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Einladung zur Literaturwissenschaft. Jochen Vogt Preis: EUR 14,90 Taschenbuch - 288 Seiten, 3. durchges. u. aktual. Aufl. (2002) Uni-TB. GmbH., Stgt; ISBN: 3-8252- 2072-9 Erhältlich im Buchhandel oder via Internet Das Buch ist eine problemorientierte Einführung in die (nicht nur germanistische) Literaturwissenschaft; kein positivistisches Lernbuch, aber auch keine bloße Methodenrevue. Gestützt auf Erfahrungen aus langjähriger Lehre versucht der Autor, anhand anschaulicher Beispiele grundsätzliche Perspektiven und Fragestellungen der Literaturwissenschaft zu entfalten. Das Spektrum der Themen reicht von der antiken Rhetorik und Poetik über Begründungsfragen der modernen Literaturwissenschaft und exemplarische Strukturanalysen zu epischen, lyrischen und dramatischen Texten bis hin zu aktuellen Fragestellungen wie Lesesozialisation und "Literatur in der Medienkonkurrenz". Die leserfreundliche Anlage des Textes, mit erläuternden Marginalien, Begriffsdefinitionen, Schaubildern und Abbildungen soll den Studienanfängern den Einstieg erleichtern und sie ermuntern, die vielfältigen weiterführenden Anregungen und Hinweise selbständig zu verfolgen. Diesem Ziel dient (als Ergänzung zum Buch) dieses "Vertiefungsprogramm zum Selbststudium".

Einladung Zur Literaturwissenschaft

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  • Einladung zur Literaturwissenschaft.Jochen Vogt

    Preis: EUR 14,90Taschenbuch - 288 Seiten, 3. durchges. u. aktual. Aufl. (2002) Uni-TB. GmbH., Stgt; ISBN: 3-8252-2072-9

    Erhltlich im Buchhandel oder via Internet

    Das Buch ist eine problemorientierte Einfhrung in die (nicht nur germanistische) Literaturwissenschaft; kein positivistisches Lernbuch, aber auch keine bloe Methodenrevue. Gesttzt auf Erfahrungen aus langjhriger Lehre versucht der Autor, anhand anschaulicher Beispiele grundstzliche Perspektiven und Fragestellungen der Literaturwissenschaft zu entfalten. Das Spektrum der Themen reicht von der antiken Rhetorik und Poetik ber Begrndungsfragen der modernen Literaturwissenschaft und exemplarische Strukturanalysen zu epischen, lyrischen und dramatischen Texten bis hin zu aktuellen Fragestellungen wie Lesesozialisation und "Literatur in der Medienkonkurrenz".

    Die leserfreundliche Anlage des Textes, mit erluternden Marginalien, Begriffsdefinitionen, Schaubildern und Abbildungen soll den Studienanfngern den Einstieg erleichtern und sie ermuntern, die vielfltigen weiterfhrenden Anregungen und Hinweise selbstndig zu verfolgen. Diesem Ziel dient (als Ergnzung zum Buch) dieses "Vertiefungsprogramm zum Selbststudium".

  • 1. Aus Irrtum studiert? Gre und Krise der Germanistik

    2.Die Literaturwissenschaft auf der Suche nach ihrem Gegenstand

    3. Regeln und Probleme des Textverstehens: Hermeneutik

    4. Theorien der Textproduktion: Rhetorik und Poetik

    5. Gattungen und Textstrukturen I: Epik

    6. Gattungen und Textstrukturen II: Lyrik

    7. Gattungen und Textstrukturen III: Dramatik

    8. Zwischenbilanz: Was heit nun "Literatur"?

    9. Gibt es Methoden in der Literaturwissenschaft?

    10.Was heit und zu welchem Ende studiert man Literaturgeschichte?

    11. Von Lust und Frust der Lektre

    12. Ausblick: Literatur im Medienwandel

    13. INDEX

  • 1. Aus Irrtum studiert? Gre und Krise der Germanistik

    Geisteswissenschaften

    Naturwissenschaften

    Bcher zum Studienstart

    "Was sollen Germanisten lesen""Schreiben im Studium"

    Texte zur Diskussion

    Wilhelm Vokamp: Bildung ist mehr als Wissen. Die Bildungsdiskussion in historischer Perspektive (word-Datei)

    Links

    Deutsch fr die Primarstufe der Universitt Essen

  • Geisteswissenschaften

    Der Brockhaus verweist in seinem Eintrag zum Stichwort 'Geisteswissenschaften' darauf, da darunter im deutschsprachigen Raum die Wissenschaften zusammengefat sind, die die Ordnungen des Lebens in Staat, Gesellschaft, Recht, Sitte, Erziehung Wirtschaft, Technik und die Deutungen der Welt in Sprache, Mythos, Religion, Kunst, Philosophie und Wissenschaften zum Gegenstand haben. Die Englnder sprechen von 'Humanities' oder auch 'Social Sciences', whrend im franzsischsprachigen Raum 'Lettres' oder die 'Sciences humaines' darunter verstanden werden. Obwohl der Begriff bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts bekannt ist, kommt es erst ab etwa Mitte / Ende des 19. Jahrhunderts zu einer weiteren Verbreitung.

    Insbesondere im Zusammenhang mit der Auflsung der Hegelschen Philosophie erfahren die Geisteswissenschaften durch den Philosophen Wilhelm Dilthey ein eigenes Profil und eine eigene Methode. Im Rckgriff auf das Hegelsche System der Geistphilosophie konzipiert Dilthey eine philosophische Lehre, der es um nicht viel weniger geht als darum, die 'geistige Welt' systematisch zu erfassen. In einer Vielzahl von Monographien und Aufstzen, beginnend mit der "Einleitung in die Geisteswissenschaften" (1883) ber die "Rede ber die Entstehung der Hermeneutik" (1900) bis zum postum publizierten "Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften" (1910), sucht Dilthey die Geisteswissenschaften als "Erfahrungswissenschaft der geistigen Erscheinungen" und als "Wissenschaft der geistigen Welt" zu verstehen. Kernbegriff seines hermeneutischen Verfahrens ist dabei das 'Verstehen' geistiger Zusammenhnge im Unterschied zu den Naturwissenschaften, die Dilthey - im brigen ganz hnlich wie seine an Kant orientierten Zeitgenossen Wilhelm Windelband und Heinrich Rickert - ber den Begriff des Erklrens fixiert. Whrend der Verstehensproze ein - bis zuletzt - psychischer Akt des Sich-Hineinversetzens, Nachfhlens und Nachbildens (eines Wegs von auen nach innen sozusagen) meint und damit - auf unaufhebbare Weise - subjektiv bleibt, sind die Naturwissenschaften in dem Sinne vermeintlich objektiv, da sie (mit Kant) Natur als ein Dasein unter Gesetzen (mithin also den Weg wieder von innen nach auen) beschreiben. Eine besondere Bedeutung kommt noch im System dieser Philosophie der Kunst und Literatur zu, insofern diese als Spitzenleistungen des menschlichen Geistes - als dessen Hchstform gleichsam - den jeweiligen Index der Menschheitsentwicklung indizieren; in den Worten des ungarischen Philosophen und Literarhistorikers Georg Lukcs, der in seiner Jugendzeit mageblich von Wilhelm Dilthey beeinflut gewesen ist: Kunst und Literatur reprsentieren das "Gedchtnis der Menschheit".

    Im Anschlu an Dilthey hat sich das Konzept der Geisteswissenschaften samt ihrer hermeneutischen Methodik (mit eben dem Kernbegriff des Verstehens) in den Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaften, aber auch in der Soziologie wie

  • auch in der Pdagogik durchgesetzt und spielt - mehr oder minder ungebrochen - bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts methodisch die wichtigste Rolle, ja, beeinflut sogar nachhaltig das marxistische Denken, das freilich eine andere Nomenklatur verwendet und anstelle des Begriffs der Geisteswissenschaften den der Sozial- bzw. Gesellschaftswissenschaften rckt.

    WJ

    Sekundrliteratur:

    1. Wilhelm Dilthey: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung fr das Studium der Gesellschaft und der Geschichte [1883], in: ders.: Gesammelte Schriften. Bd. I., 6. Aufl., Stuttgart 1966.

    2. Heinrich Rickert: Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften, Freiburg u.a. 1896.

    3. Manfred Riedel: Verstehen oder Erklren? Zur Theorie und Geschichte der hermeneutischen Wissenschaften, Stuttgart 1978.

    4. Joachim Ritter: Die Aufgabe der Geisteswissenschaften in der modernen Gesellschaft, Mnster 1961.

  • Georg Wilhelm Friedrich Hegel

    * 27.08.1770, Stuttgart 14.11.1831, Berlin

    Philosoph

    Hegel ist ein Hauptvertreter der Philosophie des deutschen Idealismus. "Das Geistige allein ist das Wirkliche" ist ein zentraler Satz in Hegels Denken, der diese idealistische Position auf den Begriff bringt. Die gesamte Wirklichkeit, alles das, was wir sehen, die Menschen, die Tiere, die Natur, die Welt sind letztlich geistigen Charakters. Der Logos ist vor allem, ist in allem. In dieser Gemeinsamkeit liegt auch die Einheit alles Getrennten, aller Dinge in der Welt. Dieses Alleben des Geistes wird von Hegel als Gottheit bezeichnet und fhrt ihn zur philosophischen Theologie. "Gott ist der absolute Geist", hren wir ihn sagen, jedoch nicht im Sinne eines transzendenten Schpfergottes, sondern als "Gott der Welt".

    Dieses geistige Prinzip, der Weltgeist, liegt auch der historischen Entwicklung zugrunde, denn die historische Entwicklung ist nicht zufllig, sondern ist Manifestation des objektiven Geistes. Der Einzelne handelt nicht wie bei Kant als sittliche Einzelpersnlichkeit, sondern der Weltgeist handelt durch den Einzelnen als sein Werkzeug. Die handelnde Persnlichkeit z.B. der Heerfhrer oder Frst mag glauben, er frdere durch seine Handlung nur rein persnliche Zwecke wie die Machterweiterung - , aber dies ist nur eine "List der Vernunft", die ber diese vorgestellten Zwecke hinweg durch den Handelnden das historisch Notwendige bewirkt. Auch eine moralische Beurteilung der Handlungen wird durch diese Betrachtungsweise uneindeutiger, denn Kriege und Greueltaten knnen auch im Einzelfall als vom Individuum unabhngige Objektivierungen des Weltgeistes interpretiert werden. Individuen, Vlker, Epochen sind fr Hegel nur notwendige Durchgangsstadien fr den groen weltgeschichtlichen Proze.

    Diese Auffassung der Geschichte fhrte Hegel zu einer sehr positiven Bewertung des preuischen Staates, in dessen rationaler Verwaltung er ein hochentwickeltes geistiges Prinzip am Werke sah. Als Philosophieprofessor in Berlin verlieh er dem Staat, dem er diente, damit hhere geistige Weihen. Ganz anders waren die politischen Schlsse, die ein berhmter Hegel-Schler, nmlich Karl Marx, aus der Lehre des Meisters zog: bei Marx wird der Idealismus zum Materialismus gewendet, und aus den dialektischen Bewegungsgesetzen der Geschichte wird eine Abfolge von Klassenkmpfen, an deren Ende nicht der zu sich selbst gekommene Geist, sondern die befreite sozialistische Gesellschaft steht.

    Kunst, Religion und Philosophie stehen bei Hegel ber dem weltgeschichtlichen

  • Proze, d.h. ber den konkreten historisch-politischen Entwicklungen. Zwar sind sie unabhngig von der politisch-gesellschaftlichen Realitt, aber trotzdem einer geschichtlichen Entwicklung unterworfen, denn in ihnen findet die Selbstreflexion des absoluten Geistes statt. Der gestalterische Wandel im Bereich der Kunst ist dabei fr Hegel nur von sekundrem Interesse. Obwohl er die Entwicklung vom antiken Epos zum modernen Roman seiner Zeit beschreibt und analysiert, interessiert ihn die Kunst vor allem in ihrer Funktion, Anschauung des absoluten Geistes zu sein. Dies gelingt ihr in der Antike, im Mittelalter hat sie ihre Stellung an die Religion verloren, die schon einen Schritt weiter geht und Anschauung und Denken (Begriffe) miteinander verbindet. Aber erst in der Philosophie seit der Aufklrung begreift der Weltgeist sich selber, kommt er zu sich selbst. Die moderne Kunst ist fr Hegel nicht auf der Hhe des Weltgeistes, sie ist nur subjektivistische "faule Existenz", die nicht auf die objektiven Strukturen der Welt verweist.

    rein

    Wichtige Schriften:

    m Phnomenologie des Geistes (1807)m Wissenschaft der Logik (1812/16)m Enzyklopdie der philosophischen Wissenschaften (1817)m Vorlesungen ber die sthetik

    (gehalten 1817/18 bis 1828/29; herausgegeben 1835-1838)m Vorlesungen ber die Philosophie der Geschichte

    (gehalten 1822/23 bis 1830/31; herausgegeben 1837)

    Sekundrliteratur:

    1. F. Chtelet: G. W. F. Hegel, in: ders. (Hg.): Geschichte der Philosophie. Bd. V: Philosophie und Geschichte (1780-1880), Frankfurt/M. u.a. 1974, S. 150-180.

