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Kant-W Bd. 10 9 Einleitung in die Kritik der Urteilskraft [1. Fassung] Immanuel Kant Einleitung in die Kritik der Urteilskraft [Erste Fassung] Digitale Bibliothek Sonderband: Kant: Werke

Einleitung in Die Kritik Der Urteilskraft [Erste Fassung]

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Kant-W Bd. 10 9Einleitung in die Kritik der Urteilskraft [1. Fassung]

ImmanuelKant

Einleitungin dieKritik derUrteilskraft

[ErsteFassung]

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Kant-W Bd. 10 9I. Von der Philosophie als einem System

I. Von derPhilosophiealseinemSystem

Wenn Philosophie das Systemder Vernunfter-kenntnisdurchBegriffe ist, sowird sieschondadurchvon einerKritik der reinenVernunft hinreichendun-terschieden,alswelchezwareinephilosophischeUn-tersuchungder Möglichkeit einer dergleichenEr-kenntnisenthält,abernicht alsTeil zu einemsolchenSystemgehört,sondernso gar die Ideedesselbenal-lererstentwirft undprüfet.

Die EinteilungdesSystemskannzuerstnur die inihren formalenund materialenTeil sein, davon dererste(dieLogik) bloßdieFormdesDenkensin einemSystemvon Regelnbefaßt,derzweite(realeTeil) dieGegenständedarübergedachtwird, so fern ein Ver-nunfterkenntnisderselbenausBegriffen möglich ist,systematischin Betrachtungzieht.

Diesesreale Systemder Philosophieselbst kannnun nicht andersalsnachdemursprünglichenUnter-schiedeihrer Objekteundderdaraufberuhendenwe-sentlichenVerschiedenheitder PrinzipieneinerWis-senschaft,die sie enthält,in theoretischeund prakti-schePhilosophieeingeteiltwerden;so, daßder eineTeil die PhilosophiederNatur,deranderedie derSit-tenseinmuß,von denendie erstereauchempirische,die zweiteaber(da Freiheitschlechterdingskein Ge-

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genstandderErfahrungseinkann)niemalsanderealsreinePrinzipienapriori enthaltenkann.

Esherrschtaberein großerundselbstderBehand-lungsartder Wissenschaftsehr nachteiligerMißver-standin Ansehungdessen,wasmanfür praktisch, ineinersolchenBedeutungzuhaltenhabe,daßesdarumzu einerpraktischenPhilosophiegezogenzu werdenverdiente. Man hat Staatsklugheitund Staatswirt-schaft,Haushaltungsregeln,imgleichendie desUm-gangs,VorschriftenzumWohlbefindenund Diätetik,so wohl der Seeleals desKörpers,(warumnicht garalle Gewerbeund Künste?)zur praktischenPhiloso-phie zählenzu könnengeglaubt;weil siedochinsge-samteinenInbegriff praktischerSätzeenthalten.Al-lein praktischeSätzesind zwar der Vorstellungsart,darumabernicht demInhaltenachvon dentheoreti-schen,welchedieMöglichkeit derDingeundihreBe-stimmungenenthalten,unterschieden,sondernnur dieallein, welchedie Freiheit unterGesetzenbetrachten.Die übrigen insgesamtsind nichts weiter, als dieTheorie von dem, was zur Natur der Dinge gehört,nur auf die Art, wie sie von unsnacheinemPrinziperzeugtwerdenkönnen,angewandt,d.i. die Möglich-keit derselbendurcheinewillkürliche Handlung(dieebenso wohl zu den Naturursachengehört) vorge-stellt. So ist die AuflösungdesProblemsder Mecha-nik: zu einergegebenenKraft, die mit einergegebe-

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nenLast im Gleichgewichteseinsoll, dasVerhältnisderrespektivenHebelarmezu finden,zwaralsprakti-scheFormelausgedrückt,die abernichtsandersent-hält als den theoretischenSatz: daß die Länge derletzterensich umgekehrtwie die ersternverhalten,wennsie im Gleichgewichtesind; nur ist diesesVer-hältnis,seinerEntstehungnach,durch eineUrsache,derenBestimmungsgrunddie VorstellungjenesVer-hältnissesist, (unsereWillkür) als möglich vorge-stellt. Ebenso ist esmit allen praktischenSätzenbe-wandt,welchebloß die Erzeugungder Gegenständebetreffen.WennVorschriften,seineGlückseligkeitzubefördern,gegebenwerdenund,z.B.,nurvondemdieRedeist, was man an seinereigenenPersonzu tunhabe,um der Glückseligkeitempfänglichzu sein,sowerdennur die innereBedingungender Möglichkeitderselben,an der Genügsamkeit,an demMittelmaßeder Neigungen,um nicht Leidenschaftzu werden,u.s.w. als zur Natur des Subjektsgehörig und zu-gleich die ErzeugungsartdiesesGleichgewichts,alseine durch uns selbst mögliche Kausalität, folglichallesals unmittelbareFolgerungausder TheoriedesObjektsin Beziehungauf die TheorieunserereigenenNatur (uns selbstals Ursache)vorgestellt:mithin isthier die praktischeVorschrift zwar der Formel,abernichtdemInhaltenachvoneinemtheoretischenunter-schieden,bedarfalsonichtzueinerbesondernArt von

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Philosophie,um dieseVerknüpfungvon Gründenmitihren Folgen einzusehen.– Mit einem Worte: allepraktischenSätze,die dasjenige,was die Natur ent-haltenkann,von derWillkür alsUrsacheableiten,ge-hören insgesamtzur theoretischenPhilosophie,alsErkenntnisderNatur,nurdiejenigen,welchederFrei-heit dasGesetzgeben,sind demInhalte nachspezi-fisch von jenenunterschieden.Man kannvon dener-stern sagen:sie machenden praktischenTeil einerPhilosophieder Natur aus,die letzternabergründenalleineinebesonderepraktischePhilosophie.

Anmerkung

Esliegt viel daran,die PhilosophienachihrenTei-lengenauzubestimmenundzudemEndenichtdasje-nige, wasnur FolgerungoderAnwendungderselbenauf gegebeneFälle ist, ohnebesonderePrinzipienzubedürfen,unterdie Gliederder Einteilungderselben,alseinesSystems,zusetzen.

PraktischeSätzewerdenvon dentheoretischenent-wederin AnsehungderPrinzipienoderderFolgerun-genunterschieden.Im letzternFallemachensienichteinenbesondernTeil der Wissenschaftaus,sonderngehörenzum theoretischen,als eine besondereArtvon Folgerungenausderselben.Nun ist die Möglich-

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Kant-W Bd. 10 11I. Von der Philosophie als einem System

keit der Dinge nachNaturgesetzenvon der nachGe-setzender Freiheit ihren Prinzipiennachwesentlichunterschieden.DieserUnterschiedbestehtabernichtdarin,daßbei der letzterndie Ursachin einemWillengesetztwird, bei derersternaberaußerdemselben,indenDingenselbst.Denn,wenndochder Wille keineandernPrinzipien befolgt, als die, von welchenderVerstandeinsieht,daßderGegenstandnachihnen,alsbloßenNaturgesetzen,möglichsei,somagimmerderSatz, der die Möglichkeit des GegenstandesdurchKausalität der Willkür enthält, ein praktischerSatzheißen,er ist doch,demPrinzipnach,von dentheore-tischenSätzen,die die NaturderDingebetreffen,garnicht unterschieden,vielmehr muß er dasseinevondieserentlehnen,um die VorstellungeinesObjektsinderWirklichkeit darzustellen.

PraktischeSätzealso, die dem Inhalte nach bloßdie Möglichkeit eines vorgestelltenObjekts (durchwillkürliche Handlung) betreffen,sind nur Anwen-dungeneiner vollständigentheoretischenErkenntnisundkönnenkeinenbesondernTeil einerWissenschaftausmachen.Eine praktischeGeometrie,als abgeson-derteWissenschaft,ist ein Unding: obgleichnochsoviel praktischeSätzein dieser reinen Wissenschaftenthaltensind, derendie meistenals ProblemeeinerbesonderenAnweisungzur Auflösungbedürfen.DieAufgabe:mit einergegebenenLinie undeinemgege-

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Kant-W Bd. 10 12I. Von der Philosophie als einem System

benenrechtenWinkel einQuadratzukonstruieren,istein praktischerSatz, aber reine Folgerungaus derTheorie.Auch kannsichdie Feldmeßkunst(agrimen-soria) den Nameneiner praktischenGeometriekei-neswegsanmaßenund ein besondererTeil der Geo-metrieüberhauptheißen,sonderngehörtin Scholiender letzteren,nämlich den GebrauchdieserWissen-schaftzuGeschäften.1

Selbstin einerWissenschaftder Natur, so fern sieauf empirischenPrinzipien beruht, nämlich der ei-gentlichenPhysik, könnendie praktischenVorrich-tungen,um verborgeneNaturgesetzezu entdecken,unterdemNamenderExperimentalphysik,zuderBe-nennungeinerpraktischenPhysik (die ebenso wohlein Unding ist), als einesTeils der Naturphilosophie,keineswegesberechtigen.Denn die Prinzipien,wor-nach wir Versucheanstellen,müssenimmer selbstausder Kenntnisder Natur, mithin ausder Theoriehergenommenwerden.Ebendasgilt von denprakti-schenVorschriften,welchedie willkürliche Hervor-bringungeinesgewissenGemütszustandesin unsbe-treffen (z.B. dender BewegungoderBezähmungderEinbildungskraft,die BefriedigungoderSchwächungder Neigungen).Es gibt keine praktischePsycholo-gie, als besondernTeil der Philosophie über diemenschlicheNatur.Denndie PrinzipienderMöglich-keit seinesZustandes,vermittelstder Kunst, müssen

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Kant-W Bd. 10 13I. Von der Philosophie als einem System

von denender Möglichkeit unsererBestimmungenausderBeschaffenheitunsererNaturentlehntwerdenund,obgleichjenein praktischenSätzenbestehen,somachensie dochkeinenpraktischenTeil der empiri-schenPsychologieaus,weil siekeinebesonderePrin-zipien haben,sonderngehörenbloß zu denScholienderselben.

Überhaupt gehören die praktischen Sätze (siemögenrein a priori, oder empirischsein), wenn sieunmittelbardie Möglichkeit einesObjektsdurchun-sere Willkür aussagen,jederzeit zur Kenntnis derNatur und dem theoretischenTeile der Philosophie.Nur die, welchedirekt die Bestimmungeiner Hand-lung, bloß durch die Vorstellung ihrer Form (nachGesetzenüberhaupt),ohne Rücksichtauf die Mitteldesdadurchzu bewirkendenObjekts,als notwendigdarstellen,können und müssenihre eigentümlichePrinzipien(in derIdeederFreiheit)haben,und,obsiegleichaufebendiesePrinzipiendenBegriff einesOb-jekts desWillens (dashöchsteGut) gründen,so ge-hört diesesdoch nur indirekt, als Folgerung,zu derpraktischen Vorschrift (welche nunmehr sittlichheißt). Auch kann die Möglichkeit desselbendurchdie Kenntnis der Natur (Theorie) nicht eingesehenwerden.Nur jeneSätzegehörenalsoallein zu einembesondernTeile einesSystemsder Vernunfterkennt-nisse,unterdemNamenderpraktischenPhilosophie.

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Kant-W Bd. 10 13I. Von der Philosophie als einem System

Alle übrige Sätzeder Ausübung,an welcheWis-senschaftsie sich auch immer anschließenmögen,können,wennmanetwaZweideutigkeitbesorgt,stattpraktischertechnischeSätzeheißen.Denn sie gehö-ren zur Kunst, daszu standezu bringen,wovon manwill, daß es sein soll, die, bei einer vollständigenTheorie,jederzeiteinebloßeFolgerungund kein fürsichbestehenderTeil irgendeinerArt vonAnweisungist. Auf solcheWeisegehörenalle VorschriftenderGeschicklichkeitzur Technik2 undmithin zur theore-tischenKenntnisderNaturalsFolgerungenderselben.Wir werdenunsaberkünftig desAusdrucksderTech-nik auchbedienen,wo GegenständederNaturbiswei-lenbloßnur sobeurteiltwerden,als ob ihreMöglich-keit sichauf Kunstgründe,in welchenFällendie Ur-teile wedertheoretischnochpraktisch(in der zuletztangeführtenBedeutung)sind, indem sie nichts vonderBeschaffenheitdesObjekts,nochderArt, esher-vorzubringen,bestimmen, sondernwodurchdieNaturselbst,aberbloß nachder Analogiemit einerKunst,undzwarin subjektiverBeziehungaufunserErkennt-nisvermögennicht in objektiverauf die Gegenständebeurteiltwird. Hier werdenwir nundie Urteile selbstzwar nicht technisch,aberdoch die Urteilskraft, aufderenGesetzesie sich gründen,und ihr gemäßauchdie Natur, technischnennen,welcheTechnik,da siekeine objektiv bestimmendeSätzeenthält,auchkei-

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Kant-W Bd. 10 14I. Von der Philosophie als einem System

nenTeil derdoktrinalenPhilosophie,sondernnur derKritik unsererErkenntnisvermögenausmacht.

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Kant-W Bd. 10 15II. Von dem System der obern Erkenntnisvermögen, das

II. Von demSystemderobernErkenntnisvermögen,dasderPhilosophiezum

Grundeliegt

Wenndie Redenicht von derEinteilungeinerPhi-losophie, sondern unseresErkenntnisvermögensapriori durch Begriffe (desoberen)ist, d.i. von einerKritik der reinenVernunft,abernur nachihremVer-mögenzu denkenbetrachtet(wo die reineAnschau-ungsartnicht in Erwägunggezogenwird), so fällt diesystematischeVorstellung des Denkungsvermögensdreiteilig aus,nämlich erstlich in dasVermögenderErkenntnisdes Allgemeinen(der Regeln),den Ver-stand, zweitensdas Vermögender SubsumtiondesBesondernunter das Allgemeine, die Urteilskraft,und drittensdasVermögender BestimmungdesBe-sonderndurch das Allgemeine (der Ableitung vonPrinzipien),d.i. dieVernunft.

Die Kritik der reinentheoretischenVernunft,wel-che den Quellenalles Erkenntnissesa priori (mithinauchdessen,was in ihr zur Anschauunggehört)ge-widmetwar,gabdieGesetzederNatur, dieKritik derpraktischenVernunft dasGesetzder Freiheit an dieHandund so scheinendie Prinzipiena priori für dieganzePhilosophiejetztschonvollständigabgehandeltzusein.

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Kant-W Bd. 10 15II. Von dem System der obern Erkenntnisvermögen, das

Wenn nun aberder Verstanda priori GesetzederNatur, dagegenVernunft Gesetzeder Freiheitan dieHandgibt, soist dochnachderAnalogiezuerwarten:daßdie Urteilskraft, welchebeider VermögenihrenZusammenhangvermittelt, auch eben so wohl wiejene ihre eigentümlichePrinzipiena priori dazuher-gebenund vielleicht zu einembesonderenTeile derPhilosophiedenGrund legenwerde,und gleichwohlkanndiesealsSystemnur zweiteiligsein.

Allein Urteilskraft ist ein so besonderes,gar nichtselbständigesErkenntnisvermögen,daßesweder,wiederVerstand,Begriffe,noch,wie dieVernunft,Ideen,von irgendeinemGegenstandegibt, weil esein Ver-mögenist, bloß unteranderweitiggegebeneBegriffezu subsumieren.Sollte also ein Begriff oder Regel,die ursprünglich aus der Urteilskraft entsprängen,statt finden, so müßteesein Begriff von DingenderNatur sein,so fern diesesich nachunsererUrteils-kraft richtet, und alsovon einersolchenBeschaffen-heit derNatur,von welchermansichsonstgarkeinenBegriff machenkann, als nur daßsich ihre Einrich-tung nachunseremVermögenrichte, die besonderngegebenenGesetzeunterallgemeinere,die dochnichtgegebensind, zu subsumieren;mit anderenWorten,es müßteder Begriff von einer ZweckmäßigkeitderNatur zumBehuf unseresVermögenssein,sie zu er-kennen,so fern dazuerfodertwird, daßwir dasBe-

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Kant-W Bd. 10 16II. Von dem System der obern Erkenntnisvermögen, das

sonderealsunterdemAllgemeinenenthaltenbeurtei-len undesunterdenBegriff einerNatursubsumierenkönnen.

Ein solcherBegriff ist nun der einerErfahrungalsSystemsnach empirischenGesetzen. Denn obzwardiese nach transzendentalenGesetzen,welche dieBedingungder Möglichkeit der Erfahrungüberhauptenthalten,einSystemausmacht:soist dochvonempi-rischenGesetzeneinesounendlicheMannigfaltigkeitund eine so große Heterogeneitätder Formen derNatur,die zur besondernErfahrunggehörenwürden,möglich,daßderBegriff von einemSystemnachdie-sen (empirischen) Gesetzendem Verstande ganzfremdseinmuß,undwederdieMöglichkeit,nochwe-niger aberdie NotwendigkeiteinessolchenGanzenbegriffen werdenkann. Gleichwohl aber bedarf diebesondere,durchgehendsnachbeständigenPrinzipienzusammenhängendeErfahrungauchdiesensystemati-schenZusammenhangempirischerGesetze,damit esfür die Urteilskraft möglich werde, das BesondereunterdasAllgemeine,wie wohl immer nochempiri-scheund so fort an,bis zu denoberstenempirischenGesetzenund denenihnengemäßenNaturformenzusubsumieren,mithin dasAggregatbesondererErfah-rungenalsSystemderselbenzu betrachten;dennohnedieseVoraussetzungkann kein durchgängiggesetz-mäßiger Zusammenhang3, d.i. empirische Einheit

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Kant-W Bd. 10 16II. Von dem System der obern Erkenntnisvermögen, das

derselbenstattfinden.Diesean sich (nachallen Verstandesbegriffen)zu-

fällige Gesetzmäßigkeit,welchedie Urteilskraft (nurihr selbstzu Gunsten)von der Natur präsumiertundan ihr voraussetzt,ist eine formale Zweckmäßigkeitder Natur, die wir an ihr schlechterdingsannehmen,wodurchaberwederein theoretischesErkenntnisderNatur, noch ein praktischesPrinzip der Freiheit ge-gründet,gleichwohlaberdochfür dieBeurteilungundNachforschungder Natur ein Prinzip gegebenwird,umzu besondernErfahrungendie allgemeinenGeset-ze zu suchen, nach welchem wir sie anzustellenhaben,um jenesystematischeVerknüpfungherauszubringen,die zu einerzusammenhängendenErfahrungnotwendigist, unddie wir a priori anzunehmenUrsa-chehaben.

