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532 Eisen(III)-hexacyanoferrat(II) (Radiogardase ® ) Leichter lassen sich die alten Bezeichnungen Fer- riferrocyanid oder Preußisch-Blau aussprechen. Die Verbindung wird p.o. gegeben, aber nicht re- sorbiert und bindet Cäsium oder Thallium, das sich noch im Darm befindet oder in den Darm ausgeschieden wird. Ist die Magenentleerung ge- stört, muss das Mittel durch eine Duodenalson- de appliziert werden. Die bei Thalliumvergiftung herabgesetzte Darmperistaltik muss gefördert werden. Bei ausreichender Peristaltik gibt man eine Anfangsdosis von 3 g, danach zweistündlich 0,5 g. Calcium-trinatrium-pentetat (Ditripentat ® ) Die Verbindung ist nur noch für die Dekorporati- on von Transuranen (Plutonium, Americum, Cu- rium) zugelassen. Sie bleibt im extrazellulären Raum. Bei “alternativ-medizinischem Gebrauch” ist mit Nekrosen an den Nierentubuli und mit Zinkmangelerscheinungen zu rechnen. Kapitel 110 Toxikologie von Publikumsmitteln Publikumsmittel sind Erzeugnisse, mit denen Menschen außerhalb der Arbeitswelt umgehen. Einige von ihnen können toxisch wirken. Die Er- fahrung lehrt, dass es zur Vermeidung von Ver- giftungen nicht ausreicht, Warnsymbole auf den Behältnissen anzubringen, sondern dass es besser ist, gefährliche Stoffe entweder gar nicht mehr zu produzieren (oder einzuführen) oder nur zur Ver- wendung durch Fachbetriebe zuzulassen, den Er- werb durch Laien aber zu unterbinden. In dieser Richtung bewegt sich die nationale und europäische Gesetzgebung. Sehr gefährliche Stoffe wie das Herbizid Paraquat, stark wirksa- me Organophospat-Insektizide, auch viele Or- ganochlorid-Herbizide sind bereits vom Markt verschwunden, andere werden folgen. Eine Übersicht über Vergiftungen auch durch Publikumsmittel hat das Bundesinstitut für Risi- kobewertung publiziert 1 . Zu den Publikumsmitteln zählen - Mittel gegen Bakterien (Desinfektionsmittel), - Mittel gegen Pilze (Fungizide), - Mittel gegen Insekten (Insektizide), - Mittel gegen Weichtiere (Würmer, Schnecken und Muscheln), - Mittel gegen Nagetiere (Ratten, Mäuse, Wühl- mäuse) (Rodentizide), - Reinigungsmittel (Detergentien, Säuren und Laugen, Entkalker), - “Hobby”-Mittel (Klebstoffe, Malerfarben, “Terpentin-Ersatz”, Löt-Flüssigkeiten), - Öle (Lampenöle, ätherische Öle), - Gewürze. Säuren und Laugen Zu den überaus gefährlichen Verbindungen gehören nicht nur Salzsäure, Schwefelsäu- re und Natronlauge (meist als “Reinigungsmit- tel” gebraucht), sondern auch Ammoniak und konzentrierte Essigsäure. Reiniger, die 23 % Sal- petersäure enthalten, sind in Deutschland verbo- ten, aber der “Ameisenimport” aus dem Ausland ist nicht auszuschließen. Kapitel 109: Metalle und Metalloide

Eisen(III)-hexacyanoferrat(II) Kapitel 110 Toxikologie von ... · passieren sehr gut das Integument von In-sekten. Sie binden in spannungsabhängigen Na+-Kanälen, halten sie offen

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Eisen(III)-hexacyanoferrat(II) (Radiogardase®)

Leichter lassen sich die alten Bezeichnungen Fer-riferrocyanid oder Preußisch-Blau aussprechen. Die Verbindung wird p.o. gegeben, aber nicht re-sorbiert und bindet Cäsium oder Thallium, das sich noch im Darm befindet oder in den Darm ausgeschieden wird. Ist die Magenentleerung ge-stört, muss das Mittel durch eine Duodenalson-de appliziert werden. Die bei Thalliumvergiftung herabgesetzte Darmperistaltik muss gefördert werden. Bei ausreichender Peristaltik gibt man eine Anfangsdosis von 3 g, danach zweistündlich 0,5 g.

Calcium-trinatrium-pentetat (Ditripentat®)

Die Verbindung ist nur noch für die Dekorporati-on von Transuranen (Plutonium, Americum, Cu-rium) zugelassen. Sie bleibt im extrazellulären Raum.

●Bei “alternativ-medizinischem Gebrauch” istmit Nekrosen an den Nierentubuli und mitZinkmangelerscheinungenzurechnen.

Kapitel 110Toxikologie von Publikumsmitteln

Publikumsmittel sind Erzeugnisse, mit denen Menschen außerhalb der Arbeitswelt umgehen. Einige von ihnen können toxisch wirken. Die Er-fahrung lehrt, dass es zur Vermeidung von Ver-giftungen nicht ausreicht, Warnsymbole auf den Behältnissen anzubringen, sondern dass es besser ist, gefährliche Stoffe entweder gar nicht mehr zu produzieren (oder einzuführen) oder nur zur Ver-wendung durch Fachbetriebe zuzulassen, den Er-werb durch Laien aber zu unterbinden.

In dieser Richtung bewegt sich die nationale und europäische Gesetzgebung. Sehr gefährliche Stoffe wie das Herbizid Paraquat, stark wirksa-me Organophospat-Insektizide, auch viele Or-ganochlorid-Herbizide sind bereits vom Markt verschwunden, andere werden folgen.

Eine Übersicht über Vergiftungen auch durch Publikumsmittel hat das Bundesinstitut für Risi-kobewertung publiziert1.

Zu den Publikumsmitteln zählen

- Mittel gegen Bakterien (Desinfektionsmittel),- Mittel gegen Pilze (Fungizide),- Mittel gegen Insekten (Insektizide),- Mittel gegen Weichtiere (Würmer, Schnecken

und Muscheln),- Mittel gegen Nagetiere (Ratten, Mäuse, Wühl-

mäuse) (Rodentizide),- Reinigungsmittel (Detergentien, Säuren und

Laugen, Entkalker),- “Hobby”-Mittel (Klebstoffe, Malerfarben,

“Terpentin-Ersatz”, Löt-Flüssigkeiten),- Öle (Lampenöle, ätherische Öle),- Gewürze.

Säuren und Laugen

Zu den überaus gefährlichen Verbindungen gehören nicht nur Salzsäure, Schwefelsäu-re und Natronlauge (meist als “Reinigungsmit-tel” gebraucht), sondern auch Ammoniak und konzentrierte Essigsäure. Reiniger, die 23 % Sal-petersäure enthalten, sind in Deutschland verbo-ten, aber der “Ameisenimport” aus dem Ausland ist nicht auszuschließen.

Kapitel109:MetalleundMetalloide

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Rohrreiniger

Rohrreiniger enthalten Natrium- oder Kaliumhy-droxid in hoher Konzentration und sind, wenn sie in den Mund gelangen, extrem gefährlich. Wie reine Natron- oder Kalilauge erzeugen sie eine Kolliquationsnekrose. Rohrreiniger werden in Flaschen mit einem “kindersicheren” Verschluss verkauft. Die Erfahrung lehrt, dass findige Enkel ihrer Oma zeigen können, wie man solche Ver-schlüsse öffnet.

Entkalker

Die zugelassenen Entkalker enthalten schwache organische Säuren und sind heute nicht mehr ge-fährlich.

Seifen, Tenside

Gefährlich ist das Einatmen von Schaum. Si-meticon (flüssige Arzneizubereitungen, als Lefax Pump-liqid® oder Sab simplex®) ist ein Ent-schäumer, der – p.o. gegeben – die Schaumbil-dung beim Erbrechen und Schreien der Kinder verhindern kann.

Geschirrspülmittel

sind heute nur gefährlich, wenn sie Schaum bil-den können.

Desinfektionsmittel

Zu den aggressiven Mitteln zählen Aldehyde, einige Phenolderivate, ferner starke Oxidanti-en wie Peressigsäure oder Natriumhypochlorit. Diese Desinfektionsmittel tragen Warnaufkleber. Sie verätzen die Haut und beim Verschlucken die Schleimhäute. Die Schäden werden ähnlich wie eine Säureverätzung behandelt.

Benzalkoniumchlorid ist ein Gemisch von quaternären Ammoniumverbindungen verschie-dener Kettenlänge. Es wirkt gegen Bakterien, Pilze, Algen und Hefen, indem es sich mit sei-nen Alkylresten in den Zellmembranen löst und die Membranen permeabel macht. Es wird zur Flächendesinfektion verwendet, auch zur Algen-bekämpfung in Schwimmbecken. In mehr als einprozentiger Lösung greift es die Schleimhäu-te an.

Organische Lösemittel

Ethanol, Isopropanol und Aceton werden folgen-los metabolisiert und verlangen, wenn in kleiner Menge eingenommen, in der Regel keine mas-sive Therapie. Zur Therapie der Methanolvergif-tung und Ethylenglykolvergiftung s. Kap. 107. In Haushalten mit Kindern sollten sich keine Pub-likumsmittel befinden, die Methanol oder Ethy-lenglykol (in Frostschutzmitteln) enthalten.

Lampenöle, Benzin, Paraffinöl

Das Trinken einer auch nur kleinen Menge Ben-zin, von leichtem Paraffinöl in Massageölen, vor allem aber von Lampenölen (“Petroleum”) – bei Kleinkindern schon das Saugen am Docht einer Öllampe – führt zu

●schwerer Aspirationspneumonie. MehrereTodesfälle sind bis in die Gegenwart hineingemeldet!DasBundesinstitutfürRisikobewer-tung hat hierzu ausführlich Stellung genom-menundfürLampenöleeinestrengrestriktiveGesetzgebungeingefordert2.

Ätherische Öle

Ätherische Öle werden nicht nur in der alterna-tiven Medizin (Aromatherapie), sondern auch aus anderer Motivation offen in der Wohnung aufgestellt. Das Bundesinstitut für Verbraucher-schutz hat zu den damit verbundenen Gefahren Stellung genommen3. Bewusstseinsverlust und Krämpfe sind Symptome der akuten Vergif-tung. Sie wird symptomatisch behandelt. Länger dauernde Exposition: Die Verbindungen Safrol, Methyleugenol und Estragol stehen im Verdacht, Carcinogene zu sein.

Pestizide: Mittel gegen Pilze, Algen, “Unkräuter”, Insekten, Milben, Würmer, Schnecken und Nagetiere

Nomenklatur: Es wirken Fungizide gegen Pilze, Algizide gegen Algen, Herbizide gegen Pflanzen, Insektizide gegen Insekten, Akarizide gegen Mil-ben, Nematozide gegen Würmer, Molluskizide gegen Schnecken, Rodentizide gegen Nagetiere, Vermizide gegen Würmer.

Kapitel110:ToxikologievonPublikumsmitteln

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Gemeinsames

○Viele Pestizide wirken nicht nur gegen eineKlassevonLebewesen,könnenalsoz.B.ge-genAlgenundPflanzenwirken.

○Die als Publikumsmittel zugelassenen Pesti-zidehabenmitwenigenAusnahmeneinege-ringeToxizität beimMenschen, aber oft einehohe Toxizität gegen erwünschte Pflanzen(Gartenblumen, Gemüse) und Tiere (Hunde,Katzen,Vögel,Bienen,Fische).

○Es gibt ungefähr 40 Substanzen, die in Pu-blikumsmitteln zugelassen sind4, aber weitmehrals40,dienichtinPublikumsmittelnent-haltensind,sondernnur inArbeitsmittelnderLand- und Forstwirtschaft und in Präpara-ten für geprüfte Schädlingsbekämpfer. Zwarführt ihreBeschreibunghier zuweit, aberesist notwendig zu wissen, dass diese Verbin-dungen zu schweren Unfällen führen kön-nen.DiesgiltbesondersfürOrganophosphatemit hoher Toxizität und für Entwesungsgase.Entwesungsgasedürfennurinzuverlässigge-schlossenenRäumen (LaderäumevonSchif-fen und anderen Transportmitteln, Räumeeines ganzenGebäudes) eingesetzt werden,aber der Verschluss misslingt zum Beispiel,wenn übersehen wird, dass das Gebäudedurch einen Kanal oder einen verschüttetenodergeheimenGangmiteinemWohngebäu-deinVerbindungsteht.SchwereVergiftungenmitTodesfolgesindvorgekommen.

○Pestizide, die in Deutschland für den Publi-kumsgebrauchnichtzugelassensind,könnendurch“Ameisenhandel”überdieGrenzekom-men.DaranistbeiVergiftungenvonMigrantenzudenken.

○AuchgegenPestizidebildensichResistenzen.Beispiel: Resistenzbildung bei Ratten gegenAntikoagulantienvonDicumaroltyp.

Einzelstoffe

►Organophosphate (z.B. Dimethoat) undCarbamate (z.B. Methiocarb, Propamocarb).SieheKap.63zurVergiftungdurchHemmstof-federAcetylcholin-EsteraseunddieTherapiederVergiftung.

►Antikoagulantien(z.B.Bromadiolon).DieMittelwerden in Fraßködern zurNagetier-Bekämp-

fung ausgebracht. Kleinkinder und Haustie-re sind gefährdet. DieWirkung setzt wie beiPhenprocoumon(Kap.35)langsamein.Jefrü-herdieAufnahmewahrgenommenwird,destoerfolgreicheristdieTherapiemitVitaminK.BeifortgeschrittenerVergiftunghilftnurdieTrans-fusionderfehlendenGerinnungsfaktoren.

►Pyrethroide. Die Verbindungen werden the-rapeutisch zur Bekämpfung von Läusen undKrätzemilben eingesetzt und sindmit diesenIndikationenArzneimittel.Zugelassensindhiernur die Extrakte der nativen Pyrethroide ausChrysanthemen-Blüten (mit Allethrin, Gold-geist forte®) und das synthetische Permetrin(inInfectoPediculextra®, Infectoscab®,Struk-turen:5). Die Pyrethroide mit erheblich höhe-rer Potency dürfen nur gewerblich genutztwerden.–PyrethroidewerdenvonMenschenkaumdurchdieHautaufgenommen,abersiepassieren sehr gut das Integument von In-sekten. Sie binden in spannungsabhängigenNa+-Kanälen,haltensieoffenundverhindernso dieRepolarisation vonNeuronen. Pyreth-roide sind Ester und werden von Menschenschnell hydrolysiert.Durch die schlechteRe-sorptionundschnelleMetabolisierungsindPy-rethroidebeimMenschenwenigtoxisch,aberbei starkerExposition erzeugen sie auchbeiMenschenParästhesienundKrämpfe.DieBe-handlungistsymptomatisch.

►Metaldehyd (Struktur:5). Metaldehyd tötetSchnecken und wird als Fraßköder ausge-bracht. Ein einziges “Korn” wird im saurenMagensaft schnell zu Acetaldehyd hydroly-siert undzuEssigsäureoxidiert.Einegröße-re Menge erzeugt Erregung, Tremor,Ataxie,Hyperthermie, Speichelfluss, Erbrechen undDurchfall, bei Haustieren (Hunden) auchKrämpfe.DieTherapieistsymptomatisch.

►Zink- und Aluminiumphosphid. Die Verbin-dungen werden zum Begasen von Nagetier-gängen (Wühlmausgänge, Mausgänge usw.)eingesetzt.DieBodenfeuchtigkeitsetztPhos-phorwasserstoffausdenVerbindungenfrei.–NachoralerAufnahmewirdausdenSalzenimMagendurchdieMagensäureschnelldersehrtoxischePhosphorwasserstofffreigesetzt,undderwirdsoschnell resorbiert,dassdieGabevonAktivkohle oder Oxidationsmitteln in der

Kapitel110:ToxikologievonPublikumsmitteln

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Regelzuspäterfolgt.Phosphorwasserstoffistein starkes Reduktionsmittel. Er hemmt u.a.dieCytochrom-c-oxidase,wodurchdieEntste-hungvonSuperoxidradikalenbegünstigtwird.Die Radikale oxidieren Lipide in allen Zell-membranen,klinischentwickeltsicheinMulti-organversagen.

LeitsymptomeinerPhosphorwasserstoffvergif-tungisteineHypotonie,dieaufDopamin-Infu-sionnichtanspricht.Beileichtbismittelschwervergifteten Patienten treten Übelkeit, Erbre-chen, Bauchschmerzen, Doppeltsehen undAtaxieauf.EinAntidotistnichtbekannt.

►Glyphosphatistdasheuteamhäufigstenein-gesetzteHerbizid.BeibestimmungsgemäßemGebrauch sind die kommerziellen Produk-tenichtgefährlich.Suizidversuche (häufig imAusland)habenjedochzumTodgeführt6.DieVergiftungssymptomesindunspezifisch:Übel-keit,Erbrechen,Bauchschmerzen,Schwindel,Tachypnoe,Oligurie. Tod durch zunehmendeHypotension.–Glyphosatwirdkaummetaboli-siertundmit3,1hHWZrenalunverändertaus-geschieden.

Kapitel 111Toxine aus Einzellern (Bakterien, Dinoflagellaten)

Bakterien und Dinoflagellaten bilden Toxine, die bei mehrzelligen Lebewesen entweder auf Struk-turen in der Plasmamembran oder auf intrazellu-läre Strukturen wirken1.

Toxine mit Wirkung auf Strukturen der PlasmamembranLipopolysaccharide (LPS)

aus gramnegativen Erregern aktivieren Makro-phagen und Monocyten2.

►Struktur3:EinPolysaccharidendetineinemDi-saccharid, dessenOH-undNH2-Gruppenmitlangkettigen Fettsäuren verestert sind.DieseEndstrukturheißtLipidA.UnterschiedlicheEr-regerhabenauchunterschiedlicheLPS.

►Funktion:LebendeErregertragendieLPSalsstabilisierendeElementeinihrerZellmembranundgebensienichtausderMembranab.ErstbeiDesintegrationabgestorbenerErregerwer-dendieLPSfreigesetzt.

►Mechanismus undWirkung: Die LPS kombi-nierenmit demSerumprotein LBP, derKom-plexbesetztaufderZelloberflächediebeidenProteineCD14undTRL4.TRL4istdersignal-gebende Rezeptor. Er startet eine maximaleAktivierungderMakrophagenundMonocyten.GroßeMengenvielerCytokinewerdenfreige-setzt. Sie können einen septischen Schockauslösen.

Superantigene

aus grampositiven Erregern aktivieren T-Lym-phocyten4 (siehe hierzu auch Kap. 39). Klinisch relevante Superantigene werden u. a. von Staphy-lococcus aureus und Streptococcus pyogenes pro-duziert. Sie sind relativ klein (20-30 kDa), was für ihren Wirkungsmechanismus wichtig ist: Sie reagieren zunächst mit dem MHC II einer anti-genpräsentierenden Zelle (auch mit einem MHC II, der noch kein Peptidfragment präsentiert), dann mit der Vβ-Struktur eines T-Lymphocyten,

Kapitel111:ToxineausEinzellern(Bakterien,Dinoflagellaten)

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die kurze Brücke hält MHC II und T-Zellrezeptor dauerhaft eng beieinander. Folge ist eine starke Aktivierung von ca. 20 % aller T-Lymphocyten mit massiver Ausschüttung von Cytokinen, vor allem von IFN-γ und TNF- α. Dies kann einen toxischen Schock auslösen. Die gastrointestina-len Symptome werden anders, nämlich durch

Freisetzung von Leukotrienen und Histamin aus-gelöst.

Hitzestabile Toxine (ST)

aus E. coli, besonders STa. Die STa sind zwei chemisch ähnliche Peptide mit 18 oder 19

Tabelle111.1.OrdnungderindiesemKapitelvorgestelltenToxineausEinzellern.

Toxine mit Wirkungauf die Plasmamem-bran

AktivierendeToxine Lipololysaccharide,Superantigene,E. coli hitzestabileToxine

PorenbildendeToxine Staphylokokken-α-Toxin,cholesterinabhängigeToxine

ToxischeEnzyme PhospholipasenCausClostridi-um perfringens,Pseudomonas aeruginosa

ToxineausmaritimenEin-zellern

Tetrodotoxin,Saxitoxin,Brevetoxine,Ciguatoxine,Maitotoxin,Azaspirazide,Palytoxin

Toxine mit intrazellulä-rer Wirkung

ToxinemitWirkungaufdierRNA

Shigatoxin

ToxinemitWirkungaufdieProteinsynthese

Diphtherietoxin,Pseudomonas aeruginosa-Exo-toxinA,BotulinumC2-Toxin

ToxinemitWirkungaufdieG-ProteineRho

BotulinumC3-Toxin,Clostridium difficile-Toxin,E. coli-ToxineCNF1,CNF2Bordetella-ToxinDNT

ToxinemitWirkungaufdieG-ProteineGsundGi,o

Choleratoxin,E. coli-ToxinLT,Pertussistoxin

ToxischeProteasenmitWir-kungaufsynaptischePep-tide

Tetanustoxin,Botulinum-Neurotoxine

ToxineundToxinkombinatio-nenmitMehrfachwirkung

ToxineausBacillus anthracis,ToxineausErregernmitTypIII-Sekretionssystem(beiYersi-nien)

Kapitel111:ToxineausEinzellern(Bakterien,Dinoflagellaten)

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537Kapitel111:ToxineausEinzellern(Bakterien,Dinoflagellaten)

Aminosäuren5. Sie stimulieren eine Rezep-tor-Guanylatcyclase in Darmepithelien. Der re-sultierende Anstieg von cGMP führt über die Aktivierung einer Proteinkinase zur starken Ab-gabe von Wasser und Elektrolyten in den Darm. Das Toxin ist (neben anderen) ursächlich an der Diarrhoe bei Kleinkindern und bei Fernreisenden beteiligt.

