74
ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit

entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

  • Upload
    doxuyen

  • View
    219

  • Download
    3

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

ISSN 2193-1224

Ausgabe Nr. 7, SoSe 2014

ein Projekt der

Geowerkstatt Leipzig e.V.

in Kooperation mit

Beiträge unter anderem:

Hausarbeiten, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten – Studierende ARBEITEN – Teil 2

und viele mehr ...

Grenzen auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiensvon 1900 bis heute

Die Frauenmorde von Ciudad Juárez

Alles kennen, alles wissen, alles können?Ein persönlicher Bericht vom Weg in die Spezialisierung

Nachhaltigkeit im Luftverkehr

Cover-Illustration von Josephine Kellert

Kasachstan-Exkursion

Ein Volk von Dichtern und NachGeoDenkern

NEUE RUBRIK:

Foto(Geo)grap

hie

Page 2: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

2 entgrenzt 7/2014Gesamteditorial |

Wil lkommen!

Josephine Kellert

GeoWerkstatt hat für euch einen Exkursionsberichtaus dem neuntgrößten Staat der Erde in petto.

Wozu Baumaß-nahmen undOrganisations-talentfreiheit amInstitut fürGeographie inErlangen führenkönnen, lest ihrim Sprach(r)ohr.

GeoPraktisch versorgt euch mit den A´s und O´szum Thema „Wissenschaftliches Arbeiten“.

entgrenzt freut sich, euch dieneue Rubrik Foto(Geo)graphievorstellen zu dürfen! Für die

nächste Ausgabe könnt ihr eucham Fotowettbewerb beteiligen.

Näheres dazu auf Seite 70.

Und nun wünschteuch entgrenzt

eine gute Lektüre,ein erfolgreichesSommersemester

und ein gutes Auge für einaussagekräftiges Foto.

Herzlich Willkommen zur ersten Ausgabe des Jahres 2014!Geographisches bietet euch diesmal gleich vier Artikel. Diesebeleuchten die Grenzen Ex-Jugoslawiens, Mexiko und dienachhaltige Überschreitung von Grenzen via Flugverkehr.

Page 3: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

3entgrenzt 7/2014

GeographischesDr. Jonathan Everts: Alles kennen, alles wissen, alles können?Ein persönlicher Bericht vom Weg in die Spezialisierung

Manuel Berger: Grenzen auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiens von 1900 bis heute.Eine Analyse historischer Karten nach Kritischer Kartographie.

Josephine Kellert: Die Frauenmorde von Ciudad Juárez. Ein grenzspezifisches Phänomenals eine Folge der Arbeitsmigration an der U.S.-Mexikanischen Grenze?

Mathis Trapp: Nachhaltigkeit im Luftverkehr. Ein explorativer Beitrag zurKategorisierung internationaler europäischer Verkehrsflughäfen.

Call for Papers – Ausgabe Nr. 9, Sommersemester 2015

GeoWerkstattRonny Schmidt, Stefanie Buchwald und Christine Splissgart:Projektbericht: Geoarchäologischer Geländeworkshop „Geofakt vs. Artefakt“

Studierende und Dozenten aus Leipzig und Almaty:Wüsten und Oasen, Steppen und Hochgebirge, unendliche Weiten und einepulsierende Millionenstadt – Kasachstan-Exkursion 2013

Sprach(r)ohrMarkus Maaßen und Sebastian Trösch: Ein Volk von Dichtern und NachGeoDenkern

Matthias Plennert: Zwischen Autowerkstatt und Sex-Discount.Das neue Institutsgebäude der Geographie

GeoPraktischInterview mit Simon Reichenwallner

Frank Meyer: Masterplan Qualifikationsarbeit. Oder: Wie umschiffe ich Krisen?

Foto(Geo)graphischEditorial

entgrenztmachen, aber wie?Nachwuchs für die kommende Ausgabe!?

Impressum

Gesamtinhalt

| Gesamtinhalt

S. 5

S. 10

S. 18

S. 26

S. 40

S. 44

S. 46

S. 53

S. 53

S. 59

S. 62

S. 70

S. 72S. 73

S. 74

Page 4: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

4 entgrenzt 7/2014Geographisches |

GeographischesDas ist ja interessant. Was meint ihr passiert,wenn – wie für diese siebte Ausgabe – dieThemenauswahl von ent-grenzt nicht be-grenzt wird? Richtig, es geht um Grenzen.Die Geographie prahlt mit ihrer Freiheit.

Zugleich erfordert die Forschung Spezialierun-gen. Von diesem Zusammenspiel von Grenzenund Möglichkeiten berichtet Dr. JonathanEverts (Uni Bonn) anhand seiner bisherigenLaufbahn als Wissenschaftler im Gastbeitrag.Die Reihe der studentischen Artikel beginnt

dieses Mal mit einem Beitrag aus der kriti-schen Kartographie, der sich auch in der ver-gangenen Ausgabe „A map is a map is amap?!“ (siehe Ausgabe 5) gut gemacht hätte.Manuel Berger (Uni Bern) thematisiert darindie Grenzen innerhalb des heute noch immerfür viele unübersichtlich wirkenden Raumsdes ehemaligen Jugoslawiens. In der „Jugos-Sphäre“, wie die Region heute auch genanntwird, existieren nach wie vor einige nicht ver-gessene oder nicht vollständig gelöste Konflik-te. Der Beitrag, basierend auf seiner Masterar-beit von 2012, zeigt auf, wie sich diese in oftwidersprüchlichen Darstellungen von Grenzenauf Karten der Region manifestieren.Einer ganz anderen Grenze, die zu den am

besten kontrollierten Grenzen der Welt zählt,widmet sich Josephine Kellert (Uni Leipzig).An der Mexikanisch-US-amerikanischen Gren-ze spielen sich Gräueltaten ab, die nach Erklä-rungen verlangen. Der Artikel befasst sich mitden Frauenmorden (Femiziden), die entlangder Grenze, besonders in Ciudad Juárez, statt-fanden. Das Titelbild mit der zum stillschwei-gen verdonnerten Frau und die Namen, diestellvertrend für die Ermordeten stehen, sym-bolisieren die Verbrechen.Landen wir also auch im dritten Beitrag

beim Thema „Grenzen“? Mit grenzenlosemAssoziieren vielleicht, aber nein, das ersparenwir euch. 49 internationale Flughäfen befin-den sich in Europa, und mit ihrem wachsen-den Passagier- und Frachtaufkommen steigtauch ihre ökonomische, ökologische und so-ziale Bedeutung. Mathis Trapp (Uni Aachen)

fragt sich deshalb in seiner explorativen Ana-lyse, wie nachhaltig diese Flughäfen sind undentwirft ein Kategoriensystem, dass eine Ver-gleichbarkeit zwischen den Flughäfen ermög-licht.Außerdem möchten wir euch noch auf den

Call for Papers für die 9. Ausgabe zum ThemaLandnutzungswandel hinweisen. Vielleichthabt ihr ja bereits Arbeiten dazu geschriebenoder Ideen, die zu Papier gebracht und nichtnur in euren Hinterstübchen hin und her ge-schoben werden wollen.

Wir wünschen Euch viel Spaß beim Lesen.

Cosima Werner

Editorial

Page 5: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

5entgrenzt 7/2014

Jonathan Everts studierte Geographie ander Uni Freiburg und schrieb dort auchseine Dissertation. Nach Forschungs- und

Arbeitsaufenthalten in Sheffield und Bayreuth ar-beitet er momentan im Bereich Geographische

Entwicklungsforschung am Geographischen Insti-tut der Uni Bonn. Seine Forschungsschwerpunkteliegen in den Bereichen Geographien der Angstund des Konsums, kulturelle Differenz und Alltagsowie der Theorie sozialer Praktiken.

Als wissenschaftliche Disziplin bietet die Geo-graphie ein großes Dach für viele Interessen.Spätestens nach dem zweiten Studiensemesterweiß jede Studentin und jeder Student, dassdie Geographie für sich den Ort einer„Schnittstelle“ zwischen zahlreichen anderenwissenschaftlichen Disziplinen beansprucht.Das gilt insbesondere für die Überschneidungzwischen natur- und sozial- beziehungsweisegeisteswissenschaftlichen Fächern. Das Studi-um der Geographie ist daher auch breit ange-legt und umfasst meistens ausführliche Ein-führungen in die Physische Geographie unddie Humangeographie sowie Vertiefungen inderen jeweilige Spezialgebiete. In der tägli-chen Lehrerfahrung zeigt sich jedoch, dassdiese Art des Curriculums von vielen Studie-renden als eine große Herausforderung emp-funden wird. Ein Problem aus studentischerSicht liegt unter anderem darin, dass die Ein-heit des Faches vor allem von den Studieren-den erwartet und praktiziert werden muss,während sich die Lehrenden anscheinend nurum ihre Spezialgebiete zu kümmern brauchen.Doch auch unter den Lehrenden sind die

Ansichten geteilt. Viele befürworten ein brei-tes Interesse und möglichst umfassende Kennt-nisse über das ganze Fach Geographie. Genau-so wird aber auch anerkannt, dass gute undsehr gute Forschung nur bei hohem Speziali-sierungsgrad möglich ist. Daraus ergibt sichein Dilemma, das vor allem für Wissenschaft-ler in Qualifizierungsphasen (Promotion, Ha-bilitation) von Bedeutung ist. Für eine Anstel-lung nach der Promotion oder in einem Beru-fungsverfahren sind breite Kenntnisse gefragt.Das gleiche gilt für die Lehre, in der zwar ge-wisse Spezialisierungsgrenzen eingehaltenwerden, für die aber trotzdem eine breiteKenntnis des Faches zentral ist. Andererseitsist ein wissenschaftliches Fortkommen nurmöglich, wenn die Spezialisierung so hoch ist,

dass die aus der Forschung generierten Er-kenntnisse auch für das internationale Fach-publikum von Interesse sind. Es ist ein Dilem-ma, dass sich auch als Frage formulieren lässt:

Alles kennen, alles wissen, alles können – geht das?

Natürlich geht es nicht. Jede Wissenschaftlerinund jeder Wissenschaftler muss einen eigenenWeg zwischen Anspruch und Wirklichkeit fin-den. Für entgrenzt wurde ich gebeten zu be-schreiben, wie ich bisher mit dem skizziertenDilemma umgegangen bin und meine Positiondarzulegen. Ohne meinen eigenen Weg als be-sonders sinnvoll oder gar nachahmenswerthervorheben zu wollen, so möchte ich anhandvon drei Abschnitten beispielhaft beschreiben,wie ich zu meiner „Spezialisierung“ gelangtbin. Dabei werde ich weniger auf die ver-schiedenen Themenfelder meiner Forschungs-arbeit (Konsum, Migration, Biosicherheit, . . . )eingehen als auf die theoretische Perspektive,mit deren Hilfe ich mich meinen Forschungs-themen annähere.

Freiheit

Die frühen 2000er waren für die deutsche Hu-mangeographie eine aufregende Zeit. Die eta-blierten Geographinnen und Geographen hat-ten gerade erst Benno Werlens handlungs-theoretische Sozialgeographie verdaut (Meus-burger 1999), da kam schon die nächsteGeneration junger Geographinnen und Geo-graphen, die, inspiriert von der britischenNew Cultural Geography (Jackson 1989; Cos-grove/Jackson 1987), neue Ansätze, Konzepteund Theorien diskutierten und neue Themen-felder für das Fach erschließen wollten. Wennman sich die Rezeption der ersten gebundenenneu-kulturgeographischen Publikation ansieht(Gebhardt et al. 2003), so war dies tatsächlich

Alles kennen, al les wissen, al les können?

Dr. Jonathan Everts (Uni Bonn)

Ein persönl icher Bericht vom Weg in die Spezial isierung

| Dr. Jonathan Everts

Page 6: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

6 entgrenzt 7/2014

auch noch Grund zur Aufregung. Wenn dieRezensenten im Prinzip wohlwollend urteil-ten, so wurde der Versuch, etwas radikal Neu-es zu probieren, nicht immer positiv aufge-nommen. Zum Beispiel wurde Anke StrüversBeitrag, der sich mit Gender- und Identitäts-fragen im Rahmen einer neuen Kulturgeogra-phie auseinandersetzt, von Heinritz folgender-maßen kommentiert:

„Wie nutzlos und unbefriedigend eine solche blo-ße Dekonstruktionsarbeit tatsächlich bleibt, doku-mentiert in dem Band der Beitrag von Anke Strü-ver, die die Frage „Wer bin ich – und wenn ja,wie viele?“ aus „feministisch poststrukturalisti-scher Perspektive“ stellt und dabei im Müll desdualen (Abfall-)Systems endet“ (Heinritz 2005:63).

Milder und mit mehr Umsicht urteilte Blotevo-gel. Für ihn barg die Begeisterung für die neueKulturgeographie die Chance, das Fach einmalmehr mit „kritischem Reflexionswissen (Ori-entierungswissen)“ zu bereichern. Allerdingssah er 2003 darin noch mehr einen Arbeits-auftrag als eine bereits vollbrachte Leistung:

„Die Neue Kulturgeographie verfügt hier über einbeträchtliches Potenzial zur Produktion kritischenReflexionswissens. Es ist bisher erst teilweisedurch solide, theoretisch fundierte und metho-disch kontrollierte Forschung erschlossen undnoch viel weniger in die öffentliche Kommunikati-on eingebracht“ (Blotevogel 2003: 31 ).

Ich selbst war zu dieser Zeit noch dabei meinHauptstudium (vergleichbar mit dem heutigenMasterstudium) an der Universität Freiburgabzuschließen. Dort war die Neue Kulturgeo-graphie noch kein Thema (zumindest nicht inden Kursen, die ich besuchte). Ein Jahr später,als ich auf der Themensuche für meine Pro-motion war, wurde ich durch meinen Doktor-vater Thomas Krings auf das bereits erwähnteBuch „Kulturgeographie. Neue Ansätze undPerspektiven“ (Gebhardt et al. 2003) hinge-wiesen. Ich las das Buch mehr oder weniger ineinem Rutsch – und war begeistert. Die dortvorgestellten Theorien und Sichtweisen eröff-neten gänzlich neue Welten.Wenn ich nun zehn Jahre später darauf zu-

rückblicke, dann kommt mir das Buch heutein vielerlei Hinsicht sehr traditionell und nurmittelmäßig innovativ vor. So vieles ist seit-dem passiert! Die Entwicklung der (deutsch-

sprachigen) Humangeographie ist unglaublichrasant verlaufen. Die Entwicklung des Facheshat aber maßgeblich profitiert von der neuenOffenheit gegenüber innovativen und unkon-ventionellen Ansätzen, die ein besonderesMerkmal der Pionierzeit neuer Kulturgeogra-phinnen und Kulturgeographen war. Leiderwurde diese Offenheit aber auch oftmals (undteilweise bis heute) missverstanden und vonmanchen Kolleginnen und Kollegen als will-kürlicher Eklektizismus abgelehnt. Auch dieApologeten der neuen Kulturgeographie beeil-ten sich, ihren Kritikern beizupflichten. Eine„anything goes“-Attitüde sei in jedem Fall ver-werflich. Wenn überhaupt, dann gehe es um„many things go“ (Gebhardt et al. 2003: 9).Das habe ich allerdings nie verstanden, da

es genau die im Spruch „anything goes“ aus-gedrückte radikal offene Haltung gegenüberneuen Ideen war, die mich besonders faszi-nierte. Auch im Begriff Eklektizismus konnteund wollte ich nichts Schlechtes sehen. Eklek-tizismus war mir damals weniger aus der Phi-losophie als aus der Architektur bekannt. Inder Architektur bezeichnet es jene Stilepo-chen, in der sich aktuelle Entwürfe dadurchauszeichnen, dass sie aus den vorhergegange-nen Stilen die markantesten Merkmale her-ausgreifen und zu einem neuen Ensemble zu-sammenführen. Dies war unter anderem in derdurch wissenschaftliche Produktivität undkünstlerische Kreativität geprägten Zeit desspäten 19. Jahrhunderts der Fall und wir ver-danken dem Eklektizismus dieser Tage einigeherausragende Baudenkmäler (z.B. das Flati-ron Building in New York oder Schloss Neu-schwanstein).Wieder auf die Entwicklung der Geographie

bezogen: gerade der zunächst in der NeuenKulturgeographie absichtsvoll betriebene Ek-lektizismus erschien mir als geeignetes Werk-zeug, sich aus den teilweise sehr engen Fesselnder tradierten Denkschemata zu befreien.

„Eine andere Geographie fordert dazu auf, ver-traute Ordnungen (auch die eigenen) in Frage zustellen und gewohnte Denkschemata (auch die ei-genen) zu hinterfragen. “ (Lossau 2003: 1 10,Herv. i. O. )

In der Konsequenz war für mich nicht ersicht-lich, warum die gerade gewonnene Freiheitwieder aufgegeben werden sollte und mansich nun einem der neu entstehenden Paradig-men zu verschreiben habe. Ich erinnere mich

Alles kennen, alles wissen, alles können? |

Page 7: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

7entgrenzt 7/2014

an einen schönen Frühling im Jahr 2005, indem ich mich treiben ließ von einer Fülle anfremden und eigenen Gedanken.

Theorie

Aber schon bald war die Frühlingszeit vorbeiund nun musste ein konkretes Forschungspro-jekt her. Weit abseits der teilweise höchstschöngeistigen Fragestellungen der Theorie-Debatten ging es nun um die Erarbeitung einesbodenständigen empirischen Forschungspro-grammes. Anstatt weiter Barthes (1996) zu le-sen, musste ich mich fragen, wie ich meineForschung finanzieren sollte. Anstatt Sojas(Soja 1996) Dritten Raum weiter zu durch-dringen musste ich klären, wie viele Leute ichin einem sinnvollen Zeitraum interviewenkonnte. Und anstatt weiter in der Gid-dens’schen (Giddens 1997) Lesart der Zeitgeo-graphie zu versinken, musste ich überlegen,wie ich überhaupt Zugang zu den Menschenbekommen sollte, deren Leben (und heutewürde ich sagen: Praktiken) mich interessier-ten. Indem ich begann, diese sehr konkretenFragen für mich zu beantworten, wurde mirauch immer deutlicher bewusst, dass meinebislang kultivierte Multiperspektivität tatsäch-lich zum Problem werden konnte. Nach einerRedensart heißt es, man macht „alles undnichts“. Genau so fühlte ich mich. Ich brauch-te nun einen stringenten Ansatz, eine Perspek-tive, von der aus ich mein ganzes Forschungs-feld aufziehen konnte.Der Durchbruch kam durch einen Tipp von

einem Studienfreund. Als Doktorand der Neu-rowissenschaften interessierte er sich zwarnicht für meine fachliche Fragestellung, aberer empfahl mir, mich doch mal mit dem spä-ten Wittgenstein zu beschäftigen. Nach derLektüre war es im Wesentlichen dieser Satz,der mir entscheidend weiterhalf:

„Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch inder Sprache. “ (Wittgenstein 1984: 262)

Ich wandelte diesen Satz für meine eigenenForschungsinteressen um in:

„Die Bedeutung eines Ortes ist sein Gebrauch imAlltag. “

Von dort aus war es dann relativ einfach, diebisher gelesene Literatur zu sortieren und infür meine Forschung Relevantes und weniger

Relevantes einzuteilen. Der folgende Lehrsatzvon Werlen wurde für mich ebenso zentralund Ausgangspunkt für meine empirische For-schung:

„Die Bedeutung materieller Gegebenheiten sindnicht Eigenschaften der Objekte per se, sondernwerden von den Subjekten zugeschrieben. Konse-quenterweise können Bedeutungen räumlicher„Tatsachen“ nur über die Analyse der Bedeu-tungszuweisungen erschlossen werden, nicht aberdurch selbstgenügsame Raumanalyse. “ (Werlen2004: 354).

