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ffi. I = ll-l FoR sozrArwrssEf,scHAFrEN \/, v('rl,tti lilr i,o/talwissenschaften rilr',t,il1{l{'n Irl llogrnn des Jahres 2004 aus den beiden Häusern l ' .'.1, ' . I lril( 1il|lt und WestdeUtSCher Verlag. |,il' |[r,tt{' tt;t1;ts lur sozialwissenschaftliches Publizteren rrlrlrorl,tlt,;clto lnformation Der Deutschen Bibliothek l)rr' l){'ul:,(.lro Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, (l'.t,illlr('l t(, lrrlrlrografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. | /\ltll,ril(' lrrlt 2004 r! /\l||, ltr'( ltlo Vorbehalten , v', v{,r lirll lur Sozialwissenschaften/cwv Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2004 t r|r v" v('rlirg f ur Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media www v:, vctlitp.de Das Werk einschließlich aller seinerTeile ist urheberrechtlich geschützt. Jede verwertung außerhalb der engen Grenzen des urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei- cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Irr' wtr,(l'tllitlx) von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem w,'r l' l){,r,( lrtrSl aLrch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche N,ilnr,n ilil l'rrr() (lor Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten w.rrr.rr ilrrrl rl;rlror von jedermann benutzt werden dürften. Uilr.,{ lrl,rt}t'1it;rltung KunkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg l)r u( k un(l l)lr(.lrl)ndonschc Verarbeitung: Druck Partner Rübelmann, Hemsbach r,r'rlrrrr kt itul silUr0lrotoln und chlorfrei gebleichtem Papier l'r ilrlr,(l ilr (;('ililiilty r.'ilN i lt l{x) 4 lot, l, il

Electronic Vibration

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Page 1: Electronic Vibration

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t r|r v" v('rlirg f ur Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Mediawww v:, vctlitp.de

Das Werk einschließlich aller seinerTeile ist urheberrechtlich geschützt. Jede

verwertung außerhalb der engen Grenzen des urheberrechtsgesetzes istohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesonderefür Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei-cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Irr' wtr,(l'tllitlx) von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesemw,'r l' l){,r,( lrtrSl aLrch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solcheN,ilnr,n ilil l'rrr() (lor Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachtenw.rrr.rr ilrrrl rl;rlror von jedermann benutzt werden dürften.

Uilr.,{ lrl,rt}t'1it;rltung KunkelLopka Medienentwicklung, Heidelbergl)r u( k un(l l)lr(.lrl)ndonschc Verarbeitung: Druck Partner Rübelmann, Hemsbachr,r'rlrrrr kt itul silUr0lrotoln und chlorfrei gebleichtem Papierl'r ilrlr,(l ilr (;('ililiilty

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Gabriele Klein

ElectronicVibrationPop Kultur Theorie

-

Page 3: Electronic Vibration

Das Alter ist dabei das wirksanxte Distinktionskriterium; die entscheidendenMedien, über die sich diese altersspezifischen Distinktionen herstellen lassen,sind vor allem Musik und Tanz, daneben auch die Mode.

Die Konstruktion dieser Szene-internen Altersklassen ließ sich auch gutbei der räumlichen Organisation der ,Mayday' beobachten: Während diejüngeren Raver sich aufden verschiedenen Dancefloors, aber vor allem in derübergroßen Halle I der Dortmunder Westfalenhalle zu Zigtausenden beischlechter Luft und Schweiß an Schweiß wiegen, hat die ,upper class', unddas sind zumeist die ,Alteren', sich eine Reihe von Pubs in der zweiten Etagereservieren lassen. Hier drückt sich .Hochkultur' noch räumlich aus: Mansitzt zusammen mit kleinen geladenen Gnippchen und schaut durch eineGlasscheibe auf das Geschehen der Masse. Bei Bedarf läßt sich die Scheibevorziehen und ein bißchen ,Mayday'-Luft schnuppem, aber man kann aufdiesen sinnlichen Reiz auch verzichten und, allein den Blick auf das Gesche-hen gerichtet, mit eigenen-r DJ und eigener Bar seine Privatparty abziehen.Die 'l'rennung zwischen Elite und Masse ist oliensichtlich ein zentraler Be-standteil des Pop-Geschäft s.