Porenbildende Toxine6

Diese Toxine werden u. a. von Staphylokokken (S. aureus), Streptokokken (S. pneumoniae, S. pyogenes), Bacillus anthracis, Clostridium per-fringens, Listeria monocytogenes und sehr vielen anderen Erregern als Monomere in die Extra-zellulärflüssigkeit abgegeben. Sie bilden einen Kontakt mit Zellen aus7, danach wandern meh-rere der so gebundenen Monomere zusammen und ordnen sich wie die Dauben eines Holzfas-ses zu einer röhrenförmigen Struktur (“barrel-li-ke structure”), die durch die Plasmamembran hindurchreicht und eine Pore bildet. Abhängig vom Toxin sind die Poren unterschiedlich (1-50 nm) groß. Aus den angegriffenen Zellen strömen Ionen (und je nach Porengröße höhermolekulare Stoffe) aus, Wasser und toxische Peptide treten ein, die Zelle stirbt ab.

Toxische Enzyme8

Die wichtigen Verbindungen sind Phospholi-pasen C. Jede Bakterienspezies produziert ihre individuelle Phospholipase C, und nicht alle bakteriellen Phospholipasen C sind toxisch. Die toxischen werden in die extrazelluläre Körper-flüssigkeit hinein freigesetzt. Alle hydrolysie-ren Phosphatidylcholin, die toxischen zusätzlich Spingomyelin, Phosphatidylethanolamin oder Phosphatidylserin. In niedriger Konzentration starten sie damit zuerst die Arachidonsäurekas-kade und führen dadurch zur Freisetzung von Thromboxan und Leukotrienen. In ausreichend hoher Konzentration öffnen sie die Zellmembran unstrukturiert, d. h. es entstehen keine struktu-rierten Poren, sondern primitive Löcher.

●Clostridium perfringensα-Toxinund●Pseudomonas aeruginosa-ToxinsindPhospho-

lipasenC,dieüberdieseMechanismenwirken.

Toxine aus maritimen Einzellern (Bakterien und Dinoflagellaten)9

Diese Toxine werden von Menschen durch den Verzehr von Muscheln und Fischen aufgenom-men, aber von Muscheln und Fischen nicht pro-duziert, sondern von aquatischen Einzellern. Sie werden in der Nahrungskette angereichert und können in verschiedenen Spezies von Schalentie-ren und Fischen Konzentrationen erreichen, die für Menschen gefährlich sind.

●DieseToxinehattenbisungefähr1990 fürdeneuropäischen Fisch- und SchalentiermarktkaumBedeutung.Dashatsichseitherbedroh-lich geändert, weil Toxin-tragende Fische undSchalentierejetztauchvordeneuropäischenAt-lantik-undMittelmeerküstengefangenwerden.

Tetrodotoxin

►Struktur:10.►Herkunft:TetrodotoxinwirddurchErregerder

Arten Vibrio und Pseudomonas gebildet. DieErreger leben als Gäste (Saprophyten) aufvielenMeerestieren.EinigeWirts-SpeziesvonSchalentierenundFischensammelndaspro-duzierteTetrodotoxinundbenutzenesalsAn-griffs-oderAbwehrwaffe.MenschensinddurchdenGenuss derwohlschmeckendenKugelfi-schegefährdet.KugelfischekönnenvielTetro-dotoxinenthalten–indenOvarienbesondersviel-,weshalbinJapandieZubereitungdurcheigensausgebildeteKöcheerfolgt.Bisvorwe-nigen Jahrenwurde angenommen, dass Ku-gelfischeimMittelmeernichtvorkommen.

●Tetrodotoxin-tragende Kugelfische der Spe-zies Lagocephalus sceleratus wurden unge-fährab2005vordenMittelmeerküstenIsraels,des Libanon, der Türkei, Griechenlands und2011vordertunesischenKüstegefangen.DieSpezies ist durch denSuezkanal in dasMit-telmeereingewandertundbreitetsichschnellaus.SchwereVergiftungensindbereitsvorge-kommen. Die Behörden der AnrainerstaatenhabendieKöchederFischrestaurantsunddieMeeresangler eindringlich gewarnt. Kennzei-chen:DieFischehabenlangeFrontzähneundheißendeshalbauchHasenfischoderKanin-chenfisch.

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►Kinetik:TetrodotoxinwirddurchKochennichtzerstörtundgutausdemGastrointestinaltraktresorbiert.

►Mechanismus:TetrodotoxinbindetaufderAu-ßenseitederPlasmamembrananspannungs-abhängige Na+-Kanäle und verschließt sie.Die Kanäle auf Neuronen sind empfindlicheralsdieKanäleaufdemErregungsleitungssys-temimHerzen.

►Vergiftung:DietödlicheDosisfürMenschenliegtbeinur10µg/kgKG.BeiderVergiftungistderPatient bei vollem Bewusstsein,motorisch ge-lähmt,dasHerz-Kreislaufsystemaberzunächstnurwenigbeeinflusst.VergiftetePatientenwer-denbiszurWiederherstellungeinerausreichen-denSpontanatmungbeatmet.ZumZeitpunktderDiagnosehatdasToxindenMagenbereitsver-lassen;Aktivkohlep.o.istindiziert.

Saxitoxin

►Herkunft:SaxitoxinwirdanderamerikanischenWest-undOstküstevonCyanobakterienundDinoflagellaten gebildet. Von europäischenKüsten gibt es keine Berichte ausmodernerZeit.EswirktwieTetrodotroxin.

►StrukturundSonstiges:11.

Brevetoxine

werden im Golf von Mexiko von Dinoflagellaten der Spezies Karenia brevis gebildet, sind giftig für Fische und werden in Schalentieren angerei-chert. Brevetoxine öffnen spannungsabhängige Na+-Kanäle, weshalb z. B. an der neuromuskulä-ren Synapse die Frequenz der Miniaturendplat-tenpotentiale zunimmt. Vergiftungen verlaufen in der Regel leicht.

Ciguatoxine

Ciguatoxin-tragende Fische kommen in unseren Breiten nicht vor, aber die Ciguatera-Vergiftungen sind weltweit die häufigsten Fischvergiftungen.►Struktur,Mechanismus,Klinik:12.

Maitotoxin

wird von den gleichen Dinoflagellaten wie die Ciguatoxine gebildet. Es öffnet Ca++-Kanäle per-manent.

Azaspirazide13

►Struktur:14.►Herkunft:AzaspirazidewerdendurchDinofla-

gellaten der SpeziesProtoperidinium crassisgebildet. Schalentiere an den europäischenAtlantikküsten (Spanien, Frankreich, Nieder-lande, Irland, Nordengland, Norwegen), be-

sondersaberdieSpeisemuschelMytilus edu-lisreichernesan.

►Mechanismus: Der Wirkungsmechanismus istnicht geklärt, weil nicht genügend Substanz fürentsprechendeUntersuchungenverfügbarist.EshatdenAnschein,dasseineWirkunganCalcium-kanälenamAnfangeinerReaktionskettesteht.

►Vergiftung: Die Azaspirazide erzeugen eineschwere Gastroenteritis mit Nekrosen in derLaminapropriadesDünndarmsundinlympha-tischenOrganen(Thymus,Milz).AzaspirazidestehenimVerdacht,cancerogenzusein.

Palytoxin15

►Struktur:16.►Herkunft: Palytoxin wird von Dinoflagella-

tenderGattungProtoperidiniumgebildetundvonKorallenundSchalentierenangereichert.Eswurde inderöstlichenÄgäis inMuschelnnachgewiesen.EswirdauchvonKrustenane-monen (von „Meeresaquarianern“ gehalten)angereichertundbeiBerührungabgegeben.

►Mechanismus: Palytoxin bindet an dieMem-bran-Na+/K+-ATPase und verwandelt sie ineinenunspezifischenKanalfüreinwertigeKa-tionen. Dadurch verlieren die Zellen ihr phy-siologisches Na+/K+-Ungleichgewicht. EineDesorganisationdesActinwurdebeobachtet.

►Vergiftung:DieToxizitätp.o.istnichtbekannt,die parenterale Toxizität ist extrem (Bereich25-100ng/kgKG).ParenteralesPalytoxinver-ursachtextremeSchmerzen.

Bakterielle Toxine mit intrazellulärer WirkungDie hier interessierenden Toxine sind Proteine.

Eintritt in die Zielzelle

►Direkte “Transfusion”: Die Bakterien lagernsich an die Zielzellen an und schieben eine

Kapitel111:ToxineausEinzellern(Bakterien,Dinoflagellaten)

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röhrenförmige Struktur durch deren Plasma-membran indasCytoplasma (Type III secre-tion system). Durch die Öffnung gelangenbakterielle Toxine (die an der Röhrenbildungnicht beteiligt ist) in die Zelle.Pseudomonas aeruginosa, Salmonellen (mehrere Spezies)und Yersinien (z.B. Yersinia enterocolytica)applizierensoihreToxine.

►Endocytose. Viele Toxine werden durch En-docytose in die Zelle transloziert. Sie nutzenmehrere Endocytosemechanismen. Die Toxi-ne sind unverzweigteProteine und bestehenaus drei Domänen – der Bindungsdomäne,derTranslokationsdomäneundderWirkdomä-ne.DieDomänenkönnenunterschiedlichmit-einanderverbundensein17.–DieWirkdomäneistvondenbeidenanderenDomänendeutlichabgesetzt. Beispiel: Bei den neurotoxischenClostridientoxinen (Tetanustoxin, Botulinum-toxine, s. Kap. 64) ist dieWirkdomäne nachposttranslationalerModifikationnurnochdurcheineDisulfidbrückemitdemBindungs&Trans-lokationsteil verbunden, und nachAufnahmedesganzenMolekülswirdintrazellulärdieDi-sulfidbindunggelöstunddamitdieWirkdomä-nevomBindungs&Translokationsteilgetrennt.Wegendieserundanderer“natürlicher”Tren-nungszeichen heißt dieWirkdomäneA-Kette(acting chain), der Bindungs&Translokations-teilB-Kette(bindingchain).WennzweiToxineA-KettenmitgleichemWirkungsmechanismushaben, aber B-Ketten mit unterschiedlicherRezeptorspezifität, so werden sie auf unter-schiedlicheZellenwirkenundunterschiedlicheKrankheitsbilderauslösen.

Der Eintritt der Toxine in die Zelle erfolgt solangsam, dass vorhandene Antikörper (z.B.durch aktive Immunisierung erzeugt), dieToxine vor Eintritt in die Zelle neutralisie-ren können. Eine passive Immunisierung er-folgt hingegenmeist erst nachAuftreten vonSymptomen,alsomiteinerVerzögerung.Dieinjizierten Antikörper erreichen deshalb nurdiejenigenToxinmoleküle,diesichnochnichtimintrazellulärenRaumbefinden.

Allgemeiner Wirkungsmechanismus

Die Toxine wirken in den Zellen als Enzyme. Das hat zur Folge, dass schon ein einziges Toxin-

molekül, wenn es nur lange genug seinem Ab-bau entgeht, eine Zelle abtöten (Diphtherietoxin) oder außer Funktion setzen kann (Neuroxine der Clostridien).

N-Glycosidasen mit Wirkung auf die rRNA: Shiga-Toxin

Shiga-Toxin hat durch eine Erkrankungswelle in Norddeutschland im Sommer 2011 große Auf-merksamkeit erfahren18, aber nicht alle dabei be-obachteten Symptome sind allein auf Shiga-Toxin zurückzuführen, denn der verantwortliche E. coli O104:H4 hatte noch weitere Virulenzfaktoren19. Er trug nicht nur den STx2-Phagen für die Produk-tion von Shiga-Toxin 220, sondern zusätzlich ein Plasmid ähnlich dem Plasmid pAA der enteroag-gregativen E. coli, das für mehrere Virulenzfak-toren kodiert, und in einigen Isolaten ein gegen Antibiotika schützendes Resistenzplasmid. Die Erkrankung war gekennzeichnet durch eine hä-morrhagische Diarrhoe, das hämolytisch-urämi-sche Syndrom, Störungen der ZNS-Funktion21, eine Thrombocytopenie und eine Aktivierung des Complementsystems auf der Höhe des Comple-mentfaktors C3. Die Complementaktivierung er-wies sich als prognostisch besonders ungünstig. Ihre Hemmung auf der Höhe von C5 durch Ecu-lizumab (Kap. 39, Soliris®) hat die Prognosis ad vitam erheblich verbessert22. – Shiga-Toxin wur-de als Kampfstoff in Erwägung gezogen23.

►Herkunft:Shiga-ToxinwirdgebildetvonShigel-la dysenterica und von einigenE. coli-Stäm-men.

►Struktur: Der Bindungs- und Translokations-teilbestehtausfünfgleichartigenB-Domänen,die ringförmig angeordnet sind. Eine einzigeA-DomänetauchtindiesenRingundistdaringebunden.SolcheToxineheißenAB5-Toxine.

►Mechanismus (Reaktionsschema Abb.111.1.24):DasToxinwirdmitdenB-DomänenaneinGlykosphingolipid25gebunden,dasnurbei einigen Spezies (auch beim Menschen,aber z.B. nicht bei Rindern) vorkommt undaufdenOberflächenvonEndothelzellenresi-diert.NachderBindungwirdes in früheEn-dosomen aufgenommen, im sauren pH derendocytotischenVesikeländertesseineKonfi-gurationso,dassdietoxischeA-Domäneüber

Kapitel111:ToxineausEinzellern(Bakterien,Dinoflagellaten)

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dasGolgi-SystemunddasendoplasmatischeRetikulum in das Cytoplasma aufgenommenwird.SiewandertbiszurrRNAundhydolysiertdort die N-glykosische Bindung des in Posi-tion 4324 stehenden Adeninribonucleotides.–DiePassagevomGolgi-Systemzumendo-plasmatischenRetikulumkanndurchMagne-siumionengehemmtwerden26.ImTierversuchwurdenprotektiveKonzentrationenerreicht.

Toxine mit Wirkung auf die Proteinsynthese

ADP-Ribosylierung von EF 2 durch Diphthe-rietoxin, Pseudomonas Exotoxin A

►Herkunft: Corynebacterium diphtheriae istein grampositiver fakultativer Anaerobier, indem ein Phage das Diphtherietoxin codiert.DerErregerbreitetsichdurchTröpfchen-undSchmierinfektion aus. Aktive ImmunisierungschütztvorderInfektion.WirdsieinKrisenzei-tenversäumt,steigendieErkrankungszahlenschnell.

►Struktur: Diphtherietoxin besteht aus einerB-KetteundeinerA-Kette,diedurcheineDi-sulfidbrückeverbundensind.

►Mechanismus: Das Toxin bindet an einenRezeptor auf der Plasmamembran und wirdin endocytotische Vesikel aufgenommen. Inden sauren Vesikeln werden die Domänengetrennt, die A-Domäne ADP-ribosyliert imElongationsfaktorEF2inderPosition715einmodifiziertesHistidin,dasDiphthamid (Reak-tionsschemaAbb.111.2.27).Damit istdiege-samteProteinsynthesegehemmt.

●DasExotoxinAvonPseudomonas aeruginosahatdengleichenWirkungsmechanismus,wirdaberandersindieZelleaufgenommen.

●Die ADP-Ribosylierung ist ein häufiger Wir-kungsmechanismus.Wir finden ihnbeiDiph-therietoxin, Botulinum C2-Toxin, BotulinumC3-Toxin,CholeratoxinundPertussistoxin.

►Vergiftung:DieSymptomederDiphtheriewer-dendurchdasToxinausgelöst.ImNasen-Ra-chenraumbildensichPseudomembranenausnekrotischerSchleimhautundBlut,diezusam-menmitderSchwellungdieAtemwegeverle-genkönnen.DasToxinwirktauchaufdieHaut

(Geschwüre),dasMyocardunddasZNS.►Therapie:StrengeBettruhe, passive Immuni-

sierung mit Antiserum (wird in Notfalldepotsvorrätiggehalten).Penicillini.v.wirktbakterizidgegendieErreger.

ADP-Ribosylierung von Actin durch Botulinum C2-Toxin

►Herkunft:DasToxinwirdvonClostridium botu-linumTypCundDgebildet.

►Struktur: Das Toxin besteht aus dem Wir-kungsteilC2IunddemBindungsteilC2II, dieabergetrenntexistierenunderstaufderPlas-mamembranmiteinanderinBeziehungtreten.

►Mechanismus:DaskompletteToxinwirddurchEndocytose aufgenommen28. Es ADP-ribosi-liert Actin G (d.h. dasActin-Monomer)29 amArginin177(ReaktionsschemaAbb.111.7.45).–Physiologisch:Actin-Monomerepolymerisie-ren zum F-Actin, wobei am (+)-Ende Mono-mere angebaut und am (-)-Ende Monomereabgebautwerden(s.hierzuauchKap.101,dieAusführungenzuVinca-Alkaloiden).Toxikolo-gisch:Sobaldam(+)-EndeeinADP-ribosylier-tes Monomer angebaut wird, ist die weitereVerlängerung des F-Actin-Polymers nichtmehrmöglich.DerAbbauam(-)-Endeerfolgtaberweiter.InderFolgebrichtdieActinstruk-turzusammen.

►Klinik:DasToxinerzeugt imDarmBlutungenundNekrosen.

Toxine mit Wirkung auf Rho-Proteine

Übersicht in Abb. 111.3.30:Rho-Proteine31 sind G-Proteine. Es gibt mehrere Rho-Proteine, z. B. Rho A, Rho B, Rho C, Rac und Cdc42. Im Zustand Rho-GTP sind sie aktiv, d. h. sie treiben verschiedene biochemische Pro-zesse an. Im Zustand Rho-GDP sind sie inaktiv. Abb. 111.3.30 zeigt den Kreisprozess der Aktivie-rung und Deaktivierung von Rho-Poteinen. Das Verhältnis von Rho-GTP zu Rho-GDP kann unter physiologischen Umständen dem jeweiligen Be-darf entsprechend gesteuert werden.

Toxine können die physiologische Funktion der Rho-Proteine auf mehreren Wegen stören. Die hier vorgestellten Toxine wirken auf folgen-den Wegen:

Kapitel111:ToxineausEinzellern(Bakterien,Dinoflagellaten)

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►DasToxinspaltetdasRho-Protein.DerAntriebdurchRho-GTP bleibt deshalb aus. Beispiel:YopTausYersinia enterocolytica.

►DasToxin desaktiviert die Effektorregion desRho-Proteins. Der physiologische AntriebdurchRho-GTPbleibtdeshalbebenfallsaus.IndieseGruppegehörendieClostridium diffi-cile-ToxineAundB32.

►Das Toxin beschleunigt den Übergang vonRho-GDP (inaktiv) zu Rho-GTP (aktiv). Bei-spiel:SopEausSalmonella typhimurium.

►DasToxinverhindertdenÜbergangvonRho-GDPnachRho-GTP.Der physiologischeAn-trieb durch Rho-GTP bleibt deshalb aus.Beispiel:BotulinumC3-Toxin.

►Das Toxin verhindert die Katalyse von Rho-GTP zu Rho-GDP. Rho-GTP bleibt deshalbdauernd(konstitutionell)aktiv.IndieseGruppegehörenz.B.dievoneinigenE. coli-StämmengebildetenToxineCNF1undCNF2undDNTausBordetella-Spezies.

►DasToxinbeschleunigtdieKatalysevonRho-GTP zuRho-GDPund reduziert dadurch dieWirkungsdauer und das Wirkungsmaximumvon Rho-GTP. So wirken YopE aus Yersinia enterocolytica oderSptP aus einigenSalmo-nella-Spezies.

Inaktivierung der Effektorregion durch Clostridium difficile-Toxine

Die Clostridium difficile-Toxine stellen wir als Beispiele vor. Übersicht:33.

►Herkunft: Clostridium difficile ist ein gram-positiver Anaerobier, der im Darm auch vongesunden Menschen lebt. Wenn seine Nah-rungskonkurrenten durch Antibiotikatherapiereduziert werden, vermehrt er sich. Die Ver-mehrung wird auch durch Strahlentherapie,medikamentöse Tumortherapie, Immunsup-pressionundHIV-Infektionbegünstigt.DerEr-regerbildetdieToxineAundB.

►Struktur: Die Clostridium difficile-Toxine sindeinkettigeToxinemitdendreiDomänenfürdieBindung(C-Terminus),TranslokationundWir-kung(imN-Terminus).

►Mechanismus: (Der hier beschriebeneWir-kungsmechanismusderbeidenToxineerklärtdiecytotoxischeWirkung,aberwenigerüber-

zeugend die Entzündung und Zunahme derSekretionimDarm).DieToxinewerdendurchclathrin-abhängigeEndocytoseaufgenommenundindasCytoplasmatransloziert34.Dortgly-kosylieren sie Threonin37 in Rho A, Threo-nin35inRacundCdc42(ReaktionsschemainAbb.111.5.35).DadasThreonin inderEffek-torregionderRho-Proteineliegt36,werdendiephysiologischenRho-Wirkungenblockiert.

