I. Ins-tanz der Anwaltsgerichtsbarkeit in Diszipli-narsachen, am Ort der Rechtsanwaltskam-mer für deren Bezirk errichtet (§ 92 Abs. 1BRAO). Richter beim Anwaltsgericht könnennur Rechtsanwälte sein, die der Rechtsan-waltskammer angehören, für deren Bezirkdas Anwaltsgericht gebildet worden ist (§ 94Abs. 1 BRAO). Sie werden auf Vorschlagdes Vorstands der Rechtsanwaltskammervon der Landesjustizverwaltung bzw. vonder dafür ermächtigten Behörde zu Richternam Anwaltsgericht ernannt. Auf der anderenSeite unterliegen der Rechtsprechung desAnwaltsgerichts nur Rechtsanwälte und an-dere Personen, die der Rechtsanwaltskam-mer, für deren Bezirk das Anwaltsgericht er-richtet worden ist, angehören, d.h. auchRechtsbeistände, die der Kammer beigetre-ten sind (§ 209 Abs. 1 BRAO), Geschäfts-

führer von Rechtsanwaltsgesellschaften, dieihren Sitz im Bezirk der Kammer haben(§§ 60 Abs. 15, 2, 115 c BRAO), und aus-ländische Anwälte, die sich im Bereich derRechtsanwaltskammer niedergelassen ha-ben und von der Rechtsanwaltskammer auf-genommen worden sind (§§ 206, 207BRAO). In diesem Sinne besteht das nachIn-Kraft-Treten der BRAO vom 1.8.1959– damals noch unter der Bezeichnung„Ehrengericht“ – errichtete AnwaltsgerichtMünchen bis heute.

Der Anwaltsgerichtshof – das Berufungs-und Beschwerdegericht gegen Entscheidun-gen des Anwaltsgerichts in Disziplinar-sachen und erstinstanzliches Gericht inVerwaltungssachen – wird grundsätzlich beieinem Oberlandesgericht eines Bundeslan-des errichtet. Seine Zuständigkeit erfasstalle Rechtsanwälte und diesen gleichge-stellte Personen, die Mitglieder der Rechts-anwaltskammern dieses Bundeslandes sind.Auch die der Rechtsanwaltschaft ange-hörenden Richter am Anwaltsgerichtshofwerden von der Landesjustizverwaltung aufVorschlag der Rechtsanwaltskammern desBundeslandes ernannt. Die Zahl der auf die-se Weise bestellten Anwaltsrichter soll ver-hältnismäßig der Mitgliederzahl der einzel-nen Rechtsanwaltskammern entsprechen(§ 103 Abs. 3 S. 1 BRAO). Der für das Bun-desland Bayern zuständige Bayerische An-waltsgerichtshof wurde bei dem Oberlan-desgericht München errichtet. Entsprechendder – im Vergleich zu den beiden anderenKammern – außerordentlich großen Zahl derMitglieder der Rechtsanwaltskammer Mün-chen ist auch der Bayerische Anwaltsge-richtshof überwiegend mit Rechtsanwältenbesetzt, die der RechtsanwaltskammerMünchen angehören und die auf deren Vor-schlag von der Landesjustizverwaltung er-nannt werden.

Für die Revision und für die Beschwerdegegen die Nichtzulassung der Revision inDisziplinarsachen ist der Anwaltssenat beimBundesgerichtshof zuständig; in Verwal-tungssachen entscheidet der Anwaltssenatüber die sofortige Beschwerde nach Maß-gabe von § 42 BRAO. Die anwaltlichen Bei-sitzer des Anwaltssenats werden vom Bun-

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desminister der Justiz berufen und zwar auseiner Liste, die das Präsidium der Bundes-rechtsanwaltskammer aufgrund von Vor-schlägen der Rechtsanwaltskammern beidem Bundesjustizminister einreicht. DieBundesrechtsanwaltskammer berücksichtigtdabei traditionell auch die Größe der vor-schlagenden Rechtsanwaltskammern. Dem-entsprechend war in den letzten 25 Jahrenimmer auch ein der Kammer Münchenangehörender Rechtsanwalt beisitzenderRichter im Anwaltssenat des BGH.

2. Das Anwaltsgericht verhandelt und ent-scheidet in mit drei Anwälten – von denenein Anwalt den Vorsitz führt – besetztenKammern als Spruchkörper. Am Anwaltsge-richtshof werden demgegenüber aus fünfMitgliedern bestehende Senate gebildet.Drei Mitglieder des Senats – darunter derVorsitzende – sind Anwälte, zwei Mitgliedersind Berufsrichter aus der Zahl der ständi-gen Mitglieder der Oberlandesgerichte bzw.eines bestehenden Obersten Landesge-richts. Der Anwaltssenat des BGH bestehtaus dessen Präsidenten als Vorsitzendemsowie drei weiteren Mitgliedern des BGHund drei Rechtsanwälten als Beisitzer.

Obwohl das Anwaltsgericht nur mit Rechts-anwälten und der Anwaltsgerichtshof über-wiegend mit Rechtsanwälten besetzt ist,handelt es sich bei beiden Gerichten umeigenständige staatliche Gerichte, die wederin die ordentliche- bzw. in die Verwaltungs-gerichtsbarkeit eingeordnet, noch diesenunterstellt sind. Darin unterscheiden sie sichmaßgeblich von anderen Berufsgerichten.Der Grund dafür liegt in dem ungeschriebe-nen verfassungsrechtlich gebotenen Postu-lat der Unabhängigkeit des Rechtsanwaltsauch gegenüber der übrigen staatlichen Ge-richtsbarkeit.

Der Anwaltssenat des BGH wird dagegennicht als Teil einer eigenständigen Anwalts-gerichtsbarkeit betrachtet; er wird vielmehrals ein mit Spezialaufgaben betrauterSpruchkörper des BGH angesehen. Insofernist er einem staatlichen Gericht zugehörigund davon nicht unabhängig. Nachdem derAnwaltssenat – zumindest in Verwaltungs-sachen – auch Tatsacheninstanz ist, kann

man diese Regelung nicht als bedenkenfreiansehen. Eine Änderung de lege ferendawürde allerdings eine Reform der Artikel 95,96 GG voraussetzen.

II. Die für die Anwaltsgerichtsbarkeitmaßgeblichen Gesetzes- undVerfahrensänderungen seit 1979

Aufgabe der Anwaltsgerichtsbarkeit ist dieRechtsprechung in den beruflichen Ange-legenheiten der Rechtsanwälte und derweiteren Mitglieder der Rechtsanwaltskam-mern. Dazu gehören die Verhandlung undEntscheidung von Disziplinarsachen und dieNachprüfung von Verwaltungsentscheidun-gen, wie insbesondere die Zulassung zurRechtsanwaltschaft und deren Widerruf.

