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(Aus der Genetischen Abteflung des Kaiser Wilhelm-Institu~s fiir Hirnforschung, Berlin-Bueh.) EINIGE VERSUCHE AN DROSOPHILA MELANOGASTER UBEI~ DIE ART DER WIRKUNG DER RONTGENSTRAHLEN AUF DEN MUTATIONSPROZESS. Von N. W. TIMOYfiEFF-RV.ssovsKv. Mit 3 Textabbildungen. (Eingegangen am 17. Mgirz 1931.) Inhalt. seite 1. Einleitung ........................... 654 2. Gibt es eine ,,:Nachwirkung" der RSntgenbestrahlung auf den Mutations- prozel~? ............................ 655 3. Ist die Mutabilit~t an bestimmte Entwicklungsstadien des Gewebes ge- bunden ? ............................ 657 4. Ist die Entstehung yon Mutationen an bestimmte Stadien der Zellteilung oder Chromosomenspaltung gebunden? ............... 661 5. Schlu~bemerkungen ....................... 663 6. Zusammenfassung ........................ 664 7. Literatur ............................ 665 1. Einleitung. Dureh RSntgen- und Radiumbestrahlung kSnnen bekanntlich Muta- tionen in sehr hohem Prozen~s~tz ausgel6st werden (MuLL~ 1928 a, 1928 b, 1930; ST~uLw~ 1928, 1930; T~org~r~-I~ssovsKu 1929 b, 1931). Die Umst~nde, dub erstens der durch gleiche starke Bestrahlungsdosis ausgelSste Prozentsatz des Mutierens hoch und verh~ltnism~Big konstant ist und zweitens der angewandte Reiz -- die Strahlung -- leieh* und ziemlich gen~u (innerha]b von,,biologiseh-zul~ssigen" Fehlergrenzen) do- sierbar ist, ermSgliehen Versuche, die das Ziel haben, etwas tiefer in den Mechanismus des Mutationsprozesses einzudringen. Alle ,,Strahlen- genetisehen" Versuehe kSnnen, wie yon uns aueh an anderen Stellen schon betont wurde (Tr~oFgEF~-R~ssovs~u 1930a, 1931), in zwei Hauptgruppen gegliedert werden: Zu der ersten gehSren solche, die ein ,,rein genetisehes" Ziel haben, wo die Bestrahlung nur den Zweek hat, solche Mutationen auszulSsen, deren Studium ffir die LSsung gewisser genetiseher l~ragen yon Bedeutung sein kann. Zu der zweiten Gruppe

Einige Versuche an Drosophila melanogaster über die Art der Wirkung der Röntgenstrahlen auf den Mutationsprozess

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Page 1: Einige Versuche an Drosophila melanogaster über die Art der Wirkung der Röntgenstrahlen auf den Mutationsprozess

(Aus der Genetischen Abteflung des Kaiser Wilhelm-Institu~s fiir Hirnforschung, Berlin-Bueh.)

EINIGE VERSUCHE AN DROSOPHILA MELANOGASTER UBEI~ DIE ART DER W I R K U N G DER RONTGENSTRAHLEN

AUF DEN MUTATIONSPROZESS.

Von

N. W. TIMOYfiEFF-RV.ssovsKv.

Mit 3 Textabbildungen. (Eingegangen am 17. Mgirz 1931.)

Inhalt . seite 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 2. Gibt es eine ,,:Nachwirkung" der RSntgenbestrahlung auf den Mutations-

prozel~? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 3. Ist die Mutabilit~t an bestimmte Entwicklungsstadien des Gewebes ge-

bunden ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 4. Ist die Entstehung yon Mutationen an bestimmte Stadien der Zellteilung

oder Chromosomenspaltung gebunden? . . . . . . . . . . . . . . . 661 5. Schlu~bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664 7. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665

1. E i n l e i t u n g .

Dureh RSntgen- und Radiumbestrahlung kSnnen bekanntlich Muta- tionen in sehr hohem Prozen~s~tz ausgel6st werden (MuLL~ 1928 a, 1928 b, 1930; ST~uLw~ 1928, 1930; T ~ o r g ~ r ~ - I ~ s s o v s K u 1929 b, 1931). Die Umst~nde, dub erstens der durch gleiche starke Bestrahlungsdosis ausgelSste Prozentsatz des Mutierens hoch und verh~ltnism~Big konstant ist und zweitens der angewandte Reiz - - die Strahlung - - leieh* und ziemlich gen~u (innerha]b von,,biologiseh-zul~ssigen" Fehlergrenzen) do- sierbar ist, ermSgliehen Versuche, die das Ziel haben, etwas tiefer in den Mechanismus des Mutationsprozesses einzudringen. Alle ,,Strahlen- genetisehen" Versuehe kSnnen, wie yon uns aueh an anderen Stellen schon betont wurde (Tr~oFgEF~-R~ssovs~u 1930a, 1931), in zwei Hauptgruppen gegliedert werden: Zu der ersten gehSren solche, die ein ,,rein genetisehes" Ziel haben, wo die Bestrahlung nur den Zweek hat, solche Mutationen auszulSsen, deren Studium ffir die LSsung gewisser genetiseher l~ragen yon Bedeutung sein kann. Zu der zweiten Gruppe