Im Feld untersuchte ich, wie Menschen einenbestimmten Typus von Ort (kleine Lebensmit-telgeschäfte) in ihrem Alltag nutzen und wiediese Orte dadurch eine Vielzahl von Bedeu-tungen erhalten, die weit über ihre bloßeFunktion als Einkaufsstätte hinausweisen.Nach einer zwölfmonatigen empirischen For-schungsphase (mit größeren Unterbrechungenfür weiteres Lesen und erste Analysen) endetediese Zeit. Nun mussten die Forschungsergeb-nisse vor dem Hintergrund theoretischerÜberlegungen verschriftlicht werden.Im Sommer 2006 begleitete ich als Gastwis-

senschaftler an der Universität Sheffield dasvon Peter Jackson beaufsichtigte und geradeangelaufene Forschungsprojekt „Changing Fa-milies, Changing Food“. In einem meiner ers-ten Treffen fragte er mich, an welchem Punktich mit meiner Dissertation sei. Ich sagte ihm,dass die Empirie bereits abgeschlossen sei, ichmir aber mit der Theorie noch nicht so sicherwäre. Beinahe beiläufig empfahl er mir Prakti-kentheorie als einen interessanten Ansatz undnannte mir einen damals relativ aktuellen Ar-tikel von ihm und Kollegen (Jackson et al.2006). Auch wenn ich feststellen musste, dassin diesem Artikel Praktikentheorie nicht be-sonders ausführlich behandelt wurde, so ver-mittelt der Text doch einen sehr guten Ein-druck davon, wie man empirisches Datenma-terial aus einer praxistheoretischen Perspekti-ve heraus analysieren und publikationsfähigaufbereiten kann. Im Hinblick auf weitereAusführungen zur Praktikentheorie verweistder Text auf Warde (Warde 2005). Von da wares nur noch ein kleiner Schritt zu den grund-legenden Artikeln von Reckwitz (2002; 2003)und den Büchern von Schatzki (1996; 2002).Auch wenn ich die Tragweite meiner Be-

schäftigung mit dieser Literatur zunächst garnicht voll erfasste (das wurde mir erst nach

| Dr. Jonathan Everts

Page 8: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

8 entgrenzt 7/2014

der Promotion so richtig bewusst), ich hattezu diesem Zeitpunkt meinen theoretischen An-satz gefunden. Im Nachhinein betrachtet, soll-te das nicht verwundern. Praktikentheorie inder Lesart von Reckwitz und Schatzki verbin-det die radikale intellektuelle Offenheit, dieich mir wünschte, mit der zentralen Erkennt-nis, dass es „das Tun“ ist, in dem sich die so-ziale Welt offenbart. Praxistheoretische Auto-ren lieferten mir die konzeptionellen und be-grifflichen Grundlagen für mein Erkenntnisin-teresse. Nun konnte ich nicht nur forschensondern auch darüber schreiben, wie der „Ge-brauch“ über die Bedeutungen bestimmt undin sozialen Praktiken organisiert ist.

Spezialisierung

Mit Geduld, Fleiß und Glück konnte ich nachder Promotion ein höchst komfortables Post-doktorandenstipendium ergattern. Dieses er-möglichte mir, zwölf Monate am Geographi-schen Institut der Universität Sheffield meinebisherigen Forschungsinteressen zu vertiefen.Als Mentor fungierte Peter Jackson.Eigentlich hatte ich mir immer vorgestellt,

dass ich nach der Promotion noch mal ganzneu anfangen und mich mit neuen Themenbeschäftigen würde. Das war aber im Rahmenmeines Stipendiums nicht vorgesehen. DerThemenbereich war durch die Dissertation,auf der man aufbauen sollte, klar vorgegeben.Von daher probierte ich zumindest auf theore-tischer Ebene etwas Neues zu wagen. Dochschon nach wenigen Wochen verirrte ich michunter anderem zwischen anthropologischenKonsumtheorien (Miller 1998), philosophi-scher Sprechakttheorie (Austin 1975) undgeographischen Affekttheorien (Anderson2006). Meine zunächst wiederentfachte Be-geisterung für die radikale Offenheit wichschnell der Erkenntnis, dass man sich unmög-lich mit allem beschäftigen kann, ohne dabeiZiel und Detailgenauigkeit aus den Augen zuverlieren.So vertiefte ich mich einmal mehr in die

Praktikentheorie und las in aller GründlichkeitSchatzkis „Site Ontology“ (2002). Ein Zufallwollte, dass ich meine Kollegin und Büronach-barin Megan Blake im Kopierraum traf, wowir feststellten, dass wir beide das gleicheBuch lasen (in Megans Fall für ein Paper inden Annals – Blake et al. 2010; in meinem Fallfür ein Paper in EPD – Everts and Jackson2009). Nun stellte sich heraus, dass auch un-

ser Kollege Matt Watson an dieser Version derPraktikentheorie arbeitete. Dazu gesellten sichauch noch Nicky Gregson und Peter Jackson,die ja ebenfalls bereits ihr Interesse an praxis-theoretischen Ansätzen demonstriert hatten(Jackson et al. 2006; Gregson et al. 2002).Natürlich nicht ganz ohne Zufall sind alle die-se Forscherinnen und Forscher zusätzlich ankonsumgeographischen Themenstellungen in-teressiert, was weiterhin für unseren Aus-tausch sehr förderlich war.Mein Jahr Sheffield ging schnell wieder zu

Ende. Es war die Zeit der internationalen Fi-nanzkrise, die in England „Credit Crunch“ ge-nannt wurde. Die englischen Universitätenbangten um ihre Rücklagen. Wie viele anderehatte auch die University of Sheffield viel Geldin isländische Banken angelegt. Es war völligunklar, ob davon auch nur ein Penny gerettetwerden konnte. Die direkte Folge war einStopp für Stellenausschreibungen. Gleichzeitigeröffneten sich aber neue Möglichkeiten. Ander Universität Bayreuth am Lehrstuhl für Be-völkerungs- und Sozialgeographie war einevolle Assistentenstelle auf sechs Jahre zu be-setzen.Nach erfolgreicher Bewerbung war ich nun

Mitarbeiter im Team von Detlef Müller-Mahn.Er war von der sozialwissenschaftlichen Risi-koforschung begeistert und regte auch michdazu an. Und plötzlich war sie wieder da, dieGelegenheit, sich noch einmal neu zu erfindenund alles anders zu machen. So vertiefte ichmich einmal mehr in ein mir bis dahin weit-gehend unbekanntes Forschungsfeld. Doch alsich schon glaubte, nicht richtig weiterzukom-men, las ich einen kurzen und sehr inspirie-renden Text von Valerie November (November2008), in dem sie einen praxistheoretischenZugang zum teilweise sehr abstrakten ThemaRisiko legt. Meine Kollegen Detlef Müller-Mahn und Martin Doevenspeck waren, unab-hängig von mir, bereits zu dem gleichenSchluss gekommen. Konsequenterweise habenwir versucht, Risiko als Thema für die Geo-graphie praxistheoretisch (und eben nicht sys-temtheoretisch) zu fassen (s. Müller-Mahn/Everts 2013).Inzwischen zieht sich die Praktikentheorie

als eine Art Leitmotiv durch mein wissen-schaftliches Arbeiten. Es sieht auch ganz da-nach aus, als würde sie mir auch noch eineWeile erhalten bleiben. Mein nächstes For-schungsprojekt bezieht die Theorie direkt mitein. Und auch wenn es noch kein Quotenhit

Alles kennen, alles wissen, alles können? |

Page 9: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

9entgrenzt 7/2014

ist, der Artikel „Practice Matters“ (Everts et al.2011 ) zieht so langsam seine Kreise und esfolgen Anfragen, die sich direkt auf meinepraxistheoretische Expertise beziehen. Schonkommt auch die nächste Generation Dokto-randen, die sich fragt, ob Praktikentheorie fürsie hilfreich sein könnte. Unter anderem kön-nen auch meine Arbeiten jetzt Pate stehen füreine praxistheoretische Herangehensweise. Esist inzwischen keine Frage einer Entscheidungmehr, ob ich mich gerne mit Praktikentheoriebefasse oder nicht. Aus dem Gebrauch ist viel-mehr eine Verpflichtung entstanden, eine Ver-antwortung, die man für seine Themen undtheoretischen Zugänge übernehmen muss.Aus einem breiten Fachinteresse und der

Freude am radikal offenen Denken heraus istim Laufe von zehn Jahren eine deutliche Spe-zialisierung entstanden. Das Dilemma zwi-schen Spezialwissen und breitem Fachwissenwird zwar so nicht aufgelöst, aber die Art derSpezialisierung hilft zumindest, für Neues auf-geschlossen zu bleiben. Der Fokus auf diePraktikentheorie hilft dabei auch, Gesprächs-partner zu finden, mit anderen in den Dialogzu treten und gemeinsam produktiv zu sein.Aus studentischer Sicht lässt sich jetzt viel-

leicht auch besser verstehen, wie und vor wel-chem Hintergrund sich eine Spezialisierunglangsam entwickelt und herausbildet – nichtals Ergebnis einer bewussten Entscheidungsondern mehr als das Zusammenlaufen von ei-genen Interessen, verfügbaren Ideen und An-regungen durch andere. Die Geographie bietetein breites Dach für eine Vielzahl ebensolcherGeschichten. Sie müssen manchmal erzähltwerden, damit die Einrichtung der Universitätmit ihrer Fassade der vermeintlichen Allwis-senheit nicht verwechselt wird mit den spezi-ellen und zumeist höchst persönlichen Er-kenntniswegen ihrer Protagonisten.

LiteraturAnderson, B. (2006): Becoming and being hopeful:towards a theory of affect. Environment and Planning D.IN: Society and Space, 24/5. S. 733–752.Austin, J. L. (1975): How to do things with words. 2.Ausg. Harvard University Press. Cambridge, MA.Barthes, R. (1996): Mythen des Alltags. Suhrkamp.Frankfurt am Main.Blake, M./Melor, J./Crane, L. (2010): Buying local food:shopping practices, place, and consumption networks indefining food as "local". IN: Annals of the Association ofAmerican Geographers, 100, S. 409–426.Blotevogel, H. H. (2003): "Neue Kulturgeographie" –Entwicklung, Dimensionen, Potenziale und Risiken einerkulturalistischen Humangeographie. IN: Berichte zurdeutschen Landeskunde, 77, S. 7–34.Cosgrove, D./Jackson, P. (1987): New directions inCultural Geography. IN: Area, 19: S. 95–101 .Everts, J./Jackson, P. (2009): Modernisation and thepractices of contemporary food shopping. IN:Environment and Planning D. Society and Space, 27,S. 917–935.Everts, J./Lahr-Kurten, M./Watson, M. (2011 ): Practicematters! Geographical inquiry and theories of practice. IN:Erdkunde, 65, S. 323–334.Gebhardt, H./ Reuber, P./Wolkersdorfer, G. (2003):Kulturgeographie – Leitlinien und Perspektiven. IN: Dies.(ed.): Kulturgeographie. Aktuelle Ansätze undEntwicklungen. Heidelberg / Berlin, S. 1–27.Giddens, A. (1997): Die Konstitution der Gesellschaft.Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. Frankfurt /New York.Gregson, N./Crewe, L./Brooks, K. (2002): Shopping,space, and practice. IN: Environment and Planning D:Society and Space, 20, S. 597–617.Heinritz, G. (2005): Kulturgeographie – A ChangingDiscipline? IN: Geographische Rundschau, 57, S. 62–63.Jackson, P. (1989): Maps of Meaning: An Introduction toCultural Geography. London.Jackson, P./Perez del Aguila, R./Clarke, I./Hallsworth,A./de Kervenoael, R./Kirkup, M. (2006): Retailrestructuring and consumer choice 2. Understandingconsumer choice at the household level. IN: Environmentand Planning A, 38: S. 47–67.Lossau, J. (2003): Geographische Repräsentationen:Skizze einer anderen Geographie. IN: Gebhardt, H./Reuber, P./Wolkersdorfer, G. (Hrsg.): Kulturgeographie.Aktuelle Ansätze und Entwicklungen. Spektrum.Heidelberg, S. 101–111 .Meusburger, P. (1999): HandlungszentrierteSozialgeographie. Benno Werlens Entwurf in kritischerDiskussion. Franz Steiner Verlag. Stuttgart.Miller, D. (1998): A Theory of Shopping. Cambridge.Müller-Mahn, D./Everts, J. (2013): Riskscapes: the spatialdimensions of risk. IN: Müller-Mahn, D. (Hrsg.): Thespatial dimension of risk. How geography shapes theemergence of riskscapes. Routledge. London, S. 22–36.November, V. (2008): Spatiality of Risk. IN: Environmentand Planning A, 40, S. 1523–1527.Reckwitz, A. (2002): Toward a Theory of Social Practices.A development in culturalist theorizing. IN: EuropeanJournal of Social Theory, 5, S. 243–263.Reckwitz, A. (2003): Grundelemente einer Theoriesozialer Praktiken: Eine sozialtheoretische Perspektive. IN:Zeitschrift für Soziologie, 32, S. 282–301 .Schatzki, T. (1996): Social Practices. A WittgensteinianApproach to Human Activity and the Social. CambridgeUniversity Press. Cambridge.Schatzki, T. (2002): The site of the social: a philosophicalaccount of the constitution of social life and change. ThePennsylvania State University Press. University Park.Soja, E. (1996): Thirdspace. Journeys to Los Angeles andother real-and-imagined places. Cambridge MA.Warde, A. (2005): Consumption and Theories of Practice.IN: Journal of Consumer Culture, 5, S. 131–153.Werlen, B. (2004): Sozialgeographie. Eine Einführung.Bern.Wittgenstein, L. (1984): Phiolosphische Untersuchungen.IN: Werkausgabe Band 1 . Suhrkamp. Frankfurt am Main.

| Dr. Jonathan Everts

Page 10: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

10 entgrenzt 7/2014

Grenzen auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiens habensich in den letzten 1 14 Jahren häufig verändert.Die beiden Balkankriege, der Erste und der ZweiteWeltkrieg und schließlich die Desintegration Ju-goslawiens gingen jeweils mit großen Veränderun-gen der staatlichen Territorien und Grenzen ein-her. Diese Veränderungen sind auf historischenKarten nachvollziehbar. Der Artikel geht der Fra-ge nach, ob und inwiefern sich Grenzen in besag-ter Untersuchungsregion und –zeit auf Karten wi-dersprechen und wie allfällige Widersprüche er-klärt werden können. Die Analyse von 50 histori-schen Karten zeigt, dass der funktionelle Aspektder Karten entscheidend für die Rhetorik des Kar-tentextes ist, und dass die Sprache als textuelleKomponente eng in Verbindung mit der Repro-duktion nationaler Mythen und bestehenderMachtverhältnisse steht.

1 Einleitung

Das Gebiet des früheren Jugoslawiens war im20. Jahrhundert Schauplatz zahlreicher terri-torialer Neuordnungen. Nach der Periode derFremdbestimmung durch die imperialistischenGroßmächte Österreich-Ungarn und das Os-manische Reich schloss sich ein Teil der süd-slawischen Völker nach den Balkankriegenund dem Ersten Weltkrieg erst zum König-reich, nach dem Zweiten Weltkrieg zum sozia-listischen Staat Jugoslawien zusammen1. Dochdas Ende des Kalten Krieges bedeutete denAnfang vom Ende für die panslawistische Idee.Die Desintegration Jugoslawiens zog sich bisins 21 . Jahrhundert hinein und schien 2006mit der Auflösung der Union zwischen Serbienund Montenegro abgeschlossen zu sein. Seit2008 spaltet aber die Unabhängigkeitserklä-rung des Kosovo die internationale Staatenge-meinschaft, so dass auch in jüngster Vergan-

genheit das konstruierte Bild des Balkans alsKrisenherd oder Pulverfass reproduziert wurde.Die zahlreichen territorialen Neuordnun-

gen, die sich von 1900 bis heute vollzogen ha-ben, führten auch zur mehrfachen Neuord-nung der Grenzen. Diese Veränderungen derGrenzen und der territorialen Ordnung lassensich auf Karten gut nachvollziehen. Selten er-klären Karten, weshalb ein historisches Ereig-nis stattgefunden hat, dafür aber wie sich diegeopolitische Lage zu einer bestimmten Zeitpräsentiert. Da Karten von sich aus, das heißtohne interpretative Eigenleistung der Benut-zerin oder des Benutzers, selten kausale Zu-sammenhänge erklären, sondern vor allemdarstellen und beschreiben, stellen wir sie oftkaum in Frage. Wir verlassen uns darauf, dassKarten die Welt so wiedergeben, wie sie istoder war. Diese den Karten zugeschriebeneObjektivität wird von der Kritischen Kartogra-phie grundlegend in Frage gestellt. Sie gehtsomit davon aus, dass Karten eine sozialeWirklichkeit konstruieren.Im Hinblick auf die Analyse der Grenzen

auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiens von 1900 bisheute mittels historischer Karten ergibt sichfolgende Fragestellung: Inwieweit sind Grenzenauf dem Territorium des früheren Jugoslawiensim Zeitraum von 1900 bis heute auf Karten un-terschiedlich dargestellt worden? Sie dient alsOperationalisierung für die forschungsleitendeFrage: Inwiefern lassen sich Zusammenhängezwischen (einer) bestimmten Grenzziehung(en)und der gesamten Textualität der Karte(n) er-kennen?Ziel der Arbeit ist es anhand einer qualitati-

ven Analyse unterschiedliche Grenzziehungenkritisch zu diskutieren. Mithilfe der theoreti-schen Konzeptionen der Kritischen Kartogra-phie soll versucht werden, Zusammenhänge

Manuel Berger studierte Geographiemit den Nebenfächern Geschichte undPolitikwissenschaften.

Grenzen auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiensvon 1900 bis heute

Manuel Berger (Uni Bern)

Eine Analyse historischer Karten nach Kritischer Kartographie

1: Lediglich Serbien und Montenegro waren bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts souveräne, unabhängige Staaten.