●Die gleichenWirkungen hat das letale ToxinvonClostridium sordellii (beteiligtanderEnt-stehungdesGasbrandes).ZusätzlichkannesauchdasG-ProteinRasangreifen37.

►Klinik: Die Toxinwirkung führt zur pseudo-membranösenColitis.DieErkrankungtrittvor-nehmlichinKrankenhäusernauf.

Stabilisierung von Rho-GDP durch Botulinum C3-Toxin

Botulinum C3-Toxin ist ein Einketten-Toxin ohne offensichtliche Domänentrennung. Es wird mit einem noch unbekannten Mechanismus in die Zellen aufgenommen und wirkt dort38. Nur das vollständige Toxin (und keins seiner bekann-ten Fragmente) ist in der Lage, Rho-Proteine im Status Rho-GDP zu fixieren. Dies geschieht durch ADP-Ribosylierung des Asparagin41 in Rho A (Reaktionsschema Abb. 111.4.39).

Zu den Wirkungen von Botulinum C3-Toxin gehört eine Aktivierung der Regeneration von verletzten peripheren Nerven40. Diese Wirkung kommt aber auch einem seiner Peptidfragmente zu, von dem eine ADP-Ribosylierung nicht er-wartet werden kann41.

Stabilisierung von Rho-GTP durch Toxine aus E. coli und Bordetella-Spezies

►Herkunft: Die Toxine Cytotoxic necrotizingfactorCNF1undCNF242werdenvonE. coli-Stämmengebildet.

►Struktur:DieCNFsindeinkettigeToxine, ihreWirkdomäneliegtimC-terminalenEnde43.

►Mechanismus: Die CNF werden durch En-docytose aufgenommen. Sie desaminierendas Glutamin63 bei Rho A bzw. das Gluta-min61beiRacundCdc42(Abb.111.6.44).Da-nachkönnendieRho-Proteinenichtmehrvonihrer aktiven GTP-Form in die inaktive GDP-

Kapitel111:ToxineausEinzellern(Bakterien,Dinoflagellaten)

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Form übergehen und bleiben konstitutionellaktiv.Dies führtbesonderszueinerZunahmederActinpolymerisationundzurHemmungdesZellzyklusaufderStufeG2/M.DieKontraktionder vermehrtenAktinfilamente sowohl im Cy-toskeletonalsauchunterderPlasmamembranführt zurÖffnung der tight junctions zwischendenZellen.DieToxinewirkenauchaufdasIm-munsystemundfördernEntzündungsprozesse.

●Dermonecrotic toxin DNT wird vonBordetel-la-Spezies gebildet. Es hat die gleicheWirk-domäne wie die CNF, wird ebenfalls durchEndocytose aufgenommen und reagiert mitdemselbenGlutamin,allerdingsherrschteineTransglutaminierung mit Polypeptiden, dieLysin enthalten, vor (Reaktionsschema Abb.111.6.44).

ADP-Ribosylasen, die auf Gs- und Gi,o-Proteine wirken

Nicht nur Rho-Proteine, sondern auch Gs- und Gi,o-Proteine werden von Toxinen angegriffen.

Stabilisierung von Gs-GTP: Choleratoxin, LT-Toxine

►Herkunft: Vibrio cholerae ist ein fakultativanaerober gramnegativer Erreger, der dentoxin-codierenden Bakteriophagen CTXΦ insein Genom integriert hat. Die ÜbertragungaufMenschenerfolgtüberwiegendmitunsau-beremTrinkwasser.DieErkrankungtratinEu-ropanochzurZeitHeinrichHeinesinHamburgauf. Heute brechen Cholera-Epidemien z.B.nach Überschwemmungen und in Katastro-phengebietenaus (2011 inBangladesh, Indi-en,Ghana,Haiti).

►Struktur:DerBindungs-undTranslokationsteilvon Choleratoxin besteht aus fünf gleicharti-gen B-Domänen, die ringförmig angeordnetsind.EineeinzigeA-DomänetauchtindiesenRing und ist darin gebunden. Solche ToxineheißenAB5-Toxine.

►Mechanismus: Choleratoxin bindet mit sei-nem B-Teil an das Sialogangliosid GM1 inder Zellmembran. Es wird danach durchEndocytose aufgenommen und an das en-doplasmatischeRetikulum/Golgi-Systemwei-

tergegeben. Bei dieser Passage wird dasToxin aufgetrennt und die aktiveDomäne indasCytoplasma transloziert.Dort katalysiertsiedieADP-RibosylierungdesArginin187 inder α-Untereinheit von Gs-GTP (Reaktions-schemaAbb.111.7.45).DanachkannGs-GTPnichtmehrindieinaktiveGDP-Formüberge-henundbleibtkonstitutionellaktiv.DerstarkeAnstiegvoncAMPführtübereineReaktions-kettezurAbgabegroßerMengenvonChloridindenDünndarm.DerChlorid-Ausstromwirdpassiv begleitet vomAusstrom von WasserundElektrolyten.

Ähnlich,aberschwächeralsCholeratoxinwir-kendiehitzelabilenToxineLTvonE. coli,dieAuslöser der “Reisediarrhoe” (“MontezumasRache”)sind.

►Klinik: Symptome derCholera sind schwererBrechdurchfall, Entleerung reiswasserähnli-cherStühle,Exsiccose,VerwirrtheitundKoma.FürdieTherapieamwichtigstenistdiei.v.Infu-sionvonElektrolytlösungenzumAusgleichderWasser-undElektrolytverluste.ÜberdenNut-zenvonCiprofloxazinundAzithromycinwurdepositivberichtet.

Stabilisierung von Gi,o-GDP: Pertussistoxin

►Herkunft: Bordetella pertussis, die Erregerdes Keuchhustens, sind gramnegative aero-beStäbchenbakterien.Siesindhochinfektiös.DieErkrankungwirddurchTröpfcheninfektionverbreitet.DieSymptome(Fieber,z.T.extre-merHusten)werdendurchProteineausgelöst,dievondenErregernproduziertwerden.EineImpfungistmöglich.

►Struktur:Hauptwirkstoff istPertussistoxin,einEinketten-Toxin. Es hat vier Bindungs- undeineWirkungsdomäne.

►Mechanismus: Pertussistoxin wird durchEndocytose aufgenommen und durch dasGolgi-SystemunddasendoplasmatischeRe-tikulum bewegt. Dabei wird die A-Domäne(inderS1-Untereinheit)vomBindungsteilge-trenntundindasCytoplasmatransloziert.DortkatalysiertsiedieADP-RibosylierungdesCy-steinimC-TerminusvonGi,o-GDP46.DadurchistdieAktivierungvonGi,odurchRezeptorwir-kungnichtmehrmöglich,Gi,o-GTPkannnicht

Kapitel111:ToxineausEinzellern(Bakterien,Dinoflagellaten)

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mehr gebildet werden. Dies bedeutet einenAusfallderInhibitiondurchGi,o-gekoppelteRe-zeptoren.

Toxin-Proteasen mit Wirkung auf synaptische PeptideClostridien-Neurotoxine Siehe Kap. 64

Toxine und Toxinkombinationen mit Mehrfachwirkung

Milzbrand-Toxin47

►Herkunft: Bacillus anthracis produziert dreiProteine:

- PA 83 (protektives Antigen) enthält die Bin-dungs-undTransformationsfunktion,

- LF(letalerFaktor)enthälteineWirkdomäne,- EF (Ödem-Faktor) enthält eine andereWirk-

domäne.►Besonderheiten. Die erste Besonderheit besteht mithin darin,

das Bacillus anthracis mit zwei Toxinen an-greifenkann.LFisteinproteolytischesEnzym(Zinkprotease). Es spaltet die MAP-Kina-se-KinasenMEK1undMEK2zwischendenAminosäurenPro8-Ile9undPro10-Arg11.DasführtzurApoptosederZellen.Hingegenfunk-tioniertEFnachBindungvonCalmodulinalseine nicht abschaltbare Adenylylcyclase. EinZellödemdurch vermehrtenWassereintritt isteinederFolgen.

Die zweite Besonderheit besteht darin, dassdieKomponentenPA83,LFundEFnichtmit-einanderverbundensind.WiekommendannLFundEFindieZellen?

ZuerstbindetPA83aneinenseinerRezepto-ren (TEM8 oderCMG2). EinOberflächenen-zym (Furin)dersobesetztenZelle trennteinSchutzpeptid ab, es entsteht das verkürztePA63. Sieben PA63 treten zu einem ringför-migen Heptamer (PA63)7 zusammen. Jetztbinden LF und EF an (PA63)7, wobei alledenkbaren Kombinationen möglich sind: 4EF&(PA63)7,1EF&(PA63)7&3LF,...3EF&(PA63)7&1LF,(PA63)7&4LF.DiefertigenKombinationen werden mit clathrin-abhängi-gerEndocytoseindieZielzelleaufgenommen.DerabfallendepHimendocytotischenVesikel

veranlasst massive Konformationsänderun-genderProteinkomponenten, inderenFolge(PA63)7dieEFundLFfreigibtundeinePoreinderVesikelmembranbildet.DerpH-GradientzumCytoplasmatreibtdieEFundLFausdemVesikel.

►Klinik:VerschiedeneStaatenhabenversucht,Milzbrandsporen zu biologischen Kampfmit-telnzuentwickeln48.ImVergleichzudennie-dermolekularen Kampfgasen waren aber dieProduktionskostenzuhoch.Dieshatnachbis-herigenErkenntnissenauchterroristischeVer-einigungen von der Herstellung abgehalten.– Milzbrand tritt in drei Formen, nämlich alsHaut-(Wunden-)Milzbrand, LungenmilzbrandundDarmmilzbrandauf.SymptomesindHus-ten,Atembeschwerden,hohesFieber,aufderHautsogenannteMilzbrandkarbunkel.Dieak-tiveImmunisierungistmöglichundwurdebeiSoldatendurchgeführt.DerErreger ist,wenner nicht genetisch manipuliert wurde, gegenvieleAntibiotika, u.a. gegenPenicillinG undCiprofloxazin,empfindlich.DieBeseitigungderErregerunterbrichtabernurden“Nachschub”anToxinkomponenten.

Toxine aus Erregern mit Typ III-Sekretionssystem

Die bekanntesten Produzenten sind Yersinia pes-tis, Yersinia enterocolytica und Yersinia pseudo-tuberculosis. Bei dieser Erregergruppe werden durch das (phagencodierte) Sekretionssystem bis zu 6 Virulenzfaktoren in die Wirtszelle trans-loziert, wodurch es schwierig wird, einem be-stimmten Krankheitssymptom einen bestimmten Virulenzfaktor (Toxin) zuzuordnen.

○Beispiel:Yersinia enterocolytica49.DieseYer-sinienbildendasTyp-IIISekretionssystemYscundineinigenStämmenzusätzlicheinzweitesSystemYsa.DiefürYsckodierendenStämmetranslozieren 6 (!) Virulenzfaktoren.Am bes-tenuntersuchtistYopE.ErwirktimZyklusderRho-Proteine(RhoA,Rac1,Cdc42,s.u.beiRho-Proteinen).DortbeschleunigtYopEdirektdieDephosphorylierungvonRho-GTPzuRho-GDP.

Kapitel111:ToxineausEinzellern(Bakterien,Dinoflagellaten)

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Kapitel 112Pathogene Pilzarten

Außer “Giftpilzen” gibt es noch andere pathoge-ne Pilzarten. So wirkt der Kahle Krempling (Pa-xillus involutus) nicht durch ein Toxin, sondern durch ein Antigen, und die pathogenen Faktoren von Pilzen wie Cortinarius splendens (Schöngel-ber Klumpfuß) sind unbekannt.

Es gibt in Europa nicht viele pathogene Pilzar-ten, aber allein wegen der Verwechslungsgefahr von gefährlichen mit ungefährlichen Pilzen gilt als Grundregel

●Sammle nur Pilze, die du in allen Merkma-len von Hut und Stiel genau kennst!

Es gibt zur Zeit (2013) keine überregionale Pilz-beratungsstelle, an die man eine mit dem Mobil-telefon oder der Digitalkamera aufgenommene Bilderfolge von Pilzen einer Art mit der Bitte um schnelle telefonische Antwort schicken kann. Es gibt regionale Pilzberatungsstellen, die aber nicht rund um die Uhr beraten. Die Pilzberatungsstel-le einer Region erfährt man telefonisch bei der Toxikologischen Abteilung des Krankenhauses Rechts der Isar, Telefon 089 19240, oder bei der regionalen Giftinformationszentrale, oder unter dem Stichwort “Pilzberatung” mit einer Suchma-schine im Internet. Eine Bild-Übersicht mit Be-schreibung steht im Internet1. In den folgenden Einzeldarstellungen sind für Bilder der Pilzarten weitere Internetadressen angegeben. Diese Bil-der haben Beispielcharakter und genügen nicht zur Bestimmung einer Pilzart. Zur Bestimmung eignen sich Bücher mit guten Abbildungen und ausführlicher Beschreibung der morphologi-schen Merkmale, des Färbungsverhaltens nach Drücken auf Hut und Stiel und nach dem Ernte-schnitt, der Bodenmerkmale, des regionalen und des jahreszeitlichen Vorkommens.

Pilze, die Amatoxine enthalten

Literatur:2►Pilze●GrünerKnollenblätterpilz, Amanita phalloides,

Bilder:3.●Kegelhütiger Knollenblätterpilz,Amanita viro-

sa,Bild:4.

●Weißer oder Frühlings-Knollenblätterpilz,Amanita verna,Bild:5.

●Gifthäuptling, Nadelholzhäuptling, Galerina marginata,Bilderserie:6.

●Giftschirmling,Lepiota citrophylla,Bild:7.►Strukturen: Die acht bekannten Amatoxine8

sind bicyclische Octapeptide (Formelbeispielfürα-Amanitin:9).

►Kinetik: Amatoxine werden weder durch Ko-chen noch durch die Enzyme im Verdau-ungstrakt zerstört. Über die Resorption undBioverfügbarkeitbeiMenschenistnaturgemäßnichtsbekannt,aberdieMengevonα-Amani-tin ineinemKnollenblätterpilzerreichtbereitsdenBereichdertödlichenDosisvon≤0,1mg/kg KG. Weil die Amatoxine gut wasserlös-lichsindund ihreBewegungmitorganischenAnionentransportern durch Zellmembranenhindurchgezeigtwurde, istdieAnnahmege-rechtfertigt,dassauchdieResorptionmitHilfevonTransporternerfolgt.–Alsgutwasserlösli-cheVerbindungenhabendieAmatoxinewahr-scheinlich ein geringes Verteilungsvolumen,aber sie werden speziell in Zellen angerei-chert,diedenorganischenAnionentransporterOATP 1B3 exprimieren, besonders in Hepa-tocyten. Die Konzentration derAmatoxine istaucherhöhtinEnterocyten,fernerinTubulus-zellen, weil Amatoxine tubulär rückresorbiertwerden, und in einigenArten von Tumorzel-len. –Amatoxine werden nicht metabolisiert,sondernüberdenUrinunddieGalleunverän-dert ausgeschieden.Siewerden sowohl ren-al-tubulär als auch intestinal rückresorbiert.SiesindzweiTagenachIngestionzumgröß-tenTeilausgeschieden,aberbiszufünfTagennachderIngestionnachweisbar.

►Mechanismus: α-Amanitin hemmt in Eu-karyonten die DNA-abhängige RNA-Polyme-rase IIunddamitdieBildungdermRNAunddieProteinsynthese.

►Vergiftung: Vergiftungen durch amatoxinhal-tige Pilze sind die Pilzvergiftungen mit derhöchstenLetalitätundmachenmehrals90%aller Pilzvergiftungen aus. Für die Vergiftungmaßgebend sind dieAmatoxine. Das in denPilzenebenfallsenthaltenePhalloidinhatkei-neklinischeBedeutung.DieTherapiesoll soschnell wiemöglich begonnen werden, auch

Kapitel112:PathogenePilzarten

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bei “Mit-Essern”, die noch keine oder nurschwacheSymptomehaben.

►Verlauf: Die Latenzzeit der Vergiftung ist dielängsteallerPilzvergiftungen.

○gastrointestinale Phase (12-24 h nach der Pilz-mahlzeit).SchwerecholeraähnlicheDurchfäl-leundErbrechen,dadurchWasserverlustundStörungendesMineralhaushaltes,besondersHypokaliämie.

○symptomenarmeLatenzphase (24-48h nachPilzmahlzeit).

○hepato-renale Phase (48-72 h nach Pilzmahl-zeit). Ikterus, Albuminämie, die Durchfällewerdenblutig.DieLeberfunktionsprobensindhochgradigpathologisch,dieBlutgerinnungistdurchAusfall der Synthese von Gerinnungs-faktoren gestört, die Hypoglykämie kann zuKrämpfen führen. Die hepato-renale Phasekulminiertumden5.Tag,dieRückbildunger-folgtdanachinwenigenTagen.

►Diagnoseaus:●Anamnese. Wo und wann wurden die Pilze

gesammelt?WiesahendiePilzeaus?(Bilderdemonstrieren).WannwurdediePilzmahlzeiteingenommen?WelcheanderenPersonenha-bendaranteilgenommen?WelcheBeschwer-denhabendiesePersonen?

●KlinischerBefund(s.o.unterVerlauf). BeipositiverAnamneseundverdächtigemkli-

nischen Befund wird die Therapie unter derVerdachtsdiagnose “Vergiftung durch Knol-lenblätterpilze” eingeleitet. DerNachweis derAmatoxine dient der nachträglichen Bestä-tigungderDiagnoseund istnichtVorausset-zungfürdieEinleitungderTherapie.

●NachweisderAmatoxine: -ausdenFragmentenroherPilzemitWielands

Test:ManzerdrücktdasabgespülteFragmentauf dem unbedrucktenRand einer Tageszei-tung,trocknetdenFleck(Föhn),beträufeltmitkonzentrierterSalzsäure(>8molar)undsiehtnach10mineinenblauenFleck,wennderTestpositivist.

- Nachweis aus dem Blutplasma, Serum oderUrinmiteinemELISA10.

- mikroskopische Untersuchung roher oder er-brochener Pilzreste (meist fehlt eine PersonmitdernotwendigenSachkenntnis).

- PräsentationroherPilzeaufderPilzberatungs-stelle.

►Therapie:Wegen der langen Latenzzeit zwi-schen der Pilzmahlzeit und dem Beginn derSymptomekommteineMagenspülung inderRegelzuspät.WennbereitscholeraähnlichenDurchfällebestehen,genügensiezurEntfer-nung der gegessenen Pilze aus dem Darm.Die Rückresorption der Amatoxine aus demDarmkannunterbrochenwerdendurchGabevonAktivkohle, danach durchAbsaugen derGalleübereineDuodenalsonde.DerWasser-,Elektrolyt- und Glukosebestand muss nachdenRegeln der allgemeinen Intensivtherapienormalisiert werden. Erst danach ist die Re-duktion der tubulären Rückresorption durchBeschleunigung der Diurese zu erwägen. –Die Wirksamkeit einer Hämodialyse ist nichtgesichert. Die früher geübte Hämoperfusionwird nicht mehr empfohlen, weil ihr Nutzennicht erwiesenwurde undweil durch die ge-störtenGerinnungsparametererheblichePro-blemeentstehen.

“Antidote”:FürN-Acetylcystein,PenicillinGinhohenDosenundSilibininwurde inderZell-kultur vonHepatocyten gezeigt, dass sie beiVorausgabedieWirkungderAmatoxineredu-zieren,aberinderkritischenklinischenPraxisließsichnureinetherapeutischeWirkungvonSilibinin nachweisen. Silibinin konkurriert mitAmatoxinenumdenTransporterOATP1B3.

Silibinin

►Struktur:11.►Mechanismus: Hemmung derAufnahme von

AmatoxineninLeberzellendurchVerdrängungvomTransporterOATP1B312.

►Indikation:TherapiederKnollenblätterpilz-Ver-giftung (d.h. der Vergiftung mit AmatoxinennachGenussAmatoxin-haltigerPilze).

►Dosierung: Legalon SIL®, die wasserlöslicheFormvonSilibinin,wird i.v.dauerinfundiert13.Kinetik:14.

►Sonstiges: Klinisch relevante Interaktionenwurden nicht publiziert. Cancerogene, em-bryotoxische oder fetotoxische Wirkungenwurden in Zellkulturen und Tierexperimentennichtbeobachtet.

Kapitel112:PathogenePilzarten

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Pilze, die Gyromitrin enthalten

Literatur:15.►Pilze●Frühjahrslorchel,Gyromitra esculenta,Bilder:16. Esgibtmehrals10anderegiftigeLorcheln,die

aberseltenvorkommen.►Struktur:17.►Kinetik: Gyromitrin ist wasserlöslich und

wird leicht hydrolysiert zu den toxischenFolgeprodukten Monomethylhydrazin undN-methyl-N-formyl-hydrazin.

►Mechanismen:MonomethylhydrazininaktiviertVitamin B6 durch Hydrazonbildung, wodurchu.a. die Glutaminsäuredecarboxylase ihrenCofaktor verliert und deshalb weniger GABAbildet.

