109
El Fragmento de Nochistlan – Ikonographische Analyse einer mixtekischen Bilderhandschrift Wissenschaftliche Hausarbeit zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra Artium der Universität Hamburg von Jenny Lebuhn-Chhetri aus Stade Hamburg, 2012

El Fragmento de Nochistlan – Ikonographische Analyse …mesoamerika-gesellschaft.de/wp-content/uploads/2013/10/... · „Ikonologische Interpretation“ nach Erwin Panofsky Die

Embed Size (px)

Citation preview

El Fragmento de Nochistlan – Ikonographische Analyse einer mixtekischen Bilderhandschrift

Wissenschaftliche Hausarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

einer Magistra Artium

der Universität Hamburg

von Jenny Lebuhn-Chhetri

aus Stade

Hamburg, 2012

Inhalt 1. Einleitung ........................................................................................................1

1.1. „Ikonologische Interpretation“ nach Erwin Panofsky ........................4 1.2. Forschungsgeschichte der mixtekischen Codices ...........................6 1.3. Die Anfertigung der Abzeichnung des Fragmento de Nochistlan ..10 1.4. UV-Licht-Untersuchung des Fragmento de Nochistlan im Museum

für Völkerkunde Hamburg ..............................................................12

2. Die Mixteca ....................................................................................................14 2.1. Die mixtekische Gesellschaft in der späten Postklassik (ca. 1200-

1521) ..............................................................................................16 2.2. Die mixtekischen Codices ..............................................................20

3. Der Codex Becker II ......................................................................................28 3.1. Forschungsgeschichte ...................................................................28 3.2. Beschaffenheit ...............................................................................29 3.3. Herkunft .........................................................................................30 3.4. Zeitliche Einordnung ......................................................................31 3.5. Inhalt ..............................................................................................31 3.6. Zusammenfassung ........................................................................39

4. Das Fragmento de Nochistlan .....................................................................41

4.1. Zusammengehörigkeit des Fragmento de Nochistlan und des Codex Becker II .............................................................................41

4.2. Beschaffenheit und Herkunftsgeschichte ......................................42 4.3. Forschungsgeschichte ...................................................................43 4.4. Analyseebene ................................................................................46

4.4.1. Beschreibung der Darstellungen .........................................46 4.4.2. Mixtekische Darstellungskonventionen ..............................49 4.4.3. Glossen ..............................................................................58

4.5. Interpretations- und Diskussionsebene ..........................................61 4.5.1. Ortszeichen ........................................................................61 4.5.2. Personen ............................................................................70 4.5.3. Daten ..................................................................................78

5. Ergebnisse ...............................................................................................83

5.1. Neue Erkenntnisse ........................................................................83 5.2. Zusammenfassung der Interpretation ............................................84 5.3. Ausblick .........................................................................................87

6. Anhang .......................................................................................................90

6.1. Literaturverzeichnis ........................................................................90 6.2. Quellenverzeichnis ........................................................................96 6.3. Internetquellen ...............................................................................97 6.4. Abbildungsverzeichnis ...................................................................97 6.5. Geste der Geborenen ..................................................................100 6.6. El Fragmento de Nochistlan – Umzeichnung 6.7. El Fragmento de Nochistlan – Foto

 

1. Einleitung

1

1. Einleitung

In den mexikanischen Bundesstaaten Oaxaca, Puebla und Guererro sind die

Mixteken ansässig. Geschichtlich gesehen zeichnet sich diese Gruppe vor allem

durch eine wichtige Errungenschaft aus: Die Mixteken fertigten faszinierende

historisch-genealogische Bilderhandschriften an, welche die eigene Geschichte

sowie die kulturellen und religiösen Gegebenheiten festhielten. Es sind heute nur

acht dieser Handschriften, Codices genannt, vorhanden, welche ihren Ursprung in

der vorkolonialen Zeit haben. Teilweise sind sie schwer beschädigt oder, wie im

Falle des hier behandelten Dokumentes, nur noch fragmentarisch erhalten.

Das Fragmento de Nochistlan (im Folgenden Fragmento genannt) ist im

Gegensatz zu anderen mixtekischen Codices bisher vergleichsweise wenig

erforscht. Es wird vermutet, dass es im auslaufenden 16. Jh. hergestellt wurde

und die Abschrift eines älteren, präkolonialen Dokumentes ist. Es befindet sich im

Museum für Völkerkunde Hamburg, wo es momentan in der Ausstellung „Herz der

Maya“ (07.11.2010 - 21.12.2012) zu sehen ist. Karl Anton Nowotny legte mit

seiner Untersuchung 1975 einen Grundstein für die Erforschung des Fragmentos.

Schon früh wurde die Ähnlichkeit mit dem Codex Becker II erkannt, die auch

Nowotny entdeckte und in seiner Arbeit diskutierte. Mary Elizabeth Smith gab mit

ihrem Artikel aus dem Jahre 1979 einen Forschungsansatz in Bezug auf die

Ermittlung des Ursprungsortes und Maarten Jansen ging im Jahr 1994 ebenfalls

etwas genauer auf das Fragmento ein. Ansonsten tauchen in verschiedenen

Artikeln zwar Hinweise auf die Existenz dieses Dokumentes auf, erneute

detaillierte Untersuchungen und weitere Perspektiven blieben aber bislang aus.

Fragestellung

Es wird, wie oben angemerkt, angenommen, dass das Fragmento de Nochistlan

ein Fragment des gleichen Dokumentes ist, zu dem auch der Codex Becker II

gehört. Da das Fragmento de Nochistlan bisher wenig erforscht wurde, ist die

Herkunft bislang ungeklärt. Ziel meiner Arbeit ist es, eine vertiefende

kulturhistorische Einordnung des Dokumentes vorzunehmen. Ich werde die

Forschungsgeschichte nachzeichnen und die Stimmigkeit der einzelnen

Forschungsergebnisse überprüfen. Im Anschluss werde ich die Verortung des

Dokumentes, die Identifizierung der dargestellten Personen und die Bedeutung

1. Einleitung  

2

der angegebenen Daten diskutieren. Auf Grundlage dieser Analyse werde ich den

Inhalt des Fragmentos interpretieren.

Aufbau der Arbeit

In den Kapiteln 1.1. – 1.4. lege ich meine Auseinandersetzung mit dem

Originaldokument dar, von dem ich eine Abzeichnung erstellt habe und welches

ich mit verschiedenen Hilfsmitteln intensiv untersucht habe. Danach erfolgt die

kulturhistorische Einordnung des Fragmentos in Kapitel 2.1., bei der die

mixtekische Gesellschaft der späten Postklassik (ca. 1200-1521) eingehend

beleuchtet wird. Dies ist die Zeit, in der die sogenannte Mixteca in kleine politische

Einheiten aufgeteilt war, welche untereinander in politischen, sozialen und

wirtschaftlichen Beziehungen zueinanderstanden. Um die eigene

Vormachtstellung zu untermauern und die Geschichte der Dynastien festzuhalten,

wurden aufwendige Handschriften angefertigt, die wir heute Codices nennen. Die

acht mixtekischen Codices, welche inhaltlich in der präkolonialen Zeit liegen,

werden in Kapitel 2.2. näher vorgestellt. Die folgenden Kapitel (3. – 3.6.)

beschäftigen sich mit der Herkunft und dem Inhalt des Codex Becker II. Im

Anschluss beginnt die Auseinandersetzung mit dem Fragmento de Nochistlan.

Hier wird nun in den Kapiteln 4.4. und 4.5., nach einer kurzen Beschreibung der

Beschaffenheit, der Inhalt nach dem dreistufigen System der ikonologischen

Interpretation von Erwin Panofsky untersucht. Nach der ausführlichen Diskussion

der Hauptquellen und der Einbindung eigener Ansätze in den Kapiteln 4.5.1. –

4.5.3. werden die wichtigsten Anhaltspunkte in den Kapiteln 5.1. – 5.3.

abschließend zusammengefasst und ein Ausblick darauf gewährt, welche

Themengebiete noch weitergehend zu untersuchen sind.

Schrift oder keine Schrift

Die Diskussion, ob es sich bei den Darstellungen der mixtekischen Codices um

Schrift handelt, möchte ich gerne in der Einleitung vorwegnehmen. Ein großer Teil

der Darstellungen in den Codices besteht aus Symbolen und Piktogrammen.

Diese sind teilweise nur im kulturellen Kontext der Mixteken zu verstehen,

teilweise aber auch gängig in ganz Mesoamerika. Davon ausgehend wäre es

1. Einleitung

3

schwierig, von einer Schrift zu sprechen1. Es gibt nur einen begrenzten Teil

sprachabhängiger und phonetischer Darstellungen. Im Folgenden werde ich

dennoch von der mixtekischen Schrift sprechen und damit der Auffassung von

Elizabeth Hill Boone folgen, die eine weite Definition von Schrift als Grundlage für

ihre Untersuchungen heranzieht. Sie spricht von Schrift als die Kommunikation

relativ spezifischer Ideen in einer konventionalisierten Art und Weise durch

permanente, sichtbare Zeichen (Hill Boone/Mignolo 2000:30). Diese weit gefasste

Definition, welche verbale und nonverbale Systeme einschließt, stimmt auch mit

der mixtekischen Kategorie des Schreibens überein. Durch ein miteinbeziehen der

piktographischen Elemente in die Definition ist es möglich, das System

ganzheitlich, in Vokabular, Grammatik und Struktur, zu verstehen (Hill

Boone/Mignolo 2000:29).

Schwierigkeiten

Die Untersuchung der Codices beinhaltet eine generelle Schwierigkeit, welche für

Außenstehende sicherlich schwer nachzuvollziehen ist. Sehr viele der

Herleitungen und Interpretationen basieren auf vagen Ideen. Es gibt in dieser

Thematik wenige Beweise oder Belege. Am Ende einer Untersuchung hängt eine

aufgestellte Theorie oft weiterhin in der Schwebe. Eine Forschung, die auf diesen

Ideen aufgebaut ist, kann weiterhin immer nur Möglichkeiten aufzeigen. Es ist

essentiell, die Fehlbarkeit der bereits aufgestellten und eigenen Theorien im Kopf

zu behalten.

Davon ausgehend ergab sich eine große Schwierigkeit bei der Analyse des

Fragmentos: die unterschiedliche Wahrnehmung der einzelnen Wissenschaftler.

Bei der Bearbeitung des Fragmentes Codex Becker II wurde zum Beispiel

deutlich, wie unterschiedlich Karl A. Nowotny und Maarten Jansen die

Abbildungen deuteten. So wurde eine dargestellte Dame mal als Frau 7 Haus und

mal als Frau 8 Haus gesehen; mal erkennt der eine nichts, wo der andere deutlich

einen Geier zu sehen glaubt (siehe Kapitel 3.5.). Ich habe versucht, die

unterschiedlichen Auffassungen so klar und deutlich wie möglich

zusammenzufassen. Bei dem Fragmento de Nochistlan kam meine eigene

Wahrnehmung zu denen der anderen Wissenschaftler hinzu, da ich das Original

                                                                                                               1 Schrift: Auf konventionalisiertem System von graphischen Zeichen basierendes Mittel zur Aufzeichnung von mündlicher Sprache (Bußmann 2008:608).

1. Einleitung  

4

mit eigenen Augen (verstärkt noch durch eine belichtete Lupe) untersuchen

durfte.

Eine weitere Schwierigkeit, die sich mir bot, war die Untersuchung der

Glossen. Dem Fragmento sind lateinschriftliche Anmerkungen in verschiedenen

Handschriften beigefügt. Es stellte sich die Frage, inwieweit dieses Thema mit

den mir zur Verfügung stehenden Mitteln behandelt werden kann. Da ich keine

Expertin im Lesen von Handschriften aus dem 16.-18. Jh. bin und die mixtekische

Sprachen nicht beherrsche, wollte ich die Bearbeitung der Glossen anfangs

außen vor lassen. Während der Arbeit habe ich allerdings doch einige

Überlegungen aufgenommen, die ich im Kapitel 4.4.3. zusammengefasst habe.

1.1. „Ikonologische Interpretation“ nach Erwin Panofsky

Die Ikonographie ist die wissenschaftliche Methode, Bildinhalte zu bestimmen und

zu benennen. Der Begriff kam in der Renaissance durch das Zusammenführen

der griechischen Worte für „Bild“ (eikon) und „schreiben“ (graphein) auf und wurde

nicht im Zusammenhang mit der Autorschaft oder dem Stil eines Kunstwerkes

benutzt, sondern mit der Beschreibung des Bildinhaltes (Kopp-Schmidt 2004:44).

Erwin Panofsky (1892-1968), aus der Schule Aby Warburgs (1866-1929)

kommend, entwickelte dessen Ansatz weiter. Warburg formulierte den Anspruch,

über die für die Kunstgeschichte üblichen Quellen für eine Interpretation

hinauszugehen und auch Randgebiete des kulturellen Lebens für die

Interpretation nutzbar zu machen und erschuf daraus die sogenannte

ikonologische Analyse (Panofsky 1987:207).

Die ikonologische Analyse miteinbeziehend, entwickelte Panofsky ein

dreistufiges Modell für die umfassende ikonologische Interpretation eines Werkes,

welches er 1931 zum ersten Mal vorstellte.

1. Die erste Stufe der ikonologischen Interpretation bezeichnet Panofsky die

vorikonographische Beschreibung des Bildes, um den sogenannten

Phänomensinn (aufgeteilt in Sach- und Ausdruckssinn) zu erfassen. Hier

wird das Dargestellte betrachtet und benannt.

2. Die zweite Stufe besteht aus der ikonographischen Analyse, die auf der

Darstellungskonvention und der Kultur basiert. Sie zielt auf die

Identifikation der dargestellten Personen, Gegenstände und der aus den

1. Einleitung

5

Einzelteilen zusammengesetzten Szenerie ab. Das Erkennen des

Dargestellten geht über die optische Umwelterfassung hinaus. Für diese

Analyse werden Zusatzinformationen aus der Religion, Mythologie,

Geschichte etc. benötigt. Einfache Symbole des Kulturkreises kommen

hinzu. Diese Erschließung einer Darstellung über das allgemein bekannte

kulturelle Wissen bezeichnet Panofsky als Ikonographie. Geht aber eine

Darstellung über diese Definition hinaus, so wird das Erfassen des

Dargestellten schwierig.

3. Die dritte Stufe ist die ikonologische Analyse, die das Dargestellte in

Zusammenhang mit der Epoche bringt, in der es entstand. Ziel dieser Stufe

ist es, die eigentliche Bedeutung des Dargestellten zu entschlüsseln. Die in

Stufe II nicht entschlüsselten Darstellungen werden eingehend betrachtet

und es wird unter anderem versucht, bewusste und/oder unbewusste

Botschaften der Auftraggeber und Künstler und die Einstellung der Epoche

zu ermitteln. Diese Betrachtungsweise eines Kunstwerkes ändert die Sicht

auf das Werk von dem Träger einer Information hin zu einem Dokument,

einem Zeugnis der Zeitgeschichte.

Die Bearbeitung dieser Stufe erfolgt in zwei Phasen. Zunächst werden alle

Informationen, die das Werk, dessen Umfeld und Inhalt betreffen,

herangezogen. In der zweiten Phase wird versucht, die unbewussten

Strömungen und Einstellungen des Zeitalters herauszufiltern, die hinter der

vordergründigen Interpretation verborgen sind (Panofsky 1987:210-211).

Panofskys Methode der ikonologischen Interpretation zeigt auch nach 80 Jahren

noch Gültigkeit und lässt sich effektiv auf die Kunst Mesoamerikas anwenden. Sie

hilft, unter Einbezug sämtlicher kultureller Quellen, Aufschluss über die

Darstellungen zu geben (Klein 2002:28).

Auch im Falle des Fragmento de Nochistlan hilft Panofkys Methode, das

Dargestellte strukturiert zu erfassen. Nach den einleitenden Kapiteln über das

Gebiet, die Kultur und die Bilderhandschriften der Mixteca in der späten

Postklassik sowie über das Fragment Codex Becker II wird das Fragmento de

Nochistlan eingeführt. Panofskys Konzept kommt dann nach Erörterung der

physikalischen Gegebenheiten, der Herkunft und der Forschungsgeschichte zum

Einsatz. In drei Phasen wird das Fragmento untersucht:

Phase I: In Kapitel 4.4.1. werden die Darstellungen beschrieben.

1. Einleitung  

6

Phase II: In Kapitel 4.4.2. werden die Darstellungskonventionen der

mixtekischen Codices miteinbezogen. Das in Kapitel 4.4.1.

Beschriebene wird durch die bisherigen wissenschaftlichen

Erkenntnisse erklärt und dadurch in einen kulturellen Kontext

gesetzt.

Phase III: In den Kapiteln 4.5.1.-4.5.3. werden dann die nicht erklärbaren

Details aufgenommen, diskutiert und gegebenenfalls interpretiert.

Im Vordergrund steht besonders die Frage, um welche Ortschaften

es sich bei den Ortszeichen handelt. Desweiteren werden die

dargestellten Personen und auch die Daten diskutiert.

1.2. Forschungsgeschichte der mixtekischen Codices

Kolonialzeit

Die ersten uns überlieferten Quellen zur mixtekischen Kultur waren unter anderem

die Wörterbücher der dominikanischen Mönche Antonio de los Reyes (1889) und

Francisco de Alvarado (1963), welche wichtige Informationen über die

Gesellschaft der Mixteken enthielten. Im 17. Jh. schrieb ein weiterer Dominikaner,

der Mönch Francisco de Burgoa, eine Abhandlung über die spirituelle Eroberung

von Oaxaca, in der er diversen Beobachtungen der mixtekischen Welt biblische

Passagen gegenüberstellte. Weitaus systematischer informierten die ca. 1580

geschriebenen Relaciones Geográficas über das Gebiet der Mixteken, welche

den spanischen König über seine Besitztümer aufklären sollten (Acuña 1984).

Unter anderem darauf aufbauend schrieb Antonio de Herrera y Tordesillas, der

offizielle Chronist der spanischen Krone, die erste Synthese über die mixtekische

Kultur mit dem Werk „Historia General de los Hechos de los Castellanos“ (Herrera

y Tordesillas 1947). Eine Ausnahme dieser Quellen, welche eine Außensicht auf

die Mixteken zeigen, ist die unvollständige und komprimierte Abschrift eines in

heutiger Zeit verlorenen mixtekischen, literarischen Werkes, welches sich mit der

Kosmologie und heiligen Geschichte der Mixteken befasst. Der Dominikaner

Gregorio García veröffentlichte diese im Jahre 1607 in einer Sammlung von

Quellen, welche sich mit den Ursprüngen der indigenen Amerikaner befasste

(García 1981).

1. Einleitung

7

In diesen frühen Quellen werden die mixtekischen Codices zwar erwähnt, aber nie

im Detail besprochen. In den Jahrhunderten, die der spanischen Eroberung

folgten, starb die Tradition der Anfertigung der Handschriften aufgrund von

missionarischer Zerstörung und der Einführung der alphabetischen Schrift

langsam aus. Die Dokumente, welche die Kolonialzeit überlebten, wurden von

Räubern und Liebhabern außer Landes gebracht oder in lokalen Archiven

verwahrt (Jansen 1990:99).

Frühe Moderne

Im 19. Jh. kam mit zunehmender politischer Unabhängigkeit auch ein Interesse

für die präkoloniale Vergangenheit bei der politischen und akademischen Elite auf.

Es war Manuel Martínez Gracida (1847-1923), der als erster ein umfassendes

Werk über die mixtekische Vergangenheit unter Einbeziehung eigener

Forschungen anfertigte. Er veröffentliche eine detaillierte geographische

Beschreibung der Siedlungen von Oaxaca (Martínez Gracida 1883) und sammelte

viele historische Dokumente über die indianischen Kulturen. Darunter waren

Zeichnungen und Beschreibungen archäologischer Stätten sowie Überlieferungen

oraler Tradition, Ortsnamen und ihrer Etymologie in der indigenen Sprache. Er

untersuchte auch einige Codices und andere Antiquitäten, hatte allerdings

Probleme bei deren Interpretation, da das Wissen um die piktographischen

Konventionen noch sehr gering war. Bei seinen Beschreibungen der präkolonialen

Gegebenheiten stützte er sich auf Intuition und Vorstellungskraft und kreierte

daraus romanähnliche Beschreibungen von Legenden und Traditionen (Jansen

1990:100).

Ein Kollege von Martínez Gracida war Mariano López Ruiz (1872-1931),

welcher selbst aus der Mixteca stammte. Er war verantwortlich für einige

Beschreibungen mixtekischer Stätten und Objekte in Martínez Gracidas Werk.

López Ruiz war Dichter und hatte Zugang zu einem jetzt verschollenen

piktographischen Dokument, welches eine Reihe mixtekischer Glossen enthielt.

1889 veröffentlichte er eine interpretative Beschreibung des Dokumentes, welche

zwar einige Fragen und Probleme aufwarf, jedoch ein wichtiger Schritt zu dieser

Erkenntnis war, dass die Codices tatsächlich als historische Erzählungen gelesen

werden können (López Ruiz 1889).

1. Einleitung  

8

Die dritte wichtige Person im Zusammenhang mit der frühen Interpretation der

Codices war der mixtekische Lehrer Abraham Castellanos (1868-1918). Er

schrieb ebenfalls aus einer bildenden und emanzipierten Perspektive heraus in

einem lyrischen, poetischen Stil und befasste sich so mit dem Codex Colombino.

Er erschuf eine literarische Legende um einen wandernden König und den

zyklischen Kampf der Mixteken. Dieses Werk schrieb Castellanos kurz vor der

mexikanischen Revolution (1910-1920) und es ist ein authentisches Beispiel

mixtekischer Widerstandsliteratur (Castellanos 1910). Auch wenn die

Interpretationen dieser ersten Codex-Forscher heute größtenteils ungültig sind, so

waren sie doch die ersten, welche die historischen Inhalte, die mixtekischen

Konzepte, den literarischen Stil und den bildenden Wert der Codices erkannt

haben (Jansen 1990:101).

Zur gleichen Zeit entwickelte sich eine separate Forschertradition in

Europa, welche die Codices in den Bibliotheken und Museen als Ausgangspunkt

hatte. Verschiedene Gelehrte übernahmen die schwierige Arbeit, die Dokumente

zu veröffentlichen und zu kommentieren. Lord Kingsborough veröffentlichte so

zum Beispiel zwischen 1831 und 1848 verschiedene Codices (darunter die

Codices Bodley, Selden und Vindobonensis), um darzulegen, dass es sich bei der

amerikanischen Bevölkerung um die 10 „verlorenen Stämme Israels“ handelt.

Allerdings bot er dazu keine Kommentare an (Jansen 1990:101).

1902 veröffentliche Zelia Nuttall den Codex, der seitdem ihren Namen

trägt. In einem wegbereitenden Kommentar analysierte sie das Dokument als

historischen Text, ordnete diesen aber nicht den Mixteken, sondern den Azteken

zu. Entgegen Nuttalls Sicht stand die Interpretation von Eduard Seler, der die

Codices, die er „Vindobonensis-Gruppe“ nannte, als religiöse Dokumente, ähnlich

der Borgia-Gruppe, ansah. Darüber hinaus deutete er die Mythen und die

religiöse Ikonographie als symbolische Repräsentation der Bewegungen von

Sonne, Mond, Planeten und Sternen (Seler 1960-1961). Beide Wissenschaftler

hatten ihre Anhänger, Seler eher im deutschsprachigen und Nuttall eher im

englischsprachigen Raum. Kreichgauer, Lehmann und Rock vertieften sich in die

astrologischen Deutungen Selers und Clark, Long und Spinden untersuchten eine

Mehrzahl von Szenen als historische Erzählungen. Für keinen dieser Forscher

war die Vindobonensis-Gruppe allerdings mixtekischen Ursprungs (Jansen

1990:101).

1. Einleitung

9

Späte Moderne

Die Entdeckung der mixtekischen Herkunft entstammte einem bahnbrechenden

Artikel von Alfonso Caso, in dem er die Mapa de Teozacoalco2 untersuchte und

feststellte, dass einige dort erwähnte Personen mit denen anderer Codices

übereinstimmten (Caso 1949). Die Genealogien der Mapa entstammten den

Orten Teozacoalco und Tilantongo, den größten Stadtstaaten in der Mixteca Alta.

Somit stand am Ende seiner Erforschung fest: die vormals den Azteken

zugeordneten Dokumente entstammen der Region der Mixteken.

Etwa zur gleichen Zeit zeigte Karl A. Nowotny mit seiner Arbeit (1961),

dass die vormals angenommenen astronomischen Interpretationen der Mythen

und Rituale in den Mixtekischen Codices und auch in der Borgia-Gruppe überholt

waren.

Caso schrieb später zahlreiche Kommentare über die einzelnen Codices

und mit dem zweibändigen Werk „Reyes y Reinos de la Mixteca“ (1977-1979)

auch eine Abhandlung über die mixtekischen Herrscher und ihre Geschichte. In

diesem Werk analysiert er den Komplex von Genealogien und Daten, bei denen

er detaillierte Vorschläge zur Interpretation der Codices gibt. Er schlägt außerdem

eine Korrelation der mixtekischen Daten zum christlichen Kalender vor.

Später ergänzten und berichtigten viele Wissenschaftler die Erkenntnisse

Casos und Nowotnys. Die Erforschung der einzelnen Ortszeichen ist ein Thema,

dem sich viele Wissenschaftler widmeten (Jansen 1983; König 1979; Parmenter

1982; Smith 1979, 1988). Besonders die Errungenschaften von Mary E. Smith,

Schülerin von Caso, in ihrem Werk „Picture Writing from Ancient Southern

Mexico: Mixtec Place Signs and Maps“ (1973) waren grundlegend für das

Verständnis und die Identifizierung der Ortszeichen.

Andere Wissenschaftler konzentrierten sich eher auf die Analyse des Stils

und der piktographischen Konventionen. Zu nennen sind hier die Arbeiten von

Nancy Troike (1978, 1982), die sich zum Beispiel mit den Gesten der Herrscher

im Codex Colombino beschäftigte. Ebenso wichtig sind die Arbeiten von Jill Leslie

Furst, die sich zum Beispiel mit dem Kulturhelden 8 Wind beschäftigte und die

Gedanken Casos über ein mythologisches Anfangsdatum weiterführte (1977,

1978).

                                                                                                               2 Ein bildliches Dokument, welches der Relación Geográfica von 1580 aus Teozacoalco beigefügt war.

1. Einleitung  

10

Wichtige Erkenntnisse bezüglich des Problems der Chronologie und Korrelation

brachte Emily Rabin mit ihren Forschungen (1981, 1982). Sie berichtigte die von

Caso erstellte Chronologie, die auch heute noch weitgehend anerkannt ist.

Andere Studien befassten sich übergreifend mit der Verbindung zwischen

Historiografie, Religion, Ideologie und Politik (Byland und Pohl 1994; Furst 1978,

1982; Jansen 1988; Monaghan 1995; Spores 1967, 1984; Terraciano 2001).

Die Werke von Elizabeth Hill Boone und Walter D. Mignolo sind praktische,

ausführliche Übersichtswerke über die historisch-genealogischen und die rituell-

religiösen Codices (1994, 2000), die sich vor allem als Einstiegsliteratur

hervorragend eignen.

Die von Caso und Nowotny erstellten Arbeiten bilden bis heute ein Vorbild

für die Erforschung der mixtekischen Codices, welches auch heute noch

weitgehend gültig ist. Es ist dennoch verwunderlich, dass diese Denkmuster

komplett abgetrennt von denen entwickelt wurden, die schon ein halbes

Jahrhundert zuvor von lokalen Historikern in Oaxaca vorlagen.

Vor allem die Forschung von Maarten Jansen bemüht sich um eine

Einbindung heutiger mixtekischer Sichtweisen und auch der mixtekischen

Sprache, die bei den frühen europäischen Untersuchungen außer Acht gelassen

wurden (2005, 2007).

In Zusammenarbeit mit Ferdinand Anders, Gabina Aurora Pérez Jimenez

und Luis Reyes García bringt Jansen in den frühen 90er-Jahren eine Reihe

Codices als Facsimiles heraus und versieht diese mit ausführlichen

Kommentarbänden (1994). Diese geben detaillierte Interpretationen und bieten

gegenüber den vormaligen von Caso, Furst und Co. oftmals eine neue

Perspektive auf die Bilderhandschriften der Mixteken.

1.3. Die Anfertigung der Abzeichnung des Fragmento de Nochistlan

Für die Untersuchung des Fragmentos ist die genaue Erfassung der

Darstellungen erforderlich. Eine sehr gründliche Methode, um sich Linien und

Gestalten einzuprägen, ist, sie mit eigener Hand nachzuzeichnen. Man nimmt die

Figuren nicht nur mit dem Auge, sondern auch mit der Hand auf. Da man mit

seiner Aufmerksamkeit immer genau bei dem ist, was man mit der Hand macht,

1. Einleitung

11

ist so das Sehen viel aufmerksamer, statt ein Bild nur zu betrachten. Man sieht es

nicht nur, sondern verinnerlicht es durch die Bewegung.

Der erste Arbeitsschritt bei der Untersuchung des Fragmentos war, eine

genaue Abzeichnung anzufertigen, die auch als Illustration für den Text der

vorliegenden Arbeit von Nutzen sein sollte. Das Museum für Völkerkunde

Hamburg stellte mir eine Fotografie des Fragmentos zur Verfügung, von dem ich

in erster Linie die Abzeichnung anfertigte. Anhand des Objektes selbst habe ich

im weiteren Verlauf der Bearbeitung noch mal die Genauigkeit der Abzeichnung

überprüft.