1. Das der Rechtsprechung der Anwaltsge-richtsbarkeit zu Grunde liegende materielleBerufsrecht (das Recht der Berufspflichten)hat in den letzten 25 Jahren mehrfache Än-derungen erfahren. Es können im Folgendennur die wesentlichen genannt werden.

a) Seit In-Kraft-Treten der Rechtsanwalts-ordnung von 1878, d.h. seit 125 Jahren, sinddie berufsspezifischen Pflichten (Standes-pflichten) des Anwalts in einer General-klausel allgemein umschrieben, die in denspäteren Neuregelungen des Anwaltsrechts(Reichsrechtsanwaltsordnung von 1936;Bundesrechtsanwaltsordnung von 1959)sprachlich geringfügig geändert wurde, inihrem materiellen Gehalt aber bis heutegleich geblieben ist. Danach hat der Rechts-anwalt seinen Beruf gewissenhaft auszu-üben und sich innerhalb und außerhalb desBerufs der Achtung und des Vertrauens,welche die Stellung des Rechtsanwalts er-fordert, würdig zu erweisen (§ 43 BRAO).

b) Die Ausfüllung und Konkretisierung derGeneralklausel überließ die BRAO einerFeststellung der Bundesrechtsanwaltskam-mer in Form von Richtlinien (Standesricht-linien); die Bundesrechtsanwaltskammersollte dabei die allgemeine Auffassung überFragen der Ausübung des Anwaltsberufsermitteln. Der Umstand, dass sich allgemei-ne Auffassungen in der Zeit ändern, hatdie Bundesrechtsanwaltskammer veranlasst,

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die 1959 schon bestehenden Standesricht-linien mehrfach zu novellieren (1963 und1973). Die so festgestellten Standesricht-linien waren vom Bundesverfassungsgerichtin mehreren Entscheidungen als ein „we-sentliches Hilfsmittel für die Konkretisierungder anwaltlichen Berufspflichten“ anerkannt(zuletzt: BVerfGE 66, 337, 356 = NJW 1984,S. 2341). Nach zahlreichen kritischen Stel-lungnahmen in der Literatur hat das Bun-desverfassungsgericht seine Bewertung derStandesrichtlinien durch zwei Beschlüssevom 14.7.1987 (BVerfGE 76, 171 = NJW1988, S. 191; 194) geändert. Das Bundes-verfassungsgericht sah von da an die Stan-desrichtlinien nicht mehr als Hilfsmittel zurAuslegung und Konkretisierung der Gene-ralklausel über die anwaltlichen Berufs-pflichten an. Es gestand ihnen eine rechts-erhebliche Bedeutung nur noch für eineÜbergangszeit bis zu einer Neuordnung desanwaltlichen Berufsrechts zu, soweit ihreHeranziehung für die Aufrechterhaltung derFunktionsfähigkeit der Rechtspflege uner-lässlich war. Die Anwaltsgerichtsbarkeitmusste sich danach mit einem überwiegendungeschriebenen, lediglich durch punktuelleVorgaben des Bundesverfassungsgerichtsbestimmten Übergangsrecht behelfen. Biszum Erlass einer durch die Satzungskom-petenz der Rechtsanwaltskammern ge-deckten Berufsordnung sollte als Grundlagefür die Einschränkung der anwaltlichen Be-rufsausübung neben vorkonstitutionellemGewohnheitsrecht nur die Generalklauselselbst und ihre Auslegung durch die ehren-gerichtliche Rechtsprechung herangezogenwerden dürfen. Die Schwäche der general-klauselartigen Umschreibung der Berufs-pflichten sollte nach den Vorstellungen desBundesverfassungsgerichts bis zur Behe-bung des Mangels durch eine Berufsord-nung auch durch eine zurückhaltende undunter Konzentration auf ihren Kerngehalt be-stimmte Heranziehung der in den Richtliniengenannten Pflichten ausgeglichen werden.

Die durch die Entscheidungen des Bundes-verfassungsgerichts ausgelöste Übergangs-zeit wurde – entgegen den ursprünglichenErwartungen des Bundesverfassungsge-richts – nicht sofort durch Erlass einer Be-

rufsordnung beendet, sondern vielmehrdurch das Gesetz zur Neuordnung des Be-rufsrechts der Rechtsanwälte und Patentan-wälte vom 2.9.1994 (BGBl I, S. 2278). Erstdieses Gesetz hat durch Ergänzung derBRAO um § 59 b und die §§ 191 a – 191 ddie Grundlage geschaffen für den Erlasseiner Berufsordnung als Satzung, wofür eineSatzungsversammlung bei der Bundes-rechtsanwaltskammer einzurichten war. Be-vor es jedoch zur Konstituierung der Sat-zungsversammlung und zu dem Erlass derBerufsordnung kam, hat das gleiche Gesetzdie in der Generalklausel des § 43 BRAOgenannten anwaltlichen Berufspflichten durchErgänzung der BRAO um die §§ 43 a – c,45, 46, 49 b, 50, 51, 51 a und 56 wesentlichverändert und erweitert. Die neuen ergän-zenden Bestimmungen der BRAO normier-ten nunmehr die wichtigsten aus der Gene-ralklausel des § 43 BRAO hervorgehendenGrundpflichten des Anwalts in Gesetzes-form. Dazu gehören etwa die Pflicht zurWahrung der Unabhängigkeit und der Ver-schwiegenheit, das Verbot der Wahrneh-mung widerstreitender Interessen, das Ge-bot zur Sachlichkeit und zur Sorgfalt bei derBehandlung fremden Vermögens und dieVerpflichtung zur Fortbildung (§ 43 a BRAO).Zum Teil wurden die Pflichten über be-schränkte Erlaubnistatbestände konkreti-siert, wie etwa hinsichtlich der Werbung(§ 43 b BRAO) und hinsichtlich der Führungvon Fachanwaltsbezeichnungen (§ 43 cBRAO); zum Teil wurde der Gefahr des Ein-gehens von Interessenskollisionen bzw. desVerlusts der anwaltlichen Unabhängigkeitdurch bestimmte Tätigkeitsverbote vorzu-beugen versucht (§§ 45, 46 BRAO). Durchdiese Bestimmungen wurde allgemein, undzwar schon für die Zeit vor Erlass der Be-rufsordnung, eine weitere Anwendung derStandesrichtlinien – in dem eingeschränktenSinne, den das Bundesverfassungsgerichtnoch vorgegeben hatte – für obsolet ange-sehen.