►Kinetik: N-methyl-N-formyl-hydrazin. wirdmit CYP-Enzymen oxidiert und weiter zuNitrosamiden umgesetzt. Die FolgeproduktemethylierendieDNAundwirkencancerogen.

►Vergiftungsverlauf: Zu Beginn (6-12 Std.nach der Pilzmahlzeit) Schwindelgefühl,Bauchschmerzen und Durchfall. Die Früh-symptomatik ist nahezu gleich der bei Knol-lenblätterpilzvergiftung.SpäterGelbsuchtundmehrZNS-SymptomealsbeiAmatoxin-Vergif-tung,Krämpfe,Koma.

►Therapie:DiePilzmahlzeithatbeiBeginnderSymptomatik den Magen bereits verlassen.GabevonAktivkohleundvonPyridoxal(Vita-minB6,Erwachsene100mg/Tagi.v.),DiazepambeiKrämpfen,allgemeineIntensivtherapie.

Pilze, die Orellanin enthalten

►Pilze:●OrangefuchsigerRauhkopf,Cortinarius orella-

nus,Bilder:18.●SpitzgebuckelterRauhkopf,Cortinarius rubel-

lusoderCortinarius speciosissimus,Bilder:19.►Struktur:20.►Mechanismus: Orellanin kann ein Redoxsys-

tembilden,durchdasfreieSauerstoffradikalegebildet werden. Sie erzeugen Zerstörungenan mehreren Orten, besonders aber an denNierentubuli.

►Vergiftungssymptome:Nacheiner langenLa-tenzzeit(3Tagebis3Wochen)entwickeltsichunter dem Bild einer interstitiellen Nephritis

akutes Nierenversagen mit Durst, Rückgangder Urinproduktion, Kopfschmerzen und An-stiegderharnpflichtigenSubstanzen.

►Therapie: Zwar wurden Hämodialyse, Hä-moperfusion und Plasmapherese eingesetzt,aber ob diese Maßnahmen nach tage- oderwochenlanger Latenzzeit noch wesentlicheMengenOrellaninentfernten,stehtdahin.Zu-dem ist dasVd des schlechtwasserlöslichenOrellaninunbekannt.DieSuppressionderEnt-zündungmitGlucocorticoidenerscheint sinn-voll, aber erwiesen ist der Nutzen nicht. DieNierenschäden bilden sich nicht zurück, undnichtwenigePatientenbleibendialysepflichtig.

►DerSchöngelbeKlumpfuß,Cortinarius splen-dens, (Bild:21) erzeugt ebenfalls das “Orella-nin-Syndrom”,aberdasverantwortlicheToxinistunbekannt.

Pilze, die Coprin enthalten

►Pilze:○Faltentintling,Coprinopsis atramentarius, Bil-

der:22.○Netzstieliger Hexenröhrling, Boletus luridus,

Bild:23.○Glimmertintling,Coprinellus micaceus,Bild:24.►Struktur:25.►Mechanismus:CoprinwirdimsaurenMagen-

saft unter Bildung von Aminocyclopropanolhydolysiert. Aminocyclopropanol hemmt dieAldehyddehydrogenase und erzeugt dadurchdie

►Wirkung:Antabus-Syndrom(s.Kap.107).

Pilze, die Muscarin enthalten

►Pilze:○Ziegelroter Rißpilz, Inocybe erubescens, Bil-

der:26.○Feldtrichterling,Clitocybe dealbata,Bild:27.►Struktur:28.►Mechanismus: Muscarin ist ein Agonist an

M-Acetylcholinrezeptoren.►Vergiftungssymptome: 15-60 min nach der

Pilzmahlzeit beginnt die Symptomatik: Spei-chelfluss, Erbrechen, Darmkoliken, Durchfall,Tränenfluss, Miosis, Sehstörungen, Hypoto-nie,Bradykardie.

►Therapie:Atropin in hohenDosen nachWir-

Kapitel112:PathogenePilzarten

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547Kapitel112:PathogenePilzarten

kung (wie bei Cholinesterasehemmern, Kap.63), Magenspülung nur innerhalb der erstenStunde nach Ingestion, Aktivkohle (nicht beiErbrechen), wenn erforderlich allgemeine In-tensivtherapie.NachEndederResorptionbil-densichdieSymptomeschnellzurück.

Pilze, die Muscimol und Ibotensäure enthalten

►Pilze:○Fliegenpilz,Amanita muscaria,Bild:29.○Königsfliegenpilz,Amanita regalis,Bild:30.○Pantherpilz,Amanita pantherina,Bild:31.►Strukturen:32. Ibotensäure geht leicht (z.B.

beimKochen)inMuscimolüber.►Mechanismus: Muscimol und Ibotensäure

(schwächer wirksam) sind GABA-AgonistenimZNS.

►Vergiftungen: Zubereitungen aus diesen Pil-zen dienen der Rauscherzeugung, aber dieResultate nach Applikation fallen sehr ver-schiedenaus.SchonderGehaltderPilzeanIbotensäure und Muscimol schwankt erheb-lich,unddieArtdesRauschesist–-wieauchbei LSD – stark von der Eingangsstimmungdes Individuums abhängig. Eine halbe Stun-de nach Ingestion beginnt die unangenehmeAnfangsphase mit Übelkeit, Schwindel undMuskelzittern. Während der anschließenden“psychedelischen”PhasebestehenHalluzina-tionen. Synästhesien kommen vor. SchwereErregungszustände können auftreten. In derdrittenPhasefälltderPatientindenSchlaf.InderRegelisternichtgefährdet.MagenspülungnurinnerhalbdererstenStundenachIngesti-on,Aktivkohle p.o. nur,wenn derPatient dieSuspensionschluckenkann.BeistarkerErre-gungDiazepami.v.Muscimolwirdschnellre-naleliminiert.

Der Kahle Krempling (Paxillus involutus)

Bilder:33. Die toxischen Inhaltsstoffe sind un-genügend bekannt. Eine Pilzmahlzeit mit Kah-len Kremplingen kann eine lebensbedrohliche Gastroenteritis auslösen, wenn die Pilze nicht genügend lange gekocht wurden. Der kahle Kremp ling enthält außerdem ein Antigen, das resorbiert wird und bei wiederholten Mahlzei-

ten die Bildung von Antikörpern induziert. Eine Antigen-Antikörperreaktion kann nach mehrma-ligem Genuss der Pilze ausgelöst werden und führt zur massiven lebensgefährlichen Hämolyse (Kap. 46), Mikrokoagulopathie, Niereninsuffizi-enz und respiratorische Insuffizienz.

Die Symptome beginnen 1-2 Std. nach der Pilzmahlzeit. Erbricht der Patient, so ist der Ma-gen schon geleert. Die Gabe von Aktivkohle ist erst sinnvoll und ungefährlich, wenn die Suspen-sion nicht mehr erbrochen wird. Über Erfolge mit mehrfacher Plasmapherese wurde berichtet34. Die Störungen des Wasser- und Elektrolythaus-haltes werden nach den Regeln der Intensivme-dizin behandelt.

Der Grünling (Tricholoma equestre)

Bild:35. Die Pilze enthalten als Wirkstoff wahr-scheinlich Cyclopropan-2-en-säure36. Sympto-me: Übelkeit ohne Erbrechen, Schweißausbruch, Muskelschwäche (seltener auch Rhabdomyoly-se), akutes Nierenversagen.

Der wohlriechende Trichterling (Clitocybe amoenolens)

Bild:37. Wirkstoff sind Acromelsäuren (Struk-tur:38). Der Pilz hat in Frankreich und Italien zu Vergiftungen geführt. Ob er in Deutschland vor-kommt, ist ungewiss. Das Vergiftungsbild (nach 6 Std. Latenzzeit) entspricht einer Acromelalgie (schmerzhafte Hautrötung). Es gibt keine spezi-fische Therapie.

Pilze, die Psilocybin enthalten

►Pilze: Der spitzkegeliger Kahlkopf,Psilocybe semilanceata,(Bilder:39)istderinEuropahäu-figsteVertreter,aberesgibtvieleandere.

►Strukturen:40.►Kinetik:DerInhaltsstoffPsilocybinist“Prodrug”

und wird zum wirksamen Psilocin dephos-phoryliert. Psilocin wird durch oxidative Des-aminierung mit Monoaminoxidase und durchGlucuronidierungschnellausgeschieden.DerMetabolismuskannmitMAO-Hemmernverzö-gertunddamitdieWirkungverlängertwerden.Psilocin hat imMittel 74min HWZ. DieWir-kungsetztdosisabhängignach10-30minein,

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dauert2-6Std.undgehtdannschnellzurück.Tachyphylaxie kann sichentwickeln, nicht je-dochAbhängigkeit.

►Mechanismus: Psilocin ist Agonist an5HT2A-Rezeptoren, auch – aber weniger –anRezeptoren5HT1A,5HT1Dund5HT2C.DieZNS-Wirkungen lassen sich mit 5HT2A-Anta-gonisten(Ketanserin,Risperidon)aufheben.

►Wirkungen: Psilocin ist ein Halluzinogen. ObdieHalluzinationenerfreulichoderunerfreulichwerden,hängtvonderpsychologischenAus-gangslage desBenutzers ab.Die akustischeundoptischeWahrnehmungistverändert.DasZeitgefühlwirderheblichgestört,Minutenwer-denzuStunden.

Kapitel 113Pathogene Pflanzen

Pathogene Pflanzen enthalten toxische Verbin-dungen oder starke Antigene.

Es gibt zur Zeit (2013) keine überregionale Beratungsstelle, an die man eine mit dem Mo-biltelefon oder der Digitalkamera aufgenomme-nes Bilderfolge von Pflanzen mit der Bitte um schnelle telefonische Antwort schicken könn-te. Ein Gärtner in der Nähe kann in der Regel Pflanzen identifizieren. – In den folgenden Ein-zeldarstellungen sind für Bilder der Pflanzen In-ternetadressen angegeben. Diese Bilder haben Beispielcharakter und genügen nicht zur Bestim-mung einer Pflanzenart. Zur Bestimmung eignen sich Bücher mit guten Abbildungen und aus-führlicher Beschreibung der morphologischen Merkmale, der Bodenmerkmale, des regionalen und des jahreszeitlichen Vorkommens. Zu beach-ten ist, dass die Früchte (Beeren, Schoten) einer Pflanze ihr Aussehen mit der Jahreszeit verän-dern.

Pflanzen, die Lectine enthalten

►Pflanzen:●Rizinus-Staude,Ricinus communis, die Boh-

nen (Bild:1) enthalten Ricin. Ricin kann ausden bei derÖlgewinnung anfallendenPress-rückständenundausdenBohnenleichtextra-hiert und zu Pulver getrocknet werden. DieExtraktesindhitzeempfindlich.

○Paternostererbse, Abrus precatorius, dieSchotenmitErbsen(Bild:2)enthaltenAbrin.

►Strukturen:DieLectineRicinundAbrinbeste-hen aus einer bindenden B-Kette und einerwirkendenA-Kette, dieüber eineDisulfidbrü-ckemiteinanderverbundensind.Siesinddembakteriellen Shiga-Toxin in Bindung undWir-kungsmechanismusähnlich.

►Kinetik: Die Lectinewerden sowohl gastroin-testinalalsauchpulmonalresorbiert.Siebin-den an Galaktose oder N-Galactosamin undwerden in Endosomen aufgenommen. ÜberdasGolgi-Systemgelangen sie in das endo-plasmatischeRetikulum.DortwirddieDisulfid-bindung mit Proteindisulfid-Isomerase gelöstunddieA-KetteindasCytoplasmaentlassen.

Kapitel112:PathogenePilzarten

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►Mechanismus: Die A-Kette entfernt enzyma-tisch das Adenin4324 in der 28S-rRNA derRibosomen.DanachistdieBildungdesElon-gationsfaktorsnichtmehrmöglich,dieProtein-synthesehörtauf.DieSymptomeerscheinenbeioralerAufnahmenach1-3Tagen,beipul-monalerAufnahmenach8Std.,beiparentera-lerApplikationnochschneller.

►Bedeutung:RicinwirdalsMordgiftangewandt.Der bulgarische Dissident und Schriftstel-ler GeorgiMarkov wurde getötet, indem ihmeinemitRicingefüllteundgelochtePlatin/Iri-dium-KugelmiteineralsRegenschirmgetarn-tenWaffeinsBeingeschossenwurde.Seitherhabenüber10Terrorgruppenversucht,RicinalsMordmittelgegenPersonenundPersonen-gruppeneinzusetzen.DieseAktivitätendauernan.GegendieVergiftunggibteskeinGegen-mittel. Ricin fällt in Deutschland unter dasKriegswaffenkontrollgesetz.

►Vergiftungserscheinungen: Erbrechen, Kolik,Durchfall bei oraler Aufnahme, LungenödembeipulmonalerAufnahme,Tachykardie,Tremor,starkeLeukocytose,ToddurchAtemlähmung.

Pflanzen, die Tropan-Alkaloide enthalten

►Pflanzen:●Tollkirsche,Atropa belladonna,Bilder:3.●Stechapfel,Datura stramonium,Bild:4.●Schwarzes Bilsenkraut, Hyoscyamus niger,

Bild:5.●Engelstrompete (mehrere Arten der Gattung

Brugmansia),Bilder:6.●Alraune,Mandragora officinalis,Bilder:7.►Strukturen: S. Kap. 65, Struktur von Scopo-

lamin und Atropin (Atropin ist das RazematausdemaktivenS-unddemD-Hyoscyamin).DieseAlkaloide sind in allen vorstehend ge-nannten Pflanzen enthalten undmachen dieWirkungaus.

►Sonstiges:s.Kap.65

Pflanzen, die Herzglykoside enthalten

►Pflanzen:●RoterFingerhut,Digitalis purpurea,Bild:8.●WolligerFingerhut,Digitalis lanata,Bild:9.●Oleander,Nerium oleander.Bild:10.○KrainerTollkraut,Hyoscyamus scopolia,Bild:11.

○Maiglöckchen,Convallaria majalis○Christrose, Helleborus niger, Bild:12. Bestim-

mendfürdieSymptomatikistjedocheinweite-rerWirkstoff,dasProtoanemonin(Struktur:13).EserzeugteineGastroenteritis.

►Strukturen:StrukturenvollständigerGlykosides.Kap.57und14.

►Vergiftung:s.Kap.57.DieInjektionvonDigita-lisantikörpernistbeiallenHerzglykosid-Vergif-tungenindiziert.

Pflanzen, die Saponine enthalten

Der Name wurde geprägt, weil die Verbindungen “wie Seife” wirken. Unter den Saponinen bilden die Glykoside von Steroiden – Solanin, Pennoge-nin – eine besondere Gruppe. Sie sind den Herz-glykosiden chemisch ähnlich, wirken aber weniger auf das Herz und mehr auf Erythrocyten (Hämoly-se), und sie erzeugen nur leichte Vergiftungen.►Pflanzen:○Kartoffeln (besonders unreife und keimende)

enthaltenSolanin(Struktur:15).DiemodernenSorten enthalten sehr wenig Solanin, zudemsinktderSolaningehaltbeimErhitzenderKar-toffeln.DerSolaningehalt grünerTomaten isthöher.

○Die Einbeere, Paris quadrifolia, (Bild:16) er-regtdieAufmerksamkeitvonKindern.Sieent-hält Pennogenin-Tetraglykosid (Struktur:17).Die “Beere” sieht aus wie eine Heidelbeere,schmecktabernichtgut,weshalbseltenmehralseineBeeregegessenwird.SymptomesindÜbelkeit, starkeBauchschmerzenundErbre-chen.DieBehandlungistsymptomatisch.

Pflanzen, die Agonisten an Nn-Cholinoceptoren enthalten (siehe auch Kap. 62)

Coniin im Gefleckten Schierling

►Pflanzen:●Gefleckter Schierling, Conium maculatum

(Bild:18). Der Gefleckte Schierling hat einenGeruch ähnlich der Luft in einem Raum, indem Mäuse hausen. Coniin kommt auch imGefleckten Aronstab, Arum maculatum, vor(Bild:19),aberdessenToxizitätwirdmehrvonseinemOxalsäuregehaltbestimmt.

Kapitel113:PathogenePflanzen

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►Strukturen:20. Noch toxischer als das ConiinistdasebenfallsimGeflecktenSchierlingent-halteneγ-Conicein,dasüberdengleichenMe-chanismuswirkt.

►Kinetik:Coniinundγ-Coniceinwerdenmitei-ner Latenzzeit resorbiert, die von der “Zube-reitungsform” abhängt und 0,5-5Std. dauernkann. Sokrateswurdemit einemExtrakt ausfrisch geriebenemMaterial vergiftet, und derBericht über seinen Tod vermittelt den Ein-druck, die Lähmung sei in weniger als einerStundeeingetreten21.

►Mechanismus:DieVerbindungensindAgonis-tenanpostsynaptischenNm-undNn-Acetyl-cholin-Rezeptoren,wirkenalsosowohlanderMuskulaturalsauchandenGanglien.

►Vergiftungsverlauf: An der Muskulatur tritt –ähnlich wie durch Succinylcholin (Kap. 66)– eine Depolarisation ein, aber so langsam,dass die (nach Succinylcholin-Injektion deut-liche)KontraktionsphasenichtaufscheintunddiemotorischenSymptomemitderLähmunganfangen.SiebeginntindenFüßenundsteigtauf (Beschreibung durch Platon21), die Läh-mung der respiratorischen Muskulatur führtzum Tod. Die agonistische Wirkung an denGanglienführtzueinerMischungausanfängli-cherErregung(Tachykardie,Hypertonie,Spei-chelfluss, Erbrechen, Tremor) und spätererLähmung(Bradykardie,Hypotonie).

►Therapie:MagenspülungnurbiseineStundenachderIngestion.GabevonKohlebeierhal-tenemSchluckreflex,abernichtbeiErbrechen.AllgemeineIntensivtherapie.

Cytisin im Goldregen

►Pflanzen:Goldregen,Laburnum anagyroides,Bilder:22.

►Struktur:23.►Kinetik:CytisinwirdausdenBlütenundScho-

tenschnellresorbiert,dieLatenzzeitliegtunter1Std.CytisinwirddurchCYP-Oxidationelimi-niert.

►Mechanismus: Cytisin ist wie ConiinAgonistanN-Acetylcholinrezeptoren,aberdieWirkungauf Nm-Rezeptoren (neuromuskuläre Synap-sen)sindgeringer,unddieneuronalenWirkun-gen(Nn-Rezeptoren)stehenimVordergrund.

►Vergiftungsverlauf:DerWechselvonderErre-gungsphase (Tachykardie, Blutdruckanstieg,Speichelfluss,Schwitzen,Erbrechen,Darmko-liken,Tremor,Hyperpnoe)zurLähmungspha-se(Bradykardie,Hypotonie,flacheAtmung)istausgeprägt.DieVergiftungwirdbeiKinderninderRegelnichtlebensgefährlich,weildieSa-men(undBlüten)BrennenimMundauslösenundfrühzeitigErbrecheneintritt.Nurbeimas-siverIngestionsindauchaggressiveMaßnah-menzuempfehlen.

Pflanzen mit starker Wirkung auf die Haut

Psoralene im Riesenbärenklau

►Pflanze:●Riesenbärenklau, Heracleum mantegazzia-

num,Bild:24.►Strukturen:25.►Klinik: Bei Berührung gibt die Pflanze Pso-

ralen und das chemisch ähnliche Bergalenauf die Haut ab. Die Verbindungen reagie-renmit Hautbestandteilen und bildenAdduk-te,besonderswenndiekontaminierteFlächedem Sonnenlicht ausgesetzt wird. Es entwi-ckelt sich eine Phytophotodermatitis in derForm einer schweren behandlungsbedürfti-gen bullösenDermatitismit starkenSchmer-zenundheftigemJuckreiz.ZusätzlichsinddieAdduktestarkeAllergene,sodasseinehoheEmpfindlichkeitderbetroffenenHautarealezu-rückbleibt.DannkönnenauchandereGarten-pflanzendieDermatitisauslösen.DiebullöseDermatitiswirdwieeineVerbrennung2.Gra-des behandelt. EineHyperpigmentierung derbetroffenenHautarealekannzurückbleiben.

Ätherische Öle

Ätherische Öle sind chemisch meist Terpene oder Sesquiterpen-Laktone. Sie werden von vielen Pflanzen gebildet, und sie werden als Aromastoffe z. B. in Kosmetika verwendet. Sie machen einen großen Anteil der Hauterkrankungen in der der-matologischen Ambulanz aus26. Abhilfe schafft nur der Verzicht auf derartige Kosmetika. Schon die Berührung einer Pflanze mit hohem Gehalt an ätherischen Ölen (Beispiel: Thujabaum, Thuja

Kapitel113:PathogenePflanzen

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occidentalis) kann genug ätherisches Öl zur Aus-lösung einer Dermatitis übertragen.

Pflanzen, die Stoffe mit Wirkung auf Ionenkanäle enthalten

Cicutoxin im Wasserschierling

►Pflanze:●Wasserschierling,Cicuta virosa,Bilder:27.►Struktur:28.►Mechanismus:DerWirkstoffCicutoxin ist ein

nichtkompetitiver Antagonist an GABAA-Re-zeptoren, die Chloridkanäle steuern. Er ver-hindertdieÖffnungvonChloridkanälendurchGABA(unddamitdieStabilisierungdesMem-branpotentials). Dies erklärt seine krampfer-zeugendeWirkung.