    2. C. Peres: Die Struktur der Kunst in Hegels sthetik, Bonn 1983.3. H. Schndelbach: Hegel zur Einfhrung, Hamburg 1999.

  • Der objektive Geist

    Das Reich des Geistes gliedert Hegel in drei Stufen: in den subjektiven, den objektiven und den absoluten Geist. Der Bereich des objektiven Geistes ist der der Gesellschaft, der Familie, des Staates, der Geschichte. Das einzelne Individuum der subjektive Geist tritt ber die Familie, die Gesellschaft, den Staat in die nchsthhere objektivere - Sphre ein. Er ordnet sich damit berindividuellen Gesetzen unter.

  • Der subjektive Geist

    Das Reich des Geistes gliedert Hegel in drei Stufen: den subjektiven, den objektiven und den absoluten Geist. Der subjektive Geist ist die unterste Stufe, sie beinhaltet das Leben des einzelnen Menschen, des Individuums.

  • Karl Marx / Friedrich Engels

    Karl Marx* 5.5.1818, Trier14.3.1883, London

    Friedrich Engels,* 28.11.1820, Barmen5.4.1895, London

    Philosophen, Politiker und Publizisten

    Karl Marx und Friedrich Engels sind bekannt als die Wissenschaftler und Publizisten, die der Arbeiterklasse eine theoretische Grundlage fr ihren Emanzipationskampf erarbeiteten. Whrend sich die internationale Arbeiterbewegung in erster Linie auf die nationalkonomischen Werke von Marx (Das Kapital) und die politischen Propagandaschriften (Manifest der Kommunistischen Partei) sttzte, haben einige ihrer erst spt gewrdigten "Frhschriften" im 20. Jahrhundert Bedeutung fr den philosophischen Neomarxismus - und damit auch fr den Problemkreis der Hermeneutik und Ideologiekritik gewonnen. Dazu zhlt in erster Linie die von Marx und Engels gemeinsam verfate Deutsche Ideologie von 1845/46, die sowohl die Arbeit der lteren Frankfurter Schule (Adorno, Horkheimer) als auch die von Jrgen Habermas beeinflut hat.

    Die deutsche Ideologie richtet sich gegen die philosophische Schule des Junghegelianismus. Dieser wird vorgeworfen, sich bei ihren Kmpfen lediglich auf das Reich der Gedanken, d.h. die Auseinandersetzung mit Hegels System des Idealismus zu beschrnken. Richtig und ntig sei es jedoch, den Zusammenhang zwischen den Gedanken und den materiellen Lebensverhltnissen der Menschen zu begreifen. Demnach sind alle bisherigen Gesellschaften hierarchisch in Klassen von Menschen aufgegliedert, wobei die jeweils herrschende Klasse ber die materielle Produktion verfgt. Zur Absicherung dieses Herrschaftverhltnisses, mssen die Gedanken (das Bewutsein) der beherrschten Klassen kontrolliert werden. Um dies zu erreichen, werden die Interessen der herrschenden Klasse als die vorgeblich gemeinsamen aller Mitglieder der Gesellschaft dargestellt. Dies gelingt, weil mit den Mitteln zur materiellen Produktion zugleich die Mittel zur geistigen Produktion im Besitz der herrschenden Klasse sind. Wird diese Darstellung von den Mitgliedern der beherrschten Klassen angenommen, sind ihre Gedanken als ideologisch verzerrtes, falsches Bewutsein zu verstehen, das wiederum durch Ideologiekritik aufdeckt werden kann.

  • DS und JV

    Wichtige Schriften:

    m Die deutsche Ideologie (1845/6)m Manifest der Kommunistischen Partei (1848)m Das Kapital, 3 Bde. (Bd.1 1867; Bde. 2. u. 3. 1885-94, hg. v. F. Engels)

    Sekundrliteratur:

    1. O.K. Flechtheim / H.-M. Lohmann: Marx zur Einfhrung, Hamburg 1988.2. H. Fleischer: Marxismus und Geschichte, Frankfurt/M. 1972.3. Sozialistische Studiengruppen: Die "Deutsche Ideologie" - Kommentar,

    Hamburg 1981.

  • Historischer Materialismus

    Die von Marx und Engels begrndete Lehre, nach der die Geschichte von den konomischen Verhltnissen bestimmt wird.

  • Der absolute Geist

    Das Reich des Geistes gliedert Hegel in drei Stufen: in den subjektiven, den objektiven und den absoluten Geist. ber dem subjektiven und objektiven erhebt sich der absolute Geist. Erst in dieser Sphre ist der Geist vom "Anders-Sein" zurckgekehrt, ist er ganz bei sich. Diese Selbstreflexion des Geistes manifestiert sich in den drei Bereichen Kunst, Religion und Philosophie.

  • Georg Wilhelm Friedrich Hegel:Vorlesungen ber die sthetik(1835-1838)

    Hegel spricht in seinen Vorlesungen ber die sthetik, die er zwischen 1817 und 1829 gehalten hat, nicht vom Schnen in der Natur, sondern vom Schnen in der Kunst. Dieses durch den Menschen gestaltete Schne steht fr ihn ber dem Naturschnen, "weil [es] aus dem Geist geboren" ist. Dieser Argumentation folgend ist Kunst nicht nur Abbild/Mimesis von Natur, denn das wrde bedeuten, da die Kunst beim Natrlichen stehen bliebe und nicht zum Geistigen vordrnge. Kunst geht vielmehr aus der absoluten Idee hervor, sie ist sinnliche Prsentation des absoluten Geistes als Ideal. Die Betonung liegt hier auf dem Adjektiv 'sinnlich', denn die eigentliche, reinste Darstellung der Wahrheit, der Ideen, des Geistes sieht Hegel in der Philosophie. Nur dort findet sich "das freie Denken des absoluten Geistes", nur dort "ist die Region der Wahrheit an sich selbst, nicht des relativ Wahren." Zwischen Philosophie und Kunst als Formen des absoluten Geistes steht die Religion. Der Mangel der Religion liegt nun darin, da das 'Absolute' hier nicht, wie in der Philosophie begriffen, sondern blo vorgestellt wird, fr den endlichen Geist also noch ein An-sich-Seiendes ist.

    Diese Darstellung des Absoluten als Ideal mu wiederum als Idealziel der Kunst begriffen werden, das in den einzelnen Kunstepochen in der Menschheitsgeschichte mehr oder weniger verwirklicht wurde. Hegel unterteilt die "epochalen Formen der Kunst" in symbolische Kunst, klassische Kunst und romantische Kunst.

    Die kulturhistorisch frheste und in sich unentwickeltste Form des Kunstschnen ist die symbolische Kunst. Sie ist Ausdrucksform der orientalischen Frh- und Hochkulturen und entspricht einer modern gesprochen naturmagischen "Weltanschauung". Sie ist geprgt durch eine ausgeprgte Distanz zwischen der Idee, die selbst noch unbestimmt und unklar ist, und der Gestalt, die meist von Naturerscheinungen abgeleitet ist (z.B. Tiergestalt der Gtter). Die Unangemessenheit von symbolischem Material und Idee, Ausdruck der Grenzenlosigkeit und Malosigkeit des Absoluten fhrt zu einer Gestaltung, die die Formen der Kunst ins Phantastische oder Gigantische verzerrt. Als dominierende Kunstgattung sieht Hegel auf dieser Stufe die Architektur und hierbei vor allem die Sakralbauten (z.B. die Pyramiden).

    Die klassische Kunstform ist nichts anderes als die historische Realisierung des zuvor schon philosophisch bestimmten Ideals: "die freie adquate Einbildung der Idee in die zugehrige Gestalt, mit welcher sie deswegen in freien, vollendeten Einklang zu kommen vermag." Die historische Epoche, in der die klassische Kunst realisiert wird, ist die griechische Antike. Und diejenige Kunstgattung, in

  • der sie sich vor allem darstellt, ist die Skulptur. Denn diejenige "Gestalt, welche die Idee als geistige [...] an sich selbst hat, ist die menschliche Gestalt." Und die Bildhauerei ist zumindest nach Hegels Auffassung wie keine andere Kunst zur Darstellung dieser Gestalt prdestiniert.

    Das Zerbrechen der klassischen Kunstform und ihr bergang in die romantische bedeutet bereits ein berschreiten der Kunst innerhalb ihrer Grenzen. In der romantischen Kunst, die das europische Mittelalter und die Neuzeit bis hin zu Hegels Gegenwart (also bis zur Romantik im engeren Sinne) umfat, macht sich "wenngleich auf hhere Weise", wiederum die Diskrepanz zwischen Idee und Gestalt geltend. Die Idee der christlichen Religion kann nicht mehr adquat in individueller Gestalt dargestellt werden, denn sie ist nicht mehr individueller, besonderer Geist, sondern absoluter Geist, oder "selbstbewute Innerlichkeit". Dem sinnlich gegenwrtigen Gott der klassischen Kunstform gesellt sich nun die "Gemeinde" als eben jene "beseelende Subjektivitt und Innerlichkeit" bei. Die Einzelheit des Gottes in der Skulptur zerfllt in die "Vielheit vereinzelter Innerlichkeit", deren Einheit eine schlechte ideelle ist. Entsprechend wird fr den Kunstinhalt wie fr das Material die Partikularisation das bestimmende Prinzip. So sind es dann auch die weniger materiellen Knste, vor allem Poesie, sowie Malerei und Musik, in denen sich die romantische Kunst uert. An ihnen erscheint der sinnliche Stoff (Farbe, Ton und Wort als Bezeichnung fr innere Anschauungen) "an sich selbst gesondert und ideell gesetzt", so da er dem Gehalt dieser Sphre am meisten entspricht. Dabei sind es vor allem die aus der Dominanz der Innerlichkeit resultierenden subjektiven Verzerrungen, die Hegel "fratzenhaft" erscheinen und ihn zu seiner Abwertung dieser "subjektiven" Kunst ntigen (z.B. steht das mittelalterliche christliche Ritterepos fr ihn weit unter dem antiken Epos, besonders den homerischen Epen).

    Nur in der Antike sieht Hegel also die Funktion der Kunst vollkommen erfllt. Denn in der griechischen Antike gewannen die Menschen eine Vorstellung vom Absoluten als einer freien Subjektivitt, und damit als einer Wirklichkeit, in welcher der Mensch bei sich selber ist. Sowohl in der Heroenzeit als auch in der Polis sieht er die Identitt von Subjektivitt und Substantialitt verwirklicht. Die Kunst dieser Stufe ist eine objektive, denn die Durchdringung von Idee und Wirklichkeit, von Allgemeinem und Besonderem erlangt hier ihre Vollendung. Daher ist die Kunst auch die angemessenste Form, in der sich der absolute Geist entuert. In den Tempel, ursprnglich hervorgebracht von der symbolischen Kunstform, "tritt sodann der Gott selber ein".

    Die drei Epochen der Kunst "bestehen im Erstreben, Erreichen und berschreiten des Ideals als der wahren Idee der Schnheit." Mit dieser Hochschtzung gerade der griechisch-antiken Kunst steht Hegel nicht alleine, viele bedeutende Denker seiner Epoche (Goethe, W. v. Humboldt und sogar Marx) teilten diese Einstellung. Sie alle sahen in der griechischen Antike einen unwiederbringlich vergangenen Gipfel der Kulturentwicklung.

  • Trotzdem ist Hegels Wertschtzung der Antike eine besondere, denn sie basiert auf seiner These, da die Kunst der Antike den Ausdruck des absoluten Geistes, der absoluten Wahrheit am vollkommensten leistet. Es geht also nicht nur um sthetische Kategorien. Und wenn Hegel vom Ende der Kunst spricht, meint er nicht, da die Kunst historisch absterbe, sondern nur, da ihre Bedeutung fr die Erkenntnis des Wahren sich relativiert hat. "Man kann wohl hoffen, da die Kunst immer mehr steigen und sich vollenden werde, aber ihre Form hat aufgehrt, das hchste Bedrfnis des Geistes zu sein."

