5
17 Prophylaxen 17.1 Kompetent pflegen (...) 17.2 Dekubitusprophylaxe Definition Dekubitus Dekubitus (Druckgeschwür, abgeleitet von lat. decumbere = sich nie- derlegen) ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder des darunterliegenden Gewebes, typischerweise über knöchernen Vorsprüngen, infolge von erhöhter und/oder verlängerter Einwir- kung von Druck in Verbindung mit Scherkräften (NPUAP, EPUAP & PPPIA 2014, DNQP 2017b). 17.2.1 Makro- und Mikro- bewegungen Definition Makro- und Mikrobewegungen Mikrobewegungen verringern den Druck und sind Körperbewegun- gen, die der gesunde Mensch 12- bis 40-mal pro Stunde durchführt, z.B. Kippen des Beckens, Aufstellen des Fußes, Abspreizen des Arms. Der Mensch bleibt zwar sitzen, verlagert jedoch das Gewicht z. B. von einer Gesäßhälfte auf die andere. Makrobewegungen dienen der vollständigen Druckentlastung und sind komplette Körperpositionswechsel, die der gesunde Mensch 4- bis 8-mal pro Stunde durchführt, z. B. Aufstehen, Hinle- gen, Drehen vom Rücken- in die Bauchlage. Hierzu zählen auch das Drehen und das ausschließliche Sitzen auf einer Gesäßhälfte, sodass die andere entlastet wird. Wissenschaftlich wird zum Bewegungserhalt und zur -för- derung nicht (mehr) zwischen Mikro- und Makrobewegun- gen unterschieden (DNQP 2017b). Gleichwohl bleibt der pflegefachliche Fokus bestehen, weil das individuelle Deku- bitusrisiko zählt. Je weniger Eigenbewegungen ein Mensch ausführt, desto höher ist sein Risiko für die Entstehung eines Dekubitus und desto größer ist sein Unterstützungsbedarf bei der Mobilität. Definition Mobilität Pflegefachkräfte schätzen die Mobilität von Pflegeempfängern ein, um u. a. ein Dekubitusrisiko festzustellen (DNQP 2017b). Mobilität bezieht sich auf die Eigenbewegung eines Menschen. Er will sich fortbewegen oder seine Körperlage verändern (DNQP 2014). Zentrale Fragen zur Mobilität sind (nach DNQP 2014): Kann der Pflegeempfänger sich von der Seite auf den Rücken drehen (oder umge- kehrt) bzw. kann der Pflegeempfänger das Gesäß oder eine Schulter auch nur minimal versetzen? das Gesäß im Sitzen aktiv versetzen (hier ist kein Herun- terrutschen gemeint) oder eine Gesäßhälfte auch nur mi- nimal anheben und nach vorn/hinten oder zur Seite ver- setzen? auf beiden Füßen stehen, kurzzeitig zum Umsetzen Stand übernehmen oder zumindest beim tiefen Transfer den Oberkörper nach vorn bringen, um das Gesäß zu heben? in Bezug auf die Mobilität seine Bedürfnisse mitteilen und verstehen (Hörgerät)? Nimmt er die Transfersituation wahr? Ist er bereit, beim Transfer oder Positionswechsel mitzuhelfen Adhärenz (S. 268)? Ist das für ihn geeignete Hilfsmittel (Rollator, Unterarm- gehstützen) vorhanden, sind diese richtig eingestellt? 452 Erfassen die Bezugspersonen die Notwendigkeit der Mobi- lisation und sind sie kognitiv und körperlich in der Lage, den Pflegeempfänger in der Mobilität zu unterstützen? Nimmt der Pflegeempfänger Medikamente ein, die die Ei- genmobilität hemmen? Gibt es Zu- und Ableitungen, die bei der Mobilisation beachtet werden müssen? 17.2.2 Risikofaktoren und Ursachen Hauptrisikofaktoren sind eine Beeinträchtigung der Mobili- tät, eine Störung der Durchblutung und ein beeinträchtigter Hautzustand. Je stärker und häufiger zudem sog. Scherkräfte wirken bzw. je stärker und länger Druck auf Hautschichten stattfindet (von außen nach innen, z. B. harte Sitzunterlage, oder von innen nach außen, Knochenvorsprünge gegen Hautschichten), desto eher entsteht ein Dekubitus. ! Merke Scherkräfte Scherkräfte entstehen durch eine Verschiebung verschiedener Haut- schichten gegeneinander. Dies geschieht häufig beim Versuch der Bewegung, z. B. beim unsachgemäßen Nach-oben-Ziehendes Pflegeempfängers, beim Herunterrutschen im Bett oder Rollstuhl oder in Seit- oder Rückenlage. Blutgefäße verdrillen sich und der Stowechsel in den betroenen Arealen wird gestört. Neben Druck und Scherkräften begünstigen weitere Fak- toren die Dekubitusentstehung (DNQP 2017b) (Abb. 17.1). Man unterscheidet: personenbezogene Faktoren: z. B. Sensibilitäts- und Be- wusstseinsstörungen, Beeinträchtigung der Mobilität (z. B. Immobilität, Schonhaltung), Störung der Durchblutung (z. B. lokal: durch Immobilität; zentral: durch neurologi- sche Erkrankungen, Fieber oder länger andauernde Opera- tionen), beeinträchtigter Hautzustand bzw. bereits vor- handener Dekubitus (z. B. altersbedingte Hautveränderun- gen, traumatisierte oder mazerierte Haut), Unfähigkeit der Schmerz- und Bedürfnisäußerung (v. a. bei Kindern, Men- schen mit Demenz), regressives und depressives Verhalten mit Gefahr der Deprivation (S. 512), niedriges Geburts- gewicht oder Körpergewicht (Kachexie, Adipositas) umgebungsbezogene Faktoren: z. B. knitterige Bettlaken, Stöpsel, Fernbedienungen/Telefone im Bett oder Stuhl, raue Unterlagen wie Frotteehandtücher bei Kindern, enge Stühle, Matratzen mit zu hartem Druck gegen den Körper, z.B. vereinzelt zu stark aufgeblasene Zellen von Wechsel- druckmatratzen therapiebezogene Faktoren: z. B. Zu- oder Ableitungen von Drainagen, Infusionen/Perfusionen, Kathetern (bei Kin- dern insbesondere Trachealkanülen, Tuben, Sonden), Pflaster o. Ä. auf der Haut, Medikamente wie Sedativa Abb. 17.1 Dekubitusentstehung. personenbezogene Faktoren, z.B. • Sensibilitäts- und Bewusstseinsstörungen • Schonhaltung • Immobilität • Gewicht eingeschränkte Aktivität und Mobilität Druck auf Gewebe Ischämie gestörter Zellstoffwechsel Azidose Vasodilatation erhöhte Gefäß- permeabilität Flüssigkeitsverlust aus dem Intravasalraum Dekubitus Ödembildung Blasenbildung Gefäß- thrombosen Sauerstoffmangel Gewebe- und Nerven- schädigungen Anhäufung saurer Stoff- wechselprodukte führen zu fördern umgebungsbezogene Faktoren, z.B. • knittrige Bettlaken • im Bett vergessene Gegenstände und Materialien • enge Stühle • Matratzen mit zu hartem Druck therapiebezogene Faktoren, z.B. • Sonden, Drainagen • Katheter • Pflaster • Medikamente (Sedativa) 453 Dekubitusprophylaxe Musterseiten

en Dekubitusprophylaxe - Microsoft...Dekubitus (Druckgeschwür, abgeleitet von lat. decumbere=sich nie-derlegen) ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder des darunterliegenden

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: en Dekubitusprophylaxe - Microsoft...Dekubitus (Druckgeschwür, abgeleitet von lat. decumbere=sich nie-derlegen) ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder des darunterliegenden

17 Prophylaxen

17.1 Kompetent pflegen(...)

17.2 DekubitusprophylaxeDefinition DekubitusDekubitus (Druckgeschwür, abgeleitet von lat. decumbere = sich nie-derlegen) ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oderdes darunterliegenden Gewebes, typischerweise über knöchernenVorsprüngen, infolge von erhöhter und/oder verlängerter Einwir-kung von Druck in Verbindung mit Scherkräften (NPUAP, EPUAP &PPPIA 2014, DNQP 2017b).

17.2.1 Makro- und Mikro-bewegungen

Definition Makro- und MikrobewegungenMikrobewegungen verringern den Druck und sind Körperbewegun-gen, die der gesunde Mensch 12- bis 40-mal pro Stunde durchführt,z. B. Kippen des Beckens, Aufstellen des Fußes, Abspreizen des Arms.Der Mensch bleibt zwar sitzen, verlagert jedoch das Gewicht z. B.von einer Gesäßhälfte auf die andere.