►Klinik:DieVergiftungisternstzunehmenundintensiv zu behandeln29. Nach einer kurzenLatenzzeit von 15-30 min beginnen Schwin-del,Übelkeit,Erbrechen,esfolgenMydriasis,Krämpfe, Rhabdomyolyse, Nierenversagen,Herzrhythmusstörungen und respiratorischesVersagen. Der Tod tritt durch Atemlähmungein. Eine Magenspülung in der ersten Stun-de nach der Ingestion kann Pflanzenresteentfernen. Kohle wird gegeben, wenn keineAspirationsgefahr durch Erbrechen besteht.BeatmungbeiAteminsuffizienzundHämodia-lysebeiNierenversagensindindiziert.DiePro-gnosebeikonsequenterTherapieistgut.

Aconitin im blauen Eisenhut

►Pflanze●BlauerEisenhut,Aconitum napellus,Bild:30.►Struktur:31.►Mechanismus:Aconitinbindetandieoffenen

Na+-IonenkanäleaufNerven,MuskulaturundHerzmuskulaturundhältdieKanäleoffen.DieZellenbleibenindauernderDepolarisation.

►Klinik:32. Aconitin wird schon durch Essender oberirdischen Teile des blauen Eisenhu-tesaufgenommen.DieSymptomeerscheinenmit einer Latenzzeit von 10-90min: Periora-les und intraorales Taubheitsgefühl, Schwin-del,Erbrechen,Muskelschwäche,Bradykardieund Herzrhythmusstörungen, Hypothermie,Krämpfe.DieVergiftungkannlebensgefährlich

werden, besonders durch die Therapieresis-tenzdergestörtenErregungsbildungund-lei-tungunddieReduktiondesSchlagvolumens.KlinischerprobteAntidotesindnichtbekannt.ImExperimentverschließtTetrodotoxindiege-öffneten Na+-Kanäle. Eine Magenspülung istangesichtsderkurzenLatenzzeitzuerwägen,KohlekannunterAspirationsschutzübereineSondeappliziertwerden,Diazepamwirktge-gendieKrämpfe.

Veratridin im Weißen Germer

►Pflanze:●WeißerGermer,Veratrum album,Bilder:33.►Struktur:34.►Mechanismus:VeratridinhältNa+-Ionenkanäle

offen.►Vergiftung: Die Symptome entsprechen der

Aconitinvergiftung, die kardialen WirkungenstehenimVordergrund.DieStörungenderEr-regungsbildung und -leitung bilden sich nurlangsamüberTagezurück.

Andromedotoxin in Rhododendron ponticum

►Pflanze:Rhododendron ponticum.DieseRho-dodendron-Spezies wächst an der Schwarz-meerküstederTürkei,dieHonigbienenbringendieToxin-beladenenPollenindieBienenhäu-ser.

►Struktur:35. Andromedotoxin, Grayanatoxin 1undAcetylandromedolsinddreiNamenfürdiegleicheVerbindung.

►Mechanismus: Andromedotoxin vermehrt dieZahlderwährenddesRuhepotentialsoffenenNa+-Kanäle, wodurch das Ruhepotential andas Schwellenpotential angehoben wird unddieZellen bereits auf kleine synaptischeDe-polarisationenAktionspotentialebilden.

►Klinik:36. Vergiftungen werden in der Türkeiund in Deutschland bei türkischen Männernbeobachtet, die “Pontischen Honig” (gewon-nenanderSchwarzmeerküstederTürkei)alsAphrodisiakum gegessen haben. Die Vergif-tungenverlaufenmeistundramatisch,Schwin-del,Übelkeit,BradykardieundStörungenderErregungsbildung(Vorhoftachykardie)undEr-regungsleitung (AV-Block, ventrikuläre Extra-systolie)stehenimVordergund.

Kapitel113:PathogenePflanzen

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Taxine in der Eibe

►Pflanze:●Eibe,Taxus baccata,Bild:37.►Strukturen:38.►Mechanismus: Die Taxine verschießen Na+-

undCa++-Kanäle,besondersamErregungslei-tungssystemundandenCardiomyocyten.

►Klinik: Vergiftungen entstehen durch KauenderNadelnundder“Beeren”(dieweicheSa-menhülleistnichttoxisch,derKernabersehr).Betroffen sind meist Kinder. Nach einer La-tenzzeitvon30minentwickeltsicheineTachy-kardie, zu der später einAV-Block hinzutritt,MydriasisundHypotonie.DieWirkungaufdasHerzistfürdenExitusmaßgebend.EineMa-genspülung ist indererstenStundenach In-gestionsinnvoll,Kohlesollunbedingtappliziertwerden.Intensivtherapieisterforderlich.NachüberstandenerVergiftungkanneinLeberscha-denzurückbleiben.

Andere toxische Pflanzen

Mezerein im Seidelbast

►Pflanze:●Seidelbast,Daphne mezerum,Bilder:39.►Struktur:40.►Mechanismen: Mezerein und das verwandte

Daphnetoxin aktivieren die Proteinkinase Cund induzierendieBildungvon Interleukin1.MezereinisteinTumor-Promotor.

►Klinik:Giftig sind vor allemdieSamen.Wer-densiegekaut,beginnteinheftigesBrennenimMundundRachen,dannschwellendieLip-penunddasGesicht.ErbrechenundDurchfallfolgen.MitVerzögerungfolgenweitereSymp-tome,eineNiereninsuffizienzkannentstehen.

Colchicin in der Herbstzeitlosens. Kap. 33. Bild:41.

Strychnin aus der Brechnuss, Nux vomica, hat in Deutschland nur noch historisches und wis-senschaftliches Interesse. Struktur:42. Es hemmt Glycinrezeptoren im ZNS, besonders im Rü-ckenmark, und führt dadurch zu Krämpfen.

Kapitel 114Giftige Meerestiere

Übersicht1. Wir stellen in diesem Kapitel nur Le-bewesen vor, die in europäischen Gewässern (At-lantik, Mittelmeer, Nord- und Ostsee, Schwarzes Meer) vorkommen.

Toxine und Gifte

Die Bakterien, Dinoflagellaten und Pflanzen, die wir kennengelernt haben, enthielten in der Regel eine toxische Substanz, die die toxische Wirkung hervorbrachte. Wir haben für diese Einzelsubs-tanz immer das Wort “Toxin” und nie das Wort “Gift” benutzt.

○WirbezeichnenalsToxinetoxische,vonLebe-wesenproduzierteEinzelsubstanzen.

Im Tierreich erweitert sich die Situation. Zwar gibt es immer noch Tiere, die durch nur ein To-xin giftig sind, wie z. B. der im Roten Meer vor-kommende Fisch Pardachirus marmoratus, der allein mit dem Polypeptid Pardaxin die Haifi-sche abwehrt, aber andere Tiere wie z. B. Ke-gelschnecken greifen mit mehreren Toxinen gleichzeitig an: α-Conotoxin hemmt N-Acetyl-cholinrezeptoren auf Neuronen und Myocyten, δ-Conotoxin hemmt die Inaktivierung span-nungsabhängiger Na+-Kanäle auf Neuronen und hält sie offen, κ-Conotoxin hemmt K+-Kanäle auf Neuronen, µ-Conotoxin hemmt spannungsab-hängige Na+-Kanäle auf den Myocyten, ω-Cono-toxin hemmt spannungsabhängige Ca++-Kanäle auf Neuronen (s. Kap. 58, Ziconotid).

○WirbezeichnenalsGifteineKompositionausmehreren Toxinen und Hilfssubstanzen (z.B.EnzymezurPermeabilitätserhöhungvonGe-weben).

Aktiv und passiv giftige Tiere

Bakterien, Dinoflagellaten und Pflanzen geben ihre Toxine nicht nur ab, sondern produzieren sie auch. Sie sind aktiv giftige Lebewesen.

Aktiv giftige Tiere produzieren ihr Gift eben-falls selbst, wie z. B. der Polyp Physalia physa-lis (Portugiesische Galeere), die Kegelschnecke

Kapitel113:PathogenePflanzen

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Conus geographicus, der Fisch Trachinus draco (Petermännchen, neuerdings Echiitis draco), die Honigbiene Apis mellifera, die Schlange Vipera berus (Kreuzotter).

Passiv giftige Tiere nehmen ihr Gift – in der Regel ein einzelnes Toxin – durch Verzehr ande-rer Lebewesen auf. Dies gilt z. B. für die Mies-muschel Mytilus edulis oder den Kugelfisch Lagocephalus sceleratus.

Meerestiere im europanahen Atlantik, im Mittelmeer und im Schwarzen MeerDie Vorstellung der weltweit vorkommenden gif-tigen Meerestiere übersteigt den Rahmen dieses Buches. Hingegen bleibt die Darstellung über-sichtlich, wenn wir uns auf Deutschland und die europäischen Urlaubsgebiete beschränken.

Prophylaxe:

►WenndieBehördenwarnen- vordemBadenwegenQuallengefahr,- vorderunvorsichtigenHakenlösungbeigean-

geltenFischen,- vorderZubereitunggeangelterFische, dannsollteeinesolcheWarnungstriktbefolgt

werden.►Wegen des Vorkommens des Petermänn-

chensanallen europäischen, vor allemaberanmediterranenKüstensindBadeschuheim-mer“indiziert”.

►WerinaußereuropäischenGebieteneinenBa-deurlaubplant, sollte sichstetsüberdiedortlebendengiftigenWassertiereinformieren.Be-reitsandernordamerikanischenAtlantikküsteleben Spezies, die in Europa nicht vorkom-men.

Die Feuerqualle, Cyanea capillata

Bild:2. (Mediterrane Quallen, Übersicht:3).Die Feuerqualle kann in allen europäischen At-lantik- und Mittelmeerküsten auftauchen, gele-gentlich auch in der Ostsee. Sie hat bis zu einem Meter lange Tentakeln, an deren Enden Nessel-kapseln sitzen. Bei Berührung “explodieren” die Nesselkapseln und injizieren mit einem für Qual-len typischen Mechanismus das Nesselgift. Die

Struktur seiner Peptid- und Proteintoxine ist un-bekannt. Das Gift erzeugt brennende Schmerzen, Lebensgefahr besteht nicht. Allergieerzeugung ist möglich.

►Therapie:Nicht reiben!DurchReibenwerdennoch intakteNesselkapseln auf derHaut zurExplosion gebracht. Mit feuchtem Ufersandbedecken und mit einer Plastikkarte, einemPlastikmesser oder einemMesserrücken ab-schieben (schieben, nicht drücken) auf eineUnterlage (Kartenfläche,Messerklinge), nichtaufdiedanebenliegendeHaut.

Die Leuchtqualle, Pelagia noctiluca

Bild:4. Die Leuchtqualle kommt häufig im Mittel-meer vor, sehr selten auch im Atlantik. Sie hat 8 Tentakel. Das Gift ist ein Gemisch von Proteinto-xinen mit > 50 000 MW5. Es kann kleine Hautne-krosen erzeugen und wirkt (lokal) hämolytisch. Die Therapie entspricht der bei der Feuerqualle. Allergieerzeugung ist möglich

Die Kompassqualle, Chysaora hyoscella,

Bild:6. Die Kompassqualle kommt im Mittel-meer, an der Atlantikküste und an der Küsten von Nord- und Ostsee vor. Sie hat 4 Tentakel. Die Be-schwerden nach einer Vernesselung sind erträg-lich, treten aber großflächig auf.

Die Portugiesische Galeere, Physalia physalis,

Bild:7. Die Portugiesische Galeere ist die gefähr-lichste Qualle in unseren Breiten, und sie scheint sich auszubreiten. Über Todesfälle wurde berich-tet. Sie sieht aus wie eine große Qualle, ist aber eine Polypenkolonie mit spezialisierten Individu-en (Zooiden). Sie hat einen großen CO2-gefüllten Gasraum, schwimmt deshalb an der Oberfläche und ist gut zu sehen. Ihre Tentakel sind im Mittel 1,5 m lang, können aber bis 50 m lang werden. Sie wurde vor den Kanarischen Inseln, vor Ca-diz und vor der Atlantikküste nordwärts bis zur Gironde, vor Mallorca, Formentera und Malta gesichtet. Der warme Golfstrom trägt sie bis vor die irische Küste. Bei ihrem Auftauchen muss je-der das Wasser schnell verlassen. Meist weisen Warnschilder auf eine akute Gefahr hin. Selbst

Kapitel114:GiftigeMeerestiere

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von gestrandeten toten Exemplaren geht größte Gefahr aus, solange die Nematocysten auf den Fangarmen noch funktionsfähig sind.

Das Gift befindet sich in den Nematocysten und ist ein Gemisch aus mehreren Toxinen, un-ter denen Physaliatoxin (MW 240 000) die größte Bedeutung hat. Physaliatoxin öffnet in der Mem-bran aller Zellen Poren, die besonders für Ca++ durchlässig sind8. Das einströmende Calcium setzt auch Histamin und Cytokine frei. Die Po-renbildung ist weiterhin Ursache für die lebens-gefährdende cardiotoxische und hämolytische Wirkung.

►Klinik:NachKontaktmit denFangarmenderPortugiesischenGaleere–meist istderKon-takt lang und erfolgt mit mehreren Tierengleichzeitig – entstehen stärkste Schmer-zen,diedenPatientenindenSchocktreiben.Wasser-Retter dürfen den Selbstschutz nichtvergessen. Auf dem Land werden alle Ne-matocysten,Fangarmresteusw.vonderHautentfernt (Instrumente, Handschuhe, nicht diebloßenHändenehmen),befalleneExtremitä-ten des Patienten werden in heißesWassergetaucht (45°C). Die Weiterbehandlung imHospital ist unbedingt erforderlich. Die uner-träglichen Schmerzen erfordern den EinsatzvonOpiaten.Esentwickelnsich lokalGefäß-spasmen, Ödeme undMikrothrombosen, dieeinKompartmentsyndromundNekrosenver-ursachen können. Eine ausgeprägte Allergiekannzurückbleiben.

Die Wachsrose (Seeanemone),

Anemonia sulcata, Bild:9.Die Wachsrose gehört zu den Polypen. Sie haf-tet auf felsigem Meeresgrund, meist in Symbio-se mit anderen Lebewesen. Ihr führendes Toxin hält Na+-Kanäle offen. Wenn man auf eine See-anemone tritt, entsteht ein brennendes Gefühl, das sich aber bald zurückbildet. Besteht aber durch einen früheren Kontakt eine Allergie, kann ein anaphylaktischer Schock ausgelöst werden.

Das Petermännchen, Trachinus draco,

Bild:10. Das Petermännchen kommt an allen eu-ropäischen Küsten vor. Die Familie Trachinus

enthält außer Trachinus draco noch andere Spe-zies, die sich aber alle auf gleiche Weise mit Gift gegen Angreifer verteidigen. Zum Laichen gräbt sich Trachinus in den Sand ein. Wenn sich ein Badender nähert, flieht der Fisch nicht, sondern richtet seine Rückenflossen auf. Die Strahlen der vorderen Rückenflosse sind mit Drüsenpaketen, die den Giftvorrat bilden und speichern, und mit Führungsrinnen für das Gift bewehrt. Tritt der Badende auf den Fisch, wird das Gift in seinen Fuß injiziert. Augenblicklich entsteht ein “höl-lischer” Schmerz, denn ein schnell wirkendes Toxin hat alle umgebenden Zellen, darunter die afferenten Neurone depolarisiert. Ein Ödem folgt nach, Blasen können sich bilden.

►Therapie11: Abgebrochene Stacheln, die inderWundestecken,müssenentferntwerden.WegendergroßenSchmerzenwurdenOpiategegeben (Kasuistiken).GegenTetanusmussaktivimmunisiertbzw.einbestehenderSchutzaufgefrischt werden. Eine Allergie kann zu-rückbleiben.

Kapitel114:GiftigeMeerestiere

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Kapitel 115Giftige Landtiere

Bienen, Wespen, Hornissen

InEuropaheimischundmitToxinenbewehrtsind●dieHonigbiene,Apis mellifera,●dieVespula vulgarisundVespa germanicaso-

wie●dieHornisse,Vespa crabo.►Strukturen:1. Am besten untersucht ist das

Bienengift.EsenthältdiedreiPeptideMelittin,Apamin und MCD-Peptid, ferner eine Phos-pholipaseundHistamin.DieGiftederWespenundHornissensindähnlichzusammengesetzt.

►Mechanismen:○Melittin ist eine amphiphile (seifenähnliche)

Verbindung: Seine lipophilen Aminosäurenvermittelnseine Insertion indiePlasmamem-branen,dortbildenvierMelittin-Moleküle(Te-tramer) Poren, deren Innenwand durch diehydrophilenAminosäurengebildetwerden.DiePorensindunspezifischdurchgängigfürkleineIonen.

○Apamin blockiert Ca++-abhängige K+-Kanälerechtspezifisch.

○DasMCD-PeptiddegranuliertMastzellenundentleertausihnenu.a.Histamin.

►Allergie: Die Bestandteile des Bienengiftessind starke Allergene und sensibilisieren füreineallergischeReaktionvomTypCoombsI2.

►Wirkungen:BienenlassenbeimStichdenSta-chel in der Wunde, Wespen und Hornissennicht.Allgemein bekannt sind die sofort ein-setzenden Schmerzen, die Schwellung unddieRötung.WespenundHornissenscheidenbeimSticheinPheromonaus,mitdemande-reTiereausdemgleichenVolkangelocktundzumStechenveranlasstwerden.DerStichei-neseinzelnenInsekteswirdnurinzweiFällengefährlich:

- Der Stich erfolgt in denMund oder Rachen,wonach die Schwellung die Atemwege ver-engt.

- EinanaphylaktischerSchockwirdausgelöst.►Therapie:NacheinemAngriffdurcheinenWe-

spen-oderHornissenschwarmkannstationäreBehandlung erforderlichwerden3. Bei nurei-

nemStich,dernichtinderMundhöhleoderimRachenerfolgtist,genügtdieEntfernungdesStachels(Biene),KühlungderStichstelle(undBeruhigungeinesgestochenenKindes).

●Nach einemStich in derMundhöhle oder imRachenraummussdurchSchlucken/LutschenvonEis gekühlt und auf einer Intensivstationweiterbehandeltwerden,denndie (rechtzeiti-ge!)Intubationkannerforderlichwerden4.

●Häufiger ist die Auslösung eines anaphylak-tischenSchocks,dieauchverzögerterfolgenkann5.Therapie:s.Kap.45.

Spinnen

In Europa gibt es nur eine Spezies einer giftigen Spinne, die ●Schwarze Witwe, Latrodectus tredecimgutta-

tus. Sie kommt inSüdeuropa vor undwurdehäufiganderkroatischenKüstegesichtet. InKroatienwirdeinAntiserumgegendasSpin-nengiftvorrätiggehalten.

►Struktur:ImSpinnengiftbefindensichmehre-reLatrotoxine6,unterdenendasα-Latrotoxin7führendist.SeineStrukturistaufgeklärt:EsisteinProteinvon131,5kDaundhatnurperiphe-reWirkungen.

►Mechanismus:α-LatrotoxinwirktaufzweiWe-gen:

○ErstensbindetesaneinMembranprotein(La-trodectin),bildeteinKanal-TetramerundöffnetsoCa++-KanäleaufpräsynaptischenTermina-lenmotorischerNervenundendokrinerZellen.Das führt zu einem massiven Einstrom vonCa++-Ionen.

○Zweitensbindet esanRezeptoren (NeurexinundLatrophilin).DieseRezeptorensindaneinGαq/11-Proteingekoppelt,ihreStimulationführtüber eine Signalstrecke zur Freisetzung vonCa++ausintrazellulärenSpeichern.

Die Erhöhung der Calciumkonzentration aufzweiWegenführtzuerstzurstarkenAusschüt-tungausdenTransmitterspeichernbiszude-renEntleerung.

►Klinik:8.DiePatientenbekommensehrstarkeBauchschmerzen,inderUmgebungderBiss-stelle wird Schweiß gebildet und die Haarerichten sich auf, derBlutdruck und dieHerz-frequenzsteigenerheblich.ÜberdieSchwere

Kapitel115:GiftigeLandtiere

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desKrankheitsbildesgibtesunterschiedlicheBerichte. In den Hospitälern der kroatischenAdriaküstegiltdieVergiftungalserheblich.SiewirddortmiteinemAntiserumbehandelt.

Skorpione

●Euscorpius italicusistein5cmlangerSkorpi-on,dersüdlichderAlpenundimganzenMit-telmeerraum vorkommt. Er sieht bedrohlichausundstichtdenUnvorsichtigen,istabernurschwachgiftig.

●Buthus occitanus, der Feldskorpion (Bild:9)lebtinSüdfrankreich,Spanien,südlichderAl-penbis Israelund inNordafrikadort,wodasGeländetrockenist.EristgiftigeralsEuscor-pius.DasGiftenthälteineungewöhnlichgroßeZahlvonPeptiden10,diealleaufIonenkanälewirken. Für das klinische Vergiftungsbild be-stimmendsinddiePeptide,diedenNa+-KanalerregbarerMembranenoffenhalten.