    JV/rein

    l Vorlesungen ber die sthetik (zur Dramatik)l Vorlesungen ber die sthetik (zur Epik)l Vorlesungen ber die sthetik (zur Lyrik)

  • Mimesis

    Der griechische Begriff 'Mimesis' wird hufig mit 'Nachahmung' bersetzt. Die literaturtheoretische Diskussion bezieht sich dabei - wie so oft - auf Aristoteles. Der hatte in seiner Poetik die "nachahmende Darstellung einer Handlung" als wichtiges Charakteristikum der Literatur bezeichnet. Die Motivation sieht er in einem allgemein-menschlichen Bedrfnis nach Nachahmung begrndet. Sie funktioniert auf der Grundlage einer gewissen hnlichkeit (auch "Strukturhomologie") zwischen der realen und der fiktiven Welt (vgl. Fiktionale und faktuale Texte). Die 'mimetische' Darstellung hat zur Folge, da sich der Zuschauer im Theater - denn Aristoteles hat vor allem die Tragdie vor Augen - in eine Handlung einfhlen kann. Er empfindet gemeinsam mit den dargestellten Figuren "Furcht und Mitleid" und wird dadurch von solchen Gefhlen "gelutert". (Aristoteles spricht von Katharsis, was im Griechischen 'Reinigung' bedeutet.) Analog kann man auch von narrativen Texten sagen, da 'mimetisches' Erzhlen - also die mglichst genaue Darstellung der Wirklichkeit - dem Leser die Mglichkeit zur Identifikation mit den Figuren und der Handlung erffnet.

    An dieser Problematik hat sich ein Streit entzndet, der bis heute anhlt: Mu der Dichter die Wirklichkeit 'nachahmen', indem er sie gewissermaen "kopiert"? Oder bedeutet 'Mimesis' nicht viel mehr eine "darstellende Hervorbringung", wobei der Akzent auf der Produktion einer neuen, literarischen Wirklichkeit liegt? Im Laufe der (Literatur-) Geschichte sind unterschiedliche Auffassungen vertreten worden. Viele Schriftsteller und Theoretiker - wie beispielsweise Brecht - haben sich sogar entschieden gegen eine mimetische Kunst ausgesprochen. Statt auf die "Nachahmung des Natrlichen" haben sie groen Wert gelegt auf den knstlichen Charakter, das Gemacht-Sein der Werke. Sie wollten gerade nicht, da der Zuschauer oder Leser sich einfhlt, sondern da er eine kritische Distanz zum Dargestellten entwickelt.

    Allerdings stt die mimetische Darstellung in erzhlenden Texten noch auf ein anderes, grundstzliches Problem. Wenn 'Mimesis' die Nachahmung der Welt menschlicher Handlungen bedeutet, dann kann mit der Sprache eine Handlung, also eine nichtsprachliche Erscheinung, berhaupt nicht angemessen 'nachgeahmt'werden. Es sei denn, bei den dargestellten Handlungen handle es sich bereits um "Sprachhandlungen", also um die Wiedergabe von Worten, die von den Figuren gesprochen werden. Hinsichtlich der 'Mimesis' mu man also unterscheiden zwischen der Erzhlung von Handlungen / Ereignissen und der Erzhlung von Worten. Im Unterschied zur theatralischen Darstellung auf der Bhne, wo Handlungen tatschlich 'nachgeahmt' werden, kann die Erzhlung nur einen mglichst hohen Grad an Wirklichkeitsillusion erzeugen. Roland Barthes, ein franzsischer Zeichentheoretiker und Schriftsteller, hat in diesem Zusammenhang von einem "effet de rel", dem "Wirklichkeitseffekt" gesprochen.

  • Er kommt in narrativen Texten vor allem dadurch zustande, da der Erzhler detaillierte Beschreibungen der Rume und der nichtsprachlichen Handlungen liefert. 'Mimesis' kann bei der Erzhlung von Ereignissen also immer nur Mimesis-Illusion bedeuten. Anders verhlt es sich bei der Erzhlung von Worten. Hier wird die Figurenrede, also sprachlich bereits vorgefertigtes Material, in der Erzhlung lediglich "wiederholt". Daher ist es mglich, in diesem Fall von 'Mimesis' im eigentlichen Wortsinne zu sprechen. Allerdings kann der Erzhler die Rede seiner Figuren unterschiedlich genau wiedergeben. Er kann sie originalgetreu "kopieren" oder auch zusammenfassen und kommentieren. Deswegen sollte man bei der Erzhlung von Worten unterschiedliche Grade von 'Mimesis' unterscheiden (vgl. Formen der Redewiedergabe und Formen der Bewutseinswiedergabe).

    SR

    Sekundrliteratur:

    1. Aristoteles: Poetik, bers. u. hg. v. M. Fuhrmann, Stuttgart 1982.2. E. Auerbach: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendlndischen

    Literatur, Bern und Mnchen 1964.3. G. Genette: Die Erzhlung, hg. v. J. Vogt, Mnchen 1994.

  • Johann Wolfgang Goethe

    * 28.08.1749, Frankfurt am Main 22.03.1832, Weimar

    Dichter und Schriftsteller, Naturforscher, Staatsminister

    Auch eine sehr kurze Charakteristik Goethes sollte nicht absehen von dessen Wirkungsgeschichte, besonders von der langfristig prgenden Kanonisierung, die ihn zwischen 1870/71 und 1918 zum deutschen Klassiker schlechthin, zum "Dichterfrsten" und "Olympier" stilisiert und berhht hat. Ein teils nationalistischer, teils quasi-religiser Klassikerkult machte die historischen Konturen und inneren Widersprche von Person und Lebensleistung, aber auch die provokative Qualitt eines Werkes unkenntlich, welche die zeitgenssischen Leser - sei es enthusiastisch, sei es irritiert - immer wieder erfahren haben. Auch eine heutige Goethe-Lektre mu sich darum bemhen, seine Schriften der nachwirkenden Vernebelung zu entziehen und im Spannungsfeld von Historizitt und Aktualitt 'neu' auf sich wirken zu lassen.

    Richtig ist allerdings, da Johann Wolfgang Goethe, der Brgersohn aus Frankfurt, der schon in jungen Jahren zum (geadelten) Superminister eines deutschen Ministaates avancierte, auch jenseits seiner Amtspflichten eine auergewhnliche Breite und Kontinuitt von knstlerischen wie wissenschaftlichen Interessen, Aktivitten und Projekten entfaltete. Verschiedentlich hat man ihn deshalb als den letzten 'universalen', alle Wissensbereiche umfassenden Geist gefeiert. Tatschlich vollzieht und begleitet Goethe geradezu exemplarisch den bergang aus einer beralterten Feudalordnung in die moderne brgerliche Gesellschaft - anfangs mit groem Elan, spter mit wachsender Skepsis. Die literarische Innovation ist dabei oft Indiz des mentalittsgeschichtlichen Wandels. Erst "seit Goethes Straburger Dichtungen", schreibt Walter Benjamin 1928, knne man "von der Befreiung der deutschen Lyrik aus den Kreisen der Beschreibung, Didaktik und Handlung reden"; und im Goethejahr 1932 bekrftigt der Festredner Thomas Mann: "Ein Befreier war er durch die Erregung des Gefhls und durch die analytische Erweiterung des Wissens vom Menschen."

    In den ausbalancierten sthetischen Gebilden, die die Literaturgeschichte spter der 'Weimarer' Klassik zuschlagen wird, ringt er der "unverbesserlichen Verworrenheit der Menschen" (1780) utopische Momente der Vershnung ab: erotisch als Selige Sehnsucht, zwischenmenschlich als "wahres Wort" und "reine Menschlichkeit" (so in Iphigenie auf Tauris), oder auch als elementarer Trost: "balde/ ruhest du auch."

  • Goethes Alterswerke, darunter zwei jahrzehntelang verfolgte Lebensprojekte - Faust. Der Tragdie zweiter Teil (1831) und Wilhelm Meisters Wanderjahre (1829) -, richten einen illusionslosen, aber keineswegs hoffnungslosen Blick auf die anbrechende "Zeit der Einseitigkeiten" und des "Maschinenwesens"; und bilanzieren zugleich, in individueller wie historischer Perspektive, die durchlebte Epoche (Dichtung und Wahrheit, 1831).

    In der deutschen Literaturgeschichte, oder genauer: in der Geschichte der Poetik und Literatursthetik hat Goethe zweimal epochale Wirkungen gezeitigt: zuerst als der unbestrittene Star der Geniesthetik des Sturm und Drang (Rede zum Shakespeares-Tag, 1772), der auch seinen Vordenker Johann Gottfried Herder aussticht und der deutschen Literatur mit dem Werther-Roman von 1774 erstmals Anschlu ans Weltniveau verschafft. Sodann, im vergleichweise kurzen Zusammenwirken mit Friedrich Schiller, als Begrnder einer deutschen Klassik, deren Programm freilich nur teilweise realisiert wurde. Immerhin wurzeln hier poetologische Konzepte wie das von den Naturformen der Dichtung (1819), das schnell Allgemeingut wurde. Bei genauer Betrachtung ist die 'Weimarer Klassik' aber weniger 'Ausdruck von' als vielmehr 'Einspruch gegen' die Tendenzen des Zeitalters, und als Versuch einer 'Geschmacksdiktatur' nicht ganz falsch beschrieben; unter diesem Gesichtspunkt verweist sie auf Goethes Alterswerk, das die Zeitgenossen eher verstrt denn erbaut hat.

    Deutschlands grter Autor, und einer der wenigen mit unbezweifelter Weltgeltung, war nicht einfach nur ein bevorzugter Gegenstand deutscher Literaturwissenschaft: in der Abarbeitung an ihm hat sich die (Neu-)Germanistik im Kaiserreich, vom Positivismus bis zur Geistesgeschichte, erst als Fach konstituiert. Goethes Wirkungsgeschichte, sowohl die wechselnden Urteile ber Person und Werk, als auch die Interpretation einzelner Texte, von Werther bis Faust, vom Heiderslein bis zu Wanderers Nachtlied, liest sich bis heute als exemplarisch-lehrreiche Methodengeschichte der germanistischen Literaturwissenschaft.

    JV

    Wichtige Schriften:

    m Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bnden. Hrsg. v. Erich Trunz, Hamburg/Mnchen 1948-1960. Neubearbeitung Mnchen 1981/1982.

    Sekundrliteratur:

    1. W. Benjamin: Goethe, in: W. B.: Gesammelte Schriften, Band II,2, Frankfurt/Main 1977, S.705-739.

    2. K.O. Conrady: Goethe. Leben und Werk, 2 Bnde, Knigstein 1980 u..3. B. Jeing: Johann Wolfgang Goethe, Stuttgart/Weimar 1995.

  • Georg Wilhelm Friedrich Hegel:Vorlesungen ber die sthetik (Ausschnitt)Die dramatische Poesie(1835-1838)

    Das Drama mu, weil es seinem Inhalte wie seiner Form nach sich zur vollendetesten Totalitt ausbildet, als die hchste Stufe der Poesie und der Kunst berhaupt angesehen werden. Denn den sonstigen sinnlichen Stoffen, dem Stein, Holz, der Farbe, dem Ton gegenber, ist die Rede allein das der Exposition des Geistes wrdige Element und unter den besonderen Gattungen der redenden Kunst wiederum die dramatische Poesie diejenige, welche die Objektivitt des Epos mit dem subjektiven Prinzip der Lyrik in sich vereinigt, indem sie eine in sich abgeschlossene Handlung als wirkliche, ebensosehr aus dem Inneren des sich durchfhrenden Charakters entspringende als in ihrem Resultat aus der substantiellen Natur der Zwecke, Individuen und Kollisionen entschiedene Handlung in unmittelbarer Gegenwrtigkeit darstellt. Diese Vermittlung des Epischen durch die Innerlichkeit des Subjekts als gegenwrtig Handelnden erlaubt es dem Drama nun aber nicht, die uere Seite des Lokals, der Umgebung sowie des Tuns und Geschehens in epischer Weise zu beschreiben, und fordert deshalb, damit das ganze Kunstwerk zu wahrhafter Lebendigkeit komme, die vollstndige szenische Auffhrung desselben. Die Handlung selbst endlich in der Totalitt ihrer inneren und ueren Wirklichkeit ist einer schlechthin entgegengesetzten Auffassung fhig, deren durchgreifendes Prinzip, als das Tragische und Komische, die Gattungsunterschiede der dramatischen Poesie zu einer dritten Hauptseite macht.

    Aus diesen allgemeinen Gesichtspunkten ergibt sich fr unsere Errterungen nachfolgender Gang:

    Erstens haben wir das dramatische Kunstwerk im Unterschiede des epischen und lyrischen seinem allgemeinen und besonderen Charakter nach zu betrachten.

    Zweitens mssen wir auf die szenische Darstellung und deren Notwendigkeit unsere Aufmerksamkeit richten und drittens die verschiedenen Arten der dramatischen Poesie in ihrer konkreten historischen Wirklichkeit durchgehen.

    Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen ber sthetik III: Werke 15, Frankfurt/M. 1970, S. 474-75.