Makrobewegungen dienen der vollständigen Druckentlastungund sind komplette Körperpositionswechsel, die der gesundeMensch 4- bis 8-mal pro Stunde durchführt, z. B. Aufstehen, Hinle-gen, Drehen vom Rücken- in die Bauchlage. Hierzu zählen auch dasDrehen und das ausschließliche Sitzen auf einer Gesäßhälfte, sodassdie andere entlastet wird.

Wissenschaftlich wird zum Bewegungserhalt und zur -för-derung nicht (mehr) zwischen Mikro- und Makrobewegun-gen unterschieden (DNQP 2017b). Gleichwohl bleibt derpflegefachliche Fokus bestehen, weil das individuelle Deku-bitusrisiko zählt. Je weniger Eigenbewegungen ein Menschausführt, desto höher ist sein Risiko für die Entstehung einesDekubitus und desto größer ist sein Unterstützungsbedarfbei der Mobilität.

Definition MobilitätPflegefachkräfte schätzen die Mobilität von Pflegeempfängern ein,um u. a. ein Dekubitusrisiko festzustellen (DNQP 2017b). Mobilitätbezieht sich auf die Eigenbewegung eines Menschen. Er will sichfortbewegen oder seine Körperlage verändern (DNQP 2014).

Zentrale Fragen zur Mobilität sind (nach DNQP 2014):Kann der Pflegeempfänger…

● sich von der Seite auf den Rücken drehen (oder umge-kehrt) bzw. kann der Pflegeempfänger das Gesäß odereine Schulter auch nur minimal versetzen?

● das Gesäß im Sitzen aktiv versetzen (hier ist kein Herun-terrutschen gemeint) oder eine Gesäßhälfte auch nur mi-nimal anheben und nach vorn/hinten oder zur Seite ver-setzen?

● auf beiden Füßen stehen, kurzzeitig zum Umsetzen Standübernehmen oder zumindest beim tiefen Transfer denOberkörper nach vorn bringen, um das Gesäß zu heben?

● in Bezug auf die Mobilität seine Bedürfnisse mitteilen undverstehen (Hörgerät)? Nimmt er die Transfersituationwahr? Ist er bereit, beim Transfer oder Positionswechselmitzuhelfen→ Adhärenz (S. 268)?

● Ist das für ihn geeignete Hilfsmittel (Rollator, Unterarm-gehstützen) vorhanden, sind diese richtig eingestellt?

452

● Erfassen die Bezugspersonen die Notwendigkeit der Mobi-lisation und sind sie kognitiv und körperlich in der Lage,den Pflegeempfänger in der Mobilität zu unterstützen?

● Nimmt der Pflegeempfänger Medikamente ein, die die Ei-genmobilität hemmen? Gibt es Zu- und Ableitungen, diebei der Mobilisation beachtet werden müssen?

17.2.2 Risikofaktoren und UrsachenHauptrisikofaktoren sind eine Beeinträchtigung der Mobili-tät, eine Störung der Durchblutung und ein beeinträchtigterHautzustand. Je stärker und häufiger zudem sog. Scherkräftewirken bzw. je stärker und länger Druck auf Hautschichtenstattfindet (von außen nach innen, z. B. harte Sitzunterlage,oder von innen nach außen, Knochenvorsprünge gegenHautschichten), desto eher entsteht ein Dekubitus.

!Merke ScherkräfteScherkräfte entstehen durch eine Verschiebung verschiedener Haut-schichten gegeneinander. Dies geschieht häufig beim Versuch derBewegung, z. B. beim unsachgemäßen „Nach-oben-Ziehen“ desPflegeempfängers, beim Herunterrutschen im Bett oder Rollstuhloder in Seit- oder Rückenlage. Blutgefäße verdrillen sich und derStoffwechsel in den betroffenen Arealen wird gestört.

Neben Druck und Scherkräften begünstigen weitere Fak-toren die Dekubitusentstehung (DNQP 2017b) (▶Abb. 17.1).Man unterscheidet:● personenbezogene Faktoren: z. B. Sensibilitäts- und Be-wusstseinsstörungen, Beeinträchtigung der Mobilität (z. B.Immobilität, Schonhaltung), Störung der Durchblutung(z. B. lokal: durch Immobilität; zentral: durch neurologi-sche Erkrankungen, Fieber oder länger andauernde Opera-tionen), beeinträchtigter Hautzustand bzw. bereits vor-handener Dekubitus (z. B. altersbedingte Hautveränderun-gen, traumatisierte oder mazerierte Haut), Unfähigkeit derSchmerz- und Bedürfnisäußerung (v. a. bei Kindern, Men-schen mit Demenz), regressives und depressives Verhaltenmit Gefahr der Deprivation (S. 512), niedriges Geburts-gewicht oder Körpergewicht (Kachexie, Adipositas)

● umgebungsbezogene Faktoren: z. B. knitterige Bettlaken,Stöpsel, Fernbedienungen/Telefone im Bett oder Stuhl,raue Unterlagen wie Frotteehandtücher bei Kindern, engeStühle, Matratzen mit zu hartem Druck gegen den Körper,z. B. vereinzelt zu stark aufgeblasene Zellen von Wechsel-druckmatratzen

● therapiebezogene Faktoren: z. B. Zu- oder Ableitungen vonDrainagen, Infusionen/Perfusionen, Kathetern (bei Kin-dern insbesondere Trachealkanülen, Tuben, Sonden),Pflaster o. Ä. auf der Haut, Medikamente wie Sedativa

Abb. 17.1 Dekubitusentstehung.

personenbezogene Faktoren, z.B.• Sensibilitäts- und Bewusstseinsstörungen• Schonhaltung• Immobilität• Gewicht

eingeschränkte Aktivität und Mobilität

Druck auf Gewebe

Ischämie

gestörter Zellstoffwechsel

Azidose

Vasodilatation erhöhte Gefäß-permeabilität

Flüssigkeitsverlust aus dem Intravasalraum

Dekubitus

Ödembildung Blasenbildung Gefäß-thrombosen

Sauerstoffmangel Gewebe- undNerven-schädigungen

Anhäufungsaurer Stoff-wechselprodukte

führen zu

fördern

umgebungsbezogene Faktoren, z.B.• knittrige Bettlaken • im Bett vergessene Gegenstände und Materialien• enge Stühle• Matratzen mit zu hartem Druck

therapiebezogene Faktoren, z.B.• Sonden, Drainagen• Katheter• Pflaster • Medikamente (Sedativa)

453

Dekubitusprophylaxe

Musterse

iten

Page 2: en Dekubitusprophylaxe - Microsoft...Dekubitus (Druckgeschwür, abgeleitet von lat. decumbere=sich nie-derlegen) ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder des darunterliegenden

Häufig lässt sich nicht eindeutig sagen, welche Faktoren ur-sächlich für die Dekubitusentstehung bei einem Pflegeemp-fänger gewesen sind. Daher ist es wichtig, das individuelleRisiko für einen Dekubitus herauszufinden. Daraus lassensich die richtigen Maßnahmen ableiten. Kinder haben ande-re Risikofaktoren als Erwachsene. Neugeborene, Säuglingeund Kleinkinder können Druck als solchen nicht lokal wahr-nehmen und genau mitteilen, wo es ihnen wehtut (DNQP2017b). Ein erstes Anzeichen für eine mögliche Dekubitus-entstehung, z. B. am Hinterkopf, ist die erhöhte Schmerz-empfindlichkeit beim Berühren des Kopfes.

17.2.3 Einteilung in KategorienDer Schweregrad eines Dekubitus richtet sich nach seinerAusdehnung in die Tiefe des Gewebes. Nach EPUAP werden4 Kategorien unterschieden (▶Abb. 17.2). Zudem gibt es 2weitere Kategorien, die keiner Klassifikation zugeordnetwerden.

Dekubitus Kategorie I•Durch Druckeinwirkung auf die Hautkommt es zu einer Minderdurchblutung im Gewebe, wo-durch der Austausch zwischen den Kapillaren und dem um-liegenden Gewebe gestört wird (Ischämie). Sauerstoff undNährstoffe können nicht zugeführt und Kohlenstoffdioxidsowie Abfallprodukte (Schlackenstoffe) nicht abtranspor-tiert werden. Nerven- und Gewebszellen sterben ab, der Be-troffene verliert den Reiz, der ihn dazu animiert, sich umzu-setzen bzw. sich zu drehen (Druck-Schmerz-Mechanismus).