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Uber die Art der Wirkung der RSntgenstrahlen auf den NIutationsprozeB. 655

gehSren Versuche, in denen der l~echanismus yon bestimmten, durch Strahlung beeinflu~ten genetischen Vorg~ngen analysiert wird. Dabei kann entweder die Analyse des einwirkenden Reizes oder die Analyse des reagierenden Substrates in den Vordergrund t re ten (z. B. wird ent- weder die Bestrahlung variiert bei Konstanthalten der ,,biologischen Be- dingungen" oder es werden verschiedene Gewebe oder Organismen in versehiedenem physiologischen Zustande einem gleichen konstant gehal- tenen Reiz ausgesetzt). Diese Gliederung ist selbstverst~ndlich ganz kiinstlieh und hat nur den Zweck, die verschiedenen Problemstellungen jedes ~utationsauslSsungsversuehes zu betonen.

Die Bestrahlungsversuehe mit Drosophila melanogaster, die hier mit- geteilt werden sollen, gehSren zu der letzten yon den oben erwghnten Gruppen. Es handelt sich dabei um die Entseheidung yon zwei 1%agen: 1. Werden ~uta t ionen durch RSntgenstrahlen nur direkt w~hrend der Bestrahlung ausgelSst oder hat die Bestrahlung auch eine ,,Nachwirkung" auf den NIutationsprozeS; 2. ist die Entstehung yon Mutationen unter dem EinfluB der RSntgenstrahlung vorwiegend an bestimmte Reifungs- stadien der I~eimzel!en und an bestimmte Stadien der Zellteflung ge- bunden oder ist sie yon dem Entwicklungszustande des Gewebes und der Zellen mehr oder weniger unabh~ngig. Beide ~ragen wurden schon in den ersten RSntgenversuchen yon H. J. ~ V L L ~ gestellt, kormten aber damals nicht Mar beantwortet werden (MuLL~ 1928 a).

2. Gih, t es eine .Nachwi rkung" der R~ntgenst rahlung auf den Mutationsprozefl ?

Au~ Abb. 1 ist die Kreuzungsmethode dargestellt, die am bequemsten ist, um die Niutabilit~t im X-Chromosom yon Drosophila melanogaster unter RSntgenbestrahlung festzustellen. Pl-c~c~ werden bestrahlt und mit C 1 B - ~ gekreuz$. Die C 1 B - ~ enthalten in einem ihrer X-Chro- mosomen den Faktor C, der den Faktorenaustauseh in den X-Chromo- somen verhindert, einen rezessiven Letalfaktor 1 und das dominante Gen B (Bar, Band~ugig). In F1 erscheinen in ungefghr gleiehen Zahlen C 1 B- und normale Weibchen. Die C 1 B - ~ aus F1 werden mit be- liebigen M~nnehen gekreuzt (P2, Abb. 1) und in der l~achkommenschaft yon diesen t~'euzungen mfiSten zwei Sorten yon l~Krmchen erscheinen : C 1 B-c~c~ und solehe, die das bestrahlte X-Chromosom enthalten. Die C 1 B-G'c~ sind aber wegen der Anwesenheit des Letalfaktors 1 nicht lebensf~hig, so da$ nut ~c~ mit dem bestrahlten X-Ghromosom in F2 auf- treten. Die P2-~ 9, dessen bestrahltes X-Chromosom eine Mutation ent- hKlt (die unter Bestrahlung beim P1-c~ entstanden ist) werden entweder nur c~c~, die diese Mutation zeigen oder - - wenn die neu entstandene Mutation letal ist - - gar keine c~c~ in ihrer l~aehkommenschaft ergeben. l~aeh den P2-Kulturen kann also der Prozentsatz, der w~hrend der Be-

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656 N. W. Timof6eif-Ressovsky- Einige Versuche an Drosophila melanogaster

strahlung entstandenen geschlechtsgebundenen Nfutationen bereehnet werden.

Auf Abb. 2 ist ein anderes Kreuzungsschema angefiihrt. Hier werden die bestrahlten Pl-c~ c~ mit , ,attached X " - ~ gekreuzt 1. Alle SShne aus diesen Kreuzungen bekommen das bestrahlte v~terliehe X-Chromosom und manifestieren alle geschlechtsgebundenen ~utat ionen, die unter Be- strahlung entstanden sind. Diejenigen yon diesen FI-~c~, die am Leben bleiben und keine N[utationen manifestieren, enthalten also ein bestrahl-

v (

I u ~ k v

C I 8/ // g ( I 8 /I / / /

u / #~ v / nz,

~\\ ; Z B \ / \ \ \ \

\ \ CLB \ C LB

\ / 6 \ ~ 7 g

g 7 /

Abb. 1. Abb. 2. Abb. 1. Schema der ~,0iB-Kreuzungen" zur Fe ststellung des Prozentsatzes yon geschlechtsgebundenen Mutationen, die w~hrend der Pdin~genbestrahlung bei den P I - ~ entstehen. Die bestrahlten

