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47 1 Übersichtsplan der Siedlung Marienhöhe, gelb markiert die ersten 67 Einheiten, die nach Plänen Richard Neutras gebaut wurden. 2 Außenansicht nach Sanierung mit wiederherge- stelltem Spiderleg, Aufn. 2018. Eleganz der 1960er Jahre – Die denkmalgerechte Instandsetzung eines Bungalows von Richard Neutra in der Marienhöhe, Quickborn Klaus Jungk Die Wohnsiedlung in Quickborn-Marien- höhe 1 mit Bungalows des österreichisch-ame- rikanischen Stararchitekten Richard Joseph Neutra (1892–1970) 2 besteht mittlerweile seit mehr als 50 Jahren (Abb. 1). Entsprechend sind viele der 1963 errichteten 67 Häuser in einem sanierungsbedürftigen Zustand. Spä- testens bei Eigentümerwechsel bietet sich eine grundlegende Instandsetzung an. Insbe- sondere der nach heutigen Maßstäben nur ru- dimentär vorhandene Wärmeschutz sollte da- bei verbessert werden. Wärmedämmmaßnah- men auf den äußeren Fassaden verbieten sich allerdings, da die gestaltprägenden Details dabei verloren gehen würden. Die großen Glasflächen, die weiten Dachüberstände mit höherstehenden Wandscheiben und das Neu- tra-typische „Spiderleg“ geben den Bauten der Siedlung ein ausgesprochen zeitgemäßes und elegantes Erscheinungsbild (Abb. 2 und 3).

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1 Übersichtsplan der Siedlung Marienhöhe, gelb markiert die ersten 67 Einheiten, die nach Plänen Richard Neutras gebaut wurden.

2 Außenansicht nach Sanierung mit wiederherge-stelltem Spiderleg, Aufn. 2018.

Eleganz der 1960er Jahre – Die denkmalgerechte Instandsetzung eines Bungalows von Richard Neutra in der Marienhöhe, Quickborn

Klaus Jungk

Die Wohnsiedlung in Quickborn-Marien-höhe1 mit Bungalows des österreichisch-ame-rikanischen Stararchitekten Richard Joseph Neutra (1892–1970)2 besteht mittlerweile seit mehr als 50 Jahren (Abb. 1). Entsprechend sind viele der 1963 errichteten 67 Häuser in einem sanierungsbedürftigen Zustand. Spä-testens bei Eigentümerwechsel bietet sich eine grundlegende Instandsetzung an. Insbe-sondere der nach heutigen Maßstäben nur ru-dimentär vorhandene Wärmeschutz sollte da-bei verbessert werden. Wärmedämmmaßnah-men auf den äußeren Fassaden verbieten sich allerdings, da die gestaltprägenden Details dabei verloren gehen würden. Die großen Glasflächen, die weiten Dachüberstände mit höherstehenden Wandscheiben und das Neu-

tra-typische „Spiderleg“ geben den Bauten der Siedlung ein ausgesprochen zeitgemäßes und elegantes Erscheinungsbild (Abb. 2 und 3).

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3 Außenansicht Gartenseite nach Sanierung, Aufn. 2017.

Auch im Innern ist Neutras Handschrift mit der Kombination ausgesuchter Materialien wie Glas, Holz, Metall und Backstein unverkenn-bar. Raumhohe Glaselemente und Türen sowie Einbauschränke, Fensterbänder von Wand zu

Wand, Eichen-Mosaik-Parkett und Deckenver-kleidungen aus Oregonfichte sowie andere sorgfältig geplante Details verleihen den Räu-men eine außerordentliche Architekturqualität (Abb. 4).4 Innenansicht nach

Sanierung, Aufn. 2018.

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Hinzu kommt die für Neutra typische Einbe-ziehung des Gartens in die Gesamtkomposi-tion, bei der Innen- und Außenraum eine funk-tionale Einheit bilden. Die an die Wohn- und Schlafräume anschließenden Terrassen in ihrer exakt geometrischen Begrenzung lassen Innen und Außen miteinander verschmelzen (Abb. 5). Kein Geringerer als der Hamburger Garten-architekt Gustav Lüttge (1909–1968)3 zeich-nete für die Gartenplanung verantwortlich. Die von Neutra vorgegebene Grundstruktur wurde in Lüttges Pflanzplänen adäquat umgesetzt. Vor allem Rasen- und Terrassenflächen sind als erweiterte Wohnflächen im Außenbereich zu verstehen. Während die Eingangs- und Vor-gartenbereiche zu den Erschließungsstraßen hin ohne Zäune öffentlich einsehbar sein soll-ten, wurde der private Gartenbereich durch Sichtschutzhecken (Rotbuche) und freiste-hende Holzlamellenzäune geschickt abge-trennt.4