Die Stoffwechselstörung führt zu einer Anhäufung vonsauren Stoffwechselprodukten im Gewebe (Azidose). Um dieMinderdurchblutung auszugleichen, stellen sich die Gefäße

weit, v. a. die venösen Kapillaren (Vasodilatation). Es bildetsich eine von außen sichtbare gerötete Stelle bei noch intak-ter Haut. Die Hautrötung ist nicht „wegdrückbar“ und bleibtauch nach der Druckentlastung bestehen: positiver Finger-test (S.458). Ein Dekubitus Kategorie I ist entstanden. Beidunkel pigmentierter Haut ist die Farbveränderung undeut-licher und schwieriger zu klassifizieren. Hier sind zusätzli-che Faktoren zu prüfen wie Schmerzen, Hauttemperatur(Kälte/Wärme), Konsistenz der Haut (Härte/Weiche) (DNQP2017b).

Dekubitus Kategorie II•Durch die Anhäufung der saurenStoffwechselprodukte im Gewebe wird die Durchlässigkeitder Gefäßmembran (Gefäßpermeabilität) erhöht und Flüs-sigkeit wird aus dem Blut in das Gewebe abgegeben (um dieKonzentration auszugleichen). An der betroffenen Stelle bil-den sich Ödeme und Blasen, die Kapillaren werden dadurchzusätzlich komprimiert und geschädigt (Gefäßthrombosen).Die Schädigung beschränkt sich auf Dermis und Lederhaut.Neben dem geschlossenen Dekubitus mit einer serumgefüll-ten Blase kann es sich auch um ein flaches, offenes Ulcus(Geschwür) mit einem roten oder rosafarbenen Wundbettohne Beläge oder eine rupturierte Blase handeln. Dies kenn-zeichnet den Dekubitus Kategorie II (DNQP 2017b).

Dekubitus Kategorie III und IV•Beim Dekubitus der 3. Kate-gorie besteht ein vollständiger Hautverlust. Subkutanes Fettliegt offen. Beläge sind vorhanden. Taschen und Unterminie-rungen können vorliegen. Die Tiefe ist je nach Lokalisation,Alter und Körpergewicht verschieden; es sind aber keineMuskeln, Sehnen oder Bänder offen sichtbar. Beim Dekubi-tus der 4. Kategorie ist der Gewebeverlust vollständig, mit

Abb. 17.2 Dekubituskategorien.

Kategorie IV

• wie Kategorie III• zusätzlich Schädigung von Muskeln, Sehnen und Knochen• ggf. septische Komplikationen

Kategorie III

• Schädigung von Epidermis, Dermis und Subkutis• Nekrosenbildung• ggf. Ausbildung von Wundtaschen

Rötung

EpidemisDermisSubkutis

MuskulaturKnochen

Kategorie I

• umschriebene, persistierende Rötung• kein Hautdefekt

• Schädigung von Epidermis und Dermis• ggf. Blasenbildung• nässender, oberflächlicher Hautdefekt

Kategorie II

Fotos: PAUL HARTMANN AG

454

l17 Prophylaxen

freiliegenden Knochen, Sehnen oder Muskeln. Beläge undSchorf sind erkennbar, ebenso Taschen und Unterminierun-gen (DNQP 2017b).

Tiefe unbekannt (ohne Kategorie)•Es besteht ein vollständi-ger Gewebeverlust mit gelben, hellbraunen, grauen, grünenund braunen Belägen auf der Basis. Durch diese lässt sich dieTiefe nicht genau feststellen. Dazu gehört auch der stabileSchorf (trocken, festhaftend) an den Fersen, der als „biologi-scher Schutz“ haften bleiben sollte (DNQP 2017b).

Tiefe unbekannt (vermutete tiefe Gewebsschädigung)•Es exis-tiert lokal eine livide oder rötlich braune verfärbte, intakteHaut oder blutgefüllte Blase mit durch Druck und/oderScherkräfte geschädigtem darunterliegendem Weichgewe-be. Es kann auch eine dünne Blase auf dunklem Wundbettentstehen. Dem voraus war der betreffende Gewebsbereichfest, breiig oder matschig fühlbar, mit Schmerzen und verän-derter Temperatur (Kälte/Wärme) (DNQP 2017b).

17.2.4 DekubitusgefährdeteKörperstellenDas menschliche Unterhautfettgewebe (Subkutis) schütztvor Stößen und Drücken. Manche Körperstellen haben ge-ringe schützende Schichten und sind deshalb prädestinierteOrte für Dekubitalgeschwüre, sog. Prädilektionsstellen(▶Abb. 17.3). Sie befinden sich bei Erwachsenen und älterenMenschen vor allem über Knochenvorsprüngen bzw. mitdünner Unterhautschicht wie Ferse, Kreuzbein, Sitzbein,Knöchel, Trochanter. Bei kranken oder in ihrer Mobilität ein-geschränkten Kindern kann es v. a. am Hinterkopf oder beinasal liegenden Sonden zu Druckstellen kommen. Früh- undNeugeborene können bereits einen Dekubitus erleiden, z. B.wenn ihnen Elektroden auf die Haut geklebt werden (DNQP2017b).

WISSEN TO GO

Dekubitus – Grundlagen

Ein Dekubitus ist eine lokal begrenzte Schädigung derHaut und/oder des darunterliegenden Gewebes, insbeson-dere an Knochenvorsprüngen, verursacht durch zu langeund/oder zu starke Einwirkung von Druck oder Scherkräf-ten (NPUAP, EPUAP & PPPIA 2014).

Risikofaktoren● Hauptrisikofaktoren sind Beeinträchtigung der Mobilität,Störung der Durchblutung und beeinträchtigter Haut-zustand.

● Weitere Risikofaktoren sind personen-, umgebungs- undtherapiebezogene wie Sensibilitätsstörungen, kognitiveund kommunikative Unfähigkeiten, harte Unterlagenoder Matratzen mit zu hartem Druck gegen den Körper,z. B. vereinzelt zu stark aufgeblasene Zellen von Wechsel-druckmatratzen. Kinder haben wegen ihrer unreifenHaut andere Risikofaktoren als Erwachsene, z. B. Sondenund Drainagen oder Elektroden.

Dekubituskategorien● Kategorie I: von außen sichtbare gerötete Stelle beinoch intakter Haut, Hautrötung ist nicht „wegdrückbar“

● Kategorie II: Schädigung der Epidermis und von Antei-len der Dermis, flaches, offenes Ulkus

● Kategorie III: Schädigung aller Hautschichten● Kategorie IV: kompletter Gewebsverlust, Sehnen, Bän-der und Knochen liegen frei

● Tiefe unbekannt (ohne Kategorie): vollständiger Ge-websverlust mit gelb bis braun verfärbten Belägen amWundgrund

● Tiefe unbekannt (vermutete tiefe Gewebsschädi-gung): auf geschädigtem Weichgewebe befindet sichdunkel verfärbte Hautstelle mit geschlossener Blase

● Dekubitusgefährdete Stellen: Prädilektionsstellen be-finden sich vor allem über Knochenvorsprüngen unddünner Haut. Bei Erwachsenen vorwiegend an Steißbeinund Ferse, bei Kindern Hinterkopf und Naseninnen-bereich (▶Abb. 17.3).

Abb. 17.3 Prädilektionsstellen für einen Dekubitus bei Menschen jeden Alters.

b Bauchlage c 90°-Seitenlage

Hinterhaupt-knochen

Schulter-blätter

Kreuzbein

Dornfortsätze

a Rückenlage

Fersen Fußspitzen

Ellen-bogen

Darmbein-stachel

Ellenbogen

Hinterhaupt

Schulterblatt

Sitzbeinhöcker

Dornfortsätze

d im SitzenFersen

Ellenbogen

StirnJochbein

Jochbein

Brust-bein

SchultergelenkeSchulter-gelenke

Ohrmuschel

Rippen

großer Rollhügel

KniegelenkKnie-scheibe Wadenbein

seitliche Knöchel

455

Dekubitusprophylaxe

Page 3: en Dekubitusprophylaxe - Microsoft...Dekubitus (Druckgeschwür, abgeleitet von lat. decumbere=sich nie-derlegen) ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder des darunterliegenden

17.2.5 Häufigkeit undAuswirkungenDekubitus sind in der Gesellschaft angekommen. Der Bedarfan speziellen Pflegebetten, Material zur Dekubitusversor-gung und Inkontinenzhilfsmitteln steigt zunehmend. Schät-zungen zufolge wird ausgehend vom Jahr 2007 die Nachfra-ge nach entsprechenden Hilfsmitteln bis zum Jahr 2050 um78% ansteigen (Spectaris 2012). Von den 2013 knapp 1,86Mio. ambulant versorgten Pflegebedürftigen hatten 3,2 % ei-nen Dekubitus. Im stationären Pflegebereich waren es imselben Jahr 3,8 % der 764 000 Pflegeempfänger (StatistischesBundesamt 2017c, MDS2014a, MDS2014b).