    Wichtige Schriften:

  • m Vorlesungen ber die sthetik(gehalten 1817/18 bis 1828/29; herausgegeben 1835-1838)

  • Georg Wilhelm Friedrich Hegel:Vorlesungen ber die sthetik (zur Epik)(gehalten 1817-1829)

    Hegel spricht in seinen Vorlesungen ber die sthetik nicht vom Schnen in der Natur, sondern vom Schnen in der Kunst. Dieses durch den Menschen gestaltete Schne steht fr ihn ber dem Naturschnen, "weil aus dem Geist geboren". Dieser Argumentation folgend ist Kunst nicht nur Abbild / Mimesis von Natur, denn das wrde bedeuten, da die Kunst beim Natrlichen stehen bliebe und nicht zum Geistigen vordrnge. Kunst geht vielmehr aus der absoluten Idee hervor, sie ist sinnliche Prsentation des absoluten Geistes als Ideal.

    Diese Darstellung des Absoluten als Ideal mu wiederum als Idealziel der Kunst begriffen werden, das in den einzelnen Kunstepochen in der Menschheitsgeschichte mehr oder weniger verwirklicht wurde. Hegel unterteilt die "epochalen Formen der Kunst" in symbolische Kunst (Orient), klassische Kunst (Antike) und romantische Kunst (beginnend mit dem christlichen Mittelalter). Nur in der Antike sieht er die Funktion der Kunst vollkommen erfllt. Die drei Epochen der Kunst "bestehen im Erstreben, Erreichen und berschreiten des Ideals als der wahren Idee der Schnheit." Auch in ihrer sinnlichen Ausprgung sind sie unterschieden: Die symbolische Kunst materialisiert sich vornehmlich in der Architektur, die klassische Kunst vorwiegend in der Skulptur und die romantische Kunst in Malerei, Musik und Dichtung.

    Im Falle der Dichtkunst sieht Hegel im antiken Epos die Darstellung des Absoluten vollkommen ausgeformt, denn im antiken Epos wird prinzipiell die gesamte gesellschaftliche Realitt dargestellt. Der Held des Epos kann wie eine griechische Statue immer Ausdruck der absoluten Individualitt und des allgemeinen Ideals sein:

    "Was nun unseren jetzigen Gegenstand, die epische Poesie, betrifft, so geht es damit ohngefhr wie mit der Skulptur. Die Darstellungsweise dieser Kunst verzweigt sich zwar zu allerlei Arten und Nebenarten und dehnt sich ber viele Zeiten und Vlker aus; in ihrer vollstndigen Gestalt jedoch haben wir sie als das eigentliche Epos kennenlernen und die kunstmigste Wirklichkeit dieser Gattung bei den Griechen gefunden. Denn das Epos hat berhaupt mit der Plastik der Skulptur und deren Objektivitt, im Sinne sowohl des substantiellen Gehalts als auch der Darstellung in Form realer Erscheinungen, die meiste innere Verwandtschaft, so da wir es nicht als zufllig ansehen drfen, da auch die epische Poesie wie die Skulptur bei den Griechen gerade in dieser ursprnglichen, nicht bertroffenen Vollendung hervorgetreten ist."

  • Diese Verwandtschaft des Epos zur vollkommenen Darstellung des Absoluten der Skulptur ist mglich, obwohl das Epos exemplarisch auswhlt. Das Ideal konkretisiert sich im Geschehen einer Handlung. Diese Handlung ist in aller Regel ein Konflikt mit nationalgeschichtlicher Dimension, z.B. ein Befreiungskrieg. Die Beschreibung dieses Krieges beinhaltet die Grndung eines Staatswesens und wird damit zum Grndungsmythos. Das Epos ist damit die Bibel des Volkes. Solche Epen entstehen an einem historischen Ort mittlerer Zeit, in der sich ein Volksgeist schon ausgebildet, aber noch nicht staatlich und gesellschaftlich in Institutionen manifestiert hat.

    Fr das moderne Europa wird diese 'Mittelzeit'fr das 12. bis 16. Jahrhundert festgeschrieben. Sobald die brgerliche Gesellschaft sich gefestigt hat, kann es kein Epos mehr geben:

    "Denn der ganze heutige Weltzustand hat eine Gestalt angenommen, welche in ihrer prosaischen Ordnung sich schnurstracks den Anforderungen entgegenstellt, welche fr das echte Epos unerllich fanden, whrend die Umwlzungen, denen die wirklichen Verhltnisse der Staaten und Vlker unterworfen gewesen sind, noch zu sehr als wirkliche Erlebnisse in der Erinnerung festhaften, um schon die epische Kunstform vertragen zu knnen."

    In den Kunstformen des spten 18. und frhen 19. Jahrhunderts hier ist vornehmlich der Roman gemeint fehlt die unmittelbare Einheit von Individuellem und Allgemeinem. Hegel schreibt ber das Romanhafte:

    Die Zuflligkeit des uerlichen Daseins hat sich verwandelt in eine feste, sichere Ordnung der brgerlichen Gesellschaft und des Staates, so da jetzt Polizei, Gerichte, das Heer, die Staatsregierung an die Stelle der chimrischen Zwecke treten, die der Ritter sich machte. Dadurch verndert sich auch die Ritterlichkeit der in neuen Romanen agierenden Helden. Sie stehen als Individuen mit ihren subjektiven Zwecken der Liebe, Ehre, Ehrsucht oder mit ihren Idealen der Weltverbesserung dieser bestehenden Ordnung und Prosa der Wirklichkeit gegenber, die ihnen von allen Seiten Schwierigkeiten in den Weg legt. Da schrauben sich nun die subjektiven Wnsche und Forderungen in diesem Gegensatze ins Unermeliche in die Hhe; denn jeder findet vor sich eine bezauberte, fr ihn ganz ungehrige Welt, die er bekmpfen mu, weil sie sich gegen ihn sperrt und in ihrer sprden Festigkeit seinen Leidenschaften nicht nachgibt, sondern den Willen eines Vaters, einer Tante, brgerliche Verhltnisse usf. als ein Hindernis vorschiebt. Besonders sind Jnglinge diese neuen Ritter, die sich durch den Weltlauf, der sich statt ihrer Ideale realisiert, durchschlagen mssen und es nun fr ein Unglck halten, da es berhaupt Familie, brgerliche Gesellschaft, Staat, Gesetze, Berufsgeschfte usf. gibt, weil diese substantiellen Lebensbeziehungen sich mit ihren Schranken grausam den Idealen und dem unendlichen Rechte des Herzens entgegensetzen. Nun gilt es, ein Loch in diese Dinge hineinzustoen, die Welt zu verndern, zu verbessern, oder ihr zum Trotz sich wenigstens einen Himmel auf Erden herauszuschneiden: das Mdchen, wie

  • es sein soll, sich zu suchen, es zu finden und es nun den schlimmen Verwandten oder sonstigen Miverhltnissen abzugewinnen, abzuerobern und abzutrotzen. Diese Kmpfe sind in der modernen Welt nichts weiteres als die Lehrjahre, die Erziehung des Individuums an der vorhandenen Wirklichkeit, und erhalten dadurch ihren wahren Sinn. Denn das Ende solcher Lehrjahre besteht darin, da sich das Subjekt die Hrner abluft, mit seinem Wnschen und Meinen sich in die bestehenden Verhltnisse und die Vernnftigkeit derselben hineinbildet, in die Verkettung der Welt eintritt und in ihr sich einen angemessenen Standpunkt erwirbt. Mag einer sich auch noch soviel mit der Welt herumgezankt haben, umhergeschoben sein zuletzt bekmmt er meistens doch sein Mdchen und irgendeine Stellung, heiratet und wird ein Philister, so gut wie die anderen auch: die Frau steht der Haushaltung vor, Kinder bleiben nicht aus, das angebetete Weib, das erst die Einzige, ein Engel war, nimmt sich ohngefhr ebenso aus wie alle anderen, das Amt gibt Arbeit und Verdrielichkeiten, die Ehe Hauskreuz, und so ist der ganze Katzenjammer der brigen da."

    Dieses Zitat macht deutlich, warum Hegel konstatiert, da die Kunst als Ausdruck des absoluten Geistes an ihr Ende gekommen ist. Hier geht es nur noch um eine individuelle Bildungsgeschichte, um den Kampf gegen die Gesellschaft, der mehr oder weniger harmonisch endet. Im Roman wird der Konflikt zwischen der Poesie des Herzens und der entgegenstehenden Prosa der Verhltnisse ausgetragen. Am Schlu steht die Vershnung: Das Individuum akzeptiert die bestehenden Verhltnissen und wird zum Philister.

    rein

    Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen zur sthetik, hg. v. Friedrich Bassenge, Bd. 1, Frankfurt/M. o. J., S. 567f.

    Wichtige Schriften:

    m Vorlesungen ber die sthetik(gehalten 1817/18 bis 1828/29; herausgegeben 1835-1838)

  • Georg Wilhelm Friedrich Hegel:Vorlesungen ber die sthetik (zur Lyrik)(entstanden ab 1817)

    Im Zentrum des berlegungen Hegels zur Lyrik steht das dichterische Subjekt, dessen individuelle Weltbegegebung und -aneignung sich im Gedicht manifestiere. Elemente der objektiven Wirklichkeit knnen zu lyrischen Inhalten werden, indem der Dichter sie in ihrer Wirkung auf das Subjekt thematisiert und so gewissermaen subjektiviert:

    "Denn in der Lyrik ist es eben nicht die objektive Gesamtheit und individuelle Handlung [wie im Epos], sondern das Subjekt als Subjekt, was die Form und den Inhalt abgibt. Dies darf jedoch nicht etwa so verstanden werden, als ob das Individuum, um sich lyrisch uern zu knnen, sich von allem und jedem Zusammenhange mit nationalen Interessen und Anschauungen losmachen und formell nur auf seine eigenen Fsse stellen msse. Im Gegenteil, in dieser abstrakten Selbstndigkeit wrde als Inhalt nur die ganz zufllige und partikulare Leidenschaft, die Willkr der Begierde und des Beliebens brigbleiben und die schlechte Querkpfigkeit der Einflle und bizarre Originalitt der Empfindungen ihren unbegrenzten Spielraum gewinnen. Die echte Lyrik hat, wie jede wahre Poesie, den wahren Gehalt der menschlichen Brust auszusprechen. Als lyrischer Inhalt jedoch mu auch das Sachlichste und Substantiellste als subjektiv empfunden, angeschaut, vorgestellt und gedacht erscheinen. Zweitens ferner handelt es sich hier nicht um das bloe Sichuern des individuellen Inneren, um das erste unmittelbare Wort, welches episch sagt, was die Sache sei, sondern um den kunstreichen, von der zuflligen, gewhnlichen uerung verschiedenen Ausdruck des poetischen Gemts." (S. 431)

    TvH

    Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen ber die sthetik III. Werke Band 15, Red. Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, 3. Aufl., Frankfurt/M. 1993.

    Wichtige Schriften:

    m Vorlesungen ber die sthetik(gehalten 1817/18 bis 1828/29; herausgegeben 1835-1838)

    Sekundrliteratur:

    1. P. Szondi: Poetik und Geschichtsphilosophie I. Hegels Lehre

  • von der Dichtung, hg. v. S. Metz und H.-H. Hildebrand, 5. Aufl., Frankfurt/M. 1991.

  • Georg Wilhelm Friedrich Hegel:Vorlesungen ber die Philosophie der Geschichte(1837)

    Hegels Vorlesungen ber die Philosophie der Geschichte gehen vom Vernunftprinzip aus, von der Vorstellung, da es im Fortschreiten der Menschheitsgeschichte vernnftig zugehe. In seiner Einleitung schreibt er:

    "Der einzige Gedanke, den die Philosophie mitbringt, ist aber der einfache Gedanke der Vernunft, da die Vernunft die Welt beherrsche, da es also auch in der Weltgeschichte vernnftig zugegangen sei. Diese berzeugung und Einsicht ist eine Voraussetzung in Ansehung der Geschichte als solcher berhaupt; in der Philosophie selbst ist dies keine Voraussetzung. Durch die spekulative Erkenntnis in ihr wird es erwiesen, da die Vernunft bei diesem Ausdrucke knnen wir hier stehenbleiben, ohne die Beziehung und das Verhltnis zu Gott nher zu errtern -, die Substanz wie die unendliche Macht, sich selbst der unendliche Stoff alles natrlichen und geistigen Lebens wie die unendliche Form, die Besttigung dieses ihres Inhalts ist. Die Substanz ist sie, nmlich das, wodurch und worin alle Wirklichkeit ihr Sein und Bestehen hat die unendliche Macht, indem die Vernunft nicht so ohnmchtig ist, es nur bis zum Ideal, bis zum Sollen zu bringen und nur auerhalb der Wirklichkeit, wer wei wo, als etwas besonderes in den Kpfen einiger Menschen vorhanden zu sein; der unendliche Inhalt, alle Wesenheit und Wahrheit, und ihr selbst ihr Stoff, den sie ihrer Ttigkeit zu verarbeiten gibt, denn sie bedarf nicht, wie endliches Tun, der Bedingungen eines uerlichen Materials gegebener Mittel, aus denen sie Nahrung und Gegenstnde ihrer Ttigkeit empfinge, sie zehrt aus sich und ist sich selbst das Material, das sie verarbeitet; wie sie sich nur ihre eigene Voraussetzung und der absolute Endzweck ist, so ist sie selbst dessen Besttigung und Hervorbringung aus dem Inneren in die Erscheinung, nicht nur des natrlichen Universums, sondern auch des geistigen in der Weltgeschichte. Da nun solche Idee das Wahre, das Ewige, das schlechthin Mchtige ist, da sie sich in der Welt offenbart und nichts in ihr sich offenbart als sie, ihre Ehre und Herrlichkeit, das ist es, was, wie gesagt, in der Philosophie bewiesen und hier als bewiesen vorausgesetzt wird." (S. 48f.)

