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EMIL JENSEN Skulpturen Schleswig 1989

Emil Jensen (1888 1967) - campus-klinik-bochum.de · Sylt versetzten ihn erst 1907/08 in die Lage, laufen zu lernen. Die Familie unternahm alles, um dem Sorgenkind sein Schicksal

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Emil Jensen (1888 1967)Skulpturen

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Emil Jensen(1888 – 1967)

Christian Rathke

Skulpturen

Ausstellungvom 30. April bis 16. Juni 1989

Schleswig-Holsteinisches LandesmuseumSchloß Gottorf in Schleswig

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© Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum und Autoren

Ausstellung und Katalog wurden im Rahmen einer Übung im WS 1988/89 mit Studenten des Kunsthistori-schen Instituts der Universität Kiel bereitet. Besonderer Dank gilt Ruth Greipel,Martina Kral und Margret Schaeper für Referate, die z. T. in den Einführungstext eingeflossen sind.

Photographien: Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum (Renate Kühling)

Abbildung auf dem Umschlag:Berggeist, 1917, Kat. Nr. 1

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Vielleicht erweist sich auf keinem Gebiet der Moderne die Annahme, daß uns alle bemerkenswert erscheinenden Leistungen hinlänglich bekannt seien, so häufig als ein Irrtum wie angesichts der Skulptur aus den vergangenen sieben oder acht Jahr-zehnten. Die Gründe dafür sind unschwer zu benen-nen: Die Aufmerksamkeit primär auf die Malerei gerichtet und das Urteil auf die für sie geltenden Maßstäbe gestützt, beachteten wir oft diejenigen Arbeiten zu wenig, die im zentralen Bereich der Bildhauerei realisiert wurden und die sich auf deren bis heute nicht überflüssig gewordene Orientierung an der menschlichen Figur konzentrieren. Wenn dies schon für diejenigen Länder gilt, in der die figürliche Plastik auf eine reiche Tradition zurücksehen kann, wieviel mehr droht die Gefahr der Unterschätzung und des Vergessenwerdens in Regionen ohne Konti-nuität der Plastik.

In Norddeutschland erfuhr die Bildhauerei während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine solche Unterbrechung. Dazu mag der Orientierungswech-sel von der Kopenhagener Akademie und ihrer Thorwaldsen-Überlieferung zur Düsseldorfer Aka-demie mit ihrem Primat des Malerischen eine Rolle gespielt haben. Erst um und nach 1900 setzte eine bemerkenswerte neue Entwicklung ein, die bis in die Gegenwart hinein fortlebt.

Das Schleswig-Holsteinische Landesmuseum hat es sich während der letzten Jahre zur besonderen Auf-gabe gemacht, das Defizit im Bewußtsein für die Bei-träge der norddeutschen Bildhauerei zur Moderne nach Möglichkeit zu beseitigen. Eine Folge von sieben größeren und großen Ausstellungen sowie der schnelle Ausbau der Bestände zur größten Sammlung von Plastik aus unserer Region in einem norddeutschen Museum ergänzten sich gegenseitig.

Gestützt auf die Hilfe und das Verständnis der Künstler und ihrer Erben für unsere Bemühungen, auf die generöse Förderung durch Sammler und durch Mäzene aus der Wirtschaft konnten mehr und mehr Einzelwerke und Werkgruppen gewonnen werden, so daß sich manche Lücke in den Vorstel-lungen von moderner Bildhauerei Schleswig-Holsteins schloß.

Emil Jensen, der nach einem durch körperliche Schwächen und Belastungen beeinträchtigten Leben ein beachtenswertes Oeuvre hinterließ, zählt zu denjenigen Bildhauern, die es noch zu entdecken gilt. Durch die Vermittlung von Herrn Prof. Dr. in der Beek fanden wir den Zugang zu Frau Dr. Ingrid Jensen, die das Werk des Bildhauers seit vielen Jahren betreut, die es uns zugänglich machte und für die Ausstellung zur Verfügung stellte. Herr Dr. Christian Rathke hat, wie bei anderen Bildhaueraus-stellungen der letzten Jahre, die Präsentation der Ausstellung vorbereitet, die Auswahl unter den ver-fügbaren Arbeiten getroffen und den Katalog bear-beitet, z.T. gemeinsam mit Studenten während einer Übung am Kunsthistorischen Institut der Universität Kiel im Wintersemester 1988/89.