Techno - eine Gegenktrltur'?

In den.r bedrohlichen Bild, das die Medien von Techno zeichnen. nehmenMusik und Tanz eine zentrale Stelle ein; Die Musikanlage erscheint nichtselten als Maschine, die Musik als eintönig und aggressiv, als industriell pro-duzierter mechanischer Beat. t.lnd da sich die außenstehenden Beobachternicht vorstellen können, daß sich dies jemand fieirvillig antut, glauben sie, die,Hammersounds' würden in die Körper der wehrlosen Konsumopfer hinein-gepeitscht, so, als hätte die Kulturindustrie einen weitcren anti-individualistischen Gleichschaltungsversuch gestartet und mtt der dem Tech-no eigenen MachfRhythntik eine amorphe Masse produziert. Techno, soließe sich diese Lesart überspitzt zusammenfassen, ist dic N,larschrnusik clerpostindustriellen Gesellschaft; ihr Beat zerschlägt dic Hirne, terrorisiert dieKörper und fördert mitunter auch faschistoide Tendenzcn. Von Widerstands-potential oder gar einer Gegenkultur kann dieser Sichtr.veisc zufolge beiTeclno nicht im mindesten die Rede sein.

Wie stark diese Lesart durch einen intergenerativen Diskurs geprägt ist,hat I'Iolger Hermarr5 in rvünschenswerter Deutlichl<eit herausgearbeitet. Sei-

135 Dcr Vortrag Ilcrntas rvar'Icil cines Gcnrcinschalisrelcratcs. Its ist vcröfJtntlicht in: Ilermann Artmaier/u.a. (Hg.): 'lechno zwischcn l-okalko]orit und Univcrsalstruktur, hrsgvom llaus der.lugcndarbeit Miinchcn, Miinchcn l 99T, S. Sl,ll, insb. s. 38fl-.

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ner Meinung nach findet hier ein Wirkhchkettslrooell Arlwcrruutrö, uoJ rrLrr

vor allem der 78er Generation, den zwischen 1953 und 1966 Geborenen,

zuordnen läßt und nach folgenden N4ustern strukfuriert ist: Authentizität, In-

nerlichkcit, Subjektivität und Reflexivität werden als Säulen einer antikon-

formistischen Haltung gewertet. Die Bewahrung des ,Authentischen' und

,Natiirlichen' als eigentliches Ziel dieses Antikonforrnismus soll vor allem

durch alternative Lebensentwürfe gewährleistet werden und die alternattve

Gestaltung der Lebenswelt zugleich als Barrikade gegen die Eingriffe durch

zerstörerische Systeme wie beispielslveise die Kulturindustrie dienen.

Obwohl gerade die 78er Generation den Körper als Ort des Natürlichen

und Authentischen (wieder)entdeckt hat und sich über Techniken leiblicher

Selbsterfahrung diesem reflexiv zu nähern versucht, liegt es auf der Hand'

daß nach ihrem Wirklichkeitsmodell Sinnstiftung vor allem diskursiv, das

heißt über Auseinandersetzungen, Problematisierungen und Kontroversen

ertblgen und damit im Sinne kognitiver Selbstreflexion - nur über erne

Distanz zu sich selbst und zur Lebenswelt hergestellt u'erden kann. Die Tech-

no-Kulttrr zeichnet aus dieser Sicht ein Gegenbild: Sie erscheint als ein sinn-

loses, weil entpolitisiertes Fest, als ein diskursfernes Untemehmen, als erne

eruptive Feier kultureller Entfremdung. tlier findet in den Augen der 78er

keine ,rvirkliche' Begegnung mehr statt; weder politische Veränderung noch

Selbstlindung sind die Ziele - es geht allein um die Party im Flier und Jetzt.

