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Einfluß der Brutraumfläche auf die Gelegegröße der Kohlmeise (Parus major)

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Heft 31 1973 ] 339

J. Orn. 114, 1973: S. 339--347

Aus dem Max-Planck-Institut fiir Verhaltensphysiologie, Vogelwarte Radolfzell

Einflufl der Brutraumfl~iche auf die Gelegegr~ifle der Kohlmeise (Parus major)

Von Hans L6hrl

Herrn Professor Dr. JORG~N ASCHOFr zum 60. Geburtstag gewidmet

Einleitung

Bei Auswahlversuchen hatten Kohlmeisen H6hlen mit sehr grofem Innenraum (20 cm Durchmesser) gegeniiber solchen mit kleinem Innenraum signifikant bevor- zugt (L6HI~L 1970). Da sich trotz der Seltenheit so grofer H6hlen in freier Natur diese auffallende Bevorzugung erhalten oder entwickelt hat, war zu erwarten, daf ein deutlicher Selektionsvorteil dahinterstiinde. Es hatte sich gezeigt, daft in den GrofhShlen mehr Eier gelegt wurden als in den kMnen. Etwa zur selben Zeit be- richtete LUDESCHER (miindl.) von einer im Rahmen seiner Untersuchungen (LuD~SCH~R 1973) festgestellten Korrelation zwischen GelegegrSfe und Brutraum in natiirlichen BaumhShlen bei Weidenmeise (Parus rnontanus) und Sumpfmeise (P. palustris); be- sonders deutlich zeigte sich diese beim Vergleich yon Sumpfmeisen-Gelegen in durch- weg engen NaturhShlen mit solchen in weiteren, kiinstlichen BruthShlen.

Die GeiegegrSfe ist nach LACK (1954) und einer umfassenden Literaturiibersicht yon KLOMV (1970) bei den bisher untersuchten Arten korreliert mit der Tagesl~inge,[ der Temperatur, der Jahreszeit, dem Alter, der geographischen Lage, dem Biotop, der MeereshShe und dem Nahrungsangebot, was neuerdings BENGTSON (1971) an Enten nachweisen konnte, wiihrend vorher nur bei M~iuse fressenden Arten klare Korrela- tionen bekannt geworden sind. LACK betont nachdriicklich, daft bei wohl allen Fak- toren, die die Eizahl beeinflussen, die Nahrung den ultimate factor darstellt. NovoT- NY (1965) hat als erster auch einen Einfluf des Neststandorts untersucht. Er verglich Bruten des Haussperlings (Passer domesticus) in Nischen von verschiedenem Sicher- heitsgrad, und zwar mit verschieden langen Einglingen. Er land eine Beziehung, in- dem bei den sichersten Nestern ein hSherer Jungenanteil ausflog; die Gelegegr~Sfe war dagegen nicht verschieden.

Bei der Untersuchung der Frage, ob die Innenweite der NisthShle tats~ichlich die Eizahl beeinflussen kann, muften daher alle oben erw~ihnten Faktoren, die mSglicher- weise zus~itzlich auf die GelegegrSfe einwirken und einen Einfluf der HShlenweite nur vort~iuschen konnten, ausgeschlossen werden. Ein solcher Ausschluf ist bei Frei- landuntersuchungen viel schwieriger als im Labor.

Dieser Versuch war deshalb auf e i n Gebiet zu beschr~inken, so daft etwaige Ein- fliisse verschiedener TageslS.nge, Temperatur, geographischer Lage, Meeresh~She oder