Der Dank des Landesmuseums und seiner Besucher gilt Frau Dr. Jensen, Herrn Prof. Dr. in der Beek und Herrn Dr. Rathke in gleicher Weise, zumal über die Ausstellung hinaus mehrere Bildwerke Emil Jensens auf Dauer einen Platz in der Gottorfer Sammlung einnehmen können.

Schleswig, 12.4.1989

Heinz Spielmann

Vorwort

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Am 18. 7.1888 wurde Emil Rasmus Jensen in Ton-dern geboren, das damals zum Deutschen Reich gehörte. Er entstammte einer gutbürgerlichen Fami-lie, der Vater betrieb ein Geschäft für Herrenbeklei-dung, später eine Versicherungsagentur. Beim Zwei-jährigen zeigten sich erste Anzeichen einer rachiti-schen Erkrankung, die ihn zumeist ans Bett fesselte und bald das Wachstum zum Stillstand brachte. 1894 siedelte die Familie nach Flensburg über. Im Gegensatz zu seinen sechs Brüdern und Schwestern konnte der Junge keinen regulären Schulunterricht erhalten. Er beschäftigte sich häufig mit selbstge-stellten bildnerischen Aufgaben. Verschiedene The-rapieversuche und regelmäßige Kuraufenthalte auf Sylt versetzten ihn erst 1907/08 in die Lage, laufen zu lernen.

Die Familie unternahm alles, um dem Sorgenkind sein Schicksal zu erleichtern. Als er 26 Jahre alt war, bahnte sich für ihn eine neue Entwicklung an: Er war durch seinen extremen Zwergwuchs in eine Außen-seiterrolle gedrängt und verfügte zugleich über ein auffälliges künstlerisches Talent. So schlug er - ähn-lich wie Henri de Toulouse-Lautrec - die Laufbahn eines bildenden Künstlers ein.

Seine Schwägerin Anni Jensen schildert in einem handgeschriebenen Text, der sich beim Nachlaß befindet, diesen wichtigen Schritt mit den Worten: „Mit 20 Jahren konnte Ene endlich gehen, durch ständiges Training war er nun so weit, daß er sogar die Treppen nehmen konnte. Durch Zufall wurde der Direktor der Flensburger Kunstschule, Professor Huber, auf ihn aufmerksam und überredete Enes Eltern, ihn doch zu ihm zur Ausbildung in seine Schule zu geben. Diese Schule war im Museum hoch oben auf einer Anhöhe untergebracht. Die Eltern entschlossen sich nun ganz in die Nähe und zwar in den Nordergraben 20 unterhalb der Anhöhe zu zie-hen. Ene war damals 26 Jahre alt, als er seine Ausbil-dung bei Professor Huber begann, es war 1914, als

der erste Weltkrieg ausbrach. Er mußte täglich 100 Stufen steigen, um an seinen Arbeitsplatz zu kom-men; so sagte er zu mir: „Stell Dir vor, jede Stufe ist für mich so hoch wie für Dich ein Stuhl". Darüber haben wir beide gelacht, das erinnere ich ganz deut-lich."

Jensens Lehrer an der Kunstgewerblichen Fach-schule in Flensburg war der Bildhauer Heinz Wed-dig (1870-1946). Der gebürtige Hanauer hatte nach einer Goldschmiedelehre und Tätigkeit als Graveur 1893-98 an der Münchener Königlich Bayrischen Akademie der Bildenden Künste studiert und anschließend dort und in Berlin größere baupla-stische Arbeiten realisiert. 1905 wurde er nach Flensburg berufen und lehrte bis kurz vor seinem Tode Bildhauerei, zuletzt als Leiter der Schule. Im Vordergrund seiner Lehrtätigkeit stand entsprechend der Tradition der Flensburger Kunstgewerbeschule die Holzbildhauerei. Daneben konnte der technisch vielseitige Weddig auch Steinbildhauerei, Silber-schmiedearbeit und die mehr privat betriebene Malerei vermitteln. Seine Themen waren, wie bei seinem berühmten Altersgenossen und Landsmann August Gaul, vor allem die Tierplastik, dann die menschliche Figur und Auftragsarbeiten wie Me-daillen oder öffentliche, oft religiöse Plastik. Von seinen Schülern wurde beispielsweise die Kreuzes-gruppe für die Friedrichsberger Kirche zu Schleswig ausgeführt.