Die Siedlung Marienhöhe zählt neben der gleichzeitig errichteten Neutra-Siedlung in Walldorf5 bei Frankfurt am Main nicht nur zu den frühesten deutschen Bungalowsiedlungen, sondern bildet ein einzigartiges städtebauli-ches und architektonisches Ensemble der Nachkriegsmoderne von internationalem Rang. Daher wurde die Siedlung 2005 in das Denkmalbuch des Landes Schleswig-Holstein eingetragen.Die besonderen Qualitäten der Anlage wuss-ten auch die neuen Eigentümer der Marien-höhe 48 bereits frühzeitig zu schätzen und haben das Architekturbüro Schlossmacher + Jungk mit der Grundinstandsetzung ihres Wohnhauses beauftragt. Das Gebäude vom Typ D1 mit knapp 120 m2 Wohnfläche (Typ D gespiegelt, Abb. 6) ist als Doppelhaus zu-sammen mit Nr. 50 errichtet worden. Bereits 1972 wurde die an der Grenzwand zu Nr. 50 liegende Garage zu einem Wohnraum umge-baut und die ehemalige Toröffnung mit roten Ziegelsteinen vermauert. Gleichzeitig ent-stand eine neue Garage im Vorgarten zur Straße.Im Rahmen der Sanierung wurden nachfol-gend benannte, wesentliche Maßnahmen durchgeführt, die durch unser Büro bereits 2006 in einem denkmalpflegerischen Gutach-ten6 dargestellt wurden:– Erneuerung der Dacheindeckung, Wieder-

herstellung des Dachrandabschlusses mit Alublende

– neue energetisch verbesserte Fenster – Wiederherstellung des Spiderlegs– Vollwärmeschutz der Decken– Einbau eines Dämm- und Sanierputzes– Instandsetzung der originalen Einbauten– Einbau eines Kaminofens– Instandsetzung der Eichenparkettböden– Instandsetzung der originalen Leuchten

Die erste Dachabdichtung von 1963 war unter der Anfang 1972 erneuerten, jedoch nach 40 Jahren extrem rissgefährdeten Abdichtungs-bahn aus EPDM7 noch erhalten. Diese bis zu 40 mm starke Abdichtung des gefällelosen Flachdachs besteht aus einem Kies-Pressdach („Habelit“ Spachteldichtung), das bei diesem Haus vermutlich aufgrund von frühen Undich-tigkeiten bereits doppelt ausgeführt worden war. Die neue Abdichtung mit Elastomerbitu-men-Schweißbahnen wurde auf der erhaltenen Originalabdichtung eingebaut. Der sehr breite,

5 Blick vom Wohnraum in den freigestellten Garten nach Sanierung, Terrasse mit Vogeltränke und reparierten Rankhilfen an den Fassaden, Aufn. 2017.

6 Grundriss Wohnhaus Typ D1 (Typ D gespiegelt).

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8 Außenansicht Straßenseite nach Sanierung, Aufn. 2018.

7 Außenansicht Gartenseite, Vorzustand mit verkürztem Spiderleg, Aufn. 2017.

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10 Außenansicht Terrassen-seite nach Sanierung, Aufn. 2018.

olivgrüne Dachrand nebst Mauerabdeckungen wurde entsprechend den Originalplänen durch eine natureloxierte, schmale Attikablende aus Aluminium ersetzt, die höherstehenden Mau-ern erhielten wieder eine schlanke Zinkabde-ckung. Das nachträglich eingekürzte Spiderleg (Abb. 7) wurde durch Verlängerung des beste-henden Unterzuges um circa 1 m nach außen wieder in die von Neutra geplante Lage zu-rückversetzt und in der originalen Farbigkeit gestrichen.Viel Planungsaufwand verursachten die neu einzubauenden Fenster (Abb. 8–10). Die Neutra´sche Teilung der Fensterbänder mit be-weglichen schmalen Flügeln und breiten Fest-elementen sollte wiederhergestellt werden. Die originalen, einfach verglasten Fenster wa-ren bereits 10 Jahre nach Fertigstellung der Häuser durch anders geteilte, nicht thermisch getrennte Aluminiumfenster mit Isoliervergla-sung ersetzt worden. Nach umfangreicher Re-cherche, diversen Skizzen und darauf basie-renden Angeboten mit Preisen zwischen 20.000 und 130.000(!) Euro für die neuen energetisch verbesserten Fenster wurde eine kombinierte und kostengünstige Variante ge-wählt: Für die schmalen Öffnungsflügel fiel die Wahl auf eine nach außen öffnende Senk-

Klapp-Konstruktion mit 50 mm Ansichtsbreite der Firma Velfac, während für die Festvergla-sungen eine Rahmenkonstruktion aus handels-üblichen ALU-Profilen mit lediglich 30 mm Ansichtsbreite eingebaut wurde. Die in der ur-sprünglichen Ebene vor der ertüchtigten, tra-genden Stahlrahmenkonstruktion eingebauten Elemente sind wieder ALU-natureloxiert.