Tatsächlich erfiillt die Rave-Szene keines der Kriterien einer Gegenkul-

tur. Sie versteht sich nicht als eine bewußte, diskursiv hergestellte Alternative

zu dem Bestehenden. dazu ist sie zu kommerziell und auch zu cliskursf-ern.

Und sie hat keinen Gegner: Während Gegenkulturen ilue ldentität gerade aus

der Negation der ,Normalität' gewinnen, ist der llezugspunkt der Raver kei-

neswegs eine ,Offlzialkultur' im Sinne einer einheitlichen Kultur der Gesamt-

gesellschaft, der sie die Utopie einer besseren Welt entgegensetzen würden.

Dabei scheint der Drang, ein besseres gesellschaftliches Modell zu denken,

ur.rd der Wille. es auch durchzusetzen. nicht in erster Linie an Desinteresse

oder bloßer Partylaune zu scheitern, sondern eher an der pessimistischen Ein-

schätzung objcktiver Veränderungsmöglichkeiten. So meint Kai, einer der

befragten Raver: >Mal im Emst, ich rvill nichts verändcrn. Es kann so blei-

ben, wie es ist. Solche Fragen sind illusorisch, und insofern mache ich mirauch keine Gedanken darüber.< Auch das. was noch den neurotischen Cha-

rakter auszeichnete, nämlich fiir langfristige Gratifikationen au{'unmittelbareBedürfnisbefriedigung vcrzichten zu können, scheint bei den eher narzißtischgeprägten Ravern kein zentrales 'lhema. [Jnd so u,'ird das Desinteresse, Zu-

kunft gestalten zu wollen, mit einer prirnären Orientierung an Gegenwart

becründet. Bea: >Ich mach' rnir da auch nicht so die Gedanken damm, was in

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rlt r /.rrkrrrrli ist.< [Jnd Yvonne: >Nö, ich würde nichts verändern... Ich wcrljrrrt lrl. r'u'as rrror.sen passiert: Vielleicht fahr' ich morgen vor 'nen Baum ... IclrIr'lr' rrrclrt unbcdingt liir die Zukunft.<

Arrch das politische Tagesgeschehen trifft anscheinend nicht auf großesIrrtt rt'sse. lts rufi nicht einmal mehr Erregung hervor, sondern wirkt auf dicI t't'lrrr.itlcn eher abturnend. Claudio: >Was hier in Deutschland politischP:rssrcrt. interessicrt mich eigentlich nicht. Also, ich denke mal, jeder hat so';r'rrre Mcinung, und das weiß jeder und dann ist es damit auch in Ordnung. Esrrrrtl rriclrt nrchr so viel diskutiert, so wie fniher, oder wie in anderen Szenenrr:rlrrsclrcinlich. Das muß man so sagen.( Und Florian, 24 Jahre, pflichtet ihml)( r. \\'cr. cr auf die Frage, ob denn Gespräche über Politik im Freundeskreis,'rrrt llolle spielen, antwortet: >Eigentlich w,eniger. Mir geht es zwar nicht am,,\rst'lr vorbci, ich gehe auch wählen, auf jeden Fall, aber ich unterhalte mtch\\'('ilrscr tiber Politik.<< Das heißt aber nicht, daß generell nicht geredet wird.| )rt' 2.1jährige Yvonne : ,'Über politische Dinge nicht unbedingt, die interes-:'r(r('n uns eigentlich nicht so wahnsinnig. Aber über alle möglichen anderenS;rt he rr, übcr Pl'erde, über Autos, über alle möglichen Sachen halt, über dier,rt lr urrtlcre auch unterhalten.<