    Die Geschichte als "Produkt der ewigen Vernunft" schreitet in Richtung Freiheit. Die vollkommene Freiheit der Menschen ist das Ziel der Weltgeschichte. Hegel nennt dies auch das Ziel des Geistes, denn die Weltgeschichte ist ja nichts anderes als die Manifestation des Weltgeistes:

    "Die Natur des Geistes lt sich durch den vollkommenen Gegensatz desselben erkennen. Wie die Substanz der Materie die Schwere ist, so, mssen wir sagen, ist die Substanz, das Wesen des Geistes die Freiheit. Jedem ist es unmittelbar glaublich, da der Geist auch unter anderen Eigenschaften die Freiheit besitze;

  • die Philosophie aber lehrt uns, da alle Eigenschaften des Geistes nur durch die Freiheit bestehen, alle nur Mittel fr die Freiheit sind, alle nur diese suchen und hervorbringen; es ist dies eine Erkenntnis der spekulativen Philosophie, da die Freiheit das einzige Wahrhafte des Geistes sei." (S. 58)

    Die Epochen der Weltgeschichte werden von Hegel als Stufen auf dem Weg zur Vervollkommnung der Freiheit begriffen. Von den Orientalen ber die Griechen bis zur christlichen Welt fhrt in seiner Schematisierung diese Stufenleiter:

    "Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewutsein der Freiheit ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben. Mit dem was ich im allgemeinen ber den Unterschied des Wissens von der Freiheit gesagt habe, und zwar zunchst in der Form, da die Orientalen nur gewut haben, da Einer frei, die griechische und rmische Welt aber, da einige frei sind, da wir aber wissen, alle Menschen an sich, das heit der Mensch als Mensch sei frei, ist auch zugleich die Einteilung der Weltgeschichte." (S. 61)

    Der Weg zu dieser Freiheit fhrt ber die Handlungen von Individuen, die durch die sogenannte "List der Vernunft" glauben, ihren eigenen Interessen zu folgen, jedoch nur Werkzeuge zur Verwirklichung des Welt- und Volksgeistes sind. Besonderen Augenmerk schenkt Hegel den "welthistorischen Individuen" wie Alexander, Csar, Napoleon, in denen dieser Weltgeist auf besondere Weise zum Ausdruck kommt. In ihren partikularen Interessen leuchtet das Allgemeine auf:

    "Dies sind die groen Menschen in der Geschichte, deren eigne partikulare Zwecke das Substantielle enthalten, welches Wille des Weltgeistes ist. [...] Solche Individuen hatten in diesen ihren Zwecken nicht das Bewutsein der Idee berhaupt, sondern sie waren praktische und politische Menschen. Aber zugleich waren sie denkende, die die Einsicht hatten von dem, was not und was an der Zeit ist. Das ist eben die Wahrheit ihrer Zeit und ihrer Welt, sozusagen die nchste Gattung, die im Innern bereits vorhanden war. Ihre Sache war es, dies Allgemeine, die notwendige nchste Stufe ihrer Welt zu wissen, diese sich zum Zwecke zu machen und ihre Energie in dieselbe zu legen. Die welthistorischen Menschen, die Heroen einer Zeit, sind darum als die Einsichtigen anzuerkennen; ihre Handlungen, ihre Reden, sind das Beste der Zeit." (S. 75)

    An dieser Stelle wird deutlich, da der Mensch bei Hegel nicht nur bewutloser Vollstrecker des Weltgeistes ist, sondern mittels seines Verstandes am Geistigen teil haben kann.

    rein

    Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte, Stuttgart 1961.

  • Naturwissenschaften

    Biologie, Physik und Chemie werden als Naturwissenschaften bezeichnet, weil sie die Natur und die in ihr waltenden kausalen Gesetzmigkeiten zum Gegenstand haben. Im Gegensatz dazu erforschen die spekulativen, d.h. interpretativ verfahrenden Geistes- oder Kultur wissenschaften den Menschen als ein historische Leistungen vollbringendes Wesen, welches gerade nicht durch allgemeingltige Gesetzmigkeiten bestimmt werden kann. Naturwissenschaften werden im Gegensatz zu den Geisteswissenschaften als "exakte Wissenschaften" bezeichnet, weil sie sich zur Formulierung ihrer Theorien mathematischer Methoden und Begriffe bedienen. Naturwissenschaften erheben damit Anspruch auf berprfbare Ergebnisse.

    Das Beschreiben, Vergleichen und Ordnen sowie die Abstraktion von systematisch beobachteten Einzelerscheinungen sind seit der Antike Methoden der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung (Aristoteles). Das Experiment als gezielte Variation von bestimmten Parametern, verbunden mit der Messung der Ergebnisse, ist erst in der Neuzeit entwickelt worden (Francis Bacon). Weiterhin bilden Deduktion (logische Ableitung, zum Beispiel die regelkonform entwickelte Voraussage) und Induktion (Verallgemeinerung von Einzelergebnissen zu neuen Hypothesen oder allgemeinen Gesetzmigkeiten) als Kombination von Erfahrung und Verstand die grundlegende Vorgehensweise der Naturwissenschaften.

    Die Naturwissenschaften, die erst seit Ende des 18. Jahrhunderts als autonome Wissensgebiete ohne philosophischen berbau gelehrt werden, wurden im 19. Jahrhundert vornehmlich aufgrund der nunmehr mglichen technischen Umsetzung ihrer Ergebnisse zu den dominierenden Wissenschaften. Gegen diese Dominanz haben sich die "Geisteswissenschaften" mit dem ihrerseitigen Vorwurf eines allumfassenden Reduktionismus unter physikalische bzw. mechanische Gesetzmigkeiten gewehrt (Dilthey). Tatschlich haben im 20. Jahrhundert, gewissermaen von innen heraus, Chaos- und Selbstorganisationstheorien den Absolutheitsanspruch eines mechanistischen Naturverstndnisses der "exakten Wissenschaften" relativiert und ergnzt.

    pflug

    Sekundrliteratur:

    1. G. Frey: Erkenntnis der Wirklichkeit. Philosophische Folgerungen der modernen Naturwissenschaften, Stuttgart 1974.

    2. J. Habermas: Technik und Wissenschaft als 'Ideologie', Frankfurt/M. 1974.

  • 3. B. Kanitschneider: Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften, Berlin 1981.

  • Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft(1790)

    Die 1790 erschienene Kritik der Urteilskraft ist die letzte der sogenannten drei 'Kritiken' Kants: Nachdem sich der Knigsberger Philosoph in der Kritik der reinen Vernunft (1781) mit den Bedingungen der Mglichkeit von Erkenntnis auseinandergesetzt hat (was kann ich wissen?) und in der Kritik der praktischen Vernunft (1788) moralphilosophisch nach den Grundlagen menschlichen Handelns gefragt hat (was kann ich tun?), wendet er sich in der Kritik der Urteilskraft den Mglichkeiten und Grnden von verbindlichen Urteilen zu (wie kann ich urteilen?).

    Als Urteilskraft begreift Kant "nicht blo ein Vermgen, das Besondere unter dem Allgemeinen (dessen Begriff gegeben ist) zu subsumieren, sondern auch umgekehrt, zu dem Besonderen das Allgemeine zu finden." (S. 22) In der Kritik der Urteilskraft konzentriert er sich auf dieses zweite Vermgen, das er "reflektierende Urteilskraft" nennt: Sie bezeichnet die Gewohnheit des Menschen, hinter konkreten Erscheinungen Prinzipien und Begriffe zu vermuten, die mit Verstand und Vernunft erfat werden knnen. Ausgehend von den zwei Weisen der Urteilskraft, eine Verbindung zwischen Besonderem und Allgemeinem herzustellen, unterteilt Kant seine Kritik der Urteilskraft in zwei groe Kapitel. In der Kritik der sthetischen Urteilskraft analysiert er das Schne, ber das ein Urteil nur subjektiv, durch das Gefhl zustande komme; das sthetische Urteil bezeichnet er daher auch als ein reines Geschmacksurteil. In der Kritik der teleologischen Urteilskraft wendet er sich den Gegenstnden zu, deren Zweck bereits in ihrer Materialitt begrndet ist ("Naturzweck"), wo sich das Urteil also aus der Zweckmigkeit des Objektes selbst unmittelbar ergebe.

    Im Mittelpunkt von Kants sthetischer Theorie steht neben der traditionellen Kategorie des Schnen die zeitgenssische Kategorie des Erhabenen. Beide Begriffe bestimmt er ausgehend vom Subjekt. Als schn werde beurteilt, was im Subjekt ein Lustgefhl erzeuge, obwohl es weder ntzlich noch moralisch gut ist: Es lse ein "uninteressiertes Wohlgefallen" (S. 117) aus. Der Zustand, in den das Subjekt bei der Betrachtung des Schnen gelange, sei bestimmt durch eine Harmonie zwischen Einbildungskraft und Verstand. Diese Harmonie werde als lustvoll erfahren und das empfindende Subjekt unterstelle, da es die Lust an diesem harmonischen Zustand und an dem ihn auslsenden Gegenstand, theoretisch mit allen anderen Menschen als Vernunft- und Sinnenwesen teile. Daraus schliet Kant: "Schn ist das, was ohne Begriff allgemein gefllt." (S. 134) Im Schnen werde also vom anschauenden Subjekt eine rein formale (nicht inhaltliche) Zweckmigkeit erkannt, die ohne Nutzen sei (weshalb man ihr interesselos begegnet); das Schne sei daher charakterisiert durch eine "Zweckmigkeit ohne Zweck". (S. 136)

  • In seiner Bestimmung des Begriffs des Erhabenen lehnt sich Kant an die berlegungen Edmund Burkes (1729-1797) an, der das Erhabene als eine gemischte Empfindung charakterisiert hatte: Das Riesige, Unendliche, Dunkle lse im Betrachter Furcht aus, die sich jedoch mit lustvollen Empfindungen mische, wenn er erkenne, da er selbst nicht gefhrdet ist ("delightful horror"). Kant nennt ein Objekt erhaben, wenn es erhabene Ideen im Betrachter hervorruft. Solche Gegenstnde findet er vor allem in der Natur: "So kann der weite, durch Strme emprte Ozean nicht erhaben genannte werden. Sein Anblick ist grlich; und man mu das Gemt schon mit mancherlei Ideen angefllt haben, wenn es durch eine solche Anschauung zu einem Gefhl gestimmt werden soll, welches selbst erhaben ist." (S. 190) Angesichts des unendlichen Meeres erkenne der Mensch einerseits seine physische Ohnmacht, andererseits knne er der bermacht der Natur die Erkenntnis entgegensetzen, da, "obgleich der Mensch jener Gewalt unterliegen mte", seine "Menschheit", das Bewutsein der "eigenen Erhabenheit der Bestimmung", davon unberhrt bleibe. (S. 186) Diese geistige berwindung der sinnlichen Natur des Menschen charakterisiere das Erhabene. Im zusammenfassenden Vergleich definiert Kant das Schne und das Erhabenen wie folgt: "Schn ist das, was in bloer Beurteilung (also nicht vermittelst der Empfindung des Sinnes nach einem Begriffe des Verstandes) gefllt. Hieraus folgt von selbst, da es ohne alles Interesse gefallen msse. Erhaben ist das, was durch seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefllt." (S. 193)

    Kant hat mit seinem Theorem vom "uninteressierten Wohlgefallen" die Autonomie der Kunst begrndet. Mit diesem Verstndnis ist eine Kunst, die belehren und bessern soll, die also auf konkrete Zwecke ausgerichtet ist - wie beispielsweise Lessings Konzept vom Theater als einer moralischen Anstalt - nicht mehr vereinbar. Eine Vermittlung zwischen diesem Prmissen Kants und einer moralischen Funktion der Kunst versuchte Schiller in seinen sthetischen Schriften.

    TvH

    Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, hg. v. W. Weischedel, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1996.

    Sekundrliteratur:

    1. G. Kohler: Geschmacksurteil und sthetische Erfahrung. Ein Beitrag zur Auslegung von Kants Kritik der Urteilskraft, Berlin u.a. 1980.