Die Abzeichnung erstellte ich mithilfe eines Grafikprogramms. Das digitale

Foto habe ich als hinterste Ebene in ein neues Dokument kopiert. Auf einer

zweiten Ebene habe ich die Linien der unteren Ebene nachgezeichnet.

Mein Ziel war es, das Fragmento so genau wie möglich nachzuzeichnen

und schlecht erhaltene Stellen auszubessern, ohne das Dokument dabei durch

eigene Interpretationen zu verfälschen. Diese Gratwanderung hat mich bei der

gesamten Abzeichnungsarbeit begleitet: immer wieder abzuwägen, welche

Details in ihrer Zerstörung noch erkennbar sind und welche mich meine

Interpretation erkennen lässt.

Ein einfacher Fall war dabei zum Beispiel eine unterbrochene Linie, bei der

deutlich erkennbar ist, wo sie nach der Unterbrechung weitergeht. Die

Ausbesserung bestand dann also darin, die Linie in der Abzeichnung

durchgehend zu zeichnen. Bei schwierig erkennbaren Figuren, wie zum Beispiel

den zerstörten Tageszeichen, halfen mir die Interpretationen anderer

Wissenschaftler. Deren Ansichten des Dargestellten erleichterten es mir,

bestimmte Details zu erkennen und sie dementsprechend einzuzeichnen. Dabei

habe ich allerdings nie ein Tageszeichen ganz vervollständigt, sondern weiterhin

immer nur das nachgezeichnet, was ich auf dem Original gesehen habe.

Das erste Produkt meiner Arbeit war eine Nachzeichnung der dargestellten

Figuren mit schwarzen Linien. Als Nächstes habe ich die handschriftlichen

Glossen des Fragmentos übertragen. Dies habe ich mit wesentlich dünneren

schwarzen Linien getan, um sie von den gemalten Figuren abzugrenzen. Auch

hierbei habe ich auf höchste Genauigkeit geachtet, um die Charakteristika der

verschiedenen Schriftbilder beizubehalten. Der letzte Schritt war die Kolorierung

der Abzeichnung. Dafür habe ich mit dem Pipetten-Werkzeug des

Grafikprogramms die Farbe direkt aus dem Foto aufgenommen und damit die

1. Einleitung  

12

entsprechenden Stellen der Abzeichnung ausgefüllt. Da die Farbschichten des

Fragmentos teilweise stark beschädigt sind, habe ich hier ebenfalls einige

Abwägungen machen müssen. Ich habe für das Ausfüllen immer die Farbe aus

den besterhaltenen Stellen benutzt. Allerdings habe ich mich dagegen

entschieden, ein Rot oder ein Gelb für das gesamte Dokument zu benutzen. Ich

habe immer nur Farbe aus der unmittelbaren Umgebung der auszufüllenden

Stelle benutzt, wodurch die Abzeichnung dem Original näher steht. Somit sind an

den Stellen des Dokuments, an denen das Fragmento sehr schlecht erhalten ist,

die Farben deutlich schwächer.

Während der inhaltlichen Bearbeitung des Fragmentos habe ich noch

kleinere Korrekturen vorgenommen. Ein Beispiel dafür ist das A-O-Jahreszeichen

auf der oberen Bildhälfte. Zunächst war mir nicht klar, was der kleine Zusatz

bedeutet, welcher links oben am A-O-Zeichen haftet. Das Werk „Picture Writing

from Ancient Mexico“ von Mary E. Smith brachte mich darauf, dass es sich hierbei

um ein Auge, eventuell das einer Eule, handelt, welches oft als Zusatz an einem

A-O-Zeichen angebracht ist. Aufgrund dieses Hinweises habe ich das kleine

Gebilde erneut betrachtet und erkannte, dass auch hier ein solches Auge zu

sehen ist (vgl. Smith 1973:220). Dementsprechend habe ich das Detail minimal

korrigiert. An anderer Stelle habe ich mich gegen eine Darstellung entschieden.

Im oberen Ortszeichen steht eine Inschrift von der nur noch die letzten zwei

Buchstaben zu erkennen sind. Hier steht ...YA. Vor dem Y ist schemenhaft ein

senkrechter Strich erkennbar. Da dieser Strich ein I sein könnte, aber auch der

Endstrich eines M oder H, habe ich mich dagegen entschieden, ihn mit in die

Umzeichnung einzutragen.

1.4. UV-Licht-Untersuchung des Fragmento de Nochistlan im Museum für

Völkerkunde Hamburg

Am 8. September 2010 fand eine UV-Licht-Untersuchung des Fragmentos de

Nochistlan im Museum für Völkerkunde Hamburg statt. Dabei waren Frau

Christine Chávez, Leiterin der Amerika-Abteilung, und die beiden

Restauratorinnen Frau Gertrude Blasum und Frau Wiebke Hattendorf anwesend.

An einem vorherigen Termin habe ich das Objekt bereits mit einer belichteten

Lupe untersucht, um die schwer erkennbaren Figuren besser zu sehen. Bei der

1. Einleitung

13

genauen Betrachtung mit der Lupe konnte ich allerdings keine neuen

Erkenntnisse gewinnen.

1979 schrieb Mary E. Smith, dass sie das Fragmento de Nochistlan unter

ultraviolettem Licht untersucht hat, jedoch keine Auffälligkeiten zu sehen waren

(Smith 1979:33). Meine erneute Untersuchung des Objektes unter ultraviolettem

Licht förderte tatsächlich eine bisher nicht gesehene Schrift zutage, auf deren

Einzelheiten ich im Kapitel 4.3.2 über Ortszeichen eingehe.

Wenige Tage nach der UV-Licht-Untersuchung wurde eine Untersuchung

mit einer Rotlicht-Lampe durchgeführt, die allerdings keine weiteren Erkenntnisse

hervorbrachte.

 

2. Die Mixteca  

14

2. Die Mixteca

Die Bezeichnung Mixteca kommt aus dem Nahuatl (aztekisch) und bedeutet

„Wolkenleute“. Die Eigenbezeichnung der sogenannten Mixteken ist tay

ñuudzahui „Leute aus dem Regenort“ oder „Leute aus dem Ort des Dzahui“, des

Regengottes. Der Hintergrund dieser Bezeichnungen wird klar, sobald man auf

die klimatischen und topographischen Gegebenheiten blickt (Terraciano 2001:1).

Die heute als Mixteca bekannte Region liegt zwischen dem 16° und dem

18° 15’ nördlicher Breite und dem 97° und dem 98° 30’ westlicher Länge. Das

Gebiet umfasst eine Fläche von ca. 40.000 km2 und erstreckt sich über den

Westen Oaxacas, den Süden Pueblas und den Osten Guerreros, liegt aber zum

größten Teil in Oaxaca. Die Mixteca umfasst verschiedene Umgebungen,

Klimazonen und Höhenlagen und wird gemäß dieser Unterschiede in Zonen

aufgeteilt (Espinoza 2007:1). Die Hauptzonen sind die Mixteca Baja, Mixteca de la

Costa, Mixteca Alta und das Tal von Oaxaca (Terraciano 2001:1).

Die Mixteca Baja umfasst den nördlichen und westlichen Teil der Mixteca

und ist eine heiße und semi-aride Zone. Die Mixteca de la Costa ist, wie der

Name andeutet, an der Küste gelegen und erstreckt sich nach Norden in eine

Höhe von ca. 750 m. Hier ist es relativ feucht, was einen dichten Pflanzenwuchs

begünstigt.

Die Mixteca Alta bildet den nordöstlichen Teil der Mixteca und liegt im

hügeligen Hochland von Oaxaca. Die Topographie der Mixteca Alta ist sehr

unterschiedlich und reicht von unregelmäßigen Hügellandschaften zu zerklüfteten

Berghängen. Die großen Höhen mit den zerklüfteten Bergketten bieten natürliche

Barrieren und hindern das menschliche Vorankommen. Hier ist das Klima

gemäßigt bis kühl. In den Hügeln ist es vorwiegend kühl und trocken, in den

Tälern warm und feucht (Espinoza 2007:2).

Das Tal von Oaxaca hat ein gemäßigtes Klima und ist sehr fruchtbar

(Terraciano 2001:1).

2. Die Mixteca  

15

 Abb. 1: Die Mixteca

2. Die Mixteca  

16

2.1. Die mixtekische Gesellschaft in der späten Postklassik (ca. 1200-1521)

Die Mixteca der Postklassik war eine der am dichtesten besiedelten Regionen

Mesoamerikas. Die Stadtstaaten der Region zeichneten sich durch einen hohen

Grad an künstlerischem Ausdruck, demographischem Wachstum und politischer

Expansion aus. Im letzten Jahrhundert vor der spanischen Eroberung hatten

politische Gruppen aus der Mixteca Alta großen Einfluss über das Tal von

Oaxaca, begruben ihre verstorbenen Herrscher in hochherrschaftlichen Gräbern

in Monte Albán und unterhielten Heiratsallianzen zu den benachbarten

Zapoteken. In den letzten Jahrzehnten vor der spanischen Eroberung, ab ca.

1440, unterstanden Teile der Mixteca Alta und Baja der aztekischen Herrschaft.

Manche Orte wurden aber erst einige Jahre vor Ankunft der Spanier dem

aztekischen Reich zugefügt, wie es die Tributlisten der Mexica (so die

Eigenbezeichnung der Azteken) zeigen. So wurden zwar aus der Mixteca

verschiedene Güter, wie z.B. Jade, Goldstaub oder Cochenille, als Tribut geliefert,

die politischen Strukturen und die Kultur blieben allerdings weiterhin erhalten.

Nach Ankunft der Spanier übernahmen diese bereits in den frühen 20er-Jahren

des 16. Jh. viele Gebiete, wie z.B. die Region um Tututepec an der Pazifikküste.

Bereits ca. 1530 beherrschten sie die gesamte Mixteca. Ihre Herrschaft wurde

während der Kolonialzeit nie wirklich herausgefordert, obwohl es viele lokale

Aufstände und Revolten gab (Terraciano 2001:2).

Die mixtekische Gesellschaft der späten Postklassik basierte auf

traditionellen Rechten und Privilegien und einer Ideologie, welche die soziale

Schichtung unterstützte, auf Kontrolle der produktiven Ressourcen und Systeme

von Tribut, Umverteilung und Marktaustausch sowie der Ausweitung und

Festigung der politischen Macht durch Heiratsallianzen, Kontrolle der Wirtschaft

und Eroberungen (Spores 1983b:235).

Stadtstaaten

Das am weitesten verbreitete politische System der Mixteken war das Königreich

oder cacicazgo. Dies waren kleine Staaten, jeder von einer privilegierten

Aristokratie kontrolliert und meist ein Gebiet umfassend, welches in einem Tag

Fußmarsch zu durchqueren ist. Des Weiteren gehörte zu einem cacicazgo eine

oder mehrere landwirtschaftliche Siedlungen mit nahe gelegenen Ländereien und

2. Die Mixteca  

17

anderen Quellen (Spores 1983c:255). Der Hauptort des cacicazgo wurde von

dem cacique regiert, während die umliegenden, untergeordneten Siedlungen

(sujetos, estancias oder ranchos) von den principales, zweitrangigen Adeligen,

kontrolliert wurde (Smith 1973:43).

Klar ist, dass diese kleinen politischen Einheiten durch bestimmte

Bündnisse miteinander verbunden waren und dass manche mächtiger waren als

andere und auf diese Einfluss ausüben konnten. Die kleineren Einheiten waren

sozusagen Vasallenstaaten, die zwar unter dem Einfluss eines anderen Staates

standen, jedoch weiterhin autonom blieben. Die Verbindungen zwischen

verschiedenen Orten bildeten einen Rahmen von gegenseitiger Verpflichtung,

beließen aber das Recht der eigenen Regierung (Byland/Pohl 1994:32).

Gesellschaft

Die mixtekischen Codices zeigen, wie die Vorfahren der wichtigen Dynastien aus

der Landschaft geboren werden. Sie entsteigen dem Rachen des Erdmonsters

oder sie kommen aus Flüssen oder Bäumen. Dies ist ein wichtiges Merkmal der

Elite, welches sie von der bäuerlichen Gesellschaftsschicht unterschied. Durch die

Verbindung zur Erde, aus der die Vorfahren geboren wurden, leitete sich eine

gegebene Beziehung zum Übernatürlichen ab sowie eine grundlegende

Rechtmäßigkeit des Landbesitzes (Byland/Pohl 1990:116).

Die mixtekische Gesellschaft unterlag genauen Heiratsregeln und war

streng hierarchisch aufgebaut. Obwohl auch in anderen postklassischen

Gesellschaften nur innerhalb der elitären Sphäre geheiratet werden durfte, so

legten die Mixteken besonderen Wert auf eine hochadelige Geburt und die Nähe

zur Abstammungslinie der herrschenden Elite. Die Nähe zu der herrschenden

Abstammungslinie war so wichtig, dass teilweise sogar Geschwister verheiratet

wurden, um die adelige Reinheit des Blutes zu gewährleisten (Flannery 1983:

218).

Ronald Spores (1983a:228) definiert soziale Schichtung als die ungleiche

Verteilung von sozialer, politischer und wirtschaftlicher Macht zwischen großen,

erkennbaren Schichten der Gesellschaft. Die postklassische mixtekische

Gesellschaft bestand hauptsächlich aus drei Ebenen. Den Stadtstaaten stand ein

cacique vor, der sogenannte yaa tnuhu. Zusammen mit seiner Familie und den

tay toho, dem Adel, formte er die herrschende Oberschicht. Die nicht-adligen

2. Die Mixteca  

18

Einwohner waren die tay yucu. Spores hat eine weitere Klasse identifiziert, die tay

situndayu, von den Spaniern terrazgueros genannt. Dies waren landlose Bauern,

die als Leibeigene den Herrschern und Adeligen unterstanden und deren

Ländereien bearbeiteten. Zusammen mit Sklaven, die als Diener, Konkubinen

oder Menschenopfer dienten, formte diese Gruppe die dritte Ebene (Flannery

1983: 219). Mit Sicherheit gab es auch reiche Händler, die aber wohl keine eigene

Schicht bildeten (Spores 1983a:228).

Zwischen der nicht-adligen Bevölkerung und dem Adel gab es eine

Beziehung, bei der beide Seiten sich gegenseitig zuarbeiteten und die das

gesellschaftliche Leben prägte. Der Herrscher war für den Schutz seines

Königreiches verantwortlich und auch dafür, innerhalb des eigenen Reiches

Frieden zu erhalten und z.B. bei Zerwürfnissen zwischen seinen Adligen zu

schlichten. Des Weiteren musste er den religiösen Kult unterstützen und die

politischen Beziehungen zu anderen Staaten pflegen (Spores 1983c:255). Im

Gegenzug für zeremonielle, soziale und politische Leitung, wirtschaftliche

Sicherheit und Schutz, die von der herrschenden Elite kam, zahlten die Bürger

Tribut, leisteten Arbeitsdienste auf den Feldern und in den Häusern der Adeligen,

unterstützten den religiösen Kult und dienten im Krieg (Spores 1969:557-558).

Wirtschaft

In den Tälern zwischen den Hügeln pflegten die Bürger der Staaten intensive

Landwirtschaft auf Subsistenzbasis. Dazu wurde gejagt und es wurden

Wildpflanzen gesammelt. Der mesoamerikanische Nahrungskomplex bestehend

aus Mais, Bohnen, Chilli und Kürbis wurde auch hier gepflegt. Ebenso wurde in

den höheren Regionen der Mixteca Alta die Maguey-Agave angepflanzt, die

vielfältig eingesetzt wurde (Spores 1967:5). Die domestizierten Tiere

beschränkten sich auf den Truthahn und zum Verzehr gezüchtete Hunde. Die

Cochineal-Laus, die den Grundstoff eines roten Farbstoffes darstellt, war ein

wichtiger Bestandteil der heimischen Industrie und des Handels. Im Hochland

wurden wertvolles Metall und Edelsteine in Minen abgebaut. Die regionale Vielfalt

förderte den Handel und die regulär abgehaltenen Märkte (Spores 1967:6).

Der vorspanische Bürger war in der Gemeinde tätig. Er hatte

Nutznießungsrechte für Teile des Kommunallandes, musste Tribut zahlen, seinen

Herrscher respektieren, ihm gehorchen und dienen. Er musste spezielle Regeln

2. Die Mixteca  

19

im Umgang mit anderen Schichten der Gesellschaft in puncto Kleidung, Essen

und Beruf einhalten. Während die herrschende Klasse oft Heiratsbeziehung mit

anderen Städten und Königreichen einging, so heiratete der normale Bürger lokal

endogam (Spores 1983a:229).

Der Adel und die Herrscher besaßen privates Land, an das die

terrazgueros gebunden waren, die selbst kein Land besaßen. Schwieriger

festzustellen sind die Besitzverhältnisse bei dem normalen Volk. Es scheint eine

Art Gemeindegrund gegeben zu haben, auf dem gemeinschaftlich gearbeitet

wurde. In der frühen Kolonialzeit tauchen in den Gerichtsakten in der Mixteca

äußerst selten Fälle von Landstreit in der normalen Bevölkerung auf. Es ist nicht

klar, ob Landnutzung für sie zeitlich limitiert war oder ob es bestimmte

Nutznießungsrechte gab und ob sich diese Rechte auf bestimmte Individuen,

Familienabstammung oder andere gesellschaftliche Kategorien bezogen (Spores

1983a:229).

Es ist allerdings eindeutig, dass die herrschende Elite den Zugang zum

besten Land und alleinig bestimmte Rechte hatte z.B. die Jagd von Hirschen und

Wachteln und die Verwendung bestimmter Materialen wie Felle, Pelze, Zähne,

Federn und Stoffe. Auch wichtige Ressourcen, wie Salz und Wasser für die

Landwirtschaft, standen unter der Kontrolle der Aristokratie, während die untere

Schicht Zugang zu bestimmten Sammelstellen von Feuerholz, Wildpflanzen,

Mineralien hatte und nur Nager, Kleintiere und kleine Vögel jagen durfte (Spores

1983a:229).

Religion

Religion und die rituellen und ideologischen Erweiterungen (z.B. Reflektionen und

Rechtfertigungen für soziale Schichten in Entstehungsmythen und Mythen von

Elitegenealogien) bieten eine übernatürliche Gültigkeit für das bestehende

soziokulturelle System und eine Rechtfertigung und Bestärkung für die politische

Ordnung (Spores 1983b:235).

Die verehrten Gottheiten lehnten sich an die zentralmexikanischen an.

Darunter waren unter anderen mixtekische Versionen von Tlaloc, Quetzalcoatl

und Xipe Totec. Hinzu kamen regionale oder kommunale Gottheiten oder

Geistwesen. Berggipfel, Höhlen und ungewöhnliche Naturgegebenheiten waren

oft mit Altären versehen. Die kalendarischen religiösen Feste waren

2. Die Mixteca  

20

wahrscheinlich sehr elaborierte, farbige Festlichkeiten, an denen die ganze

Gesellschaft teilnahm (Spores 1967:22f.).

Von der Klassik zur Postklassik lässt sich feststellen, dass eine

Entwicklung in der politisch-religiösen Einheit stattfand. Das Priesteramt entfernte

sich dabei immer weiter vom säkularen Amt. Teil dieser Entwicklung war die

räumliche Trennung von Zeremonialzentren und Wohngebieten (Spores

1983b:234f.).

Die Mixteken hielten sich an den in ganz Mesoamerika verbreiteten 52-

Jahres-Zyklus, der sich aus der Benutzung des 365-tägigen Sonnenkalenders und

des 260-tägigen Ritualkalenders ergibt (Spores 1967:16-17). Hier werden 20

Tageszeichen mit den Zahlen 1-13 kombiniert. Der Wahrsagekalender bildet mit

dem Sonnenkalender (365-tägig) eine große Kalender-Runde, bei der ein

bestimmtes Datum erst wieder nach 18.980 Tagen, genau 52 Sonnenjahre,

vorkommt. Die Angaben der mixtekischen Codices beziehen sich allerdings nur

auf den 260-tägigen Kalender.

2.2. Die mixtekischen Codices

Die acht präkolonialen Codices der Region der Mixteken umfassen Legenden und

Dynastiegeschichten in einem Zeitraum von ca. 1000 v.Chr. bis zur Ankunft der

Spanier in den 1520er-Jahren (Byland/Pohl 1994:Preface).

Themen/Performanz

Beweggründe, solche Dokumente anzufertigen, lassen sich nur erahnen. Die

Vereinigung von Geschichte, Kosmologie und Kosmogonie und auch Propaganda

machen die Inhalte aus. Man kann davon ausgehen, dass die Dokumente

angefertigt wurden, um die Machtposition der herrschenden Dynastie zu

unterstreichen. Das würde auch eine Vermischung mit mythologischen Elementen

verständlich machen, da eine Verbindung zu wichtigen mythologischen Personen

oder Ereignissen ein starkes Argument zur Machterhaltung darstellte. In diesem

Umstand liegt aber die Schwierigkeit für die Wissenschaft, historische Ereignisse

herauszufiltern (Marcus 1992:61). Zusätzlich ist bekannt, dass in manchen Fällen,

wie z.B. dem Codex Selden, Dokumente überschrieben wurden. Es wurde einfach

2. Die Mixteca  

21

eine weitere Stuckschicht aufgetragen und ein Teil der Geschichte neu verfasst.

Eine andere Methode war, wie vermutlich beim Codex Vindobonensis, ältere

Dokumente neu zu kopieren, um eventuell bestimmte Teile der Geschichte zum

eigenen Vorteil zu ändern, neu hinzuzufügen oder einfach auszulassen (ebd:150).

Die sich aus den politischen Umständen herausbildenden Themen

umfassen Eroberungen, Allianzen verschiedener Stadtstaaten, Kriege,

Verschwörungen und Intrigen. Leitfaden der verschiedenen Ereignisse sind die

Lebensgeschichten der agierenden Personen (Byland/Pohl 1994:Preface).

Viele der Themen überschneiden sich in den verschiedenen Codices. Eine

Geschichte, die in einem Codex beginnt, kann von der in einem anderen Codex

fortgesetzt oder ergänzt werden. Dabei kann es vorkommen, dass dieselbe

Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird.

Über die Verwendung der Bilderhandschriften kann man heute vermuten,

dass sie wahrscheinlich als eine Art Drehbuch dienten und zu besonderen

Anlässen am königlichen Hofe benutzt wurden, um in einer Vorführung die Inhalte

wiederzugeben. Eventuell wurden diese Vorführungen, ob als Lesungen,

Schauspiele oder Tänze, musikalisch begleitet und den am Hofe lebenden

Personen zur Unterhaltung oder zur Erinnerung vorgetragen. Ansonsten hingen

sie vermutlich zur Dekoration an den Wänden des Palastes (König 1999:108).

Das aztekische Bildungswesen legte großen Wert auf das Rezitieren und

Auswendiglernen von Texten. Die schon im Gedächtnis vorhandenen Texte

wurden von den dargestellten Anhaltspunkten ausgelöst und somit konnte der

Leser, wahrscheinlich ein Priester, eine flüssige, standardisierte Geschichte

erzählen (Hill Boone/Mignolo 1994:72). Diese zentralmexikanische Erzählweise

könnte in der Form auch in der Mixteca stattgefunden haben.

Entwicklung der Schrift

Die Entwicklung der mixtekischen Schrift kann nur grob eingeschätzt werden. Man

kann nachvollziehen, dass die Mixteken einige Charakteristika von den

benachbarten Zapoteken übernahmen. Die beiden Kulturen verbinden ihre

geographische Nähe und die otomangue Sprachfamilie (Marcus 1992: 34).

Eventuell wurde die mixtekische Schrift auch von der toltekischen Kultur

beeinflusst, was wiederum die Gemeinsamkeiten zwischen aztekischer und

mixtekischer Schrift erklären würde (Marcus 1992:35).

2. Die Mixteca  

22

Schreiber

Bei den Mixteken hieß der Schreiber tay huiri taca („Maler“), tay toatutu

(„Papier/Buch-Gestalter“) oder huisi tacu („der dessen Handwerk es ist, zu

schreiben“). Die Codices selbst wurden tonindeya („Geschichte der Dynastien“),

naandeya („Erinnerung an Vergangenes“), tutu nuhu („heiliges Papier“) oder nee

nuhu („sakrale Haut“) genannt (Marcus 1992:60). Die Schreiber und auch Leser

waren speziell dafür ausgebildet. Die normale Bevölkerung hatte keinen Zugang

zum Wissen um die heiligen Bücher und war des „Lesens und Schreibens“

unkundig (Marcus 1992:28).

Die Bilderhandschriften weckten in den Spaniern gleichermaßen Angst und

Neugier. Ein Großteil der Handschriften fiel der religiösen Verfolgung durch die

katholische Kirche gegen die indigene Religion zum Opfer. Dennoch ermöglichten

die Handschriften den Spaniern auch, vor allem bei den Azteken, die Strukturen

indianischer Herrschaft und wirtschaftlicher Organisation zu verstehen. Viele von

den Dokumenten, die uns heute erhalten sind, tragen lateinschriftliche Glossen,

die das Dargestellte erklären (Schmidt 1999: 388).

Aus diesem Interesse und Nutzen heraus erklärt sich der Umstand, dass

die Spanier in Zentralmexiko die Tradition des Codexschreibens bis ins 18. Jh.

hinein aufrecht erhielten (Schmidt 1999: 387). Sie konnten somit die schon

bekannten Wege der Aufzeichnung und Organisation für sich nutzen, ohne ein

komplett neues System einführen zu müssen.

Darstellungsweise

Geschichtsschreiber im späten postklassischen Mexiko benutzten drei

verschiedene Präsentationsformen. Es gab die ereignisorientierte Geschichte, die

kartographische Geschichte und chronologische Jahresaufzeichnungen (Hill

Boone/Mignolo 1994:51). Die verschiedenen Dokumente können diesen

Präsentationsformen zugeordnet werden. Die kartographische Erzählweise findet

man z.B. bei Lienzos, die eine Geschichte anhand einer Landkarte erzählen. Das

ist vorteilhaft bei Migrationsgeschichten oder Landverteilungen. Ein Beispiel für

analenähnliche Jahresaufzeichnungen sind die aztekischen Codices und die

ereignisorientierte Erzählweise lässt sich bei den mixtekischen Codices finden.

Hier haben die Schreiber besonderen Wert darauf gelegt, bestimmte Ereignisse

2. Die Mixteca  

23

darzustellen, anhand derer die Geschichte festgemacht wird. Um das dargestellte

Ereignis und den Akteur gruppieren sich zweitrangig Ort und Zeit (Hill

Boone/Mignolo 1994:54).

Die Vorteile dieser Darstellungsweise liegen in ihrer Flexibilität. Es kann

zwischen verschiedenen Personen oder Orten gewechselt werden, um die

Geschichte am Laufen zu halten. Es werden sehr viele Details, wie z.B.

Personennamen, Ortsnamen und Daten, festgehalten. Dadurch ist es ein sehr

effizientes System. Die Zeit läuft vorwärts, kann aber auch angehalten werden

oder zurückgehen, um eine vorhergehende Sequenz aufzugreifen (Hill

Boone/Mignolo 1994: 59). Das heißt, die einzelnen Sequenzen sind durch

Ursache und Effekt aneinander gebunden und nicht wie bei den Lienzos durch

räumliche Distanzen oder wie bei den Jahresaufzeichnungen durch eine genaue

zeitliche Abfolge (Hill Boone/Mignolo 1994:60).

Doch die Darstellungsweise hat auch Nachteile. Es ist schwierig, einen

Überblick zu bekommen, da nie ein Bild der ganzen Geschichte gezeigt werden

kann, sondern immer nur Einzelheiten. Dauerhaftes oder Kontinuierliches

darzustellen, ist ebenso schwierig, wie Entwicklungen oder Anhaltendes.

Räumliche Beziehungen fehlen ebenso und können nur anhand der bekannten

Ortszeichen hergestellt werden (Hill Boone/Mignolo 1994:60).

Die mixtekische Schrift

Wir begegnen hauptsächlich drei Komponenten in der mixtekischen Schrift. Die

erste Komponente bilden Piktogramme. Das heißt, es sind eindeutig

identifizierbare Gegenstände dargestellt, die für nichts anderes stehen als für das,

was sie zeigen. Ein Haus bedeutet Haus. Eine Agave bedeutet Agave. Eine

Maispflanze hat keine andere Bedeutung als Maispflanze (König 1999:109).

Die zweite Komponente sind die Logogramme oder auch Ideogramme.

Diese sind im übertragenen Sinne zu verstehen, wie Symbole. Hinter einer

Darstellung steht ein größerer Gedanke. Beispiele hierfür sind eine Sprachvolute,

an der man erkennt, dass jemand spricht oder ein Mumienbündel, das für das

Ereignis Tod steht (König 1999:110).

2. Die Mixteca  

24

 

Die Piktogramme und Ideogramme sind oft sprachunabhängig und in vielen

Regionen Mesoamerikas zu finden. Auch wenn sie unabhängig von einer Sprache

sind, so sind sie doch höchst konventionalisiert (Smith 1983:239). Die

Sprachvolute ist zwar ein Symbol, welches in vielen Teilen Mesoamerikas

vorkommt, es kann aber mit regionalen Stilen vermischt sein. Sprachvoluten, an

denen z.B. Feuersteinmesser haften, stellen „schneidende Worte“, also

Beleidigungen, dar. Dies ist eine mixtekische Eigenheit in

der Darstellung von Sprache (Smith 1983:242/243). Die

dritte Komponente der mixtekischen Schrift sind die

sprachabhängigen Pikto- und Logogramme, auch

Phonogramme genannt. Es sind Zeichen, die das Prinzip

der Phonetik benutzen: Da mixtekisch eine tonale Sprache

ist, also ein Vokal in hohem, mittleren oder tiefem Ton

gesprochen werden kann,

gibt es viele Homonyme.

