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ZfR 0512 Herausgegeben im Auftrag der Deutschen Vereinigung für Religionsgeschichte von Christoph Auffarth Max Deeg Manfred Hutter Hubert Knoblauch Jörg Rüpke Begründet 1993 von Burkhard Gladigow Monika Horstmann Günter Kehrer Kurt Rudolph Hubert Seiwert Schriftleitung: Prof. Dr. Christoph Auffarth Universität Bremen Fachbereich 9 Religionswissenschaft / Religionspädagogik Badgasteiner Str. l D-28359 Bremen Bezugspreise und Verlag: Einzelheft: 26,00 €. Jahresabonnement: 47,00 €. Jahresabonnement für Studierende: 28,00 €. Jeweils zzgl. Porto. Die ZfR erscheint zweimal im Jahr. diagonal-Verlag Alte Kasseler Str. 43 D-35039 Marburg ISSN 0943-8610 ZfR Zeitschrift für Religionswissenschaft 13. Jahrgang 2005 Inhalt Hubert Knoblauch: Einleitung: Soziologie der Spiritualität 123 Beiträge Winfried Gebhardt; Martin Enge/brecht; Christoph Bochinger: Die Selbstermächtigung des religiösen Subjekts. Der »spirituelle Wanderer« als Idealtypus spätmodemer Religiosität 133 Monika Wohlrab-Sahr; Uta Karstein; Christine Schaumburg: »Ich würd' mir das offenlassen«. Agnostische Spiritualität als Annäherung an die »große Transzendenz« eines Lebens nach dem Tode 153 Michael Schetsche; Ina Schmied-Knittel: Zwischen Pragmatismus und Transzendenz. Außergewöhnliche Erfahrungen in der Gegenwart 175 Michael N. Ebertz: »Spiritualität« im Christentum und darüber hinaus. Soziologische Vermutungen zur Hochkonjunktur eines Begriffs 193 Buchbesprechungen 209 Summaries 228 Hubert Knoblauch Einleitung: Soziologie der Spiritualität Zur gegenwärtigen Spiritualität gehört (1) eine entschiedene Orientierung an den subjektiven Erfahrungen, die als besonders und herausragend gedeutet werden. (2) Quellen dieser Deutung sind vor allem in der alternativen Religiosität zu suchen, die sich aus den nicht hegemonialen (östlichen, archaischen, okkulten, mystischen etc.) Traditionen der Religion zusammensetzen. (3) Distanz zur Dogmatik religiöser Großorganisationen und eine Tendenz zum Anti-Institutionalismus verbinden sich mit (4) einer Betonung der religiösen Autonomie des Individuums und damit einem ausgeprägten weltanschaulichen Individualismus. Die Erfahrungsorientierung er- möglicht (5) eine Art der Ganzheitlichkeit, die die funktionale Differenziertheit für die Einzelnen wieder zusammenhängend deuten lässt. (6) Schließlich gibt es Hin- weise darauf, dass »Spiritualität« für die Handelnden selbst zu einem Alternativ- begriff für Religion wird. 1. Spiritualität ist zu einem Leitbegriff in der modernen Gegenwartsreligion gewor- den. Als Leitbegriff dient Spiritualität nicht nur den Experten für Religion. Der Begriff der Spiritualität hat so massiv Eingang in die Alltagssprache der Menschen gefunden, dass man sich des Eindrucks einer grundlegenden Veränderung der Re- ligion insgesamt nicht erwehren kann. So sieht etwa Zulehner in der Spiritualität »mehr als ein[en] Megatrend«l, und aus der angelsächsischen Perspektive sehen Heelas und Woodhead die Spiritualität sogar als eine Alternative zur Religion. Im letzteren Fall geht es um »those forms of religion that tell their followers to live their lives in conformity with external principles to the neglect of the cultivation of their unique subjective lives«. Dagegen bezeichnet Spiritualität für sie jene For- men, »that help people to live in accordance with the deepest, sacred dimension of their own unique lives.2 Beachtenswert ist ihre Beobachtung, dass die Religion schrumpfe, während die Spiritualität zunehme. Allerdings ist diese Beobachtung keineswegs besonders neu. Während die Un- terscheidung des innengeleiteten vom außengeleiteten Menschen in der Soziologie P. M. Zulehner (Hg.), Spiritualität - mehr als ein Megatrend, Ostfildern 2004. 2 P. Heelas; L. Woodhead u. a., The Spiritual Revolution. Why religion is giving way to spiri- tuality, London 2005. ZfR 13, 2005, 123-131

Einleitung: Soziologie der Spiritualität Inhalt · 124 Hubert Knoblauch spätestens auf Riesman zurückgeht3, folgt die Diagnose der Zunahme einer am Subjektiven orientierten Religion

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ZfR 0512

Herausgegeben im Auftrag der Deutschen Vereinigung für Religionsgeschichte von

Christoph Auffarth Max Deeg Manfred Hutter Hubert Knoblauch Jörg Rüpke

Begründet 1993 von

Burkhard Gladigow Monika Horstmann Günter Kehrer Kurt Rudolph Hubert Seiwert

Schriftleitung: Prof. Dr. Christoph Auffarth Universität Bremen Fachbereich 9 Religionswissenschaft / Religionspädagogik Badgasteiner Str. l D-28359 Bremen

Bezugspreise und Verlag: Einzelheft: 26,00 €. Jahresabonnement: 47,00 €. Jahresabonnement für Studierende: 28,00 €. Jeweils zzgl. Porto.