Die Satzungsversammlung bei der Bundes-rechtsanwaltskammer hat dann nach langenBeratungen auf der Basis der Ermächtigungin § 59 b BRAO eine Berufsordnung undeine Fachanwaltsordnung beschlossen, die

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nach Veröffentlichung in den BRAK-Mit-teilungen (1996, S. 241) am 11.3.1997 inKraft getreten sind (BRAK-Mitt. 1997,S. 1981). Die Berufsordnung und die Fach-anwaltsordnung haben seitdem mehrereÄnderungen erfahren; die Berufsordnung giltderzeit in der Fassung vom 1.7.2003 und dieFachanwaltsordnung in der Fassung vom1.9.2003. Mit diesen satzungsmäßigen Re-gelungen wurde Ersatz geschaffen für dienach den Beschlüssen des Bundesverfas-sungsgerichts von 1987 nicht mehr anwend-baren Standesrichtlinien. Die Konkretisie-rung der aus einer Generalklausel hervorge-henden Grundpflichten war nunmehr durchdie gesetzlich begründete Normsetzungs-befugnis der Satzungsversammlung ge-deckt.

Eine lediglich temporäre Wirkung auf dasBerufsrecht der Rechtsanwälte hatte dasnoch von der Volkskammer der DDR am13.9.1990 verabschiedete Rechtsanwaltsge-setz. Es war – nicht zuletzt durch die Mitar-beit des Bundesjustizministeriums an sei-nem Entwurf – in Teilen moderner als dieBRAO. Einzelne dort vorgesehene Neu-regelungen – wie z.B. die überörtlicheSozietät – wurden schon durch den Eini-gungsvertrag mit Wirkung vom 3.10.1990wieder aufgehoben; andere Bestimmungenblieben noch für den Bereich der so ge-nannten neuen Bundesländer bis zum In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Neuordnungdes Berufsrechts vom 3.9.1994 in Kraft. Da-nach gilt in der gesamten wiedervereinigtenBundesrepublik Deutschland allein die neu-gefasste BRAO. Für die Rechtsprechung derAnwaltsgerichtsbarkeit in Bayern hatten dieBestimmungen des Rechtsanwaltsgesetzesnur marginale Wirkungen, etwa, wenn An-wälte versuchten, sich Differenzen der Ge-setzeslage grenzüberschreitend zu Nutze zumachen.

Von bleibender Wirkung sind demgegenüberdie Berufsregeln der Rechtsanwälte derEuropäischen Union in der Fassung derCCBE-Vollversammlung vom 28.11.1998.Diese finden nach § 29 der Berufsordnung inallen Fällen grenzüberschreitender Tätigkeitanstelle der Berufsordnung Anwendung.

2. Auch die Rechte und Befugnisse derAnwaltschaft sind in den vergangenen25 Jahren verändert – und zwar regelmäßigerweitert – worden. Nicht immer hat der Ge-setzgeber diese Änderungen von sich ausvorgenommen; mehrfach bedurfte es viel-mehr eines Anstoßes der Gerichte, insbe-sondere des Bundesverfassungsgerichts.Folgende Änderungen sind bemerkenswert:– Mit Wirkung ab 1.1.2001 hat das Bundes-

verfassungsgericht die bis dahin geltendebeschränkte zivilprozessuale Postula-tionsfähigkeit der Rechtsanwälte (§ 78ZPO) aufgehoben. Gleiches geschah inBezug auf die in einigen Bundesländerngeltende Singularzulassung bei Oberlan-desgerichten. Das Bundesverfassungsge-richt sah hierbei einen Vorrang desGrundrechts der Berufsfreiheit gem.Art. 12 GG vor den bis dahin angenom-menen Vorteilen einer Beschränkung derPostulationsfähigkeit bei nur einem Land-gericht bzw. der Singularzulassung beieinem Oberlandesgericht.

– Angestoßen durch die genannte Recht-sprechung hat der Gesetzgeber danachdurch das Gesetz zur Änderung desRechts der Vertretung durch Rechtsan-wälte vor den Oberlandesgerichten vom23.7.2002 die Postulationsfähigkeit inZivilsachen vor den Oberlandesgerichtenallen bei einem OLG zugelassenenRechtsanwälten zugestanden.

– Durch das Gesetz über die Partner-schaftsgesellschaften Angehöriger FreierBerufe vom 25.7.1994 wurde denRechtsanwälten wie anderen Freiberuf-lern eine der OHG angenäherte eigen-ständige Gesellschaftsform zur Ver-fügung gestellt, die nach den Intentionenihrer Befürworter in erster Linie eine Be-schränkung der Haftung für Fälle fehler-hafter Berufsausübung bringen sollte.Nach § 8 Abs. 2 PartGG haften Gesell-schafter der Partnerschaftsgesellschaftgrundsätzlich nicht neben der Gesell-schaft für die beruflichen Fehler einesanderen Partners, wenn dieser allein mitder Bearbeitung des Auftrags befasstwar. Die Bedeutung dieser Gesell-schaftsform für Rechtsanwälte ist aller-

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dings später relativiert worden durch dieZulassung eines Zusammenschlusses ineiner Kapitalgesellschaft.

– Wiederum ein Gericht, nämlich das Baye-rische Oberste Landesgericht, hat denRechtsanwälten die Wahl einer Kapital-gesellschaft als Rechtsform ihres Zu-sammenschlusses eröffnet (Beschl. v.24.11.1994: GmbH; Beschl. v. 27.3.2000:Anwaltsgericht). Der Gesetzgeber hatdem ersten dieser Beschlüsse durch Auf-nahme der §§ 59 c bis 59 m in die BRAORechnung getragen. Ein Zusammen-schluss von Rechtsanwälten in der Formeiner GmbH ist danach zulässig. Die Ge-schäftsführer einer als Rechtsanwaltsge-sellschaft zugelassenen GmbH sind,auch soweit sie nicht Rechtsanwälte sind,Mitglieder der Rechtsanwaltkammer undunterliegen insofern der Rechtsprechungder Anwaltsgerichte. Zur Frage der Zu-lässigkeit eines Zusammenschlusses vonRechtsanwälten in Aktiengesellschaftenhat der Gesetzgeber bisher – offenbarbewusst – keine Aussage getroffen. DieZulässigkeit wird in der Literatur fast ein-hellig bejaht. Eine analoge Anwendungder Bestimmungen über die Anwalts-GmbH im Ganzen ist aber wohl nicht zu-lässig. Wegen der bestehenden großenRechtsunsicherheit ist darum dringendeine gesetzliche Regelung erforderlich.