Chromosomen sind dick gezeiehnet. Abb. 2. Schema der ,,attached X-Kreuzungen" zur Feststellung, ob in bestrahlten aber direkt nach Bestrahlung keine ~[utationen enthaltenden X-Chromosomen in der n~iehsten Generation neue Mutationen in erh6htem Prozentsatz auftreten. Bestrahlt werden die PI-(~C~. Die bestrahlten

Chromosomen sind dick hezeiehnet.

tes X-Chromosom, in dem direkt wkhrend der Bestrahlung keine letalen oder ,,sichtbaren ~ Nfutationen entstanden sind. Solche Fl-c~c~ werden (ebenso wie auf Abb. 1) mit C 1 B-c~c~ gekreuzt, um in •8 festzustellen, ob in friiher bestrahlten, direkt naeh Bestrahlung abet mutationsfreien X-Chromosomen neue Mutationen entstanden sind oder nicht.

Das Kreuzungsschema der Abb. 3 ist dem der Abb. 2 ganz gleieh. Es wurden aber in diesem Falle nicht die PI-c~c~ sondern die P1 ,,attached X"-~ ~ bestrahlt und mit nichtbestrahlten c~c~ gekreuzt. Alle Fl-c~c~ sind also aus bestrahlten Eiern entstanden, die aber die nichtbestrahlten

1 D i e , , a t t a c h e d X"-~ .~ . h a b e n z w e i a n e i n a n d e r g e h e f t e t e X - C h r o m o s o m e n

und ein fiberz~hliges Y-Chromosom (XXX). Alle S6hne soleher ~ bekommen ihr X-Chromosom vom Vater und nieht, wie normalerweise, yon der Mutter.

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tiber die Art der Wirkung der R6ntgenstrahlen auf den Mutationsprozell 657

v~%erlichen Chromosomen, darunter auch das nichtbestrahlte X-Chromo- som enthalten. Diese F I - ~ werden mit C 1 B-~ ~ gekreuz$ (P~), um aus F3 zu ersehen, ob das nich%bestrahlte X-Chromosom im bestrahlten Ei neue 3/Iutationen ergeben hat.

Um die Frage zu entscheiden, ob durch RSntgenbestrahlung die Mu- tationen nur w~hrend der Expositionsdauer oder abet auch nach der Be- strahlung im X-Chromosom yon Drosophila ausgelSst werden, wurden nebst unbestrahl%en Kontrollkul~u- ren eine Reihe yon RSntgenbestrah- lungsversuchen, die den Abb. 1, 2 und 3 entsprachen, durchgefiihrt. Die Bestrahlungsdosis war etwa 3500 r gleich (50 KV--effektiv, 5 m A, 1 mm Aluminiumfflter, 15 cm Abstand yon der Antika%hode, 45 Minuten Expo- sitionsdauer). DieVersuchsergebnisse sind auf der T~belle 1 angeffihrt. Es stellte sich heraus, dab sowohl die nichtbestr~hlten Chromosomen im bestrahlten Ei als auch die ,,frfiher bestrahlten" Chromosomen keinen Unterschied yon den nichtbestrahl- ten Kontrollkulturen ergeben haben. Dagegen wurden direk~ w~hrend der Bestrahlung in 11,5% der X-Chro- mosomen ~utationen ausgelSst.

3. Is t die Mutabilit~t an best immte Entwick lungss tad ien des Gewebes

gebunden ? Dal~ die durch RSntgenbestrah-

lung ausgelSste Mutabilit~t (ebenso wie die ,,spont~nen" Mutationen) in

u u

L r~ ~ v

cz 8 v z ) / ~

Clef

7

/ /

/

\ \ \ C~B \

g Abb. 3. Schema der ,~attached X-Kreuzungen" zur Feststcllung, ob nicht bestrahlte X-Chro- mosomen in bestrahl ten Eiern eine erh~hte )Iutabil i t~t zeigen. Bestrahl t werden die P1-Q O ; die P2-~C~ enthal ten nichtbe- s trahl te X-Chromosomen, die bei der Bcfruch- tung in bestrahlte Eier hineingekommen sind. In F~ kaun festgestellt werden~ ob diese nicht- bestrahlten X-Chromosomen der P'~-~C~ unter dem EinfluB des bestrahl ten P l a s m a s einen erh~hteu Prozentsatz yon Mutationen ergeben. Die bestrahlten Chromosomen sind

dick gezeichnet.

verschiedensten Geweben bei Drosophila melanogaster hervorgerufen wer- den kann, geht; aus den Versuchen von ~ m ~ , PATT~SO~ und Tn~o- F~FF-R~ssovsKY klar hervor : es wurden Mutationen in reifen Spermien und Eiern, in unreifen Geschlechtszellen und in somatischen Geweben in verschiedenen Entwicklungsstadien bei Drosophila melanogaster durch RSntgenbestrahlung hervorgerufen (Muxi~ 1928 a; PATT~SO~ 1929, TIMOF~E~F-RESSOVSKY 1929 a).