DerursprünglichausderUrteilskraftentspringendeund ihr eigentümlicheBegriff ist also der von derNatur als Kunst, mit andernWortender TechnikderNatur in Ansehungihrer besonderenGesetze,wel-cher Begriff keine Theorie begründetund, ebensowenig wie die Logik, Erkenntnisder Objekte undihrer Beschaffenheitenthält, sondernnur zum Fort-gangenachErfahrungsgesetzen,dadurchdieNachfor-schung der Natur möglich wird, ein Prinzip gibt.Hierdurchaberwird die Kenntnisder Natur mit kei-nem besondernobjektiven Gesetzebereichert,son-

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Kant-W Bd. 10 17II. Von dem System der obern Erkenntnisvermögen, das

dernnur für die Urteilskraft eineMaximegegründet,siedarnachzu beobachtenund die FormenderNaturdamitzusammenzuhalten.

Die Philosophie,als doktrinales Systemder Er-kenntnisderNatursowohlalsFreiheit,bekommthie-durch nun keinen neuenTeil; denn die Vorstellungder Natur als Kunst ist eine bloßeIdee, die unsererNachforschungderselben,mithin bloß demSubjektezum Prinzip dient, um in das AggregatempirischerGesetze,als solcher,wo möglich einen Zusammen-hang,als in einemSystem,zu bringen,indemwir derNatureineBeziehungauf diesesunserBedürfnisbei-legen.Dagegenwird unserBegriff von einerTechnikderNatur,alsein heuristischesPrinzip in Beurteilungderselben,zur Kritik unseresErkenntnisvermögensgehören,die anzeigt,welcheVeranlassungwir haben,unsvon ihr einesolcheVorstellungzu machen,wel-chen UrsprungdieseIdee habeund ob sie in einerQuelle a priori anzutreffen,imgleichenwelchesderUmfangundGrenzedesGebrauchsderselbensei:miteinemWort eine solcheUntersuchungwird als TeilzumSystemderKritik derreinenVernunft,nichtaberderdoktrinalenPhilosophiegehören.

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Kant-W Bd. 10 18III. Von dem System aller Vermögen des menschlichen

III. Von demSystemallerVermögendesmenschlichenGemüts

Wir könnenalle VermögendesmenschlichenGe-mütsohneAusnahmeauf die drei zurückführen:dasErkenntnisvermögen, das Gefühl der Lust und Un-lust und dasBegehrungsvermögen. Zwar habenPhi-losophen,die wegen der Gründlichkeit ihrer Den-kungsartübrigensallen Lob verdienen,diese Ver-schiedenheitnur für scheinbarzu erklärenund alleVermögenaufsbloßeErkenntnisvermögenzubringengesucht.Allein esläßtsichsehrleicht dartunundseiteiniger Zeit hat man es auchschoneingesehen,daßdieser,sonstim echtenphilosophischenGeisteunter-nommeneVersuch,Einheit in dieseMannigfaltigkeitder Vermögenhineinzubringen,vergeblichsei.Dennesist immereingroßerUnterschiedzwischenVorstel-lungen,so fern sie,bloß aufsObjekt und die EinheitdesBewußtseinsderselbenbezogen,zum Erkenntnisgehören,imgleichenzwischenderjenigenobjektivenBeziehung,da sie,zugleichals Ursachder Wirklich-keit diesesObjekts betrachtet,zum Begehrungsver-mögengezähltwerden,undihrerBeziehungbloßaufsSubjekt,dasie für sichselbstGründesind, ihre eige-neExistenzin demselbenbloßzuerhaltenundsofernim VerhältnissezumGefühl der Lust betrachtetwer-

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Kant-W Bd. 10 19III. Von dem System aller Vermögen des menschlichen

den;welchesletztereschlechterdingskein Erkenntnisist, nochverschafft,ob eszwar dergleichenzumBe-stimmungsgrundevoraussetzenmag.

Die Verknüpfungzwischendem ErkenntniseinesGegenstandesunddemGefühlderLustundUnlustanderExistenzdesselben,oderdie BestimmungdesBe-gehrungsvermögens,ihn hervorzubringen,ist zwarempirischkennbargnug; aber,da dieserZusammen-hangauf keinemPrinzipapriori gegründetist, soma-chenso fern die Gemütskräftenur ein Aggregatundkein Systemaus.Nun gelingt eszwar,zwischendemGefühleder Lust und den andernbeidenVermögeneineVerknüpfunga priori herauszubringen,wennwirein Erkenntnisa priori, nämlichdenVernunftbegriffder Freiheit mit dem Begehrungsvermögenals Be-stimmungsgrunddesselbenverknüpfen,in dieserob-jektiven Bestimmungzugleich subjektiv ein in derWillensbestimmungenthaltenesGefühl der Lust an-zutreffen.Aber auf die Art ist dasErkenntnisvermö-gen nicht vermittelstder Lust oder Unlust mit demBegehrungsvermögenverbunden,denn sie geht vordiesemnicht vorher,sondernfolgt entwederallererstauf die Bestimmungdesletzteren,oder ist vielleichtnichtsanders,alsdieEmpfindungdieserBestimmbar-keit desWillens durchVernunft selbst,alsogar keinbesonderesGefühl und eigentümlicheEmpfänglich-keit, dieunterdenGemütseigenschafteneinebesonde-

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Kant-W Bd. 10 20III. Von dem System aller Vermögen des menschlichen

re Abteilung erforderte.Da nun in der Zergliederungder Gemütsvermögenüberhauptein Gefühl der Lust,welches,von derBestimmungdesBegehrungsvermö-gensunabhängig,vielmehreinenBestimmungsgrunddesselbenabgebenkann,unwidersprechlichgegebenist, zu der Verknüpfungdesselbenabermit denbei-denandernVermögenin einemSystemerfodertwird,daßdiesesGefühl der Lust, so wie die beideandereVermögen,nicht auf bloßempirischenGründen,son-dernauchauf Prinzipiena priori beruhe,so wird zurIdeeder Philosophie,als einesSystems,auch(wenngleich nicht eine Doktrin, dennoch)eine Kritik desGefühlsder Lust und Unlust, so fern sie nicht empi-rischbegründetist, erfodertwerden.

Nun hat das Erkenntnisvermögennach BegriffenseinePrinzipiena priori im reinenVerstande(seinemBegriffe von derNatur),dasBegehrungsvermögeninder reinenVernunft (ihremBegriffe von derFreiheit)und da bleibt noch unter den Gemütseigenschaftenüberhauptein mittleresVermögenoderEmpfänglich-keit, nämlichdasGefühlder LustundUnlust, sowieunterdenobernErkenntnisvermögeneinmittleres,dieUrteilskraft,übrig. Wasist natürlicher,alszu vermu-ten:daßdie letzterezudemersternebensowohl Prin-zipienapriori enthaltenwerde.

Ohnenochetwasüberdie Möglichkeit dieserVer-knüpfung auszumachen,so ist doch hier schoneine

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Kant-W Bd. 10 20III. Von dem System aller Vermögen des menschlichen

gewisseAngemessenheitderUrteilskraftzumGefühlderLust, um diesenzumBestimmungsgrundezu die-nen oder ihn darin zu finden, so fern unverkennbar:daß,wenn, in der Einteilung des Erkenntnisvermö-gens durch Begriffe, Verstand und Vernunft ihreVorstellungen auf Objekte beziehen,um Begriffedavon zu bekommen,die Urteilskraft sich lediglichaufsSubjektbeziehtundfür sichalleinkeineBegriffevon Gegenständenhervorbringt.Eben so, wenn, inder allgemeinenEinteilung der Gemütskräfteüber-haupt, Erkenntnisvermögensowohl als Begehrungs-vermögeneineobjektiveBeziehungderVorstellungenenthalten,soist dagegendasGefühlderLust undUn-lust nur die Empfänglichkeiteiner BestimmungdesSubjekts,so,daß,wennUrteilskraftüberalletwasfürsich allein bestimmensoll, eswohl nichtsandersalsdasGefühlderLustseinkönnteundumgekehrt,wenndiesesüberallein Prinzipa priori habensoll, esalleinin derUrteilskraftanzutreffenseinwerde.

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Kant-W Bd. 10 21IV. Von der Erfahrung als einem System für die

IV. Von derErfahrungalseinemSystemfür dieUrteilskraft

Wir habenin der Kritik der reinenVernunft gese-hen,daßdiegesamteNatur,alsderInbegriff allerGe-genständeder Erfahrung,ein Systemnachtranszen-dentalenGesetzen,nämlichsolchen,die derVerstandselbsta priori gibt (für Erscheinungennämlich, sofern sie, in einemBewußtseinverbunden,Erfahrungausmachensollen),ausmache.EbendarummußauchdieErfahrung,nachallgemeinensowohl alsbesonde-ren Gesetzen,sowie sieüberhaupt,objektiv betrach-tet, möglich ist, (in der Idee) ein SystemmöglicherempirischenErkenntnisseausmachen.Denn dasfor-dert die Natureinheit,nacheinemPrinzip der durch-gängigenVerbindungallesdessen,wasin diesemIn-begriffealler Erscheinungenenthaltenist. Soweit istnun ErfahrungüberhauptnachtranszendentalenGe-setzendesVerstandesalsSystemundnicht alsbloßesAggregatanzusehen.

Darausfolgt abernicht, daßdie Natur, auchnachempirischenGesetzen,ein für das menschlicheEr-kenntnisvermögenfaßliches System sei, und derdurchgängigesystematischeZusammenhangihrer Er-scheinungenin einer Erfahrung,mithin dieseselberals System, den Menschenmöglich sei. Denn es

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Kant-W Bd. 10 21IV. Von der Erfahrung als einem System für die

könntedieMannigfaltigkeitundUngleichartigkeitderempirischenGesetzeso groß sein, daß es uns zwarteilweisemöglich wäre,Wahrnehmungennachgele-gentlichentdecktenbesondernGesetzenzu einerEr-fahrung zu verknüpfen,niemalsaber, dieseempiri-scheGesetzeselbstzur Einheit der Verwandtschaftunter einem gemeinschaftlichenPrinzip zu bringen,wennnämlich,wie esdochan sich möglich ist (we-nigstensso viel der Verstand a priori ausmachenkann),dieMannigfaltigkeitundUngleichartigkeitdie-serGesetze,imgleichender ihnengemäßenNaturfor-men,unendlichgroß,unsan diesenein roheschaoti-schesAggregatundnicht die mindesteSpureinesSy-stemsdarlegte,ob wir gleich ein solchesnachtrans-zendentalenGesetzenvoraussetztenmüssen.

Denn Einheit der Natur in Zeit und RaumeundEinheitderunsmöglichenErfahrungist einerlei,weiljene ein Inbegriff bloßer Erscheinungen(Vorstel-lungsarten)ist, welcherseineobjektiveRealitätledig-lich in der Erfahrunghabenkann, die, als System,selbstnachempirischenGesetzen,möglichseinmuß,wennmansichjene(wie esdenngeschehenmuß)wieeinSystemdenkt.Also ist eseinesubjektiv-notwendi-ge transzendentaleVoraussetzung, daßjenebesorgli-chegrenzenloseUngleichartigkeitempirischerGeset-ze und Heterogeneitätder Naturformen der Naturnicht zukomme,vielmehrsiesich,durchdie Affinität

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Kant-W Bd. 10 22IV. Von der Erfahrung als einem System für die

der besonderenGesetzeunter allgemeinere,zu einerErfahrung,als einemempirischenSystem,qualifizie-re.

Diese Voraussetzungist nun das transzendentalePrinzipderUrteilskraft.Denndieseist nicht bloßeinVermögen,das Besondereunter dem Allgemeinen(dessenBegriff gegebenist) zu subsumieren,sondernauchumgekehrt,zu demBesonderendasAllgemeinezu finden. Der Verstandaber abstrahiertin seinertranszendentalenGesetzgebungder Natur von allerMannigfaltigkeit möglicher empirischerGesetze;erzieht in jener nur die Bedingungender Möglichkeiteiner Erfahrung überhauptihrer Form nach in Be-trachtung.In ihm ist also jenesPrinzip der AffinitätderbesonderenNaturgesetzenicht anzutreffen.Alleindie Urteilskraft, welcher es obliegt, die besonderenGesetze,auchnachdem,wassieunterdenselbenall-gemeinenNaturgesetzenVerschiedeneshaben,den-noch unter höhere,obgleich immer noch empirischeGesetzezu bringen, muß ein solchesPrinzip ihremVerfahrenzumGrundelegen.DenndurchHerumtap-penunterNaturformen,derenÜbereinstimmunguntereinander,zu gemeinschaftlichenempirischenaberhö-herenGesetzen,die Urteilskraft gleichwohl als ganzzufällig ansähe,würdeesnochzufälliger sein,wennsich besondereWahrnehmungeneinmal glücklicherWeise zu einemempirischenGesetzequalifizierten;

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Kant-W Bd. 10 23IV. Von der Erfahrung als einem System für die

viel mehraber,daßmannigfaltigeempirischeGesetzesich zur systematischenEinheit der Naturerkenntnisin einer möglichenErfahrung in ihrem ganzenZu-sammenhangeschickten,ohne durch ein Prinzip apriori einesolcheFormin derNaturvorauszusetzen.

Alle jenein SchwanggebrachteFormeln:dieNaturnimmt denkürzestenWeg – sie tut nichtsumsonst –sie begeht keinen Sprung in der Mannigfaltigkeitder Formen(continuumformarum)– sie ist reich inArten, aber dabeidochsparsamin Gattungen, u. d.g. sindnichtsandersalsebendieselbetranszendentaleÄußerungder Urteilskraft, sich für die ErfahrungalsSystemund daherzu ihrem eigenenBedarfein Prin-zip fest zu setzen.Weder Verstandnoch Vernunftkönnena priori ein solchesNaturgesetzbegründen.Denn,daßdie Natur in ihrenbloß formalenGesetzen(wodurch sie Gegenstandder Erfahrung überhauptist) nachunsermVerstanderichte,läßtsichwohl ein-sehen,aberin AnsehungderbesondernGesetze,ihrerMannigfaltigkeit und Ungleichartigkeit ist sie vonallen EinschränkungenunseresgesetzgebendenEr-kenntnisvermögensfrei undesist einebloßeVoraus-setzungderUrteilskraft,zumBehufihreseigenenGe-brauchs,von demEmpirisch-besondernjederzeitzumAllgemeinemgleichfallsEmpirischen,um der Verei-nigung empirischerGesetzewillen, hinaufzusteigen,welchejenesPrinzip gründet.Auf Rechnungder Er-

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Kant-W Bd. 10 23IV. Von der Erfahrung als einem System für die

fahrungkannmanein solchesPrinzipauchkeineswe-gesschreiben,weil nur unter Voraussetzungdessel-benesmöglichist, ErfahrungenaufsystematischeArtanzustellen.

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Kant-W Bd. 10 24V. Von der reflektierenden Urteilskraft

V. Von derreflektierendenUrteilskraft

Die Urteilskraft kannentwederals bloßesVermö-gen, über eine gegebeneVorstellung, zum BehufeinesdadurchmöglichenBegriffs,nacheinemgewis-sen Prinzip zu reflektieren, oder als ein Vermögen,einenzumGrundeliegendenBegriff durcheinegege-beneempirischeVorstellungzu bestimmen,angese-henwerden.Im erstenFalle ist siedie reflektierende,im zweiten die bestimmendeUrteilskraft. Reflektie-ren (Überlegen)aberist: gegebeneVorstellungenent-wedermit andern,odermit seinemErkenntnisvermö-gen, in Beziehungauf einendadurchmöglichenBe-griff, zu vergleichenundzusammenzu halten.Die re-flektierende Urteilskraft ist diejenige, welche manauchdasBeurteilungsvermögen(facultasdiiudicandi)nennt.

Das Reflektieren(welchesselbst bei Tieren, ob-zwar nur instinktmäßig,nämlich nicht in Beziehungauf einen dadurchzu erlangendenBegriff, sonderneineetwadadurchzu bestimmendeNeigungvorgeht)bedarf für uns ebenso wohl einesPrinzips,als dasBestimmen,in welchemder zumGrundegelegteBe-griff vom Objekte der Urteilskraft die Regel vor-schreibtundalsodieStelledesPrinzipsvertritt.

Das Prinzip der Reflexion über gegebeneGegen-

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ständeder Natur ist; daßsich zu allen NaturdingenempirischbestimmteBegriffefinden lassen,4 welchesebensoviel sagenwill, alsdaßmanallemalan ihrenProdukteneineFormvoraussetzenkann,die nachall-gemeinen,für unserkennbarenGesetzenmöglich ist.Denndürftenwir diesesnichtvoraussetzenundlegtenunsererBehandlungder empirischenVorstellungendiesesPrinzip nicht zum Grunde,so würdeallesRe-flektieren bloß aufs Geratewohlund blind, mithinohne gegründeteErwartung ihrer Zusammenstim-mungmit derNaturangestelltwerden.

In Ansehungder allgemeinenNaturbegriffe,unterdenenüberhauptein Erfahrungsbegriff(ohnebeson-dere empirischeBestimmung)allererst möglich ist,hat die Reflexion im Begriffe einerNatur überhaupt,d.i. im Verstande,schonihre Anweisungunddie Ur-teilskraftbedarfkeinesbesondernPrinzipsderRefle-xion, sondern schematisiertdieselbe a priori undwendetdieseSchemataauf jedeempirischeSynthesisan, ohne welche gar kein Erfahrungsurteilmöglichwäre.Die Urteilskraft ist hier in ihrer Reflexion zu-gleich bestimmendund der transzendentaleSchema-tism derselbendient ihr zugleichzur Regel,unterdergegebeneempirischeAnschauungensubsumiertwer-den.