– Die als ursprünglich einzige Gesell-schaftsform für zulässig angesehene So-zietät (Gesellschaft bürgerlichen Rechts)war bis zur Novellierung des Berufsrechtsder Rechtsanwälte und der Patentanwältevom 2.9.1994 gesetzlich nicht geregelt.Nachdem das Bundesverfassungsgerichtdurch die bereits erwähnten Beschlüssevom 14.7.1987 die Standesrichtlinienaußer Kraft gesetzt und nachdem derEuGH durch Urteil vom 25.2.1988 aus-ländischen Rechtsanwälten aus dem Be-reich der Europäischen Gemeinschaftden Zugang zu allen deutschen Gerichten– mit Ausnahme des BGH – eröffnet hat-te, wäre es als eine Benachteiligung derdeutschen Anwaltschaft angesehen wor-den, wenn diese weiterhin in Zivilsachennur vor dem Landgericht ihrer jeweiligen

Zulassung hätte auftreten dürfen. DiePraxis behalf sich darum mit der Grün-dung überörtlicher Sozietäten. Erstmalszugelassen wurde eine solche Sozietätdurch die Rechtsanwaltskammer Düssel-dorf im Jahre 1989. Noch im gleichenJahr bestätigte der BGH die Zulässigkeitder überörtlichen Sozietät. Durch dieNovellierung der BRAO 1994 und ihreErgänzung um § 59 a folgte der Gesetz-geber darum nur einer national wie inter-national gängigen Praxis. Zugleich wur-de die interprofessionelle Zusammenar-beit zwischen Rechtsanwälten einerseitsund Rechtsbeiständen, Patentanwälten,Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten,Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buch-prüfern andererseits in einer Sozietät zurgemeinschaftlichen Berufsausübung er-laubt.

3. Eine weitere Ausdehnung der von derAnwaltsgerichtsbarkeit zu bewältigenden Auf-gaben wurde durch die zunehmendeInternationalisierung der Tätigkeit der An-waltschaft ausgelöst. Impulsgeber gesetzli-cher Regelungen dieser Aktivitäten war inerster Linie der Rat der Europäischen Ge-meinschaft, der die aus Art. 39 ff.EG-Vertrag sowie aus Art. 28 ff. EWR-Abkommen abgeleiteten Grundsätze desfreien Personenverkehrs durch Erlass vonRichtlinien in die Tat umzusetzen versuchte.

Mit einiger Verspätung hat der deutsche Ge-setzgeber durch das Gesetz vom 16.8.1980der Richtlinie des Rats der EuropäischenGemeinschaften vom 22.3.1977 zur Er-leichterung der tatsächlichen Ausübung desfreien Dienstleistungsverkehrs der Rechts-anwälte Rechnung getragen. Danach durftenAnwälte der Mitgliedsstaaten der Europäi-schen Gemeinschaft und von Vertragsstaa-ten des Abkommens über den EuropäischenWirtschaftsraum Tätigkeiten eines Rechts-anwalts nach den Bestimmungen des Ge-setzes auch in der BundesrepublikDeutschland entfalten. Da für die Ausübungsolcher Tätigkeiten nicht die Zugehörigkeitzu einer deutschen Rechtsanwaltskammererforderlich war, andererseits aber von den

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ausländischen Rechtsanwälten das deut-sche Anwaltsberufsrecht beachtet werdenmusste, wurden sie der Aufsicht bestimmterRechtsanwaltskammern unterstellt. So wur-de etwa der Rechtsanwaltskammer Mün-chen die Aufsicht für Personen aus Italienund Österreich übertragen (§ 6 Abs. 4 dRADG). Zugleich wurde klargestellt, dass dieso bezeichneten Personen der deutschenAnwaltsgerichtsbarkeit unterstehen. Für ört-lich zuständig wurde das Anwaltsgericht amSitz der Rechtsanwaltskammer bestimmt,welche die Aufsicht über die in Deutschlandtätigen ausländischen Anwälte auszuübenhatte.

Das Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetzwurde später durch das Gesetz zur Umset-zung von Richtlinien der Europäischen Ge-meinschaft auf dem Gebiet des Berufsrechtsder Rechtsanwälte vom 9.3.2000 abgelöst(EuRAG). Dessen § 32 bestätigte, dass dieso genannten dienstleistenden europäischenRechtsanwälte von den zuständigen Rechts-anwaltskammern wegen der Erfüllung der fürsie geltenden Berufspflichten zu beaufsichti-gen sind. Insofern wurden sie zugleich derdeutschen Anwaltsgerichtsbarkeit unterstellt.

Es blieb bei der Aufsicht der Rechtsanwalts-kammer München für dienstleistende euro-päische Rechtsanwälte aus Italien undÖsterreich und bei der Zuständigkeit desAnwaltsgerichts München für die Entschei-dung über Ahndungen bei Verletzung an-waltlicher Berufspflichten. Mit dem EuRAGwurde u.a. auch die Niederlassung von An-wälten der Mitgliedsstaaten der EU bzw. desEWR in Deutschland geregelt (§§ 2 – 15).Die Neuregelung der Niederlassungsmög-lichkeit machte § 206 Abs. 1 BRAGO a.F.überflüssig; die Bestimmung wurde deswe-gen aufgehoben. Der niedergelassene euro-päische Rechtsanwalt war schon wegen sei-ner Aufnahme in die zuständige Rechtsan-waltskammer der deutschen Anwaltsge-richtsbarkeit unterworfen.

In den Regelungsbereich der §§ 206 und207 BRAO fallen nur noch Angehörigeder Vertragsstaaten der Welthandelsorgani-sation (§ 206 Abs. 1 BRAO) und diesen

gleichgestellte Angehörige anderer Staaten(§ 206 Abs. 2 BRAO).