Das sind zwei Worte, die

gleich aussehen, die sich

aber in der Tonlage

unterscheiden. Besonders diese Homonyme

werden bei der piktographischen Darstellung

eingesetzt. Ein Beispiel hierfür ist das Ortszeichen

von Teozacoalco. Der mixtekische Name von

Teozacoalco ist chiyo canu, welches „große

Tempel-Plattform“ heißt. Canu hat die Bedeutung

 

Abb. 2: Der Priester 6 Geier Grabstock spricht. Aus: Selden, S. 6, Bd. II.

 

Abb. 3: Das Mumienbündel des 8 Hirsch Jaguarkralle. Aus: Bodley, S. 14, Bd. IV.

 

Abb. 4: Eine Person spricht "scharfe Worte". An den Sprachvoluten sind Feuersteinmesser dargestellt. Aus: Selden, S. 7.

 

Abb. 5: Das Ortszeichen von Teozacoalco oder chiyo canu. Aus: Selden, S. 4, Bd. II.

 

2. Die Mixteca  

25

„groß“. Das wäre schwierig zu zeichnen, deswegen wurde das Homonym benutzt

da canu in anderer Tonlage „brechen“ bedeutet: Das Ortszeichen besteht also

aus einer Plattform, auf der eine kleine Person steht und die Plattform sichtlich

durchbricht (Smith 1983:241).

Es gibt auch phonetische Hinweise an Piktogrammen. Ein phonetischer

Hinweis ist dann gegeben, wenn ein Element eingebracht wird, das ein anderes

Wort klar macht. Ein Beispiel hierfür ist das Ortszeichen von Tututepec. Die

mixtekische Bezeichnung für den Ort ist yucu dzaa, welches Hügel des Vogels

heißt. Dzaa ist ein Homonym und bedeutet entweder Vogel oder Kinn. Oft wird an

das Ortszeichen also ein menschliches Gesicht oder Kinn gemalt. Dies dient der

Verdeutlichung, dass es sich eindeutig um den Hügel des Vogels handelt und

nicht etwa um den Hügel des Adlers oder des Geiers (Hill Boone/Mignolo

2000:36).

 

Kurzbeschreibung der Codices

Heute existieren nur noch acht vorspanische mixtekische Codices. Dies sind nicht

die einzigen erhaltenen Dokumente aus der Mixteca. Kolonialzeitliche Codices,

Lienzos und Tiras sind weitere Kategorien von Dokumenten. Dabei handelt es

sich häufig um karthographische Aufzeichnungen, die für die Relaciones

Geográficas1 angefertigt wurden. Häufig dienten diese Dokumente auch als

Rechtfertigungen von Landansprüchen vor Gericht.

                                                                                                               1 Die Relaciones Geográficas von 1577-1586 wurden als Antworten auf eine vom spanischen König in Auftrag gegebene Umfrage angefertigt, als eine Art Bestandsaufnahme von Neuspanien.

Abb. 6: Das Ortszeichen von Tututepec oder yucu dzaa. Das menschliche Gesicht verdeutlicht, dass es sich um das Wort Vogel handelt. Aus: Bodley, S. 9, Bd. III.  

Abb. 7: Das Ortszeichen von Tututepec oder yucu dzaa. Unter dem Schnabel ist ein menschliches Kinn zu erkennen. Aus: Nuttall, S. 55.

 

2. Die Mixteca  

26

Zu den Merkmalen der Codices gehören die Verarbeitung aus Leder oder

Baumbast als Grundlage, einer Stuckschicht, auf die Farbe aufgetragen wurde,

und die Form einer langen, schmalen Seite, die leporelloartig gefaltet wurde und

zwischen zwei Holzplatten lagerte, die wiederum oft mit Fell bezogen waren.

Zu der Gruppe der mixtekischen Codices, gehören:

1. Codex Zouche-Nuttall, befindlich im British Museum in London. 1330 wird

für diesen Codex als Herstellungsjahr geschätzt. Der Name ergibt sich aus

dem ehemaligen Besitzer, einem britischen Sammler namens Baron

Zouche und der ersten Erfoscherin, Zelia Nuttall. Sie fertige 1902 ein

Faksimile des Codex an. Er ist schwer zu lesen, da die Erzählung in viele

Teile aufgebrochen wurde, die nicht zusammenhängend dargestellt sind.

Der Codex kommt ursprünglich aus chiyo canu (Teozacoalco) und enthält

verschiedene Herrschergenealogien. Ein großer Teil widmet sich Herrn 8

Hirsch Jaguarkralle, einem Helden aus ñuu tnoo (Tilantongo)

(Jansen/Pérez 2005:14).

2. Codex Egerton befindet sich ebenfalls im British Museum in London. Seine

Entstehungszeit wird auf 1450-1550 geschätzt. Der Name leitet sich

ebenfalls von dem Sammler ab, in dessen Besitz sich das Dokument

befand. Sánchez Solís oder Waecker Götter sind weitere Namen, unter

denen der Codex in der frühen Erforschung bekannt war (König 1979:5).

3. Codex Bodley befindet sich heute in der Bodleian Library in Oxford. Seine

Entstehungszeit wird auf ca. 1520 geschätzt. Der Name leitet sich von

seinem Aufenthaltsort ab. Die Frontseite des Codices beschäftigt sich mit

der Genealogie der Herrscher aus ñuu tnoo (Tilantongo). Die Aufzählung

beginnt im frühen 10. Jh. und endet mit dem letzten präkolonialen

Herrscher. Die Rückseite zeigt die Dynastiegeschichte des Ortes ndisi nuu

(Tlaxiaco). Der Codex weist große stilistische Ähnlichkeit zu Codex Selden

auf, welcher die Herrschaftsgeschichte von añute (Jaltepec), einem

Nachbarort von ñuu tnoo, behandelt. Deswegen ist anzunehmen, dass

Codex Bodely in ñuu tnoo angefertigt wurde (Jansen/Pérez 2005:30).

4. Codex Selden befindet sich ebenfalls in der Bodleian Library in Oxford.

Seine Entstehungszeit wird auf ca. 1550 geschätzt. Der Name leitet sich

wieder von dem Sammler ab, aus dessen Besitz er an die Bibliothek

gekommen ist. Ursprünglich stammt das Dokument aus añute (Jaltepec)

2. Die Mixteca  

27

und beschäftigt sich mit der dortigen Herrscherdynastie (Jansen/Pérez

2005:14).

5. Codex Vindobonensis oder Wien, befindet sich in der National Bibliothek in

Wien, woher er auch seinen gebräuchlichen Namen hat. Seine

Entstehungszeit wird auf ca. 1350 geschätzt. Sein Inhalt besteht aus zwei

großen Teilen. Auf der Frontseite wird gezeigt, wie die Gründer einiger

mixtekischer Dynastien aus einem riesigen Mutterbaum in yuta tnoho

(Apoala) geboren werden. Die Rückseite beschäftigt sich mit der Dynastie

von ñuu tnoo (Tilantongo) (Jansen/Pérez 2005:14).

6. Codex Colombino befindet sich im Museo Nacional de Antropologia in

Mexiko und entstand schätzungsweise im 13. Jh. Codex Colombino und

Becker I sind wahrscheinlich zwei Teile des gleichen Manuskriptes. Der

Inhalt dieses Codices beschäftigt sich mit Herrn 8 Hirsch Jaguarkralle,

einem Herrscher aus ñuu tnoo (Tilantongo) (Jansen/Pérez 2005:14).

7. Codex Becker I befindet sich im Museum für Völkerkunde in Wien. Er ist

nach dem Sammler Phillip Becker benannt, in dessen Besitz er sich

befand. Siehe Codex Colombino.

8. Codex Becker II, welcher sich ebenfalls im Museum für Völkerkunde in

Wien befindet, wird in eine Entstehungszeit von ca. 1450-1550 geschätzt.

Er entstammt der gleichen Sammlung von Phillip Becker. Es wird vermutet,

dass das Fragmento de Nochistlan die Anfangsseite des Codex Becker II

ist.

3. Der Codex Becker II  

28

3. Der Codex Becker II

Die Codices Becker I und Becker II kamen 1897 aus dem Nachlass von Philipp J.

Becker in die Sammlung des heutigen Museums für Völkerkunde Wien. Die etwa

1200 Nummern umfassende Sammlung mexikanischer Altertümer war die letzte

große private Sammlung ihrer Art, die in Europa auf den Markt kam. Sie wurde

von Georg von Haas angekauft und dem Museum geschenkt. Becker hatte die

Sammlung in Mexiko zusammengestellt und nach seiner Rückkehr nach Europa

weiter ergänzt. Bis zu seinem Tod im Jahr 1896 war sie in seinem Privathaus in

Darmstadt zu sehen (Nowotny 1961:1).

Auf der Rückseite des Codex Becker II steht: „Philipp J. Becker,

Darmstadt“ und „Philipp J. Becker“. Des Weiteren liegt dem Dokument ein Zettel

mit der Nummer 8 bei, die sich in einer Liste wiederfindet, in der Becker

persönlich 10 Gegenstände seiner Sammlung beschreibt. Da bei zwei anderen

Objekten der Liste vermerkt ist, dass sie in Mexiko-Stadt erworben wurden, meint

Nowotny, dass es möglich sei, dass auch die beiden Becker-Fragmente dort

eingekauft wurden. Die Liste enthält dann unter der Nummer 8 den Vermerk: „No.

8 Bilderschrift, scheinbar die Genealogie eines Häuptlings. Länge 1,16 m, Breite

0,27 m. Aus einem Dorfe der Umgebung (Huexocingos) Cholula“. Huexocingos ist

durchgestrichen und Cholula ist darübergeschrieben (Nowotny 1961:2).

3.1. Forschungsgeschichte

Nowotny war der Erste, der sowohl Codex Becker I als auch Becker II

untersuchte. Schon 1957 erschien von ihm ein Artikel über den Codex Becker II.

1961 veröffentlichte er dann einen ausführlichen Kommentar zu beiden Codices,

der Faksimiles beider Dokumente begleitete.

1979 erschien von Mary E. Smith ein Artikel, in dem sie die Herkunft des

Manuskripts zu erörtern versucht. In der 1994 von Jansen erschienenen

Publikation zu den beiden Fragmenten, dem Fragmento de Nochistlan und Codex

Becker II, fügte er eine ungefähre zeitliche Einordnung der Dokumente hinzu

(Jansen 1994:197).

3. Der Codex Becker II  

29

3.2. Beschaffenheit

Der Codex besteht aus zwei Wildlederstreifen, die zusammengeklebt wurden und

84 bzw. 34 cm lang sind. Die beiden Stücke greifen 1,5 cm übereinander und

ergeben so eine Gesamtlänge von 115,6 cm. Die Breite des Streifens beträgt

26,5 cm. Das Dokument ist derzeit vierfach gefaltet, war aber zeitweise achtfach

gefaltet, was an den stark abgescheuerten Umbrüchen zu erkennen ist (Nowotny

1961:15).

Da an beiden Enden die Abbildungen abgeschnitten sind, kann man davon

ausgehen, dass ein Anfangs- und ein Endstück fehlen. Das Dokument ist

teilweise schwer beschädigt. Es weist Schädigung durch Wasser und durch

Abrieb der Stuckfläche auf, die als Grundierung für die Farbe dient. Viele der

Beschädigungen wurden laut Nowotny vor Ankunft des Dokumentes 1897 im

Museum für Völkerkunde in Wien von einer unbekannten Person versucht

auszubessern. Die mit Tinte und Farbe angefertigten Ausbesserungen sind, so

Nowotny, nicht sinnvoll. Er verzichtet deshalb bei seiner Umzeichnung auf diese

Ausbesserungen (Nowotny 1957:172).

Zur Bemalung wurden vier Farbstoffe verwendet: Schwarz, Rot, Gelb und

Blau. Grün und Dunkelgrün sind Mischfarben aus Gelb und Blau. Grau ist

verdünntes Schwarz. Grünrosa ist eine vielleicht unbeabsichtigte Mischung aus

Rot und Grau. Die Farbenreihe Gelb, Blau, Rot, Grün erscheint bei den bunten

Zahlenkreisen sowie bei den Haarbinden der Frauen. Die Federn, die Felder unter

den Matten sowie das Tageszeichen Alligator sind hellgrün und dunkelgrün

bemalt (Nowotny 1961:16).

Der Codex Becker II ist mit dem Codex Bodley stilverwandt. Die Art der

Zusammensetzung der Bildteile, bezüglich der Darstellung von Personen,

Haltungen und Kleidung, ähneln sich in beiden Dokumenten (Nowotny 1957:179).

Mary E. Smith sieht Ähnlichkeiten des Codex Becker II nicht nur mit Codex

Bodley, sondern auch mit Codex Selden, und nennt als eines der verbindenden

Elemente die Darstellung der menschlichen Zehen. Diese sind im Profil dargestellt

und bestehen aus einem Kreis am vorderen Ende des Fußes. Diese Darstellung

der Zehe findet sich in allen drei Codices (Smith 1973:16). Der Stil dieser drei

Codices muss in der späten Postklassik ein vorherrschender Codex-Stil gewesen

sein, der sich zumindest in der Mixteca Alta bis Ende des 16. Jh. hielt (Smith

1973:17).

3. Der Codex Becker II  

30

3.3. Herkunft

Die Chronik im Codex Bodley endet nach der Berechnung von Alfonso Caso im

Jahr 1519. Nowotny schätzt die Entstehungszeit des Codex Becker II daher

ebenfalls auf die erste Hälfte des 16. Jh. (Nowotny 1957:179).

Da die ersten Paare des Codex Becker II fehlen, kann man leider nicht

ermitteln, um welchen Ort an dem die Paare ansässig sind, und um welchen

Regierungssitz es sich handelt (Nowotny 1957:180/181).

Mary E. Smith sieht die Herkunft des Codex Becker II in der Mixteca Baja

und begründet dies anhand dreier Argumente: (1) Die Stadt, deren Herrscher im

Codex Becker II dargestellt sind, liegt wahrscheinlich in der Mixteca Baja. (2)

Unter UV-Licht sind auf dem Codex Ortsnamen zu lesen, die sich in der Mixteca

Baja befinden. (3) Drei der Orte im Becker II, welche mit dem Herrscher assoziiert

sind, die in die Hauptlinie einheiraten, können tentativ als Orte in der Mixteca Baja

identifiziert werden (Smith 1979:30). Sie untersuchte den Codex Becker II unter

ultraviolettem Licht und konnte auf der zweiten Seite oben links zwei lange und

eine kurze Zeile in europäischer Schrift erkennen. Ebenfalls auf der vierten Seite

oben rechts sind zwei bis vier Zeilen sehr verblasster Schrift zu erkennen (Smith

1979:35). Die Inschriften auf Seite zwei könnte auf die Orte Huajuapan de León,

Zahuatlán oder Calihualá und Yucunaa hinweisen, die auf Seite vier auf das Jahr

1582 (Smith 1979:37). Da dies die einzigen Stellen waren, die für Smith entfernt

lesbar waren, stehen sie in keinem inhaltlichen Zusammenhang und müssen

absolut isoliert voneinander betrachtet werden. Die von Smith versuchte

Identifizierung der Eingangsglyphe im Fragmento de Nochistlan als Sanos Reyes

Yucuna würde sich auf den Codex Becker II übertragen, weil sie beide Fragmente

als Teile eines Dokumentes ansieht. Unterstützend kommt für sie hinzu, dass

einige Ortszeichen mit Orten in der Mixteca Baja gleichzusetzen sein könnten

(Smith 1979:41). Jansen folgt Smith in der Lesung der Glossen nur bis zur

Nennung von Huajuapan und der Jahresangabe 158(2). Er möchte ihren weiteren

Folgerungen nicht nachgehen, da die Inschriften sehr beschädigt sind (Jansen

1994:196).

3. Der Codex Becker II  

31

3.4. Zeitliche Einordnung

Jansen versucht sich 1994 an einer zeitlichen Einordnung des Becker II. Herr 3

Affe aus Ebene des Adlers/Tecomaxtlahuaca, welcher auf Seite 3 oben

vorkommt, kann im Códice de Tecomaxtlauaca als Ozomatzin wiedergefunden

werden, der fünfte Herrscher der dortigen Dynastie (Jansen 1994:196f.). Diese

Verbindung erlaubt eine ungefähre Eingliederung in die Chronologie. Im Códice

de Tecomaxtlauaca steht, dass der Nachfolger von 3 Affe antrat, als Don

Hernando Cortés in Neuspanien ankam. Dies würde dem Jahr 1519 entsprechen.

Im Codex Becker II heiratet 3 Affe die Tochter des vierten Paares vor dem Ende

des Dokuments. Das letzte Paar müsste also ca. in der Mitte des 16. Jh. gelebt

haben und somit bringt uns der Codex in die koloniale Epoche (Jansen 1994:197).

Herr 3 Affe heiratet auf Seite 4 im Codex Becker II eine Dame aus

Tecomaxtlhauca. Diese ausgeprägte Verbindung zu einem Ort in der Mixteca

Baja legt nahe, dass die beiden Fragmente ebenfalls aus der Mixteca Baja

stammen (Jansen 1994:197).

3.5. Inhalt

Der Codex Becker II ist durch eine durchgehende Trennlinie ungefähr in der Mitte

der Länge nach geteilt. So entstehen eine obere und eine untere Ebene. In der

unteren Partie sieht man neun Paare, die sich jeweils gegenübersitzen. Der Mann

ist immer auf der linken Seite und die Frau immer auf der rechten Seite platziert.

Der Rest eines zehnten Paares am Anfang ist zu erahnen. In der oberen Partie

sitzen sechs Paare, die wahrscheinlich die Töchter der unteren Paare und deren

Ehepartner sind (Nowotny 1957:177). Nowotny nimmt an, dass die Herkunft der

Frauen unten durch Ortszeichen angegeben ist, durch die sie mit Fußspuren

verbunden sind. Dies zeigt den Ort ihrer Geburt und, dass sie von dort zum

Wohnort ihres Mannes gezogen sind. Von den unteren Paaren führt dann

wiederum eine Linie mit Fußspuren nach oben zu den Töchtern, die nach der

Heirat im Wohnort ihres Mannes sitzen. Während die unteren Paare auf Matten

sitzen, sitzen die Oberen meist direkt auf den Ortszeichen. Die Sitzgelegenheiten

der Personen sind verschieden. Vielleicht sind hiermit verschiedene

Rangpositionen dargestellt (Nowotny 1961:21).

3. Der Codex Becker II  

32

Der untere Teil ist farbig, der Obere lediglich in schwarzen Umrissen ohne farbige

Füllung gemalt. Die unteren Darstellungen sind größer als die Oberen. Die

Tatsache, dass Linien zu und von dem unteren Teil wegführen spricht ebenfalls

dafür, dass es sich hier um den wichtigeren Teil des Codex handelt. Die unten

dargestellten Personen stellen also wahrscheinlich die Regierenden dar.

Entweder handelt es sich dabei um eine Genealogie, bei der Sohn auf Vater folgt,

oder es handelt sich um gleichzeitig lebende Paare. Dabei läge dann

möglicherweise eine Dokumentation der Adelsklasse mit genealogischen

Anmerkungen vor (Nowotny 1957:179).

Bei allen Paaren ist die Haltung der Hände gleich. Eine Hand ist nach

vorne gestreckt und weist auf die gegenübersitzende Person. Die

gegenübersitzende Person weist ebenso zurück. Alle Personen sitzen auf

Hockern, die sich teilweise unterscheiden. Im Sitzen haben die Personen die

Füße vor dem Hocker aufgestellt. Ihre Arme haben sie auf den Knien abgestützt.

Die Kleidung und der Schmuck sind

ebenfalls bei allen Personen gleich.

Die Männer tragen ein um die Knie

gelegtes Tuch und eine rückwärtige

Bedeckung. Es gibt bei den Männern

allerdings eine Ausnahme: Herr Fünf

Regen Jaguarsonne von Paar

Nummer sechs (nach Nowotny das

Paar G). Er trägt die gleiche

Kleidung, wie alle Frauen des

Codices: einen Umhang, der den

Rücken bedeckt, und eine

Beinbedeckung, die bis zu den

Knöcheln reicht, vermutlich ein Rock.

Alle Personen tragen Ketten und

Ohrringe. Alle Frauen tragen die

traditionelle mixtekische Frisur, mit

Bändern versehen und hochgesteckt

(Nowotny 1957:179).

Abb. 8: Herr 5 Regen Jaguarsonne in Frauentracht. Aus: Nowotny, 1975.  

3. Der Codex Becker II  

33

Das erste Paar auf der unteren Ebene

sitzt auf Hockern, die in der Mitte eine

Aussparung haben. Die Aussparung

sieht aus wie ein umgedrehtes T. Der

Mann hat als Kalendernamen 1 Haus.

Sein Zusatzname ist ein

schildkrötenartiges Wesen. Nowotny

sieht darin eine Feuerschlangen-

darstellung. Die gegenübersitzende

Frau hat nach Nowotny den Beinamen

Türkisblume, bezugnehmend auf die

Blume, die aus Juwelen oberhalb der

Frau sprießt. In Nowotnys Umzeichnung

scheint der Kalendername

Feuersteinmesser zu sein. Er macht

hierzu aber keine Angaben. Vom

Rücken der Frau führt eine Linie, an der Fußspuren laufen, auf die obere Seite

des Blattes. Hier sind noch Reste eines Ortsfundaments zu sehen. Der Teil ist

allerdings schwer beschädigt (Nowotny 1957:178).

 

Das zweite Paar sitzt auf mit

Jaguarfell bezogenen Hockern. Der

Mann des zweiten Paares fällt in die

Kategorie der Abbildungen, die vor

der Ankunft im Wiener Museum

rekonstruiert wurden und die

Nowotny bei seiner Umzeichnung

weglässt. Bei ihm sind lediglich der

Rumpf des Mannes und Details des

Beinamens zu erkennen. Die Frau

trägt den Kalendernamen 7 Gras

und den Beinamen Türkispapagei,

zu sehen anhand eines mit Juwelen

besetzten Papageis. Die Linie mit

den Fußabdrücken führt vor der Frau

Abb. 9: Das erste Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975.

Abb. 10: Das zweite Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975.

3. Der Codex Becker II  

34

zur oberen Ebene. Dort ist ein Ortsfundament zu sehen und das Detail eines

Kalendernamens: Haus. Dieser Ort scheint also der Herkunftsort der Frau zu sein,

da es auf der rechten Seite zu sehen ist. Rechts neben der Frau führt eine Linie

mit Fußstapfen von einem Ortszeichen zu ihr. Das Ortszeichen besteht aus einem

Fundament mit fünf eiförmigen Kugeln darüber. Nowotny nennt den Ort

Bohnenmauer und beschreibt damit den Herkunftsort der Frau (Nowotny

1957:178). Der Ort der Bohnen wurde schon eingehend von Mary E. Smith

untersucht. Leider konnte keine eindeutige Identifikation erfolgen, da es mehrere

Orte gibt, die das Element Bohnen enthalten (Smith 1988:701).  

Das dritte Paar sitzt ebenfalls auf

Jaguarfellhockern. Der Mann trägt den

Namen 4 Bewegung Himmelsfeuer. Der

Beiname ergibt sich aus einem kleinen

Himmelsband, aus dem Flammen nach

unten flackern. Der Kalendername der

Frau lässt sich nicht mehr genau

erkennen. Nowotny vermutet, dass es

sich um 13 Tod handelt, ist aber nicht

sicher. Als Beiname hat die Frau eine

Sonnenscheibe, aus der Quetzalfedern

sprießen. Nowotny gibt ihr deshalb den

Namen Quetzalsonne. Bei ihr ist lediglich der Herkunftsort angegeben, aber keine

Fußspuren-Linie führt von ihr weg, was darauf schließen lässt, dass es hier keine

Tochter gab, die in einen anderen Ort verheiratet wurde. Den Herkunftsort der

Dame nennt Nowotny Weg-Mauer-Berg. Die Darstellung besteht aus einem

Fundament mit einer Bergdarstellung darauf. Unter dem Fundament verläuft eine

Bordüre mit dem typischen Kriegspfadmuster (Nowotny 1957:178).

Abb. 11: Das dritte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975.

 

3. Der Codex Becker II  

35

Das vierte Paar sitzt auf ungekennzeichneten Hockern. Der Mann trägt den

Namen 3 Tod Himmelsjaguar. Ein Jaguar kommt kopfüber aus einem

Himmelsband. Die Frau trägt den Namen (Anzahl unbekannt) Adler,

Quetzalsonne. Rechts neben der Frau deutet wieder eine Fußspuren-Linie den

Herkunftsort an. Das Ortszeichen besteht aus einem Netz aus Tauen, welches

sich im Rund um ein Gebiss legt. Nowotny nennt diesen Ort Netzzahnreihe.

Jansen nennt es „Lugar de la Red“1 (Jansen 1994:209). Zwischen Mann und Frau

verläuft eine weitere Fußspuren-

Linie zu der oberen Ebene. Hier sitzt

ein weiteres Paar auf einem

Ortsfundament. Der Ort ist dadurch

gekennzeichnet, dass rechts

daneben ein bestimmendes Detail

gezeigt wird. Nowotny bestimmt es

als eine Schote und nennt den Ort:

Schoten-Mauer. Als Namen des

oberen Paares sind lediglich die

Kalendernamen angegeben. Der

Mann heißt 2 Haus und der Name

der Frau ist sehr schwer zu

erkennen. Nowotny vermutet den

Namen auf 13 Hund (Nowotny

1957:178). Jansen erkennt den

Namen 13 Geier (Jansen 1994:209).

Das fünfte Paar sitzt erneut auf ungekennzeichneten Hockern. Der Mann trägt

den Namen 3 Hund Ballspielplatzadler. Nowotny ist sich bei der Zahl des

Kalendernamens nicht sicher. Der Beiname besteht aus einem stilisierten

Ballspielplatz, auf dem ein Adler sitzt. Die Frau trägt den Namen 1 Hund

Türkisfeder. Auch bei dieser Zahl des Kalendernamens ist Nowotny unsicher. Der

Beiname ergibt sich auf einem Schmuckstück mit Edelsteinen aus dem eine Art

Fächer aus grünen Federn steckt. Rechts von der Frau führt wieder eine

Fußspuren-Linie von einem Ortszeichen zu ihr. Nowotny nennt den Ort

Tempelpyramide-Berg. Unten befindet sich erneut ein Kriegspfadband. Darauf

                                                                                                               1 Übersetzt: Ort des Fischernetzes.

Abb. 12: Das vierte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975.  

3. Der Codex Becker II  

36

steht ein trapezförmiges Fundament mit Schnörkeln. Auf dem Fundament befindet

sich ein rechteckiger Kasten mit drei Kreisen (Nowotny 1957:178).

Das sechste Paar besteht aus dem

oben erwähnten 5 Regen

Jaguarsonne, der als einziger Mann

eine Frauentracht trägt. Der Beiname

ergibt sich aus einer halben

Sonnenscheibe, aus der nach oben

heraus ein halber Jaguar austritt. Die

Abbildung der Frau, die ihm

gegenüber sitzt, ist stark zerstört. Von

ihrem Kalendernamen ist ein

Affenkopf erkenntlich. Den Beinamen

kann man in einem mit Juwelen

besetzten Pfeil erkennen. Nowotny

leitet hieraus den Namen Türkispfeil

ab. Als Herkunftsort, rechts neben der

Frau dargestellt, erkennt Nowotny den Ort Tilantongo. Dargestellt wird er durch

ein schwarz-weiß gemustertes Fundament. Aus der Mitte dieses Paares

entspringen zwei Fußspuren-Linien, die nach oben führen. Sie spalten sich und

enden auf der oberen Ebene bei zwei Paaren. Offensichtlich hatte das untere

Paar also zwei Töchter, die in andere Orte verheiratet wurden. Das erste Paar

sitzt auf kleinen ungekennzeichneten Hockern direkt auf der Trennlinie. Links

neben dem Mann ist der Name des Ortes angegeben, den Nowotny als den

Herkunftsort der Dame von Paar 3 wiederzuerkennen glaubt. Die

Zusammensetzung des Ortszeichens ist allerdings anders. Bei dieser Abbildung

ist unten das Fundament, auf dem dann der Kriegspfadstreifen liegt. Der Berg ist

nur zu erahnen. Nowotny meint, beim Kalendernamen des Mannes könnte es sich

um Hund handeln. Der Kalendername der Frau ist 8 Feuersteinmesser. Bei

beiden Personen ist kein Beiname abgebildet. Das zweite Paar auf der oberen

Ebene sitzt auf einem Fundament, welches aus abgerundeten Elementen zu

bestehen schein. Drei mal drei dieser länglichen Elemente bilden die Sitzfläche.

Nowotny nennt diese Fläche Federfeld. Die Personen sitzen zudem auf nicht

gekennzeichneten Hockern. Neben dem Federfeld ist wieder eine genauere

Abb. 13: Das fünfte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975.  

3. Der Codex Becker II  

37

Kennzeichnung des Ortsnamens, die aus einem Adlerkopf besteht. Als Name

schlägt Nowotny aus diesem Grund Adler-Federfeld vor. Wieder sind für das Paar

nur die Kalendernamen

angegeben, der Mann heißt 3

Affe und die Frau 12 Adler

(Nowotny 1957:178). Hier

setzt die Arbeit von Smith an,

die den Ort als Ebene des

Adlers, Tecomaxtlahuaca,

yodzo yaha in mixtekisch

(yodzo = Ebene, yaha =

Adler), identifiziert. Yodzo ist

ein Homonym und bedeutet

in unterschiedlicher Tonlage

einmal Feder und einmal

Ebene. Tecomaxtlahuaca ist

ein Ort in der Mixteca Baja

(Smith 1979:39).

