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Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte 1 Einführung in die ökonomische Theoriengeschichte I. Definitorische Vorbemerkungen 1. Als Grobdefinition (Arbeitsdefinition) können wir festhalten: a) Die ökonomische Theorie (Wirtschaftswissenschaften - Volkswirtschaftslehre - Politische Ökonomie) umfasst alle Versuche, wirtschaftliche Erscheinungen (Phänomene) - z.B. Preis, Verteilung, Beschäftigung - systematisch zu erklären. Im Prinzip können wirtschaftliche Phänomene auf zwei verschiedene Arten erklärt werden. Ein erster Ansatz stützt sich auf die Beobachtung der historischen Realität. 'Systematisch erklären' bedeutet hier das Erforschen von Ursachen, die das Zustandekommen einer bestimmten Erscheinung (Preis, Beschäftigungsniveau) bewirken (z.B. mangelnde effektive Nachfrage als Ursache von Arbeitslosigkeit). In einem ersten Schritt sollen Kausalbeziehungen in reiner Form herausgearbeitet werden, die darstellen, wie die Kausalkräfte im Prinzip wirken. Die Keynessche Multiplikatorgleichung Q = (1/s) (a+I) ist eine solche Kausalbeziehung (Q = Sozialprodukt, s = marginale Sparneigung, a = autonomer Konsum, I = Investitionen). Ein zweiter Ansatz stellt die Beschreibung eines Idealzustandes in den Vordergrund. Dieser ist in der Regel ein Gleichgewichtszustand, z.B. ein allgemeines Gleichgewicht im Sinne von Walras, verbunden mit einem Pareto-Optimum (Grundmodell des Liberalismus, der Neoklassik). Die Realität wird als Abweichung vom Idealzustand aufgefasst, z.B. starre Löhne, die hoch angesetzt sind, führen zu Arbeitslosigkeit. Die Beschreibung eines Gleichgewichtszustandes hat in der Regel normative Implikationen. b) Die Geschichte der ökonomischen Theorie ist damit die Geschichte des systematischen Denkens über wirtschaftliche und soziale Probleme, also der wirtschaftlichen und sozialen Ideen im weitesten Sinne. Probleme wären z.B. die Probleme des Preises, der Einkommensverteilung, der Beschäftigung und Arbeitslosigkeit. Systematisch Denken heisst mit Denkmodellen arbeiten; diese Denkmodelle sind Theorien: Ausgehend von bestimmten Prämissen werden Beziehungen zwischen den Modellelementen (z.B. Variable und Parameter in einem mathematischen Modell) hergestellt und Schlussfolgerungen gezogen. Entscheidend ist natürlich welche Elemente in ein Denkmodell eingehen, und welche Beziehungen zwischen diesen Elementen hergestellt werden.

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Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

1

Einführung in die ökonomische Theoriengeschichte

I. Definitorische Vorbemerkungen

1. Als Grobdefinition (Arbeitsdefinition) können wir festhalten:

a) Die ökonomische Theorie (Wirtschaftswissenschaften - Volkswirtschaftslehre - Politische

Ökonomie) umfasst alle Versuche, wirtschaftliche Erscheinungen (Phänomene) - z.B. Preis,

Verteilung, Beschäftigung - systematisch zu erklären. Im Prinzip können wirtschaftliche

Phänomene auf zwei verschiedene Arten erklärt werden.

Ein erster Ansatz stützt sich auf die Beobachtung der historischen Realität. 'Systematisch

erklären' bedeutet hier das Erforschen von Ursachen, die das Zustandekommen einer bestimmten

Erscheinung (Preis, Beschäftigungsniveau) bewirken (z.B. mangelnde effektive Nachfrage als

Ursache von Arbeitslosigkeit). In einem ersten Schritt sollen Kausalbeziehungen in reiner Form

herausgearbeitet werden, die darstellen, wie die Kausalkräfte im Prinzip wirken. Die Keynessche

Multiplikatorgleichung Q = (1/s) (a+I) ist eine solche Kausalbeziehung (Q = Sozialprodukt, s =

marginale Sparneigung, a = autonomer Konsum, I = Investitionen).

Ein zweiter Ansatz stellt die Beschreibung eines Idealzustandes in den Vordergrund. Dieser ist in

der Regel ein Gleichgewichtszustand, z.B. ein allgemeines Gleichgewicht im Sinne von Walras,

verbunden mit einem Pareto-Optimum (Grundmodell des Liberalismus, der Neoklassik). Die

Realität wird als Abweichung vom Idealzustand aufgefasst, z.B. starre Löhne, die hoch angesetzt

sind, führen zu Arbeitslosigkeit. Die Beschreibung eines Gleichgewichtszustandes hat in der

Regel normative Implikationen.

b) Die Geschichte der ökonomischen Theorie ist damit die Geschichte des systematischen

Denkens über wirtschaftliche und soziale Probleme, also der wirtschaftlichen und sozialen Ideen

im weitesten Sinne. Probleme wären z.B. die Probleme des Preises, der Einkommensverteilung,

der Beschäftigung und Arbeitslosigkeit.

Systematisch Denken heisst mit Denkmodellen arbeiten; diese Denkmodelle sind Theorien:

Ausgehend von bestimmten Prämissen werden Beziehungen zwischen den Modellelementen

(z.B. Variable und Parameter in einem mathematischen Modell) hergestellt und

Schlussfolgerungen gezogen. Entscheidend ist natürlich welche Elemente in ein Denkmodell

eingehen, und welche Beziehungen zwischen diesen Elementen hergestellt werden.

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c) Die beiden oben erwähnten Erklärungsansätze (Kausalfaktoren ermitteln und Abweichungen

vom Idealzustand feststellen) führen zu zwei grossen Theoriengruppen, positive und normative

Theorien.

Positive Theorien beinhalten Ursache - Wirkung - Beziehungen. Es geht um systematische

Erklärungen von ökonomischen Phänomenen, ausgehend von den grossen Fragestellungen (Wie

erfolgt die Preisbestimmung? Welche Kräfte regeln die Einkommensverteilung, was bestimmt

das Ausmass der Arbeitslosigkeit?). Beispiele für positive Theorien sind die Systeme von

Ricardo, Marx und Keynes sowie die Klassisch-Keynesianische Politische Ökonomie.

Normative Theorien beschäftigen sich mit der Frage, wie eine Wirtschaft aussehen sollte. Es

wird das 'Idealbild' einer Wirtschaftsgesellschaft gezeichnet. Konkret: Wie sollten die grossen

Probleme gelöst werden? (in welche Richtung sollte man gehen, mehr Markt oder mehr Staat?)

Normative Theorien geben damit Auskunft über Ziele, die anzustreben sind. Prinzipiell gibt es

drei grosse normative Theoriensysteme: die Neoklassik (ökonomische Theorie des Liberalismus)

und die Politische Ökonomie des (zentralgeplanten) Sozialismus. Eine drittes System, die

politische Ökonomie des Sozialen Liberalismus, d.h. die Klassisch-Keynesianische Politische

Ökonomie ist wesentlich positiv (N = N* < Nv !), weist aber auch eine normative Dimension

auf. Das wichtigste normative Element ist die Vollbeschäftigung: N = N* = Nv. Allgemein

stehen normative Theorien bei allen positiven Theorien im Hintergrund, als Norm und Referenz

(z.B. Walras-Pareto als normativer Hintergrund für positive neoklassische Modelle).

Aus dem Auseinanderklaffen von Ideal und Wirklichkeit ergibt sich die Problematik der

Wirtschaftspolitik: welche Mittel sind einzusetzen, um eventuell bestimmte Ziele zu erreichen,

um die Kluft zwischen Realität und Norm (Sein und Sollen) – systembedingte Entfremdung! - zu

verringern.

Je nach Theorie werden die entsprechenden Vorschläge verschieden sein. Bei Arbeitslosigkeit

würde ein Neoklassiker eher auf Lohnsenkungen drängen (Arbeit wird billiger, und die

Unternehmer stellen zusätzliche Arbeiter ein). Ein klassisch-Keynesianischer Politischer

Ökonom würde, was die lange Frist angeht, Lohnsteigerungen vorschlagen, um die Kaufkraft

und damit die effektive Nachfrage zu steigern. Dies wurde zu zusätzlicher Beschäftigung führen.

Die Unterscheidung 'positiv - normativ' ist analytisch. In der Wirklichkeit treten positive und

normative Elemente auf. Das Normative ist eine ethisch gute Form des Positiven, z.B.

Unterbeschäftigung (Arbeitslosigkeit) ist positiv und Vollbeschäftigung wäre normativ.

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2. Die grossen Problemkreise

Den wichtigen wirtschaftlichen Erscheinungen (Phänomenen) entsprechen die grossen

Problemkreise

a) Wert und Preis (Preis : Wert in Geld ausgedrückt)

Das älteste ökonomische Problem ist das Problem des Wertes oder des Preises. Was bestimmt

den Wert oder den Preis eines Produktes. Dabei wird unterschieden zwischen absolutem und

relativem Preis.

Der absolute Preis ist der Geldwert einer Gütereinheit, Wert eines Gutes in Geld ausgedrückt: x

SFr pro Gütereinheit: p1, p2, ...pn, wenn n Güter in einer Wirtschaft vorhanden sind. Der relative

Preis beinhaltet einen Wertvergleich zwischen zwei Gütern, die - in einer Tauschwirtschaft

zwischen zwei Produzenten getauscht werden - in einer monetären arbeitsteiligen

Produktionswirtschaft in zwei verschiedenen Produktionsbereichen hergestellt wurden.

In Geld ausgedrückt wird Gleiches mit Gleichem getauscht:

Absoluter Preis: pl xl = p2 x2

Relativer Preis: p2 / p1 = x1 / x2 , der Wert des Gutes 2 wird in Einheiten des Gutes 1

ausgedrückt.

Zahlenbeispiel:

Absoluter Preis : 2 . 6 = 4 . 3

Relativer Preis : 4 / 2 = 6 / 3 = 2 / 1

Der relative Preis p2 / p1 bestimmt das Austauschverhältnis, das den relativen Wohlstand der

Produzenten determiniert. Steigt in einer Tauschwirtschaft aus irgendeinem Grunde das

Preisverhältnis p2 / p1 , erhält der Produzent des Gutes 2 mehr Einheiten des Gutes 1 für eine

Einheit des Gutes 2: Der Produzent des Gutes 2 wird wohlhabender. In einer monetären

Produktionswirtschaft erhalten die Produzenten des Gutes 2 höhere Geldeinkommen, wenn der

Preis 2 höher ist. Entsprechend sind die Produzenten 2 in der Lage, grössere im Sozialprodukt

enthaltene Gütermengen zu kaufen.

Im Zusammenhang mit dem relativen Preis wurde auch immer wieder die ethische Frage nach

dem gerechten Preis- und Austauschverhältnis auf. Dies ist die Frage nach der

Tauschgerechtigkeit.

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Auch im internationalen Handel sind die relativen Preise pj / pi wichtig. Sie werden in diesem

Zusammenhang terms of trade genannt. Auch hier taucht das Problem des gerechten Tausches

auf. So ist es z.B. nicht gleichgültig, ob ein rohstoffproduzierendes Land 2 oder 5 Tonnen Kupfer

ausführen muss, um einen Lastwagen einführen zu können.

b) Verteilung

Das Problem ist die Verteilung des realen Sozialprodukts Q oder des Volkseinkommens Y

(konstante Preise!) unter Bevölkerungsgruppen und Individuen.

Q = p1 x1 + p2 x2 + .... (die Mengen xi sind Endprodukte; die Preise pi sind gegeben (in der

Regel die Preise eines bestimmten Basis- oder Referenzjahres); Veränderungen von Q

widerspiegeln deshalb Mengenveränderungen).

Das reale Volkseinkommen Y = W + P + R enthält die Lohnsumme W (wages), die Profitsumme

P und den Rentensumme R (bei gegebenen Preisen). Das Verteilungsproblem kann in zwei

Schritten angegangen werden:

1) Die Bestimmung der Faktoranteile W/Y, P/Y und R/Y,

2) Die Festlegung der Einkommensstrukturen: Lohnstruktur, Profit- und Rentenstruktur. Die

Bestimmung dieser grossen Einkommenskategorien, die den grossen gesellschaftlichen Klassen

zukommen, ist nach David Ricardo das grundlegende Problem der Volkswirtschaftslehre. Für

ihn ist die Einkommensverteilung ein soziales und politisches Problem. Die moderne

neoklassische Theorie sieht dagegen die Verteilung der Einkommen in erster Linie als ein

Marktproblem.

c) Preis- und Mengenstrukturen

Es geht hier um die Bestimmung der relativen Preise (pi / pj) und Mengen (xi / xj)

(Proportionen), bei jeweils gegebenem Beschäftigungs- und Outputniveau (Skala der

Produktion).

- Gemäss der Neoklassik werden Preis- und Mengenstrukturen auf Märkten durch Angebot und

Nachfrage (Walras, Marshall) bestimmt.

- Die Physiokraten, Ricardo, Marx und die Klassisch-Keynesianischen politischen Ökonomen

sehen die Festlegung von relativen Preisen in der Produktion, d.h. im sozialen und zirkulären

Produktionsprozess (im Prinzip festgehalten im Sraffa - Leontief -Modell). Die absoluten und

relativen (Produktions-) Preise sind abhängig von den Produktionskoeffizienten (aij, ni) und der

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Einkommensverteilung (wn, r). Die absoluten und damit auch die relativen Mengen werden

durch Nachfragekoeffizienten festgelegt (Bruchteile des Volkseinkommens, die für bestimmte

Güter ausgegeben werden – Engel-Kurven).