Jensen erlernte in den Flensburger Jahren 1914 bis 1922 bei Weddig vor allem die Arbeit am Holz. In dieser Zeit, um 1920, entstand die Gruppe von zwei Affen, die voneinander abgewandt auf einem Block hocken (Kat. Nr. 2). Über den naturalistischen Ansatz der Darstellung von Muttertier und Jungem hinaus zeigen die Figuren Züge des Grotesken, bedrohliche Untertöne und vielleicht bittere Selbst-ironie. Jensen hat auch später den Affen als eine dem Menschen evolutionär nahestehende Spezies für

Christian Rathke

Emil Jensen – Ein vergessenerBildhauer aus Nordschleswig

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anthropomorphe Tierplastik verwendet. Er scheint dieses Thema von Weddig übernommen zu haben, über den anläßlich einer Ausstellung 1931 eine Rezension der Kieler Zeitung berichtet: „Ein Stich in originelle Groteskkomik haben die beiden trauernden, mit den Gesichtern einander zugekehr-ten Affen."

Dem gegenüber stehen Skulpturen, bei denen geo-metrische und stereometrische Gestaltungselemente im Vordergrund stehen. In der 1917 entstandenen Holzskulptur „Der Berggeist" (Kat. Nr. 1) scheinen diese Elemente der eigentliche Darstel-lungsgegenstand zu sein. Der athletische Akt wächst aus einem Felsen heraus und stemmt einen Block in die Höhe. Körper und Steinpartien sind gleicherma-ßen in kubische Formen umgewandelt, Berggeist

und Berg werden formal einander angeglichen, gehen ineinander über. Das Konzept einer prismati-schen Brechung und damit einer weitgehenden Abstraktion der Figur hat Jensen später in einem figürlichen Leuchterhalter aus Terrakotta aufgegrif-fen (Kat. Nr. 6).

1922 verließ Jensen Flensburg und begann ein Stu-dium an der Kunstgewerbeschule am Lerchenfeld in Hamburg. Hier wirkte die Tradition des Wiener Jugendstils deutlich fort, wie ihn Carl Otto Czeschka und Richard Luksch seit 1907/08 lehrten.

Jensens kleiner Porzellankopf mit dem Titel „Lei-denschaft" (Kat Nr. 5), 1923, also zu Anfang seiner Studienzeit entstanden, läßt deutlich den stilisti-schen Wandel gegenüber der Flensburger Situation erkennen. Die realistischen Elemente sind zurück-

Kunstgewerbeschule Flensburg 1917. Während der Arbeit am „Berggeist" (Kat. Nr. 1)

„Sterbende Amazone", letzte Hälfte 20er Jahre, Porzellanguß. In der Ausstellung wird der Gips gezeigt (Kat. Nr. 7)

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genommen, dafür nehmen die dekorativen zu. Das Gesicht zeigt - damit der Plastik von Luksch ver-gleichbar - eine Überlängung und Stilisierung der Züge, die dem nachklingenden Jugendstil verpflich-tet ist. Ein Teil der künstlerischen Produktion Jensens aus der ersten Hälfte der 20er Jahre gibt dem Eleganten und Gefälligen einen großen Raum, etwa die in Porzellan und Bronze vervielfältigte „Ster-bende Amazone" (Kat. Nr. 7).