Die Mutabilit~t in verschiedenen Geweben kann aber (unter gleichen Bestrah!ungsbedingungen ) anscheinend quantitativ verschieden sein: die Versuche yon ~SULL~R haben gezeigt, dal~ bei Drosophila melanogaster der

W. Roux ~ Arclliv f. Entwicklungsmechanil~ Bd. 124. ~2

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658 N.W. Timof6eff-Ressovsky: Einige Versuche an Drosophila melanogaster

Tabelle 1. Die Zahl der Genovar ia t ionen im X-Chromosom yon Drosolghila mela- nogaster: 1. in n i ch tbes t r ah l t en Kont ro l lku l tu ren ; 2. in Kul turen , die ein friiher bes~rahltes X-Chromosom entha l ten , in dem abe t d i rek t un te r Bes t rah lung keine Genovar ia t ionen en t s t anden s ind (Ps, Abb. 2); 3. in Kul turen , die ein nichtbe- s t rahl tes X-Chromosom in bes t r ah l t en Eizellen en tha l t en (Ps, Abb. 3); 4. in Kul turen , die ein unmi t t e lba r bes t rahl tes X-Chromosom en tha l t en (P2, Abb. 1).

Art der KulSuren

1 Nichtbestrahl te KontroUkul turen . 2 Kul turen, mi t vorher bestrahlten,

aber nach der Bestrahlung keine Letalfaktoren entha l tenden X-Chro- mosomen . . . . . . . . . . . .

3 Kul tu ren mit n iehtbes t rahl ten X- Chromosomen in best rahl ten Ei- zellen . . . . . . . . . . . . .

4 Kul tu ren mit unmit te lbar hestrahl- t en X-Chromosomen . . . . . .

Zahl der frucht- Zahl der ge- schlechtsge- barenKul turen 3undenen Letal-

793

756

581

844

faktoren

89

Zahl der ,sich$- baren ~t ge-

schlechtsgebun- dffnen Genova-

riationen

hSehsf~ Prozentsatz von Mutationen in reffen Spermien ausgelSst wird und L. g. STiuL~,~ hat gezeigt, da$ bei Pflanzen durch gleiche Bestrah- lungsdosis in keimenden Samen mehr Mutationen als in ruhenden Samen ausge15st werden (iVIun~ER 1928 a, 1930; STADL~.~ 1930).

Der Prozentsatz des Auftretens yon Mutationen (naeh Bestrahlung mit gleicher Dosis) in reffen und unreifen Spermien kann folgendermagen gepriift werden. Ein Drosophila-M~nnchen enth~lt neben reffen Spermien auch Geschlechtszellen in verschiedensten Entwicklungsstadien, die nach Verbrauch der schon reifen Spermien allm~hlich heranreifen. Bei RSnt- genbestrahlung der ~ n n c h e n werden al~o verschiedene Reifungsstadien der Geschlechtszellen bestrahlt. Die Spermien, die zur Zeit der Bestrah- lung sehon reif waren, werden in den ersten Kopulae verbraucht; in wei- teren Kopulae kommen solche Spermien zur Befruehtung, die zur Zeit der Bestratflung noch mehr oder weniger unreif waren. Man kann nun die einmalig bestrahlf~n M~nnehen alle" paar Tage mit neuen virgilen Weibchen kreuzen, deren Nachkommenschaft gesondert analysieren und dadurch den Prozentsatz der Mutationen feststellen, die durch die gleiche Bestrahlung in verschiedenen Reifungsstadien der Spermien ausgelSst wurden.

Solche Versuehe wurden fast gleichzeitig yon B. HAR~S, Yon ~. B. HAWSO~ und 1~. H~.Ys und yon IV. TIMOF~.~-REssovsxY durch- gefiihrt und ergaben alle ganz iibereinstimmende Resultate (H_Amus 1929, ~Awso~r and HErs 1929, Tn~oF~,~.rF-R~SSOVSKY 1930 b). Das Ergebnis

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fiber die Art der Wirkung der RSntgenstrahlen auf den Mutationsproze~. 659

meiner Versuche ist auf Tabelle 2 angefiihrt. Alle diese Versuche zeigten, dab in unreifen Spermien etwa fiinfmal (oder sogar zehnmal in den Ver- suchen yon H ~ m s ) weniger l~Iutationen hervorgerufen werden.

Tabelle 2. Zahl der gesehlechSsgebundenen Letalfaktoren, en~halten in Spermien, die in verschiedenen Entwicklungssta~lien bestrahlt wurden. Die einmalig be- strahlten P I - ~ wurden ~lle 5 Tage mit neuen ~ gepaart. Bestrahlungsdosis

etwa 2500 r.