Das Proportionenproblem hängt natürlich eng zusammen mit den Problemen des Wertes und der

Verteilung, und auch mit der Natur des Produktionsprozesses, die als nächstes andeutet wird.

d) Natur des Produktionsprozesses

Ist der Produktionsprozess ein linearer oder ein zirkulärer Prozess?

- Gemäss der modernen liberalen (neoklassischen) Wirtschaftstheorie ist der Produktion ein

linearer Prozess: bestimmte Faktormengen (N, K, B) werden über sogenannte Faktormärkte in

das Sozialprodukt (Endprodukte) transformiert. Die Zwischenprodukte werden ebenfalls durch

Produktionsfaktoren hergestellt. Der lineare Produktionsprozess ist individualistisch und

resultiert aus dem optimierenden Verhalten der Produzenten (Profitmaximierung,

Minimalkostenkombination) und der Konsumenten (Nutzenmaximierung).

- Physiokratische und klassische Politische Ökonomen, vor allem François Quesnay und David

Ricardo, aber auch Karl Marx und moderne neo-Ricardianische und klassisch-Keynesianische

Ökonomen sehen die Produktion als zirkulären und sozialen Prozess: Industrien beliefern sich

gegenseitig mit Primär- und Zwischenprodukten (Sraffa-Leontief) und Sektoren beliefern sich

mit Endprodukten (C und I – Quesnay, Marx) um Q herzustellen. Die direkte und indirekte

Arbeit (N) ist bei der Produktion dabei und wird darin von Kapital (K) und Boden (B)

unterstützt.

Die Optimierung besteht im Prinzip in der Minimierung des Arbeitseinsatzes, um eine bestimmte

Produktmenge herzustellen. Dies drückt sich in der ökonomischen Wirklichkeit durch die

Durchschnittskosten-Minimierung aus.

e) Beschäftigung

Welche Kräfte bestimmt die Skala der wirtschaftlichen Aktivität? Wieso sind beispielsweise nur

90% der Erwerbsbevölkerung beschäftigt und 10% sind unfreiwillig arbeitslos? (Grosse

internationale Organisationen schätzen, dass weltweit gesehen etwa ein Drittel der Bevölkerung

im erwerbsfähigen Alter arbeitslos oder unterbeschäftigt ist.)

Die neoklassische (liberale) Wirtschaftstheorie sagt, dass bei genügender Konkurrenz eine

Tendenz besteht, die gegebenen Faktorausstattungen von Arbeit (N), Boden (B) und Kapital (K)

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voll auszulasten: Mit Nv, Kv und Bv (v = vollbeschäftigt, voll ausgelastet) kann deshalb ein

maximales Sozialprodukt Qmax produziert werden, das Vollbeschäftigung N = Nv impliziert. Es

gilt das Saysche Gesetz: jedes Angebot schafft sich seine eigene Nachfrage (W – G – W’) ;

deshalb sei allgemeine Überproduktion (unfreiwillige Arbeitslosigkeit) unmöglich. Diese

klassische Form des Sayschen Gesetzes wird in anderer Form von den modernen liberalen

(neoklassischen) Ökonomen vertreten: hier schaffen die Faktormärkte eine Tendenz zur

Vollbeschäftigung.

Im Gegensatz dazu hat aber Maynard Keynes (1883-1946) festgehalten, dass in einer

Geldwirtschaft die effektive - Geld ausgedrückte - Nachfrage nicht ausreicht, um das maximale

Vollbeschäftigungssozialprodukt zu kaufen:

G-W .....P ....W'-G' (W’ = Q* < Qv).

Das Problem der effektiven Nachfrage tritt auf bei der Umwandlung von W' in G'. Dieses ist das

Grundproblem von Maynard Keynes. Es ist kein Zufall, dass Keynes sein Hauptwerk, "Die

allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" mitten in der grossen Krise

der 30er Jahre geschrieben hat (1936 veröffentlicht). Mit diesem Werk hat Keynes das Saysche

Gesetz widerlegt: Ein Unterbeschäftigungs-Gleichgewicht bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit ist

möglich. Im einfachsten Fall gilt: Q* = (1/s) I .

Im Zusammenhang mit der Beschäftigung stehen zwei weitere Probleme : Wachstum und

Konjunktur.

f) Wachstum

Die Wachstumstheorie beschäftigt sich mit den Gründen, die eine Zunahme des Sozialproduktes

Q im Zeitablauf t bewirken. Eine mögliche Grundfrage in der Wachstumstheorie: wieso wachsen

einige Volkswirtschaften schneller als andere?

Q

t

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Von 1950-90 hatten GB und die USA (Gewinner des Zweiten Weltkrieges) relativ schwaches

Wachstum. Dagegen wiesen Deutschland und Japan relativ hohe Wachstumsraten auf.

Seit etwa 1990: Schwaches Wachstum und hohe Arbeitslosigkeit im Westen, sehr hohe

Wachstumsraten in Asien, vor allem in China.

g) Konjunktur

Vier Phasen: I Aufschwung, II Hochkonjunktur, III Abschwung und IV Krise; alle vier Phasen

zusammen ergeben die Spannweite des Zyklus. Drei verschiedene Arten von Zyklen mit

unterschiedlichen Spannweiten:

Kondratiev-Zyklen (50 - 60 Jahre)

Juglar-Zyklen (8 - 10 Jahre)

Kitchin - Zyklen (um die 3 Jahre)

h) Entwicklungstheorie

Die Entwicklungstheorie fragt nach den tieferen Ursachen des Wachstums. Welche

ökonomischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen müssen vorhanden sein, damit

Wachstum überhaupt zustande kommen kann? Also, welche sozialen Institutionen und welche

Verhaltensweisen der Individuen führen zu wirtschaftlichem Wachstum? Die wirtschaftliche

Entwicklung wird hervorgebracht durch ein komplexes Ursachenbündel von subjektiven und

objektiven Faktoren:

Q

t I II III IV

Qv

Q

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Angebotsfaktoren & Nachfragefaktoren

Unternehmertum Absatzmärkte (interne, externe)

Erfindertätigkeit Beschaffungsmärkte

Erziehungssystem

Rechtssystem

Politisches System (Stabilität)

Kapitalstock und Produktionstechnik

i) Geld und Zins

Frage nach dem Wesen von Geld und Zins:

- Neoklassik: Monetarisierte Wirtschaft (W – G – W’) ; monetäre Theorie des Tausches (G – W

… MP … W’ – G’) ; Geld ist hier neutral und ist Transaktionsmittel. Der Zins ist in der

Neoklassik eine Belohnung für das Sparen.

- Keynes: Geld ist nicht neutral (Transaktionsmittel und Wertaufbewahrungsmittel). Der Zins ist

eine Belohnung für die Aufgabe von Liquidität. (In der Theorie von Keynes ist eine monetäre

Theorie der Produktion impliziert.)

- Klassisch-Keynesianische Politische Ökonomie:

Enthält eine monetäre Theorie der Produktion: G – W …. P …. W’ – G’

Die Wirtschaft kann ohne Geld überhaupt nicht funktionieren. Geld (und der Finanzsektor) G

stehen am Anfang des monetären Produktionsprozesses; in der Schlusssequenz werden die

Endprodukte W’ in Geld G’ umgetauscht. Von zentraler Bedeutung ist, dass in einer monetären

Produktionswirtschaft immer Geld gegen Güter getauscht wird, nie Güter gegen Güter, direkt

oder indirekt (W – W’ oder W – G – W’), wie das in der Klassik (Say) und in der modernen

Neoklassik der Fall ist. Die effektive Nachfrage G’ beschränkt den Output W’(Q* < Qv). Eine

ungleiche Einkommensverteilung ist die wichtigste Ursache für die Arbeitslosigkeit. Geld ist

deswegen nicht neutral. Geld ist auch endogen: ‘ Die Geldmenge’ passt sich passiv an die

wirtschaftliche Aktivität an.

Der Zins ist ein Anteil am sozialen Überschuss (P + R).

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j) Aussenhandel

- Klassisch und neoklassische (liberale) Aussenhandelstheorie:

Beschäftigung gegeben; in der Regel wird Vollbeschäftigung postuliert. Der inernationale

Handel (Exporte X, Importe M) wird geregelt durch das Prinzip der komparativen Kosten.

Veränderungen der Wechselkurse, relative Preise für Gelder von je zwei Ländern und der

entsprechenden Güter, bewirken eine Tendenz zu einem Leistungsbilanzgleichgewicht: X = M

(Elastizitätsoptimismus: eine einprozentige Preissenkung bewirkt Mengenveränderungen von

viel mehr als einem Prozent!).

- Merkantilistisch-Keynesianische Theorie:

Der langfristige Entwicklungsstand und das langfristige Beschäftigungsvolumen hängen von der

Aussenhandelsstruktur eines Landes ab.

Eine günstige Aussenhandelsstruktur ist verbunden mit einem hohen Beschäftigungsvolumen

und in der Regel hohem Wohlstand (Schweiz, Deutschland und Japan ; alle drei sind sehr

rohstoffarm !):

- Export von hochwertigen (Manufaktur-) Industrieprodukten;

- Import von Rohstoffen, landwirtschaftlichen Produkten und Standardindustrieprodukten.

Und – in der Regel - umgekehrt für Länder, die vorwiegend Primärprodukte und

Standardindustrieprodukte exportieren.

3. Untersuchungsobjekt der Dogmengeschichte

Untersuchungsobjekt (Materialobjekt) der Dogmengeschichte sind die die Denksysteme, die von

den grossen Autoren erarbeitet wurden. In diesem Zusammenhang ergeben sich fünf Fragen, die

uns helfen, tiefer in ein Denksystem einzudringen und dieses besser zu begreifen.

1) Womit (mit welchen Problemen) beschäftigt sich ein Autor? Welche Phänomene

(Erscheinungen) will er erklären: Wert, Verteilung oder Beschäftigung? Welche Probleme

betrachtet er als unwichtig? Z.B. Klassiker und Neoklassiker vernachlässigen das Problem der

unfreiwilligen Arbeitslosigkeit, das im Zentrum der Betrachtungen der Merkantilisten und von

Keynes steht.

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2) Was macht den materiellen Gehalt, den Inhalt eines theoretischen Systems aus? Was sagt ein

Autor zu einem bestimmten Problem? Hier spielt der gewählte Ansatz (der gewählte Modelltyp)

eine entscheidende Rolle: welche Grössen (Variable und Parameter) und welche Beziehungen

zwischen Grössen finden sich im Modell vor? Z.B. arbeitet Keynes mit einem

gesamtwirtschaftlichen Modell, das auf dem Prinzip der effektiven Nachfrage basiert; die

Neoklassiker (Liberalen) mit stellen den Angebots-Nachfrage-Mechanismus in der Vordergrund.

Dies impliziert, dass bei Keynes unfreiwillige Arbeitslosigkeit möglich ist, nicht aber bei den

Neoklassikern.

3) Wie, mit welcher formalen Methode geht ein Autor an Probleme heran? Wählt er ein

theoretisches Modell (verbal oder mathematisch formuliert) oder die historisch- beschreibende

Methode? Oder arbeitet er mit dem historisch-philososphischen Ansatz (philosophisch heisst,

eine (ökonomische, soziale oder politische) Theorie, die auf einer Vision von Mensch und

Gesellschaft basiert. Dabei sollte der Wahl des Ansatzes eine Prinzipiendiskussion vorangehen:

Unter verschiedenen möglichen Ansätzen, ist der bestmögliche, der plausibelste, zu ermitteln.

Z.B. soll zur Erklärung der Güterpreise ein (klassisch-Keynesianischer) Produktionsansatz

(Preise werden im sozialen Produktionsprozess gebildet) oder ein (neoklassischer) Tausch- oder

Marktansatz (die grundlegenden Preise sind die Marktpreise) zugrunde gelegt werden.

4) Wozu? Was will ein Autor wirtschaftspolitisch erreichen? Z.B. wollten die Physiokraten der

Landwirtschaft eine dominierende Rolle sichern (Industrie von sekundärer Bedeutung); Keynes

wollte über die Steigerung der effektiven Nachfrage eine Verminderung der unfreiwilligen

Arbeitslosigkeit bewirken.

5) Warum stehen in bestimmten Zeitepochen bestimmte Probleme, Ansätze (Modelltypen) und

Methoden im Vordergrund? Warum gibt es sogenannte klassische Zeitperioden, in denen ein

bestimmtes theoretisches System dominiert? Warum gibt es in anderen Zeitperioden eine

(verwirrende) Vielfalt von Theorien, ohne dass eine bestimmte Theorie dominiert? Welche

Theorie ein Autor entwickelt, hängt von objektiven und subjektiven Faktoren ab. Objektive

Faktoren: Wirtschaftliche, soziale und politische Lage; geistiges Klima (Zeitgeist). Subjektive

Faktoren: soziale Herkunft und spezifische Charakterzüge.des Autors.