Die ZfR erscheint zweimal im Jahr.

diagonal-Verlag Alte Kasseler Str. 43 D-35039 Marburg

ISSN 0943-8610

ZfR Zeitschrift für Religionswissenschaft 13. Jahrgang 2005

Inhalt Hubert Knoblauch: Einleitung: Soziologie der Spiritualität 123

Beiträge

Winfried Gebhardt; Martin Enge/brecht; Christoph Bochinger: Die Selbstermächtigung des religiösen Subjekts. Der »spirituelle Wanderer« als Idealtypus spätmodemer Religiosität 133

Monika Wohlrab-Sahr; Uta Karstein; Christine Schaumburg: »Ich würd' mir das offenlassen«. Agnostische Spiritualität als Annäherung an die »große Transzendenz« eines Lebens nach dem Tode 153

Michael Schetsche; Ina Schmied-Knittel: Zwischen Pragmatismus und Transzendenz. Außergewöhnliche Erfahrungen in der Gegenwart 175

Michael N. Ebertz: »Spiritualität« im Christentum und darüber hinaus. Soziologische Vermutungen zur Hochkonjunktur eines Begriffs 193

Buchbesprechungen 209

Summaries 228

Hubert Knoblauch

Einleitung: Soziologie der Spiritualität

Zur gegenwärtigen Spiritualität gehört (1) eine entschiedene Orientierung an den subjektiven Erfahrungen, die als besonders und herausragend gedeutet werden. (2) Quellen dieser Deutung sind vor allem in der alternativen Religiosität zu suchen, die sich aus den nicht hegemonialen (östlichen, archaischen, okkulten, mystischen etc.) Traditionen der Religion zusammensetzen. (3) Distanz zur Dogmatik religiöser Großorganisationen und eine Tendenz zum Anti-Institutionalismus verbinden sich mit (4) einer Betonung der religiösen Autonomie des Individuums und damit einem ausgeprägten weltanschaulichen Individualismus. Die Erfahrungsorientierung er­möglicht (5) eine Art der Ganzheitlichkeit, die die funktionale Differenziertheit für die Einzelnen wieder zusammenhängend deuten lässt. ( 6) Schließlich gibt es Hin­weise darauf, dass »Spiritualität« für die Handelnden selbst zu einem Alternativ­begriff für Religion wird.

1.

Spiritualität ist zu einem Leitbegriff in der modernen Gegenwartsreligion gewor­den. Als Leitbegriff dient Spiritualität nicht nur den Experten für Religion. Der Begriff der Spiritualität hat so massiv Eingang in die Alltagssprache der Menschen gefunden, dass man sich des Eindrucks einer grundlegenden Veränderung der Re­ligion insgesamt nicht erwehren kann. So sieht etwa Zulehner in der Spiritualität »mehr als ein[en] Megatrend«l, und aus der angelsächsischen Perspektive sehen Heelas und Woodhead die Spiritualität sogar als eine Alternative zur Religion. Im letzteren Fall geht es um »those forms of religion that tell their followers to live their lives in conformity with external principles to the neglect of the cultivation of their unique subjective lives«. Dagegen bezeichnet Spiritualität für sie jene For­men, »that help people to live in accordance with the deepest, sacred dimension of their own unique lives.2 Beachtenswert ist ihre Beobachtung, dass die Religion schrumpfe, während die Spiritualität zunehme.

Allerdings ist diese Beobachtung keineswegs besonders neu. Während die Un­terscheidung des innengeleiteten vom außengeleiteten Menschen in der Soziologie

P. M. Zulehner (Hg.), Spiritualität - mehr als ein Megatrend, Ostfildern 2004. 2 P. Heelas; L. Woodhead u. a., The Spiritual Revolution. Why religion is giving way to spiri­

tuality, London 2005.

ZfR 13, 2005, 123-131

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spätestens auf Riesman zurückgeht3, folgt die Diagnose der Zunahme einer am Subjektiven orientierten Religion dem Muster der schon von Luckmann prognosti­zierten »Unsichtbaren Religion«.4 In der Tat könnte man die Ausweitung der Spiri­tualität als eine Ausprägung dessen ansehen, was Luckmann auch als die »Sozial­form der privatisierten Religion« bezeichnet. Allerdings kann diese Aussage nur im Konjunktiv stehen, da wir bislang - von wenigen Ausnahmen abgesehens - noch viel zu wenig darüber wissen, was diese Spiritualität denn eigentlich ausmacht.