Beispiel Ein Teufelskreis

Frau K. ist 95 Jahre alt und war bis jetzt in der Lage, sich selbstzu versorgen – mit etwas Unterstützung. Dann erlitt sie einenSchlaganfall, der Klinikaufenthalt dauerte einen Monat. Nachihrer Entlassung hat sie einen Dekubitus am Steißbein undunterhalb des Knies. Wegen der Wundschmerzen kann Frau K.ihren gewohnten Alltag nicht mehr aufnehmen. Weitere Deku-bitalulzera treten auf. Sie muss wieder in die Klinik, die Dekubi-talgeschwüre müssen operativ versorgt werden – Frau K. musswegen der zerstörten knöchernen Strukturen ein Bein ampu-tiert werden. Frau K. ist mittlerweile vollständig immobil undbettlägerig.

Traurige Zahlen: Für den Krankenhausbereich stieg die An-zahl der erwachsenen Menschen mit einer Primärdiagnose„Dekubitus“ von 2005 bis 2011 um 26,5 % auf 12 581 Pfle-geempfänger. Für die Zusatzdiagnose „Dekubitus“ wuchs dieZahl um 71,8 % auf 412 029 Menschen mit besonderem An-stieg der Dekubitus Kategorie II (Heinhold et al. 2014). BeiKindern sind 2–35% von mindestens einem Dekubitus be-troffen. Besonders auf pädiatrischen Intensivstationen tre-ten Dekubitus vermehrt auf (Kottner et al. 2010; Schlüer etal. 2012). Die Behandlung eines im Krankenhaus entstande-nen Dekubitus kostet zwischen 28 450 und 64 010 Euro. Dassind bis zu 9-mal höhere Behandlungskosten als die Behand-lung eines bereits bestehenden, „mitgebrachten“ Dekubitus(Chan et al. 2013). Zusätzlich verlängert sich die Verweil-dauer im Krankenhaus um durchschnittlich 10 Tage (Thei-sen et al. 2012). Jeder fünfte Pflegeempfänger wird miteinem Dekubitus aus dem Krankenhaus in den stationärenBereich entlassen (Nowack 2011).

17.2.6 Dekubitusrisiko erkennen/einschätzenZeitpunkt•Bei allen Pflegeempfängern oder Bewohnernwird das individuelle Dekubitusrisiko systematisch einge-schätzt● bei der Aufnahme mit initialem, anschließend ggf. miteinem weiterführenden, differenzierten Assessment,

● nach dem individuellen Dekubitusrisiko entsprechendenZeitabständen und

● bei jeder Veränderung der Mobilität, Durchblutung oderdes Hautzustands, z. B. Feuchtigkeit durch Fieber oder beiveränderten personenbezogenen Faktoren wie erhöhterMüdigkeit oder umgebungs- und therapiebedingten Fak-toren, z. B. Anlage oder Entfernung von Schienen, Kathe-tern, Sonden.

!Merke Initiales und differenziertes AssessmentInitiales Assessment bedeutet, dass der Pflegeempfänger neu inden Pflegeprozess eintritt. Die Pflegefachkraft prüft auf möglicheDruck- und Scherkräfte und inspiziert die Haut des Pflegeempfän-gers. Die Inspektion erstreckt sich über die gesamte Körperoberflä-che des Pflegeempfängers (DNQP 2017b), insbesondere über diePrädilektionsstellen. Die Pflegefachkraft prüft auch Besonderheitenwie Deformitäten, z. B. Kyphosen und Kontrakturen, auf möglicheDruckstellen.

Differenziertes Assessment schließt sich an, wenn das initialeAssessment Risikokriterien bejaht. Die Pflegefachkraft muss nun alleweiteren, individuellen Dekubitusrisikofaktoren herausfinden.

Klinische Risikoeinschätzung•Klinische Risikoeinschätzungbedeutet, dass die Pflegefachkraft unabhängig vom jeweili-gen Setting, in dem sich der Pflegeempfänger befindet (egalob im Krankenhaus, in stationären Pflegeeinrichtung derambulanten Pflege etc.), den Pflegeempfänger zu seinen Ri-sikofaktoren systematisch befragt und untersucht, z. B. mitdem Fingertest (S.458), bzw. beobachtet (siehe auch: initia-les und differenziertes Assessment). Dazu nutzt sie ihr Fach-wissen und holt Informationen beim Pflegeempfänger, beiseinen Bezugspersonen und anderen beteiligten Berufsgrup-pen ein. Als besonders praktikabel erscheint das zweistufigeVorgehen nach Coleman et al. (2014):1. Immobilität und Dekubitusstatus prüfen2. Bei Vorliegen von Immobilität und Dekubitusrisiko→ Prü-

fen von weiteren Faktoren: Allgemeiner Gesundheits-zustand, Durchblutung und Sauerstoffversorgung derHaut, Diabetes, sensorische Wahrnehmung, Hautfeuchtig-keit und Ernährungszustand

Insbesondere für Kinder spielt auch die Dauer des Kranken-hausaufenthalts eine Rolle (NICE 2014). Nach welchen Krite-rien die Haut beobachtet und beurteilt wird, lesen Sie imKap. „Körperpflege und Bekleidung (S. 254)“. Jede Abwei-chung vom Normalzustand muss dokumentiert und demArzt mitgeteilt werden. Liegen Abweichungen vor, sollte derPflegeempfänger zu den Anomalitäten befragt werden, da-mit in Absprache mit ihm und dem gesamten Pflegeteamadäquate pflegerische Maßnahmen eingeleitet werden kön-nen.

Dokumentation•Anschließend wird das Ergebnis der Ein-schätzung bewertet und dokumentiert. Aus der Dokumenta-tion muss klar ersichtlich sein, welche Risikofaktoren identi-fiziert wurden und warum. Die Dokumentation muss allenan der Pflege und Versorgung beteiligten Personen zugäng-lich sein. Jede Einrichtung hat ein eigenes Vorgehen, hat sichz. B. für ein bestimmtes Assessmentinstrument entschiedenund/oder hat definierte Zeiträume, in denen Pflegefachkräf-te das Dekubitusrisiko einschätzen sollen.

Assessmentinstrumente zur Risiko-einschätzungFür Kinder und Erwachsene existieren derzeit keine stan-dardisierten Instrumente zur Einschätzung des Dekubitusri-sikos (Skalen), durch deren Nutzung Vorteile für die Pfle-geempfänger entstehen. Dies gilt derzeit als wissenschaft-lich belegt (DNQP 2017b). Die Pflegefachkraft muss ihre Ein-schätzung klinisch vornehmen, d. h. auf der Basis ihres Fach-wissens. Sie kann eine standardisierte Skala hinzuziehen.Hierfür wird jedoch für Kinder und Erwachsene keine expli-zit empfohlen (DNQP 2017b). Beim Einsatz eines Assess-

456

l17 Prophylaxen

mentinstruments muss die Pflegefachkraft prüfen, ob dieSkala zum Pflegeempfänger (Frühgeborenes, Schulkind, adi-pöse Erwachsene, geriatrischer Pflegeempfänger) passt undwelche Dekubitusrisikofaktoren über die standardisierte Er-fassung hinaus beobachtet oder erfragt werden müssen. FürErwachsene wird am häufigsten die gute Vorhersagekraftder Braden-Skala beschrieben (Petzold et al. 2014; Jin et al.2015; Park et al. 2015), die aber nicht für alle Erwachsenen-gruppen gilt (DNQP 2017b). Für Kinder zeigt die Braden-Q-Skala eine gute Vorhersagekraft und hat sich in der Praxisbewährt (Garcia-Fernandez et al. 2011; Ebling 2016).