Alter der Geschlechtszellen in Zahl der Fl--1~2-Kulturen Prozente der Letalfaktoren Tagen nach der Bestrahlung

1--5 5--10

10--15 15--20 20--25 25--30

Kontrolle

417 491 481 478 411 389 984

6,9 8,3 7,3 4,0 3,1 1,8

0

Nun k5nnte man daraus den SchluB ziehen, dab die Mutabi l i t~ der unreifen Geschlechtszellen im Vergleiche zu der der reifen verschwindend gering ist. Andererseits kann man annehmen, dab kein wesentlicher Unterschied zwischen der ~utabi l i t~t der reifen und unreifen Spermien besteht und dab der erhaltene Unterschied in den Prozents~tzen der ge- schlechtsgebundenen Letalfaktoren anders zu erkl~ren ist. ,,Letalfak- toren" ist ein Sammelbegriff, unter dem anscheinend sehr verschieden wirkende Genovariationen und auch Chromosomenvariationen vereinigt werden. Versuche yon MULLER und S~TTLwS, yon H~XRIS und yon K~m~ haben gezeig~, dab in reifen Spermien die letalen Genotypen keinen Ein- fluB auf die Lebensf~higkeit der sie enthaltenden Spermien haben (M~LLER and SETTLES 1927, HAa~IS 1929, K ~ 1930). In unreifen Ge- schlechtszellen kSnnte es aber ganz anders sein: ein Tefl der Letalfaktoren kSnnte die Zellen tSten oder ihre weitere Entwicklung hemmen und da- durch den beobachteten Unterschied in den Prozents~tzen der Letal- faktoren, die durch gleiche Bestrahlungsdosis in reifen und unreifen Spermien ausgelSst wurden, hervorrufen.

Um zu prii~en, welche yon den zwei erw~hnten Erkl~rungen zutrifft, wurde der Prozentsatz der nicht~ letalen, sichtbaren geschlechtsgebunde- hen Genovaria'~ionen fcstgestellt, die in reifen und unreifen Spermien bei Drosophila me~nogaster durch die gleiche Bestrahlungsdosis ausgelSst werden. Zu diesem Zwecke wurden die bestrahlten M~nnchen alle 5 Tage mit neuen ,,attached X"-Weibchen gekreuzt. In diesen Kreuzungen er- halten alle SShne das bestrahlte X-Chromosom der V~ter und mani- festieren die darin entstandenen Genovariationen. Das Resultat der Ver- suche ist auf Tabelle 3 angegeben und zeigt keinen Unterschied in der

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660 N.W. Timof~eff-Ressovsky: Einige Versuche an Drosophila melanogaster

Tabelle 3. Zahl der ,,sichtbaren", nicht letalen Genovariationen nach R6ntgen- bestrahlung (Dosis = etwa 2500 r) der reifen und nicht reifen Spermien beiDroso- phila meZanogastr Die einmalig bestrahlten PI-~(~ wurden alle 5 Tage mit neuen ,,attached X " - ~ gepaart. Bei den 1--3 Paarungen kamen die Spermien zur Befruchtung, die w~hrend der Bestrahlung schon reif waren und sparer solehe,

die in unreifem Zustande bestrahlt wurden.

Alter der Geschlechts- zellen in Tagen nach

der Bestrahlung

1---15 15--30

Kontrolle

Zahl derunter - suchten Fz--$$

3386 2892 2971

Zahl der geschlechts- ebundenen ~,sichr ~'

Genovariationen

16 12 0

Prozente der.slchtbaren '~ geschlechtsgebundenen

Genovariationen

0,47 0,42

Mutab i l i t~ t der reifen und unrei fen Spermien. Dieses Ergebnis s teh t a l le rd ings in W i d e r s p r u c h zu ~hnl ichen Versuchen y o n l~ Iu I~R, der in re i fen Spermien mehr s ich tbare ~ Iu ta t ionen ausl(isen konn te als in n l c h t - re i fen Geschlechtszel len (I~U~LE~ 1930).

Auf Tabel le 4 is~ die Eier- und La rvens t e rb l i chke i t in der Nachkom- menschaf t yon M~nnchen, deren Spermien in versch iedenen En twick - lungss tad ien b e s t r a h l t wurden , angef i ihr t . Die TabeUe 4 zeigt, dal3 der P rozen t sa t z de r La rvens t e rb l i chke i t in a l len F~l len (auBer den unbe-

Tabelle. 4. Sterbliehkeit der Eier und Larven in der l~aehkommenschaft yon ~?, deren Spermien in reilem oder in unreifem Stadium der R6ntgenbestrahlung

Art der Kulturen Zahl der

abgelegten Eier

1829

2172

1763 4373

P'd~ ~ als Imago bestrshlt; Al- ter der Sper- mien 1--15 Tage naeh Be- strahlung . .

P - ~ als Imago bestrahlt; Al- ter der Sper- mien 15--30 Tage naeh Be- strahlung . .

P - ~ im Lar- venstadium bestrahlt . .

Kontrolle . . .

ausgesetzt wurden.