l)rc Raver scheinen also in Hinblick auf ihr Desinteresse am politischenI :rllcsrcschehen durchaus mit dem so oft beschrvorenen Trend einer .Politik-r t rtlrossenheit' der Bundesdeutschen konfonn zu gehen. Ganz entsprechendr'le rclre n, zumindest bei den Interviewpartner/ innenr16, ihre persönlichen/rrkLrnliswünsche den wünschen der Durchschnittsdeutschen. claudio: >Ichlrrrlli', tlaß ich einen Beruf ausübe, der mich ausfiillt. der mir nicht zu vielZettr:rrrbl. und wenn er sie mir raubt, daß es sinnvoll ist, und daß ich eine FamilieIrrlrt' uncl daß ich mich kohlemäßig über wasser halten kann. Das ist eigent-Irth lllcs. Ja, daß ich zufrieden bin.< Und Andrea,28 Jahre: >Geld haben.lie ich lreiraten, eigentlich, nee: glücklich. Glücklich sein möchte ich. Glück-lrch lcbcn, 'n glücklichen Partner haben, wo das finanziell auch stimmt, daßrrrirn sich darüber nicht die Gedanken machen muß. Ich würd' gern auch Fa-rrrilic haben, ein Kind oder zwei Kinder. Ich nürd'gern Flaustiere haben und'n lläuschen im Grünen, muß nicht hier sein, auch in einem anderen Land.lrirr .cttcs, ausgeglichenes Privatleben. wenig Streß oder Anspannung durchrr rit'ntlrve lche Sorgen, die man haben muß, wie zum Beispiel: Wie und wovonzirlrl' ich jetzt das und das.< Oder Kai: >Also, ein schöner Traum von mirr'rrre sicherlich, in Lübeck ein Häuschen zu besitzen und meiner Arbeit nach-r'.clrcrr zu können. Nebenbei, wenn man denn will, abends schön am Strand zuIrt'1qr'n orlcr einfach seine Ruhe im Haus genießen zu können... Es sind ja von

l iibcck nach Ilamburg nur 1960 Kilometer, um eine schöne Party zu feiem.<

Auch wenn diese Aussagen die Interpretation einer politisch völlig naiv-

konservativen, individualisierlen,lost generation' nahelegen, wäre diese

Schlußfolgerung vorschnell - und zwar nicht nur, weil es sich um spontane,

,nuorbereltet getroffene lnterview-statements handelt. Zum einen scheinen

clie politischen Richtungen von rechts bis links für die eigene Einordnung

durchaus die Maßstäbe zu liefem, auch wenn dies zum Teil wie eine veritrner-

lichte Norm - im Sinne einer Orientierung an dem Wirklichkeitsmodell der

Elterngeneration - klingt. So Bea: >oh je, ja auf keinen Fall rechts, also ich

würde schon sagen, daß ich eher links eingestellt bin. Aber was heißt das:

links? Ich bin nicht politisch aktiv, mach' nicht bei irgendwelchen Geschich-

ten mit, von wegen Rote FlorarrT und so. lch bin auch in keiner Partei, in wel-

cher auch'?< Und Brit,21 Jahre: >Also links auf jeden Fall' Kann mich im

Moment aber mit den ganzen Parteren ... also, mit keiner großartig identifizie-

ren.< Ray: >Ich würd' mal sagen, linkslastig über den Dingen schwebend,

hmm, schwer zu sagen, eher linkslastig, ja, aber zu keiner Partei.< Und Mar-

kus, 28 Jahre: >lch bin totaler Linker nahirlich, so'n Großteil der Szene,

glaub' ich, ist das auch. Ich mein" früher, war ich ein Autonomer, hab' mal

Steine geschmissen ... Also mein politisches Engagement, das hat nachgelas-

sen. Aber jetzt zum Beispiel organisier' ich 'ne Parly, 'ne Benefizparty für die

Rote Flora.<Auf der anderen Seite wird die Abwehr gegen eine politische Selbstzu-