    2. J. Kulenkampff: Kants Logik des sthetischen Urteils, Frankfurt/M. 1978.3. B. Scheer: Einfhrung in die Philosophische sthetik, Darmstadt 1997.

  • 3. Regeln und Probleme des Textverstehens: Hermeneutik

    1. Grundbegriffe der Hermeneutik

    Hermeneutische DifferenzHermeneutischer Zirkel / hermeneutische SpiraleKommentarInterpretation IdeologiekritikWirkungsgeschichte

    2. Positionen der allgemeinen / philosophischen Hermeneutik

    Baruch de Spinoza: "Theologisch-politischer Traktat"

    Johann Martin Chladenius: "Einleitung zur richtigen Auslegung vernnftiger Reden und Schriften"

    Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: "Hermeneutik und Kritik"

    Wilhelm Dilthey: "Der Aufbau der historischen Welt in den Geisteswissenschaften"

    Karl Marx / Friedrich Engels: "Die Deutsche Ideologie"

    Sigmund Freud: "Vorlesungen zur Einfhrung in die Psychoanalyse"

    Martin Heidegger

    Hans-Georg Gadamer: "Wahrheit und Methode"

  • Jrgen Habermas: "Zu Gadamers 'Wahrheit und Methode'"

    Paul Ricoeur

    3. Spezialhermeneutiken

    3.1 Theologische Hermeneutik

    3.2 Juristische Hermeneutik

    3.3 Literarische Hermeneutik

    Werkimmanente InterpretationEmil StaigerWolfgang Kayser

    Peter Szondi: "Bemerkungen zur Forschungslage der literarischen Hermeneutik"

    Uwe JappKarlheinz StierleUmberto Eco

    4. Gegentendenzen und Kritik der Hermeneutik

    sthetisch fundierte Literaturkritik: Susan SontagStrukturalismusPoststrukturalismus/DekonstruktivismusEmpirische Literaturwissenschaft

    5. Erwhnte Autoren und literarische Texte

  • Georg Bchner: "Lenz"

    Paul CelanHans Magnus Enzensberger

    Johann Wolfgang Goethe: "ber allen Gipfeln ist Ruh"

    Friedrich HlderlinFriedrich NietzscheFranz Kafka

    6. Texte zur Diskussion

    Klaus L. Berghahn: "Wortkunst ohne Geschichte: Zur werkimmanenten Methode der Germanistik nach 1945" (Word-Datei)Klaus-Michael Bogdal: "Kann Interpretieren Snde sein? Literaturwissenschaft zwischen sakraler Poetik und profaner Texttheorie" (Word-Datei)

  • Aristoteles

    * 384 v. Chr., Stageira in Thrakien 322 v. Chr.

    Aristoteles kam in jungen Jahren nach Athen und wurde der bedeutendste Schler Platons. Dennoch stehen seine Schriften durchaus im Gegensatz zu der Philosophie seines Lehrers. Ist Platon ein auch aus seiner Phantasie schpfender Philosoph, Realist und Utopist, so ist Aristoteles der rationale Analytiker. Er sieht zwar auch in der Philosophie die Krone des Wissens, indem sie alles Bestehende unter einheitlichen Prinzipien ordnet, aber sein hauptschlicher Ehrgeiz widmet sich der Beschreibung und Analyse der Welt sowohl im metaphysischen als auch im physischen Sinne. So kann man seine Werke unterteilen in Schriften zur Logik, zur Naturwissenschaft, zur Metaphysik, zur Ethik, zur Politik, zur Literatur und zur Rhetorik.

    Seine Bewertung der Dichtkunst ist im Gegensatz zu Platon durchaus positiv. Sie fhre mit den Mitteln der Mimesis (Nachahmung) zu einer Katharsis (Reinigung) des Publikums. Auch die Rhetorik erfhrt bei Aristoteles eine Aufwertung, indem sie sich von der rein instrumentellen Rhetorik der Sophisten entfernt und auf rational nachvollziehbare Glaubwrdigkeit anstelle von berredung setzt.

    rein

    Wichtige Schriften:

    m Rhetorikm Poetikm Poetik zum Drama

    Sekundrliteratur:

    1. U. Charpa: Aristoteles, Hamburg 1991.2. M. Fuhrmann: Die antike Rhetorik, Mnchen u.a. 1990.3. A. Hellwig: Untersuchungen zur Theorie der Rhetorik bei Platon und

    Aristoteles, Gttingen 1973.

  • Platon

    * 427 v. Chr. 347 v. Chr.

    Philosoph

    Der Philosoph Platon ist ein radikaler Feind der Sophistik. Zwar geht auch er - wie die Sophisten - davon aus, da unser Wissen von dem Sein der Welt, nicht vollstndig mit der Wirklichkeit bereinstimmt. Gewi gibt es eine Art berredung durch die sinnliche Wahrnehmung, die die Dinge nicht so erscheinen lt wie sie sind, sondern in ihrer stets wechselnden Erscheinung. Doch hinter der Welt der Erscheinungen gibt es eine Welt der Ideen, die unwandelbar ist und deren Erkenntnis zur zeitlosen Wahrheit fhrt. So existiert z.B. in der moralischen Welt eine Vorstellung von Tugend, die sich entweder auf tradierte Werte der Vorvter sttzt oder auf die vorbildliche Lebensweise eines Staatsmannes. Dieser der Erfahrungswelt abgewonnene Tugendbegriff wird von Platon mit Mitrauen betrachtet. Denn diesem Begriff fehlt das Bewutsein dafr, warum die eine Handlung gut und die andere Handlung schlecht ist. Aus dieser Relativierung der Wirklichkeit und der Tugend zieht die Sophistik nun den Schlu, da es keine allgemeingltigen Mastbe fr richtiges Denken und Handeln gibt und somit demjenigen alles erlaubt ist, der zu seiner Sicht der Dinge berreden kann. In Abgrenzung zu dieser Auffassung kommt Platon zu der berzeugung, es sei die Aufgabe der Philosophie, eine Tugend jenseits der Sphre der Erfahrung zu erkennen und dem Brger aufzuzeigen. Diese Belehrung erfolgt im Interesse der sittlichen Grundlegung des Staates und der Erziehung der Brger.

    rein

    Wichtige Schriften:

    m Der Staat (um 387-367 v. Chr.)m Gorgiasm Das Gastmahl (um 380 v. Chr.)

    Sekundrliteratur:

    1. J.F. Findlay: Platon und Platonismus. Eine Einfhrung, Weinheim 1994.2. M. Suhr: Platon, Frankfurt/M.u.a.1992.3. B. Zehnpfennig: Platon zur Einfhrung, Hamburg 1994.

  • Publikum

    Dichtungen wurden in der Antike meist aufgefhrt, Individualleser im heutigen Sinne gab es kaum.

    rein

  • Aristoteles:Rhetorik

    War Rhetorik bei Gorgias noch die reine "Meisterin der berredung" und damit in den Augen Platons ethisch nicht akzeptabel, wird sie bei Aristoteles zur "Fhigkeit, in jedem Einzelfall ins Auge zu fassen, was Glaubhaftigkeit bewirkt". In diesem Zitat tritt einerseits der psychologische Aspekt der aristotelischen Rhetorik zutage; es geht um das, "was Glaubwrdigkeit bewirkt". Der Redner mu also die psychische Beschaffenheit seiner Zuhrer kennen, um die Inhalte in der Form zu prsentieren, da sie diese Glaubwrdigkeit beim Zuhrer bewirken; die Wirkung ist abhngig von der Einfhlung des Redners in die Stimmung, in die Individualitt des Zuhrers. Andererseits geht es nicht mehr um berredung jenseits der Wahrheit, sondern um "Glaubhaftigkeit", nicht nur im rein rhetorischen, sondern im tatschlichen Sinne. So fordert Aristoteles eine Betonung der "technischen" zu Lasten der "untechnischen" Beweismittel in der rhetorischen Beweisfhrung. Unter technischen Beweismitteln versteht er Beweise durch logische Schlufolgerungen und berlegungen, durch schlagende Beispiele und einleuchtende Indizien. Unter den traditionellen "untechnischen" Beweismitteln werden die Zeugenaussage, Eide sowie die Anwendung von Gesetzes- und Vertragsklauseln verstanden.

    Dieser Betonung der Glaubhaftigkeit entsprechend, legt Aristoteles das Schwergewicht seiner Ausfhrungen auf die inventio, also die Erarbeitung des inhaltlichen Aspekts der rhetorischen Argumentation (Buch 1 und 2). Die sprachliche Ausarbeitung der Rede, also den Stil (elocutio) und die Anordnung des Stoffes (dispositio), behandelt er im dritten Band seiner Rhetorik.

    rein

  • Aristoteles: Poetik(nach 335 v. Chr.)

    Die Poetik des Aristoteles beschftigt sich in teils grundstzlicher, teils spezieller Art und Weise mit der Dichtkunst und ihren Gattungen. Sie beschrnkt sich nicht auf Texte in schriftlicher Form, sondern meint jede Art eines dichterischen Vortrags: "Die Epik und die tragische Dichtung, ferner die Komdie und die Dithyrambendichtung sowie grtenteils das Flten- und Zitherspiel: sie alle sind, als Ganzes betrachtet, Nachahmungen. Sie unterscheiden sich jedoch in dreifacher Weise voneinander: entweder dadurch, da sie je verschiedene Mittel, oder dadurch, da sie je verschiedene Gegenstnde, oder dadurch, da sie auf je verschiedene und nicht auf dieselbe Weise nachahmen." (S. 5) An dieser Stelle ist schon das zentrale Stichwort gefallen: Die Nachahmung ist das Wesen der Dichtung. Die Dichter "ahmen handelnde Menschen nach. Diese sind notwendigerweise entweder gut oder schlecht. Denn die Charaktere fallen fast stets unter eine dieser beiden Kategorien; alle Menschen unterscheiden sich nmlich, was ihren Charakter betrifft, durch Schlechtigkeit und Gte. Demzufolge werden Handelnde nachgeahmt, die entweder besser oder schlechter sind, als wir zu sein pflegen, oder ebenso wie wir." (S. 7)

    Die Unterschiede der nachzuahmenden Charaktere konstituieren dann auch die Unterschiede der literarischen Gattungen: "Auf Grund desselben Unterschiedes weicht auch die Tragdie von der Komdie ab: die Komdie sucht schlechtere, die Tragdie bessere Menschen nachzuahmen, als sie in der Wirklichkeit vorkommen." (S. 9) Diese Unterscheidung Aristoteles behielt als sogenannte 'Stndeklausel' bis ins spte 18. Jahrhundert hinein Gltigkeit. Erst mit dem brgerlichen Trauerspiel Lessings und der damit einhergehenden neuen Dramenpoetik brach diese Beschrnkung der Tragdie auf adeliges Personal auf.

    Ein weiterer Unterschied der literarischen Gattungen liegt in der Art und Weise, wie sie nachahmen: "Denn es ist mglich, mit Hilfe derselben Mittel dieselben Gegenstnde nachzuahmen, hierbei jedoch entweder zu berichten in der Rolle eines anderen, wie Homer dichtet, oder so, da man unwandelbar als derselbe spricht oder alle Figuren als handelnde und in Ttigkeit befndliche auftreten lassen." (S. 9)

    Nun wendet sich Aristoteles der Frage zu, warum der Mensch zur Nachahmung neigt und Dichtkunst produziert: "Allgemein scheinen zwei Ursachen die Dichtkunst hervorgebracht zu haben, und zwar naturgegebene Ursachen. Denn sowohl das Nachahmen ist dem Menschen angeboren, es zeigt sich von Kindheit an, und der Mensch unterscheidet sich dadurch von den brigen Lebewesen [...], als auch die Freude, die jedermann an Nachahmung hat. Als Beweis hierfr kann

  • eine Erfahrungstatsache dienen. Denn von Dingen, die wir in der Wirklichkeit nur ungern erblicken, sehen wir mit Freude mglichst getreue Abbildungen, z.B. Darstellung von mglichst unansehnlichen Tieren und von Leichen." (S. 11) An dieser Stelle scheint es, als htte Aristoteles unsere modernen Rezeptionsgewohnheiten schon mitgedacht.