Grenzen auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiens von 1900 bis heute |

Page 11: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

11entgrenzt 7/2014

zwischen Grenzziehungen und der Textualitätder Karten offen zu legen. Vorgeschaltet ist ei-ne Analyse kartographischer Quellen, anhandwelcher es herauszufinden gilt, wann und woes auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiens währenddes Zeitraums von 1900 bis heute unterschied-liche Auslegungen und Darstellungen (staatli-cher) Grenzen gegeben hat.Da es, wie beschrieben, während dieses

Zeitraums auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiensimmer wieder zu kriegerischen und politi-schen Auseinandersetzungen um Territorienund Grenzen gekommen ist, wird davon aus-gegangen, dass sich insbesondere Grenzkon-flikte in widersprüchlichen Grenzziehungenwiderspiegeln (Monmonier 1996: 90). So wirddie Hypothese aufgestellt: Karten und darineingezeichnete Grenzen sind ein Abbild zeitgenös-sischer politischer Machtverhältnisse und spiegeln(nationale) territoriale Besitzansprüche wider.Besonders in umstrittenen Grenzgebieten sind des-halb Diskrepanzen bezüglich der Verortung undDarstellung ein und derselben Grenze feststellbar.

2 Kritische Kartographie

Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhundertsschrieb man der Kartographie aus wissen-schaftlicher Sicht rein positivistische Attributezu. Kartographinnen und Kartographen glaub-ten dem Anspruch genügen zu müssen, einmöglichst genaues und objektives Abbild derErdoberfläche zu produzieren. Wissenschaftli-chen Fortschritt sahen sie in den immer raffi-nierteren technischen Hilfsmitteln, mit wel-chen noch präzisere Karten hergestellt werdenkonnten (Glasze 2009; Dodge et al. 2009).Spätestens seit den 1970er Jahren versuchtenKartographinnen und Kartographen wie auchGeographinnen und Geographen jedoch, einekritische Diskussion zu initiieren, in welchernicht davon ausgegangen wird, dass Kartenobjektiv sind und die Welt so darstellen, wiesie wirklich ist. AnhängerInnen jener Kriti-schen Kartographie vertreten die Maxime,dass Karten durch Menschen geschaffene undsomit konstruierte, kulturelle Texte sind. Weg-weisend für die Kritische Kartographie warder im Jahre 1989 publizierte Aufsatz „Decon-structing the Map“ von John Brian Harley. Dierevolutionäre Komponente seines Textes lag ineiner neuen Denkweise, die sich kritisch mitder Kartographie als wissenschaftliche Diszi-plin sowie deren Historie befasste, und dabeigeschickt in eklektischer Weise Foucaults Kon-

zeption des pouvoir-savoir (Macht-Wissen) undDerridas Dekonstruktivismus auf das Mediumder Karte übertrug. Er stellte grundsätzlich dasdamalige, immer noch weitestgehend positi-vistisch geprägte Selbstverständnis der Karto-graphie in Frage und ermutigte gleichzeitigdie Wissenschaft, mit einer neuen epistemolo-gischen Grundhaltung an die Kartographie inihrer Gesamtheit heranzutreten. Man könntesagen, für Harley als Kartographen war diesbloß ein logischer und längst überfälligerSchritt, um den Anschluss an die anderen Wis-senschaften nicht zu verlieren, denn für ihnbewegte sich die Kartographie noch immer ineinem „‘premodern‘ or a ‚modern‘ rather thanin a ‚postmodern‘ climate of thought“ (Harley1989: 1 ), während z.B. in der Geographie be-reits seit 1984 ein wissenschaftlicher Diskursüber die Postmoderne geführt wurde (Dear1994: 1 ).Mittels Foucaults Diskurstheorie stellte

Harley (1989: 3) fest, dass es für die Kartogra-phie zentral ist, sich folgende Schlüsselfragezu stellen: „What type of rules have governedthe development of cartography?“. Dabei un-terscheidet er zwei Sets von Regeln: das ersteSet betrifft die technische Produktion vonKarten, das zweite Set beschreibt die kulturel-le Produktion. Der Prozess der Kartenproduk-tion („cartographers manufacture power“) unddie Macht, die im Kartentext eingebettet ist,umschreibt Harley mit „interner Macht“ (in-ternal power), politische Macht, die nicht sel-ten über den/die AuftraggeberInnen der Karteausgeübt wird, mit „externer Macht“ (externalpower) (ebd. : 12f). Externe Macht beschreibtim Übrigen auch die Macht, die wiederum vonder Karte selbst ausgeübt wird (ebd.). BeideSets sind in Bezug auf ihre historischen Kon-texte (verschiedene Epochen sowie verschie-dene Gesellschaften) variabel und sollen des-halb bei der Kartenanalyse einbezogen wer-den. Bezugnehmend auf den Begriff des pou-voir-savoir, demonstrierte Harley, dass dasWissen, das durch eine Karte vermittelt wird,immer auch durch vorherrschende Hierarchi-en geprägt ist – sei dies gewollt oder unge-wollt (ebd. : 6f). Da solche Hierarchien undMachtverhältnisse oft erst „zwischen den Zei-len“ hervortreten, bediente sich Harley fernerbei Derridas Dekonstruktivismus. Dadurchsollen „silences and contradictions“ in Kartensichtbar gemacht und noch nachdrücklicherverdeutlicht werden, dass es keine allgemeingültigen kartographischen Fakten gibt, son-

| Manuel Berger

Page 12: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

12 entgrenzt 7/2014

dern lediglich „cartographic facts within aspecific cultural perspective“ (ebd. : 3) Nachdem Verständnis von Harley gibt es keine „ob-jektiven“ Karten, die alleine den Gesetzen derGeometrie und der Vernunft gehorchen; Kar-ten sind immer auch ein Produkt von Normenund Werten bestimmter gesellschaftlicher Tra-ditionen (ebd. : 2). Hinsichtlich territorialerDispute schrieb Mark Monmonier (1996: 90)in seinem bekannten Werk „How to Lie withMaps“: “Nowhere is the map more a nationalsymbol and an intellectual weapon than indisputes over territory. When nation A andnation B both claim territory C, they usuallyare at war cartographically as well.”

3 Methode

3.1 Erhebung und Aufbereitung der Daten

Am meisten Kartenmaterial konnte in den dreiNationalbibliotheken Österreichs, Kroatiensund Serbiens erwartet werden, da sie über diegrößten Kartensammlungen der untersuchtenRegion verfügen. In der ÖNB2, der NSK3 undder NBSB4 wurden zusammen rund 50 histori-sche Karten gesammelt und gescannt. DieWeiterverarbeitung des gesammelten Karten-materials stützte sich vor allem auf die pro-prietäre GIS-Software ArcGIS von ESRI. Mit-hilfe der extension ArcScan wurden aus denzweifarbigen Rasterdateien Vektorlayer, odersogenannte Polyline-Layer produziert. JederLayer musste ein und demselben geodätischenReferenzsystem zugeordnet werden. Die Wahlfiel auf das World Geodetic System 1984, oderkurz WGS 84, da es heutzutage eines der meistverbreitetsten Systeme ist und weltweit akzep-table Abweichungen liefert. Die Layer wurdenin das Koordinatensystem des WGS 84 einge-passt, wobei mindestens drei Punkte des zu re-ferenzierenden Layers je einem x- und einemy-Wert, sprich je einem Wert für die geogra-phische Länge und die geographische Breitezugeordnet wurden. Bei Karten mit einge-zeichnetem Gitternetz dienten vorher markier-te Gitterkreuze als Referenzpunkte. Bei Kartenohne Gitternetz dienten eingezeichnete Städteund markante Formen von Flussläufen oderKüstenlinien als Referenzpunkte, wobei dieseMethode etwas ungenauer sein dürfte.

Doch selbst Polyline-Layer, die mithilfe vonGitterkreuzen referenziert wurden, passtennach der Georeferenzierung noch nicht in be-friedigendem Masse in das Koordinatensys-tem. Wie konnte die Passungenauigkeit aberüberhaupt festgestellt werden? Kostenloseshapefiles von DIVA-GIS, welche heutige Gren-zen, Küstenlinien und Gewässernetze darstel-len, erfüllten den Bedarf eines weiteren Be-zugssystems bzw. Kontroll-Layers. Jedoch sindGrenzen und deren Veränderungen und Wi-dersprüchlichkeiten Gegenstand dieser Arbeit,und selbst Flussläufe, Seeufer und Küstenlini-en können sich innerhalb eines Jahrhundertsverändern. Damit bei der Verortung von his-torischen Grenzen anhand heutiger Land-schaftsformen nicht der Anspruch an Wissen-schaftlichkeit verloren ging, war es entschei-dend, beständige Landschaftsformen zu fin-den. Der Donauabschnitt zwischen derMündung der Nera und der Mündung des Ti-mok z.B. bildete während des gesamten Zeit-raumes von 1900 bis 2012 eine Grenze – ent-weder zwischen Serbien und Rumänien oderzwischen Jugoslawien und Rumänien. DieserAbschnitt der Donau besitzt eine spezifische,unverwechselbare Form, die bereits auf einerKarte von 1908 wiederzuerkennen ist. DiesesBeispiel soll zeigen, dass es bei aller Verände-rung durchaus auch Grenzlinien gibt (auchsolche, die nicht entlang von Gewässern ver-laufen), die über Jahrzehnte hinweg konstantblieben oder sich nur minimal veränderten,und anhand deren Formen eine Verortung derhistorischen Grenzen auch mit Bezug auf heu-tige Grenzen, Gewässer und Küstenlinienmöglich ist. Die weitere notwendige Anpas-sung der Layer mit dem tool Spatial Adjust-ment wurde also vorgenommen, indem mög-lichst viele markante Punkte der historischenGrenzen und der heutigen Grenzen bzw. Ge-wässer-/Küstenformen miteinander verknüpftwurden.So wurden die Grenzen schliesslich mitein-

ander vergleichbar gemacht werden. Nachdiesem Schritt wurden alle Polyline-Layer be-stimmten spezifischen Zeitfenstern zugeteilt.Die Zeitfenster wurden so gewählt, dass aushistorischer Perspektive innerhalb eines Ab-schnitts keine Grenzveränderungen zu erwar-ten waren. Aus allen Layern innerhalb einesZeitfensters wurden anschließend die Polygo-

Grenzen auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiens von 1900 bis heute |

2: Österreichische Nationalbibliothek3: Nacionalna i sveučilišna knjižnica u Zagrebu (National- und Universitätsbibliothek Zagreb)4: Narodna biblioteka Srbije Beograd (Serbische Nationalbibliothek)

Page 13: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

13entgrenzt 7/2014

ne für Staaten und unstimmige bzw. umstritte-ne Gebiete ausgeschieden. Abbildung 1 zeigtlinks die für das Zeitfenster vom 10.08.1913bis 11 .08.1914 vorhandenen Daten mit siebenGrenzversionen auf dem Gebiet Serbiens undrechts die daraus resultierenden Polygone,wobei jene mit der schwarz-weißen Schraffurunstimmige bzw. umstrittene Grenzgebiete re-präsentieren.Wie Abbildung 1 zeigt, sind die verschiede-

nen Grenzversionen in keinem Abschnitt völligkongruent und durch die zahlreichen Arbeits-schritte wie das Nachzeichnen von Hand oderdas Georeferenzieren kamen unweigerlich ge-wisse Fehlermargen hinzu, die sich imschlimmsten Fall auch noch kumulierten. Diebeiden einzigen Kriterien, die für den Ent-scheid für oder gegen eine Grenzlinie bzw. füroder gegen ein Grenzgebiet in Frage kamen –das Maß an Kongruenz und das Maß an Paral-lelität zwischen den Grenzverläufen – warenalles andere als eindeutig bestimmbar. Erstenskonnte aufgrund des begrenzten Umfangs dervorliegenden Arbeit die Bewertung der beidenMaße nur visuell vollzogen werden. Zweitenswaren die Übergänge der Attribute „kongru-ent“ bis „nicht kongruent“ oder „parallel“ bis„nicht parallel“ fließend. Neben der Bewer-tung des Maßes an Kongruenz und des Maßesan Parallelität wurden die verschiedenenGrenzversionen immer auch mit den Karten-Faksimiles verglichen. Es kam z.B. vor, dasszwei inkongruente Grenzversionen auf den je-weiligen Karten-Faksimiles beide demselbenFluss oder derselben Gebirgskette folgten. Die-ses Beispiel verdeutlicht wie groß die Unsi-cherheit und der subjektive Ermessensspiel-raum vor allem in dieser Phase des Aufberei-tungsprozesses war und wie problematisch esist, insbesondere alte Karten, die ohne techni-sche Hilfsmittel wie Satellitendaten oder digi-tale Geoinformationsprogramme und mit ver-schiedenen Projektionen produziert wurden,

miteinander zu vergleichen. Im Weiteren kannauch nie ausgeschlossen werden, dass einfacheFehler wie z.B. beim Vermessen, Berechnenoder Aufzeichnen der kartographischen Datenwährend der Kartenproduktion zu unter-schiedlichen Grenzziehungen führen.

3.2 Auswertung der Daten

Die Systematik der Datenauswertung ergabsich entsprechend dem Postulat, sich am Kar-tentext zu orientieren, erst während der Aus-wertung selbst. Meist wurde so vorgegangen,dass die in ArcMap erstellten Polygone denAusgangspunkt darstellten. Die Karten-Faksi-miles wurden daraufhin mit speziellem Au-genmerk auf die als unstimmig oder umstrit-ten ausgeschiedenen Grenzgebiete visuellüberprüft. Auffälligkeiten wurden isoliert, ab-strahiert und auf andere Gebiete innerhalbderselben Karte oder auf andere Karten über-tragen und unter den theoretischen Konzep-tionen der Kritischen Kartographie analysiertund beurteilt.

4 Resultate

In der Folge werden die Resultate anhand vonzwei zeitlichen Schwerpunkten diskutiert: ers-tens die Situation zwischen dem Zweiten Bal-kankrieg und dem Ersten Weltkrieg und zwei-tens die Desintegration Jugoslawiens nach1991 mit besonderem Augenmerk auf dieMeeresgrenzen.

4.1 Von den Balkankriegen zum Ersten Weltkrieg

Insgesamt neun Karten lassen sich diesemZeitfenster zugeordnen. Es handelt sich dabeium drei deutsche, drei österreich-ungarischeund drei serbische Karten. Im Einklang mit derKritischen Kartographie muss davon ausge-gangen werden, dass die voneinander abwei-chenden Grenzversionen der verschiedenenKarten auch bedingt sind durch unterschiedli-che Machtverhältnisse und kulturelle Normenund Werte. Ein Ansatz den Kartentext in sei-nem kulturellen Kontext zu lesen, ist das Erör-tern von Narrativen, die den Karten zugrundeliegen. Die Datengrundlage zeigt, dass sichbesonders serbische von österreich-ungari-schen bzw. deutschen Karten unterscheiden.Einerseits gab es zwischen Serbien und Öster-reich-Ungarn, dessen Verbündeter das Deut-sche Reich war, erhebliche politische Span-

| Manuel Berger

Abb. 1: Vergleich zwischen Polylines und den daraus resultierendenPolygonen. Quelle: Eigene Karte

Page 14: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

14 entgrenzt 7/2014

nungen, die schließlich in den Ersten Welt-krieg führten. Andererseits können die Groß-mächte Deutsches Reich und Österreich-Un-garn zu jener Zeit als Schutzmacht und Inter-essenvertreter des albanischen Staates angese-hen werden. Nicht zuletzt machte sichÖsterreich-Ungarn für die Gründung Albaniensstark, um zu verhindern, dass Serbien einenZugang zur Adria erhält.Hinsichtlich der graphischen Darstellung ist

auffällig, dass die neuen Grenzen gegenüberden alten kaum hervorgehoben oder unter-schieden werden. Dabei war die Aushandlungder neuen Grenzen nach dem Zweiten Balkan-krieg alles andere als eine einfache und kurzeAngelegenheit. Im Falle der gesamten albani-schen, der serbisch-montenegrinischen, sowieder neuen österreich-ungarisch-montenegrini-schen Grenze im Sandžak konnte gar bis zumBeginn des Ersten Weltkriegs offiziell keinedefinitive Klärung über den genauen Verlaufbewerkstelligt werden (Boeckh 1996: 93–116).Lediglich eine Karte berücksichtigt diese vor-herrschende Unklarheit zum Teil, indem siedie albanische Grenze mit einer gepunktetenLinierung darstellt. Alle anderen acht Kartenvermitteln keinen Unterschied zwischen altenund neuen, ausgehandelten und noch nichtausgehandelten Grenzen und suggerieren so-mit, dass es sich bei ihren Versionen der neu-en Grenzen um bereits ausgehandelte Grenzenhandelt. Die Unklarheit bezüglich der neuenGrenzen und die zu erwartende logische Kon-sequenz davon – eine verstärkte Diskrepanzder verschiedenen Grenzversionen in diesem

Bereich – spiegelt sich tatsächlich im direktenVergleich der Karten wider (Abb. 2). Aller-dings treten auch zwischen Österreich-Ungarnund Montenegro, deren Grenze während derBalkankriege nicht verändert wurde, Wider-sprüche auf.Die Gründung des neuen albanischen Staa-

tes stand insofern unter problematischen Vor-aussetzungen, als dass seine Grenzen keines-falls sämtliche mehrheitlich von albanischerBevölkerung bewohnten Gebiete umfassten(Vickers 1995: 75). So blieben das Kosovo undder westliche Teil Mazedoniens außen vor(Ker-Lindsay 2009: 9). Diese Gebiete wurdenim Bukarester Frieden Serbien zugesprochen.Trotzdem war Serbien mit der albanisch-serbi-schen Grenze unzufrieden. Im September 1913entluden sich die Spannungen zwischen denbeiden Ländern in Aufständen der albanischenBevölkerung gegen die serbischen Truppen,die immer noch in begrenzter Anzahl in eini-gen albanischen Orten stationiert waren. Bel-grad wiederum antwortete darauf mit einermilitärischen Intervention (Boeckh 1996:106–112).Besonders in Gebieten mit mehreren ver-

schiedenen Ethnien ist die Sprache ein Mittel,um Macht auszuüben. Ortschaften in zwei-sprachigen Gebieten tragen oft zwei verschie-dene Namen. Wird der Name einer gewissenSprache gegenüber dem anderen Namen be-vorzugt, ist dies ein Ausdruck eines vorherr-schenden Machtgefälles zwischen den beidenSprachgruppen. Auch auf einer Karte kann einbestimmter Ortsname bevorzugt werden. Da-bei offenbart sich im Falle der Stadt Di-bra/Debar eine deutliche Korrelation zwischendem Verlagsort der Karte und der Wahl desbevorzugten Ortsnamens. Während die dreiserbischen Karten die Stadt mit Дебар (Debar),also dem serbischen bzw. mazedonischen Na-men beschriften, verwenden vier der sechsdeutschen bzw. österreich-ungarischen Kartenden albanischen Namen Dibra. Die Annahme,Sprache werde als Instrument eines nationalenMachtanspruchs benutzt, bestätigt sich an-hand dieses Beispiels.Auch bei der Betrachtung anderer Ortsna-

men scheint sich die Tendenz zu bestätigen.Die Stadt Bitola im heutigen Mazedonien hießzu Zeiten der osmanischen Herrschaft Ma-nastır. Sowohl das türkische Manastır wie auchdas albanische Manastiri gehen auf das grie-chische (Monastíri) zurück. Wäh-rend die deutschen und österreich-ungarischen

Grenzen auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiens von 1900 bis heute |

Abb. 2: Die umstrittenen Grenzgebiete nach dem Zweiten Balkan-krieg. Quelle: Eigene Karte

Page 15: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

15entgrenzt 7/2014

Karten zwar mit unterschiedlicher Priorisie-rung dennoch stets beide Ortsnamen angeben,findet sich auf den drei serbischen Karten nurder serbische Name Битољ (Bitolj), der sich anden ursprünglich bulgarisch-mazedonischenNamen anlehnt. Dieses Weglassen des „ande-ren“, ob bewusst oder unbewusst, ist letztend-lich ein Ausdruck der internen Macht der Kar-te. Mit diesem konsequenten Weglassen deralbanischen bzw. griechischen Ortsbezeich-nung – also des „anderen“ – wird der serbi-sche Machtanspruch über das eigene Territori-um durch das Medium der Karte ausgeübt.Aufgrund dieser Erkenntnis stellt sich die

Frage, ob die Tendenz, dass Sprache alsMachtinstrument in Karten eingesetzt wird,nur zu jener Zeit des ausgeprägten Nationalis-mus beobachtet werden kann? Anhand derDatengrundlage muss gesagt werden, dass diejugoslawischen und serbischen Karten wäh-rend des gesamten untersuchten Zeitraumesdie Sprache der Majorität sprechen und die al-banische Minderheit marginalisieren – wohl-gemerkt selbst in Gebieten, wo AlbanerInnendie große Mehrheit der Bevölkerung ausma-chen. So werden auf sieben Karten von 1920bis 2009, die den Kosovo darstellen, für diebeiden Großstädte in Metochien stets die ser-bischen Namen Пећ/Peć und Ђаковица/Đako-vica angegeben und niemals die albanischenNamen Peja und Gjakova. Und auch bei diesenKarten wird das serbische Дебар/Debar immerdem albanischen Dibra vorgezogen. Eine Kartevon 1920 stellt die einzige Ausnahme dar: hierheißen die drei Ortschaften Peć, Djakova undDibra. Djakova kann als Mischform des serbi-schen und albanischen Namens gesehen wer-den, während Dibra eine der wenigen Ausnah-men ist, in denen ein albanischer Ortsname inunveränderter Form den Weg auf eine serbi-sche oder jugoslawische Karte findet. Insge-samt produzieren die Karten ein Machtgefällezwischen den verschiedenen Ethnien und eswird der Mythos einer unteilbaren Nation undihrem scheinbar angestammten Territoriumreproduziert.