Aus diesem Grunde widmet sich dieses Sonderheft der Klärung der gegenwär­tigen Spiritualität. Das Ziel dieses Heftes ist es nicht nur, empirische Daten zu die­sem Phänomen aus dem deutschsprachigen Raum vorzustellen. Das Ziel dieses Heftes besteht auch darin, genauere begriffliche Vorstellungen von dem zu be­kommen, was wir aus der Sicht der sozialwissenschaftlichen Beobachter von Reli­gion als Spiritualität bezeichnen können. Aus diesen beiden Gründen ist das Heft denn auch »Soziologie der Spiritualität« überschrieben. In dieser Einleitung möchte ich einige soziologische Merkmale der gegenwärtigen Spiritualität heraus­stellen. Diese Merkmale stützen sich auf die hier versammelten, vorwiegend qua­litativen Beiträge.6 Da insbesondere die standardisiert-quantitative empirische For­schung zu diesem Thema nach wie vor unbefriedigend bleibt, dürfen die folgenden Bemerkungen durchaus auch als Thesen verstanden werden, die Anregungen zur Diskussion und zur zukünftigen Forschung geben sollen.

II.

Schon Troeltsch hat das Phänomen der Spiritualität unter dem Titel des Spiritua­lismus behandelt. Den Spiritualismus rechnete er einer eigenen Form der religiö­sen Vergemeinschaftung zu, die er »Mystik« nannte. »Die Mystik ist die Verinner­lichung und Unmittelbarmachung der in Kult und Lehre verfestigten Ideenwelt zu einem rein persönlich-innerlichen Gemütsbesitz, wobei nur fließende und ganz persönlich bedingte Gruppenbildungen sich sammeln können, im übrigen Kultur, Dogma und Geschichtsbeziehung zur Verflüssigung neigen.«7 Fügt man die »Er­bauung der Seelen« hinzu, erfasst Troeltsch hier schon die wesentlichen soziologi­schen Merkmale der Mystik und, wenn diese Übertragung erlaubt ist, der Spiritua­lität, und er formuliert sie im Rahmen einer epochalen These: Im Unterschied zu

3 D. Riesman; R. Denney; N. Glazer, The Lonely Crowd, New Haven 1950. Bezeichnend ist, dass sich Riesman bei der Innenleitung noch auf das an Pflicht-Werten orientierte Individuum bezieht.

4 Th. Luckmann, Die unsichtbare Religion, Frankfurt a. M. 52005. 5 Hervorzuheben ist insbesondere die grundlegende Studie von Ch. Bochinger, >New Age< und

moderne Religion, Gütersloh 1994, die sich eingehend mit 'Ciem Begriff der Spiritualität beschäftigt.

6 Ich habe diese Merkmale ausführlicher in dem Beitrag »Soziologie der Spiritualität« erläu­tert, der in dem von Karl Baier herausgegebenen Sammelband Spiritualität (Arbeitstitel) in Darmstadt erscheinen wird.

7 E. Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, 2 Bände, Tübingen 1994 (11912), 967.

Einleitung: Soziologie der Spiritualität 125

Weber stellte Troeltsch nämlich die Mystik gleichberechtigt neben die Kirche und die Sekte und erklärt sie damit zu einer eigenständigen Form der Religion.

Die so angesprochenen Merkmale der Mystik werden in geradezu paradigmati­scher Weise von Winfried Gebhardt, Martin Engelbrecht und Christoph Bochinger als Kennzeichen der Spiritualität herausgestellt. Sie berichten aus einem DFG­Projekt, das sich die, wie sie zu Recht bemerken, längst fällige Frage stellt, wie ei­gentlich die gegenwärtige individualisierte, also »unsichtbare Religion« empirisch aussieht. Nach einer Erläuterung der empirischen Vorgehensweise, die eine er­staunliche Empirie-Resistenz theologischer Deutungen kritisiert, erläutern sie die besondere Form der Religiosität, auf die sie in ihrer empirischen Arbeit gestoßen sind - eine Form, die sie zwar keineswegs zum »Mainstream« zählen wollen, die aber gleichsam idealtypisch das beinhaltet, was an neuer Religiosität sowohl in den Kirchen wie auch außerhalb zu finden ist: der spirituelle Wanderer. Das spiri­tuelle Wandern zeichnet sich zum einen durch die pluralistische (»weite«) Grund­überzeugung aus, dass es viele Wege zur Wahrheit gibt. Zum zweiten steht diese Spiritualität in einer gewissen »mutigen« Opposition zu den als »eng« empfunde­nen Praktiken der Kirche und ihren Lehren (also der Theologie).