Aber zu solchenBegriffen,die zugegebenenempi-rischenAnschauungenallererstsollengefundenwer-

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Kant-W Bd. 10 25V. Von der reflektierenden Urteilskraft

den,und welcheein besonderesNaturgesetzvoraus-setzen,darnachallein besondereErfahrungmöglichist, bedarf die Urteilskraft eines eigentümlichengleichfalls transzendentalenPrinzips ihrer Reflexionundmankannsienicht wiederumauf schonbekannteempirischeGesetzehinweisenund die Reflexion ineinebloßeVergleichungmit empirischenFormen,fürdie man schon Begriffe hat, verwandeln.Denn esfrägtsich,wie manhoffenkönne,durchVergleichungder Wahrnehmungen zu empirischen Begriffendesjenigen,was den verschiedenenNaturformenge-meinist, zugelangen,wenndieNatur(wie esdochzudenkenmöglich ist) in diese,wegender großenVer-schiedenheitihrer empirischenGesetze,einesogroßeUngleichartigkeitgelegthätte,daßalle,oderdochdiemeisteVergleichungvergeblichwäre,eineEinhellig-keit und Stufenordnungvon Arten und Gattungenunter ihnenherauszubringen.Alle Vergleichungem-pirischerVorstellungen,um empirischeGesetzeunddiesengemäßespezifische, durchdieserihre Verglei-chung aber mit andernauch generisch-übereinstim-mendeFormen an Naturdingenzu erkennen,setztdoch voraus:daßdie Natur auchin AnsehungihrerempirischenGesetzeeinegewisseunsererUrteilskraftangemesseneSparsamkeitund eine für uns faßlicheGleichförmigkeitbeobachtethabe,unddieseVoraus-setzungmuß,alsPrinzipderUrteilskrafta priori, vor

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Kant-W Bd. 10 26V. Von der reflektierenden Urteilskraft

allerVergleichungvorausgehen.Die reflektierendeUrteilskraftverfährtalsomit ge-

gebenenErscheinungen,um sieunterempirischeBe-griffe von bestimmtenNaturdingenzu bringen,nichtschematisch,sonderntechnisch, nicht gleichsambloßmechanisch,wie Instrument,unter der Leitung desVerstandesund der Sinne, sondernkünstlich, nachdemallgemeinen,aberzugleichunbestimmtenPrinzipeiner zweckmäßigenAnordnungder Natur in einemSystem,gleichsamzu GunstenunsererUrteilskraft,inder Angemessenheitihrer besondernGesetze(überdie der Verstandnichtssagt)zu der Möglichkeit derErfahrungalseinesSystems,ohnewelcheVorausset-zungwir nicht hoffenkönnen,unsin einemLabyrinthder Mannigfaltigkeit möglicher besondererGesetzezurechtezu finden. Also machtsich die Urteilskraftselbst a priori die Technik der Natur zum Prinzipihrer Reflexion,ohnedochdieseerklärennochnäherbestimmenzukönnen,oderdazueinenobjektivenBe-stimmungsgrundder allgemeinenNaturbegriffe(auseinemErkenntnisderDingeansichselbst)zu haben,sondernnur, um nachihremeigenensubjektivenGe-setze,nach ihrem Bedürfnis,dennochaberzugleicheinstimmigmit Naturgesetzenüberhaupt,reflektierenzukönnen.

Das Prinzip der reflektierendenUrteilskraft, da-durchdie Natur als SystemnachempirischenGeset-

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Kant-W Bd. 10 27V. Von der reflektierenden Urteilskraft

zengedachtwird, ist aberbloßein Prinzip für denlo-gischenGebrauchder Urteilskraft, zwar ein tran-szendentalesPrinzip seinemUrsprungenach, abernur,umdie Natura priori alsqualifiziert zu einemlo-gischenSystemihrer Mannigfaltigkeit unter empiri-schenGesetzenanzusehen.

Die logischeForm einesSystemsbestehtbloß inder Einteilung gegebenerallgemeinerBegriffe (der-gleichenhier der einerNatur überhauptist), dadurchdaß man sich das Besondere(hier das Empirische)mit seinerVerschiedenheit,als unter demAllgemei-nen enthalten,nach einem gewissenPrinzip denkt.Hierzugehörtnun,wennmanempirischverfährtundvom Besondernzum Allgemeinen aufsteigt, eineKlassifikationdesMannigfaltigen,d.i. eine Verglei-chungmehrererKlassen,derenjedeunter einembe-stimmten Begriffe steht, untereinander,und, wennjenenachdemgemeinschaftlichenMerkmalvollstän-dig sind, ihre SubsumtionunterhöhereKlassen(Gat-tungen),bis man zu dem Begriffe gelangt,der dasPrinzipderganzenKlassifikationin sichenthält(unddie obersteGattungausmacht).Fängt man dagegenvom allgemeinenBegriff an, um zu dem besonderndurchvollständigeEinteilungherabzugehen,so heißtdie Handlung die Spezifikationdes MannigfaltigenuntereinemgegebenenBegriffe, davon deroberstenGattung zu niedrigen (Untergattungenoder Arten)

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Kant-W Bd. 10 27V. Von der reflektierenden Urteilskraft

und von Arten zu Unterartenfortgeschrittenwird.Man drücktsichrichtigeraus,wennman,anstatt(wieim gemeinenRedegebrauch)zusagen,manmüssedasBesondere,welchesunter einemAllgemeinensteht,spezifizieren,lieber sagt,manspezifizieredenallge-meinenBegriff, indem man dasMannigfaltigeunterihm anführt.Denndie Gattungist (logischbetrachtet)gleichsamdie Materie, oder dasrohe Substrat,wel-chesdie NaturdurchmehrereBestimmungzu beson-dern Arten und Unterartenverarbeitet,und so kannman sagen,die Natur spezifizieresich selbst nacheinemgewissenPrinzip(oderderIdeeeinesSystems),nach der Analogie des GebrauchsdiesesWorts beidenRechtslehrern,wennsievonderSpezifikationge-wisserrohenMaterienreden.5

Nun ist klar, daßdie reflektierendeUrteilskraft esihrer Naturnachnicht unternehmenkönne,die ganzeNatur nach ihren empirischenVerschiedenheitenzuklassifizieren, wenn sie nicht voraussetzt,die Naturspezifiziereselbstihre transzendentaleGesetzenachirgend einemPrinzip. DiesesPrinzip kann nun keinanderes,als dasder Angemessenheitzum Vermögender Urteilskraft selbst sein, in der unermeßlichenMannigfaltigkeit der Dinge nach möglichenempiri-schenGesetzengenugsameVerwandtschaftderselbenanzutreffen,um sie unter empirischeBegriffe (Klas-sen) und diese unter allgemeinereGesetze(höhere

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Kant-W Bd. 10 28V. Von der reflektierenden Urteilskraft

Gattungen)zu bringenund so zu einemempirischenSystemder Natur gelangenzu können.– So wie nuneinesolcheKlassifikationkeinegemeineErfahrungs-erkenntnis,sonderneine künstliche ist, so wird dieNatur, so fern sie so gedachtwird, daßsie sich nacheinemsolchenPrinzipspezifiziere,auchalsKunstan-gesehenund die Urteilskraft führt also notwendigapriori ein PrinzipderTechnikderNaturbei sich,wel-chevon der Nomothetikderselbennachtranszenden-talenVerstandesgesetzendarin unterschiedenist, daßdieseihr PrinzipalsGesetz,jeneabernur alsnotwen-digeVoraussetzunggeltendmachenkann.

DaseigentümlichePrinzipderUrteilskraft ist also:die Natur spezifiziertihre allgemeineGesetzezuem-pirischen,gemäßder Form eineslogischenSystems,zumBehufderUrteilskraft.

Hier entspringtnunderBegriff einerZweckmäßig-keitderNaturundzwaralseineigentümlicherBegriffder reflektierendenUrteilskraft, nicht der Vernunft;indemderZweckgarnicht im Objekt,sondernledig-lich im Subjektund zwar dessenbloßemVermögenzu reflektierengesetztwird. – Dennzweckmäßignen-nen wir dasjenige,dessenDasein eine VorstellungdesselbenDingesvorauszusetzenscheint;Naturgeset-ze aber,die so beschaffenund auf einanderbezogensind,als ob sie die Urteilskraft zu ihremeigenenBe-darf entworfenhätte,habenÄhnlichkeit mit derMög-

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Kant-W Bd. 10 29V. Von der reflektierenden Urteilskraft

lichkeit derDinge,die eineVorstellungdieserDinge,als Grundderselbenvoraussetzt.Also denktsich dieUrteilskraft durch ihr Prinzip eine Zweckmäßigkeitder Natur, in der Spezifikation ihrer FormendurchempirischeGesetze.

DadurchwerdenaberdieseFormenselbstnicht alszweckmäßiggedacht, sondern nur das Verhältnisderselbenzu einander,und die Schicklichkeit, beiihrer großenMannigfaltigkeitzu einemlogischenSy-stemempirischerBegriffe.– ZeigteunsnundieNaturnichts mehr als diese logische Zweckmäßigkeit,sowürdenwir zwar schonUrsachehaben,sie hierüberzu bewundern,indemwir nachdenallgemeinenVer-standesgesetzenkeinenGrunddavonanzugebenwis-sen;allein dieserBewunderungwürdeschwerlichje-mandandersals etwa ein Transzendental-Philosophfähig sein,und selbstdieserwürde doch keinenbe-stimmtenFall nennenkönnen,wo sich dieseZweck-mäßigkeitin concretobewiese,sondernsienur im all-gemeinendenkenmüssen.

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Kant-W Bd. 10 29VI. Von der Zweckmäßigkeit der Naturformen als so viel

VI. Von derZweckmäßigkeitderNaturformenalssoviel besondererSysteme

Daßdie Natur in ihren empirischenGesetzensichselbstsospezifiziere,alseszueinermöglichenErfah-rung,als einemSystemempirischesErkenntnis,erfor-derlichist, dieseFormderNaturenthälteinelogischeZweckmäßigkeit,nämlich ihrer ÜbereinstimmungzudensubjektivenBedingungender Urteilskraft in An-sehungdes möglichenZusammenhangsempirischerBegriffe in dem Ganzeneiner Erfahrung.Nun gibtdiesesaberkeineFolgerungauf ihre Tauglichkeitzueiner realenZweckmäßigkeitin ihren Produkten,d.i.einzelneDinge in der Form von Systemenhervorzu-bringen:denndiesekönntenimmer,der Anschauungnach,bloßeAggregateunddennochnachempirischenGesetzen,welchemit andernin einemSystemlogi-scher Einteilung zusammenhängen,möglich sein,ohnedaßzu ihrer besondrenMöglichkeit ein eigent-lich daraufangestellterBegriff, alsBedingungdersel-ben,mithin eineihr zumGrundeliegendeZweckmä-ßigkeit der Natur, angenommenwerdendürfte. AufsolcheWeisesehenwir Erden,Steine,Mineralienu.d. g. ohnealle zweckmäßigeForm,als bloßeAggre-gate,dennochdeninnernCharakternundErkenntnis-gründenihrer Möglichkeit nachso verwandt,daßsie

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Kant-W Bd. 10 30VI. Von der Zweckmäßigkeit der Naturformen als so viel

unter empirischenGesetzenzur Klassifikation derDinge in einemSystemderNatur tauglichsind,ohnedocheineForm desSystemsan ihnenselbstzu zei-gen.

Ich verstehedaheruntereinerabsolutenZweckmä-ßigkeit der Naturformen diejenige äußereGestalt,oderauchdeninnernBauderselben,diesobeschaffensind, daßihrer Möglichkeit eine Idee von denselbenin unsererUrteilskraft zum Grunde gelegt werdenmuß.DennZweckmäßigkeitist eineGesetzmäßigkeitdesZufälligenalseinessolchen.Die NaturverfährtinAnsehungihrer Produkteals Aggregatemechanisch,als bloßeNatur; aberin Ansehungderselbenals Sy-steme,z.B. Kristallbildungen,allerlei GestaltderBlu-men,oderdeminnernBau der Gewächseund Tiere,technisch, d.i. zugleich als Kunst. Der UnterschieddieserbeiderleiArten, die Naturwesenzu beurteilen,wird bloß durch die reflektierendeUrteilskraft ge-macht,dieesganzwohl kannundvielleichtauchmußgeschehenlassen,wasdie bestimmende(unterPrinzi-pien der Vernunft) ihr, in Ansehungder Möglichkeitder Objekte selbst, nicht einräumteund vielleichtalles auf mechanischeErklärungsartzurückgeführtwissenmöchte;denneskanngarwohl nebeneinanderbestehen,daß die Erklärung einer Erscheinung,dieein GeschäftderVernunftnachobjektivenPrinzipienist, mechanisch, die Regelder Beurteilungaberdes-

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Kant-W Bd. 10 31VI. Von der Zweckmäßigkeit der Naturformen als so viel

selbenGegenstandes,nachsubjektivenPrinzipienderReflexionüberdenselben,technischsei.

Ob nun zwar dasPrinzip der Urteilskraft von derZweckmäßigkeitder Natur in der SpezifikationihrerallgemeinenGesetzekeineswegessich so weit er-streckt,um darausauf die Erzeugungan sich zweck-mäßigerNaturformenzu schließen(weil auchohnesiedasSystemderNaturnachempirischenGesetzen,welchesallein die Urteilskraft zu postulierenGrundhatte,möglich ist), und dieselediglich durch Erfah-runggegebenwerdenmüssen:sobleibt esdoch,weilwir einmalderNatur in ihrenbesondrenGesetzeneinPrinzip der Zweckmäßigkeit unterzulegen Grundhaben,immermöglich und erlaubt,wennunsdie Er-fahrung zweckmäßigeFormen an ihren Produktenzeigt,dieselbeebendemselbenGrunde,alsworaufdieersteberuhenmag,zuzuschreiben.

ObgleichauchdieserGrundselbersogar im Über-sinnlichenliegenund überdenKreis der unsmögli-chen Natureinsichtenhinausgerücktsein möchte,sohabenwir auchschondadurchetwasgewonnen,daßwir für die sich in derErfahrungvorfindendeZweck-mäßigkeitderNaturformenein transzendentalesPrin-zip der Zweckmäßigkeitder Natur in der Urteilskraftin Bereitschafthaben,welches,wenn es gleich dieMöglichkeit solcherFormenzu erklärennicht hinrei-chendist, esdennochwenigstenserlaubtmacht,einen

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Kant-W Bd. 10 31VI. Von der Zweckmäßigkeit der Naturformen als so viel

sobesondrenBegriff, alsderderZweckmäßigkeitist,auf Natur und ihre Gesetzmäßigkeitanzuwenden,ober zwar kein objektiver Naturbegriff sein kann,son-dernbloßvomsubjektivenVerhältnissederselbenaufeinVermögendesGemütshergenommenist.

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Kant-W Bd. 10 32VII. Von der Technik der Urteilskraft als dem Grunde der

VII. Von derTechnikderUrteilskraftalsdemGrundederIdeeeinerTechnikderNatur

Die Urteilskraft machtes, wie obengezeigtwor-den, allererstmöglich, ja notwendig,außerder me-chanischenNaturnotwendigkeitsich an ihr aucheineZweckmäßigkeitzu denken,ohne derenVorausset-zungdie systematischeEinheit in der durchgängigenKlassifikation besondererFormennach empirischenGesetzennicht möglich seinwürde.Zunächstist ge-zeigtworden,daß,da jenesPrinzipderZweckmäßig-keit nur ein subjektivesPrinzip der Einteilung undSpezifikationder Natur ist, es in Ansehungder For-mender Naturproduktenichtsbestimme.Auf welcheWeisealsowürdedieseZweckmäßigkeitbloß in Be-griffen bleibenunddemlogischenGebrauchederUr-teilskraftin derErfahrungzwareineMaximederEin-heit derNatur ihrenempirischenGesetzennach,zumBehuf desVernunftgebrauchsüber ihre Objekte,un-tergelegt,von dieser besondernArt der systemati-schenEinheit aber,nämlichdernachderVorstellungeinesZwecks,keineGegenständein derNatur,alsmitihrer Form dieserkorrespondierendeProdukte,gege-benwerdenwürden.– Die Kausalitätnun der Natur,in Ansehungder Form ihrer Produkteals Zwecke,würdeich die TechnikderNaturnennen.Siewird der

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Kant-W Bd. 10 32VII. Von der Technik der Urteilskraft als dem Grunde der

Mechanikderselbenentgegengesetzt,welchein ihrerKausalitätdurchdie VerbindungdesMannigfaltigenohneeinenderArt ihrerVereinigungzumGrundelie-gendenBegriff besteht,ungefährso wie wir gewisseHebezeuge,die ihren zu einemZweckeabgezieltenEffekt, auchohneeine ihr zum GrundegelegteIdeehaben können, z.B. einen Hebebaum,eine schiefeFläche,zwarMaschinen,abernicht Kunstwerkenen-nenwerden;weil siezwarzuZweckengebrauchtwer-den können, aber nicht bloß in Beziehungauf siemöglichsind.

Die erste Frage ist nun hier: Wie läßt sich dieTechnikder Natur an ihren Produktenwahrnehmen?DerBegriff derZweckmäßigkeitist garkeinkonstitu-tiver Begriff der Erfahrung,keineBestimmungeinerErscheinung,zu einemempirischenBegriffevomOb-jekte gehörig;denner ist keineKategorie.In unsererUrteilskraftnehmenwir dieZweckmäßigkeitwahr,sofern sieüberein gegebenesObjektbloßreflektiert,esseiüberdieempirischeAnschauungdesselben,umsieauf irgend einen Begriff (unbestimmtwelchen) zubringen,oder über den Erfahrungsbegriffselbst,umdie Gesetze,die er enthält, auf gemeinschaftlichePrinzipien zu bringen. Also ist die Urteilskraft ei-gentlich technisch;die Natur wird nur als technischvorgestellt,so fern sie zu jenemVerfahrenderselbenzusammenstimmtund esnotwendigmacht.Wir wer-

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Kant-W Bd. 10 33VII. Von der Technik der Urteilskraft als dem Grunde der

denso gleich die Art zeigen,wie der Begriff der re-flektierendenUrteilskraft, der die innere Wahrneh-mungeinerZweckmäßigkeitder Vorstellungenmög-lich macht, auch zur Vorstellung des Objekts, alsunterihm enthalten,angewandtwerdenkönne.

Zu jedem empirischenBegriffe gehörennämlichdrei HandlungendesselbsttätigenErkenntnisvermö-gens:1. die Auffassung(apprehensio)desMannigfal-tigen der Anschauung,2. die Zusammenfassung, d.i.die synthetischeEinheitdesBewußtseinsdiesesMan-nigfaltigen in demBegriffe einesObjekts(appercep-tio comprehensiva),3. die Darstellung(exhibitio) desdiesemBegriff korrespondierendenGegenstandesinderAnschauung.Zu dererstenHandlungwird Einbil-dungskraft,zur zweitenVerstand,zur dritten Urteils-kraft erfordert,welche,wennesumeinenempirischenBegriff zu tun ist, bestimmendeUrteilskraft seinwürde.

Weil es aber in der bloßen Reflexion über eineWahrnehmungnicht um einen bestimmtenBegriff,sondernüberhauptnur umdieRegel,übereineWahr-nehmungzum Behuf desVerstandes,als einesVer-mögensder Begriffe, zu reflektieren,zu tun ist: sosiehtmanwohl, daßin einembloßreflektierendenUr-teile Einbildungskraftund Verstandin demVerhält-nisse, in welchemsie in der Urteilskraft überhauptgegeneinanderstehenmüssen,mit demVerhältnisse,

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Kant-W Bd. 10 34VII. Von der Technik der Urteilskraft als dem Grunde der

in welchemsie bei einer gegebenenWahrnehmungwirklich stehen,verglichen,betrachtetwerden.