4.2 Die Desintegration Jugoslawiens

Am 25. Juni 1991 erklärten Slowenien undKroatien ihre Unabhängigkeit und somit denAustritt aus der Sozialistischen FöderativenRepublik Jugoslawien (Crawford 1996: 490;Klemenčić/Schofield 1995: 65; Ramet 2011 :526). Infolgedessen brach nicht nur eine Reihe

von Kriegen – die heute zusammenfassend als„Jugoslawienkriege“ bezeichnet werden –über den in Sezession begriffenen föderalisti-schen Staat herein; das AuseinanderbrechenJugoslawiens verwandelte die Grenzen zwi-schen den einzelnen Republiken in Staatsgren-zen, was ungelöste Grenzfragen, die vorhernicht von Bedeutung waren, nun umso dring-licher in den Vordergrund des politischen Ge-schehens rückte. Während die Außengrenzendes jugoslawischen Territoriums unverändertblieben, bezogen bzw. beziehen sich die Kon-flikte ausschließlich auf die neu entstandenenStaatsgrenzen. Sie sind größtenteils bis heuteungelöst und belasten die zwischenstaatlichenBeziehungen der betroffenen Länder zeitweisenoch immer immens.In der vergleichenden Analyse der verschie-

denen Grenzversionen für diesen Zeitraumspiegeln sich nur sehr wenige der zahlreichenGrenzkonflikte wider. Grund dafür ist, dassdie umstrittenen Grenzgebiete oft nur wenigebis sogar unter einem Quadratkilometer großsind. Da die Datengrundlage vornehmlich ausLandeskarten mit großen Massstäben besteht,sind die umstrittenen Gebiete kleiner als dieFehlermargen der Polylines und somit nichterkennbar.Über die Meeresgrenze in der Bucht von Pi-

ran streiten sich Slowenien und Kroatien be-reits seit 1994 und haben bisher keine Eini-gung erzielen können. Die Analyse diesesKonflikts stützt sich aus dem oben erwähntenGrund allein auf die gescannten Karten-Faksi-miles und zwar auf eine italienische, eine ös-terreichische, vier kroatische und eine slowe-nisch-kroatische Karte. Im Vergleich aller Kar-ten untereinander fällt auf, dass auf zwei dervier kroatischen und auch der slowenisch-kroatischen Karte eine slowenisch-kroatischeMeeresgrenze eingezeichnet ist – eine Meeres-grenze, die bis heute noch gar nicht existiert –und dabei stets die kroatische Variante darge-stellt wird. Jedes Darstellen einer Grenze, überdie noch kein Konsens gefunden worden ist,muss als vorweggenommene und parteiischeBevorzugung einer bestimmten Interpretationder Grenze gewertet werden. Die Autorin ei-ner kroatischen Karte behilft sich bei der Dar-stellung der slowenisch-kroatischen Meeres-grenze immerhin einer punktierten Linie undlässt somit die Möglichkeit einer anderenGrenzziehung offen. Dennoch repräsentiertauch diese Darstellung im Prinzip dieselbeRhetorik, da sie eben nur diese eine Grenzzie-

| Manuel Berger

Page 16: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

16 entgrenzt 7/2014

hung darstellt.Im Sinne der Kritischen Kartographie wird

die Meeresgrenze auf diesen Karten selbst zueiner Metapher des nationalen, kroatischenBesitzanspruchs eines definierten Territoriumsin der Adria. Besonders fällt dabei auf, dassdie gesamte Meeresgrenze (auch außerhalbder Bucht von Piran) jeweils als durchgezoge-ne Linie dargestellt wird, und nicht wie sonstüblich abseits von Inseln oder zwischen denEckpunkten unterbrochen ist. Diese Betonungder Hoheitsgewässer als Teil des nationalenTerritoriums stellt eine spezifische Rhetorikdes Eigenen und des Nationalen dar und sollden Stellenwert und die Wichtigkeit der adria-tischen Gewässer für Kroatien unterstreichen.Die drei Karten, die keine Meeresgrenzen

darstellen, sind Autokarten und sprechen eineganz andere Rhetorik. Auf ihnen werden Stra-ßen generell überdimensional dargestellt. Nurbei diesen Karten wird graphisch der Unter-schied zwischen einer Autobahn und einerLandstrasse deutlich. Die Zahlen, die nebenden Straßen eingezeichnet sind, geben Anga-ben zur Nummer der Straße oder zu Distan-zen. Wie jede textuelle Komponente sind diesCodes, die erst entschlüsselt werden müssen,um sie verstehen zu können. Der Text der Kar-te, die Symbole und Zeichen sind also auf einereisende Kundschaft angepasst. Auf diesenKarten sind keine Meeresgrenzen eingezeich-net, dafür aber verschiedene dünne, gestri-chelte Linien, welche die Schiffsverbindungenzwischen Triest und Zadar, Split und Dubrov-nik, usw. darstellen. Landesgrenzen sind hierweniger wichtig als die metaphorischen Gren-zen zwischen dem Urbanen und dem Ruralen,zwischen Regionen oder Ortschaften, die un-terschiedlich gut durch das Verkehrsnetz er-schlossen sind. Insofern hat die kroatische Au-tokarte viel mehr gemeinsam mit der italieni-schen oder österreichischen Autokarte als mitden kroatischen Landeskarten. Die Herkunfteiner Karte entscheidet also nicht per se überihre Rhetorik. Der funktionelle Zweck der Kar-te ist genauso wichtig oder sogar wichtiger.

5 Fazit

Sprache, die als Instrument der internenMacht von Karten den Mythos der Nationtransportiert und diesen über die externeMacht von Karten widerspiegelt und reprodu-ziert, tritt als besonderes Phänomen der karto-graphischen Textualität auf. Sprache als hier-

archisierendes gesellschaftliches Element re-produziert somit auch bestehende Machtver-hältnisse in einer Bevölkerung und zwischenverschiedenen ethnischen Gruppen, was, wieim untersuchten Fall, zur Marginalisierungvon Minderheiten führen kann. In Bezug aufden funktionellen Aspekt und den Nutzungs-zweck der Karten tragen insbesondere Landes-oder Länderkarten dazu bei, ein bestimmtesBild eines nationalen Selbstverständnisses, daseng mit der Vorstellung eines nationalen Ter-ritoriums verknüpft ist, zu konstruieren.Hinsichtlich der Fragestellung kann festge-

halten werden, dass Grenzen auf Karten ausverschiedenen Gründen unterschiedlich dar-gestellt werden und sich widersprechen. Ei-nerseits spiegeln sich Grenzkonflikte oder po-litisch instabile Situationen in uneinheitlichenGrenzverläufen wider, andererseits widerspre-chen sich Grenzen auch in politisch stabilenZeiten. Dabei ist nicht immer klar zu bestim-men, ob Unstimmigkeiten auf kartographi-scher Ungenauigkeit beruhen und folglich un-bewusst zustande gekommen sind oder ob sichauch hierbei die interne Macht der Kartenzeigt. Unterschiedliche Kartentypen mit unter-schiedlichen Nutzungszwecken stellen Gren-zen abweichend dar und schreiben ihnen an-dere Bedeutungen zu. Dies kann ebenfalls zuWidersprüchen führen, besonders hinsichtlichder graphischen Darstellung von Grenzen.Die Methode, die auf der Digitalisierung der

Grenzen basiert, zeigt Vor- und Nachteile. DieVergleichbarkeit verschiedener Grenzversio-nen wird beeinträchtigt durch Verzerrungen,die sicher zum Teil durch das Georeferenzie-ren und zum Teil dadurch zustande kommen,dass Karten in verschiedenen Projektionendargestellt werden. Ist man sich dieser Proble-matik bewusst und begeht nicht den Fehler,die neu konstruierten Grenzen als etwas ande-res zu sehen, ist die Methode ein geeignetesWerkzeug, um widersprüchliche Grenzziehun-gen bei einer Vielzahl von Karten überhauptzu erkennen. Aufgrund der Datengrundlagewar ein Vergleich bei sehr kleinen, umstritte-nen Grenzgebieten nicht möglich. Für solcheGrenzgebiete müsste die Analyse mit Karten inausreichend kleinen Massstäben wiederholtwerden.

Grenzen auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiens von 1900 bis heute |

Page 17: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

17entgrenzt 7/2014

LiteraturBoeckh, Katrin (1996): Von den Balkankriegen zum ErstenWeltkrieg. Kleinstaatenpolitik und ethnischeSelbstbestimmung auf dem Balkan. München:Oldenbourg.Crawford, Beverly (1996): Explaining Defection fromInternational Cooperation: Germany's UnilateralRecognition of Croatia. IN: World Politics, 48 (4), S.482–521 .Dear, Michael (1994): Postmodern Human Geography: APreliminary Assessment. IN: Erdkunde, 48 (1 ), S. 2–13.Dodge, Martin/Kitchin, Rob/Perkins, Chris (Hrsg.) (2009):Rethinking Maps. New Frontiers In Cartographic Theory.New York: Routledge.

Glasze, Georg (2009): Kritische Kartographie. IN:Geographische Zeitschrift, 97 (4), S. 181–191 .Harley, Brian (1989): Deconstructing the Map. IN:Cartographica, 26 (2), S. 1–20.Ker-Lindsay, James (2009): Kosovo: The Path to ContestedStatehood in the Balkans. London/New York: I.B.Tauris/Palgrave Macmillan.Klemenčić, Mladen/Schofield, Clive (1995): Croatia andSlovenia. The "Four Hamlets" Case. IN: IBRU Boundaryand Security Bulletin 2 (4), S. 65–77.Monmonier, Mark (1996): How to Lie with Maps.Chicago: University of Chicago Press.Vickers, Miranda (1995): The Albanians: A ModernHistory. London/New York: I.B. Tauris.

| Manuel Berger

Cosima Werner (Erlangen)April 20136°11 '21 .1 "S 106°49'15.7"EKebon Kacang,Central Jakarta, Indonesien

Jakarta ist bekannt für seinen „Macet“ (indo.Verkehr), der sich in der Rushhour nicht nurzu einem zähflüssigen Strom verwandelt, son-dern zeitgleich die Luft grau verfärbt, Atemnotverursacht und die Hupe zum liebsten Spiel-

zeug der im Stau festsitzenden motorisiertenVerkehrsteilnehmerInnen macht. Jakarta istvor allem eine Ansammlung von „Kampung“(indo. Dorf). In so einem Stadtdorf wie „KebonKacang“ in Central Jakarta spielt sich in denGassen aber das eigentliche Leben ab. NebenWohnhäusern der Mittelschicht bestehen auchinformelle Behausungen. Die Kreuzungen derschmalen Gassen dienen als Treffpunkt zumspielen, fernsehen und zum austesten des Mi-ni-Motorbikes.

Page 18: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

18 entgrenzt 7/2014

Der Stadt Ciudad Juárez, welche in Mexiko ander Grenze zu den Vereinten Staaten von Ameri-ka liegt, kommt aufgrund ihrer besonderen sozial-politischen Stellung mediale Aufmerksamkeit zu.Hunderte Frauenmorde wurden seit den 1990erJahren verzeichnet, deren Ursachen und Motiveungeklärt sind. Arbeitsmigration und deren Aus-wirkungen auf Stadt und Mensch können Puzzle-teile sein, die bei der Untersuchung der Problema-tik der Femizide berücksichtigt werden müssen,wenn es vor allem auf politischer Ebene forciertwerden soll, das Puzzle zusammenzusetzen.

1 Einleitung

Als eine der politisch am häufigsten themati-sierten Grenzen der Welt zählt, laut CIA, dieungefähr 3141 Kilometer lange U.S.-Mexikani-sche Grenze, ebenfalls auch zu den am stärks-ten überwachten Grenzen. Jährlich wird sienicht nur von 250 Millionen Menschen legalpassiert, sondern auch von rund 450000 Men-schen illegal (IOM 2012). Von den derzeitrund 12 Millionen nicht autorisiert in den USAlebenden Personen sind 60 % Mexikaner (Pas-sel et al. 2010). Allein diese Zahlen sprecheneine deutliche Sprache: Die U.S.-MexikanischeGrenze zählt damit zwar zu den am stärkstenüberwachten Grenzübergängen, ist aber den-noch in besonderer Weise durchlässig.Im Fokus der Arbeit steht das Phänomen

der Frauenmorde in der mexikanischen Grenz-stadt Ciudad Juárez. Seit 1993 wurden in die-ser mehr als 400 Leichen von Frauen gefun-den, die sich ähnelnden Gewalttaten zum Op-fer gefallen waren. Die Akkumulation derMorde in speziell dieser Grenzstadt wirft nichtnur die Frage nach den Tätern auf, welche bis-her durch Unternehmungen von Seiten desStaates Mexiko nicht zur Aufklärung führte,sondern auch nach den Motiven und Ursa-chen. Die folgende Arbeit wird keine generelle

und eindeutige Antwort geben können, soll je-doch den Einstieg in dieses komplexe Themaerleichtern, informieren und gegebenenfalls zuweiteren Forschungen Anlass geben. CiudadJuárez ist eine durch Zuwanderung geprägteGrenzstadt, die vor allem Arbeitssuchende an-zieht. Mittels der Betrachtung verschiedenerAspekte der Arbeitsmigration, die durch dieGrenzpolitik beeinflusst ist, sollen die Frauen-morde in Ciudad Juárez als mögliche Folgedieser dargestellt werden.Die Argumentation wird sich dementspre-

chend im Rahmen dieser Arbeit wie folgt zu-sammensetzen: Zuerst wird ein kurzer Einblickin die Problematik der Frauenmorde vorge-stellt. Danach werden im Hauptteil wesentli-che Aspekte der spezifisch mexikanischen Ar-beitsmigration dargestellt, hierzu werden dieBesonderheiten der geschichtlichen Entwick-lung der Grenzpolitik betrachtet. Letztendlichwerden wesentliche Aspekte der Arbeitsmi-gration, die zur Betrachtung der Kernfragenach den Ursachen der Frauenmorde dienen,diskutiert.

2 Die Frauenmorde von Ciudad Juárez

Seit 1993 wurden in Ciudad Juárez ca. 400Frauenleichen gefunden, die den sogenanntenFemiziden1 zugeordnet werden (Rodríguez2012: 71 ). Weitere 100 Frauen gelten bishernoch als vermisst und es bestehen Mutmaßun-gen, ein Großteil der vermissten Frauen seiebenfalls den Morden zum Opfer gefallen(Portillo 2001). Die Frauen wurden meist ver-gewaltigt, tagelang gefoltert und anschließenddurch Strangulation ermordet. In vielen Fällenwaren die Kleidung oder die Ausweise der Op-fer vertauscht – ein deutliches Indiz dafür,dass man von miteinander in Verbindung ste-henden Femiziden sprechen kann (ebd. : 72).Das Opferschema ist ebenfalls ähnlich: Die

Die Frauenmorde von Ciudad Juárez

Josephine Kellert (Uni Leipzig)

Ein grenzspezifisches Phänomen als eine Folge

der Arbeitsmigration an der U.S.-Mexikanischen Grenze?