4. a) Das anwaltsgerichtliche Verfahren inDisziplinarsachen bestimmt sich nach eini-gen Vorschriften der BRAO und ansonstennach der Strafprozessordnung. WesentlicheÄnderungen des Verfahrensrechts hat es inden letzten 25 Jahren nicht gegeben.b) Als Verfahrensordnung für das Verfahrenin Verwaltungssachen vor dem Anwaltsge-richtshof gilt das Gesetz über die Ange-legenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.In den vergangenen Jahren sind mehrfachInitiativen ergriffen worden, anstelle desFGG die Verwaltungsgerichtsordnung zurVerfahrensordnung in Verwaltungssacheneinzuführen. Die Meinungen über die Zweck-mäßigkeit einer solchen Änderung warenaber – z.B. in der Arbeitsgemeinschaft derAGH-Präsidenten – geteilt. Zu einer Geset-zesnovellierung ist es nicht gekommen.c) Dagegen hat das Gesetz zur Änderungdes Berufsrechts der Rechtsanwälte und derPatentanwälte vom 13.12.1989 das Verwal-tungsverfahren betreffend die Erteilung, dasErlöschen, die Rücknahme und den Widerrufder Zulassung zur Rechtsanwaltschaft inwesentlichen Punkten geändert und präzi-siert. Damit verbunden war die Ergänzungder BRAO durch eine Grundsatzbestimmungfür das Verwaltungsverfahren in Form des§ 36 a BRAO. Der verwaltungsrechtlicheAuffangtatbestand in § 223 BRAO wurdedurch das gleiche Gesetz dahingehend er-weitert, dass nunmehr gegen Entscheidun-gen des AGH eine sofortige Beschwerde anden BGH – wenn sie der AGH zulässt –möglich ist.

5. Die folgenden organisatorischen Ände-rungen waren für die Anwaltsgerichtsbarkeitvon Bedeutung:

– Durch das Gesetz zur Neuordnung desBerufsrechts der Rechtsanwälte vom2.9.1994 wurden die Bezeichnungen dereigenständigen Gerichte in Anwalts-sachen geändert. Aus den bis dahin„Ehrengericht“ benannten Disziplinarge-richten I. Instanz wurden die „Anwaltsge-richte“; die Berufungs- und Beschwerde-

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gerichte in Disziplinarsachen undzugleich Verwaltungsgerichte I. Instanz-sollten nicht mehr „Ehrengerichtshof“heißen, sondern nunmehr „Anwaltsge-richtshof“. In der Sache hat diese Umbe-nennung keine neue Gerichtsbarkeitgeschaffen.

– Durch Gesetz vom 10.7.1998 wurde derBRAO ein neuer § 224 a zugefügt. We-sentlicher Inhalt dieser Bestimmung wardie Möglichkeit, das Zulassungs-verfahren zur Rechtsanwaltsschaft durchRechtsverordnung der Länder denRechtsanwaltskammern zu übertragen.Davon haben die Landesjustizverwal-tungen im Wesentlichen Gebrauch ge-macht.

– Aufgrund der Ermächtigung in § 224BRAO hat die Bayerische Justizverwal-tung die Aufsicht über die Anwaltsge-richte und die Rechtsanwaltskammernden Präsidenten der Oberlandesgerichteübertragen. Diese Entwicklung erscheintbedenklich. Sie führt dazu, dass die An-waltschaft, sowohl was ihr Selbstverwal-tungsorgan anbelangt, wie auch was dieRechtsprechung der Anwaltsgerichte inDisziplinarsachen I. Instanz betrifft, derAufsicht eines staatlichen Gerichts unter-liegt. Das ist mit der Unabhängigkeit desAnwalts gegenüber allen staatlichen Ge-richten nur schwer zu vereinbaren.

III. Das Anwaltsgericht für den Bereichder RAK beim dem OLG München

1. Am Anwaltsgericht München sind vierKammern gebildet, die mit je fünf ehrenamt-lichen Richtern besetzt sind. Die Kammerntagen jeweils in zwei Spruchgruppen, be-stehend aus dem Vorsitzenden und zweiBeisitzern.

2. a) In den vergangenen 25 Jahren hatsich nicht nur das Bild von und in derAnwaltschaft gewandelt. Das am Anfangnoch unveränderlich erscheinende „Koordi-natensystem“ erfuhr nicht zuletzt durch dieUrteile des Bundesverfassungsgerichts vom14.7.1987 (BVerfGE 76, 171, 196) einen

maßgeblichen Wandel, da das Gericht dieGeltung der in Einklang mit § 177 Abs. 2Nr. 2 a.E. erlassenen Richtlinien nicht als„ausreichende normative Grundlage für Ein-griffe in die Berufsausübungsfreiheit“ (Feue-rich-Braun), sondern lediglich als „Erkennt-nisquelle“ für die in ihnen festgestelltenStandesauffassungen gelten lassen wollte.

Seit diesen maßgebenden Entscheidungenkonnte sich das Anwaltsgericht München fürdie Übergangszeit bis zum In-Kraft-Tretender neuen und verfassungsgemäß wirksamgewordenen Berufsordnung bei der Findungseiner Urteile nur auf die Generalklausel des§ 43 BRAO in Verbindung mit der Bewertungstützen, ob nach Auffassung des Gerichtes„Kernbereiche“ anwaltlich gebotenen Ver-haltens verletzt waren. Zu diesen Kernberei-chen zählten und zählen insbesondere dasVerbot der Vertretung widerstreitender Inte-ressen, der Umgang mit der Wahrheits-pflicht, die sorgfältige Handhabung der demMandanten gebührenden Vermögenswerteund das Gebot der Sachlichkeit.

b) Die Vorgaben des Bundesverfassungsge-richts sind aber nicht nur für die „formale“Seite der Rechtsprechung der Anwaltsge-richte maßgeblich geworden. Als von be-sonderer Bedeutung haben sich vielmehrseine Entscheidungen im Zusammenhangvon Art. 12 GG erwiesen. Die Freiheit derBerufsausübung genießt beim oberstendeutschen Verfassungsorgan höchsten Stel-lenwert, wie sich insbesondere in einer Kettevon Entscheidungen zu Fragen der Zuläs-sigkeit der Werbung und zuletzt im Zusam-menhang mit der Verfassungswidrigkeit desin § 3 Abs. 2 BORA enthaltenen Verbots(widerstreitende Interessen und Sozietäts-wechsel) vom 3.7.2003 (AnwBl 2003,S. 521) zeigt.

Die Anwaltsgerichte nehmen diese Vor-gaben dann besonders ernst, wenn esdarum geht, die nach § 114 Abs. 1 Ziffern 4und 5 BRAO gegen eine/n Betroffene/nmöglichen Verbote, auf bestimmten Rechts-gebieten als Vertreter und Beistand für einebestimmte Dauer tätig zu werden, sowie (alsultima ratio) gar die Ausschließung aus derRechtsanwaltschaft zu beschließen.

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c) Mit dem 11.3.1997 ist die neue Berufs-ordnung in Kraft getreten. Die Entscheidun-gen des Anwaltsgerichts haben sich an derGeneralklausel des § 43 BRAO i.V.m. derNeuregelung des § 113 BRAO jedoch nurauf der Basis konkret bestimmter Einzel-pflichten orientiert, wie sie sich aus derBORA, aber auch aus den allgemeinen Ge-setzen (z.B. §§ 677 ff. BGB) ergeben.