Wenn denndie Form einesgegebenenObjekts inder empirischenAnschauungso beschaffenist, daßdie AuffassungdesMannigfaltigendesselbenin derEinbildungskraftmit der Darstellung einesBegriffsdesVerstandes(unbestimmtwelchesBegriffs) über-einkommt,so stimmenin der bloßenReflexionVer-standund Einbildungskraftwechselseitigzur Beför-derung ihres Geschäftszusammen,und der Gegen-standwird als zweckmäßig,bloß für die Urteilskraft,wahrgenommen,mithin die Zweckmäßigkeitselbstbloßalssubjektivbetrachtet;wie dennauchdazugarkein bestimmterBegriff vom Objekteerfordertnochdadurcherzeugtwird, und dasUrteil selbstkein Er-kenntnisurteilist. – Ein solchesUrteil heißteinästhe-tischesReflexions-Urteil.

Dagegen,wenn bereits empirischeBegriffe undeben solche Gesetze,gemäßdem MechanismderNatur gegebensind und die Urteilskraft vergleichteinensolchenVerstandesbegriffmit derVernunftundihrem Prinzip der Möglichkeit einesSystems,so ist,wenn dieseForm an dem Gegenstandeangetroffenwird, die Zweckmäßigkeitobjektiv beurteilt und dasDing heißt ein Naturzweck, da vorher nur Dinge alsunbestimmt-zweckmäßige Naturformen beurteiltwurden.DasUrteil über die objektive Zweckmäßig-

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Kant-W Bd. 10 34VII. Von der Technik der Urteilskraft als dem Grunde der

keit der Natur heißt teleologisch. Es ist ein Erkennt-nisurteil, aberdochnur der reflektierenden,nicht derbestimmendenUrteilskraft angehörig. Denn über-hauptist dieTechnikderNatur,siemagnunbloß for-mal oder real sein,nur ein Verhältnisder Dinge zuunsererUrteilskraft, in welcherallein die Idee einerZweckmäßigkeitderNaturanzutreffenseinkann,unddie, bloß in Beziehungauf jene,der Natur beigelegtwird.

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Kant-W Bd. 10 34VIII. Von der Ästhetik des Beurteilungsvermögens

VIII. Von derÄsthetikdesBeurteilungsvermögens

Der Ausdruck einer ästhetischenVorstellungsartist ganzunzweideutig,wenndarunterdie Beziehungder Vorstellung auf einen Gegenstand,als Erschei-nung,zurErkenntnisdesselbenverstandenwird; dennalsdennbedeutetder AusdruckdesÄsthetischen, daßeiner solchenVorstellungdie Form der Sinnlichkeit(wie das Subjekt affiziert wird) notwendiganhängeund diesedaherunvermeidlichauf dasObjekt (abernuralsPhänomen)übertragenwerde.DaherkonnteeseinetranszendentaleÄsthetik als zumErkenntnisver-mögengehörigeWissenschaftgeben.Seit geraumerZeit aberist esGewohnheitgeworden,eineVorstel-lungsartästhetisch,d.i. sinnlich, auchin der Bedeu-tung zu heißen,daß darunter die BeziehungeinerVorstellungnicht aufsErkenntnisvermögen,sondernaufs Gefühl der Lust und Unlust gemeinetwird. Obwir nun gleich dieses Gefühl (dieser Benennunggemäß)auch einen Sinn (Modifikation unseresZu-standes)zunennenpflegen,weil unseinandererAus-druck mangelt,so ist er doch kein objektiver Sinn,dessenBestimmungzumErkenntniseinesGegenstan-desgebrauchtwürde(dennetwasmit Lustanschauen,oder sonsterkennen,ist nicht bloße Beziehungder

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Kant-W Bd. 10 35VIII. Von der Ästhetik des Beurteilungsvermögens

Vorstellung auf dasObjekt, sonderneine Empfäng-lichkeit desSubjekts),sonderndergarnichtszumEr-kenntnisseder Gegenständebeiträgt. Eben darum,weil alleBestimmungendesGefühlsbloßvonsubjek-tiver Bedeutungsind, so kannesnicht eineÄsthetikdesGefühlsalsWissenschaftgeben,etwawie eseineÄsthetik des Erkenntnisvermögensgibt. Es bleibtalso immer eine unvermeidlicheZweideutigkeit indem Ausdrucke einer ästhetischenVorstellungsart,wenn man darunterbald diejenigeversteht,welchedasGefühlderLust undUnlusterregt,balddiejenige,welchebloß dasErkenntnisvermögenangeht,soferndarinsinnlicheAnschauungangetroffenwird, die unsdieGegenständenuralsErscheinungenerkennenläßt.

DieseZweideutigkeitkannindessendochgehobenwerden,wenn man den Ausdruck ästhetisch,wedervon derAnschauung,nochwenigerabervon Vorstel-lungendesVerstandes,sondernallein von denHand-lungenderUrteilskraft braucht.Ein ästhetischUrteil,wenn man es zur objektiven Bestimmungbrauchenwollte, würdesoauffallendwidersprechendsein,daßman bei diesemAusdruckwider Mißdeutunggenuggesichertist. DennAnschauungenkönnenzwarsinn-lich sein, aber Urteilen gehört schlechterdingsnurdem Verstande(in weiterer Bedeutunggenommen)zu, und ästhetischodersinnlich urteilen, so fern die-sesErkenntniseinesGegenstandesseinsoll, ist selbst

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Kant-W Bd. 10 36VIII. Von der Ästhetik des Beurteilungsvermögens

alsdannein Widerspruch,wenn Sinnlichkeit sich indasGeschäftdesVerstandeseinmengtund(durcheinvitium subreptionis) dem Verstande eine falscheRichtung gibt; das objektive Urteil wird vielmehrimmer nur durchdenVerstandgefällt, und kannso-fern nicht ästhetischheißen.Daherhat unseretrans-zendentaleÄsthetik des Erkenntnisvermögenswohlvon sinnlichenAnschauungen,abernirgendvon äs-thetischenUrteilen redenkönnen,weil, da sie esnurmit Erkenntnisurteilen,die dasObjekt bestimmen,zutun hat, ihre Urteile insgesamtlogisch sein müssen.Durch die BenennungeinesästhetischenUrteils überein Objektwird alsosofort angezeigt,daßeinegege-bene Vorstellung zwar auf ein Objekt bezogen,indemUrteile abernicht die BestimmungdesObjekts,sonderndesSubjektsund seinesGefühlsverstandenwerde.Dennin derUrteilskraftwerdenVerstandundEinbildungskraftim Verhältnissegegeneinanderbe-trachtet,und dieseskann zwar erstlich objektiv, alszumErkenntnisgehörig,in Betrachtgezogenwerden(wie in demtranszendentalenSchematismderUrteils-kraft geschah);abermankannebendiesesVerhältniszweierErkenntnisvermögendochauchbloßsubjektivbetrachten,so fern einsdasanderein ebenderselbenVorstellungbefördertoder hindert und dadurchdenGemütszustandaffiziert undalsoein Verhältnis,wel-chesempfindbarist (ein Fall, der bei demabgeson-

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Kant-W Bd. 10 36VIII. Von der Ästhetik des Beurteilungsvermögens

dertenGebrauchkeinesandernErkenntnisvermögensstatt findet). Obgleich nun dieseEmpfindungkeinesinnliche Vorstellung einesObjekts ist, so kann siedoch, da sie subjektiv mit der Versinnlichung derVerstandesbegriffedurch die Urteilskraft verbundenist, als sinnlicheVorstellungdesZustandesdesSub-jekts,dasdurcheinenActusjenesVermögensaffiziertwird, derSinnlichkeitbeigezähltundein Urteil ästhe-tisch, d.i. sinnlich (der subjektivenWirkung, nichtdemBestimmungsgrundenach)genanntwerden,ob-gleichUrteilen (nämlichobjektiv) eineHandlungdesVerstandes(als Obern Erkenntnisvermögensüber-haupt)undnichtderSinnlichkeitist.

Ein jedesbestimmendeUrteil ist logisch, weil dasPrädikatdesselbenein gegebenerobjektiver Begriffist. Ein bloß reflektierendesUrteil aber über einengegebeneneinzelnen Gegenstandkann ästhetischsein, wenn(ehenochauf die Vergleichungdesselbenmit andrengesehenwird) die Urteilskraft,die keinenBegriff für die gegebeneAnschauungbereit hat, dieEinbildungskraft(bloß in der Auffassungdesselben)mit dem Verstande(in Darstellung eines Begriffsüberhaupt)zusammenhältund ein Verhältnis beiderErkenntnisvermögenwahrnimmt,welchesdie subjek-tive bloß empfindbareBedingungdesobjektivenGe-brauchsderUrteilskraft (nämlichdie Zusammenstim-mung jener beidenVermögenunter einander)über-

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Kant-W Bd. 10 37VIII. Von der Ästhetik des Beurteilungsvermögens

hauptausmacht.Esist aberauchein ästhetischesSin-nenurteilmöglich,wennnämlichdasPrädikatdesUr-teils gar kein Begriff von einem Objekt sein kann,indemesgar nicht zum Erkenntnisvermögengehört,z.B. derWein ist angenehm,dadenndasPrädikatdieBeziehungeinerVorstellungunmittelbarauf dasGe-fühl derLust undnicht aufsErkenntnisvermögenaus-druckt.

Ein ästhetischesUrteil im allgemeinenkann alsofür dasjenigeUrteil erklärt werden,dessenPrädikatniemalsErkenntnis(Begriff von einemObjekte)seinkann (ob es gleich die subjektive BedingungenzueinemErkenntnisüberhauptenthaltenmag).In einemsolchenUrteile ist der BestimmungsgrundEmpfin-dung,Nun ist abernur eineeinzigesogenannteEmp-findung,die niemalsBegriff von einemObjektewer-denkann,und dieseist dasGefühl der Lust und Un-lust. Dieseist bloß subjektiv, da hingegenalle übri-gen Empfindung zu Erkenntnis gebrauchtwerdenkann.Also ist ein ästhetischesUrteil dasjenige,des-senBestimmungsgrundin einerEmpfindungliegt, diemit demGefühlederLustundUnlustunmittelbarver-bundenist. Im ästhetischenSinnes-Urteileist esdieje-nige Empfindung,welche von der empirischenAn-schauungdes Gegenstandesunmittelbar hervorge-bracht wird, im ästhetischenReflexionsurteileaberdie, welche das harmonischeSpiel der beiden Er-

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Kant-W Bd. 10 38VIII. Von der Ästhetik des Beurteilungsvermögens

kenntnisvermögender Urteilskraft, EinbildungskraftundVerstandim Subjektebewirkt, indemin dergege-benen Vorstellung das Auffassungsvermögendereinenund dasDarstellungsvermögender andernein-anderwechselseitigbeförderlichsind, welchesVer-hältnis in solchemFalledurchdiesebloßeFormeineEmpfindungbewirkt, welcheder BestimmungsgrundeinesUrteils ist, dasdarumästhetischheißt und alssubjektiveZweckmäßigkeit(ohne Begriff) mit demGefühlederLustverbundenist.

Das ästhetischeSinnesurteilenthältmateriale,dasästhetischeReflexionsurteilaber formale Zweckmä-ßigkeit. Aber, da dasersteresich gar nicht aufs Er-kenntnisvermögenbezieht,sondernunmittelbardurchdenSinn aufsGefühl der Lust, so ist nur dasletzterealsauf eigentümlichenPrinzipienderUrteilskraftge-gründetanzusehen.Wennnämlichdie ReflexionübereinegegebeneVorstellungvor demGefühlederLust(als BestimmungsgrundedesUrteils) vorhergeht,sowird die subjektiveZweckmäßigkeitgedacht, ehesiein ihrer Wirkung empfundenwird, und das ästheti-scheUrteil gehörtso fern, nämlichseinenPrinzipiennach,zum obernErkenntnisvermögenund zwar zurUrteilskraft, unter derensubjektiveund doch dabeiallgemeineBedingungendie VorstellungdesGegen-standessubsumiertwird. Dieweil abereinebloß sub-jektive Bedingungeines Urteils keinen bestimmten

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Begriff von demBestimmungsgrundedesselbenver-stattet,so kanndiesernur im Gefühleder Lust gege-ben werden, so doch, daß das ästhetischeUrteilimmer ein Reflexionsurteilist: da hingegenein sol-ches,welcheskeineVergleichungderVorstellungmitdenErkenntnisvermögen,die in derUrteilskraftverei-nigt wirken, voraussetzt,ein ästhetischesSinnenurteilist, das eine gegebeneVorstellung auch (aber nichtvermittelst der Urteilskraft und ihrem Prinzip) aufsGefühl der Lust bezieht.Das Merkmal, über dieseVerschiedenheitzu entscheiden,kannallererstin derAbhandlungselbstangegebenwerdenund bestehtindemAnspruchedesUrteils auf allgemeineGültigkeitundNotwendigkeit;dennwenndasästhetischeUrteildergleichenbei sichführt, somachtesauchAnspruchdarauf, daß sein Bestimmungsgrundnicht bloß imGefühleder Lust und Unlust für sich allein, sondernzugleichin einer Regelder oberenErkenntnisvermö-gen,undnamentlichhier in derderUrteilskraft,liegenmüsse,diealsoin AnsehungderBedingungenderRe-flexion a priori gesetzgebendist und Autonomiebe-weiset;dieseAutonomieaberist nicht (sowie die desVerstandes,in Ansehungder theoretischenGesetzederNatur,oderderVernunft,in praktischenGesetzenderFreiheit)objektiv, d.i. durchBegriffe von DingenodermöglichenHandlungen,sondernbloß subjektiv,für dasUrteil ausGefühlgültig, welches,wennesauf

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Allgemeingültigkeit Anspruchmachenkann, seinenauf Prinzipiena priori gegründetenUrsprungbewei-set.DieseGesetzgebungmüßtemaneigentlichHeau-tonomienennen,da die Urteilskraft nicht der Natur,nochderFreiheit,sondernlediglich ihr selbstdasGe-setzgibt undkein Vermögenist, Begriffe von Objek-ten hervorzubringen,sondernnur mit denen,die ihranderweitiggegebensind,vorkommendeFällezuver-gleichenund die subjektiveBedingungender Mög-lichkeit dieserVerbindungapriori anzugeben.

Ebendarausläßtsichauchverstehen,warumsieineiner Handlung, die sie für sich selbst (ohne zumGrundegelegtenBegriff von Objekte), als bloß re-flektierendeUrteilskraft,ausübt,statteinerBeziehungder gegebenenVorstellungauf ihre eigeneRegelmitBewußtseinderselben,die Reflexionunmittelbarnurauf Empfindung,die, wie alle Empfindungen,jeder-zeit mit Lust oder Unlust begleitetist, bezieht(wel-chesvon keinemandernobernErkenntnisvermögengeschieht);weil nämlichdie Regelselbstnur subjek-tiv ist unddie Übereinstimmungmit derselbennur andem, was gleichfalls bloß Beziehungaufs Subjektausdrückt,nämlich Empfindung,als dem Merkmaleund BestimmungsgrundedesUrteils, erkanntwerdenkann;daheresauchästhetischheißt,und mithin alleunsereUrteile, nachder Ordnungder obernErkennt-nisvermögen,in theoretische,ästhetischeundprakti-

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scheeingeteiltwerdenkönnen,wo unterdenästheti-schennur die Reflexionsurteileverstandenwerden,welchesichallein auf ein PrinzipderUrteilskraft,alsobern Erkenntnisvermögens,beziehen,da hingegendie ästhetischeSinnenurteileesnur mit demVerhält-nis der VorstellungenzuminnernSinne,so fern der-selbeGefühlist, unmittelbarzu tunhaben.

Anmerkung

Hier ist nun vorzüglich nötig, die Erklärung derLust, als sinnlicherVorstellungder VollkommenheiteinesGegenstandeszubeleuchten.NachdieserErklä-rungwürdeein ästhetischesSinnen-oderReflexions-urteil jederzeitein Erkenntnisurteilvom Objektesein;dennVollkommenheitist eineBestimmung,die einenBegriff vom Gegenstandevoraussetzt,wodurchalsodasUrteil, welchesdem GegenstandeVollkommen-heit beilegt,von andernlogischenUrteilen gar nichtunterschiedenwird, alsetwa,wie manvorgibt, durchdieVerworrenheit,diedemBegriffeanhängt(diemanSinnlichkeit zu nennen sich anmaßt), die aberschlechterdingskeinen spezifischenUnterschiedderUrteile ausmachenkann.Dennsonstwürdeeineun-endlicheMenge,nicht allein von Verstandes,sondernso gar von Vernunfturteilen,auch ästhetischheißen

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Kant-W Bd. 10 40VIII. Von der Ästhetik des Beurteilungsvermögens

müssen,weil in ihnenein ObjektdurcheinenBegriff,derverworrenist, bestimmtwird, wie z.B. die Urteileüber Rechtund Unrecht;dennwie wenig Menschen(so gar Philosophen)habeneinendeutlichenBegriffvon dem was Recht ist.6 Sinnliche Vorstellung derVollkommenheitist ein ausdrücklicherWiderspruch,und wenn die ZusammenstimmungdesMannigfalti-gen zu Einem Vollkommenheitheißensoll, so mußsiedurcheinenBegriff vorgestelltwerden,sonstkannsie nicht den Namen der Vollkommenheit führen.Will man,daßLust und Unlust nichts als bloßeEr-kenntnisseder Dinge durch den Verstand(der sichnur nicht seinerBegriffe bewußtsei) seinsollenunddaßsie uns nur bloßeEmpfindungenzu sein schei-nen,so müßtemandie Beurteilungder Dinge durchdieselbenichtästhetisch(sinnlich),sondernallerwärtsintellektuell nennen und Sinne wären im Grundenichtsalsein(obzwarohnehinreichendesBewußtseinseinereigenenHandlungen)urteilenderVerstand,dieästhetischeVorstellungsartwäre von der logischennicht spezifischunterschieden,und so wäre,da mandie Grenzscheidungbeiderunmöglichauf bestimmteArt ziehenkann, dieseVerschiedenheitder Benen-nungganzunbrauchbar.(Von diesermystischenVor-stellungsartderDingederWelt, welchekeinevonBe-griffen überhaupt unterschiedeneAnschauung alssinnlichzuläßt,wo alsdannfür die ersterewohl nichts

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Kant-W Bd. 10 41VIII. Von der Ästhetik des Beurteilungsvermögens

als ein anschauenderVerstandübrig bleibenwürde,hiernichtszuerwähnen.)

Noch könnte man fragen: BedeutetunserBegriffeinerZweckmäßigkeitderNaturnicht ebendasselbe,wasderBegriff derVollkommenheitsagt,undist alsodas empirischeBewußtseinder subjektivenZweck-mäßigkeit,oderdasGefühlderLust angewissenGe-genständen,nicht die sinnliche AnschauungeinerVollkommenheit,wie einige die Lust überhaupter-klärt wissenwollen?