Empfehlung•Die Kriterien standardisierter Skalen lassensich erst einigermaßen sicher beantworten, wenn der Pfle-geempfänger über 24 Stunden beobachtet wurde. Es emp-fiehlt sich deshalb, den Hauptrisikofaktor „eingeschränkteMobilität“ bereits bei der Pflegeanamnese einzuschätzenund mit ersten Maßnahmen zu beginnen, z. B. bei bewusst-losen Pflegeempfängern ein spezielles Matratzensystem an-zufordern. Bei Kindern steht aufgrund der hohen Vulnerabi-lität ihrer unreifen Haut die Verwendung notwendiger Son-den und Drainagen im Fokus (▶Abb. 17.4). Hier sollte sofortmit geeignetem Material abgepolstert werden, ohne vielHaut zu verkleben. Skalen spielen dabei eine nachgeordneteRolle. Eine differenzierte Einschätzung für die Ableitung in-dividuell geeigneter Maßnahmen gilt erst als beendet, wennder Pflegeempfänger im Tagesverlauf beobachtet werdenkonnte – spätestens allerdings nach 48 Stunden.

WISSEN TO GO

Dekubitusrisiko einschätzen

● Das Dekubitusrisiko wird eingeschätzt bei: Aufnahme, inindividuell festzulegenden zeitlichen Abständen und beiVeränderungen von Mobilität, Durchblutung und Haut-zustand oder bei veränderten personen-, umgebungs-und therapiebedingten Faktoren.

● Alle Pflegeempfänger werden bei der Aufnahme initialeingeschätzt. Dazu gehören die Identifizierung von Ursa-chen und Risikofaktoren für erhöhte und/oder verlänger-te Einwirkung von Druck- und Scherkräften sowie dieHautinspektion des Pflegeempfängers. Wird ein Risiko-faktor bejaht, erfolgt im nächsten Schritt eine differen-zierte klinische Risikoeinschätzung.

● Anschließend dokumentiert die Pflegefachkraft die Er-gebnisse aus der initialen und ggf. differenzierten Ein-schätzung.

17.2.7 Maßnahmen zurDekubitusprophylaxe

!Merke DekubitusprophylaxeDas Ziel der Dekubitusprophylaxe ist die Verhinderung eines Dekubi-tus. Pflegefachkräfte erreichen dies durch systematisches pflege-fachliches Handeln. Dazu braucht es u. a. druck- und scherkraft-arme Techniken (→ Kinästhetik) und Hilfsmittel, z. B. Rollstuhl mitWeichlagerungsauflage. In Ausnahmefällen entscheiden sich Pflege-fachkräfte gegen kontinuierliches dekubitusprophylaktisches Han-deln (sog. begründetes Nichthandeln), z. B. bei lebensbedrohlichenZuständen oder sterbenden Menschen (DNQP 2017b).

BewegungsförderungWird ein Dekubitusrisiko ermittelt, wird für den Pflegeemp-fänger ein individueller Bewegungs(förderungs)plan erstellt,in dem alle Maßnahmen der Bewegungsförderung sowie diebesonderen Vorlieben und Abneigungen des Pflegeempfän-gers festgehalten werden. Ziel ist „Bewegen vor Positionie-ren“! Das Konzept der Bewegungsförderung richtet sichnach dem Grad der Selbstständigkeit des Pflegeempfängersbezüglich seiner Mobilität. Dazu gehört (DNQP 2017b):● stets Eigenbewegung des Pflegeempfängers fördern, z. B.durch Kinästhetik (S. 236)

● bei unzureichender Eigenbewegung regelmäßige Positi-onswechsel im Liegen und Sitzen durchführen (Makro-und Mikrobewegungen) und angemessene Körperpositio-nen sicherstellen

● stark gefährdete Körperstellen von äußerem Druck undScherkrafteinwirkungen vollständig entlasten (Freilage)

● therapiebedingte Druck- und Scherkrafteinwirkung redu-zieren oder vermeiden, z. B. infolge von Zu- oder Ableitun-gen

● Es ist wichtig, bei der Maßnahmenplanung nicht nur dennächsten Tag zu planen, sondern auch den weiteren, er-warteten pflegerischen und medizinischen Therapiever-lauf. Hilfreiche Fragen zur Maßnahmenplanung sind z. B.:Wie werden sich die Mobilitätsfähigkeiten in den nächstenTagen weiterentwickeln? Welche Stressoren wirken aufHaut und Gewebe?

● Welche Ressourcen und Hilfsmittel bringt der Pflegeemp-fänger mit, die für die Erweiterung der Mobilität bzw. zurDekubitusprophylaxe eingesetzt werden können?

● Was wünscht sich der Pflegeempfänger zur Dekubituspro-phylaxe? Wie stehen Zeiten des Lagewechsels oder be-stimmte Positionen eventuell konträr zu Schlafbedürfnis,Dyspnoe oder Übelkeit?

● Welchen Einfluss hat das Körpergewicht, z. B. eine Adipo-sitas permagna (S. 1148), auf Art und Häufigkeit von Geh-versuchen oder Positionswechseln?

● Welche Auflagenoberfläche (Weichlagerung, Wechsel-druck etc.) eignet sich für den Pflegeempfänger in Abhän-gigkeit seiner (wiederaufzunehmenden) Ressourcen derEigenbewegung in den nächsten Tagen?

Abb. 17.4 Regelmäßiger Sensorwechsel.

In regelmäßigen Zeitabständen wird der Sensor auf ein neuesHautareal aufgeklebt. So sollen Druckstellen vermieden werden.Foto: K. Oborny, Thieme

457

Dekubitusprophylaxe

Page 4: en Dekubitusprophylaxe - Microsoft...Dekubitus (Druckgeschwür, abgeleitet von lat. decumbere=sich nie-derlegen) ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder des darunterliegenden

Pflegefachkräfte betreuen auch Pflegeempfänger, bei denenEigenbewegung nur bedingt oder gar nicht möglich ist. Indiesen Fällen muss ein regelmäßiger Positionswechsel durchpassive Mobilisation erfolgen – allerdings immer mit demZiel, den Pflegeempfänger zur Eigenbewegung anzuregen.

Häufigkeit der Maßnahmen• Sie richtet sich nach der aktuel-len Situation des Pflegeempfängers. So sind z. B. direkt nacheiner Operation häufigere bewegungsfördernde Maßnah-men nötig als einige Tage später, wenn der Zustand des Pfle-geempfängers sich gebessert bzw. sich seine Eigenbewegungdeutlich erhöht hat. Es erfolgen dann eine neue Risikoein-schätzung und eine entsprechende Anpassung des Bewe-gungsplans. Bei einem Pflegeempfänger mit einem sehr ho-hen Dekubitusrisiko sollten Bewegungen möglichst häufigstattfinden und Bewegungspausen möglichst kurz ausfallen.Pflegefachkräfte kontrollieren, wie die Haut reagiert, undverlängern bei physiologisch durchbluteter Haut die Zeitzwischen den Positionswechseln schrittweise.

Weniger ist manchmal mehr•Die Hightechmedizin lässt eszu, dass der Körper über verschiedene Wege mit seinenStrukturen und Funktionen von außen genau beobachtetwerden kann. Sonden und Elektroden werden auf die Haut-oberfläche geklebt oder in Körperöffnungen eingeführt. Sieliegen „schwer“ auf der Haut; ihr Fixieren kann die Haut rei-zen. Durch Positionswechsel können Sonden und Elektrodengegen die Haut drücken. Alles in allem gibt es mehrere Fak-toren, die eine Dekubitusentstehung begünstigen. Das Risikokann minimiert werden, indem ein multiprofessionellerAustausch erfolgt, ob und welche Sonden und Elektrodenangebracht werden müssen. Pflegefachkräfte können daraufachten, das Fixationsmaterial so wenig wie möglich, so vielwie nötig auf der Haut anzubringen. Manchmal steht nichtdie Dekubitusprophylaxe im Vordergrund, sondern für dieLebensqualität und -stabilität weit wichtigere Maßnahmen.

Pflegefachkräfte wenden bei Früh- und Neugeborenenz. B. Optimal Handling (S. 887) oder NIDCAP an, um u. a. dieReifung des zentralen Nervensystems zu fördern. Potenziellschmerz- oder stressbehaftete Interventionen finden nurdann statt, wenn es wirklich notwendig ist. Gleiches gilt fürbeatmete Menschen, die zur besseren Lungenventilation aufden Bauch gedreht werden müssen. Sie müssen möglicher-weise länger in dieser Position liegen, als es gut für ihreHaut wäre, und möglicherweise drücken Elektroden, Son-den oder Drainagen dagegen. Es gilt berufsgruppenübergrei-fend nach Abwägen sämtlicher Für und Wider individuellfür und mit dem Pflegeempfänger zu entscheiden.

Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten•Gemeinsam mit demPflegeempfänger bzw. seinen Bezugspersonen erarbeitet diePflegefachkraft die Pflegeplanung. Es ist wichtig, über dieUrsachen des Dekubitus, dekubitusgefährdete Körperstellenund die entsprechenden prophylaktischen Maßnahmen auf-zuklären. Zusammen finden sie Maßnahmen und Hilfsmittelzur Dekubitusprophylaxe, die Pflegeempfänger und Bezugs-personen akzeptieren, sodass sie aktiv an der Pflege mitwir-ken.

Wie Sie Pflegeempfänger bei der Mobilisation und demPositionswechsel unterstützen, lesen Sie im Kap. „Mobilisa-tion, Positionierung und Schlaf“ (S. 220).

Hautzustand kontrollieren

Während der Mobilisation bzw. beim Positionswechsel desPflegeempfängers kontrollieren Pflegefachkräfte den Haut-zustand und fragen den Pflegeempfänger nach seinem Be-

finden (Schmerzen, Bequemlichkeit der Lage?). Je nach Er-gebnis verlängern oder verkürzen sie daraufhin die Abstän-de zwischen den Maßnahmen.

ACHTUNGDie Haut jedes Menschen reagiert anders – ein Dekubitus kann auchinnerhalb einer Stunde entstehen. Deshalb ist die Kontrolle desHautzustands engmaschig durchzuführen. Der sog. Fingertest istdie derzeit beste Methode, um herauszufinden, wann der nächsteMakropositionswechsel für einen Pflegeempfänger spätestens not-wendig wird (DNQP 2017b).

Fingertest•Mit dem Finger drückt man auf ein gerötetesHautareal – verfärbt sich die Stelle weiß und nimmt danndie ursprüngliche Farbe wieder an, besteht ein physiologi-scher Stoffwechsel zwischen Gewebe und Kapillaren. DieMinderdurchblutung ist noch reversibel, bedarf jedoch er-höhter Aufmerksamkeit (negativer Fingertest). Der Pfle-geempfänger hat noch keinen Dekubitus, ist jedoch kurz da-vor. Die Intervalle zum Positionswechsel sollten so ausfallen,dass erst gar keine roten Stellen entstehen.

Bleibt die Teststelle rot (positiver Fingertest), besteht be-reits eine Gefäß- und Gewebsschädigung (persistierende Rö-tung, Dekubitus Kategorie I). Bewegungen und Druckentlas-tungen müssen aktiv oder passiv noch häufiger stattfinden.Bei dunkel pigmentierter Haut ist das Abblassen der Haut ander lokal untersuchten Stelle oft nicht eindeutig zu erken-nen. Hier gilt es, auf weitere Symptome zu achten.

Beispiel Fingertest

Eine kachektische Pflegeempfängerin kommt liegend zur Auf-nahme. Sie kann aufgrund ihres schlechten Zustands das Bettnicht selbstständig verlassen und benötigt auch zum Positions-wechsel im Bett Hilfe. Die Pflegefachkräfte beginnen mit einemPositionierungsintervall von 90 Minuten. Nach diesen 90 Minu-ten führen sie eine Hautinspektion durch und stellen fest, dassan den Prädilektionsstellen keine Rötungen aufgetreten sind. Esist nicht nötig, einen Fingertest zu machen, denn die Positio-nierungsintervalle sind aktuell ausreichend. Die Pflegefachkräf-te erhöhen das Positionierungsintervall auf 2 Stunden. Nach 2Stunden bemerken sie, dass an den Prädilektionsstellen Rötun-gen aufgetreten sind, und setzen den Fingertest ein. Daraufhinverkürzen Sie das Positionierungsintervall um eine halbe Stun-de. Nach 90 Minuten testen sie erneut. Sollte es trotz des ver-kürzten Positionierungsintervalls zu einer bleibenden Rötungkommen, muss die Positionierung stündlich erfolgen und umMikrobewegungen erweitert werden.

!Merke Vergessen Sie 2 StundenPflegeempfänger im 2-stündlichen Wechsel von der 30°-Seitenlagelinks – in die Rückenlage – in die 30°-Seitenlage rechts neu zu posi-tionieren, gehört der Vergangenheit an. Sowohl die Vorlieben undindividuellen Bedürfnisse des Pflegeempfängers als auch die indivi-duelle Gewebetoleranz müssen bei der Bewegungsförderung bzw.dem Positionswechsel berücksichtigt werden. Führt der Pflegeemp-fänger (druckentlastende!) Eigenbewegungen durch, können die Po-sitionierungsintervalle bis auf 6 Stunden erweitert werden (DNQP2017b). Bei stark beeinträchtigten Fähigkeiten zur Eigenbewegunghingegen und geringer Gewebetoleranz müssen die Positionswech-sel mitunter sogar bis auf eine halbe Stunde reduziert werden.

458

l17 Prophylaxen

Positionierung –Makropositionswechsel

Für den Positionswechsel gibt es unterschiedliche Möglich-keiten:● 30°-Seitenlage: Bei der 30°-Schräglage rechts wird die lin-ke Körperhälfte entlastet, v. a. das linke Schulterblatt, derlinke Bereich des Sakrums (Kreuzbeins), die linke Ferse so-wie linkes Sitzbein und linker Trochanter etwas mehr alsder rechte (▶Abb. 17.5). Für Kinder wird explizit die 30°-bzw. 40°-Seitenwechsellage empfohlen (The Royal Chil-dren’s Hospital Melbourne 2012).

● 135°-Lage: Bei der 135°-Lage (S. 245) rechts wird die ge-samte linke Körperhälfte entlastet: Ohr, Schulter, Schulter-blatt, Ellenbogen, Trochanter, Knieaußenseite sowie daskomplette Sakrum und beide Fersen.

● Bauchlage: Bei der Bauchlage wird die gesamte Rückseitedes Körpers entlastet: Hinterkopf und Ohren, Schulternund Schulterblätter, Ellenbogen, Sakrum, Fersen.

● V-Lage: Bei der V-Lage wird die Wirbelsäule druckentlas-tet. Sie gehört mit den A-, T-, I-Lagen primär zu den Dehn-lagen (S. 996).

● 90°-Seitenlage: Bei der 90°-Lage (S. 246) rechts werdendie gesamte linke Körperhälfte (vgl. 135°-Lage) sowie daskomplette Sakrum und die Fersen druckentlastet. Das lin-ke Knie wird mittig und außen entlastet.

● schiefe Ebene: Die schiefe Ebene vertikal entlastet die obe-ren Abschnitte des Körpers: Hinterkopf und Schulterblät-ter. Da durch die Schwerkraft der Körper herunterrutschenkann, sollte entsprechend vorgebeugt werden (Rutsch-bremse aus Handtüchern, Decken um die Sitzbeine sowieFußkissen). Bei der schiefen Ebene horizontal rechts wirddie linke Körperhälfte wie bei der 30°-Schräglage entlastet.

● Sitzen: Beim Sitzen wird der Hinterkopf entlastet, beimaufrechten Sitzen auch die Schulterblätter und das Sa-krum. Das verändert sich, wenn der Pflegeempfänger mitdem Becken stuhlkantenwärts rutscht!

!Merke PositionswechselBeim Positionswechsel sollten gewebeschonende Bewegungs- undTransfertechniken angewendet werden und in der Endposition auf eineflächige Unterpolsterung druckproduzierender Knochenvorsprünge ge-achtet werden, z. B. drückendes Sitzbein bei schiefem Becken.

90°-Seitenlage•Welche Positionierungen ausgewählt wer-den, richtet sich nach dem Pflegeempfänger. Die 90°-Seiten-lage ist z. B. für viele Menschen die natürliche Schlafposition

– die Haut über dem Trochanter ist dabei allerdings relativgroßem Druck ausgesetzt, weswegen diese Positionierungim Rahmen der Dekubitusprophylaxe oft als ungeeignet an-gesehen wird. Bei der 30°-Seitenlage ist der Druck besserverteilt – es bettet sich aber selten jemand freiwillig in die-ser Position. So kann es passieren, dass ein Pflegeempfänger,der in der 30°-Seitenlage positioniert wurde, mit dieser Lagenicht einverstanden ist und sich automatisch „aus dieser La-ge befreit“ und sich in seine natürliche Schlafposition begibt.Wenn er seine Lage verändert, bewegt er sich! Das ist gut.Außerdem kann die 90°-Seitenlage im Rahmen des Bewe-gungsplans Schritt für Schritt „entschärft werden“, indemdie im Rücken liegende Rolle in festen Zeitabständen suk-zessive hervorgezogen und der Winkel dabei nach und nachverringert wird.