ordnung mit dem Interesse an universellen Themen wie ökologischen oder

humanitären Fragen begründet. So Yvonne: >ob ich nun unbedingt rechts

oder links bin'l Ich denk' mal: die goldene Mitte. Andererseits wiird' ich sa-

gen, bin ich sehr naturverbunden.< Und Rüdiger, 23 Jahre: >Also' ich halte

viel von Menschlichkeit, und das ist keine politische Gruppierung irgendwie

... Ich denke, weffr man eine gewisse Moral hat und Menschlichkeit besitzt,

dann ist die Politik in dem Moment unwichtig, denn wer Moral hat, der ist

auch sozial und guckt aufden anderen. Dann würdejederjeden angucken und

jeder würde für den anderen was tun, wenn's dem schlecht geht. Also insofenl

bln l.h keiner Gruppierung zugehörig... auf jeden Fall tendiere ich in die

linke Richtung.( Der Konservatismus in der alltäglichen Lebenshaltung mün-

det also nicht unbedingt in eine bewußte Entscheidung für eine politisch kon-

servative Partei. Ganz in-r Gegenteil: Links sein ist offensichtlich hip.

Als Felder, auf denen ein politisches Engagement überhaupt fiir wichtig

erachtet wird, erscheinen auffallend häufig Frieden und Umweltschutz. Jan,

28 Jahre: >Also ich würd' mal sagen: Keine Atomtests und Frieden auf der

I l(' \'gl Annt. 2

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137 Die .Rotc I "rra' ist ein autonomes Kulturzentrum in Ilamburg-St Pauli

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Erdc ist das Idcar, das dic meiste' jtingeren l-eute so vcrtrcten. I)alJ ailcs rrrord,ung ist, Umweltschutz und so.< Eine Mitarbeit in einer poritisch'r organisation ist zwar kein Thema, aber dar,i.ir findet eine Art politisieruirs dcsp.vaten Raumes statt. und auch hier gibt es eine verinnerlichte rnsta'2, clic.political correctness' anmahnt. So Florian: >Ich trinke nicht aus Dosen, icrrsortiere meinen Müil. Ich achte daraui, was für sachen ich kaufb. Kann ichgar nicht so speziell sagen, ich versuche schon, so ein paar sachen ernzuhar-ten... Also wie du nrerkst, habe ich n.rir darüber noch nicht so viele Gedankerrgemacht. lch wußte auch nicht, craß das riir clas Intervier.l,relevant rst... crakann man sich jetzt auch so richtig mit 'reinreite n, jetzl muß man aufpassen.was man sagt. Wer weiß, wer das alles liest.<

So scheinen die Raver insgesanrt der eigenen Eltemgeneration kerne an-dere, radikalere wertanschauung entgegenzJsetzen wie diese noch ihren El_tern' vielmehr scheinen sie e her gängige ökorogische Themen auf Nachfragenicht nur zu bedienen. sondcrn auch mit erner rerativ großen Selbstverständ_lichkeit zu bcfolgen. obwohl keineswegs von der Abwesenheit einer politi-schen Moral die Rede sein ka*, scheint das politiscrre Establisr,nent keineGegnerschaft zu provozieren, so.dem eher Desinteresse hervorzurulbn:>wenn .ietzL da Kanzler Kohr sitzt und rvas Neues bringt, crann schalt rch um,weil ich den schon nicht mel.rr sehen kann.< Kern wunder, daß es claudia somachte: Am Ende der 16jährigcn Amtszeit von Helmut Kohr kon'te die23jährige sich wohl kaunt an einen anderen Kanzler erinnenr.