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tiber das Nahrungsangebot allein weitgehend auszuschlief~en waren. Das Versuchs- gebiet mut]te in einer Ebene liegen, um die Auswirkung unterschiedlicher Sonnenein- fallswinkel auszuschalten. Vor allem muf~te der Biotop im Sinne der Lebensgemein- schaft einer Bioz~Snose gleichartig sein. Diese Forderung ergibt sich aus dem vielfach nachgewiesenen Einflu• des Habitats auf die GelegegrS~e der Kohlmeise (KLulJWR 1951, LACK 1955, PeRkINS 1965 U. a.) wie aus der Forderung nach einer einheitlichen Zusammensetzung der Population, die mSglicherweise je nach der Gunst eines Teil- gebietes wechseln k6nnte. Schwierigkeiten waren in dieser Beziehung insofern zu er- kennen, als auch in einem nach forstlichen Gesichtspunkten einheitlichen Waldtyp die GelegegrSge der P0pulationen in verschiedenen Teilen des Waldes variieren kann, auch wenn etwaige EinfliJsse verschiedener Populationsdichte und unterschiedliche Zeiten des Legebeginns ausgeschlossen werden konnten (PrRRINS 1965, KRw~S 1970, L6HWL unver/Sff.). Es handelt sich also um schwer erfagbare Biotopunterschiede, die sich auf Altersunterschiede und geringfiigig verschiedene Anteile der Baumarten wie auch verschiedene Durchl~issigkeit fiJr Sonnenstrahlen (Kronenschluf~ der Biiume) be- ziehen kiSnnen.

Unter diesen Umst~nden schien es geboten, sich nicht auf eine nach menschlichem Ermessen gleichartige Struktur eines Waldgebietes zu verlassen, sondern weiterge- hende Vorkehrungen zu treffen.

Versuchsanordnung

Ausgew~ihlt wurde ein allseitig yon Feldern umscblossenes Waldgebiet in der Oberrhein- ebene, zwischen den Often Ottenhelm und KiJrzell im Kreis Lahr gelegen, 153 m fiber NN. Dieses 260 Hektar grof~e WaldsdJck hatte folgende Vorteile: es liegt vollkommen eben, der gr/5t~te Tell besteht aus fiinfzig- bis einhundertvierzigj~ihrigem Altbolz (25 °/0 Eichen Quercus robur, 20 °/0 Rotelche Quercus rubra, 30 ~/0 Halnbuche Carpinus betulus, 10 °/0 Esche Fraxinus excelsior, 10 °/0 Ahorn Aeer pseudoplatanus).~) Die isolierte Lage vermindert die Zu- und Abwanderung -con Brutpaaren im Sommerhalbjahr. Das milde Klima macht eine hohe Herbst- und Wintermortalit~.t unwabrscheinlich. Damit entfiillt ein wichtiger Faktor fl.ir elne starke Schwankung der Populatlonsdichte. Der Wald ist alljiihrlich stark yon verschiedenen Spanner- arten, vor allem Frostspannern (Operophthera brumata und Erannis defoIiaria) befallen, so daft in der Brutzeit ein sehr grof~es Nahrungsangebot besteht. 1971 war die ,,kritische Zahl" um das Dreifache iiberschritten, die Wipfelregion der Eichen und Hainbuchen war kabl ge- fressen. 1972 war der Befall auf 10 °/0 gesunken, aber noch immer sehr grofL~)

In diesem Gebiet konnten also m/Sgliche Einflfisse yon Nahrungsknappheit auf die Gelege- gr/Sfle und den Bruterfolg ausgeschaltet werden. Die geringe Zahl yon etwa 4 Nisth~Shlen auf 10 Hektar verhinderte eine hohe Siedlungsdichte und deren m~Sglichen Einflul~. Alle Nisth~Shlen waren allj~ihrlich besetzt.

Im Interesse eines iiberreichen Bestandes an Niederwild, vor allem Fasanen, unterbleiben dort forstliche Eingriffe, die die Bioz/Snose ver~.ndern k/Snnten. Aus denselben Grtinden ist der Wald gut beaufsichtigt, so dal~ grobe St/Srungen selten sind.

Als H~ihlentypen wurden zwei Extreme ausgew~hlt: die elngangs erw~ihnte grof~e Nisth6hle mit 20 cm Durchmesser und 314 cm2 Grundfl~iche (= Typ A) und eine zu Versuchszwecken

i) Herrn Oberforstrat BxAus, Forstamt Idaenheim, danke ida f~r diese Angabem ~) Diese Angaben verdanke ida Herrn Forstdirektor Dr. K6NIG, Forstl. Versuchs- und Forsdaungs-

anstalt Wittental bei Freiburg/Br.