Die künstlerische Zielsetzung von Jensens Hambur-ger Lehrer Bossard (1874-1950) richtete sich nicht auf das Einzelkunstwerk, sondern stärker noch als bei seinen Kollegen Czeschka und Luksch auf ein Ensemble von Architektur, Innenarchitektur, Skulp-tur und Malerei. In Zug in der Schweiz geboren, war Bossard Schüler der Kunstgewerbeschule, dann der Akademie in München - übrigens ebenso wie Wed-dig bei dem vielbeschäftigten Denkmalsplastiker Wilhelm von Rümann. Bevor Bossard 1907 an die Hamburger Kunstgewerbeschule berufen wurde,

hatte er seine Ausbildung bei Arthur Kampf in Berlin vollendet. Seit 1912, also bei Jensens Eintritt in seine Klasse schon ein Jahrzehnt lang, arbeitete er an seinem Gesamtkunstwerk, einem „Kunsttempel" bei Lüllau in der Lüneburger Heide. Hier entstand eine nur aus dem Zeitgeist heraus verstehbare Mischung aus Werkstatt, Sommerhaus und einer Weihestätte des Geistes und der Kunst , laut einer programmatischen Schrift Bossards von 1925 „eine der Zellen der Erneuerung. Und vielleicht gibt es bald im Vaterland nicht nur den Lüneburger Natur-park, und wie hier an seinen Grenzen wachsen auch

Kunstgewerbeschule Hamburg, nach 1922links Tonmodell für die Marmorskulptur „Umarmung”(Kat. Nr. 4)

Kunstgewerbeschule Hamburg, wohl 1927zu erkennen Gipsmodelle für „Susanna" (Kat. Nr. 8)„Mutter mit sterbendem Kind (Kat. Nr. 13) und Bronzefassung der „Sterbenden Amazone" (Kat. Nr. 7)

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überall Siedlungen, um deren Kerne die Tempel der Erneuerung. Da kommen sie dann in Scharen, die Tapferen der schwieligen Faust, die geisteskühlen der Universitäten, die Schüler des Handels und des Gewerbes, die Schönheitsfreudigen und Starken in der Form, die Geistigen des Klanges und der tiefen Worte. Das Fest der Arbeit eint sie alle, und das Hohe ist ihr aller Teil. Am Anfang war die Tat, und kargem Boden wird die Frucht entlockt, Marsch und Tanz, Gehorsam, weil er Kraft erzeugt, und Froheit,

weil sie Weisheit lehrt, leiten schon den ersten Tag. Sand wird gesiebt, und Steine nehmen Form an, Schlafräume in langen Zeilen wie eine Schutzmauer um den Tempel erheben sich und Kunstschüler mit Meistern einen lehrend und lernend sich zu hohem Werke. Nicht mehr für Augenblender in Ausstellun-gen wird erzogen und geschaffen, sondern für Schönheit, die dem Ganzen dient." Bossard konnte seine Idee eines „Tempelbauorden(s)" nur teilweise verwirklichen.

Jensen verweilte bis zu seinem 42. Lebensj ahr in Bos-sards Klasse und lernte viel bei ihm, übernahm aber dessen Ideologie nicht. Figürlich gestaltete keramische Gebrauchsgegenstände, wie zum Beispiel der erwähnte Leuchterhalter von 1924, dürften aus Bossards Konzeption eines Gesamtkunstwerks zu erklären sein, Themen wie „Mutter und Kind" gestalteten der Lehrer und der Schüler in Fayence bzw. Terracotta. Vor allem stilistisch war der Schweizer mehrere Jahre lang für Jensen bestimmend. Dies wird ablesbar etwa an den kleinen Bronzen „Susanna" (Kat. Nr. 8) und „Sinnendes Mädchen" (Kat. Nr. 9) aus der ersten Hälfte der 20er Jahre, die mit einer vor 1912 entstandenen bronzenen „Amazone" Bossards zu vergleichen wäre. Auch anderen Einflüssen war Jensen in seiner Studienzeit aufgeschlossen. So spiegelt seinTerracottaplastik „Mut ter mit sterbendem Kind" (Kat. Nr. 13) von 1927 die Kenntnis der Zeichnungen und Graphik von Käthe Kollwitz wider.