wie die 'l'echno-Szene in denr politischen Estabrishnrent keinen Gegnerhat, fehlt ihr auch innerharb crer Jugendkurturen clas Fei'dbild. ob Mods und1'eds, Ilippies ,nd yuppies, popper und punks fiühere Juge'dkulturen bil_deten sich immer auch über oppositionen. Das heutige Ferdäcr1ug.ndti.',.nPopkultur scheint keincsrvegs nrehr binär konstruiert zu sein. viermehr begin_nen sich die bislang vorhandenen Antagonismen in Richtung einer pluralisie_rung aufzulösen. Ein Effekt, der 'icht zulerzt durch jringere prozesse derGlobalisierung und Medialisierung vo' Kultur ausgelöst wurde. Im Feld ju-gendlicher Musikkulturen findet sich in den 1990ern ein greichzeitiges Ne-beneinander vieler Ausprägungen und criese sind im wesentliche' an den Mu_sikstilen orientiert: So habcn die neucn Richtun_ecn wie .r-echno,

rlouse, AcrdJazz. HipIIoo, Grunge, Raggamuifi', JLrngle, .friptlop, Drum,n,Bass zwarneue Jugend-Szenen geschaffe,, abcr keineswegs die älteren Szenen ver_drängt, die sich um punk,_Heavy Metal, Reggae, Funk, Soul, Rock, Folk_Rock, Gothic oder Independent ranken.

Dementsprechend findet auch Tecrrno kein feindliches Gege'über mehr,selbst im tiiplJop nicht. Dies mag auch darin begn-indet liegel, daß in crencomputergenerierten Tracks im unterschied zum Rap und z-u fiüherer poo_

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rrrusik -- der Text keine Rolle spielt und von daher die Möglichkeit, über TextWcltanschauungen zu transportieren, sich gegen Bestehendes abzusetzen oderaul2ulehnen, gegen Null geht. In der Rave-Szene befiirdern nicht mehr wienoch zu Zeiten der 78er-Kultband ,Ton Steine Scherben' Botschaften wre.Macht kaputt, was Euch kaputtmacht' Tanzekstasen, sondern einfach nur dersprachlose Soundtrack. Entsprechend bestimmt auch nicht mehr die Treueund Hingabe an die Ideologie das Maß an exzessiver Körperlust. Selbst diewenigen ideologischen Parolen, die über dem Tanzgeschehen schweben, sol-len nicht polarisieren oder Feindbilder provozieren. Nein, hier geht es umLiebe, Toleranz, Frieden und Einheit , dies haben die Techno-Fans als Ge-meinschaftsideologie verimerlicht, auch wenn sie glauben, daß diese ldealenur noch in den Randbereichen der Szene, den kleinen Clubs und halböffent-lichen Parties, gelebt würden und ihre Utopien ansonsten durch die Kommer-zialisierung und Verjüngung der Szene zu Makulafur geworden seien.

Ebensowenig wie die Cllub- und Ravc-Kultur sich in Gegnerschaft zudem kulturellen und politischen Establishment versteht, ist sie in einer denStandards der 78er Generation entsprechenden Weise subversiv, indent sre

auf originalität bedacht wäre oder nach dern Authentischen und Natrirlichensuchte. Auch diese Merkmale von Gegenkulturen sind der Techno-Szenefremd. Ganz im Gegenteil: Wie die Musik im wesentlichen eine Art postmo-derner Zitaten- und Stilmix ist, wird in der Mode nicht auf die Natürlichkeitder Sto{Ie oder auf das Echtheits-Cütesiegel der Accessoircs geachtet. Auchhier besteht die Originalität in einem wilden ,Cut'n'Mix' verschiedener Ele-mente, die, ob schrille Farben, überdimensionaler Plastik-Schrnuck. Plateau-Schuhe, Gummiröcke, Gummi-Bustiers oder Kunstlederhosen cher Künst-lichkeit ästhetisieren als sie vernreiden. E,ine gehörige Portion Markenbe-wußtsein gibt dabei dcr modischen originalität das entscheidende distinktrvwirkende Flair.