9 Außenansicht Terrassen-seite, Vorzustand, Aufn. 2017.

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Im Innern wurden die originale Deckenver-kleidungen aus Oregonfichte nach Herstellung der Vollwärmedämmung zwischen den Dach-balken und Einbau einer Dampfbremse gerei-nigt und an Ort und Stelle wieder eingebaut. Die massiv gemauerten Außenwände wurden innenseitig nach Entfernung des Bestandsput-zes mit einem klimaausgleichenden Dämm- und Sanierputz versehen. Die dadurch erhöhte

Oberflächentemperatur der Wände verringert den Kaltluftabfall an den Außenwänden und verbessert so das Behaglichkeitsempfinden. Der Parkettboden im Wohn- und Essbereich konnte repariert und neu eingepflegt werden, die Zimmer erhielten anstelle des Teppichbo-dens einen Parkettbelag aus massiven Eichen-stäben auf wärmedämmender Unterlage. Wei-terhin erfolgten die komplette Neuinstallation der Elektrik, Umbauten und Modernisierungen der Sanitärbereiche sowie der originalen Luft-heizung und umfangreiche Malerarbeiten (Abb. 11–14).Im Außenbereich erfolgten starke Rück-schnitte der bauzeitlichen Pflanzungen, die Wiederherstellung der Rasenflächen, die In-standsetzung der drei verschieden gestalteten, im Original erhaltenen Sichtschutz-Lamellen-zäune sowie des Wasserbeckens und die Neu-pflanzung einer Rotbuchenhecke.Durch die Rückführung der wesentlichen Ar-chitekturdetails wie Dachrand, Fensterteilung und Spiderleg auf den Bauzustand von 1963 hat der Bungalow ganz entscheidend an Au-thentizität gewonnen. Ursprüngliche Eleganz und Leichtigkeit der Architektur sind wieder hergestellt. Die räumliche Gestaltung von In-nen und Außen, das Ineinanderfließen der Be-reiche ist aufgrund der Rückschnitte und Frei-stellungen im Außenraum wieder umfangreich erlebbar.

11 Innenansicht Wohn-/Essraum, Vorzustand, Aufn. 2017.

12 Innenansicht Wohn-/Essraum nach Sanierung, Aufn. 2018.w

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Anmerkungen:

1 Eva von Engelberg-Dockal: Richard Neutras Siedlung in Quickborn – „Kalifornische Moderne“ in Schleswig-Holstein. In: DenkMal! – Zeitschrift für Denkmalpflege in Schleswig-Holstein 10 (2003), S. 37–47 mit weiterführender Literatur.2 Klaus Leuschel und Marta Herford (Hrsg.): Ri-chard Neutra in Europa. Bauten und Projekte 1960 bis 1970, Köln 2010, S. 257–258.3 Karin von Behr: Lüttge, Gustav. In: Hamburgi-sche Biografie, Bd. 1, Hamburg 2001, S. 192–193.4 Margita M. Meyer: Die Siedlung Marienhöhe in Quickborn – Kalifornische Moderne in Schleswig-Holstein? In: Arbeitshefte des Thüringischen Lan-desamtes für Denkmalpflege und Archäologie, Ta-gungsband 28: „Stadt- und Grünplanung der 1950er und 1960er Jahre in Deutschland“, Erfurt 2006, S.38–49. Vgl. auch http://gudrunlang.com/images/veroeffentlichungen/GudrunLang_Neutra_Sied-lung_Marienhoehe.pdf.

5 Brigitte Klebac: Ein ”Wohnankerplatz” im Rhein-Main-Gebiet. Bungalowsiedlung Walldorf von Richard Neutra. In: Denkmalpflege in Hessen 2, 1991, S. 44–48; Manuel Bechtold: Die Neutra-Siedlung in Mörfelden-Walldorf. Eine gartendenk-malpflegerische Analyse. Unveröffentlichte Master-arbeit an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und der Fachhochschule Coburg, 2005.6 Dipl.-Ing. Architekten BDA Schlossmacher und Jungk: Neutra-Siedlung Quickborn – Bestand und Sanierung, 2006. Archiv Landesamt für Denkmal-pflege Schleswig-Holstein.7 Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk.

Abbildungsnachweis: 1, 6 – aus: BEWOBAU-Ham-burg (Hrsg.): Von Prof. Richard J. Neutra entworfen – Von der BEWOBAU verwirklicht, Verkaufspros-pekt Quickborn, o. J.; 2, 4, 8, 10, 12–14 – Cornelia Fehre, LDSH; 3, 5, 7, 9, 11 – Klaus Jungk

14 Innenansicht Wohnraum nach Sanierung, Aufn. 2018.

13 Wiederhergestellte Kellertreppe, Aufn. 2018.