►Klinik:BesondersbeiKindernkönnendiekar-diovaskulärenSymptomebedrohlichsein.An-tiserumwirdvorgehaltenin(Urlaubs-)Ländern,indenenVergiftungendurchButhus occitanushäufigsind.

Frösche und Kröten

●Bufo vulgarisundnicht-europäischeKröten. InNordeuropaistnurdieErdkröteBufo vulga-

ris giftig. Kröten produzieren ein Hautsekret,das Tryptamin-Derivate (z.B. Bufotenin) unddigitalis-ähnlicheSteroid-Derivate (z.B.Bufo-toxin)enthält.Strukturen:11.

NachKontaktmit derunverletztenHautwer-dendieVerbindungennichtwesentlichresor-biert.–IndesenthältdasAphrodisiakum“LoveStone”(Herkunft:Karibik)unddas“alternativeHerzmittel”ChanSu(Herkunft:Ostasien)ge-trockneten Krötenextrakt. Die Vergiftungenimponieren als z.T. schwere Digitalis-Vergif-tungenundwerdenauchsobehandelt.Digita-lis-Antikörpersindwirksam12.

●Phyllobates terribilis und verwandte Spezies(“Pfeilgift-Frösche”).

InihrerHeimat(Nicaragua,Kolumbien)produ-zierendieseFröscheausregionalerNahrungdassehr toxischeBatrachotoxin (Struktur:13).Die Ureinwohner verwenden das Hautsekret

zurHerstellungvonPfeilgiften.InEuropawer-dendieschönenFröscheinTerrariengehalten(GefahrdurchillegaleImporte!).Wennsielan-gegenugaußerhalbihrerHeimatgehaltenundandersernährtwurden, istBatrachotoxinausihremHautsekretverschwunden.

►Mechanismus:Batrachotoxinbindetandiege-öffneten spannungsabhängigen Na+-KanäleerregbarerMembranenundhältsieoffen.

Schlangen in Europa

In Europa kommen mindestens neun Spezies gif-tiger Schlangen vor, aber nur drei Spezies sind häufig:●DieKreuzotter,Vipera berus, kommt in ganz

EuropabisindenhohenNordenundauchau-ßerhalbEuropasvor.

●DieAspisviper,Vipera aspis,kommtnurinEu-ropavorundbevorzugtdiesteinigenundtro-ckenenHängeundHochflächen in südlichenLagen(Spanien,Südfrankreich,Schwarzwald,Italien,auchweiteröstlich).

●Die Hornviper, Vipera ammodytes, ist diegiftigste der dreiArten. Sie lebt in der Stei-ermark, inKärnten,Norditalien, inallenBal-kanstaaten, in der Türkei und noch weiteröstlich.

Die Gemeinsamkeiten der drei Spezies sind so zahlreich, dass wir sie gemeinsam diskutieren können.►Vipern:ViperngreifenMenschennichtan,son-

dern neigen zur Flucht.Werden sie bedroht,nehmen sie eine S-förmige Haltung an oderrollen sich auf.Aus dieser Position kann derAngrifferfolgen.VipernentleerenbeimBissihrGiftdurchRöhren indenFangzähnen(Ober-kiefer).NichtimmerwirddergesamteGiftvor-ratinjiziert.

►Identifikation: Der Laie, der eine Schlangewahrnimmt,wird inderRegelnichterkennenkönnen, welcher Spezies sie angehört. DieUnterarten können sehr unterschiedlich ge-färbtsein,undumdas“Horn”aufderNasevonVipera ammodytessicherzuerkennen,müss-te er sich der Schlange gefährlich nähern.“Aufgeringelte”Schlangen können ca. 60 cmweitspringen.

►Prophylaxe:

Kapitel115:GiftigeLandtiere

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○FestesSchuhwerkundlange,nichtanliegendeHosentragen.

○Daraufachten,wohinmanbeimWanderndieFüße setzt, worauf man sich zur Rast setzt,wohinmanbeimKletternoderBeerenpflückengreift,undobaufdembesonntenWanderwegoderKletterpfadeineSchlangeliegt.Bedenke,dassKinderundHundeimmerneugierigwer-den,wenndaetwasraschelt.

○Vor einer Schlange in Angriffsstellung keineschnellenBewegungenausführen.

►Inhaltsstoffe:DieViperngifteenthaltenmehre-reunterschiedlicheNeurotoxineundEnzyme.Die Enzyme sind “hämatotoxisch”, d.h. siezerstörenBlutzellenundlokaleGewebezellen.Gerinnungsaktive Stoffe enthalten sie kaum.Erst in neuester Zeit sind die analytischenMethodensoweitentwickelt,dassdieIdentifi-zierungundStrukturaufklärungdereinzelnenKomponentenrealistischist.

►Verlauf der Vergiftung: Wenn beim Biss Giftübertragen wurde (was nicht immer ge-schieht), entsteht eineSchwellung, und zwarumso schneller, je größer die injizierte Gift-menge ist. Nach einemBiss in einen Fingeroder Zeh kann die Schwellung sich in dennächstenStundenbiszumNabelausbreiten.NacheinemBissindieExtremitätenwirdeineLymphangitisdeutlich,die regionalenLymph-knotenschwellenan.DieBissstelleschmerztundverfärbtsichrot-bläulich.Übelkeit,Erbre-chen, heftige Bauchschmerzen, Tachykardie,wiederholte hypertone Phasen, Schock, inschweren Fällen auch Dyspnoe stellen sichein. In Ausnahmefällen kann ein Kompart-mentsyndromentstehen.

►Therapie: Wenn der gebissene Patient rich-tig behandelt wird, sind Bisse europäischerSchlangen nur in extremen Ausnahmefäl-len tödlich.NachAuswertungderErfolgederfrüher empfohlenen zum Teil aggressivenMaßnahmen der Ersten Hilfe (mit negativenErgebnissen)giltheute:

●WasderLaienhelferunterlassensoll:JeglichemechanischeManipulationanderBisswundenachdemBissistfalsch.DasgiltauchfürdasAussaugenundfürdasWickelnvonExtremi-täten mit einer elastischen Binde. KeinAnti-serumaußerhalbeinerKlinik injizieren.Nicht

wärmenoder kühlen.Nichts trinkenoder es-senlassen.

●Was der Laienhelfer tun soll: Die gebisseneExtremität wird ruhig gestellt, der Gebisse-newirdberuhigtund indenSchattengelegt.Wegen der zu erwartenden Schwellungwer-denRingeundSchmuckentfernt,SchuheoderStiefelausgezogen.DerTransportineinKran-kenhaus (zwingend und umgehend notwen-dig) wird durchAnrufmit demMobiltelefon14beiderPolizei,Rettungsleitstelle, imGebirgeauchbeiderBergrettungeingeleitet. ImHos-pital wird der Patient nach den Regeln dermodernenIntensivmedizinsymptomatischbe-handelt.

►Antiserum: Nur inAusnahmefällen ist die In-jektionvonAntiserumindiziert–stetsi.v.,weilnach Injektion i.m.dieResorption imSchockzulangsamwäre,stetsingenügendhoherDo-sis,undstetsinBereitschaft,eineanaphylakti-scheReaktionzubeherrschen.

Indikationensind(StockholmerKriterien):- therapieresistente Hypotonie und Kreislauf-

schock,- protrahierte schwere gastrointestinale Symp-

tome,- ÖdemmitGefahrderbronchialenObstruktion,- rascheÖdemausbreitungaufdieganzeExtre-

mitätunddenStamm,- ZNS-Depression,periphereundzentralePare-

sen,- metabolischeAcidose,- Hämolyse,Gerinnungsstörungen,- EKG-Veränderungen.

Präparatesind○ViperaTab®–Fab-FragmentevomPferd,○Viperfav®–F(ab’)2-FragmentevomPferd.Die

PräparatewerdeninbesonderenZentrenvor-gehalten (Auskunft bei den Giftinformations-stellen)undmiteinerAnwendungsanweisungausgeliefert.

Außereuropäische Giftschlangen

Anders als Vergiftungen durch europäische Gift-schlangen haben solche durch außereuropäische Giftschlangen eine teilweise hohe Mortalität. Außer neurotoxischen Schäden verursachen sie z. T. schwerste Gerinnungsstörungen und tiefe

Kapitel115:GiftigeLandtiere

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Nekrosen. Fernurlaubern sei dringend geraten, sich vor Reiseantritt hinreichend zu informieren und gegebenenfalls Antiserum mitzuführen, das bei Bissen durch giftige Schlangen schon im Na-hen Osten (hier zum Beispiel durch die Gemeine Sandrasselotter, Echis carinatus) und in Afrika, Südasien, Australien (!), Südamerika und den USA unbedingt indiziert ist.

In Ländern mit einem guten Hospitalsystem und den zugehörigen Transportmitteln – etwa in den USA, Israel oder Australien – halten die Hos-pitäler in der Regel Antiseren vorrätig.

Personen, die in Europa mit solchen Schlan-gen umgehen (Personal in zoologischen Gärten, viele private Liebhaber) müssen das entsprechen-de Serum (das ein Verfallsdatum hat und teuer ist!) vorrätig halten.

Kapitel 116Anwendung von toxischen Stoffen durch Menschen gegen Menschen und Wirbeltiere

Strukturen der in diesem Kapitel vorgestellten Verbindungen

►Militärisch, paramilitärisch und polizeilich ge-brauchteMittel:Strukturen1.

Tränengas (CS 1), Capsaicin (OC), Clark1 (DA), Clark 2 (DC), Adamsit (DM), Lewi-sit 1 (L-1),Schwefel-Lost, Senfgas (H), Stick-stoff-Lost (HN1), Sarin (GB), Tabun (GA),Soman (GD), VX, Chlorgas, Phosgen (CG),Cyanwasserstoff (AC), Chinuclidinylbenzilat(BZ).DieGroßbuchstabensinddieinternatio-nalgebräuchlichenKurzbezeichnungen.

►GegenTieregebrauchteMittel:Strukturen2. Xylazin+Ketamin(zurBetäubungvonTieren

ausderFerne,“Narkosegewehr”) Picrotoxin,Rotenon(zumTötenvonFischen).

ÜbersichtAbsichten und geeignete Stoffe

Absichten können sein:○Autoaggression: Suizidversuche z.B. mit

überdosierten Arzneimitteln, mit Gartenche-mikalien, Industriechemikalien (NaCN), Koh-lenmonoxid(inAutoabgasen).

○Abwehr von Angreifern (Menschen, Hunde,Bären...)z.B.mitCS-TränengasoderCapsai-cin(imOleoresincapsicum).

○Vertreibung von Menschen von Plätzen unddie Auflösung von Menschenansammlungenz.B.mitCS-TränengasoderCapsaicin.

○ErzeugungvonHandlungsunfähigkeitbeiTie-ren ohne Tötungsabsicht z.B. mit Xylazin +Ketamin(“Narkosegewehr”).

○Erzeugung von Handlungsunfähigkeit beiMenschenohneTötungsabsichtz.B.mitdemKampfstoffBZ=3-Chinuclidinylbenzilat.

○VorsätzlicheTötungeinzelnerLandtiere, z.B.mitBatrachotoxinoderCurareimPfeilgift.

○VorsätzlicheTötungeinzelnerMenschen (mitArsentrioxid3,mitAmatoxinenineinemPilzge-richt4, mit Thallium, Organophosphaten oder

Kapitel115:GiftigeLandtiere

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Tumorinitiatoren in Speisen oder Getränken,mit Ricin durch Inhalation oder Injektion, mitThiopental + KCl durch Injektion beiHinrich-tungen.“Giftmorde”sind–nichtzuletztwegender sehr gutenNachweisbarkeit – selten ge-worden.

○VorsätzlicheTötungmehrererFische,z.B.mitPicrotoxin,Rotenon.

○VorsätzlicheTötungmehrererLandtiere, z.B.vonNagernmitGerinnungshemmernimFraß-köder.

●Vorsätzliche Tötung mehrerer Menschen.Beispiele: Massenmord von Menschen ingeschlossenen Räumen der NS-Konzentrati-onslagermitHCN,oderinLKW-ContainernmitCOausAutoabgasen,TötungvonMenschenin japanischen U-Bahnhöfen mit Sarin, Tö-tungvonMenschenimoffenenGeländedurchKampfgaseundKampfaerosole.

Aktuelle Bedrohungen

○ Militär: Es gibt zwar seit 1997 das internati-onale Chemiewaffenabkommen über denNichtgebrauch und die Vernichtung chemi-scherKampfstoffe,abereinigemilitärischbe-deutsameStaaten haben nicht unterzeichnetodernicht ratifiziert.Kampfstoffewurdenundwerden militärisch eingesetzt. Die Erfahrunghat gezeigt, dassdieorganischenPhosphor-säureesterSarinundVX,Senfgas,LewisitundAdamsitbevorzugtwerden.

○Polizei: Von den Augenreizstoffen sind nurCS-GasundCapsaicin-haltigeAerosoleinGe-brauch.DerGebrauchvonCSnimmtab.

○“Terroristen”. Diese Bezeichnung greift zukurz.TerroristenwollenSchreckenverbreiten,umdiesieablehnendeBevölkerungsmehrheitzuverunsichern,siewollendieOhnmachtderStaatsorgane hinsichtlich der Prävention de-monstrieren und auf diesem Hintergrund dieErfüllung vonForderungen gegen denMehr-heitswillenerzwingen.EsgibtaberauchGrup-pen (wohl immer ideologisch motiviert), diedie “Andersgläubigen” nicht zu etwas zwin-gen, sondern töten wollen. Sie stellen voroder nach der Tat keine Forderungen. Bei-spiel: DieAum-Sekte verübte 1997 in JapanmitSarineinenAnschlag(vornehmlichausei-

nerWeltuntergangs-Ideologieheraus)auffünfU-Bahn-ZügeinTokio.

TerroristenmüssenAngriffsstoffeandersaus-bringen als Militärs. Artillerie und FlugzeugekönnensieinderRegelnichteinsetzen,aberdafürkönnensiezumBeispielAbfallbehälter,die Trinkwasserversorgung, Gemeinschafts-küchenundKlimaanlageninstrumentalisieren,und sie können anders als dasMilitär in ge-schlossenenRäumenangreifenunddortauchStoffe einsetzen, die im offenen Gelände zuflüchtig wären. Die finanziellen, chemotech-nischen und biotechnischen Fähigkeiten derTerroristen nehmen zu. Nach bisherigen Er-kenntnissen aus vollendeten oder geplantenAngriffenrichtetsichihrAugenmerkaufSarin,Phosgen,Cyanwasserstoff,Senfgas,Ricinperinhalationem,undaufBotulinumtoxin,Saxito-xinundStaphylokokkentoxinperos.

Einzelne StoffeOhne weiteren Kommentar bleiben die bereits vorgestellten Verbindungen Amatoxine (Kap. 112), Batrachotoxin (Kap. 115), Chlorgas (Kap. 106), Ketamin (Kap. 88), Kohlenmono-xid (Kap. 106), Thallium (Kap. 109), Vitamin K-Antagonisten (Kap. 35).

Mit zusätzlichem Kommentar:

Cyanwasserstoff (Blausäure)

wurde in Kap. 106 vorgestellt. Es kann wegen seiner Flüchtigkeit nur in geschlossenen Räu-men eingesetzt werden. Es kann freigesetzt wer-den durch Einwirkung einer starken Säure auf ein Cyanid (NaCN technisch, KCN) oder durch Ausgasen aus Zellstoff-Trägern (Zyklon B). An solche Träger gebundener Cyanwasserstoff wird noch heute als Insektizid hergestellt und von professionellen Schädlingsbekämpfern zur Rau-mentwesung eingesetzt. Das im KZ Auschwitz zur massenhaften Ermordung von Menschen ein-gesetzte Produkt enthielt nicht den sonst zuge-setzten Geruchswarnstoff.

Phosgen

wurde mit seinem Wirkungsmechanismus in Kap. 106 vorgestellt. Es muss als Aggressions-

Kapitel116:AnwendungvontoxischenStoffendurchMenschengegenMenschenundWirbeltiere

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stoff nicht wie andere flüssige Kampfstoffe ver-sprüht oder in ein Aerosol gebracht werden, sondern wird als Gas, das schwerer als Luft ist und vom Wind über das Gelände getrieben wird, ausgebracht. Es riecht nach faulem Heu. Wegen seiner schlechten Wasserlöslichkeit wird es bis in die Alveolen eingeatmet, reagiert dort mit Pro-teinen der Alveolarwände und dringt ins Inter-stitium ein. Ein Lungenödem bildet sich mit einer Latenzzeit, die von der Konzentration der einge-atmeten Gases abhängt. Die Therapie ist die all-gemeine Therapie eines Lungenödems. Phosgen hat im 1. Weltkrieg mehr Tote erzeugt als jedes andere Kampfgas.

Organophosphate

wurden in Kap. 63 vorgestellt. Für militärischen Einsatz waren sie die vorrangig entwickelten Mit-tel. Die V-Produkte (z. B. VX) haben eine sehr hohe Toxizität und führen schnell zu schwerster Vergiftung. Andere Verbindungen werden nach Bindung an die Acetylcholinesterase schnell am Phosphoratom metabolisch dealkyliert (“schnelle Alterung”), wonach ein Reaktivator wie Obido-xim (Kap. 63) das Enzym nicht mehr reaktivie-ren kann. – Organophosphate wurden militärisch nach 1945 mehrfach, u. a. im Nahen Osten, zur Vernichtung von gegnerischem Militär, von pa-ramilitärischen Einheiten und von Zivilisten in Ortschaften eingesetzt. Terroristen haben Sarin verwendet (s. o.). Sarin lässt sich schon in einem kleineren Geheimlabor mit einem Einstufen-Ver-fahren herstellen, hat den höchsten Dampfdruck aller Organophosphate und erreicht deshalb nach seiner Ausbringung schnell hohe Konzentratio-nen in der Luft.

Ricin

wurde in Kap. 113 vorgestellt. Das Protein wurde bereits bei einem politischen Mord mit einer in einem Regenschirm verborgenen Vorrichtung in-jiziert. Im Zeitraum 2010/2011 wurden im Nahen und Mittleren Osten organisiert und umfangreich die Bohnen aus Ricinus communis aufgekauft. Aus den Bohnen lässt sich Ricin leicht extrahie-ren. Ricin wird p. o. nur sehr wenig, aber nach Inhalation eines Staubes oder Aerosols gut resor-biert. Es gibt kein Antidot gegen Ricin.

d-Tubocurarin

(Struktur:5) ist ein polarisierendes Muskelre-laxans wie z. B. Pancuronium (Kap. 66). Es ist Bestandteil südamerikanischer Pfeilgifte. Es dringt nicht in das ZNS ein.Noch nicht vorgestellte Verbindungen:

CS-Gas und Capsaicin6

Diese Verbindungen sind Bestandteile von “Trä-nengas”. Für Capsaicin wurde gezeigt, dass es Agonist am Vanilloidrezeptor TRPV1 ist. Dieser Kanalrezeptor kommt auf sensorischen Termi-nalen vor, sein Kanal öffnet sich bei Stimulation für den Einstrom von Ca++. Viele Reaktionswege werden dadurch aktiviert, weshalb nicht nur mit “lokalen” vorübergehenden Schmerzwirkungen am Auge zu rechnen ist: Nach Inhalation höhe-rer Konzentrationen kann ein Lungenödem ent-stehen. Beim Einsatz im offenen Gelände ist dies unwahrscheinlich, wohl aber bei der Ausbrin-gung in geschlossenen Räumen.

Die Augenreizstoffe werden nicht nur gegen Menschen, sondern auch zur Abwehr angreifen-der Hunde, Bären oder anderer Tiere eingesetzt.

Arsentrioxid

Arsentrioxid (“Arsenik”) As2O3 war über ein Jahrtausend das meistgebrauchte Mordgift. Es ist geschmacklos und wird nach Zufuhr p.o. zu 80 % resorbiert und in den intrazellulären Raum transloziert. Dort binden Arsenionen kovalent an Thiol-Gruppen, und dadurch werden mehrere metabolische Wege und Signalwege gestört (Ein-zelheiten:7).

►Klinik: Die akuteArsenvergiftung beginnt mitÜbelkeit und schreitet fort über Erbrechen,schwere Koliken mit blutiger Diarrhoe, Nie-reninsuffizienz,KrämpfezumExitusinnerhalbvon24Stunden.–DiechronischeArsenvergif-tungwurdeinKap.109beschrieben.

Arsen-Antidote

Als Antidote stehen zur Verfügung DMPS (Di-maval®, Natrium-dithiolpropansulfonat), DMSA (USA: Chemet®, 2,3-Dimercaptobernsteinsäure) und BAL (Dithiolpropanol). Strukturen:8, Lite-

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ratur:9. Nur DMPS ist in Deutschland zugelassen, aber nicht für die akute Arsenvergiftung. – Die drei Substanzen binden Arsen mit ihren Thiol-Gruppen und beschleunigen die renale Elimination der so gebildeten Arsenkomplexe. DMPS und DMSA sind bei physiologischen pH stark ionisiert, des-halb gut wasserlöslich und können i.v. injiziert werden, binden aber nur extrazelluläres Arsen und passieren nicht die Blut-Hirn-Schranke. BAL ist wenig wasserlöslich, muss deshalb in öliger Lö-sung i.m. injiziert werden, wird in den intrazellulä-ren Raum und das ZNS transloziert, kann dadurch aber mehr Schaden als Nutzen bringen: Es kann wahrscheinlich extrazelluläres Arsen binden und in das ZNS translozieren.