3. Die anwaltsgerichtlichen Verfahren

a) Die Anzahl der so zu entscheidendenVerfahren hat sich trotz des rapiden Anstei-gens der Zulassungszahlen von Rechtsan-wälten/innen in den letzten 10 Jahren nichtwesentlich erhöht. Jede der vier Kammernhat durchschnittlich zwischen 25 und 30„Eingänge“ p.a.

Grund für diese Entwicklung ist in ersterLinie die Tatsache, dass durch den Wegfallder Standesrichtlinien und durch eine immerliberaler werdende Rechtsprechung vielefrüher als Verletzung von Berufspflichtenangesehenen Sachverhalte nicht mehr zueiner Anschuldigung führten.

b) Durch die im Vorstehenden angesproche-nen Veränderungen der Gesetzeslage, aberauch aufgrund der Rechtsprechung desBundesverfassungsgerichts haben sich dievom Anwaltsgericht zu entscheidenden typi-schen Fälle verändert. Während zu AnfangFälle angeschuldigter unzulässiger Werbungeinen nicht unerheblichen Teil der Recht-sprechung des Anwaltsgerichts ausmachten,hat sich dieser Bereich – abgesehen voneinigen Verfahren nach § 74 a BRAO – imanwaltsgerichtlichen Verfahren weitgehenderledigt.

Einen Schwerpunkt bilden dagegen weiter-hin Verfahren, denen ein rechtskräftig abge-schlossenes Straf- oder Bußgeldverfahrenvorausgegangen ist. Falls in diesem Verfah-ren ein Urteil erging, sind dessen Fest-stellungen gemäß § 118 Abs. 3 BRAO fürdas Anwaltsgericht bindend. Im Falle einesvorausgegangenen Strafbefehls, Bußgeld-bescheides oder Steuerstrafbescheides giltdiese Bindung nicht (vgl. BGH NJW 1999,S. 2288); es muss also der gesamte im Spielstehende Sachverhalt durch das Anwaltsge-

richt aufgeklärt werden. Ferner ist von eineranwaltsgerichtlichen Ahndung (vgl. § 115 bBRAO) abzusehen, wenn nicht

– eine anwaltsgerichtliche Maßnahme zu-sätzlich erforderlich ist, um den Rechts-anwalt zur Erfüllung seiner Pflichtenanzuhalten,

– und das Ansehen der Rechtsanwalt-schaft ohne diese anwaltlich gerichtlicheMahnung nicht gewahrt wäre.

Die Mehrzahl der vom Anwaltsgericht zuentscheidenden Fälle betrifft jedoch Sach-verhalte, in denen der oder die Betroffenedas ihm/ihr übertragene Mandat im Wegeder Untätigkeit vernachlässigt und/oder nichtordnungsgemäß abgerechnet hat, in denener/sie Anfragen von später durch ent-täuschte Mandanten bemühte Kollegen nichtoder nicht unverzüglich beantwortete unddann „konsequenterweise“ auch seine/ihreVerpflichtungen gegenüber dem Vorstandder Rechtsanwaltskammer (§§ 56 BRAO mit24 BO) nicht erfüllte.

Hierbei sollte nicht verkannt werden, dassauch tragische Einzelschicksale Ursache fürVerfehlungen gewesen sein können; demwird selbstverständlich in der Rechtspre-chung voll Rechnung getragen.

Die meisten solcher Fälle sind jedoch da-durch gekennzeichnet, dass von den Kolle-gen der „Kopf in den Sand gesteckt“ wurde.Häufig hätte ein langwieriges und belasten-des Verfahren vermieden werden können,wenn die Betroffenen begangene Fehlerrechtzeitig nicht nur sich selbst eingestan-den, sondern auch dem (ehemaligen) Man-danten bzw. dessen neuen Bevollmächtig-ten, spätestens gegenüber der RAK, also„nach außen“ bekannt hätten. Niemand istfehlerfrei; diese Erkenntnis führt zu kolegia-lem Verständnis einer Richterbank, welchein erster Instanz ausschließlich mit Anwältin-nen bzw. Anwälten besetzt ist. Wie oft, aber,hätte auch ein rechtzeitig mit einem Mitglieddes Vorstands der RAK geführtes Gesprächdazu beigetragen, unangenehme Folgen fürdie/den Betroffene(n) abzuwenden!

Bemerkenswert und angemessen zu ahndensind allerdings solche Fälle, bei denen

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der/die Betroffene/n ihr/sein Versagen durcheine (zu) späte unlautere Aktivität zu vertu-schen sucht.

Die vier Kammern des Anwaltsgerichts ken-nen hierfür betrübliche, bisweilen auch dieGrenzen zur Komik überschreitende Bei-spiele. So ist es einem Kollegen, der ausUnachtsamkeit einen Schadensersatzan-spruch hatte verjähren lassen, vor einigenJahren „gelungen“, ein komplettes Urteil ei-nes norddeutschen Amtsgerichts nicht nurzu „erfinden“, sondern auch für den Man-danten, welcher mit der „Entscheidung“durchaus nicht unzufrieden war, verfäl-schend zu dokumentieren. Hätte der Kolle-ge, der sein Produkt in seinen Weihnachtsfe-rien durchaus schlüssig und pfiffig formulierthatte, der „Verurteilung“ der Beklagten aucheine entsprechende Zahlung an den Klientenfolgen lassen, woran ihn freilich sein Kon-tenstand hinderte, wäre der Fall – bedenkli-cherweise – nie Gegenstand eines strafge-richtlichen und dann anwaltsgerichtlichenVerfahrens geworden.

c) Vor diesem Hintergrund bleibt die berufs-rechtliche Tätigkeit der Anwaltsrichterinnenund Anwaltsrichter ebenso sinnvoll wie un-verzichtbar.