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II. Zweck des Studiums der Theoriengeschichte

1. Nutzen des Studiums der Theoriengeschichte (Schumpeter)

a) Durch das Studium der Theoriengeschichte – vor allem der grossen Autoren – ergibt sich eine

Vertrautheit mit den grossen Problemen auf der Ebene der Prinzipien, d.h. der reinen Theorie

(Wert und Preis, Verteilung, Beschäftigung, Geld).

b) Vertrautheit mit den Lösungsansätzen, die die grossen Autoren vorgelegt haben. Ermöglicht

den Vergleich verschiedener Theorien. Besonders aufschlussreich ist der Versuch, Widersprüche

abzuklären. Wieso bestehen entgegengesetzte Auffassungen zum gleichen Problem? Zum

Beispiel postulieren neoklassische Ökonomen eine Tendenz zu Vollbeschäftigung, wenn

Wettbewerbsbedingungen vorherrschen ; Keynesianer und vor allem Post-Keynesianer

behaupten, dass es in einer Geldwirtschaft überhaupt keine Tendenz zur Vollbeschäftigung gibt ;

im Gegenteil : kumulative Kräfte können bewirken, dass sich eine Wirtschaft immer weiter vom

Vollbeschäftigungszustand entfernt.

Ein Überblick über Probleme und unterschiedliche Lösungsansätze ist besonders wichtig, um

sich eine eigene Meinung zu bilden.

Maynard Keynes sagte einmal: ‘Das Studium der Dogmengeschichte ist Emanzipation des

Geistes.’ Man lernt selbständig denken und ist nicht Sklave eines bestimmten Autors oder einer

bestimmten Theorie, oder einer Modeströmung.

c) Kreativität

Aus dem Studium der grossen Autoren kann man neue Ideen gewinnen und grössere

Zusammenhänge sehen. Das ist heute, in einer Zeit der Spezialisierung, sehr wichtig. Es geht

darum, das Ganze zu sehen (in einem gewissen Sinn sind der Mensch und die Gesellschaft

strukturierte Ganzheiten, sogar organische Ganzheiten ; das heisst nicht, dass die Individuen in

der Gesellschaft aufgehen ; im Gegenteil, die geistige Prägung des einzelnen durch die

Gesellschaft, im Unterricht, durch Lesen, Diskutieren sowie durch die Eingebundenheit in das

Soziale, in Vereinen und Unternehmungen zum Beispiel, bereichert die Individuen, die damit zu

einzigartigen Personen, vielleicht sogar Persönlichkeiten werden).

Man muss also den Menschen und die Gesellschaft als Ganzheiten sehen. Man kann den

Menschen und die Gesellschaft nicht in Stücke schneiden und dann diese analysieren im Rahmen

von speziellen Sozialwissenschaften: Ökonomie, Recht, Politikwissenschaft, Soziologie. In der

ganzheitlichen Sicht beschäftigen sich die einzelnen sozialen und politischen Wissenschaften

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nicht mit weitgehend autonomen Bereichen (Wirtschaft, Recht, Politik) , sondern mit integrierten

Aspekten (Dimensionen, Teilen) der Gesamtgesellschaft.

d) Die Theoriengeschichte schärft den Sinn für das Verständnis von geschichtlichen Situationen

und geschichtliche Entwicklungen, vor allem im ideengeschichtlichen Bereich. In diesem

Zusammenhang gibt es aufschlussreiche Fragen: Wieso gibt es Zeitperioden, in den eine Theorie

dominiert, und Zeitperioden, in denen Theorienvielfalt besteht? Wieso wird ein lange

dominierender theoretischer Ansatz (Keynesianismus in 1950er und 1960er Jahren) durch einen

anderen abgelöst (Neoklassik und Monetarismus ab den frühen 1970er Jahren bis jetzt). Damit

im Zusammenhang steht die Dominanz von bestimmten Problemen in der einen Zeitepoche, die

abgelöst werden von anderen. So dominierte das Problem der Beschäftigung die

merkantilistische Epoche, ungefähr 1550 bis 1750). Das Beschäftigungsproblem verschwindet

seit Adam Smith (1776) von der Agenda, um mit Keynes (1936) wieder aufzutauchen ; in der

klassischen und neoklassischen Ära, vor allem im 19. Jh. und weitgehend auch im 20. Jh.

dominiert die Theorie der Wettbewerbsmärkte, die eine Tendenz zu Vollbeschäftigung

implizieren ; die Wirtschaftspolitik wird Wettbewerbspolitik).

e) Durch den Vergleich verschiedener, sich zum Teil widersprechender theoretischer Ansätze

soll die Theoriengeschichte kritisch lesen lernen und mit der Zeit einen annähernden Überblick

über die Primär-Literatur vermitteln (die grossen Probleme und die alternativen Lösungsansätze).

2. Überblick über unterschiedliche theoretische Ansätze gewinnen:

Es gibt verschiedene theoretische Ansätze betreffend die grossen Probleme. Diese Problematik

soll anhand der Fragen des Wertes, der Verteilung und der Beschäftigung angedeutet werden.

a) Wert und Preis

Im Prinzip gibt es zwei grundlegend verschiedene Preistheorien, die objektive und die

subjektive. Die Werttheorie ist das Schlüsselproblem der Wirtschaftstheorie (Luigi Pasinetti): Je

nach gewähltem Ansatz (objektive oder subjektive Werttheorie) ergeben sich bestimmte

Theorien in anderen Bereichen: Verteilung, Beschäftigung, Geld.

Gemäss der objektiven Werttheorie werden die Preise im sozialen Produktionsprozess bestimmt.

Die Preise werden bestimmt durch die Produktionskosten, d.h. direkte und indirekte

Arbeitskosten (Maschinen und Zwischenprodukte werden letztlich auch durch Arbeit

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hergestellt). Die Arbeitskosten oder Arbeitswerte (Arbeitszeit multipliziert mit dem

entsprechenden Lohnsatz) stellen sozusagen das Wesentliche am objektiven Preis dar. Die

Arbeitswerte werden durch die Produktionspreise operabel gemacht (im Prinzip implizieren die

Produktionspreise gleiche Profitraten in allen Sektoren ; die Produktionspreise weichen von den

Arbeitswerten ab, weil die Produktionsbedingungen – die Verhältnisse von fixem zu variablem

Kapital – in den verschiedenen Produktionsbereichen verschieden sind). Die Produktionspreise

wiederum werden durch die Normalkostenkalkulation und dem damit verbundenen normalen

Preis annähernd realisiert.

Gemäss der objektiven Werttheorie sind die Preise bestimmt, bevor die Güter auf den Markt

kommen: In einem Preis-Mengen-Diagramm ist die Angebotskurve eine horizontale Linie, und

die Nachfragekurve bestimmt die Menge, die zum normalen oder dem Produktionspreis

abgesetzt werden kann.

Die subjektive Werttheorie besagt, dass die Preise letztlich durch die Nutzenvorstellungen der

Konsumenten bestimmt sind.

Dies ist am besten ersichtlich aus der Preistheorie der österreichischen Neoklassik: In jedem

Moment (sehr kurzen Zeitraum, z.B. ein Tag) ist die produzierte Menge gegeben (aber natürlich

längerfristig nicht unveränderlich). Die momentane (sehr kurzfristige) Angebotskurve ist deshalb

eine vertikale Linie, und die durch die Wertschätzungen der Konsumenten bestimmte

Nachfragefunktion legt den Preis fest. Nimmt die Wertschätzung der Konsumenten zu,

verschiebt sich die Nachfragekurve nach rechts und nach oben, und der Preis steigt.

Beide Theorien stimmen für sich genommen in einem gewissen Sinn. Die objektive Preistheorie

ist langfristig; konstante oder sich langsam verändernde Faktoren (Technologie und

Institutionen) bestimmen die Produktionspreise. Die rein subjektive Werttheorie ist dagegen

extrem kurzfristig. Die Frage ist: welche Theorie ist grundlegender?

b) Verteilung

Es gibt zwei grundlegende verschiedene Ansätze, um die Verteilung zu erklären: den klassischen

und den neoklassischen Ansatz. Der klassische Verteilungsansatz wächst aus der objektiven

Werttheorie heraus, der neoklassische aus der subjektiven.

Klassik im Sinne von Ricardo (inklusive heutige Post-Keynesianische und Klassisch-

Keynesianische Politische Ökonomie):

Hier steht das Verteilungsproblem in direktem Zusammenhang mit der objektiven Werttheorie

und ist ein gesellschaftlich-politisches Problem*, basierend auf dem Überschussprinzip**.

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* Institutionen sind für die Verteilung von zentraler Bedeutung: Gewerkschaften,

Arbeitgeberverbände, Staat (Minimallöhne), Gesetze, Sitten und Gebräuche (Frauenlöhne);

Institutionen haben sich geschichtlich entwickelt. Die Verteilung ist ein Problem der

Proportionen: W/Y, P/Y und R/Y: Verhältnis von Teil (Klasse) zum Ganzen (Gesellschaft).

Dazu kommen Strukturen, z.B. die Lohnstruktur.

** Alles was über den lebensnotwendigen Lohn hinausgeht (Ricardos natürlicher Lohn) ist

Überschuss (Überschusslohn, Profite und Zinsen sowie Renten: Landrenten und Arbeitsrenten,

z.B. Renten für besondere Fähigkeiten).

Das Überschussprinzip zeigt sich auch in der Preisbildung (mark-up pricing: der

Produktionspreise ergibt sich aus den variablen Stückkosten plus einem Zuschlag, der die

Fixkosten deckt und eine angestrebten Gewinn erbringt ; full cost pricing, Vollkosten-

Preisbildung : Produktionspreis gleich totale Durchschnittskosten plus Gewinnzuschlag). Das

Überschussprinzip steht damit in direktem Zusammenhang mit der objektiven Preistheorie.

Marktlöhne, -profite, -renten können von den institutionell festgelegten Grössen abweichen.

Gemäss der Neoklassik ist die Verteilung ist ein Marktproblem. Es gibt Faktormärkte, d.h.

Märkte für Boden, Kapital und Arbeit. Institutionen bestimmen die Lage von Angebots- und

Nachfragefunktionen.

Die neoklassische Verteilungstheorie ergibt sich aus der subjektiven Werttheorie : Weil die

Konsumgüter wegen der (subjektiven) Wertschätzung der Konsumenten einen Wert haben,

haben auch die Produktionsfaktoren und Zwischenprodukte, mit deren Hilfe die Konsumgüter

produziert werden, einen Wert.

c) Beschäftigung

Es gibt zwei grundlegende Ansätze in der Beschäftigungstheorie: - die angebotsorientierte

klassische und neoklassische Theorie und die nachfrageorientierte merkantilistisch-

Keynesianische Theorie.

1) Gemäss der klassischen politischen Ökonomie schafft sich jedes Angebot seine eigene

Nachfrage: W – W’ ; die Produktion einer Ware W führt automatisch zu einer Nachfrage nach

einem anderen Gut. Deshalb ist allgemeine Überproduktion – die Überproduktion aller Güter –

unmöglich (Saysches Gesetz – von Jean-Baptiste Say, einem Anhänger von Adam Smith, der in

der ersten Hälfte des 19. Jh. schrieb). Im Prinzip besteht immer Vollbeschäftigung.

Arbeitslosigkeit ist nur strukturell. Dies ist ein Problem der Proportionen zwischen Sektoren :

einige Sektoren sind zu ‘gross’ (es wird zuviel vom entsprechenden Gut produziert), anderseits

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

15

wird entsprechend in den zu ‘kleinen’ Sektoren zuwenig produziert; dies vermindert die

Nachfrage nach anderen Gütern, und so entsteht strukturelle Arbeitslosigkeit.) – Das Geld spielt

eine sekundäre Funktion; vor allem erleichtert es die Tauschvorgänge: W – G – W’. Geld ist in

klassischer Sicht nur ein Schleier, der die realen Vorgänge überdeckt.

In der neoklassischen Theorie (Alfred Marshall) wird Vollbeschäftigung durch ein reibungsloses

Ineinandergreifen der Märkte bewirkt: Bei Arbeitslosigkeit sinkt der Lohnsatz und die Profitrate

(Grenzproduktivität des Kapitals) steigt und übersteigt den Zinssatz. Die Unternehmer

investieren mehr, was neue Arbeitsplätze schafft (kurz- und mittelfristiger Effekt der

Lohnsenkung). Mittel- und langfristig werden neue Arbeitsplätze geschaffen, weil die

Unternehmer nun relativ mehr Arbeit und weniger Kapital einsetzen; durch die Lohnsenkung ist

die Arbeit relativ zum Kapital billiger geworden (Minimalkostenkombination!). Diese Prozesse

dauern an, bis Vollbeschäftigung erreicht ist. In der Neoklassik drückt sich das Saysche Gesetz

anders aus : Alles Gesparte wird immer investiert. Das Sparen bestimmt die Investitionen.

Gemäss der neoklassischen Theorie ‘löst’ also das selbstregulierende Marktsystem das Problem

der Beschäftigung.

2) Die nachfrageorientierte merkantilistisch-Keynesianische Beschäftigungstheorie geht nun

nicht von einer Marktwirtschaft aus, sondern von einer monetären Produktionswirtschaft. Dabei

ist mit Produktion der soziale Produktionsprozess gemeint [Bezugs- und Lieferungsgeflecht

zwischen Industrien (Primär- und Zwischenprodukte) und Sektoren (Endprodukte)]. Das

Grundschema der ‘monetary theory of production’ wurde von Marx und Keynes entwickelt und

explizit bzw. implizit verwendet (Keynes 1933 (A Monetary Theory of Production), basierend

auf Marx 1885 (Das Kapital, Band II, p. 31):

G - W ... P .... W' - G' G:

Geld und finanzielle Eigen- und Fremdmittel, mit denen die Unternehmer Produktionsmittel

kaufen (Fixkapital und umlaufendes Kapital) und Arbeiter einstellen (W). Diese werden im

sozialen Produktionsprozess in Endprodukte W’ umgewandelt, die gegen die in Geld

ausgedrückte effektive Nachfrage G’ abgesetzt werden müssen.