1: engl: femicide, span. : femicidos, deutsch: Frauenmord(e)

Die Frauenmorde von Ciudad Juárez |

Page 19: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

19entgrenzt 7/2014

Frauen sind zwischen 12 und 25 Jahre alt, ha-ben langes Haar, stammen aus ärmlichen Ver-hältnissen und haben einen schlanken Körper-bau (Portillo 2001). Ebenso arbeitete einGroßteil der Opfer in den Maquiladoras – den„Billiglohnfabriken“ (Wright 2004: 376). AlsMaquiladoras werden Betriebe bezeichnet, dieüberwiegend U.S.-Firmen gehören und seitden 1970er Jahren in den zollfreien Produkti-onszonen Mexikos und Mittelamerikas ange-siedelt sind2. Durch die Zollfreiheit und dieNähe zur Grenze lassen sich Bauteile für dieHerstellung eines Produktes ohne Einfuhrzöllenach Mexiko importieren, von „Billigarbei-tern“ zusammensetzen und gebrauchsfertigwieder in die USA zurücktransportieren. DieFrauen legen oftmals lange An- oder Heimrei-sewege zurück, und arbeiten zudem inSchichtarbeit (zwischen 5 Uhr und 22 Uhr).Zwar werden die Frauen von den Fabriken perBus in die Stadt zurückbefördert, doch vielevon ihnen leben in den randstädtischen Vier-teln, in die es dann noch ein weiter, unbe-leuchteter Weg ist (Portillo 2001).Es bestehen bisher keine Hinweise, wie vie-

le Täter wirklich an den Morden beteiligt sind,wer die Täter sind oder ob die Frauenmordeeinem Serienmörder zuzuordnen sind. Die me-xikanische Regierung verkehrte und verkehrtbis heute das Täter-Opfer-Verhältnis undmacht die ermordeten Frauen zu Tätern, in-dem diese der Prostitution bezichtigt werden,was ein selbstverschuldetes Risiko nach sichzöge (Portillo 2001). Erst nachdem von denAngehörigen der Opfer und Bewohnern Ciu-dad Juárez vermehrter Druck auf die Regie-rung ausgeübt wurde, setzte man 2004 eineSonderstaatsanwaltschaft unter der Leitungvon María López Urbina speziell für die Auf-klärung der Frauenmorde ein. Allerdings hattedie Staatsanwaltschaft keinerlei Sonderbefug-nisse, die für den Erfolg einiger Ermittlungenvon Relevanz gewesen wären (Rahmsdorf2006: 35f.). So führten die Ermittlungen zwarzu einzelnen Verhaftungen, aber zu keinerstrafrechtlichen Konsequenz. Der abschließen-de Bericht der Sonderstaatsanwaltschaft be-sagte, es gäbe keine Femizide und 80 Prozentder Frauenmorde seinen auf familiäre Gewaltzurückzuführen (ebd. : 37). Der Umgang mitder Thematik von Seiten der Regierung pau-

schalisiert, banalisiert und verleugnet nichtnur die Frauenmorde, sondern setzt sie auchin den privaten Kontext. Somit ist es auch we-niger verwunderlich, dass eine kritische Be-trachtung der Maquiladoras ausbleibt. Inter-essanterweise stellten Angestellte in den Fa-briken und zudem meist in die Stadt immi-grierte Frauen den Großteil der Opfer dar.Eine intensive komplexere Ursachenuntersu-chung des Bezugs zu Arbeitsmigration und Be-völkerungszuwachs der Grenzstadt, wird – zu-mindest öffentlich – nicht thematisiert. EineFokussierung würde folgende Frage aufwerfen:Sind diese Femizide ein grenzspezifisches Phä-nomen, das sich als Folge der Arbeitsmigrati-on verstehen lässt? Denn wie im Verlauf nochbetrachtet werden wird, wirkt Ciudad Juárezunter anderem durch die dort situierten Ma-quiladoras als eine Art Bevölkerungsmagnet:Arbeitsplätze versprechen bessere finanzielleAussichten und die Möglichkeit, in die USA zuimmigrieren, rückt in greifbarere Nähe.

3 Aspekte der Arbeitsmigration an derU.S.-Mexikanischen Grenze

Im ersten Schritt unverzichtbar ist daher dieBetrachtung der besonderen Entstehungsge-schichte der U.S.-Mexikanischen Grenze, umdie Dynamik der spezifischen Entwicklung derArbeitsmigration zu beleuchten – insbesondereauch unter dem Blickwinkel der Stadtentwick-lung von Ciudad Juárez. Um der Kernfragenäher zu kommen und Zusammenhänge ver-ständlich zu machen, werden anschließendwesentliche Aspekte der Arbeitsmigration3 ander U.S.-Mexikanischen Grenze dargestellt,welche mutmaßlich relevant für das Verständ-nis des Kontextes der Femizide sind.Die Geschichte der mexikanischen Migrati-

on in die USA reicht bis in das 19. Jahrhun-dert zurück. Die Niederlage Mexikos im U.S.-Mexikanischen Krieg (1846-1848) führte zueinem Gebietsabtritt von 1 ,36 Millionen km².Von 1848 bis 1924 war es Mexikanern mög-lich, die Grenze ohne Papiere zu überqueren.Mit dem Jahr 1929 begann die Einwande-rungspolitik der USA sich zunehmend zu ver-schärfen. Nunmehr war die Grenzüberquerungin die USA nur mit gültigen Papieren möglich.Das 1943 verabschiedete, 21 Jahre andauern-

2: Bedeutende U.S.-Firmen sind beispielsweise Phillips, Delphi, Thompson oder Ford (vgl. Berndt 2002:218).3: Dabei wird vorrangig auf die Arbeitsmigration der Mexikaner eingegangen, da diese 60 % der Migranten ausmachenund eine Betrachtung der gesamten lateinamerikanischen Arbeitsmigration den Rahmen dieser Arbeit bei Weitemsprengen würde.

| Josephine Kellert

Page 20: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

20 entgrenzt 7/2014

Arten von Grenzen

Militärische Grenze

Ökonomische Grenze

Polizeiliche Grenze

Funktion

VerhinderungzwischenstaatlichermilitärischerBedrohungen

Ertragseinkünfte/versteuerter Handel,Schutz inländischerProduzenten

Territorialer Ausschlussnichtstaatlichergeheimertransnationaler Akteure

Charakteristika

physische Barrieren,Pufferzonen, militärischeAllianzen, Wettrüsten

Tarife, Kontingent,Zollamt, Auslands-devisenkontrolle

physische Grenzen,Pufferzonen,Verfolgung/Inspektionvon Menschen/Gütern,„Intelligente Grenzen“,Festigung Souveränität

HistorischeEntwicklungAbnahme:Demilitarisierung

Abnahme:Liberalisierung derWirtschaft

Wachstum:

Kriminalisierung

de Gastarbeiterprogramm – das Bracero-Pro-gramm – wurde eingeführt, um den durch denZweiten Weltkrieg entstandenen Arbeitskräf-temangel der USA zu kompensieren. Viele Me-xikaner nutzten die Möglichkeit, ein zeitlichbegrenztes Arbeitsvisum zu erlangen, um so-mit der wirtschaftlichen Not im eigenen Landzu entkommen. Nach Ablauf des Bracero-Pro-grammes siedelten sich viele Remigranten undmexikanische Einwohner in den GrenzstädtenMexikos an, was zu einem enormen Bevölke-rungswachstum in diesen führte. Zwischen1964 und 1986 migrierten mexikanische Ar-beiter verstärkt illegal in die USA, hauptsäch-lich um saisonal im primären Wirtschaftssek-tor tätig zu sein. Mit dem Immigration Reformand Control Act von 1986 wurden die Grenz-kontrollen der USA massiv verstärkt, um dennicht abreißen wollenden Migrationsstrom ausMexiko zu stoppen. Bis dato wurden vier bisfünf Millionen illegale Immigranten in denUSA geschätzt. Die Maßnahme beinhaltete dieVerschärfung von Grenzkontrollen, die Bestra-fung von Arbeitgebern, die illegale Immigran-ten beschäftigten, und gesetzlich festgelegteRegulierungen über bereits illegal Eingewan-derte. Bis zum Jahr 2006 stieg die Anzahl derGrenzkontrolleure von 2000 auf 12200 Perso-nen. Jedoch hatte eine erhöhte Grenzsiche-rung nicht den Rückgang der Anzahl von Im-migranten zur Folge (Payan 2006: 54ff.).

Ein bedeutender Wandel der Grenzpolitikwar nach den Terroranschlägen des 11 . Sep-tember 2001 auf das World Trade Center inNew York und das Pentagon, das amerikani-sche Verteidigungsministerium, zu verzeich-nen. Für Tony Payan (2006: 13) endete damitdie „law enforcement era“ von 1986 bis 2001und die Ära der „national security“ begann.Auch wenn die U.S.-Mexikanische Grenzenicht direkt in Verbindung mit den Terroran-schlägen des 11 . September 2001 gebrachtwerden kann, so verbreitete sich in ganzNordamerika eine kollektive Angst vor Terro-risten, die über die Landbrücke, die die mexi-kanische Grenze darstellt, ins Land gelangenkönnten. Besonders illegale Immigranten wer-den seit dem als eine potentielle terroristischeGefahr eingeschätzt. Die Forcierung der natio-nalen Sicherheit führte zur Übertragung derMigrationspolitik vom Justizministerium aufdas Departement of Homeland Security, einerneugegründeten Polizeiorganisation zur Be-kämpfung von Terrorismus insbesondere imInland. Dieses Departement konzentrierte sichvon da an auf die U.S.-Mexikanische Grenzeund mit ihr in Verbindung stehenden Aktivi-täten. Die Auswirkungen auf die Grenze sinddie Verstärkung der Border Security, die Zu-nahme der Überwachungsmaßnahmen und einneuer bürokratischer Aufwand beim Grenz-übertritt, der beispielsweise Visabestimmun-

Tab. 1: Arten von Grenzen (nach Andreas 2003: 85).

Die Frauenmorde von Ciudad Juárez |

Page 21: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

21entgrenzt 7/2014

gen und Formalitäten zur Selbstauskunft be-trifft (Payan 2006: 49ff.).Der Bevölkerung von Ciudad Juárez wird

als Grenzbewohnern durch die Schaffung undKontrolle der Grenze von Seiten der USA sub-til suggeriert, dass sie die Sicherheit der Ver-einten Staaten gefährden. Die Anzahl der Ge-waltverbrechen in der Stadt scheinen diesesBild allzu gut zu bestätigen, was nicht spurlosan der Identitätsprägung jedes Einzelnen vor-bei gehen dürfte. Der Umgang von Justiz undRegierung mit Verbrechen in der Stadt scheintzudem eher kontraproduktiv zu sein. Statt diezentralen wirtschaftlichen und politischenProbleme anzugehen, die u.a. auf schnellesWachstum durch die besondere Lage zurück-zuführen sind, wird die Kriminalität mit ver-stärkter Polizeipräsenz und Sicherheitskräftenzur Wiederherstellung öffentlicher Sicherheitkompensiert (Rodríguez 2012: 25).Die U.S.-Mexikanische Grenze unterliegt

dabei auch einem Wandel, der u.a. in PeterAndreas‘ Zeitschriftenartikel „Redrawing theLine“ allgemein beschrieben wird (vgl. Tab. 1 ;Andreas 2003).Bis 1848 war die U.S.-Mexikanische Grenze

eine militärische Grenze, da bis dahin die ter-ritoriale Verteidigung unter Militäreinsatz imVordergrund stand (siehe 3). Mit dem Endedes U.S.-Mexikanischen Krieges gewann dieGrenze zunehmend an ökonomischer Funkti-on. Verhandlungen zwischen USA und Mexikoin Bezug auf wirtschaftliche Belange führtenunter anderem zum Nordamerikanischen Frei-handelsabkommen (NAFTA), welches 1994zwischen Kanada, den USA und Mexiko inKraft trat. Handelsbarrieren sollten damit ab-gebaut werden und Mexiko hoffte auf eineProduktivitätssteigerung der Volkswirtschaft(Sangmeister et al. 2004: 65). Ein damit ver-bundener Nebeneffekt sollte sowohl die Kon-trolle als auch die Reduktion der Migrations-bewegungen aus Mexiko in die USA sein. Die-ser erwünschte Nebeneffekt blieb jedoch aus.Besonders nach dem 11 . September 2001 kanndurch die Übernahme der Grenzkontrolledurch Homeland Security von einer polizeili-chen Grenze gesprochen werden, die sich aufdie Wahrung von nationaler Sicherheit mittelsverschärfter Sicherheitsvorkehrungen zur Vor-beugung von Kriminalität konzentriert.Diese neue Form der polizeilichen Grenzsi-

cherung hat jedoch bisher weder die Krimina-lität senken können, noch die illegale Migrati-on deutlich eingeschränkt. Die Femizide stehen

hier exemplarisch für die Zunahme von Krimi-nalität. Payan schreibt treffend: „The onlymove has been toward greater and greater en-forcement of border laws, without regard tothe fact that it means nearly more of the same,that is, the same as before September 11” (Pa-yan 2003:111 ).

3.1 Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen[NAFTA]

Die Grenzentwicklung und Bevölkerungsbe-wegung und damit auch die Stadtentwicklungvon Ciudad Juárez hat sich auch vor dem Hin-tergrund der ökonomisch-politischen Kontextein den letzten Jahrzehnten geändert.Das am 1 .1 .1994 in Kraft getretene Nord-

amerikanische Freihandelsabkommen zwi-schen Kanada, den USA und Mexiko sollte be-stehende Zoll- und Handelsschranken in Bezugauf grenzüberschreitende Waren und Kapitalaufheben. Laut Sangmeister lässt sich folgendeBilanz bezüglich erfüllter und unerfüllter Er-wartungen an das Abkommen ziehen: So seienu.a. wirtschaftliches Wachstum, technischerFortschritt, die Anlage von ausländischem Ka-pital, Arbeitsplatzbeschaffung sowie ein diver-sifizierter Export erwartungsgemäß eingetre-ten. Die Wohlstandskluft zwischen Mexikound den USA oder Kanada, die Lohnspreizung,welche zu ungleicher Einkommensverteilungin Mexiko führt, oder eine ungleiche Chancen-verteilung zeigten, dass von einer Nordameri-kanischen Gemeinschaft zwischen den dreiStaaten nicht die Rede sein könne. Ebenso un-erfüllt blieb die Erwartung eines Migrations-rückganges (Sangmeister et al. 2004: 67–73).Auch Günther Maihold kommt zu selbigem

Schluss: Wirtschaftliche Asymmetrien habensich nicht bedeutsam verändert und das Mi-grationsphänomen habe nicht abgenommen(Maihold 2011 : 16).Wie wichtig die NAFTA letztlich für die

Entstehung von Border Boom Towns mitsamtihren sozialen Problemen war und ist, wirdspätestens deutlich werden, wenn sich in derSchlussbetrachtung wieder den konkretenMissständen in Ciudad Juárez zugewandtwird.

| Josephine Kellert

Page 22: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

22 entgrenzt 7/2014

3.1 Die Entwicklung von Ciudad Juárez zur„Border Boom Town“

In diese Gesamtentwicklung ordnen sich auchdie Dynamiken der mexikanischen GrenzstadtCiudad Juarez ein.In der Monographie „The Femicide Machi-

ne“ von Sergio González Rodrígez wird dieEntwicklung der Stadt Ciudad Juárez als rapi-der Modernisierungs- und Industrialisierungs-prozess innerhalb der letzten 50 Jahre be-schrieben (Rodríguez 2012: 8). Laut Rodríguezassoziierte man die Stadt seit Mitte des zwan-zigsten Jahrhunderts mit transnationaler In-dustrieproduktion und innovativer Technolo-gie. Dies führte dazu, dass viele Mexikaner aufder Suche nach Arbeit in diese Grenzstadt mi-grierten – oft auch unter dem Eindruck, in Zu-kunft in die USA immigrieren zu wollen.Um die allgemeinen Ursachen der Migrati-

on zu illustrieren, lässt sich z.B. das Push-Pull-Modell der Migration von Everett S. Lee her-anziehen (1966: 47ff.). Push-Faktoren4 für dieEmigration aus Mexiko sind seit den 1980erJahren überwiegend ökonomischen und ge-sellschaftlichen Ursprungs (Gratius 2005:167f.). Dazu zählen Faktoren wie Arbeitslosig-keit, Armut, mangelnde Sozialvorsorge undauch Kriminalität. Pull-Faktoren dagegen sindbeispielsweise der Arbeitskräftemangel in denUSA, bessere Bildungs- und Einkommensper-spektiven, bessere Gesundheitsversorgungoder auch eine Pro-Kopf-Einkommenskluftzwischen USA und Mexiko5.Anhand des Modells lassen sich zwei gene-

relle Schlüsse ziehen. Erstens scheint die me-xikanische Immigration aus überwiegend wirt-schaftlichen Motiven zu erfolgen, da eine Ab-hängigkeit zwischen mexikanischen Arbeiternund dem U.S.-Arbeitsmarkt zu erkennen ist.Zweitens spielen gesellschaftliche Motive einezunehmende Rolle. Die Theorie der Transna-tionalen Sozialen Räume ermöglicht es, dieMotivationen der Arbeitsmigration zwischenMexiko und den USA aus einem anderenBlickwinkel als dem der Push-Pull-Faktoren zubetrachten. Pries behauptet, dass sich Migrati-on auf soziale Ungleichheit zurückführen lässtund somit der Antrieb für die Migration ei-gentlich immer sozialen Ursprungs ist (Pries

1996: 457). Transnationale soziale Räumewerden als „komplexe, dauerhaft(e) […] undausdifferenzierte Pendelströme von Menschen,Waren und Informationen […] “ definiert – indiesem Falle zwischen Mexiko und den USA(Pries 1996: 456). Ciudad Juárez nimmt hiereine wichtige und nicht sofort offensichtlicheRolle ein. Beispielsweise durch Pendler, Remi-grierte, Zurückgebliebene, Aufbrechende, Ge-scheiterte und Hoffende, die im und mit demtransnationalen Netzwerk verbunden sind,entwickelt sich ein Magnetismus, dessen Aus-wirkungen bereits für die Stadt als BorderBoom Town beschrieben wurden. Wohlbe-merkt überschreiten auch Nachrichten bezüg-lich der Frauenmorde politische Grenzen. DieEventualität, einer kriminellen Tat zum Opferzu fallen (wie es irgendwo anders in Mexikoauch geschehen kann), muss aufgrund derPerspektive auf sich verbessernde Lebensum-stände durch eine Migration hingenommenwerden.Seit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ist

die Stadt für viele nur ein Zwischenstopp oderein Transitraum zum Emigrieren. Die Bevölke-rung von Ciudad Juárez wuchs nicht nurdurch Migranten, sondern auch wegen eineransteigenden Geburtenrate. Gleichzeitig hatteeine mangelnde Modernisierung des Wirt-schafts- und Gesundheitssystems unter ande-rem eine steigende Armut, Marginalisierungvon sozialen Randgruppen, Kriminalität undschlechte Lebensqualität zur Folge. Von einer„Boom Town“ kann momentan also nur in ne-gativer Hinsicht gesprochen werden. Auch dasStadtbild spricht in dem Fall für sich. Im zen-tralen Bereich der Stadt stehen gebäudesys-temtechnisch gut gesicherte und hochwertigkonstruierte Bauten, die Stadtentwicklungs-prozesse der Segregation hervorbringen. Inperipherer gelegenen Teilen ändert sich dasStadtbild: unfertige Wohngegenden und Stra-ßen, schlechte Bausubstanz und fehlendeGrundausstattung öffentlicher Einrichtungen(Rodríguez 2012: 27).Die Anstellung in einer Maquiladora wirkt

wie ein zukunftsverbesserndes Versprechen,was auch Frauen bewegt hat, in die Stadt zumigrieren. Somit veränderte sich ihre Gesell-schaftsrolle, damit aber nicht zwangsläufig

4: Push-und-Pull-Faktoren sind „wegdrückende“ bzw. „anziehende“ Motive für die Emigration aus dem Ursprungsgebietin ein Anderes. Hierbei spielen politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und demographische Faktoren, sowieNaturkatastrophen und die Verknappung von Naturressourcen eine wesentliche Rolle (Lee 1966: 47ff.)5: Laut Samuel Huntington ist das Pro-Kopf-Einkommen der Amerikaner neun Mal höher als das der Mexikaner(Huntington 2004: 222f.).