„Kain auf der Flucht", vor 1927 Atelieraufnahme der Bronze (Kat. Nr. 12)

Während der Arbeit an „Erscheinung" (Kat. Nr. 14), im Atelier in Hamburg, 1930/31

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Seit Mitte der zwanziger Jahre wandte sich Jensen stärker einer realistischen Wirklichkeitsauffassung zu, die Formate wuchsen. Anregung für die Bronze „Kain auf der Flucht" (Kat. Nr. 12) mag Rodins „L'homme qui marche" von 1900 bis 1905 gewesen sein. In ähnlicher Weise geht der Kopf der Mutter Emilie Jensen (Kat. Nr. 10) vom Bildnisstil Rodins aus.

Im Mai 1927 erschien ein längerer Aufsatz von Helmut Duve über Jensens Werk in der illustrierten Familienwochenschrift „Das Neue Blatt", womit er auf einen Schlag eine gewisse Popularität erlangte. Er stellte 1928 zwei (nicht erhaltene) religiöse Gips-plastiken und eine Tischbeleuchtung aus Bronze in der Jubiläumsausstellung lebender schleswig-hol-steiner Künstler im Kunstgewerbemuseum Flens-burg aus und erhielt Aufträge für verschiedene öffentlich aufgestellte Skulpturen. Die Museen in Altona und Flensburg erwarben Arbeiten von ihm, die Preußische Akademie der Künste verlieh ihm 1930 auf Vorschlag von Liebermann und Käthe Kollwitz das Rom-Stipendium für die Villa Mas-simo. 1931 konnte er mehrere Monate in Italien ver-bringen.

In den frühen 30er Jahren entstand eine Reihe großer weiblicher Akte, die zu Jensens schönsten und reifsten Arbeiten zählen. Erhalten sind die „Erscheinung" von 1931 (Kat. Nr. 14) und die „Sin-nende" oder „Trauernde" (Kat. Nr. 15), während die

1932 konnte Jensen ein Atelier im Ohlendorffhaus beziehen. Die Stadt Hamburg stellte hier (aufgrund des Legates eines wohlhabenden Kaufmannes) bil-denden Künstlern kostenlos Ateliers zur Verfügung. Jensen führte ein relativ unbeschwertes Leben zusammen mit anderen Künstlern, zeitweilig mit Hans Martin Ruwoldt, Karl Kluth und Arnold Fiedler. Als 1943 dieses Haus zerstört wurde, verlor Jensen nicht nur den Lebens- und Arbeitsraum, son-dern auch sein gesamtes Werk, soweit es zu diesem Zeitpunkt nicht bei Sammlern oder Museen unter-gebracht war. Photographien im Nachlaß lassen jedoch erkennen, daß Jensen bei mancher Plastik der Zeit nach 1935/37, das Gefühl für das rechte Maß fehlte.

Atelier in Hamburg 1931/32, im Hintergrund Tonmodell für „Erfüllung" (zerstört)

Ausstellung im Schloß Chatlottenburg, Kopenhagen Mai-Juni 1932, u. a. mit Gipsmodellen für „Erscheinung" (Kat. Nr. 14) und „Erfüllung" (zerstört)

„Erfüllung" von 1931/32 zerstört ist. In verschiede-nen Atelieraufnahmen ist sie dokumentiert. Mit die-sen idealistisch überhöhten, an Maillol erinnernden Plastiken erreicht Jensen einen harmonischen Aus-gleich widerstrebender Tendenzen in seinem Werk, formal zwischen Expressivität und Eleganz, inhalt-lich zwischen Monumentalität und Intimität. Von Mitte Mai bis Mitte Juni 1932 zeigte Jensen seine Arbeiten mit großem Erfolg im Kopenhagener Schloß Charlottenborg.

Im Nachlaß erhaltene Photographien machen deut-lich, daß er die „Erscheinung" und die „Erfüllung" ins Zentrum dieser Schau gerückt hatte. Jensens beste, später zerstörte, Arbeiten waren in dieser Aus-stellung zu sehen.