Das Problem von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit tritt bei W' - G' auf: wegen mangelnder

effektiver Nachfrage kann die Vollbeschäftigungsproduktion (W’v)nicht abgesetzt werden.

Systembedingte unfreiwillige Arbeitslosigkeit kommt zustande. Die effektive Nachfrage - und

damit Output und Beschäftigung - ist abhängig von einer Vielzahl von Faktoren:

Einkommensverteilung, Staatsausgaben, Investitionsdynamik, Exporten, Importkoeffizienten

und den Austauschverhältnissen.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

16

3. Theoriengeschichte als Orientierungshilfe in einer Flut von Informationen

Wir haben heute eine Theorienvielfalt, die für Studenten und Professoren verwirrend ist. Diese

Theorienvielfalt wird begleitet von einer ungeheuren Informations- oder Literaturflut. Die

Theoriengeschichte soll nun helfen, Übersicht zu gewinnen, zu klassifizieren, alternative

Theorien (aufbauend) kritisch zu beurteilen und kritisch lesen zu lernen.

a) Theorienvielfalt und Informationsflut

Der heutige Student der Wirtschaftswissenschaften steht vor keinen leichten Aufgabe: Er wird

von einer wahren Informationsflut überschwemmt. Hunderte von Büchern und tausende von

Artikeln werden jährlich über wirtschaftliche Probleme geschrieben, über Preisbildung,

Einkommensverteilung, Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Unterentwicklung und so weiter. Einige

Autoren gehen rein theoretisch an diese Probleme heran, andere eher historisch-beschreibend,

wieder andere verbinden Theorie und Empirie/Geschichte (methodisches Problem: Verhältnis

von Theorie und Geschichte).

Besondere Schwierigkeiten bietet die Tatsache, das die Vertreter unterschiedlicher ökonomischer

Schulen in ihren Veröffentlichungen die verschiedensten Meinungen vertreten: Monetaristen,

Keynesianer, Post-Keynesianer und Marxisten äussern sich z.B. in diametral entgegengesetzter

Art und Weise zum Problem der Arbeitslosigkeit. Die neuen Möglichkeiten der Textverarbeitung

werden sicher die Informationsflut noch verstärken. Dazu kommt, dass die meisten

Wissenschafter gezwungen sind, regelmässig zu veröffentlichen. Ausgehend von den

Vereinigten Staaten setzt sich das 'publish or perish' immer mehr auch in Europa durch.

Wie soll sich nun der Student angesichts der Masse an Informationen und der Vielfalt der sich

zum Teil widersprechenden Meinungen verhalten? Es ist ja unmöglich, auch nur einen winzigen

Bruchteil der vorhandenen und neu anfallenden Literatur zu lesen. Dies selbst dann, wenn man

sich auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt. Zudem wird das Lesen erschwert durch die zum Teil

unnötig hochabstrakte, mathematische Ausdrucksweise in vielen Büchern und Zeitschriften.

Mathematische Methoden sind sicher angebracht bei klar definierten Partialproblemen in der

ökonomischen Theorie, oder um sich einen Überblick über komplexe Probleme zu verschaffen

und um formallogische Probleme abzuklären. Dazu wird Mathematik am besten als Kurzschrift

gesehen. In diesem Sinne hat Alfred Marshall, ein hervorragender Mathematiker, auf dem

Gebiete der ökonomischen Theorie gearbeitet. Im Haupttext seiner ‘Principles of Economics’

findet sich keine einzige Formel. Gleichzeitig sagte Marshall auch, dass ungemein komplexe

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

17

organische Ganzheiten wie der Mensch, die Wirtschaft und die Gesellschaft nicht auf Formeln

reduziert werden können.

b) Meisterung der Theorienvielfalt und Informationsflut

Ein erster Schritt zur Meisterung der Informations- und Meinungsflut ist getan, wenn man sich

vor Augen hält, dass die neueste Literatur nicht immer die beste ist. Zum Teil besteht diese aus

Vereinfachungen und Verwässerungen der grundlegenden Werke. Zum Beispiel hat sich Adam

Smith ausdrücklich bemüht, seine volkswirtschaftliche Theorie auf ein ethisches Fundament zu

stellen. Letzteres wurde jedoch in der modernen Theorie lange vernachlässigt und wird jetzt

allmählich wieder entdeckt.

Ein zweiter, entscheidender Schritt, um die Literaturflut meistern zu können, ist gegeben in einer

Klassifikation der Literatur nach ihrer Wichtigkeit. Dies ist weniger arbiträr als man auf den

ersten Blick glauben möchte. Im grossen und ganzen ist man sich darüber einig, dass es

verhältnismässig wenige klassische Werke gibt, in denen die grossen ökonomischen Probleme

definiert und die grundlegenden Ansätze zur Lösung dieser Probleme dargestellt sind. Dieses ist

die sogenannte Primärliteratur, die sich also mit Prinzipien, d.h. mit reiner Theorie, die mehr

oder weniger umfangreich mit historischen Beispielen illustriert sein können. Die

Sekundärliteratur setzt sich mit der Primärliteratur auseinander; sie beschäftigt sich

beispielsweise mit Interpretationsproblemen, gibt vereinfachende Einführungen, stellt

Zusammenhänge her. Die Autoren, die sich im Rahmen der Sekundärliteratur mit der

Primärliteratur auseinandersetzen sollten diese natürlich eingehend kennen. Das ist nicht immer

der Fall – es wurde vieles über Marx und Keynes geschrieben, ohne dass die Autoren die

Originale jemals von innen gesehen hatten. Aber es gibt glücklicherweise sehr viele

ausgezeichnete Bücher der Sekundärliteratur, ohne die ein Einstieg in die Primärliteratur

meistens gar nicht möglich wäre, weil diese meistens nicht leicht zu lesen ist. Dies gilt etwa für

die Frühschriften und Das Kapital von Karl Marx sowie einige der Weiterentwicklungen der

Marxschen Theorie; dazu gibt es eine Unmenge von ausgezeichneter Sekundarliteratur. Hier nur

zwei repräsentative Beispiele: Der sozio-ökonomische Aspekt des Werkes von Marx ist

hervorragend dargestellt von Paul M. SWEEZY: Theorie der kapitalistischen Entwicklung.

Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1970; amerik. Orig. 1942; die philosophische Dimension ist

ausgezeichnet behandelt von Leszek KOLAKOWSKI: Die Hauptströmungen des Marxismus,

drei Bände. München-Zürich (Piper – Verlag); Band I: Entstehung (1977), Band II: Entwicklung

(1978), Band III: Zerfall (1979). Eine ausgezeichnete Einführung in das Hauptwerk von

Maynard Keynes (Die allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes; engl.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

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Orig. 1936) ist Alvin H. HANSEN: Keynes’ ökonomische Lehren – Ein Führer durch sein

Hauptwerk. Stuttgart und Düsseldorf (Ring-Verlag) 1959.

Auf der Grundlage der Primär- und Sekundarliteratur beschäftigt sich die Tertiärliteratur mit der

Weitergabe von Wissen (Lehrbücher) und mit theoretischen und empirisch/historischen

Spezialproblemen ; hier findet man natürlich die grosse Masse der Literatur. Davon kann der

einzelne natürlich nur jeweils einen winzigen Bruchteil lesen. Wegen der überwältigenden

Literaturfülle ist es unmöglich, ein Buch aus der Tertiärliteratur (aufbauend) kritisch zu

beurteilen, indem man versucht, innerhalb der Tertiärliteratur einen Überblick über Probleme

und Lösungsansätze zu finden. Das kann nur auf der Basis der Primärliteratur (und natürlich

guter Sekundärliteratur) geschehen.

Was gehört nun zur ökonomischen Primärliteratur? Auf das Risiko hin, einigen Autoren Unrecht

zu tun, zählen wir nur die nachstehenden Werke dazu (siehe auch das Übersichtsschema zur

Entwicklung der ökonomischen Theorie):

1) James Steuart: An Inquiry into the Principles of Political Economy (1767)

Dieses Buch stellt eine Synthese der merkantilistischen Literatur dar. Es kann als Vorläufer der

"Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" von Maynard Keynes

betrachtet werden. Das Beschäftigungsproblem steht im Vordergrund.

2) François Quesnay: Tableau économique, mit Erklärungen (um 1758)

Sozialer Produktionsprozess, Kreislauf von Geld und Gütern, Proportionen zwischen Sektoren,

Beschäftigung, natürlicher und Marktpreis. Ausgezeichnete Darstellung in August ONCKEN:

Geschichte der Nationalökonomie. 1.(einziger) Band, Leipzig (Hirschfeld) 1902; II. Buch, Die

Nationalökonomie als Wissenschaft: Das Physiokratische System, pp. 314ff.

3) Adam Smith: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776).

Grundlegendes Werk der liberalen Nationalökonomie; die heutige liberale Theorie ist eine

vereinfachte und weiterentwickelte Version des Smithschen Systems. Grosse Problemkreise:

Produktion, Wert, Verteilung, Wachstum und wirtschaftliche Entwicklung. Adam Smith wischt

das grosse merkantilistische Problem der Beschäftigung unter den Tisch.

4) Jean-Baptiste Say: Traité d’Economie Politique, ou simple exposition de la manière dont se

forment, se distribuent et se consomment les richesses (1803).

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

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J.-B. Say ist ein (begeisterter) Anhänger von Adam Smith. Allgemeine Überproduktion und

damit unfreiwillige Arbeitslosigkeit ist unmöglich: «Jedes Angebot schafft sich seine eigene

Nachfrage» (Saysches Gesetz). Das Saysche Gesetz ist ausführlich dargestellt und begründet in

der 6. Auflage des Traité, pp. 138-48 (Livre premier, chapitre XV – Des Débouchés [Über die

Absatzwege].

5) David Ricardo: On the Principles of Political Economy and Taxation (3. (erweiterte) Auflage

1821)

Das erste logisch einwandfreie System der theoretischen Nationalökonomie. Ricardos Werk ist

aus einer Kritik von Adam Smith entstanden. Probleme: Verteilung, Wert, Geld, Aussenhandel,

Besteuerung. Ricardo vertritt kompromisslos das Saysche Gesetz.

6) Thomas Robert Malthus: Principles of Political Economy considered with a view to their

practical application (1820).

Versucht das Saysche Gesetz zu widerlegen (gilt deshalb als Vorläufer von Keynes). Scheitert

aber an Ricardos ausgezeichneter Verteidigung des Gesetzes (niemand produziert ein Gut, ohne

ein anderes kaufen zu wollen).

7) J. Ch. L. Simonde de Sismondi: Nouveaux Principes d’Economie Politique (1819).

Vorläufer von Keynes; scheitert – wie so viele andere – am Sayschen Gesetz.

8) Karl Marx: Das Kapital, 3 Bände (1867, 1885, 1894)

Umfassende Darstellung der Entwicklungsgesetze von kapitalistischen Wirtschaften in einem

weiteren philosophischen und historischen Umfeld (Produktion, Wert Verteilung, Akkumulation,

Krise; Methode: Einwandfreie Verbindung von Theorie und Geschichte.) Die grosse

Kapitalismuskritik des 19. Jh., mit Auswirkungen bis heute; wird auch im 21. Jh. hochaktuell

bleiben. Der grosse Politische Ökonom des 19. Jh.

9) William Stanley Jevons: Principles of Political Economy (1871)

Leitet die marginalistische (neoklassische) Revolution ein.

10) Léon Walras: Eléments d'Economie Politique Pure ou Théorie de la Richesse Sociale (1874)

Allgemeine Gleichgewichtstheorie (verbunden mit dem Pareto-Optimum): Grundmodell der

Neoklassik.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

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11) Alfred Marshall: Principles of Economics (1890)

Lag als Manuskript schon um 1870 herum vor. Operationalisierung des (inoperablen)

allgemeinen Gleichgewichtsmodells von Walras. Neoklassisches Partialmodell, das über die

neoklassische Synthese lange die heutigen Lehrbücher dominierte und überhaupt die Grundlage

für die heutige Lehrbuch-Literatur ist. Nicht erstaunlich: Marshalls Principles sind didaktisch

hervorragend und mit grösster Klarheit geschrieben. Marshall ist deshalb vielleicht der

einflussreichste Autor in den Wirtschaftswissenschaften. Er verlieh der marginalistischen

Revolution Dauer.

12) Carl Menger: Grundsätze der Volkswirtschaftslehre (1871)

Begründung der österreichischen Neoklassik (diese ist heute vor allem wegen zwei grossen

‘Österreichern’ – Joseph Alois Schumpeter und Friedrich von Hayek – als Austrian Economics

hochaktuell).

13) Knut Wicksell: Geldzins und Güterpreise (1898); Vorlesungen über Nationalökonomie

(1901)

Mit diesen beiden Büchern bereitet Wicksell die Doppelrevolution der ‘Years of High Theory

1926-1939’ (G.L.S. Shackle) vor: Maynard Keynes revolutionierte die Beschäftigungstheorie

(ein Gleichgewicht bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit ist möglich) und Piero Sraffa bewirkte

eine Revolution in der Wert- und Verteilungstheorie (Produktionspreise – objektive Werttheorie

und Überschussprinzip der Verteilung: Verteilung als soziales und politisches Problem).