Zahl der % der ab- Zahl der ausge' ausge-

schliilaften gestEbenen schlfil)ften Larven ~liegen

235 437 76,1

1463 32,6 918

1272 27,8 656 3738 14,5 3348

Ausschliip- der abge. lung der

storbenen Fliegen in Larven und %% der ab-

Puppen geleg~en Eier

46,4 12,8

37,3 42,2

48,4 37,2 10,4 76,5

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iiber die Art der Wirkung der RSntgenstrahlen auf den MutationsprozeB. 661

strahlten Kontrollkulturen) der gleiche ist; die EiersterblichkeR ist aber in den Kulturen ,bei deren V~ter die Spermien in reifem Zustande be- strahlt wurden, viel hSher als in den fibrigen.

Die Versuchsergebnisse der Tabelle 4 kSnnten auf ~hnliehe Art wie der Untersehied in den Prozents~tzen der letalen und siehtbaren ~uta- tionen in reifen und unreifen Spermien erkl~rt werden. Anseheinend be- ruht die Eiersterbliehkeit vorwiegend auf ,,Faktoren ~ die die sie ent- haltenden Zellen abtSten. Dagegen muB die Larvensterblichkeit auf ,Faktoren" beruhen, die das Zellenleben ~ls solches nicht unmittelbar angreifen. Wenn nun in den unreifen Geschleehtszellen durch Bestrah- lung Sch~digungen des ersten Typs (die die Eiersterblichkeit bedingen) auftreten, so werden dadurch die sie enthaltenden Geschleehtszellen selbst ,,gehandikapt,', was bei dem Auftreten soleher Seh~digungen, die sl~ter die Larvensterblichkeit bedingen, nicht der Fall ist.

Der Vergleich yon allen Versuehen der Tabellen 2, 3 und 4 fiihrt mit groBer Wahrscheinliehkeit zu dem Sehlusse, dab ein grol3er Teil des Untersehiedes in den Prozents~ttzen der Mutationen, die naeh Bestrah- lung yon reifen und unreffen Spermien bei Drosophila sich manifestieren, nieht dureh einen entsprechenden Unterschied in der ,,Mutabilit~t" die- ser zwei Zellengruppen, sondern durch Entwieklungshemmungen der unreifen Geschlechtszellen, in denen Letalfaktoren aufgetreten sind, zu- stande kommt.

4. Ist die Entstehung yon ]~Iutationen an bestimmte Stadien der Zellteilung oder Chromosomenspaltung gebunden ?

Es kSnnte angenommen werden, dab die Entstehung der Mutationen an irgendein Stadium der Zellteflung oder Chromosomenspaltung ge- bunden ist, dab also das Befinden der Chromosomen in einem ,,aktiven" Zustande eine Vorbedingung ffir das Mutieren ist.

Die Tatsaehe, dai~ Mutationen (sogar besonders leieht) in reifen Sper- mien ausgelSst werden, seheint gegen eine solehe Annahme zu sprechen. Es kann aber angenommen werden, dab in den reifen, sich nieht mehr teilenden und ver~ndernden Spermien die Chromosomen schon Vor- bereitungen ffir die sp~teren Teflungen (naeh Befruchtung) treffen und vielleieht sogar eine Spaltung durchmaehen ~. In Zusammenhang mit dieser Frage sind die auf Tabelle 5 angeffihrten RSntgenbestrahlungs- versuche yon Interesse.

Einer gleichen Bestrahlungsdosis kSnnen einerseits ganz junge, frisch: geschliipfte M~nnchen, andererseits solehe, die etwa 3 Wochen naeh dem Aussehlfipfen ohne Weibchen gehalten wurden, ausgesetzt werden. Die Versuehe der ~]?abelle 5 zeigen, daB in beiden F~llen durch eine gleiehe

1 Auf diese ~ISglichkei~ wurde ich im Laufe einer Aussprache yon Dr. Y[. D ~ R ~ e aufmerksam gemacht.

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662 N. W. Timof6eff-Ressovsky: Einige Versuehe an Drosophila melanogaster

Tabelle 5. Zahl der geschlechtsgebundenen Genovariationen, die im ,,frischen" und ,,alLen" Sperma bei Drosophila melanogaster dutch die gleiche RSntgenbe-

s~rahlun :sdosis (etwa 3500 r) hervorl erufen wurde.

Art der Behandlung

UnbestrahRe Kontrolle Junge M~nnchen be-

strahlt und solort ge- paart . . . . . . .

Minnchen, die 15- -25 Tage ohne ~ !~ geses- sen haben, hestrahlt und dann sofort ge- paart . . . . . . .

Zahl der F1-F2" Kulturen

Zahl der aufge- tretenen Letal-

Iaktoren

Zahl der aufge- tretenen ,sicht- iaren" Genovari-

ationen

% des Auftretens yon geschlechts-

gebundenen Mutationen

984

718

539

82

57

4

3

11,9

Bestrahlungsdosis (etwa 3500 r) ein praktisch gleicher Prozentsatz yon geschlechtsgebundenen l~Iutationen ausgel6st wurde. Werm die Chromo- somen der reifen Spermien irgendwelche Ver/inderungen (z. B. L~ngs- spaltungen) effahren, so miissen ganz junge Spermien einerseits und alte andererseits sich diesbeziiglich durchschnittlich in verschiedenen Stadien befinden. De in den Versuchen der Tabelle 5 in beiden Fallen (bei jungen und alten reifen Spermien) der gleiche Prozentsatz yon Mutationen durch gleiehe RSntgenbestrahlungsdosis ausgelSst wurde, so kann man an- nehmen, daB wenn sich die Chromosomen auch in den reifen Spermien noch verindern, so ist es ohne Belang fiir die Entstehung von Mutationen.