Die Frauenmorde von Ciudad Juárez |

Page 23: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

23entgrenzt 7/2014

einhergehend die Wahrnehmung der Frau alsgleichberechtigtes Subjekt. Die Frauenmordekönnten eine Auswirkung des Machismo sein,der eine Art Hass von Männern gegen einenicht beeinflussbare Veränderung bezeichnet.Inwieweit jedoch das Phänomen der Femizideallein aus den verschiedenen Aspekten der Ar-beitsmigration erklärt werden kann, steht imWeiteren noch zur Diskussion.

4 Die Frauenmorde: Ein grenzspezifisches Problem?

Die Integration von Ciudad Juárez in die glo-bale Produktions- und Konsumwelt führte, wiebereits erwähnt, zu einer Modernisierung derStadt. Das daraus resultierende Phänomen derArbeitsmigration tausender Menschen in dieStadt wird hauptsächlich auf die Ansiedlungder Maquiladoras zurückgeführt (Berndt 2004:221f. ; Payan 2006: 60). Besonders durch dieNAFTA-Freihandelszone stieg die Zahl dieserBilliglohnfabriken enorm an, was auch zu ei-nem Anstieg der Bevölkerung in den Gebietenum die Maquiladoras führte. In Ciudad Juárezallein stieg überwiegend dadurch die Ein-wohnerzahl von 425000 auf 1 ,3 MillionenMenschen zwischen 1980 und 2000 an (Payan2006: 60). Zu Beginn der Jahrhundertwendearbeiteten mehr als 260000 Menschen in denüber 300 Maquiladora-Betrieben der Stadt(Berndt 2004: 222).Die Auswirkungen der Modernisierung auf

Ciudad Juárez lassen sich mit der Metaphervon der sprichwörtlichen Medaille am bestenveranschaulichen. Die eine Seite der Medaillezeigt den ökonomischen Aufschwung, der Ar-beitsplätze geschaffen hat, der der Stadt denRuf der ciudad maquiladora verschaffte und siedamit in den Prozess der Globalisierung hineinkatapultierte. Auf der anderen Seite der Me-daille steht jedoch die Verstärkung von sozia-len Konflikten zwischen „Menschen in Bewe-gung“ und Ortsansässigen (ebd.). Berndt ver-sucht diesbezüglich, die Komplexität diesergrenzspezifischen Problematik zu ordnen, in-dem er darauf verweist, dass man mehrerePerspektiven betrachten muss. Die erste Per-spektive sei, Ciudad Juárez als „entgrenzteStadt“ anzusehen, die erst durch „translokaleZirkulationsprozesse“ kontinuierliche Bewe-gungsströme ermöglicht (ebd. : 223f.). Aus derzweiten Perspektive müsse man die Stadt als„Grenzstadt“ betrachten, deren territoriale

Grenzen ständig durch die Machtausübungverschiedener einflussreicher Akteure auf die„beweglichen“ Menschen verschoben werden(ebd. : 224ff.). Die dritte und letzte Perspektivebeleuchtet Ciudad Juárez aus dem Blickwinkelvon Arbeitsmigranten als „translokale Stadt“,die durch lokale Eliten und kapitalistische In-teressengruppen gebildet würde (ebd. : 229ff.).Und so zieht er am Ende seiner Ausführungen,auf die hier leider nicht näher eingegangenwerden kann, ein Fazit, welches auch in Ver-bindung mit den Femiziden in Ciudad Juárezgesehen werden kann, und so über den Randder Medaille hinausweist: „‚Menschen in Be-wegung‘ unterlaufen das Ordnungsregime glo-balisierter Produktionssysteme, das den Ar-beitsmigranten feste Positionen […] zu-schreibt“. Weiter schlussfolgert er: „(Sie)schlagen nicht nur Breschen in die territorialeStadt, sondern legen auch die undichten Stel-len anderer Ordnungsversuche offen“ (Berndt2004: 232).Die bereits erwähnte mangelnde Moderni-

sierung des Sozialsystems förderte unter ande-rem die Kriminalität in Ciudad Juárez. EineGrenzstadt von dieser Bedeutung zieht daherlogischerweise auch das organisierte Verbre-chen an. Ciudad Juárez ist die Stadt mit derhöchsten Mordrate weltweit (Schulz 2011 : 2).Ursachen sind scheinbar das schnelle Wachs-tum durch legale und illegale Migranten unddie Entwicklung von wirtschaftlichen und po-litischen Machtstrukturen, was die Folgerungzulässt, dass sich daraus besonders in BorderBoom Towns wie Ciudad Juárez institutionelleKorruption mit einhergehender Straflosigkeit6

entwickelt hat (Rodríguez 2012: 8). Rodrí-guez betitelt die Frauenmorde daher nicht oh-ne Grund als eine „Femicide Machine“, da sieeinem gewissen Automatismus unterliegen(Rodríguez 2012: 11 ). Mehrere Entitäten wieMachoismus, Gewalt, Angst und Korruptionbilden eigene und eigenständige Maschinen-teile: Die Polizeimaschine, die Kriminalitäts-maschine, die Kriegsmaschine oder die Ma-schine apolitischer Konformität. Diese Maschi-nen sind kompatibel miteinander, so dass sicheine große Maschine daraus ergeben würde.Der Motor, der diese Maschine zum Laufenbringt, ist in dem Falle der Mensch (ebd. :10f.). Und der Mensch als Akteur hält die Ma-schinerie in Ciudad Juárez in Betrieb, da dievielen undichten Stellen innerhalb der Gesetz-

6: 98% aller Strafdelikte bleiben in Mexiko straffrei (Schulz 2011 :3).

| Josephine Kellert

Page 24: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

24 entgrenzt 7/2014

mäßigkeiten und die lückenreiche Exekutionderselben genutzt werden können, um weitest-gehend straflos zu agieren.

5 Schlussbetrachtung

Es lässt sich weder eine Erklärung noch dieAntwort auf die Frage finden, ob die Frauen-morde in Ciudad Juárez ein grenzspezifischePhänomen sind, das sich aus der Bedeutungder Arbeitsmigration für die Stadt ergibt. Dieangesprochenen Aspekte der Arbeitsmigrationsind zwar ein unverzichtbarer Teil der Argu-mentation, reichen aber nicht aus, um eine be-friedigende Antwort auf die Frage nach denUrsachen der Morde aufstellen zu können. Diepolitischen, wirtschaftlichen, gesellschaftli-chen und kulturellen Zusammenhänge in Ciu-dad Juárez scheinen so komplex und vielseitigmiteinander verknüpft zu sein, dass es einemunbedarft Außenstehenden unmöglich ist, die-se Vorgänge einfach zu verstehen und die nö-tigen Schlüsse daraus zu ziehen.Allerdings liegt möglicherweise genau da

der Knackpunkt. Durch das massive Wachstumder Stadt haben die lokal verantwortlichenPolitiker offensichtlich den Überblick verlo-ren. Dass eine tiefergehende Betrachtung desgesamten politischen Systems in Mexiko erfor-derlich ist, steht außer Frage. Denn CiudadJuárez hatte vor dem Boom weder den Ruf ei-nes Sodom und Gomorrha, noch den Ruf einesGarten Edens (Berndt 2004: 58). Sicher ist je-doch, dass eine externe Lösung der Problemeunwahrscheinlich scheint, wenn schon eineAufklärung der Morde selbst misslingt. Viel-mehr ist zu mutmaßen, dass die Bedingungen,welche Ciudad Juárez als gefährlichen Orthervorbringen, kontinuierlich problematisiertwerden müssen. In dieser Hinsicht sind auchalle Mexikaner gefordert, der „Femicide Ma-chine“ von Ciudad Juárez kräftig Sand ins Ge-triebe zu streuen.Aber möglicherweise ist Ciudad Juárez als

Grenzstadt ein Beispiel dafür, welche negati-ven Folgen rapide Urbanisierung in Schwellen-und Entwicklungsländern nach sich ziehenkann: Politischer Kontrollverlust mit einherge-hender Korruption, Kriminalität mit einherge-hender Straflosigkeit oder eben auch der fort-gesetzte Mord an Frauen, deren Aufklärungimmer wieder scheitert.Für eine umfassende wissenschaftliche Un-

tersuchung dieses konkreten Phänomens istein langer Atem erforderlich. Hier reicht eine

Fokussierung auf die wesentlichen Aspekte derArbeitsmigration allein nicht aus. Vor allenDingen eine weiterführende Beschäftigung mitThemen der Stadtentwicklung wäre von Nö-ten.Der bereits mehrfach zitierte Zeitschriften-

artikel „Stadtgeographien an der Schwellezwischen Nord und Süd: globale Bewegungenund territoriale Ordnung in Ciudad Juárez,Mexiko.“ von Christian Berndt bietet hierfüreinen guten Einstieg. Darüber hinaus fehlenallerdings noch weitere wichtige Puzzleteile,besonders kulturhistorische Untersuchungenzu genderspezifischen Einstellungen in Mexi-ko. Letztlich wird meines Erachtens nur einbreites interdisziplinäres Setting aus qualitati-ver Feldforschung und rückgebundenen Quan-tifizierungen befriedigende Ergebnisse erbrin-gen, die uns die Ursachen dieser ungeheuerli-chen Serie an Frauenmorden verständlich ma-chen können. Dafür lohnt sich die Erforschung– auch aus sozio-geographischer Perspektive –allemal.

LiteraturAndreas, Peter (2003): Redrawing the Line. Borders andSecurity in the Twenty-first Century. IN: Coté, Owen R.Jr. ; Lynn-Jones, Sean M.; Miller, Steven E. (Hrsg.):International Security. Cambridge. S. 78–111 .Berndt, Christian (2002): An der „Peripherie“ globalvernetzter Produktionswelten: Soziale Landschaften derArbeit in Ciudad Juárez, Chihuahua. IN: GeographischeZeitschrift. Jg. 90. H. 3/4. S. 212–231 .Berndt, Christian (2004): Stadtgeographien an derSchwelle zwischen Nord und Süd: globale Bewegungenund territoriale Ordnung in Ciudad Juárez, Mexiko. IN:Erdkunde. Jg. 58. H. 3. S. 234.Gratius, Susanne (2005): Ursachen und Folgen derMigration aus Lateinamerika. - BrennpunktLateinamerika, Nr.   14/2005 < http://www.giga-hamburg.de/dl/download.php?d= /content/ilas/archiv/brennpunkt_la/bpk0514.pdf> (3.7.2012).Huntington, Samuel P. (2006): Who are we? Die Krise deramerikanischen Identität. München.IOM (2012): Mexico.< http://www.iom.int/jahia/Jahia/activities/americas/central-america-and-mexico/mexico> (16.6.2012).Lee, Everett S. (1966): A theory of migration. –Demography, Nr. 1/1966, < http://www.students.uni-mainz.de/jkissel/Skripte/Lee.pdf> (3.7.2012).Maihold, Günther (2011 ): Mexiko und die USA: zwischenNAFTA-Partnerschaft und Zweckgemeinschaft. IN: AusPolitik und Zeitgeschichte. Jg. 61 . H. 40–42. S. 16–22.Passel, Jeffrey/Cohn, D’Vera (2011 ): UnauthorizedImmigrant Population. National and State Trends, 2010.< http://www.pewhispanic.org/2011/02/01/unauthorized-immigrant-population-brnational-and-state-trends-2010/> (14.6.2012).Payan, Tony (2006): The three U.S.-Mexico border wars.Drugs, Immigration, and Homeland Security. Westport.Portillo, Lourdes (2001): Senorita Extraviada.Dokumentarfilm. Xochitl Productions. Ciudad Juárez.Pries, Ludger (1996): Transnationale Soziale Räume.Theoretisch-empirische Skizze am Beispiel derArbeitswanderung Mexiko-USA. IN: Zeitschrift für

Die Frauenmorde von Ciudad Juárez |

Page 25: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

25entgrenzt 7/2014

Soziologie. Jg. 25. H. 6. S. 456–472.Rahmsdorf, Inga (2006): Reden gefährlich, Schweigenalltäglich. In Ciudad Juárez werden seit Jahren Frauengrausam umgebracht- die Mörder bleiben noch immerstraffrei. IN: Lateinamerika Nachrichten. Jg. 33. H. 383.S.   34–37.Rodríguez, Sergio González (2012): The femicidemachine. Los Angeles.Sangmeister, Hartmut/Melchor del Rio, Amaranta (2004):Mexiko und die NAFTA: Zehn Jahre Erfahrungen. Diemexikanischen Erwartungen an das NordamerikanischeFreihandelsabkommen haben sich nur teilweise erfüllt. -Brennpunkt Lateinamerika, Nr. 2/2004,< http://www.giga-hamburg.de/dl/download.php?d= /content/ilas/archiv/brennpunkt_la/bpk0406.pdf>(1 .7.2012).

Schulz, Christiane (2011 ): Mexiko: Gewalteskalation undStraflosigkeit. – GIGA-Focus Lateinamerika, Nr. 12/2011 ,< http://www.pbideutschland.de/fileadmin/user_files/groups/germany/Dateien/Giga-Studie_Dez_2011 .pdf>(3.7.2012).Wright, Melissa W. (2004): From Protests to Politics. SexWork, Women` s Worth, and Ciudad Juárez Modernity. –Annals of the Association of American Geographers 2004,< http://www.jstor.org/discover/10.2307/3693993?uid= 3737864&uid= 2&uid= 4&sid= 21100858219391>(17. 6.2012).

| Josephine Kellert

Anna Franke (Erlangen)August 201221 °28’S 68°03’WLaguna Cañapa, Departo-mento Potosí, Bolivien

Die Laguna Cañapa gehört bei einer Flächevon 1 ,42 km² zu einer Reihe von fünf Salzla-gunen innerhalb einer Vulkankette des Hoch-plateaus Boliviens und liegt südlich des Salarde Uyuni auf 4.140 m asl. Die Lagunen sindLebensraum zahlreicher Flamingogruppen, diesich von Algen, Plankton und Krebsen ernäh-ren und zusammen mit dem Ichugras diesekarge Landschaft kennzeichnen.

Page 26: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

26 entgrenzt 7/2014

Seit den späten 1990er widmet sich auch dieLuftverkehrsindustrie der Frage, wie nachhaltigdie Branche angesichts ihrer weitreichenden Ein-flüsse und Auswirkungen auf Umwelt, Wirtschaftund Gesellschaft ist bzw. sein kann. In diesemZusammenhang zeigt die jüngste Entwicklung dereuropäischen Verkehrsflughäfen, dass die Betrei-ber und Planer der Flughäfen verstärkt Konzepteeiner nachhaltigen Wachstumspolitik im Sinneder Konferenz der Vereinten Nationen über Um-welt und Entwicklung 1992 („Drei Säulen derNachhaltigkeit“) erarbeiten und umsetzen. DieserArtikel verfolgt einen explorativen Ansatz; imVordergrund steht der Versuch, in Form einesÜberblicks über die Tätigkeiten und das Engage-ment einzelner Flughäfen, Flughafengruppen hin-sichtlich ihrer Konzepte der Nachhaltigkeit zu er-fassen.

1 Einleitung

Seit den späten 1990er Jahren prägt der Be-griff „Nachhaltigkeit“, auch nachhaltige Ent-wicklung (englisch: sustainability bzw. su-stainable development), maßgeblich die öf-fentliche politische und wirtschaftliche Dis-kussion. Er gründet auf den Ergebnissen derUN-Konferenz in Rio de Janeiro im Jahr 1992,in der ein zukunftsweisendes globales Aktions-programm beschlossen wurde. Angesichts ei-ner exponentiell wachsenden Weltbevölkerungbei gleichzeitig zunehmender Ressourcen-knappheit wurde im Jahr 1983 die „Commis-sion on Environment and Development“(WECD) der Vereinten Nationen gegründet.Die Kommission formulierte erstmals dieGrundlagen und Ziele einer so genannten„nachhaltigen Entwicklung“ und erarbeiteteden nach ihrem Vorsitzenden benannten„Brundtland-Bericht“, der 1989 veröffentlichtwurde. Für den Zeitraum vom 3. bis zum 14.Juni 1992 beriefen die Vereinten Nationen ei-ne Konferenz über Umwelt und Entwicklungin Rio de Janeiro ein, bei der, basierend auf

dem Brundtland-Bericht, ein internationalesLeitpapier zur nachhaltigen Entwicklung, dieso genannte Agenda 21 , erarbeitet wurde. ImBrundtland-Bericht wird das Konzept derNachhaltigkeit definiert als „Entwicklung, diedie Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, oh-ne zu riskieren, daß künftige Generationen ih-re eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen kön-nen“ (United Nations 1987:   51 ). Die heute all-gemein anerkannte Definition beschreibtNachhaltigkeit als die „normative Vision eineskünftig sorgsamen Umgangs mit den Ressour-cen unserer Erde, einer Balance von wirt-schaftlichem Wachstum, ökologischen Aus-wirkungen und sozialer Gerechtigkeit“ (Geb-hardt et al. 2011 : 23). Die sich gegenseitig be-dingenden und gleichgewichtigen Aspekte vonÖkonomie, Ökologie und Sozialem werdenauch als die drei Säulen der Nachhaltigkeitbezeichnet (ebd.). Auf diese Definition stütztsich auch die Diskussion in der geographi-schen Fachwissenschaft, wenn es um nachhal-tige Entwicklung und die Bewertung von Kon-zepten der Nachhaltigkeit geht.Mittlerweile haben zahlreiche Industrie-

zweige und Unternehmen dieses besonders inder Geographie viel zitierte Konzept einernachhaltigen Entwicklung aufgenommen undberücksichtigen es etwa im Management undbei Produktionsprozessen. So widmet sichauch die Luftverkehrsindustrie verstärkt derFrage, wie nachhaltig die Branche angesichtsihrer weitreichenden Einflüsse und Auswir-kungen auf Umwelt, Wirtschaft und Gesell-schaft ist bzw. sein kann. Von zentraler Be-deutung ist in diesem Zusammenhang die Be-trachtung von Flughäfen, den urbanen Kno-tenpunkten des globalen Netzes imLuftverkehr, an denen die ökologischen, öko-nomischen und sozialen Auswirkungen derLuftfahrt kulminieren (Boons et al. 2010:303). In der Luftfahrtbranche besteht für diewichtigen Verkehrsflughäfen der Welt seitJahrzehnten die primäre Aufgabe darin, die

Nachhaltigkeit im Luftverkehr

Mathis Trapp (Uni Aachen)

Ein explorativer Beitrag zur Kategorisierung

internationaler europäischer Verkehrsflughäfen

Nachhaltigkeit im Luftverkehr |

Page 27: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

27entgrenzt 7/2014

nötigen Kapazitäten zur Abwicklung eines ste-tig wachsenden Passagier- und Frachtaufkom-mens zu schaffen. Eine nachhaltige Entwick-lung, wie sie seit der Konferenz der VereintenNationen über Umwelt und Entwicklung 1992propagiert wird, wurde dabei wenig berück-sichtigt. Die jüngste Entwicklung zeigt hinge-gen, dass die Betreiber und Planer von Ver-kehrsflughäfen insbesondere in Europa, getrie-ben durch starke Konkurrenz sowie lokalenund politischen Druck, verstärkt Konzepte ei-ner nachhaltigen Wachstumspolitik erarbeitenund umsetzen. Dieser Artikel stellt einen ers-ten explorativen Beitrag zur systematischenAufarbeitung von Konzepten der Nachhaltig-keit an internationalen europäischen Ver-kehrsflughäfen dar. Im Vordergrund steht da-bei der Versuch, Gruppen von Flughäfen hin-sichtlich der Konzepte der Nachhaltigkeit zuermitteln. Dies geschieht in Form eines Über-blicks der Tätigkeiten und des Engagementeinzelner Flughäfen. Jedoch wird die Beurtei-lung der Qualität der von den Flughafenbe-treibern veröffentlichten Daten und Berichteaußen vor gelassen; eine repräsentative Dar-stellung müsste auf Basis einer empirischenUntersuchung mit Befragung der einzelnenFlughafenbetreiber erfolgen und sich an bis-lang fehlenden objektiven Maßstäben orientie-ren.Zunächst erfolgt eine kurze Einordnung des

Nachhaltigkeitsbegriffs mit Blick auf den Luft-verkehr; anschließend wird eine Kategorisie-rung der 49 internationalen europäischen Ver-kehrsflughäfen bezüglich ihres Engagementsfür eine nachhaltige Entwicklung vorgenom-men. Für die verschiedenen Gruppen vonFlughäfen werden danach exemplarisch ein-zelne Flughäfen und eine Auswahl der von ih-nen entwickelten und umgesetzten Nachhal-tigkeitsstrategien und -maßnahmen vorgestelltund erläutert. Zum Schluss folgt ein Ausblickauf die Bedeutung der internationalen euro-päischen Flughäfen im globalen Spannungs-feld von Mensch, Umwelt und Wirtschaft.