14) Maynard Keynes: The General Theory of Employment, Interest and Money (1936)

Das Grundlagenwerk der modernen Beschäftigungs- und Geldtheorie: eine monetäre Theorie der

Produktion. Widerlegt das (selbstverständliche) Saysche Gesetz, eine der grössten intellektuellen

Leistungen der ökonomischen Theoriengeschichte. Keynes war viel mehr als ein grosser

Ökonom. Er war auch Philosoph (Erkenntnistheoretiker und Staatsphilosoph) und Staatsmann

und so nebenbei ein glänzender Publizist, Unternehmer und Finanzmann. Maynard Keynes ist

der Begründer des Sozialen Liberalismus, des Mittelweges zwischen Liberalismus und

Sozialismus.

15) Piero Sraffa: Production of Commodities by Means of Commodities (1960)

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

21

Mit diesem kleinen Buch von 99 Seiten, sein einziges Buch, an dem er 34 Jahre lang schrieb,

leitete Piero Sraffa die Renaissance der Klassik (im Sinne von Ricardo) in die Wege

(Produktionspreise – objektive Werttheorie und Überschussprinzip der Verteilung: Verteilung als

soziales und politisches Problem). (Allerdings schrieb Piero Sraffa an seinem Buch mit langen

Unterbrüchen: Zwischendurch gab er nämlich die Vollständigen Werke von David Ricardo

heraus, zu denen er im ersten Band eine glänzende Einleitung schrieb. Sraffas Ricardo-

Herausgabe gilt als die grösste editorische Leistung des 20. Jahrhunderts.)

16) Luigi Pasinetti: Theory of Value – A Source of Alternative Paradigms in Economic Analysis.

In: Foundations of Economics – Structures of Inquiry and Economic Theory, edited by Mauro

Baranzini and Roberto Scazzieri. Oxford (Basil Blackwell) 1986, pp. 409-31

Gestützt auf sein bisheriges Werk, schuf Pasinetti mit diesem Aufsatz die Grundlage für die

(schwierige) Synthese von Ricardo (Sraffa) und Keynes, auf der die Klassisch-Keynesianische

Politische Ökonomie aufbaut, die Politische Ökonomie des Sozialen Liberalismus.

Es wurde bereits angedeutet, dass die Kenntnis der grossen Autoren (Probleme, Inhalt der

Theorie, methodisches Vorgehen) grundlegend sei. Die Primärliteratur ist zahlenmässig sehr

klein, die Sekundärliteratur nicht sehr umfangreich, währenddem die Tertiärliteratur heute

unabsehbar ist.

Die in der Sekundärliteratur enthaltenen Bücher und Aufsätze stehen in direkter Beziehung zu

den Originalen, also der Primärliteratur. Die Tertiärliteratur dagegen stützt sich auf

Sekundärliteratur oder auf andere Tertiärliteratur. Weil die direkte Beziehung zum Original nicht

mehr gegeben ist, ist hier die Gefahr von Missverständnissen oder sogar Verfälschungen

besonders gross. So sind in der heutigen Tertiärliteratur sehr viele Bücher über Keynes und Marx

irreführend oder sogar irrelevant, weil jeglicher Bezug zum Original fehlt.

Zutreffende Beispiele für irreführende Tertiärliteratur bieten auch viele ökonomische

Lehrbücher. So wird etwa die ökonomische Theorie von Marx völlig losgelöst von seinen

philosophischen Ansichten dargestellt. Dies ist unzulässig, weil die ökonomischen Theorien von

Marx aus seiner Geschichts- und Gesellschaftsphilosophie herauswachsen und untrennbar damit

verbunden sind. Oder die Lehrbuchdarstellungen von Keynes stützen sich meistens auf das IS-

LM-Modell, das von J.R. Hicks im Jahre 1937 entwickelt wurde (Mr Keynes and the Classics).

Das IS-LM-Modell gehört damit zur Sekundärliteratur. Hier wird eine Gleichgewichts-

Interpretation von Keynes gegeben. Dabei hat Keynes ökonomische Gleichgewichtszustände als

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

22

irrelevant betrachtet, weil sich die Wirtschaftssubjekte (Unternehmer und Haushalte) permanent

einer unsicheren Zukunft gegenübersehen.

Diese Bemerkungen deuten an, wie das oben angeschnittene Problem der Informationsflut

wenigstens annähernd gelöst werden kann: Die Kenntnis der in der zahlenmässig sehr geringen

Primärliteratur enthaltenen Probleme und Lösungsansätze ermöglicht es, zu irgendeinem Buch

oder Artikel aus der Sekundärliteratur oder aus der ungeheuren Masse der Tertiärliteratur kritisch

Stellung zu beziehen. Dies ist möglich, weil in Sekundär- und Tertiärliteratur wenig

grundsätzlich Neues vorhanden ist. In dieser Literatur werden vorwiegend Lösungsansätze und

Methoden für grundlegende Probleme weiterentwickelt, die in der Primärliteratur bereits

enthalten sind. Aus diesem Grunde ist oft lohnender, sich sehr ausführlich mit einer wichtigen

Textstelle aus der Primärliteratur auseinanderzusetzen, als zehn Bücher aus der Sekundär- und

Tertiärliteratur zu lesen. Der Zweck einer dogmengeschichtlichen Vorlesung ist es nun,

Studentinnen und Studenten mit der ökonomischen Primärliteratur ein wenig vertraut zu machen

und ihm damit einen ersten groben Überblick über die ökonomische Literatur zu verschaffen.

III. Theorien und ihre historische Entwicklung

1. Gegenwärtig bestehende Theorien

Die untersten Blöcke im Übersichtsschema deuten die heutige Lage an. Es können drei grosse

Theoriengruppen gebildet werden:

a) Polit-Ökonomische Theorien des Sozialismus (Politische Ökonomie des Sozialismus),

inklusive Kapitalismuskritik (humanistischer Sozialismus und Sozialismus mit zentraler

Planung). Grosse Autoren: Karl Marx (Hauptwerk: Das Kapital – Kritik der Politischen

Ökonomie), Friedrich Engels, Maurice Dobb, Oskar Lange, Paul Sweezy (Theorie der

kapitalistischen Entwicklung), Rudolf Bahro.

b) Neoklassische Theoriengruppe (Neoklassik als ökonomische Theorie des Liberalismus)

aa) Allgemeine Gleichgewichtstheorie von Léon Walras (Grundmodell der Neoklassik; ist

normativ – direkter Zusammenhang mit dem Pareto-Optimum). Theorie der Rationalen

Erwartungen (Wir sind immer Gleichgewicht: Gleichgewichts-Arbeitslosigkeit; Gleichgewichts-

Konjunkturschwankungen: Das Positive und das Normative fallen zusammen. Das statische

Gleichgewichtsmodell von Walras wird dynamisiert, über Erwartungen wird die Zeit eingeführt.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

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Die Schule der Rationalen Erwartungen projeziert damit das Allgemeine Gleichgewichts-Modell

von Walras auf eine höhere Ebene (es war immer das Bestreben Schumpeters das statische

Modell von Walras zu dynamisieren). Die Theorie der Rationalen Erwartungen wird heute

‘Neuklassische Theorie’ (New Classical Theory) genannt. Aus dem Walrasianischen

Gleichgewichtsmodell haben sich zwei grosse Gruppen von Ungleichgewichtstheorien

herausgebildet. (Siehe zu diesen Ungleichgewichtstheorien sowie zur Neuklassischen Theorie

das ausgezeichnete Lehrbuch von Bernhard Felderer und Stefan Homburg: Makroökonomik und

neue Makroökonomik. 8. Auflage, Berlin-Heidelberg (Springer-Verlag) 2003; erste Auflage

1984). Einmal, die Neokeynesianische Theorie: Zu kleine effektive Nachfrage kann zu einer

Beschränkungen der absetzbaren Mengen führen und somit zu Arbeitslosigkeit

(Felderer/Homburg, Kapitel IX). Dann die Neukeynesianische Theorie: Starrheiten von Preisen

und Lohnsätzen verhindern, dass einige oder alle Güter- und Faktormärkte ins Gleichgewicht

kommen (Felderer / Homburg, Kapitel X).

bb) Die Theorie des partiellen Gleichgewichts von Alfred Marshall. Mit seiner Theorie von

Angebot und Nachfrage hat Marshall das (inoperable) Allgemeine Gleichgewichts-Modell von

Walras operationalisiert. Durch Kombination von Partialmodellen kann eine Art von

‘aggregierter allgemeiner Gleichgewichtstheorie’ geschaffen werden, z.B. das IS-LM-Diagramm

von J.R. Hicks. Das IS-LM-Diagramm ist Teil der Neoklassischen Synthese von Paul A.

Samuelson (Synthese von Neoklassik (Marshall) und Keynes). Dank Samuelsons berühmtem

Lehrbuch ‘Economics – Volkswirtschaftslehre’ hat die Neoklassische Synthese die theoretische

Szene von etwa 1950 bis 1970 fast vollkommen beherrscht.

cc) ‘Supply-side economics’ und ‘Austrian Economics’ (J.A. Schumpeter, F.A. von Hayek) sind

angebotsorientierte neoklassische Theorien. Die ‘Österreichische Schule’ besagt, dass

dynamische Unternehmer bewusst Ungleichgewichte schaffen (Neue Produkte und

Produktionsverfahren), wobei allerdings das allgemeine Gleichgewicht von Walras immer im

Hintergrund steht.

c) Die ökonomische Theorie des Sozialen Liberalismus: Klasssisch-Keynesianische Politische

Ökonomie und damit verbundene Theorien

Die Klassisch-Keynesianische Politische Ökonomie ist im wesentlichen eine Synthese von

Ricardo und Keynes und stellt die ökonomische Theorie des Mittelweges zwischen Liberalismus

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

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und Sozialismus – des Sozialen Liberalismus - dar. Es handelt sich um eine Ergänzung,

Weiterentwicklung und des Post-Keynesianismus, der drei Theorienströmungen enthält: die

Keynesianischen Fundamentalisten, die Robinsonian-Kaleckians: Anhänger von Joan Robinson

und Michal Kalecki (bringen Keynes und Marx, damit auch Ricardo, zusammen) sowie die Neo-

Ricardianer.

Der Post-Keynesianismus ist, wie die Bezeichnng andeutet, aus dem Keynesianismus

herausgewachsen, der immer in Lehrbüchern auftritt (z.B. in Felderer/Homburg, Kapitel V). In

einem weiteren Sinne gehören auch die Amerikanischen Institutionalisten und die Vertreter der

Deutschen Historische Schulen und ihre Nachfolger zur sozialliberalen Theoriengruppe.

2. Historische Entwicklung von ökonomischen Theorien

Diese ist angedeutet anhand des Übersichtsschemas und des Überblicks über die

Gesamtvorlesung:

1. Teil: Vorgeschichte

A. Griechenland:

I. Platon (Der Idealstaat)

II. Aristoteles (Der Mensch als soziales Individuum; realistische Staatsauffassung;

Gerechtigkeit und Preisbildung; Oikonomia und Chrematistik)

B. Rom: Keine Grundsatzüberlegungen zum Wirtschaftlichen. Dagegen Römisches Recht

(Privatrecht)

C. Mittelalter: (Thomas von Aquin: Das Gemeinwohl; verteilende und ausgleichende

Gerechtigkeit; der gerechte Preis)

I. Geistige Grundhaltung (Einbettung der Wirtschaft in die Ethik)

II. Modifikation der Grundhaltung (Lockerung des Zinsverbots)

III. Vom Mittelalter zur Neuzeit (Die Wirtschaft wird selbständig)

2. Teil: Die Entstehung des klassischen Systems

A. Merkantilismus und Kameralismus (Die Wirtschaft im Dienste des Staates: Finanzierung

nationalstaatlicher Machtpolitik; Monopole - Privilegien; industrie- und aussenhandelsorientiere

Wirtschaftspolitik)

Liberalismus (Reaktion gegen den Merkantilismus; Wirtschaftsfreiheit; Konkurrenz):

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

25

B. Physiokratie (Landwirtschaft als Grundlage der Wirtschaft; Produktion als sozialer und

zirkulärer Prozess; Kostentheorie des Preises; politische Verteilungstheorie)

C. Klassik ('Arbeitswerttheorie')

I. Adam Smith: Optimistischer Liberalismus;

II. Jean Baptiste Say (Saysches Gesetz)

III. Malthus (Bevölkerungstheorie; Furcht vor Überakkumulation);

IV. Ricardo: Höhepunkt der klassischen Theorie - Pessimismus - Kritik an Adam Smith;

reine Arbeitswerttheorie; soziologische Verteilungstheorie; der stationäre Zustand;

Produktion primär, Tausch sekundär.

V. J.St. Mill (Synthese der klassischen Ideen): Komplementarität, Produktion als sozialer

Prozess; institutionelle Verteilungstheorie.