Das siebte Paar auf der

unteren Ebene sitzt erneut

auf nicht gekennzeichneten

Hockern. Die beiden Bei-

und Kalendernamen sind

deutlich erkennbar. Der

Mann heißt 11 Feuer-

steinmesser Quetzaladler.

Der Beiname ergibt sich

aus der Darstellung eines

Adlers, aus dessen

Gefieder Quetzalfedern

sprießen. Die Frau heißt 13

Rohr Blumengirlande, da

über ihrem Kopf eine

Girlande aus in sich

Abb. 15: Das siebte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975.

 

Abb. 14: Das sechste Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975.  

3. Der Codex Becker II  

38

verdrehten Blütenranken zu sehen ist. Der Herkunftsort der Frau wird rechts

neben ihr gezeigt. Es handelt sich um ein Fundament mit Schnörkeln. Darauf

befindet sich nach Nowotnys Beschreibung eine Reihe Rosetten. Oben auf dem

Fundament steht ein Gebiss, das eine Rosette zwischen den Zähnen hält. Smith

versucht sich hier an einer Identifizierung des Ortszeichens. Sie erklärt, dass der

Kiefer für das locative Suffix a- steht und die vierblättrige Blüte für yuhu.

Zusammengesetzt also ayuhu. Dies weist auf den Ort Santa María de Ayú in der

Mixteca Baja hin, nahe Huajuapan de León. (Smith 1979:41). Die Blüte, die im

Kiefer steckt, ist allerdings nicht vierblättrig. Im Fries des Fundamentes kann man

hingegen vierblättrige Blüten erkennen.

Zwischen den Eheleuten schlängelt sich eine Fußspurenlinie empor zur

oberen Ebene. Dort führt sie zu einem Paar, dessen Mann 2 Kaninchen und

dessen Frau 7 Haus heißt.2 Wieder sind nur die Kalendernamen angegeben. Die

beiden sitzen erneut auf einem Federfeld, auf dessen rechter Seite ein A-O-

Jahreszeichen anschließt. Nowotny fügt die beiden Bestandteile zum Namen

Jahr-Federfeld zusammen (Nowotny 1957:178). Smith gelingt es, diesen Ort als

Juxtlahuaca, ebenfalls in der Mixteca Baja, zu identifizieren. Der mixtekische

Name von Juxtlahuaca ist

yodzo cuiya (yodzo = Ebene,

cuiya = Jahr) (Smith 1979:41).

Das achte Paar sitzt ebenfalls

auf nicht gekennzeichneten

Hockern. Auch hier sind die

jeweiligen Kalender- und

Beinamen gut erkennbar. Der

Name des Mannes ist 6

Kaninchen Himmelsadler. Der

Beiname ergibt sich aus einem

Himmelsstreifen, aus dem ein

Adlerkopf nach unten guckt.

Die Frau trägt den Namen 10

Wind Sonne-Spinnennetz. Das

dazugehörige Zeichen dafür ist eine halbe Sonnenscheibe, die mit einem halben

                                                                                                               2 Jansen erkennt Frau 8 Haus aus der Abbildung (Jansen 1994:212).

Abb. 16: Das achte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975.  

3. Der Codex Becker II  

39

Spinnennetz zusammengesetzt einen Kreis ergibt. Ihr Herkunftsort ist rechts

neben ihr dargestellt und besteht aus einem Federfeld, auf dem ein Gebiss liegt.

Nowotny tauft diesen Ort Federfeld-Zahnreihe (Nowotny 1957:179).

Die Abbildung des neunten Paares ist im unteren Teil stark zerstört. Dennoch

kann man die Namen ausmachen. Bei dem Mann handelt es sich um Herrn 3

Wind Jaguarkopf und bei der Frau handelt es sich um Frau 11 Alligator Xolotl-

Blume. Der Beiname des Mannes ergibt sich aus einem menschlichen Kopf, auf

dem sich ein Jaguarkopf befindet. Der Beiname der Frau wird durch eine Blume

mit drei Blüten dargestellt, aus der ein Ñuhu (Gottwesen) entsteigt. Der

Herkunftsort, rechts neben der Frau, ist kaum sichtbar. Erkennbar ist aber, dass

es sich wiederum um ein

Federfeld handelt, auf dem ein

Adlerkopf liegt. Nowotny

vermutet, dass es sich bei

diesem Ort um denselben

handelt, in den Frau 12 Adler,

Tochter von Paar sechs,

verheiratet wurde (Nowotny

1957:179). Jansen schließt

sich dieser Ansicht an und

sieht in dem Ort ebenfalls

erneut Tecomaxtlahuaca

(Jansen 1994:212).

3.6. Zusammenfassung

Das Codex-Fragment Becker II, welches aus der Sammlung von Phillip Becker

entstammt, ist bis heute keinem Ort eindeutig zuzuordnen. Es werden Orte

genannt, Juxtlahuaca, Tecomaxtlahuaca sowie evtl. Santa María de Ayú, welche

alle in der Mixteca Baja liegen. Tilantongo ist ein weiterer Ort, der eindeutig

identifiziert wurde, der allerdings in der Mixteca Alta liegt. Da Tecomaxtlahuaca

sogar zweimal vorkommt, wird angenommen, dass es zwischen dem

Ursprungsort von Becker II und Tecomaxtlahuaca intensive, politische

Abb. 17: Das neunte Paar im Codex Becker II. Aus:

Nowotny, 1975.

 

3. Der Codex Becker II  

40

Beziehungen gab. Es konnte nachvollzogen werden, dass das letzte Paar des

Dokumentes wahrscheinlich Mitte des 16. Jh. und somit in der Kolonialzeit lebte.

Bei diesem Dokument handelt es sich um eine Genealogie, die

höchstwahrscheinlich die herrschaftliche Abstammungslinie eines bestimmten

Ortes zeigt. Welcher das ist, kann man nicht sagen, da der Anfang und das Ende

des Dokumentes fehlen. Becker II ist lediglich ein Mittelteil. Die Handschrift ist

längsseits zweigeteilt. In der unteren Hälfte befindet sich die Hauptlinie. Auf ein

Paar folgt wahrscheinlich der Sohn des Paares mit seiner Ehefrau. Der

Abstammungsort der Ehefrauen ist manchmal angegeben. Von diesen Paaren

führen oft Fußspuren auf die obere Hälfte. Hier sind die Töchter der unteren

Paare gezeigt, mit Ehemännern in den Orten, zu denen sie verheiratet wurden.

Nowotnys Annahme, dass sich auf der unteren Hälfte die Hauptlinie befindet, lässt

sich an dieser Darstellungsweise und auch aufgrund der Tatsache, dass die

oberen Paare kleiner und nur in Linien ohne Farbe gemalt wurden,

nachvollziehen.

4. Das Fragmento de Nochistlan  

41

4. Das Fragmento de Nochistlan

4.1. Zusammengehörigkeit des Fragmento de Nochistlan und des Codex

Becker II

„[...] he was the first to note that the Codex Becker II in Vienna and the fragment

in Hamburg are sections of the same codex, much as Eduard Seler (1893) first

noted that the codices Colombino and Becker I are sections of the same

manuscript“ (Smith 1979:29). So leitet Mary Smith ihren Artikel über die

Fragmente Becker II/Fragmento de Nochistlan ein. Smith orientiert sich dabei an

Nowotnys Publikation des Fragmentos, in der er vermutet, dass das Fragmento

de Nochistlan der Anfang des Codex Becker II sei. Dabei führte schon John B.

Glass das Fragment als zusätzliches Fragment des Codex Becker II in einem

Zensus ethnohistorischer Quellen an, der 1975 im „Handbook of Middle American

Indians, Bd 14“ veröffentlich wurde (Cline 1975:96). Nowotny selbst stand eine

vorläufige Schrift davon aus dem Jahre 1965 zur Verfügung. Er verweist selbst

darauf, dass schon darin das Fragment als Teil von Codex Becker II angesehen

wurde (Nowotny 1975:5). Somit war Nowotny mitnichten der Erste, der diesen

Gedanken hatte, aber der Erste, der ihn verfolgte.

Nowotnys Aussage nach könnte man das Fragmento direkt an die erste

Seite des Codex Becker II anlegen. Lediglich ein schmales Verbindungsstück von

wenigen Zentimetern würde fehlen. Der Herr rechts unten auf dem Fragmento

würde dann einer Dame links unten auf Seite 1 des Becker II gegenübersitzen,

von der lediglich Reste zu erkennen sind. Ein weiteres starkes Argument für eine

Zusammengehörigkeit ist für Nowotny die große Ähnlichkeit des Malstils. Hinzu

kommt die annähernd gleiche Höhe beider Dokumente (Fragmento de Nochistlan:

27 cm, Codex Becker II: 26,5 cm), deren geringer Unterschied durch ein

Abschneiden des Randes erklärt werden könnte. Die rote Trennlinie verläuft auf

beiden Dokumenten auf der Höhe von 13,5 cm vom unteren Rand gemessen. Die

Farben beider Fragmente sind ungefähr die gleichen, allerdings ist das Fragmento

sehr nachgedunkelt, während der Codex Becker II noch einen gut erhaltenen

weißen Untergrund hat (Nowotny 1975:5).

Nowotny setzt sich aber auch mit den Argumenten gegen eine

Zusammengehörigkeit auseinander. So könne die Ähnlichkeit des Stils auf eine

gemeinsame Malerschule mit einheitlich verwendeten Formaten zurückgeführt

4. Das Fragmento de Nochistlan  

42

werden. Demnach wäre es durchaus möglich, dass zwei inhaltlich verschiedene

Dokumente aus einer Malerschule stammen und deswegen große Ähnlichkeiten

aufweisen. Ein weiteres Argument gegen die Zusammengehörigkeit ist die

Tatsache, dass im Codex Becker II die obere Ebene nur in schwarzen Linien

umrissen ist, wohingegen die des Fragmentos farbig ausgemalt ist. So ist im

Codex Becker II mit den Fußspuren die Verbindung der dargestellten Paare

angegeben. Im Fragmento geschieht dies nicht. Hier sind des Weiteren bei vielen

Personen Augenbrauen gezeichnet, im Codex Becker II gibt es sie nicht. Dies

kann durch eine spätere Abschrift erklärt werden, bei der Augenbrauen

hinzugefügt wurden (Nowotny 1975:9). Nowotny stellt also lediglich eine

Vermutung über die Zusammengehörigkeit an, welche er dann diskutiert, um sie

am Ende offen stehen zu lassen.

Smith stimmt der Zusammengehörigkeit zu, zweifelt Nowotny allerdings an

der Stelle an, wo er meint, die einzelnen Teile wären direkt aneinanderzulegen.

Smith hält es für möglich, dass noch weitere Teile zwischen den beiden

Fragmenten liegen könnten. Als Grund dafür sieht sie den verschiedenen Aufbau

der Teile: Becker II hat offensichtlich unten die narrative Hauptlinie und oben

lediglich unterstützende Informationen. Beim Fragmento allerdings scheinen das

obere und untere Register vom Inhalt gleichgewichtig zu sein (Smith 1979: 34).

Jansen stimmt Smith hier zu. Technisch wäre es, seiner Meinung nach,

durchaus möglich, dass sich Becker II direkt an das Fragmento anschließt,

allerdings läge dann ein sehr plötzlicher Umbruch in der Erzählung vor, was dies

unwahrscheinlich macht. Es ist wahrscheinlicher, dass mehrere Seiten

dazwischen lagen, die einen Übergang von zwei auf eine Linie erklären (Jansen

1994:195).

4.2. Beschaffenheit und Herkunftsgeschichte

Das Fragmento besteht nach Ansicht von Karl A. Nowotny aus einem Stück

Hirschleder von 27 cm Länge und 52 cm Breite. Auf der Unterlage wurde als

Grundierung eine Schicht Gips aufgetragen, auf der gemalt wurde. Das Fragment

ist einseitig bemalt und die Bemalung weist große Beschädigungen auf. Nowotny

vermutet, dass das Fragmento an der rechten Kante beschnitten wurde, da die

Figuren dort sehr eng am Rand liegen. Sicher ist, dass das Fragment dort

4. Das Fragmento de Nochistlan  

43

unterbrochen ist, da der untere Herr von seiner ihm gegenübersitzenden Frau

abgeschnitten ist. Es ist mit Sicherheit zu sagen, dass am rechten Ende des

Fragmentos ein weiterer Teil angeschlossen war, der jetzt fehlt (Nowotny 1975:5).

Die beiden Restauratorinnen des Museums für Völkerkunde Hamburg,

Gertrude Blasum und Wiebke Hattendorf, konnten bei genauer Betrachtung der

Fasern feststellen, dass es sich um ein papierartiges Material handelt, welches

die Grundierung trägt. Dies steht im Gegensatz zu Nowotnys Aussage.

Die Herkunft des Fragmentos wirft einige Rätsel auf. Smith gibt in ihrem

Artikel an, dass das Fragment ca. 1928 von einem deutschen Händler in

Nochistlan erworben wurde, und bezieht sich dabei auf Nowotnys

Veröffentlichung des Fragmentos (Smith 1979:30). Allerdings ist unter ihrer

Literaturangabe diese Information bei Nowotny nicht zu finden. Dort steht: „Der

Vorbesitzer gab an, dass er dieses Stück vor Jahren von einem Indianer in

Nochistlan im westlichen Oaxaca erworben hat (Nowotny 1975:5).“ Woher hat

Smith die Jahreszahl 1928? Der Datenbankauszug des Museums für Völkerkunde

benennt jenen Käufer zwar als Herrn Hans Heine aus Wedel/Holstein, allerdings

ist hier auch nur das Jahr eingetragen, in dem das Fragment ins Museum kam:

1963. Das Jahr des Kaufes in Nochistlan ist nicht angegeben. Es ist anzunehmen,

dass Smith diese Information im persönlichen Gespräch von Nowotny erhalten

hat. Da die Literaturangabe von Smith inkorrekt ist, kann der Fluss der Information

nicht nachvollzogen werden und sie wird unverwendbar.

Das Fragmento wurde in der Kolonialzeit angefertigt. Aufgrund der

Stilverwandtschaft mit dem Codex Becker II, Codex Bodley und Codex Selden

kann man die Herstellung des Fragmentos auf das späte 16. Jh. schätzen (Smith

1973:17). Die Glossen in der Tinte der Zeichnungen zeigen zudem, dass der

Maler der Lateinschrift kundig war (Nowotny 1975:9). Nowotny führt an, dass es

sich um eine direkte Abschrift eines älteren Dokumentes handeln könnte oder um

eine Aufzeichnung aus dem Gedächtnis als eine Erinnerung an ein solches

Dokument (Nowotny 1975:5).

4.3. Forschungsgeschichte

Das Fragmento de Nochistlan wurde zum ersten Mal im 14. Band des „Handbook

of Middle American Indians“ (im Folgenden Handbook genannt) erwähnt. Es

4. Das Fragmento de Nochistlan  

44

wurde von einem damaligen Mitarbeiter des Museums für Völkerkunde Hamburg

und Maya-Experten Dr. Günter Zimmermann kommuniziert, der den

Herausgebern des Handbook eine Fotografie für die Veröffentlichung zur

Verfügung stellte. Das Handbook wurde 1975 veröffentlicht. Schon dort wurde es

als zusätzliches Fragment des Codex Becker II aufgeführt, zur Literatur über das

Dokument wurden aber keine Angaben gemacht (Cline 1975:96).

Kurz danach, ebenfalls im Jahr 1975, veröffentlichte Karl Anton Nowotny

seine Abhandlung über das Fragmento „El Fragmento de Nochistlan“ mit einer

farbigen Fotografie von mäßiger Qualität und einer Umzeichnung des Codex

Becker II. Er diskutierte die Zusammengehörigkeit beider Dokumente und

beschrieb die Darstellungen des Fragmentos auf insgesamt 13 Seiten. 1977

erschien der erste Band von Alfonso Casos zweibändigem Werk „Reyes y Reinos

de la Mixteca“. Caso ging ebenfalls auf das Fragmento als Anfang des Codex

Becker II ein, diskutierte diesen Umstand allerdings nicht weiter. Interessant ist,

dass er sich auf Herrn Zimmermann bezog und ihm die Entdeckung des

sogenannten „Fragmento de Yanhuitlan“ zuschrieb. Eine Literaturangabe ist

allerdings nicht beigefügt (Caso 1977:68). An anderer Stelle benannte er das

gleiche Dokument dann allerdings „Fragmento de Nochiztlan“ (Caso 1977:127).

Caso ist 1970 gestorben und muss somit die Information lange vor

Veröffentlichung des Buches gehabt haben. War der Titel „Fragmento de

Yanhuitlan“ nur ein vorläufiger, da Zimmermann für das Handbook (1975

veröffentlicht) schon „Fragmento de Nochistlan“ als Titel für das Dokument

vorschlug? Oder hat Caso sich bei dieser Äußerung geirrt? Es gibt keinen

weiteren Hinweis, dass das Fragment jemals mit Yanhuitlan in Verbindung

gebracht wurde.

Im zweiten Band der Reihe „Reyes y Reinos de la Mixteca: Diccionario

Biográfico de los Señores Mixtecos“, der 1979 erschien, nahm Caso die Herren 8

Wind und 3 Blume mit in sein Verzeichnis auf. Darin führte er die Quelle als

„Fragmento de Nochixtllán“ auf (Caso 1979:59/436).

1979 nahm Mary Elizabeth Smith die Arbeit Nowotnys wieder auf und

schrieb zu Ehren des 1978 verstorbenen Nowotny einen Artikel über beide

Fragmente: „Codex Becker II: A Manuscript From the Mixteca Baja?“. Sie widmete

sich darin vor allem der Bestimmung des Ursprungsortes der Dokumente, davon

ausgehend, dass das Fragmento und der Codex Becker II zusammengehören.

4. Das Fragmento de Nochistlan  

45

Sie untersuchte eingehend die Glossen in den Ortszeichen im Fragmento de

Nochistlan sowie Inschriften, die sie unter UV-Licht auf dem Codex Becker II fand.

Maarten Jansen war der Nächste, der den Faden erneut aufnahm. Zusammen mit

Ferdinand Anders und Luis Reyes García veröffentlichte er eine Reihe von

Codices als Faksimiles mit ausführlichen Kommentarbänden, unter anderem auch

ein Band, der sich mit den Codices Egerton und Becker II beschäftigte: „La Gran

Familia des Los Reyes Mixtecos. Libro explicativo de los códices llamados

Egerton y Becker II.“ Darin ging er auch auf das Fragmento de Nochistlan ein und

schlug als neuen Namen für das Dokument „El libro de la dinastía de Lugar

Oscuro“ vor – „Das Buch der Dynastie des dunklen Ortes“. In diesem Band

befindet sich eine schwarz-weisse Abbildung des Fragmentos (Jansen 1994:199).

In seinem Beitrag nahm er die Annahmen von Smith und Nowotny auf. Leider

wurde daraus ersichtlich, dass er das Original selbst nicht gesehen hat. Dennoch

ist er neben Nowotny und Smith ein dritter überaus angesehener und erfolgreicher

Codex-Forscher, der das Fragmento untersucht hat.

Die Annahme, dass das Fragmento den Beginn des Codex Becker II

darstellt, scheint seither allgemein anerkannt zu sein. Beispielsweise führten

Elizabeth Hill Boone und Walter Mignolo in ihrem Buch „Stories in Red and Black“

das Fragmento in einer Aufzählung aller mixtekischen Codices auf. Sie erwähnten

es bei der Aufführung des Codex Becker II, und erklärten, dass das in Hamburg

befindliche Fragment die Anfangsseite bildet. Daraufhin haben sie die

Informationen von Smith (1979) und Jansen (1994) hinzugenommen und gaben

Smiths Interpretation wieder, dass der Ursprungsort wahrscheinlich Santos Reyes

de Yucuna ist (Hill Boone/Mignolo 2000:89). Später gingen sie auch auf die

Darstellungsweise im Fragmento/Becker II ein und erklärten den Aufbau beider

Dokumente (ebd:107).

Es gibt zum Fragmento somit drei Hauptquellen und einige Erwähnungen.

Fakt ist, dass nur Nowotny und Smith das Fragment im Original gesehen haben

und somit Jansens Informationen allein auf den Veröffentlichungen der beiden

Vorgänger und den bisher veröffentlichten Abbildungen basieren.

4. Das Fragmento de Nochistlan  

46

4.4. Analyseebene

4.4.1. Beschreibung der Darstellungen

Die Bildebene des Fragmento de Nochistlan ist in zwei Zeilen geteilt. Eine rote

Trennlinie unterteilt das Blatt in ein oberes und ein unteres Register. Es folgt eine

detaillierte Beschreibung der Darstellungen im Sinne der vorikonographischen

Beschreibung nach Panofsky. Dabei werden die Glossen außer Acht gelassen,

lediglich die Schriftzüge innerhalb der Ortszeichen werden miteinbezogen.

Oberes Register

Abb. 18: Das obere Register. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.

Von links nach rechts fängt die Darstellung mit einem Ortszeichen an. Das

Ortszeichen hat die Form eines Hügels, der waagerecht in der Mitte geteilt ist. Die

obere Hälfte enthält ein mit Band eingeschnürtes Bündel. Das Bündel hat die

Form eines Ovals mit spitzen Enden. Außerdem stand hier ein Wort, von dem

man lediglich die letzten beiden Buchstaben erkennen kann: ....YA. Die untere

Hügelhälfte ist mit farbigen, ineinandergreifenden Streifen gemustert. Aus dem

Zwischenraum der oberen und unteren Hügelhälfte kommt eine große Flutwelle

hervor. Diese hat die Form eines Strudels bzw. einer Spirale. An der unteren

rechten Ecke des Ortszeichens setzt ein Fuß an. Ein Mann entsteigt dem

Ortszeichen mit einem großen Schritt. Er trägt lediglich einen Lendenschurz und

hält seine Arme scheinbar ausgebreitet bzw. er hält sie in einer bestimmten

Geste. Über ihm und mit ihm verbunden ist die Kalenderangabe 8 Wind.

Zwischen dem Ortszeichen und Herrn 8 Wind scheint eine weitere

Darstellung gezeichnet gewesen zu sein, welche aber nicht zu erkennen ist.

Schmierspuren deuten daraufhin, dass das Gezeichnete verwischt wurde.

4. Das Fragmento de Nochistlan  

47

Es folgt ein Datum an einem A-O-Zeichen. Der Tag ist 3 Haus, das Jahr ist 7

Kaninchen. Das Kaninchen ist zwar stark beschädigt, lässt sich aber in groben

Umrissen bei genauer Betrachtung erkennen. Am A-O-Zeichen befindet sich ein

eingefasstes Auge mit einem Federbüschel. Dem Datum schließt sich eine

Hochzeitsszene an. In einem Gebäude sitzen sich ein Mann (links) und eine Frau

gegenüber. Das Gebäude öffnet sich nach rechts und ist mit vielen Details

verziert. Auffallend sind die Kreise im Dach und die Verzierungen des

Fundamentes mit Schnörkeln. Die Frau sitzt auf einem niedrigen Hocker und

weist mit einer Hand zum Mann, der seinerseits zurückweist. Der Name des

Mannes ist nicht zu erkennen, allerdings lässt sich innerhalb des Gebäudes eine

Ehecatl-Maske1 ausmachen, die eventuell von Juwelen umgeben ist. Weiter

rechts befindet sich eine weitere Ehecatl-Maske, von der jedoch nur die Spitzen

der Lippen zu erkennen sind. Der Name der Frau ist 3 Haus. Ihr persönlicher

Beiname besteht aus einem Kopf und Pflanzen. Die Pflanzen haben lange,

schmale Blätter.

Als Nächstes ist eine Plattform zu erkennen, die mit einer geflochtenen

Bastmatte belegt ist. Vermutlich ist dies wieder der Sitzplatz für ein Paar, die

Abbildung ist jedoch so zerstört, dass wir nur den Namen des Mannes (davon

ausgehend, dass der Mann immer links sitzt) erkennen können. Er heißt 12 Rohr

und trägt einen Beinamen, der einen Jaguar beinhaltet. Den Jaguar erkennt man

lediglich an der gelblichen Farbe und einem Ohr.

Ganz rechts sitzt ein weiteres Paar, ebenfalls auf einem Fundament,

welches mit einer Bastmatte belegt ist. Beide Personen sitzen auf Hockern, die

einen Hohlraum in Form eines umgedrehten T haben. Der Hocker der Frau ist

etwas höher und gestreift. Beide weisen mit einer ausgestreckten Hand zum

anderen. Der Mann trägt den Namen (?) Kaninchen Schäumender Pulquekrug mit

Band. Vor dem Kaninchen sind 3 Punkte deutlich erkennbar, es ist aber gut

möglich, dass weitere Punkte vorhanden waren. Der Kalendername könnte also

„mindestens 3 Kaninchen“ heißen. Die Frau trägt den Namen 7 oder 8 Rohr. Ihr

Beiname setzt sich aus mehreren Teilen zusammen, von denen einer ein buntes

Band ist und eventuell eine Zahnreihe. Ob es noch ein weiteres Element gibt, ist

nicht zu erkennen.

                                                                                                               1 Ehecatl ist der Gott des Windes. Er ist häufig Teil persönlicher Beinamen und wird dann durch die sogenannte „Ehecatl-Maske“ symbolisiert. Diese ist am Kinnbart und an den langen Lippen zu erkennen und meist rot.

4. Das Fragmento de Nochistlan  

48

Unteres Register

Abb. 19: Das untere Register. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.

Die untere Bildhälfte beginnt an der linken Seite ebenfalls mit einem Ortszeichen.

Es besteht aus einem Hügel, der auf einem Fundament steht. Das Fundament

enthält zwei Musterreihen. Die Obere ist ein schwarz-weißes Schachbrettmuster

und die Untere fügt sich aus bunten Treppchen zusammen. Nach dem

Ortszeichen wird ein Datum angegeben, Tag 1 Alligator, Jahr 1 Rohr. Dieses

Datum befindet sich wie oben an einem A-O-Zeichen. Danach sehen wir erneut

das Ortszeichen mit den zwei Musterreihen, allerdings etwas größer dargestellt.

Ein weiterer Unterschied zum ersten Zeichen ist die Tatsache, dass diesmal die

beiden Fundamentreihen nicht einzeln in die gelbliche Umrandung des Hügels

eingefasst sind, sondern lediglich die untere. Die Spitze des Hügels ist gespalten

und es entsteigt ihm ein Mann, der den Namen 3 Blume trägt. Er ist in einen

Lendenschurz gekleidet. Er kommt mit einem Schritt hervor und hält seine Arme

nach oben zu beiden Seiten ausgestreckt. Sein Kopf ist in den Nacken gelegt und

sein Blick ist ebenfalls nach oben gerichtet. Im oberen Teil des Hügels wurden

Beschriftungen hinzugefügt. Oben steht das Wort NVNAA und unten ein Wort,

welches nur unter UV-Licht zu sehen war: NVSIHYA.

Rechts neben dem Ortszeichen ist die Abbildung eines Gebäudes zu

sehen, welche stark zerstört ist. Das Gebäude öffnet sich nach rechts und an der

Öffnung sitzt ein Mann, der den Kalendernamen (?) Blume trägt. Ein Beiname ist

nicht zu erkennen. Ihm gegenüber sitzt eine Frau auf einer geflochtenen

Bastmatte. Bei ihr ist weder der Kalendername noch ein Beiname zu erkennen.

Die Gestik der Frau ist wie bisher die ausgestreckte Hand, die auf den Mann

weist. Die Gestik des Mannes unterscheidet sich von den übrigen Darstellungen.

Er hält seine Hand vor seinem Gesicht gerade hoch, wobei der Handrücken zu

ihm weist. Zwischen Mann und Frau scheint etwas dargestellt gewesen zu sein,

was leider nicht mehr erhalten ist.

4. Das Fragmento de Nochistlan  

49

Das nächste Paar sitzt, wie auf der oberen Hälfte, wieder auf einem Fundament,

welches mit einer Bastmatte belegt ist. Die Darstellung des Mannes ist stark

zerstört, man kann seine Gestalt lediglich erahnen. Die Darstellung der Frau ist

besser erhalten, sie sitzt auf einem Hocker, der wieder den Hohlraum eines

umgedrehten T hat. Sie weist in der gängigen Manier mit Ihrer Hand auf den

Mann. Ihr Kalendername lautet 9 Rohr, ihr Beiname besteht aus einem rechten

Winkel aus Himmelsband, aus dessen Ecke etwas austritt. Das, was dort austritt,

ist nicht erkennbar.

Von dem nächsten Paar ist auf diesem Fragment nur der Mann abgebildet.

Man kann davon ausgehen, dass es einen weiteren Teil gibt, auf dem die zweite

Hälfte des Paares zu sehen ist. Der Mann sitzt erneut auf einem mit einer

Bastmatte belegten Untergrund. Er sitzt auf einem Hocker ohne Hohlraum. Sein

Körper weist starke Zerstörung auf. Von seinem Kalendernamen kann man 3 Tod

erkennen, weitere Punkte sind wahrscheinlich. Sein Beiname besteht aus einer

Sonnenscheibe, aus der nach unten hin etwas nicht klar erkennbares austritt.