Lewisit und Adamsit

Beide Stoffe sind organische Arsenverbindun-gen. Die vorstehend für Arsentrioxid genannten Antidote sind auch gegen Lewisit und Adamsit wirksam. BAL (British Anti-Lewisit) wurde so-gar speziell als Antidot gegen Lewisit entwickelt.

Adamsit und Lewisit haben einen niedri-gen Dampfdruck und müssen versprüht oder als Aerosol ausgebracht werden. Zwar bindet das Arsen beider Stoffe wie das des Arsentrioxid an SH-Gruppen der Enzyme, aber das kann nicht alle Wirkungen erklären.

►Klinik: Auf der Haut entsteht schnell eineschmerzhafte Rötung, bei Kontakt mit flüs-siger Substanz gefolgt von Blasenbildungnachca.12Std.mitz.T.tiefenNekrosen.DieschmerzhafteReizungderAugenkann,wenndie Augenspülung unterbleibt, ebenfalls vonNekrosengefolgtsein.Die InhalationerzeugteinLungenödem.DiemetabolischenVerände-rungen,dasLungenödemunddieInfektionderNekrosenführenzumExitus.

►Therapie: Injektion von DMPS, Wechsel derBekleidung (aufschneiden und abklappen,nichtüberdiegesundeHautziehen),sofortigeausgiebigeSpülungallerkontaminiertenHaut-flächen.

S-Lost

Der Stoff muss in Form von Tröpfchen oder als Aerosol ausgebracht werden. S-Lost durchdringt

Mauern, Kunststoffe, Gummi, Leder und ande-re Bekleidungsmaterialien und wird wegen sei-ner guten Lipidlöslichkeit auch schnell durch die Haut resorbiert. Ist ein Viertel der Hautoberfläche benetzt, dann ist eine Art “Letale Fläche 50“ für die Resorption erreicht.

►Mechanismus: S-Lost verbraucht zuerst denGlutathion-Vorrat des Organismus. S-Lostwirkt wie die chemisch verwandten Antineo-plastika (Kap. 102, Cyclophosphamid undandere Alkylantien) durch Alkylierung derNucleobaseGuanin,wasdielangeLatenzzeitbiszumWirkungseintrittplausibelmacht.

►Klinik:FrühsymptomeerscheinenandenAu-gen etwa 1 Std. nach der Einwirkung (Licht-scheu, Konjunktivitis, Ödeme). Anders alsbeiLewisitdauertesbiszumErscheinenderHauptsymptome mehrere Stunden. Auf derHaut bilden sich großeBlasen, in der LungeentstehtbeischwererVergiftungeintödlichesÖdem.DieVergiftungdauertWochen.DiePa-tientenleidenwiebeieinerVerbrennungzwei-ten oder dritten Grades unter sehr großenSchmerzen.

►Die Therapie gleicht der bei Verbrennun-gen. Die Dekontamination der Haut vor derschmerzhaften Blasenbildung ist mit Natri-umhypochloritmöglich.

3-Chinuclidinylbenzylat (BZ)

Bz ist der erste “Psychokampfstoff”, der für den militärischen Einsatz vorbereitet und an Perso-nen erprobt wurde. Sein militärischer Einsatz ist durch die Chemiewaffenkonvention verboten.

►Kinetik:DerEinsatzvonBZwurdeinFormei-nesAerosolskonzipiert,eswirdaberauchoralundperkutangutresorbiert.BZwirdmetabo-lisiertundrenalausgeschieden,abereswirkttagelang.

►Mechanismus:BZistAntagonistanperipheren(M1,M3)undzentralen(M1,M4)Acetylcholin-rezeptoren10.

►Klinik:DasVergiftungsbildhatqualitativÄhn-lichkeit mit einerAtropinvergiftung (Kap. 65).Die zentralenWirkungensindaberweit stär-ker ausgeprägt, denn BZ ist bei physiologi-schempHkaumionisiertundpassiertgutdie

Kapitel116:AnwendungvontoxischenStoffendurchMenschengegenMenschenundWirbeltiere

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Blut-Hirn-Schranke.ÜberanfänglicheUnruheundKonfusion führt dieVergiftung zurAgita-tionundzuHalluzinationen,diedieZielperso-nenkampfunfähigmachen.HinzukommtderVerlustderAkkomodation,derdieBedienungvonWaffensystemenerschwert.

►DieTherapieistsymptomatisch.AuffolgendeSymptomeistbesonderszuachten:Urinreten-tion,Wärmestau,Tachykardie,Glaukom,Lun-genödem,aggressiveHandlungen.

Xylazalin + Ketamin

Xylazalin ist Agonist an α2-Rezeptoren im ZNS. In Kap. 70 haben wir erfahren, dass solche Ago-nisten eine sedierende Wirkung haben. Die Zu-lassung von Dexmedetomidin zur Sedation beruhte auf dieser Wirkung. Auch Xylazalin ist ein gutes Sedativum, wird aber nicht in der Hu-manmedizin, sondern in der Veterinärmedizin in Kombination mit Ketamin (Kap. 88) zur starken Sedierung eingesetzt. Mit “Narkosegewehren” werden Injektionsvorrichtungen verschossen, die die Kombination als “Hellabrunner Mischung” enthalten.

Fischgifte: Rotenon, Picrotoxin

●RotenonisteinNaturproduktausdenWurzelnvonPflanzen(Leguminosen),die inSüdame-rikaundaufdensüdlichen InselndesPazifikvorkommen.EsblockiertanderInnenseitederMitochondriendieSynthesevonATP.Dieindi-genenEinwohner fischen damit. In denUSAwird es zur Tötung des gesamten Fischbe-standes in einem geschlossenen Gewässerverwendet, wenn eine neue Fischpopulationangesiedeltwerdensoll.

●Picrotoxin ist ebenfalls ein Naturprodukt. Esist in den Früchten der Scheinmyrte enthal-ten(Anamyrta cocculus,vonIndienbis indiesüdpazifischen Inseln verbreitet). Die indige-nenBewohnerverwendeneszumFischfang.Picrotoxin ist ein Gemisch aus zwei Verbin-dungen,vondenenPicrotoxininderwirksameBestandteil ist.Picrotoxinin ist nichtkompetiti-verAntagonistanGABAA-Rezeptoren.DurchAufhebung der GABA-Inhibition erzeugt esKrämpfe.

Kapitel 117Antidote

Wegweiser: Von der Vergiftung zum AntidotIn der Praxis führt der Weg von der Diagnose der Vergiftung zur Auswahl des Antidotes. Der fol-gende Wegweiser zeigt deshalb für verschiedene Intoxikationen ein oder mehrere Antidote.

●DerNutzenmehrererVerbindungenalsAntidotistklinischschwachbelegt.

○MehrereausdemAuslandimportierteAntido-tehabeninDeutschlandkeineoffizielleZulas-sung.DasbegründetnochkeinenZweifelanihrerWirkung.AnträgeaufZulassungwerdenu.a.dannnichtgestellt,wennderselteneEin-satz eines Mittels die Kosten der nationalenZulassungsprozedurnichtrechtfertigt.

●Niemals genügt für die Therapie einer Vergif-tung allein die Gabe von Antidoten!

Antidote können die allgemeine Intensivtherapie von Vergiftungen ergänzen.

●AuchAntidotehabenUAW.Chelatbildnerbe-schleunigen z.B. nicht nur dieAusscheidungtoxischer Metalle, sondern können auch dieKonzentration lebensnotwendiger Metalle inpathologische Bereiche senken. Deshalb istbei jedemPatientenzuüberlegen,obderer-hoffteNutzeneinesAntidotsgrößeristalsdermöglicheSchaden.

Für alle Antidote aber gilt:

●Nach Gabe eines Antidots ist zu prüfen, obes kritische Laborwerte verbessert hat, undob es darüber hinaus einen klinischen Nut-zenerbrachthat.WenneinAntidotohnethe-rapeutische Wirkung geblieben ist, müssenzwingendeGründe vorliegen, seineGabe zuwiederholen.

Vergiftungen und AntidoteToxisches Agens Antidote

Acetaldehyd Ascorbinsäure

Acrolein Mesna

Kapitel116:AnwendungvontoxischenStoffendurchMenschengegenMenschenundWirbeltiere

Tabelle117.1.VergiftungenundzugehörigeAntidote.

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Acrylnitril zuerst4-DMAP3-4mg/kgKG(nochmodern?)danachNatriumthiosul-fat100mg/kgKGdanachAcetylcysteinnachDosierungssche-ma

Aluminium Deferoxamin

Amatoxine Silibinin

AnticholinergesSyndrom

Physostigmin

Antimon DMPS

Arsen DMPS,Penicillamin

Atropin Physostigmin

Betablocker Glucagon

Blausäures.Cyanid

Blei DMPS,NaCa-EDTA,Penicillamin

Botulismus Botulinus-AntitoxinBehring

Cadmium NaCa-EDTA,Thiopronin

Cäsium Eisen(III)-Hexacyano-ferrat(II)

Carbamat-In-sektizide

Atropin

Chloroquin Diazepam

Chrom(6+) Ascorbinsäure

Curareartige Neostigmin

Cyanid (4-DMAP,veraltet),Hydroxocobalamin,Nat-riumthiosulfat(Ethanol,veraltet),Flumazenil

Digitalis-glykoside

Colestyramin,Digitalis-Antitoxin

Eisen+++ Deferasirox, Deferipron,Tiopronin

Eisenverbindun-gen,akut

Deferoxamin

Ethylenglykol (Ethanol,veraltet),Flu-mazenil;beiHypocalcä-mieCalciumgluconat

Fluorwasserstoff(=Flusssäure)

Calciumgluconat

Gold Penicillamin

HautresorbierteGifte

Macrogol400

Heparin Protamin

I s o n i c o t i n -säurehydrazid

Pyridoxin

Jod131 Kaliumjodid

Kobalt NaCaEDTA

Kupfer Penicillamin,NaCa-EDTA,Thiopronin

LOST(S-LOST) Tosylchloramid-Natrium

Lungenreizgase Beclomethasondipropio-nat,Adrenalin-Aerosol

Mangan NaCaEDTA

MaligneHyper-thermie

Dantrolen

Methämoglobin Erwachsene:Tolonium-chloridKinder:Ascorbinsäure

Methanol (Ethanol, veraltet), Flu-mazenil

Methotrexat Folinsäure

Methylbromid Acetylcystein

Neuroleptika-Parkinsonoid

Biperiden (Trihexypheni-dyl und andere zentraleAnticholinergika sind fürdiegleiche Indikation zu-gelassen, können abernichtinjiziertwerden.)

Opioide Naloxon

Organophospha-te

Atropin,Obidoxim

Paracetamol N-Acetylcystein

Kapitel117:Antidote

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Antidote1

Acetylcystein

zur intravenösen Injektion (siehe Kap. 42). Zuge-lassen für Vergiftungen mit Paracetamol, Acryl-nitril, Methacrylnitril, Methylbromid.►Fertigpräparat Fluimucil® Antidot 20% Injekti-

onslösung.VerfügbarinallenKrankenhäusern.

Ascorbinsäure

zur intravenösen Injektion. Zugelassen für Methä-moglobinämie im Kindesalter: Einmalig 500-1000 mg langsam i.v., maximal 100 mg/kg KG.

►Fertigpräparate: MehrereAnbieter. VerfügbarinallenKrankenhäusern.

►Dosierung: - Empfohlen bei akuten Chrom(6+)-Vergiftun-

gen:125mg/kgindererstenStundenachderChrom-Aufnahmelangsami.v.

►EmpfohlenbeiAcetaldehyd-Vergiftung:1000-2000mglangsami.v.

Atropinsulfat

zur intravenösen Injektion (siehe Kap. 63 und 65). Zugelassen für Vergiftungen mit Organo-phosphaten oder Carbamaten, bei Bradykardie durch Überdosierung von Betablockern, bei Ver-giftungen durch Parasympathomimetika.

►Fertigpräparate:„AtropinB.Braun0,5mg/ml“,„Atropinumsulfuricum0,25mg/0.5mg/1mgEi-felfango“. Vorrätig im Notarztwagen, in allenKrankenhäusern.

►DosierungbeiOrganophosphatvergiftung(sie-heauchKap.63!):Erwachsene initial2-5mgi.v.,danachbiszumErfolg5-10mgimAbstand

Phenprocoumonund VerwandteimRattengift

Colestyraminp.o.,Phytomenadionparen-teral

Plutonium NaCaEDTA

Plutonium Detripentat=DTPA,Zink-Trinatriumpentetat=Zn-DPTA

Quecksilber DMPS,Penicillamin

Scopolamin Physostigmin

Schaumbildner Simeticon

Schlangengifte,außereuropäisch

(GiftnotrufMünchen)Tel.089/19240

Schlangengifte,europäisch

Anti-FabvomSchaf,Anti-F(ab)`2vomPferd

Skorpiongifte (GiftnotrufMünchen)Tel.089/19240

Spinnengifte (GiftnotrufMünchen)Tel.089/19240

TricyclischeAnti-depressiva

Physostigmin(?)

Thallium Eisen(III)-Hexacyano-ferrat(II)

Zink Penicillamin

ErsteDosis:1Std.Infusioni.v.

ZweiteDosis:4Std.Infusioni.v.

DritteDosis:16Std.Infusioni.v.

>40kgKG 150mg/kgKGin200mlLösung

50mg/kgKGin500mlLösung

100mg/kgKGin1000mlLösung

20-40kgKG 150mg/kgKGin100mlLösung

50mg/kgKGin250mlLösung

100mg/kgKGin500mlLösung

<20kgKG 150mg/kgKGplus3ml/kgKGLösung

50mg/kgKGplus7ml/kgKGLösung

100mg/kgKGplus14mg/kgKGLösung

Lösungsmittel:BedarfsgerechteMischungaus5%GlukoseundisotonischerElektrolytlösung.Tab.117.2:DosierungenvonAcetylcysteinbeiParacetamolvergiftung

Kapitel117:Antidote

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von10min,Dosierungsanpassungso,dassdieerhöhteBronchialsekretionaufhört.Kinder0,1mg/kgKGi.v.,WiederholungmitgleicherDosisimAbstandvon10min(maximal5mg).Erhal-tungmitEinzelinjektionenvon0,02mg/kgKGi.v.,oderInfusionvonmaximal2mg/Std.

Beclomethasondipropionat

zur Inhalation. Zugelassen für Vergiftungen durch Inhalation pulmotoxischer Gase (Reizgase).

►Fertigpräparate:MehrereHersteller.VorrätigimNotarztwagenundinallenKrankenhäusern.

Biperiden

zur intravenösen Injektion (s. Kap. 74). Zugelas-sen zur Dämpfung extrapyramidaler Symptome, die durch Neuroleptika und einige andere Phar-maka ausgelöst werden.

►Fertigpräparate:Akineton®5mg/ml Injektions-lösung, Biperiden-neuraxpharm® Injektionslö-sung. Vorrätig im Notarztwagen und in allenKrankenhäusern.

►Dosierung: Erwachsene 2,5-5 mg i.m. oderlangsami.v.,einmaligeWiederholungnach30minmöglich.Kinder(Vorsicht!ImAuslandteil-weiseweitniedrigereDosen):biszu1Jahr1mg,1-6Jahren2mg,biszu10Jahren3mg.

Botulismus-Antitoxin

F(ab‘)2-Fragmente vom Pferd zur intravenösen Injektion. Zugelassen zur Therapie des Botulis-mus durch Toxine aus Clostridium botulinum Typen A, B und E. Das Antitoxin neutralisiert NICHT das bereits durch Endocytose aufgenom-mene Toxin!

►Fertigpräparat„Botulismus-AntitoxinBehring“.VorrätiginNotfalldepots.

►Dosierung:StartdosisfürErwachsene250mllangsami.v.,danach250mlalsInfusion.Wie-derholungnach4-6Std.möglich.Kinder:Glei-cheDosierung oderwenigstens so hochwiemöglich.–AllergischeReaktionenmöglich.

Calciumgluconat

zur intravenösen Injektion und zur lokalen Injekti-on. Empfohlen, aber nicht zugelassen zur Therapie

von systemischen oder lokalen Vergiftungen mit Flusssäure und zur Therapie der Hypocalcämie durch Oxalatbildung bei Ethylenglykolvergiftung.

►Fertigpräparat„Calciumgluconat10%B.BraunInjektionslösung“.VorrätiginKlinikapotheken.

►Dosierungen:

- Bei Hypocalcämie (Personen über 12 Jahre)10mlder10%igenLösunglangsami.v.DieIn-jektionkannbiszumErreichenphysiologischerCalciumkonzentrationenwiederholtwerden.

- Bei lokalenVerätzungenmitFlusssäure loka-leUnterspritzungund,wenndiesanatomischmöglichist(Extremitäten),intraarterielleInjek-tionvon10-20mlderLösung.

Calcium-trinatrium-pentetat

zur intravenösen Injektion/Infusion. Zugelassen für die Therapie von Vergiftungen mit radioak-tiven Schwermetallnukliden (Plutonium, Ame-ricum, Berkelium, Curium, Californium). Die gebildeten Chelate werden renal eliminiert.

►Fertigpräparat:Ditripentat-Heyl®.►DosierunginSpezialkliniken.

Colestyramin

zur Gabe per os. Empfohlen als Anionenaus-tauscher und Adsorbens zur Unterbrechung des enterohepatischen Kreislaufs biliär und enteral ausgeschiedener Stoffe, z. B. von Digitoxin.

►FertigpräparatevonmehrerenHerstellern.►Dosierung:Startdosis8gp.o.,danach4gim

Abstandvon6Std.

Dantrolen

zur zügigen Injektion i.v. (s. Kap. 82).. Zugelas-sen zur Therapie der malignen Hyperthermie. Dantrolen hemmt in der quergestreiften Musku-latur die stimulierte Freisetzung von Calcium aus dem sarkoplasmatischen Retikulum.

►Fertigpräparat: „Dantrolen i.v.“. Vorrätig inKrankenhäusernderMaximalversorgung.

►StartdosisbeiErwachsenen2,5mg/kgKGsozügiginfundieren,wiederPatientesverträgt,Gesamtdosisnichtüber40mg/kgKGproTag.

Kapitel117:Antidote

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Deferasirox

zur Gabe per os (siehe Kap. 38). Zugelassen für chronische Eisenvergiftung z. B. durch Transfu-sion. Deferasirox bindet Eisen mit höherer Spe-zifität als andere Chelatbildner. Deshalb senkt es die Konzentration essentieller Metalle weniger.

►Fertigpräparat Exjade®. Vorrätig inKlinikapo-theken.

►Dosierung:Startmit20mg/kgKGproTag.

Deferipron

zur Gabe per os. Zugelassen für Eisenüberladung bei Thalassaemia major, wenn Deferoxamin kontraindiziert ist. Deferipron ist nur wenig Ei-sen-spezifisch und senkt auch die Zink-Konzen-tration.

►Fertigpräparat Ferriprox®, Beschaffung undLagerung in der vom Patienten bevorzugtenApotheke.

►Dosis25mg/kgKG3xtäglichp.o.

Deferoxamin

zur i.v. Infusion (s. Kap. 38). Zugelassen für aku-te und chronische Eisenvergiftung.

►Fertigpräparate: Desferal®, „Deferoxaminme-silatHospira“.VorrätiginKrankenhäusernmitIntensivstation.

►Dosierung bei akuter Eisenvergiftung: Lösenvon 2 g Deferoxamin in 20ml Glukose (Lö-sung 10%), 15 mg/kg KG pro Stunde, nichtmehrals80mg/kgKGproTag.NachMilde-rungderSymptome5mg/kgKGproStunde.DieTherapiemussbiszurNormalisierungderEisenkonzentrationen und Beseitigung allerSymptome (auch der Laborwerte) einer Ei-senvergiftung durchgeführt werden. 100 mgDeferoxaminmesilatbindennur8,5mgEisen.DerDeferoxamin-Eisenkomplexwirdrenaleli-miniert.BeiNiereninsuffizienzmusser durchDialyseentferntwerden.

Diazepam

zur intravenösen Injektion und Infusion (s. Kap. 81). Empfohlen, aber nicht zugelassen für Ver-giftungen mit Chloroquin. Diazepam verdrängt

Chloroquin unspezifisch aus seiner Bindung an cardiale Strukturen. Zusätzlich wirkt Diazepam gegen die Krämpfe durch Chloroquin.

►Fertigpräparate:Ampullenmit 10mg in 2mlbietenmehrereHerstelleran.VorrätigaufdemNotarztwagenund inKrankenhäusernmit In-tensivstation.

►DosierungErwachsene:Startmit10mgin10mini.v.,WiederholungmitgleicheroderhalberDosisnachBedarf.

Digitalis-Antitoxin

zur Injektion i.v. (s. Kap. 57). Wirksamer Be-standteil sind neutralisierende Fab-Fragmente von IgG aus Schafen. Sie sind gegen den Carde-nolid-Kern von Digitoxin und Digoxin gerichtet. Sie wirken gegen freies und gebundenes Gly-kosid.