3. Teil: Von der Klassik ausgehende Entwicklungen - Die Herausbildung der heutigen

Schulen

A. Die neoklassische Entwicklungslinie (Liberalismus) (Lit.: Napoleoni; Screpanti-Zamagni,

pp.145-212)

I. Reale Theorie:

1. Vorläufer

2. Die marginalistische Revolution 1870 (Jevons, Walras, Marshall, Menger):

Subjektivismus, Vorrang des Tausches, Produktion als Anwendungsgebiet des

Tausches (Faktormärkte); zentrale Rolle des Substitutionsprinzips

3. Der Neoliberalismus (von Mises, Hayek, Eucken)

II. Geldtheorie (vor allem von Wicksell eingeleitete Entwicklungen)

B. Der Sozialismus (vorwiegend Kapitalismuskritik)

I. Vorläufer und Frühsozialismus;

II. Karl Marx - Frühschriften und Das Kapital (Humanistische und deterministische

Marxinterpretation. Marx hat sehr wenig mit dem Sowjetsystem zu tun, das eine

konsequente Fortsetzung der russischen Geschichte ist. Marx ist vorwiegend Kritiker des

Kapitalismus)

III. Weiterentwicklungen des Marxismus (Paul Sweezy: Theorie der kapitalistischen

Entwicklung)

C. Elemente 'Dritter Wege' zwischen Sozialismus und Liberalismus

I. Frühe Kritik an Liberalismus und Sozialismus

1. Die Romantiker (Adam Müller: Elemente der Staatskunst, Berlin 1809)

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2. Friedrich List (zentrale Rolle der Nation; Reaktion gegen Kosmopolitismus;

Erziehungszölle);

3. Die Deutsche Historische Schule (Institutionen, Theorie aus Geschichte

abgeleitet); der Universalismus von Othmar Spann als Abschluss.

4. Der Institutionalismus (Veblen, Commons);

5. Christliche Soziallehre (Die soziale Frage; Fragen der Organisation von

modernen Industriegesellschaften: Gemeinwohl, Subsidiaritäts- und

Solidaritätsprinzip – Individual- und Sozialethik; Weiterentwicklung und

Ergänzung der aristotelisch-thomistischen Tradition)

II. Die 'merkantilistisch-Keynesianische' Entwicklungslinie

1. Sir James Steuart (Der letzte Merkantilist; Politische Ökonomie: Die Wirtschaft

im Dienste von Mensch und Gesellschaft)

2. Malthus, Sismondi und andere Vorläufer von Keynes (Angst vor

Überproduktion)

3. Die Keynesianische Revolution (Monetäre Theorie der Produktion; das Prinzip

der effektiven Nachfrage; Zins und Liquidität); Keynes sucht ausdrücklich einen

'Dritten Weg' zwischen Kapitalismus und Sozialismus.

III. Die Nachfolger Ricardos (Lit.: Dobb, Napoleoni)

1. Untergang der ricardianische Schule nach Ricardos Tod;

2. Piero Sraffa: Begründer der modernen neoricardianischen Schule (1926, 1960)

4. Teil: Ausblick auf zeitgeschichtliche Vorgänge in der ökonomischen Theorie (Siehe

Abschnitt III.1 oben)

A. Die neoklassischen Schulen - ökonomische Theorie des Liberalismus

B. Varianten der ökonomischen Theorie des Sozialismus

C. 'Dritte Wege' zwischen Liberalismus und Sozialismus:

I. Institutionalismus und Historismus (z.B. Galbraith)

II. Keynesianismus

III. Post-Keynesianische Strömungen

IV. Die Neo-Ricardianer

V. Die Klassisch-Keynesianisische Politische Ökonomie als Synthese der Strömungen

C.I bis IV, spezifisch von David Ricardo/Piero Sraffa (Überschussprinzip der Verteilung

und objektive Werttheorie - Proportionenaspekt) und Maynard Keynes (Prinzip der

effektiven Nachfrage - Skalenaspekt). Die gemeinsame Plattform ist das vertikal

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

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integrierte Modell von Luigi Pasinetti. Methodisch enthält die Politische Ökonomie eine

Verbindung von Theorie und Geschichte (reine und angewandte Theorie).

IV. Sozialphilosophie und Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

1. Das Problem

a) Visionen und Theorien

Joseph Alois Schumpeter (1883-1950):

Hinter jeder Theorie steht eine Vision des Menschen und der Gesellschaft, die sich auf die Natur,

das Wesen von Mensch und Gesellschaft bezieht (History of Economic Analysis, p. 41). Diese

Visionen legen die Prämissen fest, auf denen Theorien aufgebaut werden, und damit auch die

Grössen (Variable und Parameter) und Beziehungen zwischen Grössen, die in eine Theorie

eingehen. Die Vision bestimmt also den theoretischen Ansatz. Z.B. kommt der Liberale fast

zwangsläufig zur neoklassischen Theorie.

Im Prinzip gibt es drei Visionen von Mensch und Gesellschaft (Menschen- und

Gesellschaftsbilder):

Liberale Vision (Werte: Privateigentum, Handels- und Gewerbefreiheit; Demokratie; Glaubens-

und Gewissensfreiheit (Laizismus), Freiheit der Betätigung im Rahmen des Gesetzes).

Sozialistische Vision (Werte (des Sowjetkommunismus): Gemeineigentum, Planung der

wirtschaftlichen Aktivitäten, selbst künstlerische Tätigkeit staatlich gesteuert; Ausschaltung der

Religion; Diktatur der Arbeiterpartei – des Politbüros, letztlich des Generalsekretärs). (In einem

Land wie Russland kann Gemeineigentum durchaus sinnvoll sein, weil es der Mentalität –

vermutlich des grösseren Teils – seiner Einwohner entspricht. Das Problem des

Sowjetkommunismus war die zentrale Planung, die jegliche unternehmerische Initiative

erstickte.)

Sozialliberale Vision des Mittelweges zwischen Liberalismus und Sozialismus. Grundwert ist

das Gemeinwohl der sozialen Individuen; das Soziale hat eine doppelte Dimension: einmal, die

sozialen und ökonomischen Grundlagen, so dass sich die Individuen entfalten können.

Vollbeschäftigung und sozial akzeptable Einkommensverteilung sind die wichtigsten

Komponenten des materiellen Gemeinwohls. Zum anderen bereichern sich die Individuen durch

soziale Tätigkeiten in verschiedenen Bereichen, z.B. im wirtschaftlichen, kulturellen und

intellektuellen Bereich; (sinnvolle) Arbeit in einer Unternehmung und studieren (lesen,

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

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diskutieren) sind soziale Tätigkeiten. Der soziale Überschuss kann für den Aufbau eines

rechtlichen, politischen, sozialen und kulturellen Überbaus verwendet werden.

b) Visionen und Sozialphilosophien

Visionen führen zu entsprechenden Sozialphilosophien (Liberalismus, Sozialismus und Sozialer

Liberalismus). Eine Sozialphilosophie ist eine analytisch artikulierte Vision, eine systematisch

dargestellte Vision. Sozialphilosophien stellen die Grundfrage: Was ist eine Gesellschaft? Auf

diese Frage werden verschiedene Antworten gegeben, im Prinzip die liberale Antwort, die

sozialistische und die sozialliberale.

Im Sozialismus ist die Gesellschaft primär und das Individuum sekundär. Das Individuum ist

sozusagen Teil der gesellschaftlichen Maschine, gesellschaftlicher Funktionsträger und ist ohne

Eigenwert. Analogie: Die einzelnen Teile eines Automotors haben für sich allein genommen

keinen Wert, nur zusammengesetzt – als Ganzes – ergeben sie einen Sinn.

Liberalismus: Das Individuum ist primär. Die Gesellschaft ist sekundär; d.h. die verschiedenen

gesellschaftlichen Formationen – Vereine, Unternehmungen, sogar der Staat – sind etwas

Abgeleitetes und entstehen durch implizite und explizite Verträge. Die Individuen werden in

verschiedenen Bereich tätig, etwa in Wirtschaft oder Politik. Die Koordination der individuellen

Handlungen erfolgt letztlich durch automatische Mechanismen (Markt, Abstimmungen).

Der Soziale Liberalismus betrachtet den Menschen als ein soziales Individuum (Aristoteles:

soziales Wesen). Der Einzelne verwirklicht sich in und durch die Gesellschaft.

Das einzelne Individuum ist einerseits innerhalb eines gesellschaftlichen Institutionensystems

tätig, z.B. Arbeit in einer Unternehmung, Tätigkeit in einer Non-Profit-Organisation oder in der

staatlichen Administration; dadurch über das einzelnen Individuum soziale Funktionen aus. Das

bedeutet, dass der Einzelne zusammen mit andern soziale Ziele anstrebt. Andererseits bereichert

sich das einzelne Individuum durch soziale Tätigkeiten: sinnvolles Arbeiten in einer

Unternehmung, intellektuelle Tätigkeiten (Lesen als Interaktion zwischen Autor und Leser ist ein

sozialer Vorgang, ebenso studieren an einer Universität).

Damit die Einzelnen sich möglichst voll verwirklichen können, muss der Staat in

Zusammenarbeit mit der Gesellschaft entsprechende soziale Grundlage schaffen (die Märkte

sind nicht selbstregulierend!): hohes Beschäftigungsvolumen, sozial akzeptable

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

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Einkommensverteilung und ein staatliches, für alle frei zugängliches Erziehungssystem. Diese

sozialen Grundlagen sind Ausdruck des Solidaritätsprinzips.

Allerdings ist auf der Grundlage der sozialen und politischen Theorie, vor allem der Politischen

Ökonomie, die Gesellschaft so zu organisieren, damit für die Individuen und Kollektive

grösstmögliche Freiheitsräume zustande kommen. Der Staat soll nur das machen, was die

Individuen und Kollektive selber nicht machen können (Subsidiaritätsprinzip).

Dem Sozialen Liberalismus liegt eine ganzheitliche Betrachtungsweise von Mensch und

Gesellschaft zugrunde. Beide sind in einem gewissen Sinne organische Ganzheiten, die in

bestimmten Proportionen stehen müssen, wenn sich das gute Leben oder die gute Organisation

der Gesellschaft ergeben. Die ganzheitliche Betrachtungsweise bedeutet keinen Totalitarismus.

Im Gegenteil, soziale Tätigkeiten – sinnvolle Arbeit in einer Unternehmung, einer Non-Profit-

Organisation oder beim Staat, kulturelle und intellektuelle Tätigkeiten in Interaktion mit anderen

– bereichern das einzelne Individuum und machen es so zu einer unverwechselbaren,

einzigartigen Person, eventuell sogar zu einer Persönlichkeit.

2. Allgemeiner Zusammenhang zwischen Sozialphilosophie und den sozialen und

politischen Wissenschaften

Ein System, z.B. das liberale System, der sozialen und politischen Wissenschaften (Politik,

Recht, Politische Ökonomie, Soziologie) beruhen also auf einer Sozialphilosophie (und

impliziert eine Sozialethik), die ihrerseits aus einer Vision von Mensch und Gesellschaft

hervorgeht.

Das Materialobjekt (das Untersuchungsobjekt) der sozialen und politischen Wissenschaften ist

die menschliche Gesellschaft (im weiteren Sinn, also einschliesslich des Staates).

Gesellschaft kann System von Institutionen aufgefasst werden. Die Institutionen – z.B. die

staatliche Administration, die Unternehmungen, das Erziehungssystem – ermöglichen, dass die

Individuen und Kollektive (zielgerichtet) handeln können. Die klassischen Ökonomen (und vor

allem Marx) haben angedeutet, dass man das ungeheuer komplexe gesellschaftliche

Institutionensystem mit einem ganz einfachen Schema sinnvoll strukturieren kann: Die

Wirtschaft kann nämlich als Materielle Basis aufgefasst werden, auf der sich ein

Gesellschaftlicher Überbau erhebt. Die materielle Basis produziert einen gesellschaftlichen

Überschuss, der den Aufbau und das Funktionieren der Institutionen des Überbaus finanziert.

Diese enthalten verschiedene Komponenten : eine staatliche Komponente (Administration,

Parlament, Regierung, Erziehungssystem, äussere Sicherheit), eine rechtliche Komponente

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

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(innere Sicherheit, Rechtssystem), eine soziale (Vereine, Non-profit-Organisationen, Sport) und

eine kulturelle Komponente (Musik, Theater, Literatur, Malerei, Architekture, Plastik). Innerhalb

dieser Institutionen handeln nun Individuen und Kollektive.

Die gesellschaftlichen Institutionen sind verbunden mit Werten, die permanent angestrebt

werden. Die sozialen und politischen Wissenschaften unternehmen nun die systematische

Erklärung der gesellschaftlichen Realität (Funktionsweise des Gesamtsystems, Funktionieren

von Teilsystemen, z.B. Kultur, das Verhalten von verschiedensten sozialen Gruppierungen).

Jede dieser Wissenschaften beschäftigt sich mit einem Aspekt der sozialen Realität, betrachtet

also die Gesellschaft aus einem bestimmten Blickwinkel (Formalobjekt). Analog könnte man

sagen, das jede einzelne soziale und politische Wissenschaft (also: Politik, Recht, Politische

Ökonomie, Soziologie), die Gesellschaft im weitesten Sinn (also inklusive Staat) mit einem

speziellen Röntgengerät durchleuchtet, so dass jedes Mal bestimmte Elemente der

gesellschaftlichen Struktur sichtbar werden: Der Rechtswissenschafter lässt die rechtlichen

Strukturen hervortreten (Gesetze) und versucht z.B., das Verhalten von Anwälten und Richtern

zu erfassen, der politische Ökonom versucht die Funktionsweise des Gesamtsystems z.B. im

Hinblick auf die Bestimmung von Output und Beschäftigung in einer monetären

Produktionswirtschaft und strebt an, das Verhalten von Produzenten und Konsumenten zu

erklären.

Dies führt zu bestimmten Theorien zur Erklärung von Phänomenen, z.B. der Erklärung der

Phänomene des Wertes, der Verteilung und der Beschäftigung.