(1) Als wesentliches und damit erstes Element der. gegenwärtigen Spiritualität gilt zweifellos die Eifahrungsorientierung. Dabei sollten die besonderen Assozia­tionen, die der Begriff der Erfahrung religions- und geistesgeschichtlich weckt, nicht als Grund gelten, ihn zurückzuweisen. Denn der Begriff spielt im Vokabular der religiösen Akteure eine große Rolle. Deswegen scheint es auch sinnvoll, diesen~ wie man sagen könnte: Akteursbegriff als Ausgangspunkt für weitere Konzeptio­nalisierungen zu nehmen, die wissenschaftlich anschlussfähig sind. s Erfahrungen sind ja keineswegs nur alltags- bzw. objektsprachliche Gebilde, sondern bilden ein zentrales Konzept der Wissenschaft - der empirischen Wissenschaft allzumal. Deswegen erscheint die Behauptung paradox, dass sich Erfahrungen der soziologi­schen empirischen Analyse entzögen - auch wenn es sich um »religiöse« Erfah­rungen handelt.9 Wie die verschiedenen Beiträge in diesem Band zeigen, eignet sich insbesondere das phänomenologische Konzept der Erfahrungstranszendenzen zur Bestimmung dessen, was man Spiritualität nennt. Da dieses Konzept grundle­gend ist, aber auch häufig missverstanden wird, möchte ich es hier kurz erläutern.

Der Begriff der Erfahrungstranszendenz bezieht sich auf diejenigen Aspekte menschlichen Erfahrens, die das übersteigen, was sich in der Unmittelbarkeit des Erfahrens selbst präsentiert.10 Eine solche Transzendenz tritt schon dann auf, wenn wir im Erfahren und Handeln mit zeitlich und räumlich nicht unmittelbar Erfahrba-

8 Zu den methodologischen Hintergründen dieser Unterscheidung zwischen Konstrukten erster (alltäglicher) und zweiter (wissenschaftlicher) Ordnuhg vgl. H. Knoblauch, Qualitative Reli­gionsforschung, Paderborn 2003 , 30 ff.

9 Das behaupten A. Nassehi; I. Saake, »Die Religiosität religiöser Erfahrung«, in: Pastoral­theologie 93, 2004, 64-81.

10 Diese Vorstellung einer Unmittelbarkeit des Erfahrens ist durchaus »metaphysisch«, wie Derrida in seiner Kritik an Husserl sehr richtig herausgestellt hat. Allerdings verwechselt Derrida die Adressaten der Kritik: Husserls und vor allem Schütz' These ist ja - in meinen Augen - nicht, dass diese Erfahrung »objektiv« unmittelbarer sei, sondern dass diese Unmit­telbarkeit eine Setzung der »natürlichen Einstellung« ist, in der wir alltäglich leben. Vgl. J. Derrida, Die Stimme und das Phänomen, Frankfurt a. M. 1979.

126 Hubert Knoblauch

rem konfrontiert werden. So haben wir es bei Erinnerungen, Zukunftsplänen und -ängsten, Wirkungen von Ursachen, die nicht unmittelbar zugänglich sind, oder Zielen, die wir nur durch technologische Mittel erreichen können, mit »kleinen Transzendenzen« zu tun. Der Umgang mit anderen Akteuren, denen wir Intentio­nalität zuschreiben, stellt eine mittlere Transzendenz dar. Der Unterschied zwi­schen beiden hat eine deutlich pragmatische Dimension. Denn während wir kleine Transzendenzen prinzipiell wenigstens in einigen Fällen selbst überwinden können (wir bewegen uns zum Ursachenherd, wir warten ab und sehen dann, was geschieht), sind die Bewusstseinsvorgänge der anderen Subjekte uns nie so zugänglich wie unsere eigenen. Sie sind immer nur mittelbar, also durch Kommunikation, zu er­schließen. Diese Erfahrungen könnten auch als Erfahrungen der Selbsttranszen­denz bezeichnet werden, wie Joas vorschlägt, doch hat dieser Vorschlag zur Folge, Transzendenzerfahrungen generell auf das Transzendieren des Selbst zu reduzieren - also eine deutliche Verkürzung der Transzendenzvorstellung.11

Beide Transzendenzen kennzeichnen das, was Schütz und Luckmann als die Lebenswelt des Alltags bezeichnen, in dem wir in die Umwelt hinein wirken·, auf Alter Egos hin handeln und mit ihnen kommunizieren.12 Es gibt jedoch Erfahrun­gen, die auch diesen Alltag überschreiten. »Solche Erfahrungen reichen von der Hilflosigkeit im Angesicht unkontrollierbarer natürlicher Ereignisse bis zum Wis­sen um den Tod. Sie werden regelmäßig von Angst oder Ekstase[ ... ] begleitet. Er­fahrungen dieser Art werden in aller Regel als unmittelbare Äußerungen der Wirk­lichkeit des sakralen Bereichs aufgefasst«.13 Erfahrungen großer Transzendenzen bilden die Grundlage für das, was wir religiös nennen, sind jedoch nicht per se schon Religion. Ein Beispiel dafür sind etwa ästhetische Erfahrungen, die ja schon seit der klassischen Antike durch große Transzendenzen (durch »geniale Einge­bung«) erklärt werden. Erst dort, wo sie mit einer Deutung verbunden sind, die eine Trennung von Alltag und anderen Wirklichkeiten (häufig als Trennung von Sakralem und Profanem) vollzieht, können wir in einem engeren Sinne von Reli­gion und dann auch von religiösen Erfahrungen sprechen. Diese Unterscheidung zwischen Transzendenzerfahrungen und Deutungen der Transzendenz als religiös muss entschieden betont werden, da sie offenbar gerade für die Kennzeichnung der Spiritualität von Bedeutung ist.14