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Typ A Typ B

20 cm 9 cm

Nestmulde 6cm Abb. 1. Grundril~ der NisthiShlentypen.

verengte HiShle yon nur 9 cm Durchmesser und 64 cm~ Brutfl~iche (= Typ B), Abb. 1. Es handelt sich um runde HShlen mit kreisf/Srmigem Querschnitt, die in gleicher Bauart aus Holzbeton hergestellt wurden, mit Flugloch yon 32 mm, dessen unterer Rand jeweils 14 cm fiber dem Boden der Nistb~Shle liegt.

Die NisthShlen wurden nicht auf zwei Fl~ichen verteilt, sondern in lockerer Anordnung entlang der Waldwege in Abst{inden yon jeweils etwa 80 bis 120Metern aufgeh~ingt. Eine gleichm~if~ig abwechselnde Aufteilung (also: Typ A, B, A, B usw.) wurde vermieden, da die Gefahr bestand, dai~ sich etwa konstitutionell besonders kr~iftige Paare jeweils die optimale HShle erkiimpften, w~ihrend die suboptimale den schwiicheren Paaren zugefallen w~ire. Die H/Shlen wurden vielmebr in Gruppen zu abwechselnd je 10 und 5 aufgeb~ingt, so dat~ filr die meisten Paare innerhalb ihres Territoriums keine Auswahl m~Sglich war. Da sich trotzdem zuf{illig sehr glinstige und weniger glinstige Teile des Habitats jeweils mit nur einem der beiden Typen h{itten decken kSnnen, wurde der Versuch auf zwei Jahre ausgedehnt, wobei im zweiten Jahr der Standort der Typen A und B gewechseh wurde, so dai~ immer die an&re H~Sblenart am selben Baum hing. Auf diese Weise wurde vermieden, daI~ ein vielleicht un - erkannter andersartiger Faktor als der des Nisth/Shlentyps yon Einfluf~ sein konnte.

Natiirlich war es m~Jglich, dafl~ ;m zweiten Versuchsjahr ein anderer Witterungsverlauf und das unterschiedliche Nahrungsangebot einen Einfluf~ ausiiben konnten, doch wirkte sich ein solcher Unterschied dann auf s~imtliche Brutpaare aus.

Allerdings verbieten es diese Bedenken, die Ergebnisse beider Jahre zusammenzufassen; sie wurden vielmehr getrennt ausgewertet.

Die NisthShien wurden jede Woche einmal durch K. WOSTENB~R~ kontrolliert.

Ergebnis Die graphische Darstellung (Abb. 2) zeigt, daf~ in jedem der Versuchsjahre der Un-

terschied in der Gelegegr~Si~e yon A und B grot~ war. 1971 war er mit p < 0,001 hoch signifikant, 1972 mit p < 0,018) signifikant. Das etwas weniger deutliche Ergebnis 1972 geht auf die geringere Zahl auswertbarer Bruten zurtick. V611ig unerwartet waren n~imlich 1972 in 50 VersuchshtShlen nicht weniger als 22 Paare des Feldsper- lings (Passer montanus) aufgetreten, w~ihrend es 1971 nur 3 gewesen waren. Die Sperlinge verhinderten zahlreiche Meisenbruten, einige t6teten die Kohlmeisenweib- chen oder besch~idigten die Eier, in mehreren H/Shlen gab es Mischgelege. So auf- schluf~reich diese Auswirkungen des Konkurrenzdrucks auch waren, so st/Srten sie doch

a) t-Test.

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Bruten

6-

4-

2-

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1971 1972

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Gelege- grSBe

Abb. 2. Gelegegr6f~e der Kohlmeise

den geplanten Versuch betr~ichtlich, da nur die yon Anfang an ungest6rten Bruten der Kohlmeise ausgewertet werden konnten. Nach Vernichtung der Sperlinge gab es zwar in fast allen H6hlen noch Nachgelege der Kohlmeise, doch waren diese nicht mehr vergleichbar, da sie zu uneinheitlichen Zeitpunkten begonnen wurden und alle Merkmale eines gest6rten Ablaufs zeigten.