Das Problem ist nun, dass es mehrere Theorien zur Erklärung eines Phänomens geben kann, z.B.

subjektive und objektive Werttheorie. Um die obige Analogie weiterzuführen: Das Röntgengerät

des liberalen Ökonomen lässt die wirtschaftlichen Strukturen und das Verhalten der

Wirtschaftssubjekte anders hervortreten als das Gerät des keynesianischen oder des

sozialistischen Ökonomen. Die gewählte Theorie wird jeweils vom Erklärungsansatz (bestimmte

Prinzipien, die aus einer Vision herauswachsen) abhängen. Ein liberaler, ein humanistischer oder

ein sozialistischer Ökonom wird jeweils einen anderen Erklärungsansatz wählen.

Wieso dominieren in bestimmten Zeitperioden bestimmte Erklärungsansätze der ökonmischen

Theorie?

Die Lage der ökonomischen Theorie (Theorienvielfalt, eine Theorie dominiert) hängt in erster

Linie von objektiven Faktoren ab, vor allem vom Zeitgeist (dominierende Vision von Mensch

und Gesellschaft, herrschende Werte) und, vor allem, von der wirtschaftlichen, sozialen und

politischen Lage. Im Zusammenhang damit stellen Screpanti / Zamagni (Lit.verz.) eine

aufschlussreiche These auf: In Krisenzeiten gibt es mehr oder weniger grosse Theorienvielfalt

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

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(Shackles Years of High Theory 1926-1939 : Sraffa, Keynes, Harrod – Weltwirtschaftskrise der

1930er Jahre), in Zeiten der Hochkonjunktur dominiert eine Theorie (die neoklassische Synthese

von Hicks und Samuelson in den Jahren 1948 bis etwa 1972).

Subjektive Faktoren bestimmen warum ein Theoretiker einer bestimmten Schule angehört und

nicht einer anderen. Dabei spielt die soziale Herkunft eine Rolle (Söhne und Töchter von

Gewerkschaftern sind eher Keynesianer, aus Unternehmerkreisen gehen eher (liberale

Ökonomen) Neoklassiker hervor. Dabei gibt es immer zahlreiche Ausnahmen : Karl Marx

entstammte dem höheren Bürgertum, seine Frau war eine Adelige ; Paul Sweezy (ein sehr

bedeutender Marxist) war Sohn eines eminenten und einflussreichen Bankiers. Die Erziehung

spielt eine Rolle, auch rein persönliche (psychologische) Faktoren.

3. Spezifischer Zusammenhang zwischen Sozialphilosophie und ökonomischen Theorien

Es gibt also im Prinzip drei grosse Sozialphilosophien: Liberalismus, Sozialismus und Sozialer

Liberalismus. Diese treten in verschiedenen Varianten auf; auch gibt es Überschneidungen. Die

dazugehörigen ökonomische Theoriengruppen sind die Neoklassik, die ökonomische Theorie des

Sozialismus sowie die Klassisch-Keynesianische Politische Ökonomie.

Wesentliche Kennzeichen der Neoklassik:

Ausgangspunkt sind der Tausch (Märkte) und optimierende Individuen (nutzen- und

gewinnmaximierende Individuen und Kollektive). Die Koordination der individuellen

Handlungen erfolgt durch Güter- und Faktormärkte. Dabei werden die individuellen Optima in

ein soziales Optimum übergeführt: Das allgemeine Gleichgewicht von Walras ist auch ein

Pareto-Optimum. Zentrales Problem ist die Allokation von gegebenen Ressourcen. Der Markt

steht im Zentrum, umgeben vom (rechtlichen, politischen, sozialen und kulturellen) Rahmen.

Grundschema ist ein Realtauschwirtschaft (Walras) : W – W’ oder eine monetarisierte

Wirtschaft : W – G – W’. Marshall arbeitet mit einer monetären Theorie des Tausches: G-W …

MP … W’ – G’ (wobei G = G’). (MP ist Sraffas ‘mysteriöser Prozess’, der besagen will, dass der

Weg von den Faktormärkten G-W zu den Endproduktmärkten W’-G’ im Marshallschen-

neoklassischen System nicht erklärt ist.)

Die ökonomische Theorie des Sozialismus:

In den sozialistischen Wirtschaften des 20. Jahrhunderts bestand Gemeineigentum an

Produktionsmitteln, und es erfolgte eine zentrale Planung von Preisen und Mengen; es wurden

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

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direkt Gebrauchswerte produziert, ohne über den Markt zu gehen (dafür entstanden

Schwarzmärkte!). Es wurden niedrige Preise für Rohstoffe und für landwirtschaftliche Produkte

sowie für Kapitalgüter festgelegt, was zu einer Ressourcenverschwendung führte. Damit einher

ging ein Raubbau an der Umwelt (der zum Teil auch im kapitalistischen Westen stattfand). Die

zentrale Planung lähmte den technischen Fortschritt in der Konsumgüterindustrie (technischer

Fortschritt stört den Plan).

[Erhebliche sozialistische Elemente gab es aber auch in den alten Hochkulturen Mesopotamiens,

Ägyptens und in Zentral- und Südamerika: Gemeineigentum, vor allem an Land und Planung,

vor allem bei der landwirtschaftlichen Produktion. Siehe z.B.: Louis Baudin: L’Empire socialiste

des Inka. Paris (Institut d’Ethnologie) 1928]

Sozialer Liberalismus und Klassisch-Keynesianische Politische Ökonomie:

Ausgangspunkt sind der soziale Produktionsprozess und die Gesellschaft als Ganzes. Das

institutionell-technische System (materielle Basis – gesellschaftlicher Überbau) bestimmt Preise

und Mengen (p*, Q* - Systemgleichgewicht). Die Einkommensverteilung ist ein komplexes

soziales Problem bei dem es um Proportionen geht (die grossen Quoten: W/Y, P/Y, R/Y, und

Strukturen, z.B. die Lohnstruktur). Geld spielt eine entscheidende Rolle: es besteht eine

monetäre Produktionswirtschaft, die durch eine monetäre Theorie der Produktion skizziert wird :

G – W …. P … W’ – G’ (mit G’ > G: Überschuss). In einer monetären Produktionswirtschaft

gibt es im Prinzip keine Tendenz zur Vollbeschäftigung: Die in Geld ausgedrückte effektive

Nachfrage G’ reicht in der Regel nicht aus, um den Endprodukt-Output W’ bei

Vollbeschäftigung, d.h. das Vollbeschäftigungs-Sozialprodukt Qv aufzukaufen.

V. Einige dogmengeschichtliche Spezialprobleme:

Werturteilsproblematik, Methode, Frage des Fortschritts in den Wirtschaftswissenschaften

(ungeheuer komplexe Probleme, die nur angedeutet werden sollen)

1. Die Werturteilsproblematik

a) Die dazu dominierende Meinung

Viele, vielleicht sogar die meisten Ökonomen sind der Auffassung, dass ökonomische Theorie

unabhängig von Visionen von Mensch und Gesellschaft sein müsse, damit auch unabhängig von

Sozialphilosophien und Werten. Das heisst, dass im Extremfall der liberale und der

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

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keynesianische Ökonom die gleiche ökonomische Theorie haben sollten, wenn sie rein

wissenschaftlich arbeiten würden.

Die ökonomische Theorie ist demzufolge neutral und frei von (liberalen, sozialistischen oder

christlichen) von Werten.

Das Postulat der Wertfreiheit impliziert, dass rein wissenschaftlich gearbeitet werden soll, d.h.

unabhängig von Vorurteilen, metaphysischen Voraussetzungen und Implikationen (wie Visionen

von Mensch und Gesellschaft und darauf aufbauende Sozialphilosophien). Rein wissenschaftlich

arbeiten heisst, bestimmte Prämissen setzen, davon ausgehend eine Theorie entwickeln, diese im

weitesten Sinn testen: sich fragen, ob die Theorie plausibel, vernünftig ist; am besten ist

natürlich der empirische Test, was wiederum impliziert, dass man aus einer Theorie testbare

Hypothesen gewinnen kann. Verläuft der Test positiv, ist die Theorie etabliert, sonst muss eine

neue entwickelt werden. (In diesem Zusammenhang sagt allerdings Karl Popper : Man kann eine

Theorie nie beweisen, es kann nur nicht gelingen, sie zu etablieren (onc can never prove a

theory, one can only fail to establish it). Nach Popper bleibt also eine Theorie solange etabliert,

bis sie falsifiziert ist (Poppersches Falsifikationskriterum).

b) Kritik

Ein rein wissenschaftliches Vorgehen ist nur bei einfachen Sachverhalten möglich, z.B. den

Erfolg einer Marketing-Kampagne testen.

Bei komplexen Sachverhalten, z.B. welche Erklärung der Arbeitslosigkeit, die liberale oder die

keynesianische, ist besser?, ist das rein wissenschaftliche Vorgehen aus verschiedenen Gründen

unmöglich:

- Der Hauptgrund ist, dass zuviele Parameter geschätzt werden müssen, wenn ein komplexer

Sachverhalt statistisch signifikant erklärt werden soll (für zwei Parameter und einer unahängigen

Variablen, braucht es 15-20 gute Beobachtungen; drei Parameter (zwei unabhängige Variable)

erfordern bereits 30-35 Beobachtungen; vier Parameter (drei unabhängige Variable) schon 100-

120 Beobachtungen. Diese steigen also exponentiell mit der Anzahl der zu schätzenden

Parameter.

- Damit im Zusammenhang: Daten sind nicht voll erhältlich oder sind zweifelhaft; (die

Rechenkapazität der heutigen Computer würde die Schätzung von sehr komplexen Modellen

problemlos ermöglichen – das Problem liegt heute bei der Datenerhebung!).

- Erhebungen sind zeit- und kostenaufwendig!

- Bei einem komplexen System gibt es keine abhängigen und unabhängigen Variablen mehr. Die

Sache wird noch komplexer, wenn das System eine Art Organismus ist. Marshall war dieser

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

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Auffassung. Angesichts der organischen Komplexität eines sozio-ökonomischen Systems, könne

man nur bestimmte Teile der Realität annähernd erklären, wenn man in einem Modell darstelle,

wie die Kausalkräfte im Prinzip wirken (reine Theorie). Dies führt Marshall zur Partialanalyse,

d.h. der Betrachtung von einzelnen Märkten (Angebots-Nachfrage-Diagramm). (Aus solchen

Partialmodellen können dann eventuell testbare Hypothesen abgeleitet werden.) Aber dabei steht

für Marshall, wie bei allen Neoklassikern die Vision des allgemeinen Gleichgewichts von Walras

im Hintergrund. Und dieses kann nicht getestet werden.

- Aus Nicht-Testbarkeit des Walrasschen Modells scheint es einen Ausweg zu geben. Komplexe

Sachverhalte, z.B. Arbeitslosigkeit oder Inflation, können auch mit aggregierten, im Extremfall

makroökonomischen Modellen, erklärt werden, die dann zu testen wären. Ein neues Problem

taucht auf: ein bestimmtes komplexes Phänomen kann verschieden interpretiert werden. Ein

Standardbeispiel ist der statistisch sehr gut gesicherte Zusammenhang zwischen Preisniveau und

Geldmenge im Rahmen der sogenannten Quantitätsgleichung (MV = PQ). Die Monetaristen

sagen, dass die Kausalität im Prinzip von der Geldmenge zu den Preisen verläuft (dies erfordert

die Konzeption einer exogen gegebenen Geldmenge). Die Post-Keynesianer dagegen sind der

Ansicht, die Kausalität verlaufe prinzipiell von den Preisen (Lohn-Preis-Spirale bei

Verteilungskonflikten) zur Geldmenge, die sich anpasst, weil sie endogen ist (Kredite!); ein

exogenes Geldelement kommt allerdings auch hier durch die Basis-Geldmenge ins Spiel; bei

Inflation ist die Zentralbank gezwungen, die Basis-Geldmenge zu erhöhen, um zu verhindern,

dass die Realzinssätze übermässig ansteigen.

- Die Geschichte ist einmalig (Im Prinzip können vielleicht die grossen Krisen mit dem gleichen

(klassisch-keynesianischen) Grundmodell erklärt werden; die Art und Weise, die Krise der Jahre

1870-96 zu erklären, wird aber sicher von der Erklärung der Krise der 1930er Jahre abweichen).

c) Werturteilsfreiheit ist unmöglich

Aus den obigen Gründen ist Werturteilsfreiheit nicht möglich. Jedes Denkmodell, das auf die

Erklärung einer komplexen Situation ausgerichtet ist, beruht implizit auf einer bestimmten

Vision von Mensch und Gesellschaft, auch wenn das nicht explizit klar gemacht wird. Weil es

nicht möglich ist, komplexe Theorien zu falsifizieren, werden verschiedene Erklärungsversuchen

von bestimmten Phänomenen immer koexistieren, z.B. die neoklassische oder die keynesianische

Erklärung der Arbeitslosigkeit ; die Frage: « Welche Preise sind fundamentaler, die Marktpreise

oder die Produktionspreise? » wird immer auf eine endgültige Antwort warten. Das ist eigentlich

immer das Problem: Was ist fundamental (wesentlich, primär), was ist ‘oberflächlich’

(akzidentell, sekundär)? Bei der Beantwortung dieser Frage stützt sich der Theoretiker in der

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

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Regel auf seine Vision und die damit verbundenen (theoretischen und empirischen)

Implikationen ab.