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Nach der Ausbombung suchte er einen neuen Anfang bei seiner Schwester in Bayrischzeil. Zuerst entstanden nur Zeichnungen und Aquarelle, seit 1953 in Starnberg unter besseren räumlichen Bedin-gungen auch kleinformatige Plastiken und Reliefs. Neben im weitesten Sinne religiösen Themen wie der Gruppe „Verwandte Seelen helfen sich" (Kat. Nr. 19) und der Darstellung von Tieren (Kat. Nr. 22, 23, 37) dominiert der weibliche Akt das Spätwerk.

Noch im höheren Alter besitzt Jensen die Wachheit, stilistische Entwicklungen wahrzunehmen und umzusetzen, beispielsweise die Plastik von Henry Moore. Eine der letzten Arbeiten vor seinem Tod am 22.12. 1967 ist die „Kniende Schwangere" von etwa 1965 (Kat. Nr. 38). Jensen stilisiert den weiblichen Körper in weich verfließenden Wölbungen, Details wie Kopf und Hände werden gegenüber dem prall gespannten Leib reduziert. Diese Figur wirkt formal und inhaltlich wie ein Antipode zu dem 60 Jahre zuvor entstandenen „Berggeist".

Es ist zu bedauern, daß ein großer Teil der gelungen-sten Plastiken Emil Jensens aus den Jahren um 1930 verloren ist, so daß eine abschließende Beurteilung seines Werkes heute wohl nicht mehr gegeben wer-den kann.

Atelier in Hamburg 1931/32 während der Arbeit an „Erfüllung"(zerstört)

Mit Tonmodell des (dritten) Beethovenkopfes (zerstört), Ham-burg, Ohlendorffhaus vor 1943

Atelier in Hamburg, Ohlendorffhaus, vor 1943, bei der Arbeit am Wagner-Kopf (Kat. Nr. 17)

Arbeitsraum in Starnberg, Juli 1961, u.a. mit Gipsmodell der „Pelikangruppe" (Kat. Nr. 29)

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Tafeln- und Ausstellungsverzeichnis

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Umarmung, nach 1922, Marmor, Kat. Nr. 4

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Affen, um 1920, Eiche, Kat. Nr. 3

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Totenmaske Beethoven, 1919, Eiche, Kat. Nr. 2

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Susanna, erste Hälfte 20er Jahre, Bronze, Kat. Nr. 8

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Leidenschaft, 1923, Porzellan, Kat. Nr. 5

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Mutter mit sterbendem Kind, 1927, Terracotta, Kat. Nr. 13

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Kopf der Mutter, vor 1927, Bronze, Kat. Nr. 10

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Sinnendes Mädchen, erste Hälfte 20er Jahre, Bronze, Kat. Nr. 9

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Sinnende (Trauernde), um 1935, Gips, Kat. Nr. 15

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Verwandte Seelen helfen sich, nach 1953, Bronze, Kat. Nr. 19

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Der Böse Blick, nach 1953, Bronze, Kat. Nr. 21

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Faunweib, 1963, Bronze, Kat. Nr. 36

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Mutter mit Kind, Anfang 60er Jahre, Gips, Kat. Nr. 27

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Kniende Frau, nach 1953, Gips, Kat. Nr. 25

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Alte Dirne, nach 1960, Gips, Kat. Nr. 28

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Ohreneulen, vor 1965, Bronze, Kat. Nr. 37

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Kniende Schwangere, um 1965, Bronze, Kat. Nr. 38

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Mutter mit Kind, um 1962, Gipsrelief, Kat. Nr. 33

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Mann und Frau, nach 1960, Gipsrelief, Kat. Nr. 31

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Europa mit dem Stier, um 1962, Gipsrelief, Kat. Nr. 34

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1 DER BERGGEIST, 1917Eiche, H. 69,5 cm Bez. RS auf der Plinthe: E. JENSEN