4. Personalien

Am Anwaltsgericht München waren in denletzen 25 Jahren als Anwaltsrichter tätig:

Aschauer AnnekeBall Dr. WalterBerg-Grünewald Dr. ChristineDecken Angelica von derDemuth KlausDiepold Dr. HugoDürksen GerhardErbach GüntherEschenweck ErnstFischer Dr. HansFleschutz Dr. PeterFörster GrabrieleFrey Dr. PeterGeiersberger Dr. DorisGeissler WalterHase Dr. Andreas von

Klausa Georg-MichaelKolb Dr. Hans UlrichKörbitz Dr. WolfgangKüchenhoff WaltrautKügle Dr. PeterLang BrunoLiberta AchimLohberger Dr. IngramMaischein Dr. ManfredNeumann Dr. WalterPass Dr. BunoPauli Dr. GerdRegnault Dr. ClausRojahn Dr. SabineRoth HansSchade HorstSchall-Riaucour Graf GeorgSchmaltz GeorgSchroeder JosefSchulte Maria-TheresiaSchultz MichaelSottung Dr. RudolfThen Hans-GeorgThielmann Mortimer Freiherr vonWalther Dr. DieterWirsing Dr. Georg

Folgende Anwälte waren Vorsitzende einerKammer:

Bauer Dr. KlausBrückner JoachimDiepold Dr. HugoErbach GüntherGeissler WalterKörbitz Dr. WolfgangNeumann Dr. WalterSchroeder JosefSottung Dr. RudolfWerner Dr. Peter

Diese Rechtsanwälte waren geschäfts-leitende Vorsitzende des AnwaltsgerichtsMünchen:

Erbach GüntherNeumann Dr. WalterTimm Niels C.

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Im Jubiläumsjahr 2004 ist das Anwaltsge-richt mit den folgenden Anwaltsrichtern be-setzt:

Geschäftsleitender Vorsitzender:

Radmann Wolfgang

Vorsitzende Richter:

Dingfelder WolfgangImhoff Hans-PeterLutz Franz

Beisitzer:

Bauer Dr. FlorianBubendorfer FriedemannBuntrock JürgenGirshausen HartmutHantke Dr. DietmarHerzog EstherKirchmann Dr. HubertKube Klaus-PeterLehmpuhl AnnelieseLeskien UtaLietz JürgenMaier Bernd G.Rubach WalterSchuppenies Dr. PeterStruck-Sachenbacher AndreasZapp Dr. Michael

IV. Der Bayerische Anwaltsgerichtshof

1. Der bei dem Oberlandesgericht Mün-chen errichtete Bayerische Anwaltsgerichts-hof hatte zunächst vier Senate, die jeweilsmit 9 Mitgliedern besetzt waren. Die Senatehatten in der Besetzung eines Rechtsan-walts als Vorsitzendem sowie zwei Berufs-richtern und zwei weiteren Rechtsanwältenals Beisitzer zu verhandeln und zu entschei-den.

2. Während zu Anfang die Disziplinar-sachen überwogen – zwei Senate warenausschließlich mit Disziplinarsachen befasst,ein weiterer Senat wurde zur Hälfte in Dis-ziplinarsachen und zur Hälfte in Ver-waltungssachen tätig, während sich der4. Senat ausschließlich mit Verwaltungssa-chen zu befassen hatte, überwiegt heute die

Zahl der Verwaltungssachen. Die Diszi-plinarsachen gingen nach den Entscheidun-gen des Bundesverfassungsgerichts vom14.7.1987 und im Verlauf der danach ver-kündeten Gesetzesnovellen eher zurück. Siewerden heute insgesamt von zwei Senatenbewältigt. Die Verwaltungssachen nahmendagegen mit der steigenden Zahl der Zulas-sungsanträge in extremer Weise zu. Auf An-trag des AGH-Präsidenten hat darum dasBayerische Staatsministerium der Justizdurch Bekanntmachung vom 15.6.2001 mitWirkung ab 1.7.2001 einen 5. Senat errich-tet. Nach der derzeit geltenden Geschäfts-verteilung sind der 1. und der 5. Senat desBayAGH ausschließlich mit der Erteilung,der Rücknahme und dem Widerruf der Zu-lassung zur Rechtsanwaltschaft befasst,während der 4. Senat für alle übrigen Ver-waltungssachen zuständig ist. Die Entschei-dung über Berufungen und Beschwerden inDisziplinarsachen sind dagegen dem 2. unddem 3. Senat vorbehalten.

3. a) Die Entwicklung der Disziplinar-sachen beim BayAGH ist von den gleichenUmständen bestimmt, wie sie oben für dasAnwaltsgericht München genannt wordensind.

b) In Verwaltungssachen ist demgegenübereine erhebliche Zunahme der Fälle zubeobachten, in denen die Zulassung wegenVermögenslosigkeit des Anwalts widerrufenoder eine Zulassung verweigert wird. Dieextrem steigende Zahl der Anwälte hatoffensichtlich dazu geführt, dass viele vonihnen nicht über ein ausreichendes Ein-kommen verfügen, um ihren jeweiligen Ver-pflichtungen korrekt nachkommen zu kön-nen. Bezeichnend dafür ist es, dass nichtselten die Zulassung widerrufen werdenmuss, weil Anwälte nicht in der Lage sind,die Prämie für die vom Gesetz verlangte be-rufliche Haftpflichtversicherung aufzubrin-gen. Gelegentlich wird die Vermögenslosig-keit aber auch dadurch hervorgerufen, dassAnwälte, z.B. durch Erwerb von Hauseigen-tum, Verpflichtungen eingehen, die sie spä-ter mit ihrem laufenden Einkommen nichtbedienen können.

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Eine besondere Ausdehnung der Recht-sprechung in Verwaltungssachen brachtedie neue Fachanwaltsordnung mit sich.Einerseits stieg mit der Zunahme der Zulas-sungen insgesamt auch die Zahl der An-wälte, die an einer Spezialisierung und aneinem Auftreten als Fachanwälte interessiertsind. Andererseits überließ der Satzungs-geber bei der Formulierung der Fachan-waltsordnung wichtige Definitionen (wie z.B.den für den Nachweis praktischer Erfahrun-gen darzulegenden „Fall“) der Rechtspre-chung der Gerichte. Unklarheiten dieser Arthaben die Zahl der verwaltungsgerichtlichenEntscheidungen erheblich erhöht.