4.4.2. Mixtekische Darstellungskonventionen

Das Hauptanliegen der Codex-Maler war es, dass die Darstellungen von den

Lesern, vorwiegend Priester und speziell dafür ausgebildete Gelehrte verstanden

werden konnten. Somit stand beim Abbilden die Deutlichkeit der Darstellungen

gegenüber der Ästhetik oder der Realität im Vordergrund. Zum Beispiel wurden

die Regeln von realer Größe dann außer Kraft gesetzt, wenn es um einen kleinen

aber bedeutenden Gegenstand ging. Dieser wurde dann im Verhältnis zum

Umfeld größer gemalt bzw. übertrieben dargestellt oder mit vielen Details

versehen, sodass der Leser sofort die Bedeutung der einzelnen Abbildungen und

deren Verhältnis zueinander verstand. Ebenso verhält es sich mit der Darstellung

von Personen. Eine realistische Darstellung, wie die genaue Zeichnung eines

Porträts, wurde dann unnötig, wenn der Kalender- und der persönliche Name

genannt wurden, um eine Person zu identifizieren. Um den limitierten Platz der

Bildfläche zu nutzen und alle wichtigen Informationen der Geschichte zu

übermitteln, wurden Schlüsselelemente eingesetzt, welche sich zu Konventionen

entwickelten (Troike 1982:178f.).

4. Das Fragmento de Nochistlan  

50

Gesten

Die Hände der Personen im Fragmento haben zwei verschiedene Formen. Es

sind zum einen flach ausgestreckte Hände zu sehen und zum anderen Hände,

deren Zeigefinger ausgestreckt sind und deren restliche Finger in der Handfläche

liegen. Der Daumen liegt dabei am Zeigefinger.

Zeigefingerhände

Die „Zeigefingerhände“ kommen nur bei sich gegenüber sitzenden Personen vor.

Die beiden Herren links oben und unten sitzen nicht und haben eine andere

Handhaltung. Des weiteren ist bei den sich gegenübersitzenden Personen nur

jeweils eine Hand sichtbar. Wie von Troike beschrieben, liegt der andere Arm vor

der Brust verschränkt auf den Knien. Somit ist nur der Oberarm sichtbar,

Unterarm und Hand sind in der Profilsicht nicht erkennbar, da sie vom Körper

verdeckt sind (Troike 1982:193).

Nancy Troike veröffentlichte 1982 einen Artikel zu den Gesten im Codex

Colombino-Becker. Sie analysierte die einzelnen Handstellungen und fügte diese

zu Zonen zusammen. Daraus schloss sie, dass die Kombination einer 45° nach

unten weisenden mit einer 45° nach oben weisende Hand eine Kommunikation

von Anliegen und Gewährung ausdrückt. Die Person mit der nach unten

weisenden Hand trage dabei ein Anliegen vor und die Person mit der erhobenen

Hand gewähre dieses Anliegen. Dabei belegte Troike ihre Theorie mit Beispielen,

bei denen die gehobene Hand mit der Handfläche von der Person weg zeigt

(Troike 1982:187ff.). Dem würde das erste Paar auf der unteren Bildebene

entsprechen: Der Mann hebt die Hand in der von Troike beschriebenen Manier,

die Frau mit ihrer fast waagerechten Hand könnte die Bittstellerin sein. Allerdings

befindet sich die Hand der Frau nicht in der von Troike beschriebenen unteren

Zone, sondern eher in einer Waagerechten. Die Gesten dieses Paares weichen

von denjenigen der anderen Paare ab. Auch in anderen Merkmalen unterscheidet

sich dieses Paar von den anderen und wird weiter unten (Besuchsszene) näher

diskutiert.

Des Weiteren sind Troikes Zonen auf das Fragmento nicht übertragbar, da

die mehr oder weniger waagerecht zeigenden Hände nicht berücksichtigt werden

können. Diese sind aber im Fragmento vorhanden. Es ist anzunehmen, dass es

auch für die Geste der waagerechten Zeigefingerhand eine Bedeutung gibt, da

4. Das Fragmento de Nochistlan  

51

ansonsten auch die Hände am Körper dargestellt hätten werden können.

Allerdings stellt sich die Frage, ob darüber hinaus die minimalen Abweichungen

von der Waagerechten ebenfalls bedeutungstragend sind. Dies erscheint

unwahrscheinlich, da die Codices ein Anliegen der klaren Vermittlung von

Bedeutung hatten und solche minimale Differenzen dieses Anliegen nicht erfüllt

hätten.

Flache ausgestreckte Hände

Die beiden Männer, die den Ortszeichen entsteigen, halten ihre Hände flach und

ausgestreckt. Abgesehen von dem Herrn in der unteren Bildebene, welcher die

Hand in der senkrechten Haltung hält und bei dem es nicht klar erkennbar ist, ob

er die Hand ausgestreckt oder in Zeigefingerhaltung hält, haben nur diese beiden

Männer diese Handhaltung inne. Hinzu kommt, dass bei ihnen beide Hände

sichtbar sind. Sie halten die Arme scheinbar weit ausgebreitet. Die

zweidimensionale Darstellung erschwert hier natürlich die Abbildung einer Haltung

in einem dreidimensionalen Raum. Dennoch vermute ich, dass hier versucht

wurde, weit ausgebreitete Arme, wie für eine Umarmung, darzustellen. Interessant

ist die Kombination dieser Geste mit der Aktion beider Personen, auf die im

Folgenden näher eingegangen wird.

Geste der Geborenen

Die Gründungsväter der mixtekischen Dynastien wurden aus Bäumen, Steinen

und Flüssen geboren. In den mixtekischen Codices entsteigen sie auch direkt den

Ortszeichen. Sie werden als Träger des Heiligen Bündels dargestellt, als Bringer

von Glaubenslehre und Gesetz. Apoala war der wichtigste Herkunftsort. Eine

Darstellung einer Baumgeburt in Apoala finden wir im Codex Vindobonensis

(Jansen 1990:103).

Schon de los Reyes

überlieferte die Legende,

dass die Mixteken seiner

Zeit glaubten, dass die

Herkunft ihrer Götter und

Herrscher in Apoala lag. Er

übersetzt den mixtekischen

Namen des Ortes, yuta

Abb. 20: Vindobonensis, S. 37.  

Abb. 21: Nuttall, S. 1.

4. Das Fragmento de Nochistlan  

52

tnuhu, mit „Fluss der Abstammung“ (Reyes 1889:2). Ein Beispiel für eine Geburt

aus einem Ortszeichen ist im Codex Nuttall zu sehen, wo im Jahre 1 Rohr, Tag 1

Alligator, Herr 8 Wind dem Ort „Berg des Affen“ entsteigt und eine zeremonielle

Begrüßung erhält (Jansen 1990:103).

Oft halten die „Geborenen“ in den oben beschriebenen Szenen ihre Arme

in der weit ausgebreiteten Haltung, die auch Herr 8 Wind und Herr 3 Blume aus

dem Fragmento innehaben. Allerdings kommt die Geste auch bei Personen vor,

welche sich in anderen Situationen befinden, und es gibt auch Geburtsszenen, bei

denen die Personen ihre Arme in anderer Haltung haben (siehe Punkt 6.5. im

Anhang). Dieser Aspekt sollte in weiteren Forschungen untersucht werden.

Ortszeichen

Die Ortszeichen der mixtekischen Codices repräsentieren verschiedene

Kategorien von Städten und anderen Lokalitäten. Es werden die cabeceras

(Hauptorte der cacicazgos) sowie deren sujetos (untergeordnete Orte)

repräsentiert. Darüber hinaus gibt es u.a. Ortszeichen für unbewohnte Orte,

Grenzposten und Zeremonialzentren, welche anhand der dort dargestellten

personifizierten Gottheiten oder der dort stattfindenden Rituale erkannt werden

können. Ein Beispiel eines Zeremonialzentrums ist der Ort „Schädel“, in dem

Priesterin Frau 9 Grass lebt. Dieser Ort erscheint nicht als Herkunftsort einer

Genealogie, sondern nur im Zusammenhang mit Frau 9 Grass (Smith 1973:44).

Mixtekische Ortszeichen setzen sich aus einer geografischen Komponente

und einer beschreibenden Komponente zusammen. Es gibt vier grundlegende

geografische Komponenten: ñuu (Stadt) wird von einem Fries oder einer Plattform

dargestellt. Yucu (Hügel) wird von einem glockenförmigen Hügel repräsentiert. Als

yuta (Fluss) wird der Querschnitt eines Flusses gezeigt. Yodzo (Ebene) wird von

einer federnen Matte dargestellt. Dies sind die wichtigsten und am häufigsten

vorkommenden Grundkomponenten. Es gibt allerdings noch weitere

geographische Komponenten, die weniger häufig zu finden sind und u.a. Seen,

Höhlen und Schluchten bezeichnen. Die beschreibenden Elemente der

Ortszeichen sind weitaus weniger standardisiert. Sie richten sich nach den

Personen, Tieren oder anderen Objekten, die beispielsweise mit dem Hügel, dem

Fluss oder der Ebene in Verbindung gebracht werden (Byland/Pohl 1994:34).

4. Das Fragmento de Nochistlan  

53

Ein Beispiel für ein Ortszeichen ist das von Tilantongo.

Der mixtekische Name des Ortes ist ñuu tnoo huahi

andehui. Das bedeutet Schwarze Stadt/ Tempel des

Himmels. Es wird dargestellt durch ein Fries (ñuu), der

schwarz (tnoo) ist. Auf dem Fries ist ein Haus/Tempel

(huahi), welches von einem mit Sternen besetzten

Himmelsband (andehui) verziert ist (Byland/Pohl

1994:35).

Yucu und ñuu

Das Grundelement yucu (= Hügel) hat üblicherweise

eine grün-bräunliche Farbe und ist von einer gelblichen

Linie gesäumt. Die unteren Enden des Hügels wölben sich oftmals nach innen

und die den Hügel umgebene Linie ist üblicherweise von kleinen Wölbungen

durchsetzt, die eine grobe Beschaffenheit des Hügels vermitteln sollen. Diese

grundlegende Form des Hügels kann variieren, sodass zum Beispiel ein Hang in

eine Plattform übergeht oder Ähnliches. Im Nahuatl wird der Hügel durch das

geographische Substantiv -tepec ausgedrückt. Dies ist eine Kombination des

Wortes tepetl (= Hügel) und des lokalisierenden Partikels -c (= in) (Smith

1973:39).

Ñuu (= Stadt, Ort, an dem etwas existiert) wird von einem langen,

rechteckigen Fries dargestellt, welches mit bunten, geometrischen Figuren

dekoriert ist. Oftmals besteht diese Dekoration aus treppenförmigen Pyramiden.

Im Nahuatl gibt es lediglich eine Reihe von Suffixen, die dem mixtekischen ñuu

nahekommen. Darunter sind -co, -c (= in, drinnen), -can, -ca (= Ort, an dem

etwas existiert, in), -tla, -la (= wo der Überfluss von etwas existiert), -tlan, -lan (=

Ort, an dem etwas existiert, nahe, nahe an, darin, darunter), -yan, -ya (= Ort, an

dem sich eine Handlung ereignet) (Smith 1973:38).

Es kann vorkommen, dass die Zeichen yucu und ñuu untereinander

vertauscht werden. So wird ein und dasselbe Ortszeichen mal in Form eines

Hügels und mal als Plattform dargestellt. Und es kann auch vorkommen, dass

Hügel und Plattform in einem Ortszeichen erscheinen. Smith bietet eine

Erklärungsmöglichkeit für die Darstellung einer Plattform innerhalb eines Hügels:

Sie vermutet, dass das ñuu vor den Namen eines Ortes gesetzt wird, um den Ort

als Stadt zu bezeichnen, unabhängig davon, ob es im Namen vorkommt oder

Abb. 22: Das Ortszeichen von Tilantongo. Nuttall, S. 47.  

4. Das Fragmento de Nochistlan  

54

nicht. Stadt wird so als Einheit oder Größe vor den Namen gestellt, im Sinne von

„die Stadt Hamburg“ (vgl. Smith 1973:40).

Im Fragmento de Nochistlan finden wir drei Ortszeichen, von denen sich

zwei gleichen. Links auf der oberen Ebene haben wir einen Hügel, welcher in

Kapitel 4.5.1. detailliert beschrieben ist. Der Hügel trägt die Merkmale, wie sie von

Smith beschrieben wurden: Er ist glockenförmig, die unteren Kanten wölben sich

nach innen und er ist umgeben von einer gelblichen Linie mit kleinen

Auswüchsen. Das eingeschnürte Bündel im Inneren des Ortszeichens hat die

Form eines Feuersteinmessers.

Das Ortszeichen auf der unteren

Bildhälfte besteht aus yucu in Verbindung

mit ñuu. Beide Elemente weisen die von

Smith genannten Merkmale auf. Das

Fries, auf dem der Hügel steht, enthält

sogar das gleiche Muster der farbigen,

pyramidenförmigen Treppchen, das Smith beschreibt. Über dieser

sehr klassischen Darstellung von ñuu liegt ein Schachbrettmuster.

Die weitere Diskussion der Ortszeichen wird in Kapitel 5.2.1.

vorgenommen.

Jahreszeichen

Die Verwendung des A-O-Zeichens für eine Jahresangabe

ist ein spezielles Merkmal der mixtekischen Dokumente

(Caso 1977:37). Es besteht aus einem ineinander

verwobenen A und O, welche mit einem der vier

Jahresträger-Zeichen und einer Nummer verbunden sind.

Die vier Jahresträger Haus, Kaninchen, Rohr und

Feuersteinmesser kommen jeweils in der Kombination mit

einer der Nummern von 1-13 vor. Die Darstellungsweise

des A-O-Zeichens unterliegt kleinen Unterschieden. So

sind zum Beispiel manchmal die Kanten abgeflacht oder

zugespitzt. Kleine Variationen können sogar innerhalb eines Dokumentes

auftauchen. Auf dem O befindet sich manchmal ein Auge, eventuell das einer

Eule, mit einem Büschel Federn am oberen Rand. Mary Smith erwägt, dass die A-

Abb. 23: Selden, S. 2.  

Abb. 24: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.  

Abb. 25: Das A-O-Zeichen. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.  

4. Das Fragmento de Nochistlan  

55

O-Darstellung einen mit einem Seil gebundenen Sonnenstrahl zeigen könnte. Das

A wäre in diesem Fall die vereinfachte Darstellung des Sonnenstrahls und das

darum gewundene O ein Seil (Smith 1973:22).

Im Fragmento de Nochtistlán sind zwei Jahreszeichen enthalten. Auf der

oberen Bildebene finden wir das Jahr 7 Kaninchen. Links am A-O-Zeichen haftet

ein Kaninchenkopf, der nur noch schemenhaft zu erkennen ist, und links das von

Smith beschriebene Auge, dessen Bedeutung unklar ist. Über dem A-O-Zeichen,

verbunden mit einem Faden, ist die Nummer 7 aufgeführt.

Auf der unteren Bildebene befindet sich das Jahreszeichen, an dessen

rechter Seite ein Rohr steckt. Ein Auge, wie bei dem oberen Zeichen, findet sich

nicht. Über dem Zeichen ist, ebenfalls verbunden mit Jahreszeichen, die Nummer

1. Es handelt sich um das Jahr 1 Rohr.

Tageszeichen

Die Tagesangaben setzen sich aus einem der 20 Tageszeichen und einer der

Nummern 1-13 zusammen. Die Tagesangaben werden in mixtekischen und

zentralmexikanischen Dokumenten gleich dargestellt. Im Gegensatz zum Nahuatl

jedoch gibt es im Mixtekischen ein spezielles Vokabular für die kalendarischen

Zeichen. Es werden nicht die alltagsgebräuchlichen Vokabeln für die Zeichen

benutzt, so wie es im Nahuatl der Fall ist. Bei den Nummern 1-13 ist dies der

gleiche Fall. Dieses Spezialvokabular ist wichtig für die Übersetzung der

Tageszeichen und Kalendernamen. Die Nummern werden von bunten,

zusammenhängenden Kreisen dargestellt, welche wie Perlen auf einer Schnur

aussehen. Wenn der Koeffizient 3 übersteigt, sind die Kreise oft in Gruppen von

zwei, drei, vier oder fünf aufgeteilt. Die einzelnen Gruppen sind dann durch eine

schwarze Linie miteinander verbunden (Smith 1973:27).

Im Fragmento de Nochistlan befinden sich die Tageszeichen jeweils über

den Jahreszeichen. Sie sind durch eine schwarze Linie mit dem Jahreszeichen

verbunden. Auf der oberen Bildebene sehen wir den Tag 3 Haus (mixtekisch: co

(= drei) cuau/mau (= Haus)). Auf der unteren Bildebene ist der Tag 1 Alligator

(mixtekisch: ca/co (= eins) quevui (= Alligator))2 mit dem Jahreszeichen

verbunden.

                                                                                                               2 Übersetzungen der Tageszeichen nach: Smith 1973:24-26.

4. Das Fragmento de Nochistlan  

56

Personennamen

Ein wichtiger Grund der Anfertigung der mixtekischen Codices war es, die

Beziehungen und Interaktionen der Elite darzustellen. Jedes Mitglied der

Adelsklasse wird als Individuum mit dem eigenen Namen gezeigt. Der Name einer

Person setzt sich aus seinem Geburtsdatum und einem persönlichen Eigennamen

zusammen. Für das Geburtsdatum wird, wie für die Tagesangabe, das spezielle

Tageszeichenvokabular benutzt. Der Kulturheros 8 Hirsch heißt demnach auf

Mixtekisch: na (= 8) cuaa (= Hirsch). Der persönliche Name wurde laut Herrera im

Alter von sieben Jahren vergeben. Wie der Name ausgesucht wurde, ist hingegen

unbekannt. Es gibt auch den Fall, dass der Beiname einer Person im Laufe ihres

Lebens durch bestimmte Errungenschaften geändert wurde. Der persönliche

Name wird entweder sehr nahe an der Person dargestellt oder ist sogar mit ihr

verbunden. Die Person kann die Darstellung auch in den Händen halten, sie im

Kostüm oder im Kopfschmuck tragen oder auf eine andere Weise mit ihr

verwoben sein. Die Darstellung einer bestimmten Person kann in verschiedenen

Dokumenten variieren, sodass ihr Beiname mal in das Kostüm integriert und mal

isoliert neben der Person zu sehen ist. Ein Beiname, der hauptsächlich für

Männer verwendet wird, ist z.B. der Ballspielplatz. Ein Bestandteil, welcher häufig

in Frauennamen vorkommt, ist z.B. eine Blumengirlande (Smith 1973:27f.). Die

persönlichen Namen der Personen in den mixtekischen Codices werden als

Darstellungen abgebildet, welche bestimmte Laute der mixtekischen Sprache

repräsentieren. Bislang wurde dieser Aspekt noch nicht hinreichend erforscht,

weswegen weiterhin die Beschreibungen der Darstellungen als Namen genannt

werden (Troike 1978:561).

Im Fragmento trägt ebenfalls jede Person einen ihr zugeordneten Namen.

Die Identifikation der Namen ist aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes an

vielen Stellen schwer oder gar nicht möglich. Im Fragmento begegnen uns

Personen, die nur ein Geburtsdatum tragen, und Personen, die ein Geburtsdatum

und einen Beinamen tragen. Ein Beispiel für eine Person, die nur einen

Kalendernamen trägt, ist die erste Person oben links, Herr 8 Wind. Ein Beispiel für

eine Person mit einem Kalender- und einem Beinamen ist die Frau oben rechts.

Ihr Name ist teilweise zerstört, sodass wir als Kalendernamen lediglich das

Tageszeichen Rohr sicher identifizieren können. Es könnte sich um 7 Rohr oder

um 8 Rohr handeln, da das Ende der Nummernreihe nicht klar zu benennen ist.

4. Das Fragmento de Nochistlan  

57

Ihr Beiname enthält als Detail ein buntes Band. Über dem Band ist noch ein Detail

zu sehen, welches man als untere Zahnreihe ausmachen könnte. Somit können

wir weder den Kalender- noch den Beinamen klar identifizieren. Die Diskussion

der einzelnen Personennamen wird in Kapitel 4.5.2. vorgenommen.

Hochzeit

Wenn ein Mann und eine Frau sich in einem Codex gegenübersitzen, so ist dies

die Szene ihrer Hochzeit (Smith 1973:29). Frauen und Männer sind in der Regel

an ihrer Kleidung und ihrer Frisur zu unterscheiden. Die Männer tragen einen

Umhang oder einfach einen Lendenschurz. Frauen tragen Röcke und sind oftmals

an ihrer Frisur zu erkennen, in die ein buntes Band eingeflochten ist. Oftmals sitzt

das Brautpaar auf niedrigen Hockern, auf einer Plattform, die mit einem Jaguarfell

belegt ist, auf einem Ortszeichen oder auf einer aus Bast gewebten Matte namens

petate. Es kann auch vorkommen, dass das Paar im Eingang eines Gebäudes

sitzt, das vermutlich ihre Residenz ist. Oftmals wird bei der Heiratsszene dem

Mann von der Frau ein Gefäß mit Kakao oder pulque (ein alkoholisches Getränk

hergestellt aus Agavensaft) angeboten. Wenn ein Paar auf einer gewobenen

Matte sitzt und in die gleiche Richtung schaut, wird angenommen, dass es sich

um ein bereits verheiratetes Paar handelt. Die Szenen beinhalten dann oftmals

das Empfangen von Gästen oder es wird die Elternschaft zu einer Person

dargestellt (Smith 1973:29). Es gibt noch weitere Heiratsszenen, die vereinzelt in

den verschiedenen mixtekischen Codices vorkommen. Die oben beschriebenen

sind allerdings der Regelfall und erscheinen auch im Fragmento.

Im Fragmento finden wir auf der oberen Bildhälfte drei Paare. Das Mittlere

ist komplett zerstört, es wird aber davon ausgegangen, dass sich dort ein Paar

befindet, da der Aufbau des Dokumentes, die angedeutete Plattform und der

schwach zu erkennende Name des Mannes daraufhin deuten. Bei allen drei

Paaren wird davon ausgegangen, dass es sich um eine Hochzeitsszene handelt.

Das erste Paar sitzt sich in einem Gebäude gegenüber. Die Frau sitzt auf einem

niedrigen Sitz. Das zweite und dritte Paar sitzt jeweils auf einer Plattform, die mit

einer Bastmatte belegt ist. Die einzelnen zu erkennenden Personen sitzen zudem

auf Hockern. Auf der unteren Bildhälfte sind zwei Paare zu sehen, bei denen sich

Mann und Frau gegenübersitzen. Am rechten Rand ist noch der Mann eines

dritten Paares zu erkennen. Bei dem zweiten und dritten Paar sitzen sich Mann

4. Das Fragmento de Nochistlan  

58

und Frau wieder auf einer Plattform gegenüber, welche mit einer Bastmatte belegt

ist. Sie sitzen auf Hockern. Das erste Paar hingegen weicht in dieser Hinsicht von

den anderen Darstellungen ab.

Besuchsszene

Bei einer Besuchsszene sitzen oder stehen sich auch zwei Personen gegenüber.

Diese können auch das gleiche Geschlecht haben. Oftmals sitzt eine der beiden

Personen auf einem Ortszeichen und die andere nicht. Dies zeigt dann, dass

derjenige, der im Ortszeichen sitzt, von dem davor besucht wird. Manche dieser

Szenen ähneln eher einer religiösen Pilgerschaft, bei der ein Priester oder eine

personifizierte Gottheit besucht wird (Smith 1973:30).

Das erste Paar in der unteren Hälfte des Fragmentos weicht in der

Darstellungsweise von den übrigen ab, da der Mann in dem Gebäude sitzt und die

Frau davor auf einer Bastmatte. Auch die Handhaltung des Mannes und die

Tatsache, dass sich irgendetwas zwischen den beiden befindet, sind diesem Paar

eigen. Es besteht die Frage, ob es sich wirklich um eine Hochzeitsszene handelt

oder eventuell um einen Besuch der Frau bei dem Mann im Sinne einer

Besuchsszene. Die Gesten des Paares, wie oben (Zeigefingerhände)

beschrieben würde dies unterstützen, da die Kommunikation von Anliegen und

Gewähren bei einer Besuchsszene durchaus passend wäre. Aufgrund der

Struktur des Fragmentos als klar genealogisches Dokument ist jedoch

anzunehmen, dass es sich bei dieser Darstellung um eine Heiratsszene handelt.

Nowotny hat diesen Unterschied zu den übrigen Darstellungen ebenfalls

angemerkt. Er sieht in der Darstellung eine Hochzeitsszene und sagt: „Dieses

Paar ist von den folgenden Paaren dadurch ausgezeichnet, dass der männliche

Teil in einem prächtigen Haus, in einem Palast, sitzt (Nowotny 1975:10).“

4.4.3. Glossen

Die auf spanischer und mixtekischer Sprache eingefügten Glossen unterhalb der

Darstellungen sind ebenso von Zerstörung beeinträchtigt wie die gemalten

Figuren. Das Fragmento enthält Glossen in mindestens 3 verschiedenen

Handschriften. Smith erkennt sogar 4-5 verschiedene Schreiber. Sie geht in ihrem

4. Das Fragmento de Nochistlan  

59

Artikel „Codex Becker II: A Manuscript from the Mixteca Baja?“ allerdings nur

detailliert auf die Glossen ein, die sich innerhalb der Ortszeichen befinden (Smith

1979:35). Diese werden im Kapitel 4.5.1. diskutiert.

Neben den geschriebenen Worten scheinen auch Abkürzungen unter die

Szenen geschrieben worden zu sein. Sie bestehen aus einzelnen Buchstaben mit

einem Punkt dahinter. Dies könnte darauf hindeuten, dass hier eine Art

Kennzeichnung bzw. Nummerierung vorgenommen wurde. Unterhalb der Person

8 Wind findet sich zudem ein Kringel, der wie eine kleine Nummer 6 aussieht.

Dies wäre dann aber die einzige Zahl.

Nowotny ist der Meinung, dass die Glossen innerhalb der Ortszeichen mit

derselben schwarzen Tinte vorgenommen wurden, wie die Umrisse der

Darstellungen und folgert daraus, dass der Maler die lateinische Schrift

beherrschte. Neben diesen Glossen gibt es noch in Blei geschriebene und weitere

in Tinte geschrieben (Nowotny 1975:9).

Beischriften auf anderen Dokumenten dieser Art haben gezeigt, dass es

sich meist um lateinschriftliche „Übersetzungen“ des Dargestellten handelt. Es

wurde also erklärend notiert, was auf der Bilderhandschrift zu sehen ist. Aufgrund

dieser Tatsache habe ich also zunächst das mixtekische Vokabular der

Tageszeichen und Zahlen herangezogen, um festzustellen, ob die Tageszeichen

in den Glossen wiederholt werden. Dann habe ich in den Wörterbüchern von

Alvarado (1963) und de los Reyes (1889) die Vokabeln der Details nachgeschaut,

die in den persönlichen Beinamen und in den Ortszeichen vorkommen. Das

Resultat dieser Recherche ist allerdings dürftig. Dies liegt, wie in der Einleitung

erklärt, an meinen fehlenden Mixtekisch-Kenntnissen sowie an der Lesbarkeit der

Handschriften.

Mögliche Deutungen – Oberes Register

Von links nach rechts betrachtet kann man als Erstes die kleine Zahl Sechs

sehen, wo der Fuß des Herrn 8 Wind an das Ortszeichen anschließt. Unter dem

Jahreszeichen liest Nowotny die Glosse jahunachi (ya-una-chi), in der er die

mixtekische Übersetzung für 8 Wind erkennt (Nowotny 1975:11). Hier fällt es mir

schwer, seine Lesung nachzuvollziehen. Ebenso, wie man in dem Anfang des

Wortes yahun... erkennen kann, könnte man zum Beispiel ein yahui... sehen.

Yahui heißt Marktplatz oder Gehalt, Preis, Kosten (Smith 1973b:64). Es steht im

4. Das Fragmento de Nochistlan  

60

Codex Muro als Glosse neben einer Person mit den Attributen der Feuerschlange

im persönlichen Namen und könnte somit ein Hinweis auf eine Feuerschlange

sein (Smith 1973b:62).

Die nächste klar erkennbare Glosse ist die Inschrift el cazique oberhalb

des ersten Paares (Nowotny 1975:9).

Auf der rechten Seite, unterhalb des letzten Paares im oberen Register,

kann man deutlich das Wort dzo erkennen. Laut Smith heißt dzoo „gewebtes

Kleidungsstück/Gewand“ (Smith 1973:197). Alfonso Caso erklärt sogar, dass mit

dzoo der Umhang des Mannes gemeint ist (Caso 1977:30). Idzo ist das Wort für

Kaninchen, wäre allerdings nicht das richtige Wort für das Tageszeichen, welches

hier ja zu finden ist. Das Wort für das Tageszeichen Kaninchen ist sayu oder xay

(Smith 1973:24).

Mögliche Deutungen – Unteres Register

Unter dem ersten Ortszeichen, auf dem Unteren Register, meint Nowotny

yododuhua zu erkennen. Er übersetzt dies mit „Schlucht bei der meseta oder

ähnlich“ (Nowotny 1975:10). Meiner Meinung nach könnte man im ersten Teil des

Wortes aber auch toto lesen. Das heißt Stein/Felsen (Smith 1973:199). Unter der

zweiten Ortsglyphe im unteren Register liest Nowotny die Glosse yodocuta und

übersetzt dies mit „Ebene am Wasser oder dergleichen“ (Nowotny 1975:10). Aus

der entsprechenden Glosse Nowotnys vorgeschlagenes Wort herauszulesen finde

ich sehr schwierig.

Nowotny beschreibt die Tintenzeichnung am Herrn 3 Blume in der unteren

Bildebene als einen Zeigefinger, der auf el cazique im oberen Register weist

(Nowotny 1975:9). Diese Deutung Nowotnys kann ich nicht nachvollziehen. Mir

sieht die Zeichnung eher wie eine Ehecatl-Maske aus, aber diese Deutung ist rein

spekulativ. Ein solches Attribut hätte an dieser Stelle, so dicht am Körper, den

Zweck eines persönlichen Beinamen. Da dieser Zusatz allerdings nachträglich

eingefügt wurde, bestünde die Frage der Richtigkeit dieser Angabe.