Nattirlich mui~te auch der m6gliche Einflut~ des Legebeginns tiberpriift werden, da wir vor allem seit KLUIJVER (1951) wissen, daf~ die Gelegegr6t~e der Kohlmeise vom Beginn der Eiablage an kontinuierlich abnimmt. Sollte sich zeigen, dat~ die gr6i~ten Gelege friiher begonnen wurden als die kleineren, so w~ire ein zus~tzlicher Einflui~ anzunehmen. Tats~ichlich k6nnte man sich vorstellen, dat~ die begehrten Grot~hShlen vor den wenig beliebten kleinen besetzt wtirden und so ein friiherer Legebeginn zu- stande k~ime. Andererseits w~ire es auch denkbar, daf~ der Nestbau auf der ftinffachen Grundfl~iche der groflen H6hlen mehr Zeit erforderte als das Beschaffen des wenigen Materials t tir das kleine Nest.

Keines dieser Denkmodelle ist zutreffend: 1971 fiel das mittlere Legedatum in engen H6hlen auf den 17. April, in weiten H6hlen auf den 19. April, die Median- werte 4) lagen dagegen bei beiden Typen auf dem 18. April. Im Jahr 1972 war der mittlere Beginn bei beiden HShlentypen der 13. April, die Medianwerte fielen bei HShle B auf den 10., bei A auf den 12. April. Es gibt also keine unterschiedlichen Legebeginne, die bei der Er6rterung der Ergebnisse zu berticksichtigen w~iren. Nach P~RRmS (1965) nimmt die Eizahl mit jedem Tag sp~iteren Legebeginns um 0,09 ab, dies ergibt nach l l Tagen ein Ei weniger.

Trotz des st6renden Einflusses der Feldsperlinge auf viele Meisenbruten konnten wir 1972 sechs beringte weibliche Kohlmeisen nachweisen, die im Vorjahr jeweils im andersartigen H6hlentyp gebriitet hatten, so daf~ wit deren Gelege in beiden Jahren vergleichen konnten.

4) Der Zeitpunkt, zu dem 50 % der Brutpaare zu legen begonnen haben.

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Zwei Kohlmeisen (K 303355 und K 303362) legten 1971 in Typ B je 10 Eier. 1972 legten sie in H/Shlentyp A am selben Ort 12 und 14 Eier. Selbst wenn man vermuten wiirde, sie seien 1971 einj~hrig, 1972 aber mehrj~ihrig gewesen, woraus sich eine h~Shere Eizahl ableiten lief~e, initiate dieser Unterschied geringer sein als das hier vorliegende Ergebnis. In Holland (KLuIJVER 1951) legten mehrj~ihrige V~Sgel im Durchschnitt 0,59 Eier mehr, in England (PERI~INS 1965) 0,48.

G~nzlich abwegig erschiene dieser Einwand jedoch, wenn wir die Ergebnisse der- jenigen Kohlmeisen betrachten, die 1971 in A-H~Shlen briiteten. Vier Weibchen (BC 36457, 36459, 36463 und 36464) legten 1971: 12, 12, 14 und 12 Eier. 1972 legten sie in den an denselben B~iumen h~ingenden engen B-HShlen nur" 9, 10, 9 und 9 Eier, also um 3,25 Eier weniger, obwohl sie ~ilter waren.

Der Legebeginn lag 1972 um 5, 9 und 9 Tage friiher, in einem Fall um 4 Tage sp~iter. Bei den beiden yon B nach A wechselnden Meisen lag 1972 der Legebeginn um 9 und 10 Tage fr~iher.

Diese Wiederf~inge beringter Weibchen in ihrem schon im Vorjahr bewohnten Ter- ritorium sind ein eindeutiger Beweis dafiir, dal~ die Innenweite der Bruth~Shle und die damit zusammenh~ingende Nestgr/Sf~e die Gelegegr/~f~e unmittelbar beeinfluf~t. Dieses Ergebnis ist nach der yon LTJD~SCHrR gefundenen Korrelation der erste experimenteI1 gesicherte Beweis daffir, daf~ ein nicht aus der Nahrung abzuleitender Faktor die Gelegegr~Sf~e und damit die Zahl der Jungen beeinflussen kann.

Ungekliirt bleibt vorerst die Frage, welcher Art die Information ist, welche die Kohlmeise veranlaf~t, in einer Grot~raumh~Shle mehr Eier zu legen. In Frage kommen vor aIlem drei M/Sglichkeiten:

1. d i e o p t i s c h e I n f o r m a t i o n : Sie k~Snnte einfach durch das visuelle Bild, das die Meise im Innern der H/Shle empf~ingt, geliefert werden.