Allerdings muB noch auf einen mSglichen Einwand gegen die eben ge- gebene Deutung der Versuche der Tabelle 5 eingegangen werden. Man kSnnte glauben, dab die reifen Spermien der Minnehen, die li~ngere Zeit nicht kopulieren kormten (da sie ohne Weibchen gehal~en wurden), nicht iilter a l s die Spermien der jungen Mi~nnchen sind: dab der Spermien- vorrat immer ,,effrischt" wird, indem alte Spermien ejakuliert oder resor- b ie r t und dutch frisch heranreifende ersetzt werden. DaB dieses nicht der Fall ist, zeigten die Versuche yon B. H~a~IS. H~a~Is hat Drosophila- Miirmchen bestrahl t und dann einen Tell yon ihnen sofort und einen anderen Tefl erst 16 Tage nach Bestrahlung mi~ Weibchen gepaart ; beide Kreuzungsserien haben den gleichen Prozentsatz yon letalen Mutationen ergeben ( t t ~ I S 1929). DaB die ,,alien" biirmchen alas zur Zeit der Be- strablung schon reif gewesene Sperma und nicht frisches, inzwischen herangereiftes enthielten, geh~ aus den im vorigen Kapitel beschriebenen Versuchen yon Hxemrs, Hx~s0~ und HEYs und yon N. Tmor~r r r -R~ . s - sovszY hervor: Gesehlechtszellen, die in unreifem Zustande bestrahlt werden, enthalten viel weniger Le~alfaktoren als die in reifem Zustande

11,1

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bestrahlten Spermien (Tabelle 2). Es muB also aueh angenommen wer- den, dab in den Versuehen der Tabelie 5 tats~ehlieh ,,frisehe" und ,,alte" reffe Spermien bestrahlt wurden und dab die gleiehe Bestrahlungsdosis in beiden ~gllen ein~n gleichen Prozentsatz yon lV~utationen auslSst.

5. Schlu~bemerkungen. Aus den oben besehriebenen Versuchen kSnnen folgende Schliisse fiber

die Art der Wirkung der RSntgenbestrahlung auf die AuslSsung yon Mu- tationen bei Drosophila gezogen werden.

Versuche yon 1~. iYI. WOSKR~SSE~SKu haben gezeigt, da~ bei Drosoo phila durch R6ntgenbestrahlung anseheinend auch Dauermodifikationen hervorgerufen werden k6nnen (WosKI~SSE~SKu 1929). Es w~re auch m6glieh anzunehmen, dal~ dureh Bestrahlung gewisse Dauerver~nde. rungen des Plasmas oder der Chromosomen hervorgerufen werden, die schon ihrersei$s die i~Iutabilit~t beeinflussen. Die Versuche, die auf Tabelle 1 angefiihrt wurden, haben aber gezeigt, da]3 es kein Andauern der mutationsausl6senden Wirkung der Bestrahlung gibt: die Mutationen werden unmittelbar w~hrend der Bestrahlung ausgel6st.

In ihren Resultaten iibereinstimmende Versuche yon HARRIS, HA~- SON und yon T~o~FF-R~ssovsxY zeigten, dal~ die Zahl der aus- gel6sten Letalfalrtoren nach gleicher Bestrahlungsdosis in den reifen Sper- mien fiinf- bis zehnmal gr6i~er als in den unreifen Gameten ist (Tabelle 2). Ein so groBer Untersehied in dem Prozentsatz yon ~utationen, die dureh gleiche Bestrahlungsdosis in reifen und unreifen Geschleehtszellen aus- gel6st werden, kann zum Schlusse fiihren, dab nur bestimmte Entwick- lungsstadien des Gewebes ,,mutationsf~hig" sind. Entspreehende Ver- suehe mit nicht letalen Genovariationen und Vergleiehe mit Eier- und Larvensterblichkeit naeh Bestrahlung der reifen und unreffen Spermien zeigen aber (TabeUe 3 und 4), da]3 der gr6Bte Tefl des an Letalfalrtoren gewonnenen Unterschiedes anscheinend dureh Hemmung der unreifen Geschlechtszellen, in denen Letalfaktoren entstanden sind und nieht dureh einen entsprechenden Untersehied in der Mutabilit~t der reifen und unreifen Spermien hervorgerufen wird. Andererseits ist es sehr wahr- seheinlich, dab sowohl das Gewebe als auch der physiologische Zustand des bestrahlCen Organismus einen gewissen EinfluB auf die ausgel6ste l~Iutationsrate haben kann. Die Genovariationsrate yon white bei Droso- phila melanog~ter scheint z. B. (nach Versuchen yon Muxz~El~, yon PATT~SO~ und yon Tn~OX~iEFF-R~.ssovsKr) in reifen Spermien hSher zu sein als im somatischen Gewebe; L. J. STAD~ER: hat gezr dab bei Pflanzen in keimenden Samen mehr ~r als in ruhenden (in denen der Stoffweehsel ganz minimal ist) dureh eine gleiche Bestrahlungsdosis ausgel6st werden. Um genauer die Rolle des Gewebes und des physio- logischen Zustandes bei der Ausl6sung yon l~Iutationen festzustellen,