Techno ist keine politisch fundierte Gegenkultur, deren Zusamnenhaltdiskursiv erzeugt wird. lhre sinnstiftenderl Bestandteile liegcn nicht in einerbewußten Gegnerschaft oder in einer ideologisch untermaucrten Antihaltung.Sinnfindung stellt sich in der Techno-Szene vor allem im lJmgang mit Musikund Tanz her; sie sind die sinnstil-tenden Medien. Musik und Tanz, das bringtSpaß, und der kann sich bis zur körperlichen Ekstase steigem. Denn Technoist keine intellektuelle Musik, die höchstens rudimentäre Fußbervcgungenhervorzulocken vermag, sondern im wesentlichen Tanzn.rusik. Sie wird fiirden Dancef'loor produziert, ist also im rvescntlichen dazu da, auf particsTanzrevolten auszulösen. Erst über den Tanz erlangt die DJ-Musik ihrenSinn. Claudio: >Ohne tanzen wäre Techno öde. Du kannst auch zu l{auseTechno eigentlich nicht hören, um zuzuhören. Das geht schon in erstcr I-inie

l-)

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um das Tanzen.< Techno ist, das legt dieses Zitat nahe, eine Körper-Kultur,deren Revolte auf dem Tanzparkett stattflndet. und dieses Tanzparkett istnicht selten der öffentliche Raum, der, untenrralt mit einem mager wirkendenpolitischen Programm, als politischer ort in Szene gesetzt wird. und es isteben diese vereinnahmung des Demonstrationsrechts 1iir die Freiheit derTanzekstasen, die dem herkömmlichen Links / Rechts-Diskurs widerstrebt undden widerwillen der diskursgeschulten und drskursverwaltenden E,lterncene-ration entl'acht.

Betrachtet man Techno als eine ästhetische, das heißt auf Sinnenhaftig-keit beruhende Kulturpraxis, ließe sich vielleicht doch ein subversives undwiderständiges Potential ausmachen: []berführt sie nicht mit ihren allgemei-nen und nichtssagenden Parolen die Bekenntniskultur in ihrer Beliebigkeit'iLeistet sie nicht widerstand, wenn sie die verbale Sinnvermjttlung aufgibt,sich dem elaborierten Kode der Elterngeneration verweigert uncl Sinn rn an-dere, ästhetische Meclien verschiebt'? Schafl sie sich nicht ,Freiräume', wennsie sich über ihre Diskursindilferenz dem alles verstehenden und dennochalles moralisierenden Zugrifrdel aufgeklärten Elterngeneration entzieht'/ undzulelzt'. Entgeht die Tecluro-Szene rricht auf diese weise dem lückenlos ge-wordenen Legitimationsdiskurs, der selbst fiir'-fanz akzeptable Grüncle, mora-lische Absichten, sittliches Verhalten uncl politische Bekenntnisse erwartetund einfordert'J

Kurzum: Die Kritik an der Techno-Szene, sie sei eine kommerzialisierteund politisch anspmchslose Jugendkultur, verliert nur zu leicht aus den Au-gen, daß diese Kulturyraxis im Bereich des Asthetischen innovativ ist. Liestn.ran die club- und Rave-Kultur als eine ästhetische Kultur, die den Körperins Zentrum gerückt hat, dann komn.rt in ihr nicht nur ein wandel des Begriff.sdes Politischen zum Ausdruck, sie erscheint auch ars kulturelles Feld. in demsich eine umfassendere Veränderung der Kommunikationsformen abzeichnet,die dcrn Körperlichen und Si.nenhaflen eine größere Iledeutung beimißt.

Club- untl Rave-Szene - eine ästhatisc'he Kultur!