2. e i n e t a k t i l e I n f o r m a t i o n : Wenn die Meise vor Nestbaubeginn oder sp~iter in der HiShle die beim Nestbau /iblichen Drehungen ausfiihrt (vgl. DrCKERT 1964), wird sie die H~Shlenw~nde um so h~iufiger beriihren, je enger die H~Shle ist.

3. e i n e b e i m N e s t b a u v e r m i t t e l t e i n f o r m a t i o n : Die AuffLil- lung der Groi~h~Shle mit Moos erfordert wesentlich mehr Energie als der Bau eines kleinen Nestes. Entsprechend verschieden ist die Anzahl der Einflfige in die Brut- h/Shle.

Eine weitere denkbare M/Sglichkeit w~ire gegeben, wenn die Temperatur in engen und weiten H~Shlen verschieden w~ire. Bedeutsame Unterschiede entstehen jedoch erst dutch die Jungen im Nest. Vorher kommt durch das Flugloch die Auf~enluft unbe- schr~inkt nach innen, ohne dai~ von dort eine ,,W~irmequelle" entgegenwirkt.

Eng verbunden mit den Problemen ist noch das der z e i t 1 i c h e n I n f o r m a - t i o n. Sollte die optische Information in Frage kommen, so k/Snnte die Program- mierung der Eizahl wesentlich fr/~her liegen, als wenn die zweite oder dritte M6glich- keit zutreffen sollte. Versuche mit dem Ziel, diese Fragen zu kl~iren, sind eingelei- tet.

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Auswirkung der unterschiedlichen GelegegrS~e auf den Bruterfolg

Die Frage nach dem ultimate factor, der die Selektion fiir die Wahl eines mSglichst grof~en Brutraums und die Ablage eines grSf~eren Geleges begiinstigt hat, erfordert zun~ichst die Untersuchung des Bruterfolgs:

Eier Ausgeflogene % ausgeflogen Junge

1971 H6hle A 179 163 91 H6hle B 148 139 94

Durchschnitt H/Shle A 11,9 10,9 Durchschnitt H~Shle B 10,6 9,9

1972 H~Shle A 91 86 94,5 HShle B 107 93 87

Durchschnitt H/Shle A 11,4 10,75 Durchschnitt HShle B 9,1 7,75

1971 Differenz der Gelege 1972 Differenz der Gelege

1,3; Differenz der Zahl ausgeflogener Junger 1,0, 2,3; Differenz der Zahl ausgeflogener Junger 3,0.

Es ergibt sich aus der Tabelle, dal~ der Differenz in der GelegegrSi~e ein gleichar- tiger Unterschied der Jungenzahl entspricht. Die Verluste waren in beiden Jahren bei grof~en Bruten nicht grislier als bei kleinen, so daf~ in grof~en Brutr~iumen mehr Junge zum Ausfliegen kamen als in kleinen.

Der Unterschied reicht aus, um den Vorteil grof~er Brutriiume aufzuzeigen. Beson- ders deutlich ergibt sich dieser bei den erw~ihnten Weibchen, deren Brutverlauf w~ih- rend beider Jahre und bei beiden H6hlentypen erfagt wurde: Vier 9 brachten 1971 in Typ A 49,

1972 in Typ B 31 Junge zum Ausfliegen. Zwei ~ brachten 1971 in Typ B 20,

1972 in Typ A 26 Junge zum Ausfliegen.

Allein bei diesen sechs Weibchen flogen in H/Shlen des A-Typs 24 Junge mehr aus als in B-H~Shlen.

Die MSglichkeit eines Gewichtsunterschiedes bei den Jungen in engen oder weiten HShlen, der dann eine erst sp~iter wirksam werdende Begtinstigung der schwereren Jungen darstellen wtirde, wurde 1972 in einer Stichprobe iiberpriift. Nestjunge in beiden H6hlentypen wurden im Alter yon 15 Tagen (vgl. PERKINS 1963) gewogen. Es waren in B-H/~hlen Bruten einmal 6, einmal 9 und zweimal 10, in A-HShlen nur eine Brut mit 12 Jungen. Die Durchschnittsgewichte betrugen (in der obigen Rei- henfolge): 18,3--18,6--18,1--18,4 und in der A-HiShle 18,3 g. Es handelte si& um genau gleich alte Bruten, die am 17.5. 1972 gewogen wurden, so dai~ m6gliche wit- terungsbedingte Unterschiede ausgeschaltet waren.