2 TOTENMASKE BEETHOVEN,Eiche, 33 x 28,5 cmBez. E. JENSEN, 1919

3 AFFEN, um 1920Eiche, H. 30 cmBez. RS: E. JENSEN

4 UMARMUNG, nach 1922Marmor, H. 65,5 cmBez. u.l.: E. JENSEN

5 LEIDENSCHAFT, 1923Porzellan, H. 14,5 cmBez. RS am Hals: E. JENSEN 23

6 LEUCHTER, um 1924Terracotta, H. 53 cmBez. u.r.: E. JENSEN

7 STERBENDE AMAZONE,erste Hälfte 20er JahreGips, H. 33,5 cmBez. an der Plinthe: E J (lig.)

8 SUSANNA, erste Hälfte 20er JahreBronze, H. 31,5 cmBez. auf der Plinthe: E. JENSEN

9 SINNENDES MÄDCHEN,erste Hälfte 20er JahreBronze, H. 28,5 cmBez. auf der Plinthe: E. JENSEN

10 KOPF DER MUTTER, vor 1927Bronze, H. 30 cmBez. am Hals l. hinten: E. JENSEN

11 ERMATTUNG, vor 1927Bronze, H. 51,5 cmBez. an der Plinthe: E. JENSEN Städtisches Museum Flensburg

12 KAIN AUF DER FLUCHT, vor 1927Bronze, H. 103 cmBez. auf der Plinthe: EMIL JENSEN

Katalog der ausgestellten Werke

13 MUTTER MIT STERBENDEM KIND, 1927Terracotta, H. 49,5 cmBez. hinten r.: E. JENSEN. 1927

14 ERSCHEINUNG, 1931Bronze, H. 94 cmUnbez.

15 SINNENDE (TRAUERNDE), um 1935Gips, getönt, H. 62 cmUnbez.

16 BEETHOVEN, vor 1943Bronze, H. 40 cmBez. am Hals: E J (lig.)

17 WAGNER-KOPF, vor 1943Bronze, H. 52 cmBez. r. hinten: E J (lig.)

18 DER GEFANGENE, 1950Bronze, H. 50 cmBez. l. Unterschenkel: E. JENSEN

19 VERWANDTE SEELEN HELFEN SICH,nach 1953Bronze, H. 46,5 cmUnbez.

20 GEISTER, nach 1953Bronze, H. 53 cmUnbez.

21 DER BÖSE BLICK, nach 1953Bronze, H. 26,5 cmBez. RS auf dem r. Oberschenkel: E. JENSEN

22 ADLER, nach 1953Bronze, H. 29 cmBez. auf der Plinthe: E. JENSEN

23 AFFE, nach 1953Bronze, H. 32 cmBez. am r. Schenkel: E. JENSEN

24 SITZENDE FRAU, nach 1953 Gips, H. 31,5 cm Unbez.

Page 34: Emil Jensen (1888 1967) - campus-klinik-bochum.de · Sylt versetzten ihn erst 1907/08 in die Lage, laufen zu lernen. Die Familie unternahm alles, um dem Sorgenkind sein Schicksal

25 KNIENDE FRAU, nach 1953Gips, H. 38 cmUnbez.

26 SITZENDE SCHWANGERE,Anfang 60er JahreGips, getönt, H. 45 cmUnbez.

27 MUTTER MIT KIND,Anfang 60er JahreGips, getönt, H. 35,5 cmBez.u.r.: E J (lig.)

28 ALTE DIRNE, nach I960Gips, H. 37 cmUnbez.

29 PELIKANGRUPPE, um 1960Bronze, H. 40 cmUnbez.

30 ENGEL WEINEN, DER TEUFEL LACHT,Anfang 60er JahreEisenrelief, 56,5 x 74 cm Bez. u.r.: E J (lig.)

31 MANN UND FRAU, nach I960Gipsrelief, 36 x 32,5 cmUnbez.

32 ZWEI FRAUEN, um 1962Gipsrelief', 42 x 33 cmUnbez.

33 MUTTER MIT KIND, um 1962Gipsrelief, 49 x 37 cmUnbez.

34 EUROPA MIT DEM STIER, um 1962Gipsrelief, 37 x 56 cmUnbez.

35 PAAR, um 1962Gipsrelief, 40 x 24 cmUnbez.

36 FAUNWEIB, 1963Bronze, H. 32,5 cm Bez. auf der Plinthe: E. JENSEN

37 OHRENEULEN, vor 1965Bronze, H. 29 cm Bez. RS: EJ (lig.)

38 KNIENDE SCHWANGERE, um 1965 Bronze, H. 31 cmUnbez.27