Rock'n'Roll, Beat, Pop, Punk - all das waren ästhetische Bewegungen, dieweit nrell' umfaßten als die Musik. Mit den Musikstilen gingen bestinrmteModen und ränze einher, sie produzierten eine bestirnmtc kulturelle praxisund wurden von dieser wieder hervorgebracl.rt. f)ieses ständige wechselspielauf dem Feld der Kultur war aber den Jugendforschern der 50er und derl960er Jahre nicht der akademischen Rede wert. Erst in den l970ern kristalli-sierte sich eine Perspcktive heraus, die ihren Blick zunehmend auf diese kul-

'7Ä

turcllen Praktiken richtete. Jugendliche, die zuvor vor allem dann von wlssen-

schaftlichem Interesse waren, wenn ihr Verhalten als abweichend, delinquentruncl kriminell oder als Protest galt, interessierten plötzlich aufgrund ihrerkulturellen Leistungen und Produktionen. Mit diesem Perspektivenwechselvollzog sich nicht nur die Trennung von politischen und ästhetischen Perspek-

tiven auf ,Jugend', er entfachte auch eine interne wissenschaftliche Diskussi-on um die Frage, ob durch die Fokussierung auf das Feld der Kultr-rr nicht>die realen Lebensprobleme der Jugendlichen eher in den Hintergrund ge-

drängt werden<rr8. Die Auseinandersetzung um Ethik contra Asthetik nahm

hier ihren Anfang.In die Diskussion gebracht wurde der Topos von der Jugend als einer kul-

turproduzierenden Kraft durch die Arbeiten des Center for Conten.rporaryCultural Studies in Birmingham. Forscher wie John Clarke, Dick I{ebdige,Paul Willis, Angela McRobbie hatten sich schon Ende der l970er Jahre der

Stilbildung und der alltagskulturellen Praktiken von Jugendlichen zugewandt.ln Anlehnung an Ldvi-Strauss'Begriff dcr,bricolage'verstanden sie die Ju-

gendlichen als ,Ilastler', die ihre Stile selbständig bildeten. Im Gegensatz zu

der von kulturkritischer Seite gem vertretenen Vorstellung von Jugendlichenals ,Modedummies' und Retortenprodukte aus der Maschine der Konsumgü-terindustrie verfochten sie die 'I'hese, daß subkulturelle Stile das Selbstbildder Gruppe spiegeln, ihre Fundamente in den alltäglichen Erfahrungen derJugendlichen haben - und von daher immer auch ein widerspenstiges Potentr-al s)rmbolisieren. Allerdings gingen die Forscher der Cultural Studies davonaus, dal} sich die subkulturellen Stile ur-rmittelbar in Anlehnung an die sozialeHerkunft bilden. Mit dem Begriff ,Subkultur' wollten sie zum Ausclruck brin-gen, daß ihrer Meinung nach die jugendlichen Stile klassenspezifisch diffe-renziert sind und sowohl in Opposition zur hegemonialen Kultur als auch zurKultur der Erwachsenen derselben Klasse entstehen. Die Subkulturen derRocker oder der Punks identifizierten sie als proletarische Klassenkulturen.

Mit dieser Forschungsperspektive nahmen die britischen Wissenschatt-ler/inncn den Begriff der Sub-Kultur vor allem unter dem Aspekt des Kultu-rellen ernst und erfüllten damit bereits in den 1970er Jahren eine Forderung,die Jürgen Zinnecker Anfang der 8Oer auch an die deutschsprachige Jugend-forschung richtete: >Sozialwissenschaftler haben zwar kulturanthropologi-schen Wissenschaftstraditionen die Begriffe ,Kultur', ,Teilkultur', ,Subkul-tur' entlehnt: die Debatten, die in der Vergangenheit unter solchen Etiketten

So afgunrenticrt beispielsrvcrsc Waltcr Ilornstein: Auf dcl Suchc nach Ncuoricnticrung:.lugcndfbrschung zrvischen Asthetisierung untl neuen Iiornren politischer'l-lrernatisierungder .lugcnd, in: Zcitschrill liir I'ädagogik, 3-5. Jg., Nr. l, 1 9U9, S. 1 07 1 25 (hicr: S. 1 08).

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