Unter den w~ihrend der Untersuchungszeit besonders giinstigen Ern~ihrungsbedin- gungen war die Vermehrungsrate der in weiten HShlen briitenden Meisen deutlich

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grSBer als in engen HShlen. Die Bevorzugung sehr groBer HShlen durch die Kohl- meise ist also biologisch vorteilhaft. Daraus ergibt sich die Frage, worauf der Selek- tionsvorteil zurtickzuftihren ist.

Einflu£ niedriger Temperatur Die Nestmulde der Kohlmeise, in der sich das Gelege befindet, hat stets etwa 6 cm

Durchmesser. Ihre Gr&~e wird durch die K/JrpergrSBe der weiblichen Kohlmeise be- stimmt; sie muB die ganze Mulde bei gespreiztem Kleingefieder v~511ig ausftillen. In HShle A ist also die Mulde eingebettet in eine Schicht aus Moos und anderem Ma- terial yon jederseits 7 cm St~irke, wenn man annimmt, die Mulde liege in der Mitte, was allerdings meist nicht der Fall ist. Liegt sie im hinteren Randgebiet, so ist sie mindestens au£ drei Seiten yon einer noch st~rkeren Schicht umgeben.

Bei der H/Shle B betr~igt die Nestrandst~irke nur 1,5 cm, die Mulde ist melst mehr oder weniger in der Mitre gelegen. Ftir die Bebriitung der Eier ergibt sich demnach kein Unterschied, doch w~ire es denkbar, dab in B die Eier in den Brutpausen st~irker auskiihlen, weil die dtinne Nestwandschicht weniger W~irme speichert und die AuBen- wand der HShle K~ilte abgibt. Ein solcher Nachteil kSnnte sich jedoch nur bei an- haltend niedrigen Temperaturen auswirken, wie sie in der Untersuchungszeit nicht bestanden.

Anders ist es jedoch, wenn die Jungen etwa eine Woche alt sin& Sie werden dann nicht mehr ausdauernd gehudert. Der erhShte Nahrungsbedarf fiihrt dazu, dab beide AltvSgel Futter suchen und herbeischaffen mtissen. Witterungsrti&schI~ige w~ihrend dieser Zeit kSnnen also sehr wohl zu einer Unterkiihlung fiihren, die sich zweifellos in einem diinnwandigen Nest st~irker auswirkt als in einer dicht ausgepolsterten HShle.

EinfluB hoher Temperatur

Sind die Jungv~Sgel tiber zehn Tage alt und befiedert, so wird die Nestmulde zu klein. Die Jungen erreichen in diesem Alter bereits das Gewicht des Altvogels und verlassen die Nestmulde. Sie sitzen nun auf dem Nestrand, was dazu fiihrt, daB man nach dem Ausfliegen um den 20. Lebenstag nur noch eine eingeebnete Masse aus Nist-. material vorfindet.

In diesem Stadium besteht nun eine andersartige Gef~ihrdung: die der Uberhitzung, die vor allem bei hoher AuBentemperatur dazu ftihrt, daB die VSgel auseinander- streben. Nur Meisen in gr~SBeren HShlen als dem Typ B ist dies m~Sglich. In den in Europa tiblichen ktinstlichen MeisenhShlen mit rund 100 bis 140 cm ~ Bodenfl~iche entwickeln sich Bruten bis zu 10 oder 12 Jungen ohne Schaden, sie kSnnen die Nest- mulde verlassen und ftillen den verftigbaren Raum eben aus. Engere HShlen sind wahrscheinlich nachteilig, sobald die AuBentemperatur relativ hoch ist, doch dtirfte auch dies auf auBergewShnliche Verh~lmisse beschr~inkt sein. Die Frage einer mSg- lichen I--typothermie (Unterktihlung) oder Hyperthermie (Uberhitzung) bei Kohlmei- senbruten hat MrR'r~NS (1969) experimentell untersucht. Er stellte fest, daB groBe Bruten yon 12 und mehr zehnt~gigen Jungen eine Uberhitzung entwi&eln, die sich nachteilig auf den Energie- und Wasserhaushalt auswirkt. 6 bis 7 Meisen kamen bei