    Was ist nun unter dieser Nachahmung, die anscheinend naturgegeben ist, zu verstehen? Geht es um die Nachahmung von tatschlichen historischen Ereignissen oder (handelnden) Personen? Aristoteles gibt darauf eine eindeutige Antwort, die unsere Vorstellung vom logischen Status und den Grenzen der Literatur lange geprgt hat: "Es [ist] nicht Aufgabe des Dichters [...] mitzuteilen, was wirklich geschehen ist, sondern vielmehr, was geschehen knnte, d.h. das nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit Mgliche. Denn der Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich nicht dadurch voneinander, da sich der eine in Versen und der andere in Prosa mitteilt man knnte ja auch das Werk Herodots in Verse kleiden, und es wre in Versen um nichts weniger ein Geschichtswerk als ohne Verse ; sie unterscheiden sich vielmehr dadurch, da der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der andere was geschehen knnte. Daher ist die Dichtung etwas Philosophischeres und Ernsthafteres als Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das Allgemeine, die Geschichtsschreibung hingegen das Besondere mit."(S. 29)

    Die Festschreibung der Dichtung auf etwas, das geschehen knnte, aber wahrscheinlich sein mu, stellt einerseits gegenber der Wirklichkeit ein freiheitliches Moment dar, Literatur darf in diesem Moment Fiktion sein; andererseits gibt es fr sie gegenber dem potentiell Denkbaren jedoch ein Moment von Unfreiheit. Der Dichtung, so wie Aristoteles sie definiert, fehlt die Mglichkeit zur Utopie, zur Subversion, zur zumindest gedanklichen Zersetzung von gesellschaftlichen Gegebenheiten.

    rein

    Aristoteles: Poetik, bers. u. hg. v. Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982.

  • Aristoteles:Poetik (zum Drama)

    In der Poetik des Aristoteles werden sowohl die Lyrik, die Epik als auch die Dramatik als Nachahmungen charakterisiert. Tragdiendichtung ist Mimesis von Lebenswirklichkeit und handelnden Menschen, diese Menschen sind entweder gut oder schlecht. Die Scheidung von guten und schlechten Menschen konstituiert auch die poetologische Unterscheidung von Tragdie und Komdie: "Die Komdie sucht schlechtere, die Tragdie bessere Menschen nachzuahmen, als sie in der Wirklichkeit vorkommen." (S. 9) Hier finden wir die Keimzelle der bis ins 18. Jahrhundert vorherrschenden Stndeklausel, die die Tragdie fr das adlige Personal reservierte, die Brger und Bauern hingegen auf die Komdie verwies. Es ging darum, die schlechteren Menschen nicht in ihrer Schlechtigkeit an sich darzustellen, "sondern nur insoweit, als das Lcherliche am Hlichen teilhat. Das Lcherliche ist nmlich ein mit Hlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht." (S. 17) Der schlechtere Mensch soll in seiner Lcherlichkeit blogestellt und verlacht werden.

    Warum haben sich aber diese beiden Formen des Dramas entwickelt? Auch auf diese Frage hat Aristoteles eine Antwort: Es war das Wesen der Autoren, das die Tragdie von der Komdie schied, denn "die Dichtung hat sich hierbei nach den Charakteren aufgeteilt, die den Autoren eigentmlich waren. Denn die Edleren ahmten gute Handlungen und die von Guten nach, die Gewhnlicheren jedoch die von Schlechten." (S. 13)

    Wichtigstes strukturelles Merkmal der Tragdendichtung ist die Geschlossenheit. Dies bezieht sich einerseits auf eine 'geschlossene Handlung': "Die Tragdie ist Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen Handlung von bestimmter Gre, in anziehend geformter Sprache." (S. 19) Andererseits zeigt sich die Geschlossenheit der Tragdie in der 'Einheit der Zeit und des Ortes': Ihre zeitliche "Ausdehnung [...] versucht sich nach Mglichkeit innerhalb eines einzigen Sonnenumlaufs zu halten oder nur wenig darber hinauszugehen." (S. 17) Sie besitzt als ein Ganzes Anfang, Mitte und Ende. "Demzufolge drfen Handlungen, wenn sie gut zusammengefgt sein sollen, nicht an beliebiger Stelle einsetzen noch an beliebiger Stelle enden, sondern sie mssen sich an die genannten Grundstze halten." (S. 25)

    Welches Ziel verfolgt Aristoteles mit der Festschreibung dieser Grundstze? Es geht ihm darum, eine grtmgliche Nachvollziehbarkeit der Handlung durch das Publikum zu erzeugen. Denn der Zweck der Tragdie ist es, Jammern (eleos) und Schaudern (phobos) hervorzurufen, um eine Reinigung (katharsis) des Zuschauers herbeizufhren.

  • rein

    Aristoteles: Poetik, bers. u. hg. v. Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982.

  • 4. Theorien der Textproduktion: Rhetorik und Poetik

    1. Rhetorik

    1.1 Grundbegriffe der Rhetorik

    RedegattungenRedefunktionenElemente der RedeRhetorische Mittel: Tropen

    l Metapherl Katachresel Metonymiel Synekdochel Emphasel Hyperbell Periphrasel Euphemismusl Synonym

    Wortfiguren

    l Anapherl Epipherl Paronomasiel Polyptotonl Polysyndetonl Asyndetonl Ellipsel Zeugmal Hyperbatonl Parallelismusl Chiasmus

    Sinnfiguren

    l Antithesel Apostrophel Rhetorische

    Fragel Permissionl Personifikationl Allegorie

    1.2 Die antike Rhetorik

    Gorgias von Leontinoi

    Platon: "Gorgias"

    Aristoteles: "Rhetorik"

    Marcus Tullius Cicero: "ber den Redner"

    Marcus Fabius Quintilian: "Ausbildung des Redners"

  • 2. Poetik

    2.1 Die antike Poetik

    Aristoteles: "Poetik"

    Platon: "Der Staat"

    Quintus Horatius Flaccus (Horaz): "Von der Dichtkunst"

    2.2 Poetik der Renaissance

    Julius Caesar Scaliger: "Sieben Bcher ber die Dichtkunst"

    Martin Opitz "Buch von der deutschen Poeterey" (zur Dramatik) "Buch von der deutschen Poeterey" (zur Lyrik)

    "Stndeklausel"

    2.3 Krise und Fortleben der Poetik

    2.3.1 Poetik im 18. Jahrhundert

    Johann Christoph Gottsched: "Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen"

    Christian Friedrich von Blanckenburg: "Versuch ber den Roman"

    2.3.2 Poetik des Sturm und Drang

    Johann Gottfried Herder

    Johann Wolfgang Goethe: "Zum Shakespeare-Tag"

    2.3.3 Poetik der Klassik

  • Johann Wolfgang Goethe: "Naturformen der Dichtung"

    2.3.4 Poetik der Romantik

    Friedrich Schlegel: "Progressive Universalpoesie"

    2.3.5 Poetik im 19. und 20. Jahrhundert

    Georg Wilhelm Friedrich Hegel: "Vorlesungen ber die sthetik"

    Georg Lukcs: "Die Theorie des Romans"

    Walter Benjamin: "Der Erzhler"

    Theodor W. Adorno: "Standort des Erzhlers im modernen Roman"

    Roman Jakobson: "Linguistik und Poetik"

    Manfred Bierwisch: "Poetik und Linguistik"

    3. Immanente Poetik

  • Romantheorie im Roman

    Robert Musil: "Der Mann ohne Eigenschaften" (Ausschnitt)

    Thomas Mann: "Der Zauberberg" (Ausschnitt)

    Gedichte ber Dichtung

    Gottfried Benn: "Fragmente" (Originaltext)

    Bertolt Brecht: "ber die Bauart langdauernder Werke" (Ausschnitt)

    4. Erwhnte Autoren und literarische Texte

    Homer: "Ilias" "Odyssee"

    Sophokles: "Knig dipus"

    Miguel de Cervantes Saavedra "Don Quijote"

    Johann Wolfgang Goethe: "Die Leiden des jungen Werthers" "West-stlicher Divan"

    Marcel ProustThomas MannRobert MusilJames JoyceVirginia WoolfGottfried BennBertolt BrechtErnst JandlUmberto Eco

  • Wilhelm Dilthey

    * 19.11.1833, Wiesbaden 01.10.1911, Seis bei Bozen

    Philosoph, Psychologe und Pdagoge

    Wilhelm Dilthey war um 1900 die Zentralfigur der sosogenannten Lebensphilosophie in Deutschland. Schon frh hatte er sich intensiv mit Schleiermachers Hermeneutik befat. In seinem eigenen umfangreichen Werk behandelt er Fragen der Philosophie und Erkenntnistheorie, Psychologie und Pdagogik, aber auch der Kunst und Literatur. Die Vielfalt der Gegenstnde und Disziplinen wird durch den Versuch verbunden, fr sie eine gemeinsame, von den damals so erfolgreichen Naturwissenschaften unterschiedene Erkenntnismethode zu bestimmen. Whrend jene die physische Welt erklren, sollen die von Dilthey so genannten Geisteswissenschaften die menschliche Welt verstehen, und zwar "sofern menschliche Zustnde erlebt werden, sofern sie in Lebensuerungen zum Ausdruck gelangen und sofern diese Ausdrcke verstanden werden." (S. 98)

    Der Dreischritt von Erleben, Ausdruck, Verstehen ist das Basismodell von Diltheys Hermeneutik. Es bewhrt sich in "elementaren Formen des Verstehens" schon in den alltglichen Interaktionen. Die Menschen "mssen sich gegenseitig verstndlich machen", auch in nichtsprachlichen Ausdrcken: "Eine Miene bezeichnet uns Freude oder Schmerz." (S. 255) Dilthey konzentriert sich dann auf die "hheren Formen des Verstehens", auf die "dauernden geistigen Schpfungen [...] oder die bestndigen Objektivierungen des Geistes in gesellschaftlichen Gebilden." Ausgezeichneter Gegenstand des hheren Verstehens, der hermeneutischen Auslegungskunst, ist fr Dilthey aber das Kunstwerk. "Wahrhaftig in sich, steht es fixiert, sichtbar, dauernd da, und damit wird ein kunstmig sicheres Verstehen desselben mglich." (S. 254)

    Auch das "hhere" Verstehen vollzieht sich wesentlich als "Hineinversetzen, Nachbilden, Nacherleben", eine Art Wiederholung und Nachvollzug des ursprnglichen Erlebnisausdrucks bzw. Schaffensvorgangs. Mglich ist das Verstehen von - individuellen, historischen und kulturellen - fremden uerungen auf der "Grundlage der allgemeinen Menschennatur"; so wird die monadische Existenz des Verstehenden, die "Determination" seiner Lebensmglichkeiten geffnet und bereichert. Fr Dilthey ist "Verstehen ein Wiederfinden des Ich im Du". (S. 235)

    Dieses stark psychologisierende, die historischen Differenzen berspielende Konzept des Verstehens hat auf verschiedene Geisteswissenschaften, darunter auch auf die germanistische Literaturwissenschaft (besonders die

  • geistesgeschichtliche Schule der zwanziger und die werkimmanente Interpretation der fnfziger Jahre) auerordentlich stark eingewirkt. Ihr ahistorischer und im Bezug auf Kunst und Literatur deutlich klassizistischer Charakter hat spter jedoch auch zu kritischer Auseinandersetzung mit den Grundstzen von Diltheys Hermeneutik herausgefordert (Hans-Georg Gadamer, Jrgen Habermas u.a.).

    DS und JV

    Wilhelm Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Frankfurt/M. 1968.

    Wichtige Schriften:

    m Die Entstehung der Hermeneutik (1900)m Das Erlebnis und die Dichtung (1906)

    Sekundrliteratur:

    1. J. Habermas: Erkenntnis und Interesse, Frankfurt/M. 1968, Kap. II, 7 u. 8.2. E. Hufnagel: Wilhelm Dilthey. Hermeneutik als Grundlegung der

    geisteswissenschaften, in: U. Nassen (Hg.): Klassiker der Hermeneutik, Paderborn 1982.

    3. M. Jung: Dilthey zur Einfhrung, Hamburg 1996.

  • Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

    * 21.11.1768, Breslau 12.02.1834, Berlin

    Protestantischer Theologe, Philosoph und Pdagoge

    Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher war als erster Theoretiker bestrebt, eine allgemeine Hermeneutik zu entwickeln, die er definierte als "die Kunst, die Rede eines anderen, vornehmlich die schriftliche, richtig zu verstehen" (S. 75). Er beschrnkt sich dabei, der protestantischen Aufklrungshermeneutik folgend, auf einen einzigen Schriftsinn, den Wort- oder Literalsinn (sensus litteralis) des Textes und verwirft damit die Lehre des mehrfachen Schriftsinns und die ihr folgende Auslegepraxis. Weiterhin gewinnt bei ihm der Autor selbst und dessen Intention an Bedeutung fr das Verstndnis des Textes. Dies fhrt ihn dahin, innerhalb der Hermeneutik zwei Aufgabengebiete zu unterscheiden, die bei einer Interpretation Bercksichtigung finden sollten: einerseits die grammatische, andererseits die psychologische Interpretation.

    Die grammatische Interpretation deutet jede sprachliche uerung im Rahmen des vorgegebenen Sprachsystems. Insofern ist fr sie jede sprachliche uerung etwas berindividuelles; zugleich aber wird durch den jeweils individuellen Sprachgebrauch (etwa durch neuartige Wortverbindungen, sprachliche Bilder usw.) auch das gegebene sprachliche System innovativ verndert. Diese Weiterentwicklung sieht Schleiermacher in der Poesie besonders stark ausgeprgt: sie ist "eine Erweiterung und neue Schpfung der Sprache".