►Fertigpräparat: DigiFab™. Vorrätig in Kran-kenhäusernmitkardiologischerIntensivstationbzw. in Krankenhäusern der Maximalversor-gung.DasPräparatwirdausdenUSAimpor-tiertund ist inDeutschlandnichtzugelassen.SeineWirkung ist erwiesen bei VergiftungenmitDigoxinundDigitoxin,sehrwahrscheinlichbei Vergiftungen mit Methyldigoxin, sie wirdvermutetbeiVergiftungenmitGlykosidenausOleander, Meerzwiebel, Maiglöckchen undaus“alternativerMedizin”(PräparateausKrö-tenhaut-Sekret).

►Dosierung:DerEinsatzsollte inKrankenhäu-sernmitkardiologischenIntensivstationenundmiteinemLaborerfolgen,indemdieKonzen-trationderGlykosidebestimmtwerden kann.Die Dosis wird nach dem Ergebnis der Gly-kosidbestimmung berechnet. AbschätzungensieheKap.57.

4-Dimethylaminophenol

zur langsamen intravenösen Injektion (s. Kap. 106). Zugelassen für die Therapie der Vergif-tung mit Blausäure und mit Cyaniden. Das ge-bildete Methämoglobin bindet Cyanidionen mit hoher Affinität. Empfohlen bei Vergiftungen mit Acrylnitril. 4-DMAP als Antidot ist veraltet (sie-he Kap. 106).

Kapitel117:Antidote

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►Fertigpräparat:“4-DMAP”►Dosis:Erwachsene3-5mg/kgKGi.v.Kinder3

mg/kgKGi.v.►Kontraindikation: G6PD-Mangel (häufiger bei

MigrantenausehemaligenundgegenwärtigenMalariagebieten).

DMPS (Dimercaptopropansulfonat)

zur intravenösen Injektion (siehe Kap. 109). Zu-gelassen für die Therapie von akuten Quecksil-bervergiftungen. Empfohlen per os bei akuten Vergiftungen mit Antimon, Arsen und Chrom, bei chronischen Vergiftungen mit Blei.

►Fertigpräparat: Dimaval®. Vorrätig an Kran-kenhäusernderMaximalversorgung.

►DosierungbeiErwachsenen:6-8x250mgi.v.anTag1,4-6x250mgi.v.anTag2,3-4x250mg i.v.anTag3,2-3x250mg i.v.anTag4,danach per os fortsetzen, wenn erforderlich.DMPSistnurmäßigspezifischundsenktauchdieKonzentrationessentiellerMetalle.

Eisen(III)-Hexacyanoferrat(II)

zur Anwendung per os (s. Kap. 109). Zugelassen für die Therapie von Thalliumvergiftungen (Fer-tigpräparat: Antidotum Thallii Heyl®) und von Vergiftungen mit radioaktiven Cäsium-Isotopen (Fertigpräparat: Radiogardase® -Cs). Vorrätig in Notfall-Depots.

►Dosierung bei Tl- und Cs-Vergiftungen: Er-wachsene initial 6 x 500 mg p.o., danachstündlich 500 mg p.o. Die engmaschigeAn-wendungsolldieRückresorptionderbiliäraus-geschiedenenMetalleverhindern.

Ethanol

zur intravenösen Infusion (s. Kap. 107). Für die Therapie von Vergiftungen mit Methanol und Ethylenglykol ist Ethanol nicht mehr zugelassen, kann aber infundiert werden, wenn Fomepizol nicht schnell genug verfügbar ist.

►Fertigpräparat:Alkoholkonzentrat95%Braun.Vorrätig im Notarztwagen und in allen Kran-kenhäusern.

►Dosierung:Verdünne50mldesFertigpräpara-

tesmit500ml5%Glukose,infundierevonderVerdünnung7,5ml/kgKGproStd.

Flumazenil

zur intravenösen Injektion (s. Kap. 83, 105). Zugelassen als Antagonist bei Vergiftungen mit Benzodiazepinen. Wirksam auch bei Vergiftun-gen mit Zopiclon, Zolpidem und Zaleplon.

►Fertigpräparate von mehreren Herstellern.Vorrätig im Notarztwagen und in allen Kran-kenhäusern.

►Dosierung:Erwachsene0,2mg in15sec i.v.,beiBedarfimAbstandvon1minweitere0,1mgi.v.biszueinerGesamtdosisvon1mg.Kinder>1Jahr0,01mg/kgKG,maximal0,2mg.

Folinsäure

zur intravenösen Injektion. Zugelassen zur Sen-kung der Toxizität von Methotrexat. Vorrätig in Krankenhäusern mit onkologischen Stationen.

►FertigpräparatealsCalciumfolinatvonmehre-renHerstellern.

►Dosierungshinweis (Anpassung erforderlich):6-12mg/m2 imAbstand von 6Stunden überdreiTage.

Fomepizol

zur intravenösen Injektion (s. Kap. 107). Zuge-lassen zur Therapie von Vergiftungen mit Ethy-lenglykol. Empfohlen bei Vergiftungen mit Methanol.

►Fertigpräparat:“FOMEPIZOLEEUSAPharma5mg/ml”.VorrätiginKrankenhäusernderMa-ximalversorgung.

►Dosierung: Sofort 15 mg/kg KG verdünnenmit150ml5%Glukoseoder0,9%NaCl, in-fundiereni.v.in30-45min,danachingleicherVerdünnungjeweilsimAbstandvon12Std.10mg/kg KG, 10mg/kg KG, 10mg/kg KG, 7.5mg/kg KG, 5 mg/kg KG. Anpassen bei Nie-reninsuffizienz.

Kapitel117:Antidote

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Glucagon

zur intravenösen Injektion/Infusion. Empfohlen, aber nicht zugelassen zur Therapie von Vergif-tungen mit Betablockern.

►Fertigpräparat: Glucagen®. Vorrätig in Kran-kenhäusernmitIntensivstationbzw.derMaxi-malversorgung.

►Dosierung: Die Injektion/Infusion i.v. ist zurTherapienichtzugelassen,diezugelassenenAnwendungeni.m.unds.c.habenjedochbeiVergiftungen eine unübersichtliche Resorpti-onsgeschwindigkeit. Intravenös bei Erwach-senen 3-10 mg in 3-10 min (überwachen!),danach5mgproStd.

Hydroxocobalamin

zur intravenösen Infusion (s. Kap. 106). Zugelas-sen zur Therapie von Vergiftungen mit Blausäure und Cyaniden. Hydroxocobalamin bindet Cyanid mit hoher Affinität. Empfohlen bei Vergiftungen mit Acrylnitril.

►Fertigpräparat:„Cyanokit5g“.VorrätigimNot-arztwagen und in Krankenhäusern derMaxi-malversorgung.

►Dosierung:5gPulverin200ml0,9%NaCllö-sendurchSchwenken,nichtdurchSchütteln.Erwachsene:200ml in15min i.v.,Kinder70mg/kgKGin15mini.v.WiederholungderInfu-sionmithalberodernochgeringererInfusions-geschwindigkeitistmöglich.

Kaliumjodid

zur Anwendung per os (s. Kap. 50). In Deutsch-land als Antidot nicht zugelassen, aber in Not-fall-Depots vorrätig, Ausgabe durch Behörden im Fall einer Freisetzung von radioaktivem Jod aus kerntechnischen Anlagen. Importarzneimittel aus Österreich, Dosierungen:2.

Kohle (Medizinalkohle, Carbo medicinalis, Aktivkohle)

zur Anwendung per os (siehe Kap. 105). Zugelas-sen zur Adsorption vieler Substanzen mit dem Ziel, deren Resorption und Rückresorption zu verhindern.

NICHT indiziert u.a. bei Vergiftungen mit Salzen (Cyaniden, Eisen, Lithium, Thallium), Alkoho-len (Methanol, Ethanol, Isopropanol, Ethylengly-kol), Lösemitteln.

►Fertigpräparate: Kohle-Compretten®, Ultra-carbon®. Vorrätig im Notarztwagen (nur fürVergiftungen,beidenenKohlesoschnellwiemöglichgegebenwerdenmuss),und inallenKrankenhäusern.

►Dosierung: Die trockene Kohle wird in Was-seraufgeschwemmt(1gKohleplus1,5-2mlWasser)undineinerDosisvon1g/kgKGperosgegeben.DieZufuhrübereinedünneMa-gensondeistmöglich,wennderSchluckreflexgestörtoderderPatientbewusstlosist.WenndiePeristaltikerhaltenist,solltedieGabenachIntervallenvon2-4Std.besondersdannwie-derholt werden, wenn ein enterohepatischerKreislaufunterbrochenwerdensoll.

2-Mercaptoethanolsulfonat-Natrium (MESNA)

zur Anwendung per os. Zugelassen zum Schutz der Harnwege bei Therapie mit Cyclophospha-mid und ähnlichen Stoffen (Oxazophosphorine). Die SH-Gruppe von Mesna reagiert mit Acrolein, das beim Metabolismus der Oxazophosphorine entsteht.

►Fertigpräparate:Uromitexan®,MESNA-cell®

Naloxon

zur intravenösen Injektion/Infusion (s. Kap. 86).Zugelassen als Antagonist bei Vergiftung mit Opioiden.

►Fertigpräparate von mehreren Herstellern.VorrätigimNotarztwagen(kannhelfen,dieBe-atmungwährenddesTransporteszuvermei-den),inallenKrankenhäusern.

►Dosierung:Erwachsene0,1-0,2mg i.v.,Wie-derholungmit0,1mg imAbstandvon2min,wenn dadurch die Spontanatmung ausrei-chendverbessertwerdenkann.MehrereOpi-oide wirken länger als Naloxon, weshalb dieInjektionen wiederholt werden müssen. Kin-der0,01-0,02mg/kgKGi.v.,Neugeborene(dieOpioide diaplazentar aufgenommen haben)0,01mg/kgKGi.v.

Kapitel117:Antidote

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Natrium-Calcium-EDTA

zur intravenösen Injektion. In Deutschland nicht mehr zugelassen, Import aus Frankreich. Zur Kom-plexbildung mit Blei, empfohlen auch bei Cadmi-um, Kobalt, Kupfer (nicht erste Wahl), Mangan, Plutonium. Die Komplexe werden renal eliminiert. Essentielle Metalle werden ebenfalls komplexiert. Die Verbindung ist tubulär nephrotoxisch und des-halb bei Niereninsuffizienz kontraindiziert.

►Fertigpräparat: CALCIUMEDETATEDESO-DIUMSERB(Frankreich).VorrätiginKranken-häusernderMaximalversorgung.

►Dosierung:Die10ml-Ampullen(500mg)wer-denverdünntmit250ml0,9%NaCloder5%GlukoseproAmpulle,Infusioni.v.über2Std.,Dosis 15-20mg/kgKG.Danach eineWochePause,danachWiederholung.

Natriumhydrogencarbonat

zur Milderung der QRS-Verbreiterung durch tricyclische Antidepressiva und zur Acidose-The-rapie (s. Kap. 28)

►Fertigpräparatz.B.“Natriumhydrogencarbonat4,2%Braun®”.

►Dosierung: Maximal 3 ml der 4,2 %-LösungprokgKGundStunde.

Natriumthiosulfat

zur intravenösen Injektion (s. Kap. 106). Zugelas-sen zur Therapie bei Vergiftungen mit Blausäu-re, Cyaniden, Acrylnitril und anderen Nitrilen, N-Lost, S-Lost. Prophylaktisch bei längerer Infu-sion von Nitroprussid-Natrium (Cya nidbildung).

►Fertigpräparat: „Natriumthiosulfat 10% Infu-sionslösung“ oder „... 25% Infusionslösung“.VorrätigimNotarztwagenundinKrankenhäu-sernderMaximalversorgung.

►Dosierung: Bei Cyanidvergiftung Injektion i.v.(wennnochDMAPverwendetwird,erstNACHder Injektion vonDMAP), 50-100mg/kg KG.BeiLOST-Vergiftungenbiszu500mg/kgi.v.

Obidoxim

zur intravenösen Injektion (s. Kap. 63). Zulas-sung zur adjuvanten Therapie von Vergiftungen

mit Organophosphaten. Die Reaktivierung der Acetylcholinesterase durch Obidoxim gelingt umso weniger, je stärker das Organophosphat gealtert ist. Gegen eine Soman-Vergiftung bleibt Obidoxim ohne Wirkung.

►Fertigpräparat: Toxogonin®. Vorrätig im Not-arztwagen und in Krankenhäusern derMaxi-malversorgung.

►Dosierung:ErstNACHderInjektionderhohenAtropindosis beiErwachsenenObidoxim250mg, bei Kindern 4-8mg/kg KG langsam i.v.,danach Infusion vonObidoxim 10mg/kgKGproStd.

Penicillamin

zur Anwendung per os (siehe Kap. 39). Zugelas-sen zur Therapie von Vergiftungen mit Kupfer (Mittel erster Wahl), Blei, Quecksilber und Zink, empfohlen bei Gold und Arsen. Penicillamin bil-det Komplexe, die renal ausgeschieden werden.

►Fertigpräparat:Metalcaptase®.VorrätigindenmeistenKrankenhäusern(fürandereIndikatio-nen).

►Dosierung:Erwachseneanfangs4x25mg/kgKG(maximal1050mg),späterweniger.EineDauertherapie istnurbeiM.Wilsonzurecht-fertigen.

Physostigminsalicylat

zur intravenösen Injektion (siehe Kap. 63). Physostigmin ist zur Therapie von Vergiftungen nicht zugelassen. Es ist zugelassen zur Therapie des postoperativen anticholinergen Syndroms, aber es steht dahin, ob Physostigmin ein gutes An-tidot bei jedem durch Wirkstoffe (Tropa-Alkaloi-de, Antiparkinson-Mittel, anticholinerg wirkende Antihistaminika, Antidepressiva und Neurolep-tika) erzeugten anticholinergen Syndrom ist. Es kann bei zu schneller Injektion Krämpfe auslösen und eine Bradykardie gefährlich verstärken. Das wäre besonders vor einer Injektion im Notarzt-wagen sehr zu bedenken.

►Fertigpräparat: Anticholium®. Vorrätig in Kli-niken mit internistischer/pädiatrischer Inten-sivstation.

►DosierungbeiErwachsenen:2mg(verdünnt)

Kapitel117:Antidote

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i.v. inwenigstens2min. ImFalldesErfolgeskanndieInjektionnach20minwiederholtwer-den.Kinder0,02-0,06mg/kgKG.

Phytomenadion

(s. Kap. 35). Vitamin K und seine Derivate sind Antagonisten bei mäßiger Überdosierung von Phenprocoumon. Bei starker Überdosierung müssen die fehlenden Gerinnungsfaktoren durch Infusion/Injektion ersetzt werden.

Protamin

zur intravenösen Injektion. Zugelassen als Ant-agonist bei Heparin-Überdosierung. Die Dosis muss für Heparin und einige Heparinoide nach Tabellen berechnet werden. Die Bestimmung von Gerinnungsparametern ist dazu erforderlich.

► Fertigpräparate: „Protamin ME“ und „Prota-minsulfat LEOPharma“.Vorrätig inKranken-häusern.

Pyridoxin

zur Injektion i.v. oder i.m. und zur Anwendung per os. Zugelassen zur Therapie von Vergiftungen z. B. durch Isonikotinsäurehydrazid. Empfohlen bei Vergiftungen mit Gyromitrin (Frühjahrslor-chel), Hydrazin, Penicillamin.

►Fertigpräparat zur Injektion: Vitamin B6-ratio-pharm®50mg/mlInjektionslösung.

►Fertigpräparat zur oralenAnwendung: B6-Vi-cotrat®.

►Dosierung initialbeiErwachsenenbiszu250mgproTagi.v.,beiKindernbiszu200mgproTagi.v.,nurbeischwerenVergiftungssympto-menauchhöher.OraleTherapiebeiErwach-senenmit200-300mgproTag für1Woche,danach20-40mgproTag.

Salbutamol

zur Inhalation (s. Kap. 72). Zugelassen zur Bronchodilatation. Anwendung bei Broncho-konstriktion durch Lungenreizgase. Zur Selbst-behandlung bei Massenvergiftungen geeignet.

Schlangengift-Antisera, europäische Schlangen

zur intravenösen Injektion. Die Antiseren wer-den importiert und haben keine deutsche Zulas-sung. Sie sollen nur infundiert werden, wenn mit einem schweren Verlauf zu rechnen ist (z. B. bei Kindern, weil deren Körpergewicht noch gering ist). Zum Gewichtsvergleich: Kreuzotterbisse bei Schafen können letal sein.

►Fertigpräparate: (1) Vipera Tab® vom Schaf, Fab-Fragmente,

Import ausUSA/Großbritannien.DiesesAnti-serumwirktgutspezifischbeiBissenvonVipe-ra berus,Vipera aspisundVipera ammodytes.Esistsehrgeringimmunogen.DasistwichtigfürPersonen,die ineiner „schlangenreichen“Gegend wohnen oder berufsbedingt stärkergefährdetsind.

(2) „European viper venom antiserum“,F(ab‘)2-FragmentevomPferd,ImportausKro-atien.DaskroatischeSerumhateinbreiteresSpektrum, es wirkt auch bei Bissen von Vi-pern,dieüberwiegendsüdlichderAlpenundinderTürkeivorkommen:Macrovipera lebetina,Vipera ursinii,Vipera xanthia.Es istdamitzurechnen,dassesstärkerimmunogenwirktalsdas amerikanische. – Vorräte: DieAntiserenwerdeninmehrerendeutschsprachigenStäd-ten vorrätig gehalten. ZentraleAuskunftsstel-leüberDepotsvonAntiserengegenGiftevoneuropäischenundaußereuropäischenSchlan-gen,Skorpionen,SpinnenundanderenGifttie-renistderGiftnotrufMünchen,Tel.089-19240.

►Dosierung(ErwachseneundKinder):200mgProteinin100ml0,9%NaCllösen,in30mini.v.infundieren.DieseDosisdarfeinMalwie-derholtwerden.

Schlangengift-Antisera,außereuropäische Schlangen

Zentrale Auskunftsstelle über Depots von Anti-seren gegen Gifte von europäischen und außer-europäischen Schlangen, Skorpionen, Spinnen und anderen Gifttieren ist der Giftnotruf Mün-chen, Tel. 089-19240.

Kapitel117:Antidote

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Silibinin

zur intravenösen Infusion (s. Kap. 112). Zugelas-sen zur Therapie der Vergiftung mit Knollenblät-terpilzen. Empfohlen für alle Vergiftungen mit Amatoxinen. Silibinin hemmt die Aufnahme von Amatoxinen in die Hepatocyten.

►Fertigpräparat:„LegalonSIL“.VorrätiginKlini-kenmit einemEinzugsbereich, in demKnol-lenblätterpilz-Vergiftungenvorkommen.

►Dosierung:5mg/kgKGgelöst in0,9%NaCl,Infusionsdauer2Std.,InfusionsbeginnjeweilszurStunde0,6,12,18,danachInfusionspau-sebiszumEndederStunde24.WiederholungandenFolgetagen,bisdieVergiftungssympto-mezurückgegangensind.

Simeticon

zur Anwendung per os. Simeticon ist ein Ent-schäumer. Er wird eingenommen, wenn schaumbildende Stoffe verschluckt wurden. Die Entschäumung verhütet die Inhalation von Schaum und die dadurch bedingte Vernichtung der Funktion des Surfactant in der Lunge.

►Fertigpräparate von mehreren Herstellern.Vorrätig in Apotheken und gastroenterologi-schenBehandlungseinrichtungen.

Skorpiongift-Antisera

Zentrale Auskunftsstelle über Depots von Antise-ren gegen Gifte von europäischen und außereu-ropäischen Schlangen, Skorpionen, Spinnen und anderen Gifttieren ist der Giftnotruf München, Tel. 089-19240.

Spinnengift-Antisera

Zentrale Auskunftsstelle über Depots von Antise-ren gegen Gifte von europäischen und außereu-ropäischen Schlangen, Skorpionen, Spinnen und anderen Gifttieren ist der Giftnotruf München, Tel. 089-19240.

Tiopronin

zur Anwendung per os. Zugelassen zur Therapie bei Vergiftungen mit Quecksilber, Kupfer und Eisen. Empfohlen bei Zink, Polonium, Cad-

mium. Tiopronin bindet mit seiner SH-Gruppe Schwermetalle. Die positiven Erfahrungen sind spärlich.

►Fertigpräparat:Captimer®.

Toloniumchlorid

zur intravenösen Injektion. Zugelassen als An-tidot bei Methämoglobinbildung durch Nitrate, Nitrite, organische Amine (besonders auch durch überdosiertes Dimethyl aminophenol). Toloni-umchlorid reduziert Methämoglobin zu Hämo-globin.

►Fertigpräparat:„ToluidinblauInjektionslösung“.►Dosierung:2-4mg/kgKGgenau i.v.,Wieder-

holungnach30minmöglich.

Tosylchloramid-Natrium zur örtlichen Anwendung auf der HautTosylchloramid in 10 %iger Lösung hydrolysiert auf der Haut noch nicht gebundenes S-Lost. Es wird in Notfalldepots vorrätig gehalten.

Zink-Trinatrium-pentetat

zur intravenösen Injektion/Infusion. Zulassung wie Calcium-trinatrium-pentetat.

Kapitel117:Antidote