11 Vgl. H. Joas, Braucht der Mensch Religion? Über Erfahrungen der Selbsttranszendenz, Frei­burg 2004, 16 f. Gerade der Spiritualität geht es meist nicht um eine sozialmoralische Selbst­tr~nszendenz, die große Transzendenz ist häufig nicht das Fremde, Andere, sondern das (»mnere«) Ich selbst. Joas führt in der Tat auch Beispiele an, die dem Muster der drei Tran­szendenzen folgen - und er betont deren anthropologische Grundlegung. Es bleibt jedoch er­klärungsbedürftig, warum er die Quelle dieser Transzendenztheorie nicht einmal in den Fuß­noten zitiert.

12 Die Lebenswelt des Alltags ist also gleichsam eine handelnd und kommunizierend stabili­sierte Einstellung (die wir sehr häufig verlassen). Vgl. A. Schütz; Th. Luckmann, Strukturen der Lebenswelt II, Frankfurt a. M. 1979.

13 Vgl. Th. Luckmann, Die unsichtbare Religion„., 96. 14 An_ dieser Stelle weiche ich von der Luckmannschen Interpretation ab. Ich habe diese Ab­

weic_hung ausführlicher erläutert in: H. Knoblauch, »Die Soziologie religiöser Erlahrung«, in: F. Ricken (Hg.), Religiöse Erfahrung. Ein interdisziplinärer Klärungsversuch, Stuttgart 2004 69-80. ,

Einleitung: Soziologie der Spiritualität 127

Dies wird gleich an zwei Beiträgen zu diesem Band deutlich: Michael Schetsche und Ina Schmied-Knittel berichten aus einem umfassenden quantitativ-qualitativen Forschungsprojekt über außergewöhnliche Erfahrungen. Außergewöhnlich bezieht sich auf Erfahrungsformen wie W ahrträume, außersinnliche Wahrnehmungen, Spuk oder UFO-Sichtungen. Ihre breit angelegte Umfrage findet bei 51 Prozent der Be­völkerung solche Erfahrungen. Die soziologische Analyse dieser Erfahrungen zei­tigt - abgesehen von deutlichen Geschlechter- und Alterseffekten - keine weiteren bedeutenden sozialstrukturellen Einflüsse. Für die Frage nach den Ausprägungen der Spiritualität ist jedoch folgenreich, dass diese außergewöhnlichen Erfahrungen in der Regel »ohne besondere religiöse oder spirituelle Legitimierungen« aus­kommen. Schetsche und Schmied-Knittel reden denn auch von »Alltagswundern«, um darauf hinzuweisen, dass die Betroffenen bei der Deutung dieser Erfahrungen kaum auf die transzendenten Qualitäten dieser Erfahrung hinweisen, sondern es im Rahmen eines wissenschaftlichen Weltbildes - wenn auch in einer von der Stan­dardwissenschaft devianten Weise - erklären.15

Ganz offensichtlich· haben wir es hier mit Erfahrungen der großen Transzen­denz zu tun. Allerdings - und das ist bezeichnend für die zu treffende Unterschei­dung - werden in diesem Falle diese Transzendenzerfahrungen nicht als jensei~ig, sondern als diesseitig gedeutet.16 Allerdings erwähnen Schetsche und Schmied auch einzelne Fälle »religiöser Deutung«, so dass wir es hier offenbar mit einer Alternative zu tun haben. Der Konflikt zwischen diesen zwei Deutungsarten von Transzendentem zeigt sich auch in einem zweiten Beitrag zu diesem Sonderheft.

Anhand von Interviews mit ostdeutschen Familien entwickeln Monika Wohl­rab-Sahr, Uta Karstein und Christine Schaumburg das Konzept einer »agnostischen Spiritualität«. Der Kern dieser Spiritualität besteht darin, dass der Bezug auf eine Transzendenz auf eine Weise aufrechterhalten wird, die eine inhaltliche Füllung vermeidet. Es wird also sozusagen die Möglichkeit einer großen Transzendenz eingeräumt, ohne dass eine bestimmte - etwa die christliche - ~assung dies~r Transzendenz akzeptiert wird. So leer dieser Deutungsraum auch bleibt - selbst die Atheisten leugnen nicht das Vorkommen von Transzendenzerfahrungen. Als Evi­denz gelten ihnen Übersinnliches, Todesnäheerlebnisse, Wiedergeburtsvorstellun-gen und Science Fiction. .