    Die psychologische Interpretation soll erschlieen, was der Autor aussagen mchte, denn sie fat seinen Text als "Lebensmoment des Redenden" auf. Der Interpret mu dabei die Genese des Textes nachkonstruieren. Er mu die Bedingungen kennen, unter denen der Autor schrieb und die Grnde, die sein Schreiben veranlaten, er mu sich in den Autor 'hineinversetzen' knnen. Auch wird er den einzelnen Text besser verstehen knnen, wenn er das gesamte Werk eines Autors kennt, etwa so, wie sich einem der Sinn eines Wortes erst durch den Satzzusammenhang, in den es jeweils gehrt, wirklich erschliet.

    Schleiermacher fordert schlielich, der Interpret msse "die Rede zuerst ebensogut und dann besser verstehen als ihr Urheber" (S. 94); er ist davon berzeugt, da die angemessene Interpretation eines Textes nur durch einen Interpreten geleistet werden knne, den eine gewisse Seelenverwandtschaft mit dem Autor und die Fhigkeit zur Divination (Ahnung) auszeichne.

    Schleiermachers Bedeutung fr die neuere Hermeneutik liegt nicht allein in der berwindung der Spezialhermeneutiken und der Konzeption einer allgemeinen

  • Verstehenstheorie, sondern darin, da er sie in einer allgemeinen Theorie der Sprache als System und als individuelle Hervorbringung fundiert. Mit dieser Wendung zu den sprachlichen Bedingungen von Textproduktion und Textverstehen, die auch ein neues Verstndnis der spezifischen Leistung des poetischen Sprechens einschliet, kann Schleiermacher sogar als Vorlufer heutiger Sprach- und Literaturtheorien angesehen werden.

    Friedrich Schleiermacher hat eine ausgereifte Darstellung seiner hermeneutischen Theorie niemals drucken lassen. 1838 verffentlichte jedoch sein Schler Friedrich Lcke, dessen handschriftlichen Nachla und Vorlesungsmitschriften unter dem Titel Hermeneutik und Kritik mit besonderer Beziehung auf das Neue Testament.

    DS und JV

    Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Hermeneutik und Kritik. Mit einem Anhang sprachphilosophischer Texte Schleiermachers hg. v. Manfred Frank, Frankfurt/M. 1977.

    Wichtige Schriften:

    m Hermeneutik und Kritik mit besonderer Beziehung auf das Neue Testament. Aus Schleiermachers handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen hg. v. Friedrich Lcke (1838). (Nachdruck 1977)

    Sekundrliteratur:

    1. H. Birus: Zwischen den Zeiten. Friedrich Schleiermacher als Klassiker der neuzeitlichen Hermeneutik, in: H.B. (Hg.): Hermeneutische Positionen: Schleiermacher - Dilthey- Heidegger - Gadamer, Gttingen 1982.

    2. M. Frank: Das individuelle Allgemeine. Textstrukturierung und -interpretation nach Schleiermacher, Frankfurt/M. 1977.

    3. P. Szondi: Einfhrung in die literarische Hermeneutik. Frankfurt/M. 1975, Kap.8.

  • Werkimmanente Interpretation

    Unter dieser (oft als 'Werkimmanenz' abgekrzten) Bezeichnung wird bis heute eine methodische (und weltanschauliche) Richtung der Literaturwissenschaft verstanden, die in den fnfziger und frhen sechziger Jahren die Germanistik der deutschsprachigen Lnder (mit Ausnahme der DDR) beherrschte. Dies ist allerdings ein nachtrglich geprgter und bereits kritisch akzentuierte Begriff; die Immanenz (nach lat. in und manere, bleiben, also etwa: im Innern bleibend) verweist selbst auf das Ausgeschlossene: in diesem Fall besonders auf die Geschichtlichkeit der Literatur. Die Reprsentanten jener Richtung sprachen denn auch lieber von Dichtungswissenschaft (Wolfgang Kayser) oder Stilkritik (Emil Staiger).

    Im kritischen Rckblick (der damaligen Studentengeneration) erscheint die Werkimmanente Interpretation oft als homogener (und daher leichter zu kritisieren) als es der Realitt entsprach. Gemeinsam war ihren Vertretern sicher eine aus zeithistorischen Erfahrungen gespeiste Abwendung von Politik, Geschichte und Gesellschaft - und die komplementre Hinwendung zum "sprachlichen Kunstwerk als solchem" (Kayser). Sie findet sehr oft in einer Demutshaltung statt, die (sthetische oder ideologische) Kritik von vornherein unmglich macht. Insofern darf man von einer Art Dichtungs-Religion sprechen, die die verlorene weltanschauliche Orientierung kompensieren sollte. Nur so ist es berhaupt erklrbar, da unter dem Dach der Werkimmanenz viele ehemalige Nationalsozialisten wie Wolfgang Kayser, Erich Trunz, Benno von Wiese mit Kollegen aus 'sicheren Drittlndern' (wie dem Schweizer Emil Staiger) und einzelnen Rckkehrern aus dem Exil (wie Richard Alewyn) zusammenfinden konnten.

    Dem genaueren Blick zeigen sich aber deutlich individuelle und methodische Varianten. Emil Staiger ist als Vertreter einer "konservativ-humanistischen Richtung" bezeichnet worden (Jost Hermand), die ganz aus der Betroffenheit durch die Gehalte der dichterischen Werke lebt und Berhrungspunkte zur zeitgenssischen Existenzphilosophie aufweist. Fr Wolfgang Kaysers bis heute verlegtes Lehrbuch Das sprachliche Kunstwerk (20. Aufl. 1992), das whrend seiner Zeit als NS-Gastdozent in Lissabon entstand, ist ein eher "sachlich-zergliederndes" (Hermand) bzw. poetologisch-handwerkliches Interesse an der Literatur kennzeichnend. Damit werden brigens auch ltere, speziell gattungsgeschichtliche Anregungen (etwa des Emigranten Karl Vitor) aufgenommen. Ein ehemals bekennender Nationalsozialist wie Erich Trunz feiert ebenfalls die "innere Form" des Kunstwerks, zieht sich dann aber zunehmend auf ideologiefreie Editionsprojekte zurck (Hamburger Goethe-Ausgabe). Der fachpolitisch einflureichste Ordinarius der fnfziger Jahre, Benno von Wiese, hat mit seinen gattungsgeschichtlichen Arbeiten und Interpretations-Sammelbnden wesentlich zur Popularisierung der Werkimmanenten

  • Interpretation (auch im pdagogischen Bereich) beigetragen, ohne die historische Dimension ganz auszuklammern.

    Nach 1955, verstrkt nach 1960 erscheinen dann verschiedene Arbeiten, die Abstand zur Dichtungs-Ideologie nehmen und sachlich-analytisch die Strukturgesetze von Texten und Gattungen aufdecken. Die jdische Emigrantin Kte Hamburger (Die Logik der Dichtung, 1957), aber auch Eberhard Lmmert, Vertreter der ersten Nachkriegs-Generation (Bauformen des Erzhlens, 1955), sowie der sterreicher Franz K. Stanzel (Typische Formen des Romans, 1964) verschaffen der deutschsprachigen Literaturwissenschaft - zunchst im Bereich der Erzhlforschung (vgl. Epik) - wieder Anschlu an das internationale Niveau. Was eine textimmanente Analyse im strengen Sinne - in der Verbindung literaturwissenschaftlicher und linguistischer Aspekte - leisten kann, zeigen die Texterklrungen des nach USA emigrierten Romanisten Leo Spitzer, die in Deutschland freilich erst versptet rezipiert werden konnten.

    Im Rckblick erscheint die sogenannte Werkimmanenz, wie Klaus Berghahn gezeigt hat, in einer kaum aufhebbaren Ambivalenz: auf der einen Seite bleibt sie in einer sptbrgerlich-irrationalen Kunst-Ideologie befangen, auf der anderen Seite entwickelt sie zumindest Anstze zu einer sachlich-detaillierten Analyse von einzelnen Texten und gattungsspezifischen Strukturen bzw. "Bauformen" (Lmmert). Damit bereitet sie lngerfristig die Rezeption moderner Literaturtheorien, etwa der strukturalistischen Erzhlforschung, vor.

    JV

    Wichtige Schriften:

    m Wolfgang Kayser: Das sprachliche Kunstwerk (1948)m Emil Staiger: Die Kunst der Interpretation (1955)m Leo Spitzer: Texterklrungen. Aufstze zur europischen Literatur (1969)

    Sekundrliteratur:

    1. W. Barner/C. Knig (Hg.): Zeitenwechsel. Germanistische Literaturwissenschaft vor und nach 1945, Frankfurt/M. 1996 (darin die Beitrge von R. Baasner, B. Bschenstein, L.Dannenberg).

    2. K. Berghahn: Wortkunst ohne Geschichte. Zur werkimmanenten Methode der Germanistik nach 1945, in: Monatshefte 71 (1979), S.387-398.

    3. J. Hermand: Geschichte der Germanistik, Reinbek 1994, S.114-140.

  • Hans-Georg Gadamer

    * 11.2.1900, Marburg 13.3.2002, Heidelberg

    Philosoph

    1960 verffentlichte der Heidegger-Schler Hans-Georg Gadamer sein Hauptwerk Wahrheit und Methode, den groangelegten Versuch einer "philosophischen Hermeneutik". Darin geht es ihm um "Wahrheit" statt "Methode" (verstanden als Verfahrensweise, die sachliche oder symbolische Zusammenhnge nach intersubjektiv kontrollierten Regeln, also nach dem Vorbild der mathematisch-naturwissenschaftlichen "Methode" zu analysieren sucht). Dieses Werk lste in der Folgezeit auch eine verstrkte hermeneutische Reflexion in der deutschen Literaturwissenschaft aus.

    Hermeneutik ist fr Gadamer mehr Geschehen als Verstehen. Sie ist die besondere Art und Weise, in der ein kulturell gewachsener berlieferungs-, Traditions- und Normzusammenhang aufrechterhalten bzw. weiterentwickelt wird. Dabei akzentuiert Gadamer die Sprachlichkeit des hermeneutischen Geschehens, d.h.er betont die Vorgegebenheit eines Sprachsystems und die Teilhabe der Individuen daran. Durch das Lesen, Auslegen und Weitervermitteln von berlieferten Texten, vor allem auch durch ihre Neuinterpretation, schlieen wir unsere Gegenwart immer aufs Neue an die soziokulturelle Tradition an.

    Gadamer hebt die Bedeutung hervor, die der historische Ort des Verstehenden fr dessen Verstehen besitzt. Diese Bedeutung erlutert er am Begriff des "Vorurteils". Er wird bei ihm nicht, wie in der Tradition der Aufklrung und auch noch bei Schleiermacher, negativ verstanden als Quelle des Miverstehens. Das "Vor-Urteil" ist bei Gadamer die durch Lebensgeschichte und Bildungsgeschichte vorstrukturierte Verstehensfhigkeit des jeweiligen Subjekts, die es nun versuchsweise auf das neu zu Verstehende "entwerfen" kann und meist korrigieren wird. In diesem Sinn ist das Vorurteil fr ihn nicht Strung, sondern geradezu produktive Bedingung des geschichtlichen Verstehens.

    Produktiv und eine Bedingung fast allen hermeneutischen Geschehens ist fr Gadamer daher auch der Zeitabstand (die hermeneutische Differenz) zwischen (gegenwrtigem) Leser und (berliefertem) Text, den ja noch Dilthey im Akt der Einfhlung berspringen wollte. Konkretisiert wird diese geschichtliche Grundstruktur des Verstehens von Gadamer in der Metapher des "Horizonts". Damit meint er den "Gesichtskreis, der all das umfat und umschliet, was von einem Punkte aus sichtbar ist" (S. 286). Der jeweils gegenwrtige Horizont ist in der historischen und kulturellen Traditon von frheren Horizonten jedoch nicht

  • grundstzlich verschieden, denn er bildet sich gar nicht ohne die Vergangenheit. Tatschlich ist er in steter Bildung begriffen, da wir alle unsere Vorurteile stndig erproben. Die hermeneutische Ttigkeit ist eine mehr oder weniger bewute Konfrontation mit der Tradition, die im Vollzug des Verstehens eine "Verschmelzung" des gegenwrtigen mit dem vergangenen Horizont vollbringt.

    Wenn nun nicht allein die einzelne hermeneutische Situation (also z.B. die Lektre oder Auslegung eines berlieferten Textes) betrachtet wird, sondern auch die Tatsache, da sie in aller Regel auf eine ganze Reihe von entsprechenden Situationen folgt und ihrerseits wiederum neue, nachfolgende hervorrufen kann, so erffnet sich eine Di