Die nächste klar erkennbare Glosse befindet sich unter dem Palast, in dem

der Mann des ersten Paares sitzt. Hier steht aniñe, was Palast bedeutet und hier

demnach zur Abbildung passt (Smith 1973:71).

4. Das Fragmento de Nochistlan  

61

4.5. Interpretations- und Diskussionsebene

4.5.1. Ortszeichen

Im Fragmento de Nochistlan gibt es drei Ortszeichen, eins im oberen und zwei im

unteren Register. Die Ortszeichen im unteren Register sind nahezu identisch und

beschreiben aller Wahrscheinlichkeit nach denselben Ort.

Die Merkmale der Ortszeichen entsprechen den Darstellungskonventionen

der mixtekischen Codices, wie sie in Kapitel 4.4.2. beschrieben wurden.

Oberes Register

Die Charakteristika des Ortszeichens sind eine sich aufrollende Welle bzw. ein

Wasserstrudel, welcher aus dem Hügel hervortritt, und ein eingeschnürtes Bündel

im oberen Teil des Hügels. Meines Erachtens könnte man die Form des Bündels

als die eines Feuersteinmessers beschreiben (vgl. Kapitel 4.4.2.). Die Inschrift

oberhalb des Bündels endet mit den Buchstaben YA. Vor dem Y ist auch noch ein

senkrechter Strich auszumachen, der sowohl ein I als auch der hintere Strich

eines H oder eines M sein könnte (Nowotny 1975:11). Jansen weist darauf hin,

dass die Inschrift im Falle eines IYA auf einen Herrn

hinweisen würde, da dies das mixtekische Wort für

„Herr“ (im Sinne von Herrscher, Ahne) ist (Jansen

1994:199).

Nowotny erkennt in diesem Ortszeichen auf

Grund des Wasserstrudels den Ort Apoala

(1975:10). Diese Deutung ist allerdings nicht

plausibel, da Alfonso Caso (1958) und auch

Maarten Jansen (1976) Apoala als Fluss

identifizierten, in dem eine Hand Federn oder Grass

hält. Das Detail der Hand mit den Federn ist beim

Ortszeichen von Apoala ausschlaggebend (Smith

1979:31).

Alfonso Caso erklärt, Herr 1 Wind „Haar aus

Blumen“ aus Culhuacan könnte der Gleiche sein wie Herr 8 Wind aus dem

Fragmento, weil in der Namensnennung häufiger 1 und 8 verwechselt wurden.

Abb. 26: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.  

4. Das Fragmento de Nochistlan  

62

Somit könnte es sich hier um den Ort Culhuacan handeln (Caso 1977:127,

1979:59). Dies hält Smith für unwahrscheinlich, da das Ortszeichen von

Culhuacan aus einem Hügel besteht, dessen Spitze sich aufrollt. Wasser oder ein

Bündel sind nicht Teile des Ortszeichens (Smith 1979:30).

Jansen schlägt eine andere Interpretation dieses Ortszeichens vor: Den

Berg und das Wasser könne man demnach als yucu nduta deuten, das

mixtekische Äquivalent zum aztekischen altepetl – ein allgemeiner Ausdruck für

Stadt. Das Bündel im oberen Bereich des Hügels ist schwer zu deuten, da man

nicht sagen kann, aus welchem Material das Paket ist. Es könnte sich um Blätter,

z.B. Tabakblätter, handeln, welche mit einem Seil verschnürt sind. Dieses Bündel

könnte das heilige Bündel sein, welches das „Herz“ jeder Ortschaft darstellt. Somit

könnte dieses Ortszeichen ein ganz genereller Hinweis auf eine Ortschaft sein,

ohne eine bestimmte damit zu meinen. Auf der anderen Seite könnten der

Wasserstrudel und das Bündel auch Hinweise auf eine ganz bestimmte Ortschaft

sein (Jansen 1994:199). Wenn „nur“ eine Stadt an sich gemeint wäre, scheint es

allerdings unlogisch, dass eine ganz bestimmte Genealogie, mit bestimmten

Personen, die durch Namen gekennzeichnet sind, folgt.

Vergleiche

Im Vergleich mit anderen mixtekischen Codices fielen besonders zwei

Ortszeichen durch ihre Ähnlichkeit zum Ortszeichen aus dem Fragmento auf. Das

Erste ist im Codex Bodley zu sehen, Vorderseite, Seite 7, Band V:

Prägnant ist hier der Wasserstrudel, welcher

dem Berg entspringt. Im unteren Teil des Berges

befindet sich ein geöffneter Mund, aus dem ein Stein

ragt. Auf dem Berg ist ein weiterer Stein abgebildet.

Könnte hier eine Parallele zu dem eingeschnürten

Paket (Feuersteinmesser?) aus dem Fragmento

vorliegen?

Das Ortszeichen kommt innerhalb der Erzählung

über Herr 5 Alligator Regen Sonne vor, dem Vater des

berühmten Eroberers Herrn 8 Hirsch Jaguarkralle. 5 Alligator wurde Hohepriester

des Ortes Tilantongo und heiratete zwei Frauen. Das oben genannte Ortszeichen

ist als Herkunftsort der Eltern der einen Frau von 5 Alligator genannt. Frau 9 Adler

Abb. 27: Bodley, S. 7 Bd. V.  

4. Das Fragmento de Nochistlan  

63

Kakaoblume und ihre Eltern Herr 8 Regen Kriegsadler und Frau 12

Feuersteinmesser Quetzalfedern kommen hierher. Jansen gibt keine mögliche

Identifikation des Ortes an (Jansen/Pérez 2005:61).

Caso schlägt als Identifikation den Ort Tecamachalco vor, gibt aber keine

Herleitung oder Begründung für diesen Vorschlags an. Er nennt den Ort „Stein-

Mund-Hügel“ und gibt an, dass auch 5 Alligators andere Frau aus diesem Ort kam

(Caso 1960:37). Dies ist im Codex Bodley auf Seite 8, Band III dargestellt. Das

Ortszeichen an dieser Stelle wird allerdings variiert

gezeigt. Anstelle eines Hügels ist der Mund mit dem

Stein an einer Plattform dargestellt. Caso sieht es

aber auf Grund der kennzeichnenden Elemente als

den gleichen Ort an (Caso 1960:36).

Vorausgesetzt dass dies wirklich das gleiche Zeichen wie das Bergzeichen

mit dem Wasserstrudel ist, ist es unwahrscheinlich, dass es sich dabei um den Ort

handelt, der im Fragmento abgebildet ist. Das Detail des Mundes mit dem Stein

ist ein sehr spezifisches Merkmal, das sich im Ortszeichen des Fragmentos nicht

wiederfindet.

Das zweite Ortszeichen, welches dem im Fragmento ähnelt, ist mehrfach im

Codex Selden zu finden. Codex Selden befasst sich mit der Genealogie des Ortes

Jaltepec. Das Ortszeichen enthält einen charakteristischen Wasserstrudel und ist

in sich zweigeteilt. Die obere Hälfte ist blaugrün und die untere ist zweifarbig

gestreift. Der Wasserstrudel sowie die Aufteilung entsprechen der des

Ortszeichens im Fragmento. Lediglich das eingeschnürte Bündel fehlt hier. John

Pohl beschreibt den Ort als „Hill of the Whirlpool“ (Pohl o.D.).

Abb. 28: Bodley, S. 8, Bd. III.

 

Abb. 29: Selden, S.5, Bd. III.

 

Abb. 30: Selden, S. 10, Bd. IV.  

Abb. 31: Selden, S. 14, Bd. II.  

4. Das Fragmento de Nochistlan  

64

Bei seiner Beschreibung des Codex Selden beschreibt Caso die Ortszeichen mit

dem Wasserstrudel als „Cerro del Agua“ und geht weiter nicht drauf ein (Caso

1964:31). Bei den weiteren Erscheinungen nennt er den Ort „Cerro del Agua

torcida“ (Caso 1964:37).

Auf Seite 5, Band III kommt das Ortszeichen mit dem Wasserstrudel als

Herkunftsort der Frau 7 Tod Feuerfächer vor, welche durch Heirat mit Herrn 3

Regen Striche im Ballspielplatz in die Herrschaftslinie von Jaltepec einheiratet.

Ihre Eltern (Herr 1 Schlange Auge im Ballspielplatz und Frau 8 Feuersteinmesser

Bewegung des Bandes) sitzen auf dem besagten Ortszeichen, von dem

Fußspuren zu ihr führen. Jansen nennt den Ort „Cerro Negro (Tnoo/Tiltepec?) con

Ojo de Agua“ und schlägt als Identifikation von „Cerro Negro“ Yucu Tnoo/ Tiltepec

vor. Als zusätzliches Element trägt dieses Ortszeichen allerdings den

Wasserstrudel, den Jansen offenbar nicht ganz einordnen kann. Er gibt für die

vermutete Verortung für Cerro Negro keine weitere Herleitung, Belege oder

Erläuterung an. Zeitlich kann man diese Szene in die Jahre vor ca. 1040 n.Chr.

einordnen (Jansen/Pérez 2007:192). In den folgenden Aufzeichnungen im Codex

Selden, die bis in die frühe Kolonialzeit reichen, werden immer wieder Töchter

nach „Cerro Negro con Ojo de Agua“ verheiratet bzw. heiraten Töchter von dort in

die Dynastien von Jaltepec ein. Dies zeigt eine ausgeprägte sozio-politische

Verbindung beider Städte.

Hill of the Whirlpool im Codex Selden

Seite 5, Band III

Seite 9, Band IV

Seite 10, Band IV

Seite 14, Band II

Seite 15, Band III

Seite 19, Band IV

Unteres Register

Das Ortszeichen im unteren Register besteht aus einem Hügel, welches in einem

Fundament endet. Ein solches Fundament steht für eine Stadt: ñuu. Über dem

Fundament liegt ein Schachbrettmuster. Innerhalb des Hügels gibt es zwei

4. Das Fragmento de Nochistlan  

65

Inschriften. Die Obere kann man NVNAA lesen. Die Untere habe bislang nur ich

unter ultra-violettem Licht gesehen. Hier steht NVSIHYA.

Nowotny stützt sich bei der Identifizierung

dieses Ortes auf die obere Inschrift, die er NVNAA

liest. Im Katalog von Gracida (1889) werden ñuñaa

und nuyoo als mixtekische Namen für den Ort San

Pedro Cantaros im Distrikt Nochistlan genannt. Der

aztekische Name für den Ort ist Cozcaltepec

(Nowotny 1975:10).

Smith meint, es kann sich bei dem

Schachbrettmuster-Ort nicht um Ñunaa (San Pedro

Cantaros) handeln, da schon der Codex Muro3 von

dort kommt und keine Person aus dem Codex Muro im Codex Becker II erscheint

(Smith 1979:33). Caso nimmt ebenfalls an, dass der Codex Muro aus Ortschaft

San Pedro Cantaros stammt. Den mixtekischen Namen Ñunaha/Ñunaa übersetzt

er mit „Alte Ortschaft“ (Caso 1977:114)4.

Smith vermutet hinter dem Schachbrettmuster-Ortszeichen den Ort Santos

Reyes Yucuna in der Mixteca Baja, etwa 23 km von Huajuapan de León entfernt.

Laut des Kataloges von Gracida heißt der mixtekische Name „dunkler Hügel“

(yucu: Hügel, na oder naa: dunkel) (Smith 1979:32). Sie führt allerdings keine

Gründe oder argumentative Hinführung zu dieser Vermutung an.

Smith sieht in der oberen Inschrift des Ortszeichend YY(A?)NAA. Sie meint

zudem, im Ortszeichen des oberen Registers ebenfalls NAA zu sehen. Die

Inschriften hätten also die gleiche Endung. Sie schlägt vor, dass mit den

Inschriften nicht etwa der Name der Ortschaften gemeint ist, sondern eine

Beschreibung der folgenden Personen. Yya naa übersetzt sie mit „adelige

Bildnisse“ oder „verstorbene Adelige“. Dass im unteren Register die Inschrift nur

im zweiten Ortszeichen vorkommt, aus dem der Adelige heraussteigt, ist für sie

ein Argument, das diese These unterstützt (Smith 1979:33). Da ich selbst das

Original gesehen habe, muss ich Frau Smith an dieser Stelle entschieden

widersprechen. Bei genauer Betrachtung sind die Inschriften YA im oberen

                                                                                                               3 Ein kolonialzeitliches genealogisches Dokument. 4 Die unterschiedlichen Schreibweisen des mixtekischen Namens der Ortschaft San Pedro Cantaros wurde hier aus den verschiedenen Quellen übernommen.

Abb. 32: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.  

4. Das Fragmento de Nochistlan  

66

Register und NVNAA im unteren Register deutlich zu erkennen, ebenso wie auch

Nowotny sie gesehen hat5.

Auch Jansen ist Smiths Argumentationsführung zu ungenau. Er nimmt ihre

Annahme, es handele sich um den Ort Santos Reyes Yucuna, aus diesem Grund

nicht an (Jansen 1994:197). Der mixtekische Name Ñuu naa, übersetzt mit

„dunkler Ort“, erscheint Jansen allerdings ebenfalls eine geeignete Bezeichnung

des Ortes. Er führt weiterhin an, dass in den mixtekischen Codices ein

„Schachberg“ vorkommt, welcher die Himmelsrichtung Norden angibt. Er heißt

Yucu Naa im Mixtekischen. Dieses Zeichen kommt oft zusammen mit einem

gespaltenen Berg vor. Es gibt allerdings auch Hinweise darauf, dass es sich bei

Yucu Naa um einen bestimmten Ort handeln könnte (Jansen 1994:197,198). Es

ist somit für Jansen nicht auszumachen, ob es sich bei dem „Dunklen Ort“ im

Fragmento de Nochistlan um die Himmelsrichtung Norden handelt oder um einen

bestimmten Ort in der Mixteca Baja (Jansen 1994:199).

Die untere Inschrift NVSIHYA nennt den mixtekischen Namen des Ortes

Tetzoatlan in der Mixteca Baja. In der Ortsliste von de los Reyes wird er mit

nuusiya aufgeführt (Reyes 1889:90). Im Codex Bodley gibt es ein Ortszeichen,

welches Jansen tentativ als Tetzoatlan identifiziert. Es erscheint auf Seite 4, Bd. I,

auf Seite 36, Bd. IV und auf Seite 37, Bd. III. Er nennt es „Hill of the Pearls“, da es

aussieht, als ob auf der Spitze eines Hügels ein Haufen Perlen liegt. Allerdings ist

er sich bei der Deutung nicht sicher – er benutzt bei jeder Nennung ein

„möglicherweise“ oder „eventuell“ – und gibt keinerlei Erläuterung für diese

Vermutung an (Jansen/Pérez 2005:56).

Vergleiche

Das Schachbrettmuster kommt häufig als Detail in den mixtekischen Codices vor.

Oftmals ist es ein Teil des persönlichen Namens einer Person, wie z. B. im Codex

Bodley, Seite 18, Band II. Hier ist ein Herr abgebildet, in dessen Rücken sich ein

Viereck mit einem Schachbrettmuster befindet. Caso sieht das Schachbrettmuster

als Teil des Namens des Herrn: 11 Regen, „Eagle Checkered Board“ (Caso,

1960:48). Jansen sieht das Schachbrett ebenfalls als Teil des Namens, übersetzt

ihn allerdings als „Dark Eagle“ (Jansen/Pérez 2005:71).                                                                                                                5 An dieser Stelle möchte ich daran erinnern, dass nur Mary E. Smith, Karl A. Nowotny und ich das Dokument im Original gesehen haben.

4. Das Fragmento de Nochistlan  

67

Im Codex Nuttall, Seite

60 findet sich ein

weiteres Beispiel für

das Schachbrettmuster

als Namensdetail. Hier

ist Herr 4 Adler

abgebildet. Sein Bei-

name besteht aus

einem Adler, der auf

einem Schachbrett-

muster sitzt. Die Kombination von Adler und Schachbrett kommt hier erneut vor.

Dann gibt es Stellen, an denen die Bedeutung unklar ist, wie z.B. im Codex

Bodley, Seite 14, Band V. Hier schießt 8 Hirsch Jaguarkralle mit Pfeil und Bogen,

er befindet sich auf der Jagd. Über der Waffe ist ein kleines Viereck mit einem

Schachbrettmuster zu sehen. Caso äußert

sich hierzu in seiner Analyse des Codex

Bodley (1960) nicht. Auch Jansen (2005)

spricht dieses Detail nicht an.

An anderer Stelle ist Jansen sich

sicher, dass es sich um die Angabe der

Himmelsrichtung Norden handelt. Im Codex

Bodely, Seite 4, Band III kommt ein

Ortszeichen vor, welches Caso als

„Mountain that opens, checkered peak“

beschreibt. Es gehört eigentlich zur Szene auf Seite 3, Band III in der Herr 10

Alligator stirbt (Caso 1960:28). Jansen nennt den Ort „Split Dark Mountain“, in der

Nähe von Tepeji. Dies sei das emblematische Zeichen

des Nordens (Jansen/Pérez 2005: 57).

Im Codex Vindobonensis kommt das

Schachbrettmuster im Zusammenhang mit Orten

häufiger vor. In einer Aufzählung von Orten auf Seite

45 ist auch eine Darstellung von zwei Hügeln in einem

Zeichen, von denen einer oben gespalten ist und einer

ein Schachbrettmuster als Spitze hat. Die

Autorengruppe um Ferdinand Anders erkennt hier

Abb. 35: Bodley, S. 14, Bd. V.

 

Abb. 36: Bodley, S. 4, Bd. III.  

Abb. 33: Bodley, S. 18, Bd. II.

Abb. 34: Nuttall, S. 60.

4. Das Fragmento de Nochistlan  

68

erneut das emblematische Zeichen für Norden. In der Liste von Orten, in der es

auftaucht, werden auch die anderen Himmelsrichtungen aufgeführt. Dies

geschieht innerhalb der Entstehungsgeschichte der Mixteca

(Anders/Jansen/Pérez 1992:100).

Auf Seite 21 oben rechts erscheint ein

Tempel, in dem sich das Schachbrettmuster

befindet. Weiter unten sehen wir eine Hügelkette als

Landschaft. Einer der Hügel hat ein

Schachbrettmuster als Spitze. Tempel und

Hügelspitze korrespondieren, auch die anderen

Hügelkuppen haben einen zugehörigen Tempel.

Anders, Jansen und Pérez beschreiben, dass hier die Gründung der Orte im

Norden der Mixteca dargestellt ist. Die Kombination aus Schachhügel und

gespaltenem Hügel sei der Hinweis auf die Himmelsrichtung

(Anders/Jansen/Pérez 1992:153).

Abb. 38: Vindobonensis, S. 21.

Innerhalb einer riesigen Landschaft auf Seite 9, in der viele Orte

verzeichnet sind, befindet sich auch ein Fluss mit einem Schachbrettmuster als

Boden/Flussbett. Anders, Jansen und Pérez beschreiben hier die Entstehung der

Region um den Ort „Cerro de la Lluvia“ (Hügel des Regens).

Genauer gehen sie auf diese Abbildung aber nicht ein. Teil der

gleichen Aufzählung und ebenfalls nicht genauer beschrieben

ist das Schachbrettfries auf Seite 6 (Anders/Jansen/Pérez

1992:176).

Abb. 37: Vindobonensis, S. 45.  

Abb. 39: Vindobonensis, S. 9.

4. Das Fragmento de Nochistlan  

69

Zusammenfassung

Die Identifizierung des Ortes im oberen Register als

Apoala oder Culhuacan ist zu verwerfen. Die

Möglichkeit, dass hier eine Stadt an sich abgebildet

ist, erscheint ebenfalls unschlüssig, da eine

spezielle Genealogie folgt. Die frappierende

Ähnlichkeit zum „Hill of the Whirlpool“ aus dem

Codex Selden sollte in zukünftigen Forschungen

weitergehend untersucht werden.

Nowotnys Ansatz der Identifizierung des

Ortes im unteren Register als San Pedro Cantaros

scheint einleuchtend und nachvollziehbar. Smiths Argument, dass es dann eine

Übereinstimmung mit dem Codex Muro geben müsste, steht dem entgegen. Fest

steht, dass das Schachbrettmuster für sich ein Element der mixtekischen Schrift

ist. Es wird auf verschiedene Art und Weise benutzt. Jansen schreibt ihm den

Terminus „dunkel“ zu. In Kombination mit einem gespaltenen Berg steht der

Schachbrettmusterberg hingegen wahrscheinlich für die Himmelsrichtung Norden.

Da im Fragmento allerdings der Schachberg alleine vorkommt, ist es

unwahrscheinlich, dass hier eine Himmelsrichtung gemeint ist. Die Bezeichnung

„Dunkler Berg“ oder „Dunkler Ort“, den Jansen für dieses Ortszeichen

vorgeschlagen hat, ist ein guter Anfang, dem Ortszeichen einen Namen zu geben.

Durch Jansens Forschung zu den Darstellungen der Himmelsrichtungen ist die

„Übersetzung“ des Schachbrettmusters mit „Dunkelheit“ durchaus

nachvollziehbar.

Die Inschrift NVSIHYA, welche auf den Ort Tetzoatlan in der Mixteca Baja

hindeutet, ist als Hinweis durch meine Untersuchung neu dazugekommen. Ob es

sich bei dem Ortszeichen wirklich um Tetzoatlan handelt, kann allerdings nicht mit

Sicherheit gesagt werden. Hierzu wären weitere Forschungen nötig, die eventuell

vorhandene Dokumente aus dem Ort und seiner Umgebung miteinschließen

müssten. Dennoch ist es ein Hinweis, der dabei behilflich sein könnte, die Identität

des Ortes zu entschlüsseln.

Abb. 40: Vindobonensis, S. 6.  

4. Das Fragmento de Nochistlan  

70

4.5.2. Personen

Im Folgenden werde ich die im Fragmento dargestellten Personen diskutieren.

Beginnend mit dem oberen Register von links nach rechts, dann das untere von

links nach rechts.

Oberes Register

Herr 8 Wind (ohne persönlichen Beinamen)

8 Wind ist der Kalendername einer herausragenden

Person, die in verschiedenen Codices vorkommt. In den

Codices Selden (5, III), Bodley (5-6, V) und Vindobonensis

(35a) trägt er den Beinamen 20 Adler. In Bodley und

Vindobonensis sind die Adler, die den Beinamen

darstellen, grau und im Selden ist der Adler rot. Im Codex

Nuttall (1-7) trägt er den Beinamen Feuersteinmesser

Adler (Flinted Eagle). In den verschiedenen Codices wird 8

Wind in Zusammenhang mit seiner dritten Frau, 10 Hirsch

Jaguar Quechquemitl, gezeigt. Aus diesem Grund wird

davon ausgegangen, dass es sich bei 8 Wind

Feuersteinmesser Adler und 8 Wind 20 Adler um dieselbe

Person handelt (Furst 1978:13). Der Codex Nuttall beginnt

mit der Geburt von 8 Wind aus der Erde und stellt ihn als eine Art Ahnengottheit

dar, welche in direktem Zusammenhang mit der Erde, also dem mixtekischen

Land, steht. So beziehen sich in den verschiedenen Dokumenten

Herrschaftsdynastien auf ihn als Vorfahren, um so die rechtmäßige Vorherrschaft

über das Gebiet zu demonstrieren (Furst 1977:208).

Herr 8 Wind aus dem Fragmento hat durchaus eine ähnliche Rolle inne. Er

tritt aus dem Ortszeichen heraus, wird also ebenfalls aus der Erde geboren und

wird hier als erster Ahne der Dynastie dargestellt. Nowotny sieht in der Person 8

Wind die einzige mögliche Verbindung zu anderen Dokumenten (Nowotny

1975:9). Smith (1979:34) und auch Jansen (1994:199) finden dies

unwahrscheinlich, da keines der üblichen Attribute des 8 Wind 20 Adler/

Feuersteinmesser Adler am Herrn 8 Wind aus dem Fragmento zu sehen ist.

Abb. 41: Herr 8 Wind. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.  

4. Das Fragmento de Nochistlan  

71

Da 8 Wind keinen Beinamen trägt, ist allerdings nicht zu sagen, ob es sich

tatsächlich um den bekannten Herrn 8 Wind Feuersteinmesser Adler/20 Adler

handelt. Wie schon erwähnt, wäre es möglich, dass sowohl 8 Wind wie auch 3

Blume aus dem unteren Register in den jeweils folgenden Paaren vorkommen.

Falls es sich also beim Mann des ersten Paares im oberen Register um 8 Wind

handeln sollte, so enthielte der Beiname die Details Wind und Juwel. Es würde

sich demnach nicht um den berühmten 8 Wind Feuersteinmesser Adler/20 Adler

handeln.

Nicht identifizierbarer Mann

Links neben 8 Wind in dem Gebäude sehen wir

einen Mann, dessen Kalendernamen wir nicht

erkennen können. Wir sehen lediglich im Fries des

Gebäudes etwas, was wie eine Ehecatl-Maske an

einer Juwelenscheibe aussieht. Weiter rechts im

Fries sind dann ein zweites Mal die „Lippen“ der

Ehecatl-Maske erkennbar. Vor diesem Mann

befindet sich die Glosse el cazique. Wie oben

erwähnt, könnte es sich um die Wiederholung des

Herrn 8 Wind handeln. Es könnte aber auch ein

Nachfahre des 8 Wind sein.

Frau 3 Haus Ñuhu der Pflanze und des Wassers

Die Frau des ersten Paares ist Frau 3 Haus. Ihr

Beiname setzt sich aus einem roten Kopf einer

Pflanze und evtl. einer Wasserwelle zusammen. An

der Pflanze sind ein Blatt und zwei Auswüchse

erkennbar, welche Blüten sein könnten. Jansen

identifiziert den roten Kopf als Symbol für das Wort

ñuhu = Gott. In Zusammenhang mit dem Wasser

ergibt sich das Wort ndutañuhu = Meer. Alternativ

bietet er die Beschreibung der Darstellungen als

Name an: Ñuhu der Pflanze und des Wassers

(Jansen 1994:203). Nowotny gibt der Frau den

Namen 3 Haus Wasserpflanze (Nowotny 1975:11).

Abb. 42: „el cazique“. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.  

Abb. 43: Frau 3 Haus Ñuhu der Pflanze und des Wassers. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.  

4. Das Fragmento de Nochistlan  

72

Wie in Kapitel 4.5.3. noch näher erläutert werden wird, kann die Wiederholung

des Tages des vorangehenden Datums im Kalendernamen der Frau darauf

hinweisen, dass hier die erste Herrscherin der Dynastie genannt wird (Jansen

1988:168).

Herr 12 Rohr Jaguar-(?)

Der Mann des zweiten Paares ist gänzlich zerstört. Lediglich Details des Namens

sind zu erkennen. Der Kalendername ist 12 Rohr. Der Beiname enthält das

Element Jaguar. Hier unterscheidet

sich meine Wahrnehmung ganz

entschieden von Nowotnys. Er nennt

als Kalendernamen 12 Jaguar und

sieht offenbar das unter der

Nummernreihe liegende Rohr nicht

(Nowotny 1975:11). Auch Jansen

nennt den Namen 12 Jaguar, wobei

aus seiner Literatur, wie bereits

erwähnt, nicht hervorgeht, dass er

das Original gesehen hat. Er bezieht

sich hier sehr wahrscheinlich nur auf

Nowotnys Angabe (Jansen

1994:203). Ich bin der Meinung, dass

das Rohr sichtbar ist, und bleibe

deshalb beim Namen 12 Rohr

Jaguar-(?).

  Nicht identifizierbare Frau

Die Frau des zweiten Paares ist nicht auszumachen, da diese Stelle des

Fragmentos stark beschädigt ist.

Herr (?) Kaninchen Schäumender Pulquekrug

Der Kalendername des Herrn enthält das Tageszeichen Kaninchen. Drei Punkte

sind zu erkennen, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass weitere Punkte vorhanden

waren. Der Beiname enthält ein Gefäß, aus dem eine sehr große runde

Schaumwolke hervorkommt. Der Schaum scheint von einem roten Band

Abb. 44: Namensglyphe 12 Rohr Jaguar. Aus: Fragmento de Nochistlan.  

Abb. 45: Namensglyphe 12 Rohr Jaguar. Aus: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.

 

4. Das Fragmento de Nochistlan  

73

eingefasst. Nowotny (1975:11) wie auch Jansen

(1994:203) erkennen einen Pulquekrug. Die

spezielle Form des Kruges hat mich nach

Vergleichsdarstellungen suchen lassen, da in

anderen mixtekischen Codices die Krüge eine

andere Form haben.

Abb. 47: Fragmento de Nochistlan.

Abb. 48: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.

Abb. 49: Nuttall, S. 28.

Abb. 50: Nuttall, S. 84.

Abb. 51: Bodley, S. 30, Bd. IV.

 Abb. 52: Vindobonensis, S. 25.

Abb. 53: Bodley, S. 30, Bd. V.

Abb. 54: Vindobonensis, S. 18.

 Abb. 55: Vindobonensis, S. 18.

Abb. 56: Vindobonensis, S. 45.

Abb. 57: Bodley, S. 36, Bd. II.

Die Darstellungen der Krüge, ob für Kakao, Pulque oder andere Inhalte

verwendet, sind in den verschiedenen Codices recht konform. Entweder sind sie

einfache runde Schalen oder Gefäße mit zwei/drei Füßen und evtl. noch einem

Haltegriff an jeder Seite. Der Krug im Fragmento hat eine abweichende Form. Der

Boden ist rund und an jeder Seite befinden sich zwei Auswüchse. Das rote Band,

welches im Fragmento die Schaumkrone umfasst, findet sich bei manchen

Abb. 46: Herr (?) Kaninchen Schäumender Pulquekrug. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.  