Wollte man die Deutungen der Transzendenz von den Erfahrungen unterschei­den, könnte man - wie dies schon Berger und Luckmann taten - diese Deutungen als Legitimationen bezeichnen, mit denen solche Erfahrungen in symbolische Wirk­lichkeiten (z.B. Kunst, Religion) eingegliedert werden.17 Andere Autoren schlagen vor, hier von Semantiken, Diskursen oder symbolischer Kommunikation zu reden.

15 Die Differenz zwischen Erfahrungen und Deutungen wird noch deutlicher, wenn man sieht, dass solche »paranormalen« Erfahrungen auch eindeutig religiös gedeutet werden können. Vgl. dazu B. Schnettler, Zukunftsvisionen. Transzendenzerfahrung und Alltagswelt, Konstanz 2004, 201 ff.

16 Wir sehen also dass sich die Unterscheidungen der Transzendenz und die von Säkularem und Profanem ~icht decken - ein Problem, auf das ich in der »Soziologie der Spiritualität« näher eingehe (vgl. Fußnote 1).

17 P. Berger; Th. Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichk_e!t, F~ankfurt a. M. 1970; Berger und Luckmann unterscheiden verschiedene Ebenen der Leg1umat10n, von denen hier die vierte gemeint ist.

128 Hubert Knoblauch

Welche Bezeichnung wir auch immer für diese Deutungen verwenden, sollte doch erkennbar sein, dass die Spezifik des Spirituellen weniger (oder wenigstens keineswegs wesentlich) an der Substanz der Erfahrung selbst als an der kulturellen Deutung dieser Erfahrung festzumachen ist.

(2) Die symbolischen Deutungen der gegenwärtigen spirituellen Erfahrungen zehren zwar aus vielfachen Quellen. Über all die Verschiedenheit hinweg lässt sich aber doch eine grobe Gemeinsamkeit dieser Quellen ausmachen. So ist der breite Strom der nicht- oder marginal-christlichen Spiritualität in westlichen Gesell­schaften gekennzeichnet durch das, was man als alternative Religiosität bezeichnen könnte. Von alternativ rede ich, weil die religiösen Quellen spiritueller Bewegun­gen für die Akteure erkennbar nicht zum »herrschenden« Kanon der Religion in westlichen Gesellschaften zählen, zugleich aber im kollektiven Gedächtnis als »religiös« markiert sind. Dabei kann es sich um Wiederbelebungen keltischer oder germanischer Rituale, um eine Aufnahme indianischer schamanistischer Techniken oder um die Adaption asiatischer Meditationstechniken handeln. (Auch im west­lichen Raum etablierte, etwa psychologische Wissenstraditionen, die traditionell nicht als religiös angesehen werden, können in diesen Bewegungen religiös umge­deutet werden, wie etwa in der so genannten »Human-Potential«-Bewegung.) Eine besondere Rolle spielen religiös-medizinische Techniken, wie etwa Yoga oder Ayurveda. Auch die lange Zeit unterdrückten Formen des hiesigen Aberglaubens werden in einer reflexiv modernisierten Form neu belebt. Dasselbe gilt für den damit sich überschneidenden Okkultismus, die Magie und die Esoterik. Die alter­native Religiosität breitete sich zunächst in der New-Age-Bewegung18 auf eine po­puläre Weise aus. Dass der Titel des New Age (der irreführend ist, weil er einen Millenarismus unterstellt, den viele der dazu gerechneten Bewegungen gar nicht teilen) allmählich aus der Öffentlichkeit verschwunden ist, hat zu keinem Einbruch dieser Form der Spiritualität geführt. Vielmehr scheint es, als sei sie in einer weni­ger auffälligen Weise durch vorwiegend populärkulturell geprägte Mittel über Mas­sen und Markt in die Breite der Gesellschaft diffundiert worden, so dass sie heute gar nicht mehr als »alternativ« erkennbar ist.19

Solche »alternative Religiosität« findet sich auch im christlichen Raum. Hier wurden nämlich sozusagen marginale und nicht-hegemoniale Lehren herausge­pickt, wie etwa die Mystik der Hildegard von Bingen oder jesuitische Annäherun­gen an den Zen-Buddhismus - wenn nicht, wie der Beitrag von Winfried Gebhardt, Martin Engelbrecht und Christoph Bochinger zeigt - auch in den Kirchen auf die Formen außerchristlicher alternativer Religiosität zurückgegriffen wird.

(3) Ein drittes, schon seit Troeltsch bekanntes Merkmal der Mystik, das, wie die hier vorliegenden Arbeiten deutlich machen, auf die gegenwärtige Spiritualität zutrifft, ist die mit der Neigung zu alternativen Formen zur Religiosität verknüpfte Distanz zur Dogmatik und eine ausgeprägte Tendenz zum Anti-Institutionalismus. Große Institutionen gelten der Spiritualität als verdächtig, und so neigt man (auch

18 Wie Bochinger ja sehr genau zeigt, ist diese Bewegung geradezu paradigmatisch für die neue Spiritualität. Vgl. Ch. Bochinger, >New Age<.„

19 Man muss die Diffusion, also die Verbreitung über Markt und Medien, deutlich von der Dis­persion unterscheiden. Zur Dispersion vgl. H.-J. Höhn, »Auf dem Weg in eine postsäkulare Kultur?«, in: P. Zulehner (Hg.), Spiritualität„., 15-28.