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niedrigem (,,at the basal level") Stoffwechsel und einer Augentemperatur yon 18 ° C beinahe an eine Uberhitzung heran. Bei nur 12 ° C Umgebungstemperatur wurde die W~rmeabgabe mit wachsender Jungenzahl (bis 12) immer niedriger; hier wirkte sich also die grof~e Jungenzahl positiv aus. Leider geht aus der Arbeit nicht hervor, wie grof~ der Innenraum der NisthSble war, so dat~ die daraus gezogenen Folgerungen keine allgemeine Gtihigkeit haben, sondern nur ffir die verwendete HShlengrSge gel- ten. CAV~ (1968) zieht aus den Ergebnissen yon MERTENS unter Bezugnahme auf seine Untersuchungen bei Turmfalken den Schluf~, dag die Temperatur tiber die Ge- fahr der Uberhitzung entscheidend an der Selektion kleiner Gelege, vor allem jedoch an der jahreszeitlichen Abnahme der GelegegrSfle beteiligt sei.

Ich mSchte indessen aus den Ergebnissen von M~RTENS nur folgern, dai~ die Ent- wicklung einer grSgeren Anzahl yon jungen Kohlmeisen nut in einer grSf~eren Brut- h/Shle mtSglich istS). Unter gtinstigen Ern~ihrungsbedingungen entscheidet die GrSge des vorhandenen Brutraumes i~ber die Zahl der Eier und Jungen. Zu der Abh~ingigkeit der Vermehrungsrate yon den mit der Ern~ihrung zusammenh~ingenden Faktoren kommt also zus~itzlich ein eindeutiger Einflug der BrutraumgrSge.

Zusammenfassung In einem sehr nahrungsreichen Laubwaldgebiet wurden Nisth6hlen aus Holzbeton mit einem

Innendurchmesser yon 20 cm (Typ A) und 9 cm (Typ B) aufgeh~ngt. Im zweiten Versuchsjahr wurden die beiden Typen ausgetauscht. Ergebnis: 1. In A wurden in beiden Jahren signifikant mehr Eier gelegt aIs in ]3. 2. Schli~pferfolg und Nestlingsmortalit~it waren in beiden Typen nicht verschieden, so daf~ in A mehr Junge ausflogen als in B.

Das Gewicht der Jungen war nicht verschieden. Die Vermehrungsrate der Kohlmeise ist also in HShlen mit grof~er Nestfl~.che gr6~er. Dieser Bruth6hleneffekt ist der erste Nachweis eines Einflusses auf die Gelegegr6t~e und Jungenzahl, der nicht mit der Nahrung zusammenh~ngt.

Als ultimate factor wird die Temperatur angenommen: an kalten Tagen in Verbindung mit der st~rkeren IsoIierung des Nestes in A gegen~iber B. Bei gro~er W~irme erlaubt das Nest in A ein Auseinanderriicken der Jungen.

Summary I n f l u e n c e o f n e s t - b o x s i z e on c l u t c h s i z e o f t h e G r e a t T i t

(Parus major)

In a study area of deciduous woods, rich in food, nest-boxes of sawdust with an inside diameter of 20 cm (type A) and 9 cm (type B) were interchanged during a two year ex- periment. Results: In both years, Great Tits laid significantly more eggs in type A than in type B boxes. There were no differences in hatching success and nestling mortality between the two box types, therefore more young fledged from A than B boxes. There was no difference in weight of young in the two types of boxes. The reproductive rate of the Great Tit is therefore higher in boxes with a larger amount of nesting surface. This effect of box size is the first proof of any influence on clutch size and number of young, independent of any possible influence due to food supply.

Temperature is considered to be the ultimate factor. On cold days, there is a higher degree of isolation in A, and on warm days, the young in A are able to spread out over the whole surface to avoid hyperthermia.

8) Die verwendeten Gr6t~en waren Extremmage. Fiir Zwecke des Vogelschutzes hat sich die handels- iibliche Gr6ge der Meisenh6hlen volI bew~ihrt.

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Anschrift des Verfassers: D-7761 M/Sggingen, Am Schlot~berg.