4. Das Fragmento de Nochistlan  

74

Krügen in anderen Codices am oberen Rand des Kruges. Manchmal liegen

Knochendorne, andere längliche Objekte, Messer oder Kakaoblüten oder –

bohnen auf dem Gefäß. Es konnte ebenfalls keine vergleichbare Abbildung für die

sehr große und runde Schaumkrone des Kruges gefunden werden.

Frau (?) Rohr Buntes Band-(Zahnreihe?)

Der Kalendername der Frau, die im oberen Register ganz rechts sitzt enthält 7

Punkte. Ob noch weitere folgen, ist nicht klar zu erkennen, da hier das Fragmento

beschädigt ist. So ist auch der persönliche Name nicht genau zu erkennen.

Deutlich hervor sticht das gewundene bunte Band über der Nummernreihe. Über

dem Band scheint es ein weiteres Detail zu geben, welches eine untere Zahnreihe

darstellen könnte.

Unteres Register

Herr 3 Blume (kein persönlicher Name vorhanden)

Aus dem zweiten Ortszeichen im unteren Register steigt Herr 3 Blume mit weit

ausgestreckten, zum Himmel weisenden Armen. Er trägt lediglich einen

Lendenschurz.

Abb. 58: Fragmento de Nochistlan.

Abb. 59: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.  

4. Das Fragmento de Nochistlan  

75

Herr (?) Blume

Der folgende Herr trägt das Detail Blume in seinem Namen. Ob es Teil des

Kalender- oder des persönlichen Namen ist, ist unklar. Demnach könnte es sich

um die Wiederholung des vorigen Herrn 3 Blume sein, was jedoch eine

Hypothese wäre. Er sitzt in einem Palast, unter dem die Glosse aniñe steht. Aniñe

heißt Palast im Mixtekischen und steht unmittelbar in Verbindung mit dem Palast

eines bestimmten Ortes. Gemeint ist also der Palast eines Adligen oder cacique

(vgl: Colombino XIII, 40-41) (Smith 1973:71). Nowotny geht an dieser Stelle davon

aus, dass hier die Hochzeit des eben aus dem Berg gestiegenen 3 Blume zu

sehen ist (Nowotny 1975:10).

Nicht identifizierbare Frau

Die Frau, die Herrn (?) Blume

gegenübersitzt, ist nicht

auszumachen, da diese Stelle des

Fragmentos stark beschädigt ist.

Nicht identifizierbarer Mann

Der Mann des zweiten Paares im

unteren Register ist fast gänzlich zerstört. Es ist kein

Name zu erkennen.

Frau 9 Rohr Himmels-(?)

Der persönliche Name von Frau 9 Rohr enthält ein

rechtwinkliges Himmelsband, aus dem etwas

Abb. 60: Herr 3 Blume. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.  

Abb. 61: Herr (?) Blume. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.  

Abb. 62: Nicht identifizierbare Frau. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.  

Abb. 63: Frau 9 Rohr Himmels-(?). Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.  

4. Das Fragmento de Nochistlan  

76

herunterfährt bzw. herausfällt. Jansen schlägt, ebenfalls mit einem Fragezeichen

versehen, einen Schmetterling vor (Jansen 1994:203).

Herr (?) Tod Sonnen-(?)

Von dem letzten Paar im Fragmento ist nur noch der

Mann zu erkennen. Die Frau muss auf einer folgenden

Seite abgebildet gewesen sein. Nowotny benennt das

Tageszeichen im Kalendernamen des Mannes als

malinalli, aztekisch für Gras (Nowotny 1975:10). Das

Tageszeichen besteht aus dem oberen Teil eines

Totenschädels. Man kann die Augenhöhle, das

Nasenbein und die obere Zahnreihe erkennen. Hier

scheint sich Nowotny geirrt zu haben, da dieses

Symbol sehr klar das Tageszeichen Tod darstellt und

nicht das Tageszeichen Gras. Gras wird meist durch

einen knöchernen Unterkiefer dargestellt, aus dem

Gras wächst und manchmal noch ein Auge an einem

„Stiel“ hervorkommt. Es ist etwas verwunderlich, dass Nowotny dieses

Tageszeichen falsch einordnet, da er in seiner Analyse des Codex Becker II ein

fast identisches Zeichen, korrekt als Tod bezeichnet hat (Nowotny 1957:178).

 

 

 

Der Beiname des Herrn ist nicht deutlich zu erkennen. Nowotny und

Jansen sind sich einig, dass eine Sonnenscheibe ein wesentliches Detail ist. Über

dass, was unten aus der Scheibe heraustritt, schweigt Nowotny. Jansen schreibt:

Abb. 65: Fragmento de Nochistlan. Der Kalendername 3 Tod.  

 

Abb. 66: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.  

 

Abb. 67: Selden, S. 1, Bd. II. Das Tageszeichen Gras.    

 

Abb. 68: Becker II, S. 2 (Umzeichnung von Nowotny, 1975.) Das Tageszeichen Tod.  

Abb. 64: Herr (?) Tod Sonnen-(?). Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.  

4. Das Fragmento de Nochistlan  

77

„el Señor ? Muerte, Cabeza (?) del Sol“ (Jansen 1994:203). Er vermutet also

einen Kopf unter der Sonnenscheibe.

Um dem näher nachzugehen, folgen einige Vergleichsabbildungen. Dies

sind Köpfe von Tlaloc oder Ñuhu aus verschiedenen Dokumenten. Die aus dem

Mund kommenden langen Fortsätze des im Fragmento dargestellten Kopfes

deuten eher auf einen Tlaloc hin, da Ñuhus meist kleine gebogene Reißzähne

haben. Das runde Auge hingegen findet sich eher bei den Ñuhus wieder. Tlaloc

hat zwar häufig einen Ring um das Auge, das Auge selbst ist aber halb

geschlossen.

Zusammenfassung

Ein Problem bei der Untersuchung der Personen und den Vergleichen mit

Personen in anderen Codices ist die oftmals starke Beschädigung der Kalender-

und Beinamen. Sie sind größtenteils nicht klar erkennbar.

Soweit sie benannt werden konnten, stellte sich aber heraus, dass keine

der hier abgebildeten Personen in anderen Codices wiederzufinden sind. Die

einzige Person, welche Ähnlichkeiten mit einer bereits bekannten Person

aufweist, ist Herr 8 Wind. Der Kalendername und die Rolle als halb-mythischer

Ahne, welcher der Erde entsteigt, könnten ein Hinweis auf Herrn 8 Wind 20

Adler/Feuersteinmesser Adler sein. Da bei 8 Wind aus dem Fragmento aber kein

Beiname erkennbar ist und er auch sonst keine Attribute des berühmten 8 Wind

trägt, ist die Übereinstimmung beider Personen unwahrscheinlich.

Abb. 69: Selden, S. 3, Bd. III. Detail wurde um 90° nach rechts gedreht. Tlaloc-Motiv.

Abb. 70: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung.  

Abb. 71: Bodley, S. 23, Bd. III. Tlaloc-Motiv.  

Abb. 72: Bodley, S. 16, Bd. II. Detail wurde um 90° nach rechts gedreht. Ñuhu-Motiv.  

Abb. 73: Bodley, S. 15, Bd. V. Detail wurde um 90° nach rechts gedreht. Ñuhu-Motiv.  

4. Das Fragmento de Nochistlan  

78

4.5.3. Daten

Im Fragmento de Nochistlan gibt es zwei Angaben von Daten. Auf der oberen

Bildhälfte befindet sich das Datum Jahr 7 Kaninchen, Tag 3 Haus. Auf der unteren

Bildebene erscheint das Datum Jahr 1 Rohr, Tag 1 Alligator. Beide Daten folgen

auf ein Ortszeichen.

Im Codex Vindobonensis, auf den Seiten 47-38 (Vorderseite), wird gezeigt,

wie Herr 9 Wind den Himmel anhebt/trägt. Darunter erscheinen Ortszeichen mit

Datumsangaben. Es ist durchaus ein Konsens in der wissenschaftlichen

Diskussion, dass es sich bei den Daten um die Gründungsdaten der jeweiligen

Orte handelt (Jansen 1988:163). Es ist also auch hier davon auszugehen, dass

mit den Daten die Gründung der beiden Orte bzw. die Gründung der dort

ansässigen Dynastie beschrieben wird.

Es bleibt dann zu klären, ob die Daten in unsere Zeitrechnung übertragbar

sind oder ob es sich um Daten handelt, die mit anderen Werten und Inhalten

belegt sind als die reine Wiedergabe einer bestimmten Zeit. Viele Forschungen zu

diesem Thema unterscheiden zwischen realen und mythologischen Daten (Furst

1978, Marcus 1992, Troike 1978). Diese Aufteilung macht in unseren

Kulturkreisen durchaus Sinn. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Mixteken

selbst auch in diesen Kategorien gedacht haben. Für sie waren die

mythologischen Daten vielleicht weitaus wahrhafter und wichtiger als diejenigen,

die wir mit Historizität belegen möchten. Ich werde mich im folgenden Maarten

Jansen anschließen, der von andauernder Zeit (durational time) und nicht-

andauernder Zeit (non-durational time) spricht (Jansen 1988:159). Damit entfällt

eine Wertigkeit im Sinne von real versus mythologisch und es wird neutral

zwischen den Daten unterschieden, die in die Chronologie von Rabin passen, und

denen, die aus der Chronologie herausfallen und von denen vermutet wird, dass

sie auf einer anderen Ebene als der puren Zeitvermittlung funktionieren.

Jansen hat weiterhin herausgefunden, dass bestimmte Orte in

verschiedenen Codices in Kombination mit bestimmten Daten vorkommen, und

nennt dies place-date-combination. Einem bestimmten Ort wird ein bestimmtes

Datum zugeordnet und diese Kombination taucht wiederholt auf, wenn es um die

Geschehnisse in dem Ort geht. Dies unterstützt die bereits stehende These, dass

hier Daten vorliegen, welche sich auf die Gründung der Dynastien dieser Orte

beziehen und als solches dem zeremoniellen Leben des Ortes zugeschrieben

4. Das Fragmento de Nochistlan  

79

sind und keinem bestimmten Moment in der Chronologie. Jansen sieht in diesen

place-date-combinations visuelle Beispiele von nicht-andauernder Zeit in der

Geschichtsschreibung (Jansen 1988:168). Die Gründungsdaten hatten eine

Bedeutung für das rituelle Leben der Dynastien und deren Bevölkerung,

vergleichbar mit den Kalendernamen der Personen, die angeben, wann sie

geboren wurden (Jansen 1988:172). Oftmals wiederholen sich auch Teile der

Gründungsdaten im Kalendernamen einer Person des Gründungspaares (Jansen

1988:168). Da dies beim Datum Jahr 7 Kaninchen, Tag 3 Haus der Fall ist, im

folgenden Paar sitzt Frau 3 Haus, liegt hier ein weiterer Hinweis vor, dass es sich

bei diesem Datum um ein nicht-andauerndes Datum handeln könnte, welches die

Gründung der Dynastie angibt.

Bestehende Ansätze zum Thema Daten im Fragmento

Nowotny war der Ansicht, es könnte sich beim Datum Jahr 7 Kaninchen Tag 3

Haus um das Geburtsdatum von Frau 3 Haus handeln (Nowotny 1975:11). Das

Datum Jahr 1 Rohr, Tag 1 Alligator sieht er als Datum andauernder Zeit, welches

seiner Rechnung nach, unter Bezugnahme auf Casos Chronologie, dem Jahr 832

+- 52 Jahren entspricht (Nowotny 1975:10).

Jansen sieht das Datum   Jahr 1 Rohr, Tag 1 Alligator als ein Symbol für

den Beginn der Zeit. Auch das Datum Jahr 7 Kaninchen Tag 3 Haus sieht er als

heilig an (Jansen 1994:203).

Smith äußert sich in ihrem Artikel nicht über die Daten im Fragmento.

Andauernde Zeit

Der Durchbruch in der Datierung der mixtekischen Codices gelang Alfonso Caso

mit der Mapa de Teozacoalco. Wichtig dafür war die Korrelation des mixtekischen

zum aztekischen Kalender. Bei der Interpretation der Mapa de Teozacoalco

gelang es Caso, anhand von Personen, die in der frühen Kolonialzeit in

verschiedenen spanischen Dokumenten sowie auch in verschiedenen Codices

vorkamen, in der Zeit zurückzurechnen. Für das 15. und 16. Jahrhundert waren

die Daten in nachvollziehbarer Weise gültig, aber je weiter er in der Zeit zurück

ging, desto unsicherer wurden seine Angaben, wie er selbst zur Diskussion stellte

(Caso 1977:39).

4. Das Fragmento de Nochistlan  

80

Casos Korrelation wurde Anlass zu vielen Debatten und Korrekturen; heute

akzeptieren die meisten Wissenschaftler die Revisionen, die von Emily Rabin

vorgeschlagen wurden. Man kann die mixtekische Geschichtsschreibung vor der

spanischen Eroberung in zwei Hauptphasen teilen: einmal die Zeitspanne

zwischen dem Leben des 8 Hirsch Jaguarkralle und der Eroberung durch die

Spanier und einmal die Zeitspanne von der Gründung der ersten Stadtstaaten bis

hin zum Leben des 8 Hirsch. Die Daten in der Spanne zwischen dem Leben von 8

Hirsch und der spanischen Eroberung sind, mit Ausnahmen kleinerer

Unstimmigkeiten, relativ gesichert (Jansen 1990:107). Rabin korrigierte diese

Zeitspanne um einen Kalenderzyklus nach hinten. Somit würde die Lebzeit von

Herrn 8 Hirsch nicht mehr wie von Caso angenommen auf 1011-1063 fallen,

sondern auf 1063-1115 (Jansen 1990:108).

Für die Untersuchung der Daten im Fragmento werde ich die Korrelation

von Bruce Byland und John Pohl heranziehen, die sie basierend auf Emily Rabins

Forschungen erstellt haben (Byland/Pohl 1994:233-264).

Obwohl die Vermutung besteht, dass es sich bei beiden Daten im

Fragmento um nicht-andauernde Daten handelt, möchte ich trotzdem im Falle

Jahr 7 Kaninchen, Tag 3 Haus die Möglichkeit eines andauernden Datums in

Betracht ziehen. Dieses bestimmte Datum kehrt im Kreislauf der Kalenderrunden

alle 52 Jahre wieder, demnach ergeben sich sehr viele Möglichkeiten der

Übertragung in den gregorianischen Kalender (z.B. ...1058, 1110, 1162, 1214,

1266, 1318, 1370, 1422, 1474...). Um genau festzulegen, um welches dieser

Jahre es sich handeln könnte, bräuchte man einen Anhaltspunkt, wie z.B. eine

bestimmte Person, welche im Fragmento vorkommt und auch in einem anderen

Dokument. Sofern diese Person in dem anderen Codex in einem zeitlichen

Zusammenhang stünde, könnte man diesen dann auf das Fragmento übertragen.

Da Personen allerdings sehr häufig die gleichen Kalendernamen haben, müsste

ebenso der persönliche Name identisch sein, um sicher zu gehen, dass es sich

auch wirklich um die gleiche Person handelt.

Weil es sich bei der Szene um eine Dynastiegründung in einem

bestimmten Ort handelt, könnte man über die Identifizierung des Ortszeichens

vielleicht ebenfalls weitere Hinweise aus anderen Dokumenten gewinnen.

4. Das Fragmento de Nochistlan  

81

Nicht-andauernde Zeit

Alfonso Caso war der Erste, der in dem Datum Jahr 1 Rohr, Tag 1 Alligator ein

Datum vermutete, welches in thematischem Zusammenhang mit Anfängen und

Ursprüngen steht.

In ihrem Artikel „The Year 1 Reed, day 1 Alligator: A Mixtec Metaphor“

untersuchte Jill Furst dieses Datum genauer und fand heraus, dass es vor allem

im Zusammenhang mit der Anpflanzung von Mais, der Erschaffung der Welt und

in genealogischen Dokumenten, wie z.B. dem Codex Nuttall, auftaucht, wenn

halb-mythologische Figuren geboren werden, mit denen eine neue Geschichte

anfängt bzw. eine neue Dynastie gegründet wird (Furst 1978:117). Als generelles

Symbol für den Neubeginn macht das Datum darüber hinaus Sinn, da das Jahr 1

Rohr das Erste im 52-Jahre-Zyklus ist und der Tag 1 Alligator der erste Tag im

260-tägigen Kalender (Furst 1978:123).

Mark B. King hat die Theorie aufgestellt, dass die Jahresangabe ein

Ausspruch einer Person ist bzw. die folgende Handlung beschreibt. Er sieht die

Jahresangabe als eine Art Beschriftung der Bilder in den Fällen, wo sie nicht-

kalendarisch, also nicht-andauernd, sind. Er neigt sich also von der

metaphorischen Bedeutung der Kalenderdaten hin zu einer „Übersetzung“ der

Worte (King 1990:144).

Positionierung der Daten

Es stellt sich die Frage, inwiefern die Anordnung der Daten innerhalb der

Gesamtkomposition der Darstellungen bedeutend ist. Wie oben angemerkt,

besteht die Vermutung, dass es sich aufgrund der Folge Ortszeichen – Datum um

ein Gründungsdatum handelt. Die Wiederholung der Tagesangabe im Namen der

folgenden Frau unterstützt dies. Es sollte dennoch auf den Unterschied beider

Positionen hingewiesen werden.

Auf der oberen Bildhälfte folgt das Datum auf die Erscheinung des Herrn 8

Wind aus dem Ortszeichen. Hinter dem Datum ist eine Hochzeitsszene

dargestellt.

Auf der unteren Bildhälfte haben wir zwei Ortszeichen, zwischen denen

das Datum erscheint. Dem zweiten Ortszeichen entsteigt Herr 3 Blume. Durch die

Stellung des Datums erscheint es einleuchtend, dass hier die Szene des

4. Das Fragmento de Nochistlan  

82

Heraussteigens/Geborenwerdens datiert wird. Es ist fast wie bei einem Comic-

Strip intuitiv zu verstehen: Erst das „leere“ Ortszeichen, dann das Datum, dann

die Geburtsszene. Wenn man diese Leserichtung, und auch damit die kausale

Verkettung auf die obere Bildhälfte überträgt, ergibt sich eine Verschiebung des

Sinngehaltes: Demnach würde oben das Datum der Hochzeit angegeben werden.

Daraus würde sich wiederum die Frage stellen, ob es einen Unterschied machen

würde, denn die Gründung einer Dynastie wurde letztendlich in der Vermählung

zweier königlicher Nachfahren besiegelt, welche mit ihrer Zusammenkunft die

neuen Herrscher produzierten. Vielleicht liegt in dieser Überlegung sogar die

Erklärung für die unterschiedlichen Positionierungen. Unten wird mit dem

Anfangsdatum beschrieben, wie der halb-göttliche Ahne der Erde entsteigt. Erst

darauf folgt die Hochzeit. Oben hingegen wird mit dem Datum angegeben, wie

nach der Entsteigung des halb-göttlichen Ahnen eine Heirat die Gründung der

neuen Dynastie besiegelt. Dies würde auch eine Verschiebung der Bedeutung

des Inhaltes veranlassen. Unten würde durch das Datum eher der Bezug zum

Ahnen in den Vordergrund gestellt, oben hingegen würde dieser vorausgesetzt

und es würde das Augenmerk auf die eigentliche Gründung der Dynastie gelegt.

Dies sind allerdings nur vage Überlegungen.

Zusammenfassung

Das Datum Jahr 1 Rohr, Tag 1 Alligator ist aufgrund der zahlreichen

Untersuchungen eindeutig einer nicht-andauernden Zeit zuzuordnen, da es als ein

Datum gilt, welches symbolisch für einen Anfang steht. Die Platzierung

unmittelbar nach dem Ortszeichen deutet darüber hinaus darauf hin, dass es sich

um das Gründungsdatum der Dynastie des Ortes handelt.

Das Datum Jahr 7 Kaninchen, Tag 3 Haus folgt wieder auf die Darstellung

des Ortszeichens. Weiterhin deutet hier die Wiederholung des Tageszeichens 3

Haus im Namen der darauffolgenden Frau ebenfalls auf ein solches

Gründungsdatum hin. Eine Zuordnung in der Chronologie kann nur durch eine

Verbindung mit anderen Dokumenten erfolgen und erst dann letztendlich

nachvollzogen werden, ob die Zuordnung Sinn macht oder ob es sich wirklich um

ein Datum der nicht-andauernden Zeit handelt. Deswegen kann auch die

Diskussion, ob es sich um das Datum der Geburtsszene oder der Hochzeitsszene

handelt, nicht abgeschlossen werden.

5. Ergebnisse  

83

5. Ergebnisse

5.1. Neue Erkenntnisse

Abzeichnung

Bisher gibt es lediglich vier Abbildungen des Fragmentos, die veröffentlicht

worden sind.

Das Erste ist ein farbiges Foto, welches in der Erstveröffentlichung von

Nowotny (1975) zu sehen ist. Dieses gibt Aufschluss über den Aufbau und den

Gesamteindruck des Fragmentos, aufgrund mangelnder Qualität und Größe sind

allerdings Details nicht klar erkennbar.

Im „Handbook of Middle American Indians“ von 1975 wurde im Anhang

eine schwarz-weiße Fotografie des Fragmentos beigefügt. Hier wird bestenfalls

nur ein schemenhafter Eindruck des Dokumentes vermittelt.

In ihrem Artikel „Codex Becker II: A Manuscript from the Mixteca Baja?“

(1979) hat Mary E. Smith zwei Ausschnitte des Fragmentos in Umzeichnungen

abgebildet. Dies sind die Ortszeichen aus dem oberen und dem unteren Register.

Die Umzeichnungen sind lediglich nachempfunden und keinesfalls akkurat. Bei

den Inschriften innerhalb der Ortszeichen hat sie ihre eigene subjektive

Interpretation abgebildet, was durchaus ein Problem darstellt, da man diese im

Original nicht sehen kann.

Im Kommentar von Maarten Jansen (1994) wurde ebenfalls nur eine

schwarz-weiße Fotografie abgedruckt, auf der schwer sichtbare Details

verschwinden. In diesem Fall war zu spüren, wie sich das Fehlen einer

brauchbaren Abbildung auf die Untersuchung auswirkte. Jansen hat das

Fragmento nicht im Original gesehen und die ihm zur Verfügung stehenden

Arbeitsmittel haben ihn bestimmte Details nicht sehen lassen.

Die Abbildung eines Dokumentes stellt die Grundlage und den Ausgangspunkt für

seine Erforschung dar. Die mangelhaften veröffentlichten Abbildungen des

Fragmento de Nochistlan haben es unumgänglich gemacht, eine gründliche

Umzeichnung anzufertigen.

Mit Unterstützung des Museums für Völkerkunde Hamburg, die mir eine

großformatige und hoch aufgelöste digitale Aufnahme zur Verfügung stellten und

5. Ergebnisse  

84

mich das Original unter einer beleuchteten Lupe ansehen ließen, war es mir

möglich, eine sehr genaue Umzeichnung des Fragmentos anzufertigen. Natürlich

sind bei der Erstellung der Umzeichnung die vorangehenden Forschungen mit

eingeflossen. So ist eine Art Synthese entstanden von dem, was ich gesehen

habe, und von dem, was die Wissenschaftler vor mir gesehen haben. Die daraus

entstandene Umzeichnung bildet eine solide Grundlage und einen guten

Ausgangspunkt für weitere Forschungen.

UV-Licht-Analyse

Die Untersuchung des Fragmentos unter UV-Licht brachte eine zuvor nicht

gesehene Inschrift zutage. „NVSIHYA.“ steht auf dem zweiten Ortszeichen im

unteren Register. Im Ortsverzeichnis von de los Reyes wird für Nusihiya der

aztekische Name Tezoatlan aufgeführt (Reyes 1889:90).

Ob dies nun die endgültige Identifizierung des Ortszeichens ist, ist fraglich,

da auch andere Ansätze infrage kommen. Dennoch liegt hier ein neuer Hinweis

auf die Identifizierung des Ortes vor, der unbedingt weitergehend untersucht

werden muss.

5.2. Zusammenfassung der Interpretation

Das Fragmento de Nochistlan fügt sich thematisch und stilistisch gut in die Riege

der mixtekischen Codices ein. Es wird angenommen, dass es, wie manche der

anderen Codices auch, eine kolonialzeitliche Abschrift eines älteren Dokumentes

ist. So lassen sich kleine stilistische Abweichungen, wie zum Beispiel das

Auftreten von Augenbrauen erklären.

Die Hauptaussage des Fragmentos ist eindeutig genealogischer Art. Es

sind zwei Herrscherdynastien abgebildet, die jeweils mit ihren Urahnen beginnen,

welche aus der heiligen Erde steigen. Diese Vorkommnisse verbinden die

Abstammungslinien direkt mit dem Land, auf dem sie leben, und bilden somit eine

emotionale und traditionsreiche Verbindung zum Land, gleichzeitig aber auch

einen grundlegenden Besitzanspruch. Die Erde, aus der die Urahnen steigen, ist

mit einem Ortszeichen dargestellt.

5. Ergebnisse  

85

Es folgen die einzelnen Herrscherpaare, wobei der Mann des folgenden Paares

immer der älteste Sohn des vorigen zu sein scheint. So wurden im Fragmento die

Herrscherlinien zweier Ortschaften festgehalten.

Da sehr früh die stilistische und strukturelle Ähnlichkeit zum Codex Becker

II festgestellt wurde, besteht die Frage, ob beide Fragmente zu einem Codex

gehörten. Dies ist auf der einen Seite sehr wahrscheinlich, auf der anderen Seite

aber nicht sichergestellt. Der Codex Becker II ist, wie das Fragmento, zweigeteilt

in ein oberes und ein unteres Register. Die Haupterzählung befindet sich im

unteren Register, lediglich Anmerkungen bezüglich der Töchter sind oben

dargestellt. Bedeutet dies, dass hier die Dynastie des unteren Registers aus dem

Fragmento weitergeführt wurde? Nicht unbedingt, da wir nicht wissen, ob auf den

eventuell fehlenden Seiten zwischen beiden Fragmenten etwa noch eine andere

Ortschaft eingeführt wurde, deren Dynastie im Codex Becker II fortläuft. Abhilfe

könnte hier nur geschaffen werden, wenn noch weitere Dokumente auftauchen

oder wenn es eine sichere Identifikation der Orte geben würde. Dann könnte man

gezielt in der Geschichte der Orte nach Indizien zu den dargestellten Personen

suchen. Jansen gelang eine zeitliche Einordnung des Becker II über eine Person,

welche im Becker II und in einem kolonialzeitlichen Dokument, dem Códice de

Tecomaxtlauaca, vorkommt. So konnte er die Aussage treffen, dass das letzte

Paar des Becker II ca. Mitte des 16. Jh. gelebt haben muss (Jansen 1994:197).

Für die zeitliche Einordnung des Fragmentos hilft uns dies nicht, da uns ein

Verbindungsstück unbekannter Länge fehlt. Smith ist der Ansicht, dass Becker II

aus der Mixteca Baja stammt, da im Dokument verschiedene Orte der Mixteca

Baja genannt werden, mit denen der Herkunftsort des Becker II

Heiratsverbindungen eingegangen ist (Smith 1979:41).

Die Identifikation der Ortschaften des Fragmentos hat allen

Wissenschaftlern, die es untersucht haben, Schwierigkeiten bereitet. Das obere

Ortszeichen bleibt weitestgehend unbekannt. Die wagen Vermutungen, die

darüber geäußert wurden, konnten schnell wieder verworfen werden. Für das

untere Ortszeichen gibt es mehrere Ansätze. Wegweisend hierfür ist die Inschrift

innerhalb des Ortszeichens: NVNAA. Nowotny (1975:10) folgt einer früh

aufgenommenen Liste von Ortschaften aus dem Katalog von Martinez Gracida.

Hier wird ñuñaa als mixtekischer Name des Ortes San Pedro Cantaros aufgeführt.

Diese Herleitung erscheint sehr stichhaltig und eindeutig. Allerdings kommt, wie

Caso (1977:114) und Smith (1979:33) anführen, aus diesem Ort schon ein

5. Ergebnisse  

86

anderes Dokument, der Codex Muro. Wenn beide Dokumente hierher stammen,

müsste es inhaltliche Übereinstimmungen geben, die aber nicht gegeben sind.

Jansen gibt dem Ortszeichen den Namen „Dunkler Ort“. Er zeigt die Möglichkeit

auf, dass es sich bei beiden Ortszeichen um allgemeingültige Symbole handeln

könnte: oben um ein Symbol für Stadt und unten um ein Symbol für die

Himmelsrichtung Norden. Da aber bestimmte Genealogien folgen, scheint diese

Möglichkeit wenig einleuchtend.

Bei meiner Untersuchung des Fragmentos unter UV-Licht erschien die

bisher nicht gesehene Inschrift NVSIHYA innerhalb des unteren Ortszeichens. Im

Ortsverzeichnis von de los Reyes wird unter diesem Namen der Ort Tetzoatlan in

der Mixteca Alta aufgeführt. Dieser neue Hinweis sollte unbedingt weitergehend

untersucht werden. Ob er letztendlich das Rätsel um die Ortschaft löst, ist nicht

absehbar. Weiterhin würde auch der obere Ort unbekannt bleiben. Hier war die

Ähnlichkeit zu einem Ortszeichen im Codex Selden ersichtlich, welche eine

Perspektive für weitere Forschungen bietet.