Werte dringen über zwei Kanäle in die ökonomische Theorie ein:

1) einmal über die Vision (Sozialphilosophie, Werte). Die Vision dringt sozusagen in die

Prämissen von Theorien ein und bestimmt somit welcher Ansatz gewählt wird: z.B. der

neoklassische oder der Klassisch-Keynesianische Erklärungsansatz in der Werttheorie

(subjektive oder objektive Werttheorie). Der gewählte Ansatz für die Werttheorie impliziert

einen bestimmten Ansatz in der Verteilungstheorie, in der Beschäftigungstheorie, der

Geldtheorie und so weiter. So führt die objektive Werttheorie zum (klassischen, ricardianischen)

Überschussprinzip in der Einkommensverteilung, zum (Keynes’schen) Prinzip der effektiven

Nachfrage für die Festlegung von Output und Beschäftigung sowie zu einer Theorie des

endogenen Geldes im Zusammenhang mit einer monetären Theorie der Produktion. Dagegen

führt die subjektive Werttheorie zum (neoklassischen) Marginalprinzip der

Einkommensverteilung, zu Faktormärkten, auf denen die Probleme der funktionalen

Einkommensverteilung und der Beschäftigung gelöst werden. Geld ist in neoklassischer Sicht im

Prinzip neutral und von sekundärer Bedeutung.

2) Werte dringen auch über die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen in die

Wirtschaftswissenschaften ein. Was hat Priorität? Was ist dringender? Ein hohes

Beschäftigungsvolumen oder Preisstabilität.

d) In Deutschland gab es Ende des 19., anfangs des 20. Jh. einen Methodenstreit:

Der Soziologe Max Weber und der Wirtschaftshistoriker Werner Sombart vertraten das Postulat

der Werturteilsfreiheit (also keine Werturteile in der Theorie). In der Zeit vor dem Ersten

Weltkrieg war der Glaube an die Allmacht der Wissenschaft noch voll intakt!

Dagegen argumentierten die Vertreter der deutschen historischen Schule, vor allem Gustav

Schmoller, dass angesichts der Komplexität von historischen Situationen die Werturteilsfreiheit

unmöglich sei.

Auch über wirtschaftspolitische Zielsetzungen flössen Werturteile in die

Wirtschaftswissenschaften ein: sozialethische Überlegungen würden festlegen, welche

wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele angestrebt werden sollen. So war gegen Ende des 19. Jh.

Deutschland das erste Land, das ein allgemeines Sozialversicherungssystem einführte.

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2. Die Frage der Methode

(von ungeheurer Komplexität; hier nur einige Andeutungen zur Problematik)

a) Welche Methode in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften?

1) Ist die theoretische oder theoretisch-erklärende (analytische, formale) Methode die

richtige Methode in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (Marshallsche

Partialmodelle oder Walrasianische Allgemeine Gleichgewichtsmodelle als Beispiele)?

2) Oder ist es die historisch-beschreibende Methode?

3) Oder ist eine Synthese, nämlich die historisch-verstehende oder historisch-

philosophische Methode, die in den Sozialwissenschaften (im weitesten Sinn)

angebrachte Methode?

b) Vereinfachend gesagt spitzte sich Ende des 19., anfangs des 20. Jh. die Methodendiskussion

unter den liberalen Sozialwissenschaftern und den Sozialwissenschaftern eines – noch wagen –

‘Mittelweges zwischen Liberalismus und Sozialismus’, auf zwei Antworten zu:

1) Sehr viele liberale (neoklassische) Ökonomen betrachteten die Theorie und damit die

Deduktion als eindeutig primär in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Es

entstand sogar um Léon Walras, Francis Edgeworth u.a. herum, eine eigentliche

mathematische Schule der Nationalökonomie. Die Theorie sollte dann wenigsten in

bestimmten Bereichen zu testbaren Hypothesen führen.

2) Dazu in krassem Gegensatz standen die Vertreter der Deutschen Historischen Schule

(Gustav Schmoller als zentrale Figur) sowie des Amerikanischen Institutionalismus

(Thorstein Veblen). Vor allem Schmoller und seine ‘Verbündeten’ vertraten die Ansicht,

dass zuerst historischen Studien zu betreiben seien. Daraus seien dann Theorien

abzuleiten. Dies ist reine Induktion.

Diese methodologischen Grundpositionen führten Ende des 19. Jh. zu einem eigentlichen

Methodenstreit zwischen dem österreichischen Neoklassiker Carl Menger, der den Standpunkt

der Theorie vertrat, und der führenden Gestalt der Historischen Schule, Gustav Schmoller, der

für das Primat der Geschichte einstand. Zwei berühmte Veröffentlichungen stellen den

Höhepunkt des Methodenstreites dar:

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*Carl Menger: Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften un der politischen

Ökonomie insbesondere. Leipzig (Duncker & Humblot) 1883

*Gustav Schmoller: Zur Methodologie der Staats- und Sozialwissenschaften. Jahrbuch für

Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, Band 7, 3. Heft, 1883, pp.

239-258.

c) Synthese: die historisch-philosophische Methode

Theorie und Geschichte sind untrennbar miteinander verbunden. Historische Beschreibungen

von komplexen Phänomenen implizieren immer Theorien. Oder noch schärfer ausgedrückt:

Ohne Theorie kann man gar nicht an ein komplexes historisches Problem herangehen. Die

Theorie sagt uns, auf welche Grössen (und welche Beziehungen zwischen Grössen) das

Augenmerk gerichtet werden muss. Die Prinzipien und die darauf aufbauenden reinen Theorien

sagen uns, wie die Kausalkräfte im Prinzip, in reiner Form und unabhängig von historischen

Realisationen wirken. Zum Beispiel ist der logische Multiplikator von Keynes

Q* = AN = [1/(1-c)] I

eine reine Output- und Beschäftigungstheorie, die auf dem Prinzip der effektiven Nachfrage

beruht.

Kausalkräfte wirken aber immer in der historischen Zeit. Das Bestreben, historische Situationen

zu erklären, führt zur Bildung von angewandten Theorien und Modellen. So stellt der

Multiplikator eines der theoretischen Instrumente dar, das eingesetzt werden kann, um z.B. die

Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre zu erklären. In anderer Form kann das Instrument des

Multiplikators auch verwendet werden, um andere Krisensituationen zu erklären, z.B. die grosse

Krise im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts.

Weil eine Theorie immer einen (sozial-)philosophischen Hintergrund hat, kann man also von

historisch-philosophischer Methode sprechen. Fast alle grossen Autoren haben sie angewandt.

Adam Smith verbindet seine Theorie der ‘unsichtbaren Hand’ (Produktion, Wert, Verteilung und

Wachstum und Entwicklung führen unter Konkurrenzbedingungen zu einem

Vollbeschäftigungs-Gleichgewicht, also einem sozialen Optimum, das maximal möglichen und

stetig wachsenden Reichtum impliziert) mit einer Stufentheorie der Geschichte. Karl Marx will

mit Hilfe seiner Wert- und Mehrwerttheorie den natürlichen Entwicklungsprozess von

kapitalistischen Wirtschaften erklären; das zyklische Wachstum des Kapitalstocks endet

schlussendlich im Zusammenbruch des Systems. Maynard Keynes präsentiert seinen Treatise on

Money in zwei Bänden, Band I: The Pure Theory of Money, Band II: The Applied Theory of

Money. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe der General Theory of Employment, Interest and

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Money sagt Keynes ausdrücklich, dass seine Theorie Grundlage für historische Untersuchungen

sein solle. Er wolle damit den Vertetern der Deutschen Historischen Schule Werkzeuge für

geschichtliche Analysen in die Hand geben.

3. Die Frage des Fortschritts in den Wirtschaftswissenschaften

Zwei grosse Positionen werden in verschiedenen Varianten vertreten:

Absolutismus und Relativismus

a) Die ‘Absolutisten’ (meistens Liberale und Sozialisten) vertreten die Auffassung, dass wir im

grossen und ganzen einen geradlinigen Fortschritt in den Wirtschaftswissenschaften haben.

Dabei wird ökonomische Theorie mit wertfreien Techniken gleichgesetzt, meistens

mathematische Modelle.

Diese Ansicht impliziert, dass die neuesten Theorien auch immer die besten sind, natürlich auch

die neueste Literatur. Diese Ansicht wird besonders ausgeprägt von liberalen (neoklassischen)

Ökonomen vertreten – der neoklassische ‘Theoriengeschichtler’ Mark Blaug ist ein

repräsentatives Beispiel (Joseph Schumpeter ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt). Aber

auch die meisten sozialistischen Ökonomen gingen in diese Richtung. Das Studium der

Theoriengeschichte (Dogmengesschichte) wird dadurch überflüssig: Wieso sich mit veralteten

und zudem noch mehr oder weniger falschen Theorien auseinandersetzen? Die absolutistische

Ansicht hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg sukzessive durchgesetzt. Deshalb ist

Theoriengeschichte nur noch an wenigen Universitäten obligatorisch, vor allem im deutschen

Sprachraum. In den ‘lateinischen’ Ländern Europas hat sich dagegen die Theoriegeschichte –

vielfach als Kulturfach – besser gehalten.

b) Gemäss den ‘Relativisten’ koexistieren verschiedene theoretische Ansätze. Im Zeitablauf kann

ein theoretischer Ansatz zeitweise an Bedeutung verlieren, um dann später wieder in den

Vordergrund zu rücken. So dominierte Keynes in der Form der neoklassischen Synthese von

etwa 1950-72. Zu Beginn der 1970er Jahre wurde die Keynessche Theorie vom Monetarismus

von Friedman abgelöst, in den 1980er Jahren von der Theorie der rationalen Erwartungen

(Lucas). Der Keynesianismus hat aber in der Form des Post-Keynesianismus überlebt. Dabei hat

er allerdings ein Untergrunddasein geführt. Vielleicht wird der Keynesianismus in unbestimmter

Zukunft allmählich in der Form der Klassisch-Keynesianischen Theorie wieder an Bedeutung

gewinnen.

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Die relativistische Sicht impliziert, dass menschliches Denken an die absolute Wahrheit nicht

herankommen kann, dass die Ergebnisse unseres systematischen Denkens im ökonomischen

Bereich, also unseren ökonomischen Theorien immer mehr oder weniger ‘wahrscheinlich –

probable’ (Keynes) sind; auf der Ebene der Prinzipien kann man durch Prinzipiendiskussionen

vielleicht der Wahrheit noch am nächsten kommen. Die relativistische Position impliziert auch,

dass jede Theorie etwas Richtiges an sich hat; die Frage ist jeweils, welche Theorie

grundlegender (fundamentaler) ist. Schliesslich hängt mit der relativistischen Position auch die

Tatsache zusammen, dass komplexe Theoriensysteme – das liberale neoklassische oder das

sozialliberale klassisch-Keynesianische – nicht schlüssig getestet werden können.

Screpanti/Zamagni (Lit.verz.) haben eine besonders interessante Variante der relativistischen

Position entwickelt: In wirtschaftlich guten Zeiten dominiert eine Theorie, in Krisenzeiten gibt es

Theorienvielfalt. Eine besonders gute Illustration dafür ist die neuere Theoriengeschichte. Die

Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre war für die Wirtschaftstheorie eine Zeit beeindruckender

Theorienvielfalt (G.L.S. Shackle’s Years of High Theory 1926-1939): Der Marshallschen

Neoklassik im Verein mit Walras und Pareto, standen die neuen Theorien der unvollkommenen

Konkurrenz (Joan Robinson, Edward Chamberlin), die Renaissance der ricardianischen Klassik

von Sraffa, die Widerlegung des Sayschen Gesetzes durch Keynes in seiner General Theory

sowie die Begründung der modernen Wachstumstheorie durch Roy Harrod gegenüber; die

humanistischen Marxisten lieferten bedeutsame Beträge zur Kapitalismuskritik, z.B. Paul

Sweezy und Maurice Dobb. Gleichzeitig feierte ein zum Teil verfälschter Marxismus seine

Triumphe: das System der zentralen Planung in der Sowjetunion war mit sehr hohen

Wachstumsraten verbunden, währenddem der Westen in der Weltwirtschaftskrise versank. Ganz

im Gegensatz dazu war die einmalige Hochkonjunktur von 1950-73 durch die fast

ausschliessliche Domination der neoklassischen Synthese von Hicks / Samuelson (IS-LM-

Diagramm) gekennzeichnet.

Teilfortschritte sind natürlich im Rahmen der relativistischen Position möglich. Dieses Bestehen

in der Ausarbeitung und vor allem Klarstellung von theoretischen Ansätzen. So hat Gérard

Debreu in den 1950er Jahren das Allgemeine Gleichgewichtsmodell von Walras verbessert – die

Existenz von positiven Preisen und Mengen wurde garantiert - und das Modell wurde eleganter

dargestellt. Oder Piero Sraffa hat im Zuge seiner Edition der Werke Ricardos in den Jahren

1935-53 eine eindeutige Interpretation der Wert- und Verteilungstheorie von David Ricardo

erarbeitet (Einleitung zu Ricardos ‘Principles of Political Economy and Taxation’) und hat damit

eine Renaissance der Klassischen Politischen Ökonomie eingeleitet. Diese kulminierte in seinem

berühmten Buch Production of Commodities by Means of Commodities (1960). Zur Klarifikation

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der Wert- und Verteilungstheorie von Ricardo hat auch der italienische Ökonom Luigi Pasinetti

(Mailand) beigetragen. Er hat auch den Zusammenhang zwischen Ricardo und Sraffa klargestellt

und eine Brücke zu Keynes geschlagen. Mit seinem Gesamtwerk hat Luigi Pasinetti die

analytische Grundlage für die Klassisch-Keynesianische Politisiche Ökonomie geschaffen.