Einleitung: Soziologie der Spiritualität 129

geprägt vom »Netzwerk-Begriff« des New Age) dazu, größere Organisationen zu vermeiden oder dort »Events« zu bevorzugen. Eine Folge davon ist, dass sich die gegenwärtige Spiritualität gerade im mitteleuropäischen Raum mehr und mehr über die Medien und Märkte der Populärkultur ausdehnt.20

(4) Während der Begriff der Religion (oder auch Religiosität) eine deutliche Orientierung an spezifischen, institutionell festgelegten Vorgaben besonderer reli­giöser Lehren und Liturgien sowie die Anerkennung der Legitimität eines beson­deren religiösen Personals suggeriert, scheint die Spiritualität in all ihrer synkretis­tischen Beliebigkeit ihre Begründung nicht im Sozialen, sondern im Subjekt selbst zu suchen. Sie ist also in ihrem Kern individualistisch. Damit trifft sie einen We­senskern der spätmodernen Weltanschauung und ihrer Forderung nach Authentizi­tät, wie sie insbesondere von Giddens skizziert wurde.21 Die spirituelle Ausprägung dieser Forderung besteht in der zunehmenden Tendenz von Gesellschaftsmitglie­dern, die eigenen Transzendenzerfahrungen als Quelle, Evidenz- und >Güte<-krite­rium der eigenen Religion anzusehen. Spiritualität verlegt den Grund für den Glau­ben ins eigene »Ich«.

Trotz der (wenn man so will) weltanschaulichen Betonung der Individualität sollte man nicht auf einen strukturellen Individualismus kurzschließen. Denn Spiri­tualität wird vielfach in Gemeinschaft hergestellt. Dabei muss es sich nicht nur um die kleinen »vertrauten Kreise« handeln, in denen sich lokale charismatische Grup­pen treffen. Es kann sich auch um große und richtiggehend kirchliche »Events« handeln, die als spirituell gelten, weil sie besondere Erfahrungen ermöglichen: Taize-Treffen, Papstbesuche oder Weltjugendtreffen. Man könnte deswegen sagen, dass es der Spiritualität nicht um die soziale Autonomie des Individuums (oder gar die Selbsttranszendierung) geht, sondern um die religiöse Mündigkeit oder Auto­nomie: Was man selbst erfahren hat, ist Kriterium religiöser Wahrheit. Dieser Au­tonomieanspruch ist zweifellos etwas paradox, da er sich einerseits an den gesell­schaftlichen Institutionen der Religion reibt, andererseits von ihren »Angeboten« zehrt.

(5) Ein soziologisch zu definierendes Merkmal der Spiritualität besteht des­wegen in seiner Ganzheitlichkeit; Spiritualität soll »jeder Form der Gespaltenheit [des Individuums] wehren und dessen Integration fördern«.22 Ganzheitlich ist die Spiritualität einerseits, weil sich die religiösen Deutungsmuster auf alle Lebensbe­reiche des Individuums erstrecken, d. h. Psyche, Gesundheit, Körper, Beziehungen und Politik miteinander verknüpfen. Eine besonders überzeugende Rolle spielen dabei »alternativ«-medizinische Praktiken, wie Homöopathie, Ayurveda oder Yoga, die als spirituell gelten, weil sie das Heilen aufs Ganze des Lebens beziehen. Ganz­heitlich ist die Spiritualität aber auch in einem soziologischen Sinne: Durch ihre Betonung der religiösen Autonomie des Individuums zielt die Spiritualität auf eine Überwindung der funktionalen Differenzierung in der eigenen Lebenswelt. Für sie

20 Die damit verbundene Popularisierung der Religion ist näher ausgeführt in H. Knoblauch, »Populäre Religion. Markt, Medien und die Popularisierung der Religion«, in: ZjR 8, 2000, 143-161.

21 Vgl. A. Giddens, Modernity and Self-ldentity, London 1991. 22 Ch. Benke, »Was ist (christliche) Spiritualität?«, in: P. M. Zulehner (Hg.), Spiritualität„.,

29-43, hier: 29.

130 Hubert Knoblauch

überschreitet das Religiöse den institutionellen Bereich der Religion, die Gesund­heit den der Medizin und das Wissen den der Wissenschaft.