Die im Fragmento vorkommenden Personen konnten in den anderen

mixtekischen Codices nicht wiedergefunden werden. Nowotny wies auf die

Übereinstimmung des Kalendernamens des Herrn 8 Wind mit dem mixtekischen

Kulturbringer 8 Wind 20 Adler/Feuersteinmesser Adler hin. Da allerdings 8 Wind

im Fragmento keinen Beinamen trägt, ist seine Identifizierung als 8 Wind 20

Adler/Feuersteinmesser Adler nicht möglich und auch wenig wahrscheinlich. Der

schlechte Erhaltungszustand der Namen im Fragmento machte die Identifizierung

der Personen nicht einfacher.

Die im Fragmento angegebenen Daten entstammen sehr wahrscheinlich

der nicht andauernden Zeit und benennen die Gründungen der Dynastien der

jeweiligen Orte. Das Datum Jahr 1 Rohr, Tag 1 Alligator ist ein gängiges Symbol

für einen Anfang. Thematisch passt dies zu der dargestellten Szene.

Zum Abschluss dieser Arbeit möchte ich auf ein weiteres Problem

hinweisen, welches mir während meiner Untersuchungen begegnet ist. Der von

Smith (1979) verfasste Artikel enthielt zum einen fehlerhafte Angaben und zum

anderen wurde hier deutlich, wie eine subjektive Darstellungsweise die gesamte

Forschung zu einem Thema verfälschen kann. Smith schlägt für die Identifizierung

des Ortszeichens im unteren Register den Ort Santos Reyes Yucuna vor, belegt

diese Vermutung allerdings unzureichend (Smith 1979:32). Diese ungesicherte

Annahme einer, zurecht, sehr anerkannten Wissenschaftlerin wurde dann in die

5. Ergebnisse  

87

Liste der Codices bei Hill Boone und Mignolo (2000) aufgenommen. In deren

einführendem Werk zu den mixtekischen und aztekischen Dokumenten „Stories in

Red and Black“ steht nun eine ungesicherte, nicht nachvollziehbare Information

über den Herkunftsort der Fragmente Nochistlan/Becker II. Das erscheint mir sehr

problematisch.

5.3. Ausblick

Bei der Erstellung der vorliegenden Magisterarbeit wurde mit erneut klar, wie

begrenzt das Wissen über die mixtekischen Bilderhandschriften und deren

Bedeutung weiterhin ist.

Bei der Bearbeitung des Fragmentos fielen vor allem die folgenden

Themen auf, die noch weiterer Untersuchungen bedürfen.

Materialanalyse

Die heutige Wissenschaft bietet zahlreiche Analysemethoden für organische

Materialien, um deren Alter zu bestimmen oder eine Übereinstimmung mit

anderen Materialien zu belegen. Eine genaue Analyse der im Fragmento

verwendeten Tinten wäre sinnvoll um eine genauere Differenzierung der

verschiedenen Handschriften und deren Alter herauszustellen. Eine

Materialbestimmung der Schreibunterlage und deren Altersbestimmung wären

ebenfalls grundsätzliche Informationen, die über solche Analysemethoden zu

ermitteln wären. Es müssten zunächst geeignete Methoden ausgewählt werden,

um danach deren Aussichten auf neue Erkenntnisse gegenüber dem finanziellen

Aufwand und der absichtlichen Beschädigung des Fragmentos abzuwägen.

Gesten

In der vorliegenden Arbeit habe ich die Bearbeitung des Themas auf die Gesten

im Fragmento beschränkt. Die Geste der geborenen Personen, mit weit

ausgebreiteten Armen, könnte codex-übergreifend noch genauer untersucht

5. Ergebnisse  

88

werden. Einleitend könnte man die verschiedenen Formen von

Geburtsdarstellungen (z.B. aus der Erde steigend oder durch eine

Nabelschnurverbindung) herausarbeiten und untersuchen, ob die Form der

Darstellung in Verbindung zur Szene, in der sie vorkommt, steht. Falls die Gesten

sich einem Muster anpassen würden, könnte man darüber hinaus herausfinden,

ob sie auch in anderen Szenen, welche nicht direkt mit Geburt zu tun haben,

verwendet werden, um vielleicht ein Konzept von Neubeginn oder Anfang zu

vermitteln.

Ortszeichen

Beim Themengebiet Ortszeichen sollte man die verschiedenen Abbildungen der

Orte in weiteren Kreisen vergleichen, als nur in anderen mixtekischen Codices.

Hier bilden die kolonialzeitlichen Dokumente aus der Mixteca einen großen

Quellenfundus. Zur weiteren Untersuchung der im Fragmento erhaltenen

Ortszeichen können die vorhandenen Lienzos nach vergleichbaren Darstellungen

untersucht werden. Viele Lienzos sind publiziert, etliche weitere allerdings noch

nicht. In diesem Zusammenhang wäre eine Forschungsreise überaus sinnvoll, um

in den lokalen Archiven nach mehr Material und Informationen zu fahnden.

Aber auch im Vergleich mit anderen mixtekischen Codices scheinen noch

weitere Untersuchungen der Ortszeichen angebracht. Dies wurde deutlich, als die

Ähnlichkeit des Ortszeichens im oberen Register mit einem bislang unbekannten

Ort im Codex Selden auffiel. Die Vernetzung der einzelnen Codices als

übergreifendes Thema bietet reichlich Anlass zu weiteren Untersuchungen.

Um dem Pfad, den die neu gesehene Inschrift NVSIHYA aufgezeigt hat, zu

folgen, müsste man die Dokumente, die eventuell in und um Tetzoatlan

vorhanden sind, aufsuchen und nach Übereinstimmungen suchen. Dann könnte

man mit mehr Bestimmtheit sagen, ob das Ortszeichen das von Tetzoatlan ist und

damit eventuell sogar, ob das Fragmento de Nochistlan von dort her kommt.

5. Ergebnisse  

89

Hochzeit vs. Besuchsszene

Bei der inhaltlichen Analyse trat ein weiteres Problem auf, welchem man eine

detaillierte Untersuchung widmen kann. Im unteren Register des Fragmentos sitzt

sich das erste Paar auf zwei verschieden Untergründen gegenüber. Dadurch

unterscheiden sie sich von allen anderen Paaren im Fragmento und im Codex

Becker II. Normalerweise wird eine solche Szene als Besuchsszene interpretiert.

Das würde allerdings im Falle des Fragmentos wenig Sinn machen. Hier bietet

sich eine weitere Gelegenheit, mit einer genauen Untersuchung anzusetzen und

codex-übergreifend eine Studie zu sitzenden Gruppen zu erstellen.

6. Anhang  

90

6. Anhang

6.1. Literaturverzeichnis

Acuña, René (Hg.)

1984 Relaciones Geográficas del siglo XVI: Antequera. 2 vols. Universidad

Nacional Autónoma de México, México.

Alvarado, Francisco de

1963 Vocabulario en lengua mixteca, hecho por los padres de la orden de

predicadores que residen en ella, y últimamente recopilado y acabado por

el padre ... Vicario de Tamazulapa, de la misma orden. Instituto Nacional

Indigenista - Instituto Nacional de Antropología e Historia, México. (1593)

Anders, Ferdinand; Maarten Jansen; Gabina Aurora Pérez Jiménez

1992 Origen e Historia de los Reyes Mixtecos, libro explicativo del llamado

Códice Vindobonensis. Fondo de Cultura Económica, Mexico.

Bußmann, Hadumod (Hg.)

2008 Lexikon der Sprachwissenschaft. Alfred Kröner Verlag, Stuttgart.

Byland, Bruce E. und John M. D. Pohl

1990 Mixtec Landscape Perception and Archaeological Settlement Patterns. In:

Ancient Mesoamerica, 1 (1990), S. 113-131.

1994 In the Realm of 8 Deer. University of Oklahoma Press, Norman.

Caso, Alfonso

1949 El Mapa de Teozacoalco. In: Cuadernos americanos, 5. Ed. Cultura,

Mexico.

1960 Codex Bodley, Commentary. Sociedad Mexicana de Antropología, México.

1964 Interpretación del Códice Selden 3135 (A. 2). Sociedad Mexicana de

Antropología, México.

1977-1979 Reyes y Reinos de la Mixteca. 2 Bd. Fondo de Cultura Económica,

México.

6. Anhang  

91

Castellanos, Abraham

1910 El Rey Iukano y los Hombres del Oriente. Leyenda indígena inspirada en

los restos del „Códice Colombino“. A. Carranza e Hijos, México.

Cline, Howard F. (vol. edt.); Charles Gibbon, H. B. Nicholson (ass. vol. edts.)

1975 Handbook of Middle American Indians, Vol 14, Guide to Ethnohistorical

Sources, Part three. University of Texas Press, Austin, London.

Espinoza, Verenice Y. Heredia

2007 Cities on Hills: Classic Society in Mesoamerica’s Mixteca Alta.

Archeopress, Publishers of British Archeological Reports, Oxford.

Flannery, Kent; Joyce Marcus

1983 An Introduction to the Late Postclassic. In: Flannery, Kent V.; Joyce

Marcus (Hg.): The Cloud People – Divergent Evolution of the Zapotec and

Mixtec Civilisations. Academic Press, New York. S. 217-226.

Furst, Jill

1977 The Tree Birth Tradition in the Mixteca, Mexico. In: Journal of Latin

American Lore 3:2 (1977), S. 183-226.

1978 The Life and Times of 8 Wind „Flinted Eagle“. Alcheringa 4(1): S. 2-37.

García, Gregorio

1981 Origen de los Indios del Nuevo Mundo. Fondo de Cultura Económica,

México. (1607)

Herrera y Tordesillas, Antonio de

1947 Historia General de los Hechos de los Castellanos en las Islas y Tierra

firme del Mar Océano 6. Academia de la Historia, Madrid.

Hill Boone, Elizabeth; Walter D. Mignolo

1994 Writing without words: Literacies in Mesoamerica and the Andes. Duke

Univ. Press, Durham.

2000 Stories in Red and Black. Austin University Press. Austin, Texas.

6. Anhang  

92

Jansen, Maarten

1983 Huisi Tacu: Estudio Interpretativo de un Libro Mixteco Antiguo; Codex

Vindobonensis Mexicanus 1. CEDLA incidentele publicaties, 24. Leiden,

Rijksuniv., Diss.

1988 Dates, Deities and Dynastiesm non-durational time in Mixtec

historiography. In: Maarten Jansen; Peter van der Loo; Roswitha Manning

(Hg.): Continuity and Identity in Native America: Essays in Honor of

Benedikt Hartmann. E. J. Brill, Leiden. S. 156-192.

1990 The Search for History in Mixtec Codices. In: Ancient Mesoamerica, 1

(1990), 99-112. Cambridge University Press.

1994 La Gran Familia de los Reyes Mixtecos. Libro explicativo de los códices

llamados Egerton y Becker II. Fondo de Cultura Económica, México, D.F.

Jansen, M.E.R.G.N.; Pérez Jiménez, G.A.

2005 Codex Bodley. A Painted Chronicle from the Mixtec Highlands, Mexico.

University of Oxford: Bodleian Library.

2007 Historia, literatura e ideología de Ñuu Dzaui. El Códice Añute y su contexto

histórico-cultural. Instituto Estatal de Educación Pública, Oaxaca.

King, Mark B.

1990 Poetics and Metaphor in Mixtec Writing. In: Ancient Mesoamerica, 1

(1990), S. 141-151.

 

Klein, Cecilia F.

2002 La iconografía y el arte mesoamericano. In: Arqueología Mexicana 10(55)

(2002): S. 28-35.

Kopp-Schmidt, Gabriele

2004 Ikonographie und Ikonologie – Eine Einführung. Deubner Verlag für Kunst,

Theorie & Praxis GmbH & Co. KG, Köln.

König, Viola

1979 Inhaltliche Analyse und Interpretation von Codex Egerton. Beiträge zur

mittelamerikanischen Völkerkunde 15, Hamburgisches Museum für

Völkerkunde. Klaus Renner Verlag, München.

6. Anhang  

93

1999 Die Mixtekische Schrift. In: Hoffmann, Carmen Arellano und Peer Schmidt

(Hg.): Die Bücher der Maya, Mixteken und Azteken. Vervuert. Frankfurt

a.M. S. 103-147.

López Ruiz, Mariano

1889 Estudio cronológico sobre la dinastía mixteca. Memorias de la Sociedad

Científica „Antonio Alzate“ XI:437-448.

Marcus, Joyce

1992 Mesoamerican Writing Systems, Propaganda, Myth, and History in Four

Ancient Civilizations. Princeton University Press, Princeton.

Martínez Gracida, Manuel

1883 Colección de Cuadros sinópticos de los pueblos, haciendas y ranchos del

Estado libre y soberano de Oaxaca. Gobierno del Estado Oaxaca, Oaxaca.

1889 Catálogo etimológico de los nombres de los pueblos, haciendas y ranchos

del estado de Oaxaca. Oaxaca 1888. In: Sociedád Mexicana de Geografía

y Estadistica. México.

Monaghan, John D.

1995 The Covenants with Earth and Rain: Exchange, Sacrifice and Revelation in

Mixtec Sociality. University of Oklahoma Press, Norman.

Nowotny, Karl A.

1957 Der Codex Becker II. In: Archiv für Völkerkunde 12: S. 172-181. Wien.

1961 a Codices Becker I/II, Museum für Völkerkunde Wien, Inv. Nr. 60306 und

60307. Kommentar und Beschreibung. Akademische Druck- und

Verlagsanstalt Graz, Austria.

b Tlacuilolli; die mexikanischen Bilderhandschriften. Verlag Gebr. Mann,

Berlin.

1975 El Fragmento de Nochistlan. Beiträge zur mittelamerikanischen

Völkerkunde. Hamburgisches Museum für Völkerkunde, Hamburg.

6. Anhang  

94

Panofsky, Erwin

1987 Ikonographie und Ikonologie. In: Kaemmerling, Ekkehart (Hrsg.):

Ikonographie und Ikonologie, Theorien – Entwicklung – Probleme. DuMont

Buchverlag, Köln. S. 207-225.

Parmenter, Ross

1982 Four Lienzos of the Coixtlahuaca Valley. Dumbarton Oaks, Trustees for

Harvard University, Washington, D.C.

Rabin, Emily

1981 Chronology of the Mixtec Historical Codices: An Overview. Paper

presented at the Annual Meeting American Society for Ethnohistory,

Colorado Springs.

1982 Confluence in Zapotec and Mixtec Ethnohistories: The 1560 Genealogy of

Macuilxochitl. Papers in Anthropology (Norman) 23(2): 359-368.

Reyes, Antonio de los

1889 Arte en Lengua Mixteca. Compte H. de Charencey, Mexico.

Schmidt, Peer

1999 Die indianische Gesellschaft, ihre Ikonographie und ihre Symbole im

Spiegel der kolonialen Codices Zentralmexikos. In: Hoffmann, Carmen

Arellano und Peer Schmidt (Hg.): Die Bücher der Maya, Mixteken und

Azteken. Vervuert. Frankfurt a.M. S. 387-417.

Seler, Eduard

1960-1961 Gesammelte Abhandlungen zur Amerikanischen Sprach- und

Altertumskunde. 5 vols. Akademische Druck- u. Verlagsanstalt, Graz.

(1902-1923)

Smith, Mary Elizabeth

1973 Picture Writing from Ancient Mexico: Mixtec Place Signs and Maps.

University of Oklahoma Press, Norman.

1973 b Relationship between Mixtec Manuscript Painting and Language. In:

Elizabeth P. Benson (Ed.): Mesoamerican Writing Systems, A Conference

6. Anhang  

95

at Dumbarton Oaks Oct. 30th and 31st, 1971. Dumbarton Oaks Research

Library and Collections. Trustees for Harvard University. Washington D.C.

S. 47-98.

1979 Codex Becker II: A Manuscript from the Mixteca Baja? Archiv für

Völkerkunde 33:29-43.

1983 The Mixtec Writing System. In: Flannery, Kent V.; Joyce Marcus (Hg.): The

Cloud People – Divergent Evolution of the Zapotec and Mixtec

Civilisations. Academic Press, New York. S. 238-245.

1988 It Doesn’t Amount to a Hill of Beans: The Frijol Motif in Mixtec Place Signs.

In: J. Kathryn Josserand und Karen Dakin (Hg.): Smoke and Mist:

Mesoamerican Studies in Memory of Thelma D. Sullivan. British

Archaeological Reports International Series 402, Oxford. S. 696-710.

Spores, Ronald

1967 The Mixtec Kings and their People. University of Oklahoma Press,

Norman.

1969 Settlement, Farming Technology, and Environment in the Nochixtlán

Valley. In: Science 166, 1969: 557-569.

1983 a The Origin and Evolution of the Mixtec System of Social Stratification. In:

Flannery, Kent V.; Joyce Marcus (Hg.): The Cloud People – Divergent

Evolution of the Zapotec and Mixtec Civilisations. Academic Press, New

York. S. 227-238.

1983 b Postclassic Settlement Patterns in the Nochixtlán Valley. In: Flannery,

Kent V.; Joyce Marcus (Hg.): The Cloud People – Divergent Evolution of

the Zapotec and Mixtec Civilisations. Academic Press, New York. S. 246-

248.

1983 c Postclassic Mixtec Kingdoms: Ethnohistoric and Archaeological

Evidence. In: Flannery, Kent V.; Joyce Marcus (Hg.): The Cloud People –

Divergent Evolution of the Zapotec and Mixtec Civilisations. Academic

Press, New York. S. 255-260.

1984 The Mixtecs in Ancient and Colonial Times. University of Oklahoma Press,

Norman.

6. Anhang  

96

Terraciano, Kevin

2001 The Mixtecs of Colonial Oaxaca. Ñuudzahui History, Sixteenth Through

Eighteenth Centuries. Stanford University Press, Stanford.

Troike, Nancy

1978 Fundamental Changes in the Interpretation of Mixtec Codices. In:

American Antiquity, 43, 4 (1978), S. 553-568.

1982 The interpretation of Postures and Gestures in the Mixtec Codices. In:

Elizabeth H. Boone (Hg.): The Art and Iconography of Late Post-Classic

Central Mexico. Dumbarton Oaks, Washington D.C. S. 175-206.

6.2. Quellenverzeichnis

Codex Bodley

1960 Sociedad Mexicana de Antropología, Mexico.

Codex Colombino-Becker I

1996 Códice Alfonso Caso: la vida de 8-venado, Garra de Tigre; (Colombino-

Becker I). Patronato Indígena, México, D.F.

Codex Egerton

1965 Codex Egerton 2895. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz.

Codex Nuttall

1987 The Codex Zouche-Nuttall. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz.

Codex Selden

1978 Codice Selden. Sociedad Mexicana de Antropología, Mexico.

Codex Vindobonensis

1992 Códice Vindobonensis Mexicanus I. Akademische Druck- und

Verlagsanstalt, Graz.

6. Anhang  

97

6.3. Internetquellen

John Pohl’s Mesoamerica:

http://www.famsi.org/research/pohl/index.html (27.01.2012, 12:27 Uhr)

http://www.famsi.org/research/pohl/jpcodices/selden/scene_by_scene.htm

(02.02.2012, 12:34 Uhr)

6.4. Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Die Karte zeigt die Mixteca. Aus: Terraciano, 2001:4. ..........................15

Abb. 2: Der Priester 6 Geier „Grabstock“ spricht. Aus: Selden, S. 6, Bd. II. ......24

Abb. 3: Das Mumienbündel des 8 Hirsch „Jaguarkralle“. Aus: Bodley, S. 14, Bd.

IV. ..........................................................................................................24

Abb. 4: Eine Person spricht „scharfe Worte“. An den Sprachvoluten sind

Feuersteinmesser dargestellt. Aus: Selden, S. 7. .................................24

Abb. 5: Das Ortszeichen von Teozacoalco oder chiyo canu. Aus: Selden, S. 4,

Bd. II. .....................................................................................................24

Abb. 6: Das Ortszeichen von Tututepec oder yucu dzaa. Das menschliche

Gesicht verdeutlicht, dass es sich um das Wort „Vogel“ handelt. Aus:

Bodley, S. 9, Bd. III. ..............................................................................25

Abb. 7: Das Ortszeichen von Tututepec oder yucu dzaa. Unter dem Schnabel ist

ein menschliches Kinn zu erkennen. Aus: Nuttall, S. 55. ......................25

Abb. 8: Herr 5 Regen, Jaguarsonne in Frauentracht. Aus: Nowotny, 1975. .....32

Abb. 9: Das erste Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. ....................33

Abb. 10: Das zweite Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. .................33

Abb. 11: Das dritte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. ....................34

Abb. 12: Das vierte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. ...................35

Abb. 13: Das fünfte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. ...................36

Abb. 14: Das sechste Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. ...............37

Abb. 15: Das siebte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. ..................37

Abb. 16: Das achte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. ...................38

Abb. 17: Das neunte Paar im Codex Becker II. Aus: Nowotny, 1975. .................39

Abb. 18: Das obere Register. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ............46

Abb. 19: Das untere Register. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ...........48

6. Anhang  

98

Abb. 20: Vindobonensis, S. 37. ...........................................................................51

Abb. 21: Nuttall, S. 1. ...........................................................................................51

Abb. 22: Das Ortszeichen von Tilantongo. Nuttall, S. 47. ...................................53

Abb. 23: Selden, S. 2. ..........................................................................................54

Abb. 24: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. .............................................54

Abb. 25: Das A-O-Zeichen. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ...............54

Abb. 26: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. .............................................61

Abb. 27: Bodley, Seite 7 Bd. V. ...........................................................................62

Abb. 28: Bodley, S. 8, Bd. III. ..............................................................................63

Abb. 29: Selden, S.5, Bd. III. ...............................................................................63

Abb. 30: Selden, S. 10, Bd. IV. ............................................................................63

Abb. 31: Selden, S. 14, Bd. II. .............................................................................63

Abb. 32: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. .............................................65

Abb. 33: Bodley, S. 18, Bd. II. .............................................................................67

Abb. 34: Nuttall, S. 60. .........................................................................................67

Abb. 35: Bodley, S. 14, Bd. V. .............................................................................67

Abb. 36: Bodley, S. 4, Bd. III. ..............................................................................67

Abb. 37: Vindobonensis, S. 45. ...........................................................................68

Abb. 38: Vindobonensis, S. 21. ...........................................................................68

Abb. 39: Vindobonensis, S. 9. .............................................................................68

Abb. 40: Vindobonensis, S. 6. .............................................................................69

Abb. 41: Herr 8 Wind. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ........................70

Abb. 42: „el cazique“. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ........................71

Abb. 43: Frau 3 Haus Ñuhu der Pflanze und des Wassers. Fragmento de

Nochistlan, Umzeichnung. ....................................................................71

Abb. 44: Namensglyphe 12 Rohr Jaguar. Aus: Fragmento de Nochistlan. .........72

Abb. 45: Namensglyphe 12 Rohr Jaguar. Aus: Fragmento de Nochistlan,

Umzeichnung. .......................................................................................72

Abb. 46: Herr (?) Kaninchen Schäumender Pulquekrug. Fragmento de

Nochistlan, Umzeichnung. ....................................................................73

Abb. 47: Fragmento de Nochistlan. .....................................................................73

Abb. 48: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. .............................................73

Abb. 49: Nuttall, S. 28. .........................................................................................73

Abb. 50: Nuttall, S. 84. .........................................................................................73

Abb. 51: Bodley, S. 30, Bd. IV. ............................................................................73

6. Anhang  

99

Abb. 52: Vindobonensis, S. 25. ...........................................................................73

Abb. 53: Bodley, S. 30, Bd. V. .............................................................................73

Abb. 54: Vindobonensis, S. 18. ...........................................................................73

Abb. 55: Vindobonensis, S. 18. ...........................................................................73

Abb. 56: Vindobonensis, S. 45. ...........................................................................73

Abb. 57: Bodley, S. 36, Bd. II. .............................................................................73

Abb. 58: Fragmento de Nochistlan. .....................................................................74

Abb. 59: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. .............................................74

Abb. 60: Herr 3 Blume. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ......................75

Abb. 61: Herr (?) Blume. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ...................75

Abb. 62: Nicht identifizierbare Frau. Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ..75

Abb. 63: Frau 9 Rohr Himmels-(?). Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ...75

Abb. 64: Herr (?) Tod Sonnen-(?). Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. ....76

Abb. 65: Fragmento de Nochistlan. Der Kalendername 3 Tod. ...........................76

Abb. 66: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. .............................................76

Abb. 67: Selden, S. 1, Bd. II. Das Tageszeichen Gras. .......................................76

Abb. 68: Becker II, S. 2 (Umzeichnung von Nowotny, 1975.) Das Tageszeichen

Tod. .......................................................................................................76

Abb. 69: Selden, S. 3, Bd. III. Detail wurde um 90° nach rechts gedreht. Tlaloc-

Motiv. .....................................................................................................77

Abb. 70: Fragmento de Nochistlan, Umzeichnung. .............................................77

Abb. 71: Bodley, S. 23, Bd. III. Tlaloc-Motiv. .......................................................77

Abb. 72: Bodley, S. 16, Bd. II. Detail wurde um 90° nach rechts gedreht. Ñuhu-

Motiv. .....................................................................................................77

Abb. 73: Bodley, S. 15, Bd. V. Detail wurde um 90° nach rechts gedreht. Ñuhu-

Motiv. .....................................................................................................77

6. Anhang  

100

6.5. Die Geste der Geborenen

Hier werden nur Geburtszenen eingefügt, welche die Geste beinhalten, da es

sonst zu umfangreich würde.

Codex Nuttall:

Nr. Seite Szene Bild

1 S. 1 Herr 8 Wind Flinthelmet entsteigt einem

Ortszeichen, mit Geste.

2 S. 1 Herr 8 Wind Flinthelmet entsteigt einem

Ortszeichen, mit Geste.

3 S. 2 Herr 8 Wind Flindhelmet entsteigt einem

Ortszeichen, mit ähnlicher Geste. Aufgrund

des fülligen Kostüms wurde die Geste

vielleicht verändert dargestellt?

4 S. 5 Herr 8 Wind Flinthelmet entsteigt einem

Ortszeichen, mit Geste.

6. Anhang  

101

5 S. 9 Herr 9 Regen wird aus einem Fluss geboren.

Er hält etwas in der Hand (Voluten), mit Geste.

6 S. 9 Herr 4 Wasser wird aus deiner Scheibe

geboren. Er hält etwas in der Hand, mit Geste.

7 S. 16 Geburt aus einer Mutter, mit Nabelschnur.

Auch das geborene Kind hält seine Arme in

der Geste.

8 S. 19 Frau 1 Tod wird aus Ortszeichen/Landschaft

geboren und hält ihre Arme in einer ähnlichen

Geste.

9 S. 24 Ein Steinmann entsteigt einem Fluss. Er hält

die Arme in einer ähnlichen Geste.

10 S. 28 Eine Frau gebärt ein Kind. Abweichende aber

auch sehr spezielle Geste.

11 S. 57 Als Herr 8 Hirsch seinen Nasenpflock als

Herrscherwürde bekommt, hält er seine Arme

in der Position. Das Bild der Wiedergeburt

würde thematisch hier auch passen.

6. Anhang  

102

Codex Selden:

Nr. Seite Szene Bild

1 S. 2 Eine Gestalt entsteigt einem Baum: Im Jahr

10 Rohr wird Herr 2 Grass von einem

Baum in Achiutla geboren.

Codex Bodley:

Nr. Seite Szene Bild

1 Rückseite

S. 40,

Band I

Zwei Vorfahren steigen aus der

Erde/werden aus der Erde geboren.

Ein Mann tritt direkt heraus und

macht die Geste und schaut auch

Richtung Himmel, die Frau ist

sitzend dargestellt und eine Linie

verbindet sie mit dem Inneren des

Erdmonsterrachens (Caso,

1960:54).

Abbildung nicht vorhanden.

2 Rückseite,

S. 40,

Band IV

Herr 1 Blume und Frau 13 Blume

werden von den Flüssen in Apoala

geboren. Das gleiche Paar taucht

auch im Codex Nuttall, Seite 36, und

im Codex Vindobonensis,

Vorderseite, S. 35, auf. (John Pohl’s

Mesoamerica)

3 Rückseite,

S. 39,

Band I

Herr 3 Feuersteinmesser entsteigt

dem Erdrachen. Mit ihm verbunden

sind seine Nachkommen.

Abbildung nicht vorhanden.

6. Anhang  

103

Codex Becker II:

nicht vorhanden

Codex Colombino:

nicht vorhanden

Becker I:

Nr. Seite Szene Bild

1 S. 8 Ein Mensch steigt aus der Erde empor. Die

Arme und Hände in ähnlicher Geste.

Codex Vindobonensis:

Nr. Seite Szene Bild

1 S. 37 Baumgeburt eines Vorfahren mit

ausgebreiteten Armen.

2 S. 49 Herr 9 Wind wird aus einem

Feuersteinmesser geboren. Die Arme hält

er nicht in der Geste.

6. Anhang  

104

Codex Egerton:

Nr. Seite Szene Bild

1 S. 2 Person wird aus Ortszeichen geboren und

hält die Arme ausgebreitet. Im Ortszeichen

ist ein großer Jaguar abgebildet (Hill of the

Jaguar) aus dessen Rachen der Herr

steigt. Leider sehr schwer zu erkennen.

 

 

© Jenny Lebuhn-Chhetri

 

© Museum für Völkerkunde Hamburg

Ich versichere an Eides Statt durch meine eigenhändige Unterschrift, daß ich die

beiliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe angefertigt und alle Stellen,

die wörtlich oder annähernd wörtlich aus Veröffentlichungen entnommen sind, als

solche kenntlich gemacht habe. Außerdem habe ich mich keiner anderen als der

angegebenen Literatur bedient. Diese Versicherung bezieht sich auch auf zur

Arbeit gehörige Zeichnungen, Skizzen, bildliche Darstellungen etc.

Mit der späteren Einsichtnahme in meine Hausarbeit erkläre ich mich nicht

einverstanden.

___________________ _____________________________________

Datum Unterschrift