Ich antworte:Vollkommenheit, als bloßeVollstän-digkeit desVielen, so fern es zusammenEinesaus-macht,ist ein ontologischerBegriff, der mit demderTotalität (Allheit) eines Zusammengesetzten(durchKoordinationdesMannigfaltigenin einemAggregat,oderzugleichderSubordinationderselbenalsGründeund Folgen in einer Reihe) einerlei ist und der mitdemGefühlederLust oderUnlustnicht dasmindestezu tun hat.Die VollkommenheiteinesDingesin Be-ziehungseinesMannigfaltigenauf einenBegriff des-selbenist nur formal. Wennich abervon einer Voll-kommenheit(deren es viele an einem Dinge unterdemselbenBegriffe desselbengebenkann) rede,soliegt immerderBegriff von etwas,alseinemZwecke,zumGrunde,auf welchenjenerontologische,derZu-sammenstimmungdesMannigfaltigenzu Einem,an-gewandtwird. DieserZweck darf abernicht immer

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ein praktischerZwecksein,dereineLust anderExi-stenzdesObjektsvoraussetzt,oder einschließt,son-derner kannauchzur Technikgehören,betrifft alsobloßdie Möglichkeit derDingeundist die Gesetzmä-ßigkeit einer an sich zufälligen Verbindung desMannigfaltigenin demselben.Zu einemBeispielmagdieZweckmäßigkeitdienen,diemananeinemregulä-ren Sechseckin seinerMöglichkeit notwendigdenkt,indem es ganzzufällig ist, daßsechsgleicheLinienauf einerEbenegeradein lautergleichenWinkeln zu-sammenstoßen,denndiesegesetzmäßigeVerbindungsetzteinenBegriff voraus,der, als Prinzip, sie mög-lich macht.DergleichenobjektiveZweckmäßigkeitanDingenderNaturbeobachtet(vornehmlichanorgani-siertenWesen)wird nunalsobjektiv undmaterialge-dachtund führt notwendigdenBegriff einesZwecksder Natur (eineswirklichen oder ihr angedichteten)bei sich, in Beziehungauf welchenwir den DingenauchVollkommenheitbeilegen,darüberdasUrteil te-leologischheißtundgarkein GefühlderLust bei sichführt, so wie dieseüberhauptindemUrteile überdiebloße Kausal-Verbindunggar nicht gesuchtwerdendarf.

Überhaupthat also der Begriff der Vollkommen-heit als objektiverZweckmäßigkeitmit demGefühlederLustunddiesemit jenemgarnichtszu tun.Zu derBeurteilungderersterengehörtnotwendigein Begriff

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vom Objekt, zu der durch die zweite ist er dagegengar nicht nötig und bloße empirischeAnschauungkann sie verschaffen.Dagegenist die Vorstellungeiner subjektivenZweckmäßigkeiteinesObjektsmitdemGefühleder Lust so gar einerlei(ohnedaßebenein abgezogenerBegriff eines Zweckverhältnissesdazugehörte)und zwischendieserund jener ist einesehrgroßeKluft. Denn ob, wassubjektiv zweckmä-ßig ist, esauchobjektiv sei, dazuwird einemehren-teils weitläuftigeUntersuchung,nicht allein derprak-tischenPhilosophie,sondernauchderTechnik,esseiderNaturoderderKunsterfordert,d.i., um Vollkom-menheitan einemDinge zu finden, dazuwird Ver-nunft, um Annehmlichkeit, wird bloßer Sinn, umSchönheitanihm anzutreffen,nichtsalsdiebloßeRe-flexion (ohneallen Begriff) übereinegegebeneVor-stellungerfordert.

Das ästhetischeReflexionsvermögenurteilt alsonurübersubjektiveZweckmäßigkeit(nichtüberVoll-kommenheit)desGegenstandes:und esfrägt sichda,ob nur vermittelstder dabeiempfundenenLust oderUnlust, oder so gar über dieselbe,so daßdasUrteilzugleichbestimme,daßmit der VorstellungdesGe-genstandesLustoderUnlustverbundenseinmüsse.

DieseFrageläßtsich,wie obenschonerwähnt,hiernochnicht hinreichendentscheiden.Es mußsich ausder ExpositiondieserArt Urteile in der Abhandlung

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allererstergeben,ob sieeineAllgemeinheitund Not-wendigkeitbei sich führen,welchesie zur Ableitungvon einemBestimmungsgrundea priori qualifiziere.In diesemFallewürdedasUrteil zwarvermittelstderEmpfindungderLust oderUnlust,aberdochauchzu-gleichüberdie AllgemeinheitderRegel,siemit einergegebenenVorstellung zu verbinden,durch dasEr-kenntnisvermögen(namentlich die Urteilskraft) apriori etwas bestimmen.Sollte dagegendas UrteilnichtsalsdasVerhältnisderVorstellungzumGefühl(ohneVermittelungeinesErkenntnisprinzips)enthal-ten,wie esbeimästhetischenSinnesurteilderFall ist(welcheswederein Erkenntnis-nochein Reflexions-urteil ist), so würdenalle ästhetischeUrteile ins bloßempirischeFachgehören.

Vorläufig kann noch angemerktwerden:daßvomErkenntnis zum Gefühl der Lust und Unlust keinÜbergangdurch Begriffevon Gegenständen(so ferndieseauf jenesin Beziehungstehensollen)stattfinde,und daßmanalsonicht erwartendürfe, denEinfluß,den eine gegebeneVorstellungauf dasGemüttut, apriori zubestimmen,sowie wir ehedemin derKrit. d.prakt. V., daßdie VorstellungeinerallgemeinenGe-setzmäßigkeitdes Wollens zugleich Willen bestim-mendund dadurchauchdasGefühl der Achtunger-weckendsein müsse,als ein in unsernmoralischenUrteilen und zwar a priori enthaltenesGesetz,be-

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merkten,aberdiesesGefühlnichtsdestowenigerausBegriffen dochnicht ableitenkonnten.Ebenso wirddasästhetischeReflexionsurteiluns in seinerAuflö-sungdenin ihr enthaltenenauf einemPrinzipa prioriberuhendenBegriff der formalen aber subjektivenZweckmäßigkeitder Objektedarlegen,der mit demGefühlederLust im Grundeeinerleiist, aberauskei-nenBegriffenabgeleitetwerdenkann;aufderenMög-lichkeit überhauptgleichwohl die VorstellungskraftBeziehungnimmt,wennsiedasGemüt,in derRefle-xion übereinenGegenstand,affiziert.

Eine ErklärungdiesesGefühlsim allgemeinenbe-trachtet,ohneauf den Unterschiedzu sehen,ob esdie Sinnesempfindung,oder die Reflexion,oder dieWillensbestimmungbegleite, muß transzendentalsein.7 Sie kann so lauten: Lust ist ein ZustanddesGemüts,in welchemeineVorstellungmit sich selbstzusammenstimmt,als Grund, entwederdiesenbloßselbstzu erhalten(dennder Zustandeinanderwech-selseitigbefördernderGemütskräftein einerVorstel-lung erhältsichselbst),oderihr Objekthervorzubrin-gen. Ist daserstere,so ist dasUrteil über die gege-beneVorstellungein ästhetischesReflexionsurteil.Istaberdasletztere,so ist ein ästhetisch-pathologisches,oder ästhetisch-praktischesUrteil. Man sieht hierleicht, daßLust oderUnlust, weil sie keineErkennt-nisartensind, für sich selbstgar nicht könnenerklärt

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werden,undgefühlt,nichteingesehenwerdenwollen;daßman sie dahernur durch den Einfluß, den eineVorstellungvermittelstdiesesGefühlsauf die Tätig-keit derGemütskräftehat,dürftig erklärenkann.

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Kant-W Bd. 10 46IX. Von der teleologischen Beurteilung

IX. Von derteleologischenBeurteilung

Ich verstand unter einer formalen Technik derNaturdie Zweckmäßigkeitderselbenin derAnschau-ung:unterderrealenaberversteheich ihreZweckmä-ßigkeit nachBegriffen.Die erstegibt für die Urteils-kraft zweckmäßigeGestalten,d.i. die Form,anderenVorstellungEinbildungskraftund Verstandwechsel-seitigmiteinanderzur Möglichkeit einesBegriffs vonselbst zusammenstimmen.Die zweite bedeutetdenBegriff der Dinge als Naturzwecke,d.i. als solche,deren innere Möglichkeit einen Zweck voraussetzt,mithin einenBegriff, der der Kausalitätihrer Erzeu-gung,alsBedingungzumGrundeliegt.

ZweckmäßigeFormender Anschauungkann dieUrteilskraft a priori selbstangebenund konstruieren,wennsiesolchenämlichfür die Auffassungsoerfin-det,alssiesichzurDarstellungeinesBegriffsschickt.AberZwecke,d.i. Vorstellungen,dieselbstalsBedin-gungenderKausalitätihrerGegenstände(alsWirkun-gen) angesehenwerden, müssenüberhauptirgendwohergegebenwerden,ehedie Urteilskraft sich mitden Bedingungen des Mannigfaltigen beschäftigt,dazu zusammenzu stimmen,und sollen es Natur-zweckesein, so müssengewisseNaturdingeso be-trachtetwerdenkönnen,alsob sieProdukteeinerUr-

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Kant-W Bd. 10 46IX. Von der teleologischen Beurteilung

sachesein,derenKausalitätnur durch eine Vorstel-lung desObjektsbestimmtwerdenkönnte.Nun aberkönnenwir, wie und auf wie mancherleiArt Dingedurch ihre Ursachenmöglich sind, a priori nicht be-stimmen,hierzusindErfahrungsgesetzenotwendig.

DasUrteil überdie ZweckmäßigkeitanDingenderNatur, die als ein Grund der Möglichkeit derselben(alsNaturzwecke)betrachtetwird, heißtein teleologi-schesUrteil. Nun sind, wenngleich die ästhetischenUrteile selbsta priori nicht möglich sind, dennochPrinzipiena priori in der notwendigenIdeeeinerEr-fahrung, als Systems,gegeben,welche den Begriffeiner formalenZweckmäßigkeitder Natur für unsereUrteilskraft enthalten,und worausa priori die Mög-lichkeit ästhetischerReflexionsurteile,alssolcher,dieauf Prinzipien a priori gegründetsind, erhellet.DieNatur stimmtnotwendigerWeisenicht bloß in Anse-hungihrer transzendentalenGesetzemit unseremVer-stande, sondernauchin ihren empirischenGesetzenmit der Urteilskraft und ihrem Vermögender Dar-stellung derselbenin einer empirischenAuffassungihrer Formendurch die Einbildungskraft,zusammenund daszwar bloß zum Behuf der Erfahrungund daläßt sich die formale ZweckmäßigkeitderselbeninAnsehungderletzterenEinstimmung(mit derUrteils-kraft) als notwendignochdartun.Allein nun soll sie,als Objekt einer teleologischenBeurteilungauchmit

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der Vernunft, nach dem Begriffe, den sie sich voneinemZweckemacht,als ihrer Kausalitätnachüber-einstimmendgedachtwerden;das ist mehr, als derUrteilskraft allein zugemutetwerden kann, welchezwarfür die FormderAnschauung,abernicht für dieBegriffederErzeugungderDingeeigenePrinzipienapriori enthaltenkann.Der Begriff einesrealenNatur-zwecksliegt alsogänzlichüberdemFeldederUrteils-kraft hinaus,wennsiefür sichallein genommenwird,und da sie als eineabgesonderteErkenntniskraftnurzwei Vermögen,Einbildungskraftund Verstand,ineiner Vorstellung vor allem Begriffe im Verhältnisbetrachtetund dadurch subjektive ZweckmäßigkeitdesGegenstandesfür die Erkenntnisvermögenin derAuffassung desselben(durch die Einbildungskraft)wahrnimmt,sowird sie in der teleologischenZweck-mäßigkeitder Dinge,alsNaturzwecke,die nur durchBegriffe vorgestelltwerdenkann, den Verstandmitder Vernunft (die zur Erfahrungüberhauptnicht not-wendig ist) in Verhältnis setzenmüssen,um DingealsNaturzweckevorstelligzumachen.

Die ästhetischeBeurteilungderNaturformenkonn-te, ohneeinenBegriff vom GegenstandezumGrundezu legen,in der bloßenempirischenAuffassungderAnschauunggewissevorkommendeGegenständederNaturzweckmäßigfinden,nämlichbloßin Beziehungauf die subjektivenBedingungder Urteilskraft. Die

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ästhetischeBeurteilungerfordertealsokeinenBegriffvom Objekteund brachteauchkeinenhervor: dahersiedieseauchnicht für Naturzwecke, in einemobjek-tiven Urteile, sondernnur als zweckmäßigfür dieVorstellungskraft,in subjektiverBeziehung,erklärte,welcheZweckmäßigkeitder Formenmandie figürli-che und die Technik der Natur in Ansehungihrerauchebenso(technicaspeciosa)benennenkann.

Das teleologischeUrteil dagegensetzt einen Be-griff vom Objektevorausund urteilt über die Mög-lichkeit desselbennacheinemGesetzeder Verknüp-fungderUrsachenundWirkungen.DieseTechnikderNaturkönntemandaherplastischnennen,wennmandiesesWort nicht schonin allgemeinererBedeutung,nämlichfür Naturschönheitso wohl als Naturabsich-ten, in Schwanggebrachthätte,dahersie,wennmanwill, die organischeTechnikderselbenheißenmag,welcherAusdruckdennauchdenBegriff derZweck-mäßigkeitnicht bloß für die Vorstellungsart,sondernfür dieMöglichkeit derDingeselbstbezeichnet.

DasWesentlichsteund Wichtigstefür dieseNum-mer ist aber wohl der Beweis: daß der Begriff derEndursachenin der Natur, welcherdie teleologischeBeurteilungderselbenvon dernachallgemeinen,me-chanischen,Gesetzenabsondert,ein bloßderUrteils-kraft, undnicht demVerstandeoderderVernunft,an-gehörigerBegriff sei,d.i. daß,damandenBegriff der

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Naturzweckeauch in objektiver Bedeutung,als Na-turabsichtbrauchenkönnte,einsolcherGebrauch,alsschonvernünftelnd,schlechterdingsnicht in der Er-fahrung gegründetsei, die zwar Zwecke darlegen,aber,daßdiesezugleichAbsichtensind,durchnichtsbeweisenkann,mithin, was in dieserzur TeleologieGehörigesangetroffenwird, lediglich die Beziehungihrer Gegenständeauf die UrteilskraftundzwareinenGrundsatzderselben,dadurchsie für ihr selbst(nichtfür die Natur)gesetzgebendist, nämlichals reflektie-rendeUrteilskraftenthalte.

Der Begriff der Zweckeund der Zweckmäßigkeitist zwar ein Begriff der Vernunft, in so fern manihrdenGrundderMöglichkeit einesObjektsbeilegt.Al-lein ZweckmäßigkeitderNatur,oderauchderBegriffvon Dingenals Naturzwecken,setztdie Vernunft alsUrsachemit solchenDingen in Verhältnisdarin wirsie durch keine Erfahrungals Grund ihrer Möglich-keit kennen.Dennnur an Produktender Kunstkön-nen wir uns der Kausalitätder Vernunft von Objek-ten,die darumzweckmäßigoderZweckeheißen,be-wußt werden und in Ansehungihrer die Vernunfttechnischzunennen,ist derErfahrungvonderKausa-lität unsereseigenenVermögensangemessen.Alleindie Natur, gleich einer Vernunft steh als technischvorzustellen(und soder Natur Zweckmäßigkeit,undsogarZweckebeizulegen),ist einbesondererBegriff,

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denwir in der Erfahrungnicht antreffenkönnenunddennur dieUrteilskraftin ihreReflexionüberGegen-ständelegt, um nach seiner Anweisung Erfahrungnach besondrenGesetzen,nämlich denender Mög-lichkeit einesSystems,anzustellen.

Man kannnämlichalle Zweckmäßigkeitder Naturentwederals natürlich (forma finalis naturaesponta-nea), oder als absichtlich (intentionalis)betrachten.Die bloße Erfahrung berechtigtnur zu der ersternVorstellungsart;die zweiteist einehypothetischeEr-klärungsart,die überjenenBegriff der Dinge alsNa-turzweckehinzukömmt.Der erstereBegriff von Din-gen, als Naturzwecken,gehört ursprünglichder re-flektierenden(obgleich nicht ästhetisch,sondernlo-gisch reflektierenden),der zweite der bestimmendenUrteilskraft zu. Zu demersternwird zwar auchVer-nunft, abernur zum Behuf einernachPrinzipienan-zustellendenErfahrung (also in ihrem immanentenGebrauche),zu dem zweiten aber sich ins Über-schwenglicheversteigendeVernunft(im transzenden-tenGebrauche)erfordert.

Wir könnenund sollendie Natur, so viel in unse-rem Vermögenist, in ihrer Kausalverbindungnachbloß mechanischenGesetzenderselbenin der Erfah-rung zu erforschenbemühetsein:dennin diesenlie-gen die wahrenphysischenErklärungsgründe,derenZusammenhangdie wissenschaftlicheNaturkenntnis

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Kant-W Bd. 10 49IX. Von der teleologischen Beurteilung

durch die Vernunft ausmacht.Nun finden wir aberunter den Produktender Natur besondereund sehrausgebreiteteGattungen,die einesolcheVerbindungder wirkendenUrsachenin sich selbstenthalten,derwir denBegriff einesZweckszumGrundelegenmüs-sen,wennwir auchnur Erfahrung,d.i. Beobachtungnacheinemihrer innerenMöglichkeit angemessenenPrinzip,anstellenwollen. Wollten wir ihre Formunddie Möglichkeit derselbenbloß nach mechanischenGesetzen,bei welchen die Idee der Wirkung nichtzum Grundeder Möglichkeit ihrer Ursache,sondernumgekehrtgenommenwerden muß, beurteilen, sowäreesunmöglich,von derspezifischenFormdieserNaturdingeauchnur einenErfahrungsbegriffzu be-kommen,der uns in denStandsetzte,ausder innernAnlage derselbenals Ursacheauf die Wirkung zukommen,weil die Teile dieserMaschinen,nicht sofern ein jeder für sich einenabgesonderten,sondernnur alle zusammeneinen gemeinschaftlichenGrundIhrer Möglichkeit haben,Ursachevon der an ihnensichtbarenWirkung sein. Da es nun ganzwider dieNatur physischmechanischerUrsachenist, daß dasGanzedie UrsachederMöglichkeit derKausalitätderTeilesei,vielmehrdiesevorhergegebenwerdenmüs-sen,um die Möglichkeit einesGanzendarauszu be-greifen; da ferner die besondereVorstellung einesGanzen,welchevor derMöglichkeit derTeilevorher-

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geht,einebloßeIdee ist und diese,wennsie als derGrund der Kausalitätangesehenwird, Zweck heißt:so ist klar, daß, wenn es dergleichenProduktederNaturgibt, esunmöglichsei,ihrerBeschaffenheitundderenUrsacheauchnur in der Erfahrungnachzufor-schen(geschweigesie durch die Vernunft zu erklä-ren), ohne sie sich ihre Form und Kausalität nacheinemPrinzipderZweckebestimmtsichvorzustellen.