2 Zum Begriff der Nachhaltigkeit im Luftverkehr

Im globalen Wettbewerb um das größere Pas-sagier- und Luftfrachtaufkommen müssen be-sonders die großen internationalen Flughäfenstärker denn je als Unternehmen agieren undsich mit einer individuellen Wachstumspolitikpositionieren. Die steigende Nachfrage im glo-balen Luftverkehr stellt die Flughäfen vor eine

ambivalente Herausforderung. Einerseits for-cieren Politik und Wirtschaft unter Berufungauf den ökonomischen und sozialen Nutzenden Ausbau und die Liberalisierung des welt-weiten Luftverkehrs. Andererseits fordern lo-kale und regionale Interessenverbände eineökologisch nachhaltige Entwicklung des Luft-verkehrs und seiner Infrastruktur, die der Er-haltung von Lebensraum und -qualität imFlughafenumfeld Rechnung tragen soll. DieWissenschaft widmet sich seit geraumer Zeitder Problematik eines nachhaltigen Luftver-kehrs (zum Beispiel Åkermann 2005, Ashford2011 , Boons et al. 2010, Janić 2011 , 2001 ,2003). In den wissenschaftlichen Diskussionenstehen sich WissenschaftlerInnen und die füh-renden Luftfahrtsorganisationen wie die „In-ternational Civil Organisation“ (ICAO), unddie „International Air Transport Association“(IATA) gegenüber. Letztere fokussieren denökonomischen und sozialen Nutzen der Luft-fahrt (International Air Transport Association2007, Air Transport Action Group 2010),während auf der anderen Seite die ökologischeVertretbarkeit des weltweiten Luftverkehrsuntersucht wird. Die WissenschaftlerInnen ar-beiten zum Beispiel an Lösungen zur Reduzie-rung von Flugzeugemissionen durch technolo-gische Entwicklungen, an politischen Regula-rien und an einem allgemeinen Umdenken imglobalen Luftfahrtmanagement (Upham 2003,Bows et al. 2009, Blumenthal 2010). Als einProblem stellt sich dabei heraus, dass derNachhaltigkeitsbegriff besonders auf der poli-tischen Ebene unterschiedlich interpretiertwird. Bis dato existieren keine einheitlichenoder gar verbindlichen Leitfäden über einenachhaltige Entwicklung von Flughäfen oderFaktoren, die als Anzeiger einer ökologischenNachhaltigkeit dienen könnten (Ashford2011 :   734). Aus diesem Grund gibt es auch ei-ne Fülle verschiedener Vorstellungen und An-sätze zum Thema Nachhaltigkeit an Flughä-fen, die deutlich machen, wie divers die öko-nomischen, ökologischen und sozialen Vor-aussetzungen und die standortbezogenenBesonderheiten einzelner Flughäfen sind. Bo-ons et al. liefern in ihrem Artikel „Governanceof sustainability at airports“ (2010) einenÜberblick über das aktuelle Verständnis nach-haltiger Entwicklung an Flughäfen in der wis-senschaftlichen Literatur und zeigen auf, wievielschichtig die Debatte um Nachhaltigkeit inder Luftfahrt ist. Sie selbst definieren Nach-haltigkeit bei Flughäfen als den räumlich und

| Mathis Trapp

Page 28: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

28 entgrenzt 7/2014

zeitlich begrenzten Prozess der Ausbalancie-rung ihrer ökonomischen, ökologischen undsozialen Auswirkungen. Für sie ist Nachhaltig-keit kein objektiv definierbarer (End-)Zustand.Im Fokus sollte daher die Frage stehen, wieFlughäfen mit ihren kollektiven Problemenumgehen und versuchen, diese zu lösen(2010:   304). In diesem Zusammenhang listendie Autoren folgende Aspekte der Nachhaltig-keit an Flughäfen, entsprechend dem Drei-Säulen-Modell, auf (siehe Tabelle 1 ).Die nachfolgende Betrachtung der interna-

tionalen europäischen Verkehrsflughäfenzeigt, dass einige dieser in der Literatur be-handelten Ansätze von Nachhaltigkeit bereitsin die Managementprozesse von Flughäfeneinbezogen werden; allerdings stellt sich dervon Boons et al. beschriebene Umgang derFlughafenbetreiber mit den ökonomischen,ökologischen und sozialen Auswirkungen ihrerStandorte verschieden dar. Unterschiede gibtes nicht nur bei Art und Umfang von Maßnah-men zur Nachhaltigkeit, sondern vor allemauch hinsichtlich des Nachweises, inwieweitdie Flughäfen ihr Engagement in den Berei-chen eines ökologischen, ökonomischen undsozialen Managements öffentlich vertretenund überprüfbar machen.

3 Konzepte der Nachhaltigkeit an internationalen euro-päischen Verkehrsflughäfen

3.1 Kategorisierung

In diesem Artikel werden die 49 internationa-len europäische Verkehrsflughäfen nach demStand 2010 betrachtet. Dabei handelt es sichnach dem deutschen Luftverkehrsgesetz umFlughäfen des allgemeinen Verkehrs, die ge-mäß der Definition von „Internationalen Netz-punkten“ (Mensen 2007: 8) mindestens100.000 Flugbewegungen abwickeln, mindes-tens 500.000 Passagiere pro Jahr befördernund standardmäßig über ein Instrumentenlan-desystem (kurz ILS) sowie Flugsicherungs-dienste verfügen (Schulz et al. 2010: 10). DerGroßteil der untersuchten Flughäfen stellt In-formationen und Berichte über die von ihnenverfolgten Ziele und ihr Engagement für einenachhaltige Entwicklung zur Verfügung. Dabeilassen sich beim Vergleich einzelner Flughäfensowohl Unterschiede bei der Quantität derNachhaltigkeitsmaßnahmen als auch beimthematischen Fokus der Flughafenbetreiber,wie z.B. Umweltschutz, der Dialog mit denUmlandgemeinden oder der Erhalt des Flug-hafens als wirtschaftlicher Motor und Impuls-geber für die Region, festhalten. Auf der einenSeite gibt es Gruppen von Flughäfen, die ex-

Sozi

ale

Aspe

kte

Direkte und indirekte Beiträge der Flughäfen zum langfristigen,regionalen und nationalen wirtschaftlichen Wachstum

Bereitstellung von adäquaten Serviceleistungen für Kunden/Passagiere

Beiträge zum Profit beteiligter Unternehmen

Ökol

ogisc

heAs

pekt

eÖk

onom

ische

Aspe

kte

Flughafengebäude mit minimaler ökologischer Auswirkung

Minimaler Ressourcenverbrauch (z.B. bei Baumaterial und fossilen Kraftstoffen)

Minimale Belastung des Ökosystems durch Abfälle, Abwässer und Emissionen

Minimale Beeinträchtigung lokaler und globaler ökologischer Zyklen(Erhaltung der lokalen/regionalen Biodiversität, Reduzierungdes Beitrags zur Erderwärmung)

Sicherung der Lebensqualität der lokalen Gemeinden(Risikoreduzierung von Gesundheitsschäden durch Fluglärmund lokalen Ausstoß von Emissionen)

Gerechte Verteilung der Profite

Rücksichtsvolle Planung der Lenkung des landseitigen Verkehrs

Tab. 1: Aspekte der Nachhaltigkeit an Flughäfen (verändert nach Boons et al. 2010: 305)

Nachhaltigkeit im Luftverkehr |

Page 29: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

29entgrenzt 7/2014

Tabelle zu Abb. 1: Die 49 internationalen europäischen Verkehrsflughäfen (2010)

Passagieraufkommenabsolut65.745.00058.164.61253.009.22149.866.11345.211 .74936.337.05034.721 .60532.143.81931 .342.00029.209.53625.203.96922.878.25122.253.52922.013.02721 .501 .75021 .117.41719.691 .20619.450.00019.123.00719.091 .03618.988.14918.947.80818.562.00018.431 .62517.663.00016.962.41615.303.12715.025.60014.035.27312.962.42912.883.39912.064.52111 .785.52211 .556.85811 .189.6789.849.7799.603.0149.486.0359.460.2929.218.0958.712.3848.594.0008.391 .2818.296.4508.190.0897.979.2287.524.8866.692.3826.405.906

Flughafen

1 . London-Heathrow2. Paris-Roissy3. Frankfurt am Main4. Madrid-Barajas5. Amsterdam6. Rom-Fiumicino7. München8. Istanbul-Atatürk9. London-Gatwick10. Barcelona11 . Paris Orly12. Zürich13. Moskau-Domodedovo14. Antalya15. Kopenhagen16. Palma de Mallorca17. Wien18. Brüssel-Zaventem19. Moskau-Sheremetyevo20. Oslo21 . Düsseldorf22. Mailand-Malpensa23. London-Stansted24. Dublin25. Manchester26. Stockholm-Arlanda27. Athen28. Berlin-Tegel29. Lissabon30. Hamburg31 . Helsinki32. Málaga33. Genf34. Prag35. Istanbul-Sabiha36. Köln/Bonn37. Nizza38. Gran Canaria39. Moskau-Vnukovo40. Stuttgart41 . Warschau42. Edinburgh43. St. Petersburg44. Mailand-Linate45. Budapest46. Lyon47. Marseille48. Kiev49. Toulouse

Flughafengruppe

IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIVVIIIIIIIIIVIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIVIVIIVIVIVIIVIVIVIVIVVIV

Nachhaltig-keitsnachweisAAAAABAAAAAADDAAABDBCBAAABBBABBABBBBBADBCADBBBBDC

| Mathis Trapp

Page 30: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

30 entgrenzt 7/2014

Erläuterungen zur Flughafengruppe:I: Mega-Hubs mit umfassenden NachhaltigkeitsprogrammenII: Große bis mittelgroße Verkehrsflughäfen/Hubs mit Fokus auf Nachhaltigkeit einschließlich des Sonderfalls derinternationalen britischen Verkehrsflughäfen,III: Große bis mittelgroße Verkehrsflughäfen/Hubs mit Fokus auf Umweltschutz und ÖkoeffizienzIV: Kleinere Verkehrsflughäfen mit Fokus auf Umweltschutz und ÖkoeffizienzV: Verkehrsflughäfen ohne vorhandene bzw. ohne erkennbare Konzepte oder ohne weitere zielgerichteteInformationenNachhaltigkeitsnachweis:A: Der Flughafen veröffentlicht Nachhaltigkeitsberichte, die über die am Flughafen umgesetzten oder geplantenNachhaltigkeitsstrategien und -maßnahmen informieren und Aufschluss über die allgemeine Performance desFlughafens gibt. Umweltberichte sind dabei eingeschlossen.B: Der Flughafen veröffentlicht Umweltberichte, die über das Engagement des Flughafens im Bereich Umweltschutzund die Performance des Flughafens Aufschluss geben.C: Der Flughafen veröffentlicht anscheinend keine Nachhaltigkeits- oder Umweltberichte, führt aber einzelneMaßnahmen zu einer nachhaltigen Entwicklung und/oder im Umweltschutz durch.D: Der Flughafen veröffentlicht anscheinend keine Nachhaltigkeits- oder Umweltberichte und veröffentlicht zudemkeine zielgerichteten Informationen zur Nachhaltigkeit oder zum Umweltschutz.

Quellen zum Passagieraufkommen: Siehe Literaturverzeichnis.

plizit ein Programm der Nachhaltigkeit verfol-gen und in einem integrierten Ansatz die dreiSäulen der Nachhaltigkeit berücksichtigen.Andere Flughäfen stützen sich hingegen einzigauf Berichte über ihre Umweltperformance,was nicht als hinreichendes Kriterium geltenkann, um einen Flughafen als nachhaltig zubezeichnen (IATA 2011 : Abs. 10). Einige Flug-häfen beziehen allerdings durchaus Aspekteder Nachhaltigkeit in ihren Umweltberichten

mit ein, ohne diese gesondert als nachhaltigzu deklarieren. Insgesamt baut die hier vorge-nommene Kategorisierung auf der Prämisseauf, dass Flughäfen nur dann konkrete Infor-mationen und Berichte veröffentlichen bzw.zugänglich machen, wenn sie auch entspre-chende Programme zur Nachhaltigkeit oderzum Umweltmanagement betreiben.Diesen methodischen Vorüberlegungen ent-

sprechend lassen sich fünf Gruppen interna-

Tabelle zu Abb. 1: Die 49 internationalen europäischen Verkehrsflughäfen (2010)

Nachhaltigkeit im Luftverkehr |

Page 31: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

31entgrenzt 7/2014

tionaler europäischer Verkehrsflughäfen in Be-zug auf ihre Konzepte der Nachhaltigkeit zu-sammenfassen (vgl. Abb. 1 ).1 . Die europäischen Mega-Hubs mit meist

über 50 Millionen Passagieren jährlich (z.B.London-Heathrow, Paris-Roissy, Frankfurt amMain und Amsterdam), die aufgrund ihrerherausragenden ökonomischen Bedeutung, ih-rer Pionierfunktion und entsprechender Res-sourcen umfassende und differenzierte Nach-haltigkeitsprogramme verfolgen. Diese Pro-gramme sind meist Teil einer übergeordnetenUnternehmensstrategie, mit der sich die Flug-häfen sowohl im globalen Wettbewerb um einhöheres Passagier- und Frachtaufkommen alszukunftsorientierte Unternehmen positionie-ren als auch ein harmonisches bzw. produkti-ves Verhältnis mit der Bevölkerung, Politikund Wirtschaft im direkten Flughafenumfeldherstellen wollen. Dieses Auftreten als verant-wortlicher Partner, der sich auch den Interes-sen regionaler Stakeholder widmet, ist dabeiwohl auch eine Reaktion der Flughafenbetrei-ber auf besondere politische Rahmenbedin-gungen, die an den Standorten vorherrschen.2. Große bis mittelgroße Verkehrsflughä-

fen/Hubs im Größenbereich zwischen 20 und40 Millionen Passieren jährlich, die sich ähn-lich intensiv wie die Mega-Hubs einer nach-haltigen Entwicklung ihrer Standorte widmen(z.B. Madrid-Barajas, München, Zürich undKopenhagen einschließlich des Sonderfalls derinternationalen britischen Verkehrsflughäfen).Das Engagement dieser Flughafengruppe füreine nachhaltige Entwicklung ist besondershervorzuheben, weil die Betreiber trotz gerin-gerer monetärer und Humankapitel-Ressour-cen sowie einer geringeren Vernetzung imKontext der globalen Luftfahrt meist ganzheit-liche Ansätze verfolgen, die auf die Harmoni-sierung ökonomischer, ökologischer und so-zialer Interessen am Standort und im Flugha-fenumfeld abzielen.3. Große bis mittelgroße Verkehrsflughä-

fen/Hubs im Größenbereich zwischen 20 und40 Millionen Passieren jährlich, die zwarNachhaltigkeitsstrategien verfolgen, sich je-doch auf rein ökologische Aspekte konzentrie-ren (z.B. Barcelona, Brüssel-Zaventem und Os-lo). Dazu zählen zum Beispiel Maßnahmenzum Umweltschutz und zur Steigerung derÖkoeffizienz. Aufgrund ihrer speziellen geo-graphischen Lage und naturräumlichen Aus-stattung stellt der Flughafenbetrieb an einigenOrten eine erhebliche ökologische Belastung

im direkten Flughafenumfeld dar. Flughafen-betreiber konzentrieren sich daher darauf, vonihren Standorten ausgehende negative Um-welt-Auswirkungen zu begrenzen bzw. mitentsprechenden Nachhaltigkeitsmaßnahmeneinen ökologischen Ausgleich zu leisten.4. Ergänzend zu Gruppe 3 kleinere Ver-

kehrsflughäfen mit bis zu 15 Millionen Passa-gieren jährlich, die ebenfalls einen Fokus aufUmweltschutz und Ökoeffizienz legen (z.B.Genf, Köln/Bonn und Marseille).5. Verkehrsflughäfen verschiedener Größe

ohne vorhandene bzw. ohne erkennbare Kon-zepte oder ohne weitere zielgerichtete Infor-mationen (z.B. die Moskauer Flughäfen, St.Petersburg und Kiew). Grund hierfür könnenmöglicherweise fehlende politische Regularienbzw. fehlender gesellschaftlicher und politi-scher Druck auf nationaler bzw. lokaler Ebenesein, die eine nachhaltige Entwicklung forcie-ren würden. Möglicherweise befinden sichaber auch einzelne Nachhaltigkeitsstrategienund -maßnahmen im Aufbau, die künftig imFlughafenbetrieb implementiert werden undbis dato noch nicht öffentlich gemacht wur-den.Die Einteilung baut grundsätzlich auf der

Erwartung auf, dass in erster Linie die Größeund damit auch die geographische Lage vonFlughäfen in Europa (über 75  % der interna-tionalen Flughäfen befinden sich in West- undMitteleuropa, darunter alle europäischen Me-ga-Hubs) ausschlaggebend sind für das allge-meine Engagement von Flughäfen und Unter-schiede bei praktizierten Nachhaltigkeitskon-zepten. Eine vergleichende Untersuchung be-stätigt, dass bei der Entwicklung undDurchsetzung von Nachhaltigkeitskonzeptenan den einzelnen Flughafenstandorten einWest-Ost-Gefälle besteht bzw. dass größereund „westlichere“ Flughäfen das Thema Nach-haltigkeit anscheinend systematischer bear-beiten. Als zentraler Indikator dient dabei derNachweis, inwieweit und in welchem Umfangdie Flughäfen Konzepte der ökologischen,ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit öf-fentlich vertreten und hinsichtlich ihrer Per-formance z.B. in Form von Berichten über-prüfbar machen. Diesem Indikator entspre-chend lassen sich die Flughäfen in vier ver-schiedene Kategorien einteilen (vgl. Abb. 1 ):A: Der Flughafen veröffentlicht integrierte

Nachhaltigkeitsberichte, die über die am Flug-hafen umgesetzten oder geplanten Nachhal-tigkeitsstrategien und -maßnahmen informie-

| Mathis Trapp

Page 32: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

32 entgrenzt 7/2014

ren und Aufschluss über die allgemeine Per-formance des Flughafens gibt. Die Nachhaltig-keitsberichte beziehen in einer ausgewogenenArt und Weise Aspekte aller drei Säulen einernachhaltigen Entwicklung ein.B: Der Flughafen konzentriert sich auf

Aspekte einer ökologischen Nachhaltigkeitund veröffentlicht in erster Linie reine Um-weltberichte, die über das Engagement desFlughafens im Bereich Umweltschutz und dieentsprechende Performance des FlughafensAufschluss geben.C: Der Flughafen veröffentlicht anscheinend

keine Nachhaltigkeits- oder Umweltberichte,führt aber einzelne Maßnahmen zu einernachhaltigen Entwicklung und/oder im Um-weltschutz durch.D: Der Flughafen veröffentlicht anscheinend

keine Nachhaltigkeits- oder Umweltberichteund veröffentlicht zudem keine zielgerichtetenInformationen zur Nachhaltigkeit oder zumUmweltschutz.Im Folgenden sollen die oben beschriebe-

nen Flughafengruppen genauer beleuchtetwerden und entsprechende Nachhaltigkeits-konzepte und -maßnahmen der Flughafenbe-treiber vorgestellt werden.