Oberkörperhochlage•Bei der Oberkörperhochlage im Bettsollte z. B. wie folgt vorgegangen werden: Der Pflegeemp-fänger befindet sich in bequemer Rückenlage im flachenBett, d. h., er hat das Kopfkissen unterstützend in Schulter-blatt, Nacken- und Hinterkopfbereich. Das Fußteil des Betteswird betätigt, sodass sich die Knie und Hüften anwinkeln.Dann wird das Bett im Gesamten hochgefahren, damit es alsNächstes in eine Beintieflage gebracht werden kann. Manch-mal muss das Fußteil nachjustiert werden, d. h., die Hüft-und Kniegelenke müssen noch mehr in Flexion (Beugung)gebracht werden. Dann wird das Kopfteil hochgefahren, bisder Pflegeempfänger aufrecht sitzt. Diese Reihenfolge ver-hindert ein Herunterrutschen und somit Scherkräfte undhohe Drücke im Sakralbereich. Das Bett muss daraufhin imGesamten unbedingt wieder nach unten gefahren werden,um beim Aussteigen Stürze aus der Höhe zu verhindern. Essollten ausschließlich Matratzen/Betten verwendet werden,die einen physiologischen Hüftknick zulassen und für dasSitzen geeignet sind. Die Hüftgelenke sind parallel zum„Hüftknick“ des Bettes. Pflegeempfänger mit Hohlkreuz be-nötigen zusätzlich ein kleines Kissen oder ein Handtuch imunteren Rückenbereich. Unter den Sitzbeinen des Pfle-geempfängers sollten flächig gelegte Handtücher ange-bracht werden. Zur physiologischen Sitzhaltung siehe auchKap. „Nachbereitung“ (S. 251).

Positionswechsel bei Hüft-TEP•Pflegeempfänger mit einerHüftendoprothese können sich im Bett kopfwärts mobilisie-ren, indem sie abwechselnd eine Gesäßhälfte entlasten (durchGewichtsverlagerung) und die Gesäßhälfte ein Stück in Rich-tung der gewünschten Bewegung schieben. Das geht auch inliegender Position: Dann entlasten Pflegeempfänger eine Sei-te des Rumpfes und schieben sie in die gewünschte Richtung.Die Schlängelbewegung bzw. der „Schinkengang“ ist generellsehr wichtig, um die Hüftgelenke genau im „Hüftknick“ desBettes zu positionieren (das Becken befindet sich oberhalbdieser Position) und somit den Steißbereich zu entlasten.

Positionswechsel bei therapiebedingter Lage•Bei einigenKrankheitsbildern oder nach Operationen müssen Pfle-geempfänger eine bestimmte Position einhalten, z. B. halbeOberkörperhochlage bei erhöhtem Hirndruck. Bei therapie-bedingter Lage können druckverteilende Hilfsmittel (S.461),z. B. Wechseldrucksysteme, und/oder kleine Hilfsmittel zumMikropositionswechsel (S.460) eingesetzt werden, um eineDruckentlastung zu erreichen.

Positionierungskissen für eine gute Lage•Positionierungskis-sen sind Kissen unterschiedlicher Größe, die gut und gleich-mäßig gefüllt sind, am besten mit Daunenfedern. Sie

Abb. 17.5 30°-Seitenlage.

Die linke Körperhälfte wird entlastet, v. a. das linke Schulterblatt,der linke Bereich des Sakrums (Kreuzbeins), die linke Ferse sowielinkes Sitzbein und linker Trochanter. Foto: W. Krüper, Thieme

459

Dekubitusprophylaxe

Page 5: en Dekubitusprophylaxe - Microsoft...Dekubitus (Druckgeschwür, abgeleitet von lat. decumbere=sich nie-derlegen) ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder des darunterliegenden

schmiegen sich an den Körper, nehmen seine Form auf undgeben Halt. Der Vorteil der Positionierungskissen ist, dasssie nicht nur der Dekubitusprophylaxe dienen, sondern auchden Schlaf fördern. Der Pflegeempfänger fühlt sich erholt,seine Muskulatur bleibt geschmeidig und er kann am nächs-ten Morgen besser aufstehen (Bartels und Eckardt 2017).

!Merke VorliebenFinden Sie heraus, welche Positionen die Pflegeempfänger individuellam liebsten einnehmen, und berücksichtigen Sie sie bei der Bewe-gungsförderung bzw. dem Positionswechsel.

Hohllage/Freilage•Hierbei werden dekubitusgefährdete Kör-perstellen durch Hohllage komplett frei positioniert, z. B. dieFersen. Als Hilfsmittel werden Kissen oder Handtücher ver-wendet. Bei einer Hohllage der Fersen muss darauf geachtetwerden, dass die Knie nicht durchhängen, sondern ebenfallsunterstützt sind. Meist ist die Freilage der Fersen mit einemgefalteten Handtuch statt eines Kissens günstiger, da dadurchder Winkel im Knie weniger beeinflusst wird. Das gefalteteHandtuch kann für die Hohllage in Form einer Brezel gelegtwerden, d. h., die Enden sind nach außen gerollt, die Fersesinkt in die weiche Fläche der Mitte ein. Bisher ist keine Maß-nahme der Fersenfreilage zur Dekubitusprävention überlegen(DNQP 2017b).

WISSEN TO GO

Dekubitusprophylaxe –Maßnahmen

● Ziel: Entlastung gefährdeter Körperstellen von Druck- undScherkräften durch regelmäßige körperliche Bewegungund/oder Freilage gefährdeter Körperstellen (DNQP 2010).

● Bewegungsförderung: Für jeden Pflegeempfänger wirdein individueller Bewegungsplan erstellt. Bewegungsför-derung heißt:– Eigenbewegung des Pflegeempfängers fördern– regelmäßige Positionswechsel durchführen– scherkräftearme Transfertechniken anwenden– Freilage stark gefährdeter Körperstellen

● Die Pflegefachkraft wählt die Maßnahmen so, dass dieseden voraussichtlichen Pflege- und Therapieverlauf be-rücksichtigen, dazu gehören erwartetes Mobilitätsver-halten, passende Hilfsmittel, Stressoren für und auf derHaut wie Zu- und Ableitungen.

● Bei Pflegeempfängern ohne Eigenbewegung erfolgt dieMobilisation passiv. Die Häufigkeit der Maßnahmen richtetsich nach der aktuellen Situation des Pflegeempfängersund wird bei Änderungen angepasst. Der Pflegeempfän-ger wird in die Planung einbezogen und über die Ursachendes Dekubitus, dekubitusgefährdete Körperstellen und dieprophylaktischen Maßnahmen aufgeklärt.

● Hautzustand kontrollieren: Der Fingertest ist die der-zeit beste Methode, um herauszufinden, wann dernächste Makropositionswechsel für einen Pflegeempfän-ger spätestens notwendig wird.

● Positionierung – Makropositionswechsel: Es werdenverschiedene Möglichkeiten der Positionierung genutzt.Welche Positionierungen ausgewählt werden, richtetsich nach dem Pflegeempfänger.

● Hohllage/Freilage: Dekubitusgefährdete Körperstellenwerden durch Hohllage mithilfe von Kissen/Handtüchernkomplett frei positioniert, z. B. die Fersen.

Positionierung –Mikropositionswechsel

Mikropositionierungen erreichen keine vollständige Druck-entlastung einzelner Körperstellen und ersetzen nicht dasregelmäßige Umpositionieren. Sie dienen vielmehr der Be-weglichkeits- und Durchblutungsförderung durch häufigesanfte, minimale Positionswechsel einzelner Gliedmaßen(▶Abb. 17.6). Sie sind besonders bei Schmerzbetroffenensinnvoll, können aber auch in der Nacht förderlich sein. Auchbei kreislaufinstabilen kritisch kranken Menschen, für dieeine gründliche Lageveränderung zu gefährlich wäre, wirdso verfahren.

Für die Mikropositionswechsel unter Schulter, Becken,Bein usw. sind kleine Schaumstoffkissen (z. B. ROHO-Kis-sen), Gelkissen oder Handtücher geeignet. Günstigstenfallswird die Mikroposition im Uhrzeigersinn alle 10–20 Minu-ten geändert oder alle 30 Minuten in Rückenlage abwech-selnd auf der rechten und linken Körperseite mit Kopfdre-hung positioniert. Gut geeignet sind auch der Körperformentsprechend zugeschnittene Schaumstoffstücke. Ein gefal-tetes Handtuch unter einer Beckenseite führt z. B. zu einerGewichtsverlagerung vom Kreuzbein weg. Ein kleines ge-rolltes Handtuch unter einem Bein nimmt das Gewicht vonder Ferse (Jurkowitsch 2017).