Als Berufsrichter am BayAGH waren undsind in den letzten 25 Jahren tätig:

Amelung Wolf-Henner RiOLG MünchenAmmon Ludwig RiBayObLGAnders-Ludwig Luise RiOLG MünchenAubele Nicola RiOLG MünchenBachmann Dr. Artur RiOLG BambergBader Heinz RiOLG MünchenBauer Dr. Helmut VRiOLG MünchenBraun Lothar RiOLG BambergBreitinger Gert RiOLG NürnbergDöbig Werner VRiOLG NürnbergDreßler Karl-Georg VPOLG BambergEdlbauer Manfred VRiOLG MünchenErnemann Dr. Andreas RiOLG BambergFiebig Klaus RiOLG MünchenFuchs Johann RiBayObLGGarmissen von Ilsabe VRiOLG MünchenGehr Helmut RiOLG NürnbergGehrig Dr. Norbert RiOLG MünchenGeuder Dr. Dietrich RiOLG BambergGlass Dr. Heribert RiOLG MünchenHerz Dr. Reimar VRiOLG NürnbergHeusterberg Wolfram RiBayObLGHofmann Adolf RiOLG NürnbergHolzheid Kunigunde RiOLG MünchenHönig Herbert VRiOLG MünchenHörl Dr. Johann Gottfried RiBayObLGHuber Herbert RiOLG MünchenHueber Walter VRiObLG MünchenJagemann Winfried RiBayObLGKarmasin Ernst VRiOLG MünchenKeltsch Dr. Jürgen RiBayObLGKenklies Joachim RiBayObLGKöster Wolfgang VRiOLG BambergKrapf Dr. Herbert VRiOLG MünchenKünneth Fritz RiOLG NürnbergLancelle Trutz VPBayObLG

Lewenton Dr. Ursula VRiOLG MünchenLorbacher Michael RiBayObLGMangstl Otto VRiOLG MünchenMeinel Dr. Meinhard RiOLG NürnbergNagel Otto RiOLG MünchenNitsche Dr. Wolfgang RiBayObLGNötzel Margarete RiOLG MünchenPliester Dr. Ute RiBayObLGPlößl Dr. Hans RiOLG MünchenRebhahn Rainer RiOLG NürnbergRedel Peter RiOLG NürnbergReichold Dr. Klaus VRiBayObLGReiter Dr. Heinrich LL.M. RiOLG MünchenResenscheck Wilma VRiOLG MünchenRitter Bruno VRiOLG MünchenSchmid Dr. Hugo RiBayObLGSchmidt Gerulf RiOLG NürnbergSchmidt Werner VRiBayObLGSchreyer Hans RiOLG NürnbergSondermaier Helmut RiOLG NürnbergSpangler Dr. Eva RiOLG MünchenWörle Karl VRiOLG München,

inzwischenPräsident desLG Landshut

Als Präsidenten des BayAGH waren undsind tätig:

Wirschinger Karl Heinz ab 1.11.1971Fiedler Dr. Rolf ab 1.11.1979Schroeder Ernst ab 1.4.1989Sernetz Dr. Herbert ab 16.8.1997

Mitglieder des Anwaltssenats beim BGHwaren und sind:

Rechtsanwalt Kohlendorfer Dr. BerndRechtsanwalt Hase Dr. Andreas vonRechtsanwalt Frey Dr. Peter

V. Besondere Ereignisse

Der II. Deutsche Anwaltsgerichtstag

Auf Initiative der RAK bei dem Oberlandes-gericht Celle war im November 1996 derI. Deutsche Anwaltsgerichtstag in Hannoverabgehalten worden, zu dem sich eine Viel-zahl von Teilnehmern eingefunden hatte.

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Der wechselseitige Austausch von Erfahrun-gen innerhalb der Anwaltsgerichtsbarkeit,aber auch die fachlich bedeutsamen Vor-träge der maßgeblichen Kommentatoren zurBRAO führten nicht nur zu lebhaften Diskus-sionen, sondern auch zur Einsicht, dass einsolcher Anwaltsgerichtstag wiederholt wer-den müsse. Die „Münchener“ erklärten sichspontan dazu bereit, den nächsten Anwalts-gerichtstag in der bayerischen Landeshaupt-stadt abzuhalten.

Im Oktober 2000 ergriffen der BayerischeAGH und das Anwaltsgericht München dieInitiative zur Abhaltung des II. DeutschenAnwaltsgerichtstags, der am 16. und17.11.2001 mit der erfreulichen Anzahl vonmehr als 190 Teilnehmern unter Inan-spruchnahme der Gastfreundschaft der an-wesenden Präsidentin des LandgerichtsMünchen I im Justizpalast abgehaltenwurde. Den Grußworten des BayerischenStaatsministers für Justiz, Dr. Manfred Weiß,und des Präsidenten der RAK München,RA Dr. Jürgen Ernst, folgten packende Vor-träge

– der Präsidentin des Bundesverfassungs-gerichts, Prof. Dr. Jutta Limbach(„50 Jahre Bundesverfassungsgericht“),

– des Präsidenten des BGH und Vorsitzen-den des Anwaltssenats, Prof. Dr. GünterHirsch („Die Rechtsprechung des An-waltssenats im vergangenen Jahr undTendenzen der Rechtsprechung“),

– des Geschäftsführenden Direktors desInstituts für Anwaltsrecht an der Univer-sität München, Prof. Dr. Peter Schlosser

(„Anwaltsrechtliches Verbot der Vertre-tung widerstreitender Interessen“, abge-druckt in: NJW 2002, S. 1376 ff.), und

– des Präsidenten des Bayerischen An-waltsgerichtshofs, Dr. Herbert Sernetz(„Anwaltsgerichtsbarkeit und Freiheit derAdvokatur“).

Die Liste der Teilnehmer liest sich erfreulichund ist beeindruckend. Es waren nicht nurdie Richter sämtlicher deutscher Anwalts-gerichthöfe und Anwaltsgerichte sowie Ver-treter der zuständigen Staatsanwaltschaftenanwesend. Die Veranstaltung wurdevielmehr auch geehrt durch die Teilnahmeranghoher Persönlichkeiten der Justiz (stell-vertretend sei die Präsidentin des OLGMünchen und des Bayerischen Verfas-sungsgerichtshofs, Frau Edda Huther, ge-nannt), sowie der Repräsentanten der An-waltsvereine und des Bayerischen Anwalts-verbandes.Die herausragende Kompetenz der Refe-renten und ihrer Zuhörer führte zu lebhaftenAussprachen nach den Vorträgen, die sichfreilich teilweise mehr im rechtspolitischenals im speziell anwaltsgerichtlich-berufs-rechtlichen Bereich bewegten.Das Echo auf die Veranstaltung, welche amAbend des 17.11.2001 einen weiterenHöhepunkt in Form eines gelungenen gesel-ligen Beisammenseins in Anwesenheit allerReferenten fand, hat nach hiesiger Auf-fassung einen „III. Deutschen Anwaltsge-richtstag“ geradezu herausgefordert. Leidersteht die Einladung hierzu aber noch aus,und dieser heutige Beitrag könnte – falls erauch im Bereich einer anderen RAK wohl-wollend gelesen wird – zu einer entspre-chenden Aufforderung „ermuntern“.