Nun ist klar: daß, in solchenFällen, der BegriffeinerobjektivenZweckmäßigkeitderNaturbloßzumBehufder Reflexionüber dasObjekt, nicht zur Be-stimmung des Objekts durch den Begriff einesZwecks,dieneund dasteleologischeUrteil über dieinnereMöglichkeit einesNaturproduktsein bloß re-flektierendes,nicht ein bestimmendesUrteil sei. Sowird z.B. dadurch,daß man sagt, die KristalllinseAuge habeden Zweck, durch eine zweite Brechungder Lichtstrahlen die Vereinigung der aus einemPunkteauslaufendenwiederumin einenPunktaufderNetzhautdesAugeszu bewirken,nur gesagt,daßdieVorstellungeinesZwecksin derKausalitätderNaturbei HervorbringungdesAugesdarumgedachtwerde,weil einesolcheIdeezumPrinzipdient,die Nachfor-schungdesAuges,wasdasgenannteStückdesselbenbetrifft, dadurchzu leiten,imgleichenauchderMittelwegen,die manersinnenkönnte,umjeneWirkung zubefördern.Dadurchwird nun der Natur noch nicht

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Kant-W Bd. 10 51IX. Von der teleologischen Beurteilung

einenachderVorstellungvon Zwecken,d.i. absicht-lich wirkendeUrsachebeigelegt,welchesein bestim-mendesteleologischesUrteil, und, als ein solches,transzendentseinwürde, indemeseineKausalitätinAnregungbringt, die über die Naturgrenzenhinausliegt.

Der Begriff der Naturzweckeist also lediglich einBegriff derreflektierendenUrteilskraftzu ihremeige-nenBehuf, um der Kausalverbindungan Gegenstän-denderErfahrungnachzugehen.Durchein teleologi-schesPrinzip der Erklärung der Innern MöglichkeitgewisserNaturformenwird unbestimmtgelassen,obdie Zweckmäßigkeitderselbenabsichtlich, oder un-absichtlichsei. DasjenigeUrteil, welcheseinesvonbeidenbehauptete,würde nicht mehr bloß reflektie-rend,sondernbestimmendsein,undderBegriff einesNaturzweckswürde auchnicht mehr ein bloßerBe-griff der Urteilskraft, zumimmanenten(Erfahrungs-)Gebrauche,sondernmit einemBegriffeder Vernunft,voneinerüberdieNaturgesetztenabsichtlichwirken-denUrsache,verbundensein,dessenGebrauchtran-szendentist, manmagin diesemFallebejahend,oderauchverneinendurteilenwollen.

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Kant-W Bd. 10 51X. Von der Nachsuchung eines Prinzips der technischen

X. Von derNachsuchungeinesPrinzipsdertechnischenUrteilskraft

Wennzu dem,wasgeschieht,bloßderErklärungs-grundgefundenwerdensoll, sokanndieserentwederein empirischesPrinzip, oder ein Prinzip a priori,oderauchausbeidenzusammengesetztsein,wie manesandenphysisch-mechanischenErklärungenderEr-äugnissein derkörperlichenWelt sehenkann,die ihrePrinzipien zum Teil in der allgemeinen(rationalen)Naturwissenschaft,zum Teil auch in derjenigenan-treffen,welchedieempirischeBewegungsgesetzeent-hält. Das Ähnliche findet statt, wenn man zu dem,was in unsermGemütevorgeht,psychologischeEr-klärungsgründesucht,nurmit demUnterschiede,daß,so viel mir bewußtist, die Prinzipiendazuinsgesamtempirischsind, ein einziges,nämlichdasder Stetig-keit aller Veränderungen(weil Zeit, die nur eineDi-mensionhat, die formaleBedingungder innern An-schauungist) ausgenommen,welchesa priori diesenWahrnehmungenzumGrundeliegt, worausmanaberso gut wie gar nichts zum Behuf der Erklärungma-chenkann,weil allgemeineZeitlehrenicht sowie diereine Raumlehre(Geometrie)genugsamenStoff zueinerganzenWissenschafthergibt.

Würdeesalsodaraufankommen,zu erklären,wieDigitale Bibliothek Sonderband: Kant: Werke

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Kant-W Bd. 10 52X. Von der Nachsuchung eines Prinzips der technischen

das,waswir Geschmacknennen,unterMenschenzu-erstaufgekommensei,woherdieseGegenständevielmehrals anderedenselbenbeschäftigtenund dasUr-teil über Schönheitunter diesenoder jenenUmstän-den desOrts und der Gesellschaftin Ganggebrachthaben,durchwelcheUrsacheer bis zumLuxus habeanwachsenkönnenu. d. g., so würdendie PrinzipieneinersolchenErklärunggroßenTeils in derPsycholo-gie (daruntermanin einemsolchenFalle immer nurdie empirischeversteht)gesuchtwerdenmüssen.SoverlangendieSittenlehrervondenPsychologen,ihnendas seltsamePhänomendes Geizes,der im bloßenBesitzederMittel zumWohlleben(oderjederandernAbsicht) dochmit demVorsatze,nie einenGebrauchdavon zu machen,einen absolutenWert setzt,oderdie Ehrbegierde,die dieseim bloßenRufe,ohnewei-tereAbsicht zu finden glaubt,zu erklären,damit sieihre Vorschrift darnachrichtenkönnen,nicht dersitt-lichen Gesetzeselbst,sondernder WegräumungderHindernisse,die sich demEinflussederselbenentge-gensetzen;wobeimandochgestehenmuß,daßesmitpsychologischenErklärungen,in Vergleichung mitdenphysischensehrkümmerlichbestelltsei, daßsieohneEndehypothetischsind und man,zu drei ver-schiedenenErklärungsgründen,gar leicht einenvier-ten, ebenso scheinbarenerdenkenkann,und daßesdaher eine Menge vorgeblicherPsychologendieser

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Kant-W Bd. 10 53X. Von der Nachsuchung eines Prinzips der technischen

Art, welche von jeder Gemütsaffektionoder Bewe-gung, die in Schauspielen,dichterischenVorstellun-gen und von Gegenständender Natur erwecktwird,die Ursachenanzugebenwissen, und diesen ihrenWitz auchwohl Philosophienennen,die gewöhnlich-ste Naturbegebenheitin der körperlichenWelt wis-senschaftlichzu erklären,nicht allein keineKenntnis,sondernauch vielleicht nicht einmal die Fähigkeitdazublicken lassen.Psychologischbeobachten(wieBurkein seinerSchrift vomSchönenundErhabenen),mithin Stoff zu künftigensystematischzu verbinden-denErfahrungsregelnsammeln,ohnesiedochbegrei-fen zu wollen, ist wohl die einzigewahreObliegen-heit der empirischenPsychologie,welcheschwerlichjemalsauf den Rangeiner philosophischenWissen-schaftwird Anspruchmachenkönnen.

Wennaberein Urteil sich selbstfür allgemeingül-tig ausgibtund alsoauf Notwendigkeitin seinerBe-hauptungAnspruchmacht,somagdiesevorgegebeneNotwendigkeit auf Begriffen vom Objekte a priori,oderauf subjektivenBedingungenzu Begriffen,die apriori zumGrundeliegen,beruhen,sowärees,wennmaneinemsolchenUrteile dergleichenAnspruchzu-gesteht,ungereimt,ihn dadurchzu rechtfertigen,daßmandenUrsprungdesUrteils psychologischerklärte.DennmanwürdedadurchseinereigenenAbsichtent-gegenhandelnund, wenn die versuchteErklärung

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Kant-W Bd. 10 53X. Von der Nachsuchung eines Prinzips der technischen

vollkommengelungenwäre,so würde sie beweisen,daßdasUrteil aufNotwendigkeitschlechterdingskei-nen Anspruchmachenkann, ebendarum,weil manihm seinenempirischenUrsprungnachweisenkann.

NunsinddieästhetischenReflexionsurteile(welchewir künftig unterdemNamender Geschmacksurteilezergliedernwerden)von derobengenanntenArt. SiemachenaufNotwendigkeitAnspruchundsagennicht,daßjedermannso urteile – dadurchsie eineAufgabezur Erklärung für die empirischePsychologieseinwürden– sonderndaßmansourteilensolle, welchesso viel sagt,als: daßsie ein Prinzip a priori für sichhaben.Wäre die Beziehungauf ein solchesPrinzipnicht in dergleichenUrteilen enthalten,indemesaufNotwendigkeit Anspruchmacht, so müßteman an-nehmen,mankönnein einemUrteile darumbehaup-ten, es solle allgemeingelten,weil es wirklich, wiedie Beobachtungbeweiset,allgemeingilt, und umge-kehrt, daßdaraus,daßjedermannauf gewisseWeiseurteilt, folge, er solle auchso urteilen,welcheseineoffenbareUngereimtheitist.

Nun zeigt sich zwar an ästhetischenReflexionsur-teilen die Schwierigkeit,daßsie durchausnicht aufBegriffe gegründetund alsovon keinembestimmtenPrinzip abgeleitetwerdenkönnen,weil sie sonstlo-gisch wären;die subjektiveVorstellungvon Zweck-mäßigkeit soll aber durchaus kein Begriff eines

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Kant-W Bd. 10 54X. Von der Nachsuchung eines Prinzips der technischen

Zweckssein.Allein die Beziehungauf ein Prinzip apriori kann und muß doch immer noch statt finden,wo das Urteil auf Notwendigkeit Anspruch macht,von welchemund der Möglichkeit einessolchenAn-spruchshier auchnur die Redeist, indessendaßeineVernunftkritik ebendurch denselbenveranlaßtwird,nach dem zum Grunde liegenden obgleich unbe-stimmtenPrinzip selbstzu forschenund es ihr auchgelingenkann,esauszufindenundalsein solchesan-zuerkennen,welches dem Urteile subjektiv und apriori zum Grundeliegt, obgleich es niemalseinenbestimmtenBegriff vomObjekteverschaffenkann.

* * *

Ebenso mußmangestehen,daßdasteleologischeUrteil auf einemPrinzip a priori gegründetund ohnedergleichenunmöglichsei, ob wir gleich denZweckder Natur in dergleichenUrteilen lediglich durchEr-fahrungauffinden,und ohnediese,daßDinge dieserArt auchnur möglich sind, nicht erkennenkönnten.Das teleologischeUrteil nämlich,ob esgleich einenbestimmtenBegriff von einem Zwecke, den es derMöglichkeit gewisser Naturprodukte zum Grundelegt, mit der VorstellungdesObjektsverbindet(wel-ches im ästhetischenUrteil nicht geschieht), istgleichwohlimmernur ein Reflexionsurteilsowie das

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Kant-W Bd. 10 54X. Von der Nachsuchung eines Prinzips der technischen

vorige. Es maßtsich gar nicht an zu behaupten,daßin dieserobjektivenZweckmäßigkeitdie Natur (oderein anderesWesendurch sie) in der Tat absichtlichverfahre,d.i. in ihr, oder ihrer Ursache,der Gedankevon einemZweckedie Kausalitätbestimme,sonderndaß wir nur nachdieserAnalogie (VerhältnissederUrsachenund Wirkungen)die mechanischeGesetzeder Natur benutzenmüssen,um die Möglichkeit sol-cherObjektezuerkennenundeinenBegriff von ihnenzu bekommen,der jenen einen ZusammenhangineinersystematischanzustellendenErfahrungverschaf-fenkann.

Ein teleologischesUrteil vergleicht den BegriffeinesNaturproduktsnachdem, was es ist, mit demwas es sein soll. Hier wird der Beurteilung seinerMöglichkeit ein Begriff (vom Zwecke)zum Grundegelegt, der a priori vorhergeht.An ProduktenderKunst sich die Möglichkeit auf solcheArt vorzustel-len, machtkeineSchwierigkeit.Aber von einemPro-duktederNaturzu denken,daßesetwashatseinsol-len, undesdarnachzu beurteilen,ob esauchwirklichso sei, enthält schondie VoraussetzungeinesPrin-zips,welchesausderErfahrung(die danur lehrt,wasdieDingesind)nichthatgezogenwerdenkönnen.

Daß wir durch das Auge sehenkönnen,erfahrenwir unmittelbar,imgleichendieäußereundinwendigeStrukturdesselben,diedieBedingungendiesesseinen

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Kant-W Bd. 10 55X. Von der Nachsuchung eines Prinzips der technischen

möglichenGebrauchsenthalten,undalsodieKausali-tät nachmechanischenGesetzen.Ich kannmich aberaucheinesSteinsbedienen,um etwasdaraufzu zer-schlagen,oderdaraufzu bauenu.s.w.,unddieseWir-kungenkönnenauchals Zweckeauf ihre Ursachenbezogenwerden;aber ich kann darum nicht sagen,daßer zum Bauenhat dienensollen.Nur vom Augeurteile ich, daßeszumSehenhattauglichseinsollen,und, obzwardie Figur, die Beschaffenheitaller Teiledesselbenund ihre Zusammensetzung,nachbloßme-chanischenNaturgesetzenbeurteilt,für meineUrteils-kraft ganzzufällig ist, sodenkeich dochin derFormund in dem Bau desselbeneine Notwendigkeit,aufgewisseWeisegebildetzu sein,nämlichnacheinemBegriffe, der vor denbildendenUrsachendiesesOr-gansvorhergeht,ohnewelchendieMöglichkeitdiesesNaturproduktsnach keinem mechanischenNaturge-setzefür mich begreiflich ist (welchesder Fall beijenemSteinenicht ist). DiesesSollenenthältnuneineNotwendigkeit,welchesichvon derphysisch-mecha-nischen,nachwelchereinDing nachbloßenGesetzender(ohneeinevorhergehendeIdeedesselben)wirken-denUrsachenmöglichist, deutlichunterscheidet,undkann ebenso wenig durch bloß physische(empiri-sche)Gesetze,alsdie NotwendigkeitdesästhetischenUrteils durchpsychologische,bestimmtwerden,son-dernerfordertein eigenesPrinzip a priori in der Ur-

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Kant-W Bd. 10 56X. Von der Nachsuchung eines Prinzips der technischen

teilskraft, so fern sie reflektierendist, unterwelchemdasteleologischeUrteil stehtundworausesauchsei-nerGültigkeit undEinschränkungnachmußbestimmtwerden.

Also stehenalle Urteile über die ZweckmäßigkeitderNatur,siemögennunästhetischoderteleologischsein,unter Prinzipiena priori und zwar solchen,diederUrteilskrafteigentümlichundausschließlichange-hören,weil siebloßreflektierende,nichtbestimmendeUrteile sind. Ebendarumgehörensie auchunterdieKritik der reinenVernunft (in der allgemeinstenBe-deutunggenommen),welcher die letztern mehr, alsdie erstern,bedürfen,indemsie, sich selbstüberlas-sen,die Vernunft zu Schlüsseneinladen,die sich insÜberschwenglicheverlieren können,anstattdaß dieerstereneinemühsameNachforschungerfordern,umnur zu verhüten,daßsiesichnicht, selbstihremPrin-zip nachlediglich aufsEmpirischeeinschränkenunddadurchihreAnsprücheaufnotwendigeGültigkeit fürjedermannvernichten.

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Kant-W Bd. 10 56XI. Enzyklopädische Introduktion der Kritik der

XI. EnzyklopädischeIntroduktionderKritik derUrteilskraftin dasSystemderKritik derreinen

Vernunft

Alle EinleitungeinesVortragesist entwederdie ineine vorhabendeLehre oder der Lehre selbstin einSystem,wohin siealseinTeil gehört.Die ersteregehtvor derLehrevorher,die letzteresolltebillig nur denSchluß derselbenausmachen,um ihr ihre Stelle indemInbegriffederLehren,mit welchensiedurchge-meinschaftliche Prinzipien zusammenhängt,nachGrundsätzenanzuweisen.Jeneist eine propädeuti-sche, diesekann eine enzyklopädischeIntroduktionheißen.

Die propädeutischenEinleitungen sind die ge-wöhnlichen,alswelchezueinervorzutragendenLehrevorbereiten,indemsie die dazunötigeVorerkenntnisausandernschonvorhandenenLehrenoderWissen-schaftenanführen,um denÜbergangmöglichzu ma-chen.Wenn man sie darauf richtet, um die der neuauftretendenLehreeigenePrinzipien(domestica),vondenen,welche einer andernangehören(peregrinis),sorgfältigzu unterscheiden,so dienensie zur Grenz-bestimmungder Wissenschaften,einer Vorsicht, dienie zu viel empfohlenwerdenkann, weil ohne siekeineGründlichkeit,vornehmlichim philosophischen

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Kant-W Bd. 10 57XI. Enzyklopädische Introduktion der Kritik der

Erkenntnissezuhoffenist.Eine enzyklopädischeEinleitung aber setzt nicht

etwaeineverwandteundzu dersichneuankündigen-denvorbereitendeLehre,sonderndie IdeeeinesSy-stemsvoraus,welchesdurchjeneallererstvollständigwird. Da nun ein solchesnicht durch Aufraffen undZusammenlesendesMannigfaltigen,welchesmanaufdemWegederNachforschunggefundenhat,sondernnur alsdann,wennmandie subjektivenoderobjekti-ven Quellen einer gewissenArt von Erkenntnissenvollständiganzugebenim Standeist, durch den for-malenBegriff einesGanzen,derzugleichdasPrinzipeinervollständigenEinteilunga priori in sichenthält,möglich ist, so kannmanleicht begreifen,woheren-zyklopädische Einleitungen, so nützlich sie auchwären,dochsoweniggewöhnlichsind.

Da dasjenigeVermögen,wovonhier daseigentüm-liche Prinzipaufgesuchtunderörtertwerdensoll (dieUrteilskraft), von so besondererArt ist, daß es fürsich gar kein Erkenntnis(weder theoretischesnochpraktisches)hervorbringtund, unerachtetihres Prin-zipsa priori dennochkeinenTeil zur Transzendental-philosophie,alsobjektiverLehre,liefert, sondernnurdenVerbandzweierandererobernErkenntnisvermö-gen(desVerstandesund der Vernunft ausmacht):sokannesmir erlaubtsein,in derBestimmungderPrin-zipien einessolchenVermögens,daskeinerDoktrin,

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Kant-W Bd. 10 57XI. Enzyklopädische Introduktion der Kritik der

sondernbloß einer Kritik fähig ist, von der sonstüberall notwendigenOrdnung abzugehenund einekurze enzyklopädischeIntroduktion derselbenundzwarnicht in dasSystemderWissenschaftender rei-nenVernunft,sondernbloß in die Kritik aller a prioribestimmbarenVermögen des Gemüts, so fern sieuntersich ein Systemim Gemüteausmachen,voran-zuschickenund auf solche Art die propädeutischeEinleitungmit derenzyklopädischenzuvereinigen.