ACHTUNGViele Einrichtungen verwenden flüssigkeits- bzw. luftgefüllte Hilfs-mittel zur Dekubitusprävention. Wissenschaftlich wird davon abge-raten (DNQP 2017b), diese bei Kindern und Erwachsenen zur Deku-bitusprophylaxe einzusetzen, da oft nicht gewährleistet werdenkann, dass sich der Druck großflächig und gleichmäßig unter denPrädilektionsstellen verteilt. Einige Firmen bieten Gelkissen zur Deku-bitusprophylaxe an. Die Pflegefachkraft muss prüfen, ob die ge-nannten Prinzipien (großflächige und gleichmäßige Druckvertei-lung) gegeben sind, bevor sie diese Materialien dauerhaft einsetzt.

Die Technik der Mikropositionierung können sich Pflege-fachkräfte auch beim Positionieren zunutze machen, indemsie Pflegeempfängern z. B. ein zusammengerolltes Handtuchin den Rücken legen statt einer weichen Decke. Es gibt mehrWiderstand für Eigenbewegung. Auch können sie eine Un-terstützung im Rücken (sei es ein Handtuch oder eine De-cke) 4-fach längs falten. Um dann eine Mikrobewegungnachzuahmen, ziehen sie nach einer Weile die 4-fache ineine 2-fache Faltung. Das Verfahren eignet sich vor allem fürnachts – viele Pflegeempfänger „verschlafen“ die kleine Be-wegung einfach. Es muss nur anfangs kontrolliert werden,

Abb. 17.6 Mikropositionierung.

Die Mikroposition (im Bild die linke Hüfte) wird im Uhrzeigersinnalle 10–20 Minuten geändert: linke Schulter → linke Hüfte→ lin-kes Knie → linke Ferse → rechte Ferse → rechtes Knie usw. Foto:A. Fischer, Thieme

460

l17 Prophylaxen

ob diese minimale Druckentlastung für die Haut des Pfle-geempfängers ausreicht – was meist für stabile, noch rechtmobile Pflegeempfänger gilt.

ACHTUNGHinterkopf-, Sitz- und Fersenringe erhöhen den Druck an den Seiten-rändern des Rings und sind deshalb als Hilfsmittel zur Mikrolage-rung bei Kindern und Erwachsenen ungeeignet. Wattepolster und-verbände sind ebenfalls kontraindiziert, da sie keine stabile Formwahren und die Auflagefläche für die Wade nicht breit genug ist.Die Wirksamkeit von Echthaarfellen (medizinischen Schaffellen) alsEllenbogen- und Fersenschoner ist noch nicht genügend für höhereDekubituskategorien belegt. Zur Vermeidung von Dekubitus Katego-rie I scheinen sie zu wirken. Bei Kindern wird vom Einsatz von syn-thetischen und Echthaarfellen zur Dekubitusprävention abgeraten(DNQP 2017b).

Bewegungsförderung schwer beeinträchtigterPflegeempfänger

Bei komatösen und anderen schwer beeinträchtigten Pfle-geempfängern ist der Weg der Positionsveränderung nochwichtiger als die erreichte Lage. Denn die Positionsverände-rung fördert und erhält die Beweglichkeit eines Menschen – eswerden Reize an bestimmten Druckpunkten gesetzt undafferente (zum Gehirn aufsteigende) Nervenbahnen stimuliert.

Pflegeempfänger sollten motorische Abläufe konsequentwiederholen, z. B. vom Liegen auf dem Rücken über dieOberkörperrotation zum Sitzen kommen. Das gibt bewusst-seinsbeeinträchtigten Menschen Sicherheit, fördert ihre Ei-genwahrnehmung, beschleunigt die Wiederaufnahme akti-ver Bewegungen und vermeidet Druckgeschwüre als Sekun-därkomplikation. Dabei sollte Schritt für Schritt vorgegan-gen werden: Zwischen der Information „Ich helfe Ihnen jetztdabei, sich aufrecht im Bett hinzusetzen“ und zu Beginn derBewegung sollte eine Pause eingelegt werden, damit der be-wusstseinseingetrübte Pflegeempfänger die Informationverarbeiten, sich an Bewegungsabläufe erinnern und sichvielleicht doch ein Stück weit selbst bewegen kann. Das Be-wegungstempo ist entsprechend langsam.

Gehhilfen einsetzen

Pflegefachkräfte sollten Hilfsmittel nutzen, die den Pfle-geempfänger in seiner Aktivität und Mobilität fördern, z. B.den großen und kleinen Gehwagen, Gehbock, Rollator, Un-terarmgehstützen (UAGS) (▶Abb. 17.7). Pflegefachkräftesollten sicherstellen, dass der Pflegeempfänger mit denHilfsmitteln umgehen und er sie z. B. auch an Schwellen undStufen einsetzen kann (Sturzprophylaxe!). Daher gilt es, denPflegeempfänger stets in die Entscheidung miteinzubezie-hen, welches Hilfsmittel das beste für ihn ist. Die Pflegefach-kraft berät entsprechend den Pflege- und Therapiezielen,sieht die Möglichkeiten der Eigenbewegung des Pflegeemp-fängers, beachtet sein Körpergewicht und wägt Kosten undNutzen ab (DNQP 2017b).

!Merke Sicherheit geht vorIst der Pflegeempfänger unkonzentriert, will er schnell zur Toilette,ist aber (noch) „wackelig auf den Beinen“, sollten Sie stets das ein-fachere Hilfsmittel wählen, z. B. den Gehwagen statt der Unterarm-gehstützen, und den Pflegeempfänger beim Aufstehen, Gehen undHinsetzen begleiten bzw. anleiten.

Gehhilfen sollten in den täglichen Alltag eingebunden wer-den, z. B. Toilettengang, Körperpflege, Wasser holen, aufdem Weg zur Diagnostik. Das macht die Hilfe irgendwann

„normal“ und der Pflegeempfänger nutzt sie dann auch zuHause und erhält seinen Bewegungsradius.

Umgang mit Zu- und Ableitungen

Zu- und Ableitungen (Sonden, Drainagen, Infusions-, Per-fusions- und Katheterschläuche) sollten neben statt auf demKörper platziert werden. Die Pflegefachkraft kontrolliert diepassende und korrekte Stellung der Zu- und Ableitungenmindestens alle 2–4 Stunden. So kann Aufliegedruck verrin-gert oder vermieden werden. Insbesondere bei Menschenmit stark beeinträchtigter Haut oder bei Früh- bzw. Neu-geborenen mit unreifer Haut reicht der Aufliegedruck be-reits für einen Dekubitus. Die Pflegefachkraft ergreift Haut-schutzmaßnahmen an den Eingangs- und Austrittsstellen(→ Umgang mit Kathetern, → Intertrigo, → Wundschutz amAnus praeter) und nutzt praxiserprobte polsternde Auflagenzur Druckverteilung (DNQP 2017b). Regelmäßig evaluiertdie Pflegefachkraft, ob die Zu- und Ableitungen überhaupt(noch) nötig sind (S.457).

Druckverteilende Hilfsmittel einsetzen

Druckverteilende Hilfsmittel sollten nur bei Pflegeempfän-gern eingesetzt werden, bei denen kein druckausgleichen-der Mobilitätsgrad (wieder)hergestellt werden kann. Zu dendruckverteilenden Hilfsmitteln gehören (▶ Tab. 17.1):● Weichlagerungssysteme: z. B. Schaumstoffmatratzen, Ge-lauflagen, Luftkissen usw.

● Wechseldrucksysteme: z. B. klein- und großzellige Wech-seldrucksysteme

● Mikro-Stimulationssysteme (MiS): wahrnehmungsför-dernde, schmerzreduzierende, bewegungsfördernde Sys-teme, z. B. ThevoautoActiv (ThevoAdapt plus), ThevoActiv

(...)

Präventive Auflagen undElektrostimulation(...)

Ernährung und Hautpflege(...)

Abb. 17.7 Hilfsmittel einsetzen.

Egal ob die Pflegeempfängerin nur kurzzeitig ein Hilfsmittel be-nötigt oder ob sie es dauerhaft beanspruchen wird: Es ist wich-tig, die Hemmschwelle abzubauen und zur Nutzung zu animie-ren. Foto: K. Oborny, Thieme

461

Dekubitusprophylaxe

Autor: S. Bensch. Aus: I care Pflege (ISBN 9783132418288) © 2020 Georg Thieme Verlag KG