Ganzheitlichkeit lässt sich vor dem strukturellen Hintergrund der institutionel­len Differenzierung verstehen. Institutionelle Differenzierung meint, dass die Ent­scheidungen darüber, was wahr, wirklich, gut, schön, gesund etc. ist, hochgradig in verschiedene Subsysteme, »Felder« oder Institutionsbereiche »kompartmentalisiert« sind.23 Die Spiritualität nun zielt darauf, diese Kompartmentalisierung - wenigstens aus dem Blickwinkel der Einzelnen - zu überwinden; durch ihre Erfahrungen »beseelt« sie gleichsam die verschiedensten Lebensbereiche. (Ganzheitlichkeit ist übrigens auch das Merkmal, das sie mit religiösen Fundamentalismen teilt.24)

Die hier aufgeführten Merkmale werden ergänzt durch den Merkmalskatalog, den Michael Ebertz in seinem Beitrag mit dem Schwerpunkt auf christliche Spiri­tualität aufführt. Neben dem Anti-Institutionalismus und Antidogmatismus, der Betonung der Subjektivität und der Erfahrungsorientierung, die oben schon ausge­führt wurden, nennt er als Merkmale der gegenwärtigen Spiritualität auch die un­verbindliche Religiosität, die Pluralität des religiösen Angebots, die Ausweitung auf Selbst-Techniken und die Suchhaltung. Dabei unterscheidet er vier Typen der Spiritualität: Einen gemeinschaftsförmigen und inhaltsbezogenen, einen gemein­schaftsförmigen und personbezogenen, einen kundenförmig inhaltsbezogenen und einen kundenförmig personbezogenen Typus.

III.

Wie eingangs bemerkt, handelt es sich bei »Spiritualität« keineswegs nur um eine »Beobachterkategorie« zweiter Ordnung, sondern um ein Wort, das einen höchst verbreiteten Eingang gefunden hat in die Alltagssprache vieler Gesellschaften. Die rasante Ausbreitung dieses Wortes in den letzten Dezennien hat durchaus auch Folgen für die Semantik (im linguistischen Sinne) des Wortes »Religion«.2s Es hat den Anschein als verlöre das semantische Feld des Begriffes »Religion« in unseren Breiten an Umfang: Vieles, was wir herkömmlich als »religiös« bezeichnen, wird von immer mehr Menschen nicht mehr als religiös angesehen. (Ein Problem, das besonders in der Umfrageforschung sehr deutlich ist, wenn die Befragten darauf angesprochen werden, ob und wie sie sich für »religiös« halten.) Es könnte sein, dass das Spirituelle geradezu zum Alternativbegriff für Religion wird. Dafür gibt es Evidenzen aus dem angelsächsischen Raum: In einer Untersuchung aus dem Jahr 2002 bezeichneten sich zwischen 54,9 bis 66,8 Prozent eines repräsentativen

23 Die Kompartmentalisierung des Denkens beschreiben schon P. Berger; B. Berger; H. Kellner, Das Unbehagen an der Moderne, Frankfurt a. M. 1978.

24 Zum Vergleich von »alternativ religiösen« und »fundamentalistischen« Bewegungen vgl. H. Knoblauch, »Ganzheitliche Bewegungen, Transzendenzerfahrung und die Entdifferenzierung von Kultur und Religion in Europa«, in: Berliner Journal für Soziologie 3, 2002, 295-307.

25 Zu den historischen Veränderungen dieser Semantik vgl. L. Hölscher, »Von Begriffen des religiösen Wandels zum Wandel religiöser Begriffe«, in: W. Gräb (Hg.), Religion als Thema der Theologie, München 1999, 45-62.

Einleitung: Soziologie der Spiritualität 131

amerikanischen Samples als »spirituell und religiös« zugleich, zwischen 8,3 bis 11 Prozent als »nur religiös« und 14,5 bis 22,6 Prozent als »nur spirituell«. Der Anteil der exklusiv Spirituellen steigt mit dem Alter, ist jedoch noch relativ klein.26 Noch ausgeprägter ist die Differenz in Australien, wo die Zahl der »Religiösen und Spi­rituellen« nur zwischen 34 bis 40,5 Prozent liegt.27 (Dort ist allerdings der Anteil der Areligiösen sehr viel höher.) Soweit ich sehe, liegen hierzulande keine entspre­chenden quantitativen empirischen Daten dazu vor. Die Beiträge in diesem Heft weisen aber darauf hin, dass sich auch hierzulande eine entsprechende Entwick­lung abzeichnet, in der die Differenz zwischen Religion und Spiritualität mögli­cherweise noch schärfer formuliert wird als im angelsächsischen Raum.28

26 P. Marler; C. Hadaway, »Being >religious< or being >spiritual< in America. A zero-sum pro­position?«, in: Journalfor the Scientific Study of Religion 4, 2002, 289-300.

27 P. Hugues; A. Black; J. Bellamy; P. Kaldor, »ldentity and religion in contemporary Aus­tralia«, in: Australian Religion Studies Review 17, 2004, 53-58.

28 Offenbar wird hierzulande Religion sehr viel stärker mit den organisatorisch dominierenden Kirchen identifiziert, so dass häufig das, was nicht als zu den Kirchen gehörig gilt, auch nicht als religiös bezeichnet wird. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass das im Begriff des Spiri­tuellen aufgehen kann.