Die IntroduktionderUrteilskraft in dasSystemderreinen Erkenntnisvermögendurch Begriffe beruhetgänzlich auf ihrem transzendentalenihr eigentümli-chen Prinzip: daß die Natur der Spezifikation dertranszendentalenVerstandesgesetze(Prinzipien ihrerMöglichkeit alsNaturüberhaupt),d.i. in derMannig-faltigkeit ihrerempirischenGesetzederIdeeeinesSy-stemsder Einteilungderselbenzum Behuf der Mög-lichkeit der Erfahrungals empirischenSystemsver-fahre.– Diesesgibt zuerstdenBegriff einerobjektivzufälligen, subjektiv aber (für unser Erkenntnisver-mögen) notwendigen Gesetzmäßigkeit,d.i. einerZweckmäßigkeitder Natur,und zwar a priori, an dieHand.ObnunzwardiesesPrinzipnichtsin Ansehungder besondernNaturformenbestimmt, sonderndieZweckmäßigkeitderletzternjederzeitempirischgege-ben werdenmuß, so gewinnt doch das Urteil überdieseFormeneinenAnspruchaufAllgemeingültigkeit

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Kant-W Bd. 10 58XI. Enzyklopädische Introduktion der Kritik der

und Notwendigkeit, als bloß reflektierendesUrteil,durchdieBeziehungdersubjektivenZweckmäßigkeitder gegebenenVorstellung für die Urteilskraft aufjenesPrinzipderUrteilskraftapriori, von derZweck-mäßigkeitder Natur in ihrer empirischenGesetzmä-ßigkeitüberhaupt,undsowird einästhetischesreflek-tierendesUrteil auf einemPrinzip a priori beruhendangesehenwerdenkönnen(ob esgleichnicht bestim-mendist) und die Urteilskraft in demselbensich zueiner Stelle in der Kritik der oberenreinenErkennt-nisvermögenberechtigtfinden.

Da aber der Begriff einer ZweckmäßigkeitderNatur(alseinertechnischenZweckmäßigkeit,dievonderpraktischenwesentlichunterschiedenist), wennernicht bloße Erschleichungdessen,was wir aus ihrmachen, für das was sie ist, sein soll, ein vor allerdogmatischenPhilosophie(der theoretischensowohlalspraktischen)abgesonderterBegriff ist, dersichle-diglich auf jenemPrinzipderUrteilskraftgründet,dasvor den empirischenGesetzenvorhergehtund ihreZusammenstimmungzur Einheit eines Systemsderselbenallererstmöglichmacht,soist darauszu er-sehen,daßvon denzwei Arten desGebrauchsderre-flektierendenUrteilskraft (derästhetischenund teleo-logischen)dasjenigeUrteil, welchesvor allemBegrif-fe vom Objektevorhergeht,mithin dasästhetischere-flektierendeUrteil, ganzallein seinenBestimmungs-

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Kant-W Bd. 10 59XI. Enzyklopädische Introduktion der Kritik der

grundder Urteilskraft,unvermengtmit einemandernErkenntnisvermögen,habe,dagegendasteleologischeUrteil denBegriff einesNaturzwecks,ob er gleich indemUrteile selbstnur alsPrinzipderreflektierenden,nicht der bestimmendenUrteilskraft gebrauchtwird,dochnicht andersalsdurchVerbindungderVernunftmit empirischenBegriffen gefälletwerdenkann.DieMöglichkeit eines teleologischenUrteils über dieNatur läßt sich daherleicht zeigen,ohneihm ein be-sonderesPrinzip der Urteilskraft zum Grundelegenzu dürfen,denndiesefolgt bloßdemPrinzipderVer-nunft. Dagegendie Möglichkeit eines ästhetischenund dochauf einemPrinzip a priori gegründetenUr-teils der bloßenReflexion,d.i. einesGeschmacksur-teils, wenn bewiesenwerdenkann,daßdieseswirk-lich zum Ansprucheauf Allgemeingültigkeitberech-tigt sei,einerKritik derUrteilskraftalseinesVermö-gens eigentümlicher transzendentaler Prinzipien(gleich dem Verstandeund der Vernunft) durchausbedarf,undsichdadurchallein qualifiziert, in dasSy-stemderreinenErkenntnisvermögenaufgenommenzuwerden;wovonderGrundist, daßdasästhetischeUr-teil, ohneeinenBegriff von seinemGegenstandevor-auszusetzen,dennochihm Zweckmäßigkeitundzwarallgemeingültigbeilegt,wozu alsodasPrinzip in derUrteilskraftselbstliegenmuß,dahingegendasteleo-logischeUrteil einen Begriff vom Objekte,den die

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Kant-W Bd. 10 59XI. Enzyklopädische Introduktion der Kritik der

Vernunft unter das Prinzip der Zweckverbindungbringt, voraussetzt,nur daßdieserBegriff einesNa-turzwecksvon der Urteilskraft bloß im reflektieren-den,nichtbestimmendenUrteilegebrauchtwerde.

Es ist alsoeigentlichnur derGeschmackundzwarin Ansehungder GegenständederNatur, in welchemallein sich die Urteilskraft als ein Vermögenoffen-bart,welchesseineigentümlichesPrinziphatundda-durch auf eine Stelle in der allgemeinenKritik derobern ErkenntnisvermögengegründetenAnspruchmacht,den man ihr vielleicht nicht zugetrauethätte.Ist aberdasVermögender Urteilskraft, sich a prioriPrinzipienzu setzen,einmalgegeben,so ist es auchnotwendig,denUmfangdesselbenzubestimmen,undzu dieser Vollständigkeit der Kritik wird erfordert,daß ihr ästhetischesVermögen,mit dem teleologi-schenzusammen,als in einem Vermögenenthaltenund auf demselbenPrinzip beruhend,erkanntwerde,denn auch das teleologischeUrteil über Dinge derNaturgehört,ebensowohl alsdasästhetische,derre-flektierenden(nicht der bestimmenden)Urteilskraftzu.

Die Geschmackskritikaber,welchesonstnur zurVerbesserungoder Befestigung des Geschmacksselbst gebrauchtwird, eröffnet, wenn man sie intranszendentalerAbsicht behandelt,dadurch,daßsieeine Lücke im SystemunsererErkenntnisvermögen

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Kant-W Bd. 10 60XI. Enzyklopädische Introduktion der Kritik der

ausfüllt,eineauffallendeundwie michdünktviel ver-heißendeAussicht in ein vollständigesSystemallerGemütskräfte,so fern sie in ihrer BestimmungnichtalleinaufsSinnliche,sondernauchaufsÜbersinnlichebezogensind, ohnedoch die Grenzsteinezu verrük-ken, welcheeineunnachsichtlicheKritik demletzte-renGebrauchederselbengelegthat.EskannvielleichtdemLeserdazudienen,um denZusammenhangdernachfolgendenUntersuchungendestoleichterüberse-henzu können,daßich einenAbriß diesersystemati-schenVerbindung,derfreilich nur,wie diegegenwär-tige ganze Nummer, seine Stelle eigentlich beimSchlussederAbhandlunghabensollte,schonhierent-werfe.

Die VermögendesGemütslassensichnämlichins-gesamtauf folgendedrei zurückführen:

ErkenntnisvermögenGefühlderLustundUnlustBegehrungsvermögenDer Ausübung aller liegt

aber doch immer dasErkenntnisvermögen,ob zwarnicht immer Erkenntnis(denneine zum Erkenntnis-vermögengehörigeVorstellungkannauchAnschau-ung, reineoderempirische,ohneBegriffe sein),zumGrunde.Also kommen,so fern vom Erkenntnisver-mögennachPrinzipiendie Redeist, folgendeoberenebendenGemütskräftenüberhauptzustehen:

Erkenntnisvermögen-– – – – -Verstand

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Kant-W Bd. 10 61XI. Enzyklopädische Introduktion der Kritik der

GefühlderLustundUnlust-– – -UrteilskraftBegehrungsvermögen– – – – – VernunftEs findet sich, daßVerstandeigentümlichePrinzi-

piena priori für dasErkenntnisvermögen,Urteilskraftnur für dasGefühlderLustundUnlust,VernunftaberbloßfürsBegehrungsvermögenenthalte.Dieseforma-le PrinzipienbegründeneineNotwendigkeit,die teilsobjektiv, teils subjektiv, teils aberauchdadurch,daßsie subjektiv ist, zugleich von objektiver Gültigkeitist, nach dem sie, durch die nebenihnen stehendeobern Vermögen,die diesenkorrespondierendeGe-mütskräftebestimmen:

Erkenntnisvermögen – – – –Verstand – – –

Gesetzmäßigkeit

GefühlderLustundUnlust – – –Urteilskraft – – –

Zweckmäßigkeit

Begehrungsvermögen – – –Vernunft – – –

Zweckmäßigkeit,die zugleichGe-setzist (Verbindlichkeit)

Endlich gesellensich zu denangeführtenGründen

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Kant-W Bd. 10 61XI. Enzyklopädische Introduktion der Kritik der

a priori der Möglichkeit der Formenauchdiese,alsProduktederselben:

VermögendesGemüthsObereErkenntnisvermögen

Prinzipiena prioriProdukte

Erkenntnisvermögen–Verstand–

Gesetzmäßigkeit–Natur

GefühlderLustundUnlust–Urteilskraft–

Zweckmäßigkeit–Kunst

Begehrungsvermögen–Vernunft–

Zweckmäßigkeit,die zugleichGe-setztist (Verbindlichkeit)–

Sitten

Die Natur also gründet ihre GesetzmäßigkeitaufPrinzipiena priori desVerstandesalseinesErkennt-nisvermögens; die Kunst richtet sich in ihrer Zweck-

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mäßigkeita priori nachderUrteilskraft in Beziehungaufs Gefühl der Lust und Unlust; endlich die Sitten(als Produktder Freiheit)stehenunterder IdeeeinersolchenForm der Zweckmäßigkeit, die sich zum all-gemeinen Gesetzequalifiziert, als einem Bestim-mungsgrundeder Vernunft in AnsehungdesBegeh-rungsvermögens. Die Urteile, die auf dieseArt ausPrinzipiena priori entspringen,welchejedemGrund-vermögendesGemütseigentümlichsind,sindtheore-tische,ästhetischeundpraktischeUrteile.

So entdecktsich ein Systemder Gemütskräfte,inihrem Verhältnissezur Natur und der Freiheit,derenjede ihre eigentümliche,bestimmendePrinzipien apriori habenundumdeswillendie zweiTeilederPhi-losophie (die theoretischeund praktische)als einesdoktrinalen Systemsausmachen,und zugleich einÜbergangvermittelstder Urteilskraft, die durch eineigentümlichesPrinzipbeideTeileverknüpft,nämlichvon demsinnlichenSubstratderersternzumintelligi-belenderzweitenPhilosophie,durchdie Kritik einesVermögens(der Urteilskraft), welchesnur zum Ver-knüpfendientunddaherfür sichzwarkeinErkenntnisverschaffenoderzur Doktrin irgendeinenBeitraglie-fern kann,dessenUrteile aberunterdemNamenderästhetischen(derenPrinzipien bloß subjektiv sind),indemsie sich von allen, derenGrundsätzeobjektivsein müssen(sie mögennun theoretischoder prak-

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Kant-W Bd. 10 62XI. Enzyklopädische Introduktion der Kritik der

tisch sein), unter dem Namender logischenunter-scheiden,von so besondererArt sind, daßsie sinnli-cheAnschauungenauf eineIdeeder Natur beziehen,derenGesetzmäßigkeitohneein Verhältnisderselbenzu einem übersinnlichenSubstratnicht verstandenwerdenkann; wovon, in der Abhandlungselbst,derBeweisgeführtwerdenwird.

Wir werdendie Kritik diesesVermögensin Anse-hung der ersterenArt Urteile nicht Ästhetik(gleich-sam Sinnenlehre),sondernKritik der ästhetischenUrteilskraftnennen,weil dererstereAusdruckvonzuweitläuftigerBedeutungist, indemer auchdie Sinn-lichkeit der Anschauung, die zum theoretischenEr-kenntnisgehörtund zu logischen(objektiven)Urtei-lendenStoff hergibt,bedeutenkönnte,daherwir auchschon den Ausdruck der Ästhetik ausschließungs-weisefür dasPrädikat,wasin ErkenntnisurteilenzurAnschauunggehört, bestimmt haben.Eine Urteils-kraft aberästhetischzu nennen,darum,weil sie dieVorstellungeinesObjektsnicht auf Begriffe und dasUrteil alsonichtaufsErkenntnisbezieht(garnichtbe-stimmend,sondern nur reflektierend ist), das läßtkeineMißdeutungbesorgen;dennfür die logischeUr-teilskraft müssenAnschauungen,ob sie gleich sinn-lich (ästhetisch)sind,dennochzuvorzu Begriffener-hobenwerden,um zum ErkenntnissedesObjektszudienen,welchesbeiderästhetischenUrteilskraftnicht

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Kant-W Bd. 10 63XI. Enzyklopädische Introduktion der Kritik der

derFall ist.

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Kant-W Bd. 10 63XII. Einteilung der Kritik der Urteilskraft

XII. EinteilungderKritik derUrteilskraft

Die EinteilungeinesUmfangesvon ErkenntnissengewisserArt, umihn alsSystemvorstelligzumachen,hat ihre nicht gnug eingeseheneWichtigkeit, aberauchihre ebensooft verkannteSchwierigkeit.Wennman die Teile zu einemsolchenmöglichenGanzenschonals vollständig gegebenansieht,so geschiehtdie Einteilung mechanisch, zu Folge einer bloßenVergleichungund das Ganzewird Aggregat(unge-fähr sowie die Städtewerden,wenn,ohneRücksichtauf Polizei,ein Boden,untersichmeldendeAnbauer,nach jedesseinenAbsichten,eingeteilt wird). Kannund soll manaberdie Idee von einemGanzennacheinemgewissenPrinzipvor derBestimmungderTeilevoraussetzen,so muß die Einteilung szientifischge-schehen,undnuraufdieseArt wird dasGanzeeinSy-stem.Die letztereForderungfindet allemalstatt,wovon einemUmfangeder Erkenntnisa priori (die mitihrenPrinzipienauf einembesonderngesetzgebendenVermögendesSubjektsberuht)die Redeist, denndaist der UmfangdesGebrauchsdieserGesetzedurchdie eigentümlicheBeschaffenheitdiesesVermögens,darausaber auch die Zahl und das Verhältnis derTeile zu einemGanzender Erkenntnis,gleichfalls apriori bestimmt. Man kann aber keine gegründete

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Kant-W Bd. 10 64XII. Einteilung der Kritik der Urteilskraft

Einteilungmachen,ohnezugleichdasGanzeselbstzumachenund in allen seinenTeilen, obzwarnur nachder Regelder Kritik , vorhervollständigdarzustellen,welchesnachherin diesystematischeFormeinerDok-trin (wofernesin AnsehungderNaturdiesesErkennt-nisvermögensdergleichenüberhauptgebenkann) zubringennichtsalsAusführlichkeitderAnwendungaufdasBesondereund die Eleganzder Präzisiondamitzuverknüpfenerfordert.

Um nun eineKritik der Urteilskraft (welchesVer-mögengeradeein solchesist, das,obzwarauf Prinzi-pien a priori gegründet,doch niemalsden Stoff zueiner Doktrin abgebenkann) einzuteilen,ist die Un-terscheidungzumGrundezu legen,daßnicht die be-stimmende,sondernbloß die reflektierendeUrteils-kraft eigenePrinzipiena priori habe;daßdie ersterenur schematisch, unterGesetzeneinesandernVermö-gens (des Verstandes),die zweite aber allein tech-nisch(nacheigenenGesetzen),verfahreunddaßdemletzternVerfahrenein PrinzipderTechnikderNatur,mithin derBegriff einerZweckmäßigkeit,die mananihr apriori voraussetzenmuß,zumGrundeliege,wel-che zwar nach dem Prinzip der reflektierendenUr-teilskraft nur als subjektiv, d.i. beziehungsweiseaufdiesesVermögenselbstnotwendigvon ihm vorausge-setztwird, aberdoch auchden Begriff einer mögli-chenobjektivenZweckmäßigkeit,d.i. der Gesetzmä-

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Kant-W Bd. 10 64XII. Einteilung der Kritik der Urteilskraft

ßigkeitderDingederNaturalsNaturzwecke,bei sichführt.

EinebloßsubjektivbeurteilteZweckmäßigkeit,diesichalsoauf keinenBegriff gründet,noch,sofern alssiebloßsubjektivbeurteiltwird, gründenkann,ist dieBeziehungaufsGefühl der Lust und Unlust,und dasUrteil überdieselbeist ästhetisch(zugleichdie einzi-ge möglicheArt, ästhetischzu urteilen). Weil aber,wenn diesesGefühl bloß die SinnenvorstellungdesObjekts,d.i. die Empfindungdesselben,begleitet,dasästhetischeUrteil empirischist und zwar einebeson-dere Rezeptivität,aber keine besondereUrteilskrafterfordert,weil ferner,wenndiesealsbestimmendan-genommenwürde,einBegriff vonZweckezumGrun-de liegenmußte,die Zweckmäßigkeitalsoals objek-tiv nicht ästhetisch,sondernlogischbeurteiltwerdenmußte:sowird unterderästhetischenUrteilskraft,alseinembesondernVermögen,notwendigkeineandere,als die reflektierendeUrteilskraft, das Gefühl derLust (welchesmit der Vorstellung der subjektivenZweckmäßigkeiteinerlei ist) nicht als der Empfin-dung in einer empirischenVorstellung des Objekts,auchnichtalsdemBegriffedesselben,folglich nuralsder Reflexion und deren Form (die eigentümlicheHandlungder Urteilskraft), wodurchsie von empiri-schenAnschauungenzu Begriffen überhauptstrebt,anhängendund mit ihr nach einemPrinzip a priori

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Kant-W Bd. 10 65XII. Einteilung der Kritik der Urteilskraft

verknüpft, angesehenwerdenmüssen.Es wird alsodieÄsthetikderreflektierendenUrteilskrafteinenTeilderKritik diesesVermögensbeschäftigen,sowie dieLogik ebendesselbenVermögens,unterdemNamender Teleologie, den andernTeil derselbenausmacht.Bei beidenaberwird die Natur selbstals technisch,d.i. als zweckmäßigin ihren Produktenbetrachtet,einmal subjektiv, in Absicht auf die bloße Vorstel-lungsartdesSubjekts,in demzweitenFalle aberalsobjektiv zweckmäßigin Beziehungauf die Möglich-keit des Gegenstandesselbst. Wir werden in derFolgesehen:daßdieZweckmäßigkeitderFormin derErscheinungdie Schönheit, und dasBeurteilungsver-mögenderselbender Geschmacksei. Hierauswürdenunzu folgenscheinen,daßdie EinteilungderKritikder Urteilskraft, in die ästhetischeund teleologische,bloß die Geschmackslehreund physischeZwecks-lehre (der Beurteilungder Dinge der Welt als Natur-zwecke)in sichfassenmüßte.