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miissen weitere ausgedehnte Versuche, vor allem mit bestimmten nicht letalen Genovariationen durchgefiihrt werden. Das wiirde auch einen Vergleich mit den Temperaturversuchen fiber AuslSsung yon ~utationen erm5glichen. Temperaturversuche yon 1~. GOZDSCttl~IDT and yon V. JOLLOS haben gezeigt, dab hier anscheinend eine ganz bestimmte ,,sen- sible Periode" vorhanden ist, w~hrend der bei Drosophila durch hohe Temperatur Mutationen ausgelSst werden kSnnen (GOLDSCHMIDT 1929, J o ~ o s 1930). Der ,,schw~chere" und wahrscheinlich auf irgendwelchen chemischen Umwegen wirkende Temperaturreiz mul~ auch in seiner Wir- kung in viel hSherem Grade an die chemisch-physiologische Beschaffen- heir des Organismus und der reagierenden Zellen gebunden sein als der ,,starke" und unmittelbar bis zn den Chromosomen durchdringende RSntgenreiz.

Die Versuehe der Tabelle 5 haben gezeigt, dal~ die Entstehung yon Mntationen an ein Teilungsstadium der Chromosomen nieht gebunden sein kann. Sollten die Chromosomen auch in den reifen Spermien sich spalten und w~re die Entstehung yon Mutationen an ein bestimmtes Stadium der Chromosomenteflung gebunden, so mfiBte die Bestmhlung yon jungen und alten reifen Spermien (mit gleicher Dosis) einen ver- sehiedenen Prozentsatz yon Mutationen ergeben (da es sehr unwahr- scheinlich ist, dal3 dieses bestimmte Chromosomenstadium in jungen und alten reifen Spermien gleich h~ufig vorkommen kann). Die Versuche der Tabelle 5 haben aber einen gleichen Prozentsatz yon Mutationen nach Bestrahlung yon jungen und alten reifen Spermien ergeben; daraus kann geschlossen werden, daB, wenn in reifen Spermien die Chromosomen sich auch noeh nicht in roller Ruhe befinden und deshalb in jfingeren und ~lteren Spermien in verschiedenen Stadien vorkommen kSnnten, so ist das fiir das Entstehen der ~utationen ganz belanglos. DaB Mutationen in vollkommen ruhenden Zellen ausgelSst werden kSnnen, geht auch aus den Versuchen yon ST.~DLW~ hervor, der in ruhenden Pflanzensamen durch Bestrahlung Mutationen hervorgerufen hat.

6. Zusammenfassung. 1. In bestrahlten, direkt nach Bestrahlung aber mutationsfreien

Chromosomen und in nichtbestrahlten Chromosomen, die sich im be- strahlten Plasma befinden, wurde bei Drosophila melanogaster keine er- hShte lVIutationsrate festgestellt (Tabelle 1, Abb. 1, 2 und 3). Daraus wird geschlossen, dab die lVIutationen durch RSntgenbestrahlung nur direkt w~hrend der Expositionsdauer ausgelSst werden.

2. In reifen Spermien wird dutch gleiche RSntgenbestrahlungsdosis ein viel hSherer Prozentsatz yon Letalmutationen ausgelSst als in un- reifen Geschlechtszellen (Tabelle 2). Dagegen ist der Prozentsatz yon ,,sichtbaren", nieht letalen Genovariationen in beiden F~llen gleich

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(Tabelle 3). Daraus und aus dem Vergleich mi t der Eier- und Larven- s te rb l ichke i t nach Bes t rah lung yon reifen und unrei fen Spermien (Ta- belle 4) wird geschlossen, dab die He rabse t zung des Prozentsa tzes der ausgelSsten Leta l f .aktoren be i Bes t rah lung der unre i fen Geschlechtszel len n icht auf e inem en t sprechenden Untersch iede in der ~ u t a b i l i t ~ t der reifen und unrei fen Spermien, sondern vorwiegend auf hoher S te rb l ichke i t der unre i fen Geschlechtszellen, in denen Le t a l f a k to r e n en t s t anden sind, be ruh t .

3. I n jungen und a l t en reifen Spermien wurden durch die gleiche RSntgenbes t rah lungsdos i s Muta t ionen (letale und s iehtbare) in gleichem Prozen t sa tz ausgelSst (Tabelle 5). Daraus wi rd geschlossen, dal] die En t - s tehung von 1Vfutationen n ich t a n ein bes t immtes S t a d ium der Chromo- somente i lung gebunden sein kann.

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