Allein man kann alle Zweckmäßigkeit, sie magsubjektiv oder objektiv sein, in innere und relativeeinteilen,davondieersterein derVorstellungdesGe-genstandesansich,die zweitebloß im zufälligenGe-brauchederselbengegründetist. Diesemgemäßkanndie FormeinesGegenstandeserstlich schonfür sich,d.i. in der bloßenAnschauungohneBegriffe für diereflektierendeUrteilskraft als zweckmäßigewahrge-

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nommenwerden, und alsdennwird die subjektiveZweckmäßigkeitdemDingeundderNaturselbstbei-gelegt,zweitensmagdasObjekt für die Reflexionbeider Wahrnehmungnicht dasmindesteZweckmäßigezu BestimmungseinerForm an sich haben,gleich-wohl aberkanndessenVorstellung,auf einea prioriim SubjekteliegendeZweckmäßigkeit,zur ErregungeinesGefühlsderselben,(etwaderübersinnlichenBe-stimmungderGemütskräftedesSubjekts)angewandt,einästhetischesUrteil gründen,welchessichauchaufein (zwar nur subjektives)Prinzip a priori bezieht,abernicht, so wie daserstere,eine Zweckmäßigkeitder Natur in Ansehungdes Subjekts,sondernnureinen möglichenzweckmäßigenGebrauchgewissersinnlicherAnschauungenihrer Formnachvermittelstder bloß reflektierendenUrteilskraft. Wenn also daserstereUrteil denGegenständender Natur Schönheitbeilegt,daszweiteaberErhabenheitund zwar beidebloß durch ästhetische(reflektierende)Urteile, ohneBegriffe vom Objekt, bloß in Rücksichtauf subjek-tive Zweckmäßigkeit,so würdefür dasletzteredochkeine besondereTechnik der Natur vorauszusetzensein,weil esdabeibloßaufeinenzufälligenGebrauchder Vorstellung,nicht zumBehuf der ErkenntnisdesObjekts,sonderneinesandernGefühls,nämlichdemder innern Zweckmäßigkeitin der Anlage der Ge-mütskräfte,ankommt.Gleichwohl würde das Urteil

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überdasErhabenein derNaturvonderEinteilungderÄsthetik der reflektierendenUrteilskraft nicht auszu-schließensein,weil es aucheine subjektiveZweck-mäßigkeit ausdrückt,die nicht auf einem BegriffevomObjekteberuht.

Mit der objektivenZweckmäßigkeitder Natur,d.i.derMöglichkeit derDingealsNaturzwecke,worüberdasUrteil nurnachBegriffenvondiesen,d.i. nichtäs-thetisch(in BeziehungaufsGefühlderLust oderUn-lust) sondernlogisch gefället wird, und teleologischheißt, ist es ebenso bewandt.Die objektive Zweck-mäßigkeitwird entwederder innerenMöglichkeit desObjekts,oder der relativenMöglichkeit seineräuße-ren FolgenzumGrundegelegt.Im ersterenFalle be-trachtetdasteleologischeUrteil die VollkommenheiteinesDingesnacheinemZwecke,der in ihm selbstliegt (da das Mannigfaltige in ihm zueinandersichwechselseitigalsZweckundMittel verhält),im zwei-tengehtdasteleologischeUrteil überein Naturobjektnur auf dessenNützlichkeit, nämlichdie Übereinstim-mungzueinemZwecke,derin anderenDingenliegt.

Diesemgemäßenthältdie Kritik der ästhetischenUrteilskrafterstlichdieKritik desGeschmacks(Beur-teilungsvermögendesSchönen),zweitensdie KritikdesGeistesgefühls, dennso nenneich vorläufig dasVermögen,anGegenständeneineErhabenheitvorzu-stellen.– Weil die teleologischeUrteilskraftihreVor-

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stellung von Zweckmäßigkeitnicht vermittelst derGefühle,sonderndurchBegriffe auf denGegenstandbezieht,sobedarfeszuUnterscheidungderin ihr ent-haltenenVermögen,innerensowohl als relativen(inbeidenFällenaberobjektiverZweckmäßigkeit)keinerbesondernBenennungen;weil sie ihre Reflexiondurchgehendsauf Vernunft (nicht aufs Gefühl) be-zieht.

Noch ist anzumerken:daß es die Technik in derNatur und nicht die der Kausalitätder Vorstellungs-kräfte desMenschen,welcheman Kunst (in der ei-gentlichenBedeutungdesWorts)nennt,sei, in Anse-hungderenhier die Zweckmäßigkeitalsein regulati-ver Begriff der Urteilskraft nachgeforschtwird, undnicht das Prinzip der Kunstschönheitoder einerKunstvollkommenheitnachgesuchtwerde, ob mangleich die Natur, wenn man sie als technisch(oderplastisch)betrachtet,wegeneinerAnalogie,nachwel-cherihreKausalitätmit derderKunstvorgestelltwer-denmuß,in ihremVerfahrentechnisch,d.i. gleichsamkünstlichnennendarf.Dennesist um dasPrinzipderbloßreflektierenden,nicht derbestimmendenUrteils-kraft (dergleichenallen menschlichenKunstwerkenzumGrundeliegt) zu tun, bei deralsodie Zweckmä-ßigkeit als unabsichtlichbetrachtetwerdensoll, unddie alsonur der Natur zukommenkann.Die Beurtei-lung der Kunstschönheitwird nachherals bloßeFol-

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gerungausdenselbigenPrinzipien,welchedemUrtei-le überNaturschönheitzumGrundeliegen,betrachtetwerdenmüssen.

Die Kritik der reflektierendenUrteilskraft in Anse-hung der Natur wird also auszwei Teilen bestehen,ausderKritik desästhetischenundderdesteleologi-schenBeurteilungsvermögensderDingederNatur.

Der ersteTeil wird zwei Bücherenthalten,davondaserstedie Kritik desGeschmacksoderderBeurtei-lung desSchönen, daszweitedie Kritik desGeistes-gefühls(in der bloßenReflexion über einenGegen-stand)oderderBeurteilungdesErhabenenseinwird.

Der zweiteTeil enthältebensowohl zwei Bücher,davondaserstedie Beurteilungder Dinge als Natur-zwecke in Ansehungihrer innern Möglichkeit, dasandereaber das Urteil über ihre relative Zweckmä-ßigkeitunterPrinzipienbringenwird.

Jedesdieser Bücher wird in zweien AbschnitteneineAnalytikundeineDialektik desBeurteilungsver-mögensenthalten.

Die Analytik wird, in ebensovielenHauptstücken,erstlich die Expositionund danndie DeduktiondesBegriffs einerZweckmäßigkeitder Natur zu verrich-tensuchen.

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1 DiesereineundebendarumerhabeneWissenschaftscheint sich etwas von ihrer Würde zu vergeben,wennsiegesteht,daßsie,alsElementargeometrie,ob-zwarnur zwei,Werkzeugezur Konstruktionihrer Be-griffe brauche,nämlich den Zirkel und das Lineal,welche Konstruktion sie allein geometrisch,die derhöherenGeometriedagegenmechanischnennt,weilzu derKonstruktionderBegriffe der letzterenzusam-mengesetztereMaschinenerfodertwerden.Allein manverstehtauchunter den ersterennicht die wirklicheWerkzeuge(circinus et regula),welcheniemalsmitmathematischerPräzisionjeneGestaltengebenkönn-ten, sondernsie sollen nur die einfachsteDarstel-lungsartenderEinbildungskrafta priori bedeuten,derkein Instrumentesgleichtunkann.

2 Hier ist derOrt, einenFehlerzu verbessern,denichin der Grundl. zur Met. der Sitten beging. Denn,nachdemich von den Imperativender Geschicklich-keit gesagthatte,daßsienur bedingterweiseundzwarunterderBedingungbloßmöglicher,d.i. problemati-scher, Zwecke geböten,so nannte ich dergleichenpraktischeVorschriften problematischeImperativen,in welchemAusdruckfreilich ein Widerspruchliegt.

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Ich hätte sie technisch, d.i. Imperativender Kunstnennensollen. Die pragmatische, oder Regeln derKlugheit, welche unter der Bedingungeineswirkli-chenund so gar subjektiv-notwendigenZweckesge-bieten,stehennun zwar auchunter den technischen(dennwas ist Klugheit anders,als Geschicklichkeit,freieMenschenundunterdiesensogardieNaturanla-genund Neigungenin sich selbst,zu seinenAbsich-ten brauchenzu können).Allein daßder Zweck,denwir unsundandernunterlegen,nämlicheigeneGlück-seligkeit,nicht unterdie bloß beliebigenZweckege-höret,berechtigtzueinerbesondernBenennungdiesertechnischenImperativen:weil dieAufgabenichtbloß,wie bei technischen,die Art der Ausführung einesZwecks,sondernauchdie Bestimmungdessen,wasdiesenZweck selbst (die Glückseligkeit) ausmacht,fodert,welchesbeiallgemeinentechnischenImperati-venalsbekanntvorausgesetztwerdenmuß.

3 Die Möglichkeit einer Erfahrungüberhauptist dieMöglichkeit empirischerErkenntnisseals syntheti-scherUrteile. Sie kannalsonicht analytischausblo-ßen verglichenenWahrnehmungengezogenwerden(wie mangemeiniglichglaubt),denndie VerbindungzweierverschiedenenWahrnehmungenin demBegrif-fe einesObjekts(zum Erkenntnisdesselben)ist eineSynthesis, welchenicht andersabnachPrinzipiender

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synthetischenEinheit der Erscheinungen,d.i. nachGrundlätzen,wodurch sie unter die Kategorienge-brachtwerden,einempirischesErkenntnis, d.i. Erfah-rung möglich macht.DieseempirischeErkenntnissenunmachennachdem,wassienotwendigerweisege-meinhaben(nämlichjenetranszendentaleGesetzederNatur), eineanalytischeEinheit aller Erfahrungabernicht diejenigesynthetischeEinheitderErfahrungalseines Systemsaus, welche die empirischeGesetzeauchnachdemwassieVerschiedeneshaben(undwodie Mannigfaltigkeitderselbenins Unendlichegehenkann)untereinemPrinzipverbindet.WasdieKatego-rie in Ansehungjeder besonderenErfahrungist, dasist nundie ZweckmäßigkeitoderAngemessenheitderNatur (auchin Ansehungihrer besonderenGesetze)zu unseremVermögender Urteilskraft, wornachsienicht bloßalsmechanischsondernauchals technischvorgestelltwird; ein Begriff, der freilich nicht sowiedie Kategorie die synthetischeEinheit objektiv be-stimmt, aber doch subjektiv Grundsätzeabgibt, diederNachforschungderNaturzumLeitfadendienen.

4 DiesesPrinzip hat beim erstenAnblick gar nichtdasAnseheneinessynthetischenundtranszendentalenSatzes,sondernscheintvielmehrtautologischzu seinund zur bloßenLogik zu gehören.Denn dieselehrt,wie maneine gegebeneVorstellungmit andernver-

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gleichen,und dadurch,daß man dasjenige,was siemit verschiedenengemeinhat, als ein Merkmal zumallgemeinenGebrauchherauszieht,sicheinenBegriffmachenkönne.Allein, ob die Naturzu jedemObjektenochviele anderealsGegenständederVergleichung,die mit ihm in derFormmanchesgemeinhaben,auf-zuzeigenhabe,darüberlehrt sie nichts; vielmehr istdieseBedingungderMöglichkeit derAnwendungderLogik auf die Natur ein Prinzip der VorstellungderNatur, als einesSystemsfür unsereUrteilskraft, inwelchemdasMannigfaltige,in Gattungenund Arteneingeteilt,es möglich macht,alle vorkommendeNa-turformendurchVergleichungaufBegriffe(vonmeh-rerer oder mindererAllgemeinheit)zu bringen.Nunlehrt zwarschonder reineVerstand(aberauchdurchsynthetischeGrundsätze),alle Dinge der Natur als ineinemtranszendentalenSystemnachBegriffenaprio-ri (denKategorien)enthaltenzudenken;alleindieUr-teilskraft,die auchzu empirischenVorstellungen,alssolchen.Begriffesucht(die reflektierende),mußnochüberdemzudiesemBehufannehmen,daßdieNaturinihrer grenzenlosenMannigfaltigkeit einesolcheEin-teilung derselbenin Gattungenund Arten getroffenhabe,dieesunsererUrteilskraftmöglichmacht,in derVergleichungderNaturformenEinhelligkeitanzutref-fen und zu empirischenBegriffen, und demZusam-menhangederselbenuntereinander,durchAufsteigen

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zu allgemeinerngleichfallsempirischenBegriffen zugelangen:d.i. die Urteilskraft setzt ein SystemderNatur auch nach empirischenGesetzenvoraus unddiesesa priori, folglich durch ein transzendentalesPrinzip.

5 Auch die aristotelischeSchulenanntedie GattungMaterie,denspezifischenUnterschiedaberdieForm.

6 Man kann überhauptsagen:daßDinge durch eineQualität,die in jedeanderedurchdie bloßeVermeh-rung oderVerminderungihresGradesübergeht,nie-mals für spezifisch-verschiedengehalten werdenmüssen.Nun kommt es bei dem UnterschiedederDeutlichkeitundVerworrenheitderBegriffe lediglichauf den Grad desBewußtseinsder Merkmale,nachdem Maße der auf sie gerichtetenAufmerksamkeit,an,mithin ist soferneineVorstellungsartvon der an-dern nicht spezifischverschieden.Anschauungaberund Begriff unterscheidensich von einanderspezi-fisch; dennsie gehenin einandernicht über:dasBe-wußtseinbeider,und der Merkmalederselben,magwachsenoderabnehmen,wie eswill. DenndiegrößteUndeutlichkeit einer Vorstellungsartdurch Begriffe(wie z.B. des Rechts)läßt noch immer den spezifi-schenUnterschiedder letzternin AnsehungihresUr-sprungsim Verstandeübrig und die größteDeutlich-

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keit der Anschauungbringt diesenicht im mindestendenersterennäher,weil die letztereVorstellungsartinderSinnlichkeitihrenSitz hat.Die logischeDeutlich-keit ist auchvon der ästhetischenhimmelweitunter-schiedenund die letztere findet statt, ob wir unsgleich denGegenstandgar nicht durchBegriffe vor-stellig machen,das heißt, obgleich die Vorstellung,alsAnschauung,sinnlichist.

7 Es ist von Nutzen: zu Begriffen, welche man alsempirischePrinzipien braucht, eine transzendentaleDefinition zu versuchen,wenn man Ursachehat zuvermuten,daßsie mit demreinenErkenntnisvermö-gen a priori in Verwandtschaftstehen.Man verfährtalsdennwie derMathematiker,welcherdieAuflösungseinerAufgabe dadurchsehr erleichtert,daß er dieempirischeData derselbenunbestimmtläßt und diebloße Synthesisderselbenunter die AusdrückederreinenArithmetik bringt.Manhatmir aberwider einedergleichen Erklärung des Begehrungsvermögens(Krit. d. p. V., Vorrede Seite 16) den Einwurf ge-macht:daßes nicht als das Vermögen,durch seineVorstellungenUrsachevon der Wirklichkeit der Ge-genständedieser Vorstellungenzu sein, definiertwerdenkönne,weil bloßeWünscheauchBegehrun-genwären,von denenmansich dochselbstbeschei-det,daßsie ihre Objektenicht hervorbringenkönnen.

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Diesesbeweisetabernichts weiter, als daßes auchBestimmungendes Begehrungsvermögensgebe, dadiesesmit sichselbstim Widerspruchesteht:einzwarfür die empirischePsychologiemerkwürdigesPhäno-men (wie etwa die Bemerkungdes Einflusses,denVorurteile auf den Verstandhaben,für die Logik),welchesaberauf die Definition desBegehrungsver-mögensobjektiv betrachtet,was es nämlich an sichsei, ehe es irgend wodurch von seinerBestimmungabgelenktwird, nicht einfließenmuß.In derTat kannder Menschetwasaufslebhaftesteund anhaltendbe-gehren,wovon er dochüberzeugtist, daßer esnichtausrichtenkann,oderdaßeswohl garschlechterdingsunmöglichsei: z.B. dasGescheheneals ungeschehenzu wünschen,sehnsüchtigden schnellerenAblaufeineruns lästigenZeit zu begehren,u.s.w.Es ist auffür dieMoral einwichtigerArtikel, widersolcheleereundphantastischeBegehrungen,welchehäufigdurchRomanen,bisweilenauchdurchdiesenähnlichemy-stischeVorstellungenübermenschlicherVollkommen-heiten und fanatischer Seligkeit, genährt werden,nachdrücklichzu warnen.Aber selbstdie Wirkung,welchesolcheleereBegierdenund Sehnsuchten,diedas Herz ausdehnenund welk machen,aufs Gemüthaben,dasSchmachtendesselbendurchErschöpfungseinerKräfte,beweisengnugsam,daßdiesein derTatwiederholentlich durch Vorstellungen angespannt

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werden,umihr Objektwirklich zu machen,aberebensooft dasGemütin dasBewußtseinseinesUnvermö-genszurücksinkenlassen.Für die Anthropologieistes aucheinenicht unwichtigeAufgabezur Untersu-chung: warum wohl die Natur in uns zu solchemfruchtlosenKraftaufwande,als leere WünscheundSehnsuchtensind (welchegewißeinegroßeRolle immenschlichenLeben spielen), die Anlage gemachthabe.Mir scheintsie hierin, so wie in allen anderenStücken, ihre Anstalt weislich getroffen zu haben.Denn sollten wir nicht eher,als bis wir uns von derZulänglichkeit unseresVermögenszur Hervorbrin-gungdesObjektsversicherthätten,durchdieVorstel-lungdesselbenzurKraftanwendungbestimmtwerden,so würde diesewohl größtenteilsunbenutztbleiben.Denngemeiniglichlernenwir unsereKräfte nur ken-nen, dadurchdaß wir sie versuchen.Die Natur hatalso die Kraftbestimmungmit der Vorstellung desObjekts noch vor der Kenntnis unseresVermögensverbunden,welchesoftmalsebendurchdieseBestre-bung, welchedem Gemüteselbstanfangsein leererWunsch schien,allererst hervorgebrachtwird. Nunliegt esderWeisheitob, diesenInstinkt in Schrankenzu setzen,niemalsaberwird esihr gelingen,odersiewird esniemalsnur verlangen,ihn auszurotten.

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