3.2.1 Mega-Hubs

Aufgrund ihrer überregionalen wie globalenherausragenden ökonomischen Bedeutungscheint es sinnvoll, die europäischen Mega-Hubs bei der Betrachtung von Konzepten derNachhaltigkeit als besondere Gruppe zusam-menzufassen. Im regionalen wie globalenWettbewerb um das höchste Passagier- undFrachtaufkommen müssen die Flughäfen imRahmen ihrer individuellen Wachstumsstrate-gie flexibel auf den Markt reagieren und eineVorreiterrolle z.B. bei innovativen, effizientenoder besonders ökologischen Betriebsprozes-sen und -strukturen einnehmen. Die Flughäfenübernehmen häufig eine Pionierfunktion we-gen ihrer Entwicklung und Anwendung neuerTechnologien und der Vermarktung und Wei-tergabe von Knowhow. Die angestrebte wach-sende Ausrichtung der Flughafenbetreiber aufeine nachhaltige Entwicklung kann aber auchlangfristig zu Kostenersparnissen führen, weilForderungen lokaler und regionaler Stakehol-der nach einer Kompensation für verursachteSchäden durch Flughäfen zunehmen. Kern derbreitgefächerten Programme bilden zumeisteigens gesetzte Ziele und Richtlinien, die über

jährliche Nachhaltigkeitsberichte öffentlichkommuniziert und auf ihre Umsetzung hinüberprüft werden. So verfügt der fünftgrößteFlughafen Europas, Amsterdam-Schiphol, imRahmen seiner Unternehmensstrategie Corpo-rate Responsibility (Schiphol Group 2011)über eine Think Tank-Plattform namens the-GROUNDS, mit deren Hilfe der Flughafen eineführende Rolle bei der Entwicklung nachhalti-ger Technologien übernehmen will. Bei derSteigerung ihrer Ökoeffizienz, d.h. der Opti-mierung des Verhältnisses zwischen dem Preiseines Produkts und seinen monetär bewertetenUmweltauswirkungen (Kramer 2010: 184),sind die Flughafenbetreiber bestrebt, den ge-samten Energieverbrauch zu senken, z.B.durch den Einsatz von stromsparenden LED-Lampen zur Beleuchtung der Vorfelder undPisten. Im Jahr 2020 will der Flughafen 20%seines Energiebedarfs z.B. durch Solarstromselbst decken (Schiphol Group 2011 : 3). Diessoll auch durch den Bau energetisch autarkerund ressourcenschonender Gebäude geleistetwerden. Ein weiteres ökologisch sensiblesThema bei Flughäfen ist der durch die Flugbe-wegungen induzierte Lärm und Ausstoß vonEmissionen. So fordert der größte europäischeFlughafen, London-Heathrow, höhere Lande-gebühren für bestimmte Flugzeugtypen bis hinzum vollständigen Landeverbot einzelnerFlugzeugtypen. Eine weitere Entlastung leistetHeathrow mit dem Einsatz alternativer An-und Abflugverfahren und -routen. So alternie-ren die Flughafenbetreiber halbtäglich die Pis-tenkonstellation für Flugzeugstarts und -lan-dungen (Heathrow Airport o.J.). Als zusätzli-che technologische Maßnahmen bietet Hea-throw alternative Stromquellen für dieFlugzeuge am Boden. Die Stromversorgungleisteten bislang zum Großteil lärmverursa-chende Hilfstriebwerke am Heck der Flugzeu-ge. In Heathrow können bereits 90 % derFlugzeuge am Boden eine alternative Strom-versorgung sowie Klimatisierung nutzen.Einen wesentlichen Beitrag zur Entschärfungder Fluglärm-Problematik leisten die Flugha-fenbetreiber mittels regelmäßiger Mediations-gespräche mit den Anwohnern des Flughafens,bei denen auch finanzielle Entschädigungenund Kompensationen erörtert werden. Diegroßen internationalen Verkehrsflughäfenstellen einen Motor für die wirtschaftlicheEntwicklung ihrer Region dar. Durch die neu-artige kommerzielle und marktorientierteAusrichtung konnten bereits hohe Profite er-

Nachhaltigkeit im Luftverkehr |

Page 33: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

33entgrenzt 7/2014

zielt werden, die weitere Investitionen in dieInfrastruktur des Flughafens ermöglichten(Forsyth et al. 2004: xiii). Zahlreiche Groß-flughäfen haben sich bereits zu so genanntenAirport Cities entwickelt. Dieser Begriff be-zieht sich sowohl auf ihr neuartiges urbanesErscheinungsbild als auch auf die Neuausrich-tung hin zu einem multifunktionalen Standort(Schulz et al. 2011 : 83). So hat sich der Flug-hafen Frankfurt mit dem 2009 fertiggestellten„Airrail Center mit einem „Nutzungsmix ausBüro und Dienstleistungen […] Gastronomie,Messen und Ausstellungen, Tagungen undKongresse, Wissenschaft und Forschung […]sowie Freizeit und Entertainment“ (ebd. : 82)ein wirtschaftliches Standbein jenseits der Ab-wicklung des Luftverkehrs geschaffen. Die Di-versifizierung der Angebotsstruktur stärkt dieWettbewerbsfähigkeit nachhaltig und schafftweitere Wachstumsoptionen. Außerdem wirdso eine Reihe von indirekten Arbeitsplätzen imUmland geschaffen und weitere induzierte Ar-beitsplätze entstehen durch die steigende Be-schäftigung und die Erhöhung des Gesamtein-kommens in der Flughafenregion (Schulz et al.2011 : 223). Der Flughafen Heathrow ist mit76.500 Beschäftigten der größte Arbeitgeberin Großbritannien und fast 50  % der Beschäf-tigten des Flughafens wohnen in den umlie-genden Gemeinden (Heathrow Airport2010a:   2). Um den zukünftigen Bedarf qualifi-zierter Arbeitskräfte zu sichern, geht der Flug-hafenbetreiber gezielt auf die Bevölkerung imFlughafenumfeld zu, um zum Beispiel anSchulen über Jobangebote und Karrieremög-lichkeiten in Heathrow zu informieren. Dabeisollen beispielsweise mit Hilfe von Workshopsund Wettbewerben insbesondere junge Men-schen angesprochen werden (Heathrow Air-port 2010a: 4). Es bleibt zusammenfassendfestzuhalten, dass die europäischen Mega-Hubs und insbesondere die hier beschriebenenFlughäfen Amsterdam und London-Heathroweine Vorreiterrolle in Sachen Nachhaltigkeiteinnehmen. Dabei zeigt vor allem die Koope-ration mit lokalen und regionalen Stakehol-dern, wie stark die Flughäfen um das Imageeines verantwortungsbewussten Partners be-müht und bereit sind, dafür entsprechendnachhaltige Investitionen insbesondere im so-zialen und ökologischen Bereich zu tätigen.

3.2.2 Große bis mittelgroße Verkehrsflughäfen/Hubs mitFokus auf Nachhaltigkeit einschließlich des Sonderfallsder internationalen britischen Verkehrsflughäfen

Neben den Mega-Hubs gibt es eine Reihegroßer bis mittelgroßer europäischer Ver-kehrsflughäfen, die verschiedene Konzepte derNachhaltigkeit entwickelt und größtenteils inihr Unternehmensprofil integriert haben. Soverfolgt der Flughafen München seit dem Jahr2010 ein „Strategisches Nachhaltigkeitspro-gramm“ (Flughafen München 2010:164), dasin Form einer Agenda bis zum Jahr 2015 ver-schiedene Aspekte der nachhaltigen Unter-nehmensführung, des Klima- und Umwelt-schutzes sowie der gesellschaftlichen Verant-wortung in seine Unternehmenskonzeptionmit einbezieht. Der Flughafen veröffentlichteeinen integrierten Nachhaltigkeits- und Ge-schäftsbericht, der auf den weltweit aner-kannten Richtlinien der Global Reporting In-itiative beruht und große Resonanz gefundenhat. Die Richtlinien wurden in 60 Ländern voneinem Netz aus Vertretern von Wirtschaft, Ge-sellschaft und anderen Institutionen erarbeitetund werden ständig aktualisiert (Global Re-porting Initiative o.J. : Abs. 3). Ebenso wie denFlughäfen London-Heathrow, Manchester,Amsterdam und Zürich wurde dem FlughafenMünchen im Rahmen der europaweiten Air-port Carbon Accreditation ein effektives undnachhaltiges Vorgehen zur Verminderung derEmissionen attestiert (Flughafen München2010: 70); als erster deutscher Flughafen wirder in die höchste Kategorie „Optimisation“eingestuft. Das aktive Umweltmanagement desFlughafens äußert sich auch in der Zusam-menarbeit mit lokalen Verbänden zur Siche-rung der Biodiversität im Flughafenumfeld(Flughafen München 2010: 85). Der MünchnerFlughafen ist auf einen Ausbau seiner Infra-struktur angewiesen, um langfristig die nöti-gen Kapazitäten für ein wachsendes Passagier-aufkommen zu schaffen. Für einen konstrukti-ven Dialog zwischen den Flughafenbetreibernund Flughafenregion zur Unterstützung desgesellschaftlichen Engagements wurde imSeptember 2005 ein Nachbarschaftsbeirat ein-gerichtet. Dialogforen zur Verbesserung derKommunikation zwischen Flughafen und Um-land und zur Diskussion von Ausbauvorhabenund Störungen des Umlandes durch den Flug-hafenbetrieb spielen auch bei der Nachhaltig-keitsphilosophie der internationalen britischenVerkehrsflughäfen eine entscheidende Rolle.

| Mathis Trapp

Page 34: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

34 entgrenzt 7/2014

Die Flughäfen London-Gatwick und London-Stansted, Dublin, Manchester und Edinburghverfolgen allesamt Nachhaltigkeitsprogramme,die auf die Minderung und Kompensation dernegativen gesellschaftlichen und ökologischenEinflüsse der Flughäfen abzielen. So nennt derzweitgrößte Flughafen Großbritanniens, Lon-don-Gatwick, die Community und ihre Bedeu-tung für die nachhaltige Entwicklung desFlughafens an erster Stelle der Nachhaltig-keitsstrategie des Flughafens (Gatwick AirportLimited 2011). Der Flughafen London-Stans-ted unterhält einen Community Trust Fund fürgemeinnützige Zwecke und zur Verbesserungdes sozialen, ökonomischen und ökologischenWohlergehens der Flughafengemeinde (BAAAirports Limited o.J.a: Abs.1 ). Die internatio-nalen britischen Verkehrsflughäfen lassen sichinsofern als eigenständige Gruppe betrachten,da sie trotz der sehr unterschiedlichen Grö-ßenverhältnisse – der Flughafen London-Hea-throw beispielsweise ist mit 65,7 MillionenPassagieren der größte Flughafen Europas,während der kleinste internationale britischeFlughafen in der schottischen HauptstadtEdinburgh lediglich 8,6 Millionen Passagierezählt – ohne Ausnahme transparente individu-elle Nachhaltigkeitsstrategien verfolgen. Dabeiwerden gleich vier der internationalen Flughä-fen, London-Heathrow, Stansted, Glasgow undEdinburgh von der British Airports Authority(BAA) betrieben. Das Unternehmen verfolgteine Nachhaltigkeitsstrategie, die sich an einerim Jahr 2003 von der britischen Regierungveröffentlichten Gesetzesvorlage zur Zukunftder Luftfahrt in Großbritannien orientiert.Zentraler Bestandteil dieser Gesetzesvorlageist ein integrierter Ansatz, der eine umwelt-schonende Balance zwischen einer produkti-ven Wirtschaft und einer gerechten und ge-sunden Gesellschaft anstrebt (BAA Airport Li-mited o.J.b: Abs.1 ff.). Insgesamt scheinen be-sonders die ökologischen und sozialen Aspekte– zumindest was ihren inhaltlichen Umfang inden jeweiligen Nachhaltigkeitsberichten be-trifft – im Fokus der Nachhaltigkeitsstrategienbritischer Verkehrsflughäfen zu stehen (Gat-wick Airport Limited 2011 , Edinburgh Airport2011 , Dublin Airport Authority 2011 ). Dieslässt sich vermutlich darauf zurückführen,dass die globalen und lokalen ökologischenEffekte der Luftfahrt angesichts der zuneh-menden Mobilität stärker sichtbar werden undsomit auch in den Blickpunkt des öffentlichenInteresses geraten (Schulz et al. 2011 : 231 ).

Engagiert sich ein Flughafen für die Umwelt,so leistet er in den meisten Fällen auch einenBeitrag zum Schutz der ortsansässigen Bevöl-kerung, z.B. vor Lärmbelästigung, Luftver-schmutzung und Gewässerverunreinigung.Weil besonders Bürgerproteste gegen Neu-,Um- und Ausbauten von Flughäfen geplanteBauvorhaben verzögern oder gar verhindernkönnen, müssen die Flughafenbetreiber denrücksichtsvollen Dialog mit Anwohnern, Inter-essengruppen und der Politik pflegen. Auchdie internationalen spanischen Verkehrs-flughäfen werden von einem gemeinsamenMutterunternehmen, der Aeropuertos Españo-les y Navegación Aérea (AENA) betrieben, dassich für verschiedene Aspekte der Nachhaltig-keit einsetzt. Besonders hervorzuheben ist dieArbeit der AENA an Satellitennavigationspro-jekten im Rahmen der European Single Sky-Programms. Das Projekt soll die Kontrolle deseuropäischen Luftraumes neu organisieren,damit der wachsende Luftverkehr zukünftigsicher und effizient abgewickelt werden kann(European Commission Mobility and Trans-port 2011 : Abs 1 .). Die AENA legen in diesemZusammenhang einen besonderen Wert aufdie Verbesserung der Effizienz von Planungs-und Managementprozessen im Flughafenbe-trieb (Aena 2010b: 35ff.).

3.2.3 Große bis mittelgroße Verkehrsflughäfen/Hubs mitFokus auf Umweltschutz und Ökoeffizienz

Zahlreiche Verkehrsflughäfen scheinen eineher eingleisiges Engagement zur Reduzierungder von ihnen ausgehenden umweltschädigen-den Einflüsse gegenüber einem integrativenAnsatz zu einer nachhaltigen Entwicklung zufavorisieren. Dabei kann jedoch der Schwer-punkt auf ökologischen Belangen durchausden Ausgangspunkt für ein zukünftiges umfas-sendes Nachhaltigkeitsprogramm bilden. DieseFlughäfen konzentrieren sich in den meistenFällen auf Kontrolle und Reduzierung der vonihnen ausgehenden Emissionsmengen. Zu demhohen Anteil an Kohlenmonoxid- und CO2-Emissionen, der u.a. durch den hohen Ener-gieverbrauch der Terminals, den landseitigenVerkehr und während der Rollzeiten des Flug-zeugs am Boden, dem Taxiing, verursachtwird, kommt auch der Ausstoß klimaschädi-gender Treibhausgase. So produzieren Flug-zeugtriebwerke in der Start- und Steigflugpha-se große Mengen an Stickoxidemissionen. DerFlughafen Athen hat im Jahr 2008 einen Cli-

Nachhaltigkeit im Luftverkehr |

Page 35: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

35entgrenzt 7/2014

mate Change Corporate Action Plan erarbeitetund umgesetzt. Kernpunkte der Agenda warender Einsatz umweltfreundlicherer Energieträ-ger wie Naturgas, der Bau energieeffizientererGebäude sowie der Ausbau des öffentlichenNahverkehrs zur Reduzierung des Anteils desmotorisierten Individualverkehrs (Environ-mental Services Department of Athens Inter-national Airport S.A. 2010: 16). Nach Anga-ben der Betreiber konnten diese Maßnahmenden jährlichen CO2-Ausstoß des Flughafensum mehrere tausend Tonnen senken (Environ-mental Services Department of Athens Inter-national Airport S.A. 2010: 18). Aufgrund derhohen sommerlichen Aridität am Flughafen-standort legen die Athener Flughafenbetreiberbesonderen Wert auf einen geringen Wasser-verbrauch und sie versuchen, Verunreinigungvon Oberflächen- und Grundwasser so geringwie möglich zu halten. Hierzu führt der Flug-hafen regelmäßige Messungen der Wasserqua-lität am Standort durch (Environmental Ser-vices Department of Athens International Air-port S.A. 2010: 20). Seit 2009 verfügt derFlughafen zudem über eine Kläranlage zurReinigung der von den Flugzeugen ausgehen-den Abwässer. Das behandelte Abwasser wirdspäter zur Bewässerung von Grünflächen amFlughafen verwendet (Environmental ServicesDepartment of Athens International AirportS.A. 2010: 21 ). Als weiteres Beispiel für einenmittelgroßen internationalen europäischenVerkehrsflughafen, der sich weniger auf eineökonomisch und sozial nachhaltige Entwick-lung als auf konkrete Maßnahmen zum Um-weltschutz und die Steigerung seiner Ökoeffi-zienz konzentriert, kann der Flughafen Oslogelten. Im Blickwinkel des Umweltmanage-ments des Flughafens steht die Reduzierungvon Fluglärm, Emissionen, Abfällen und desgesamten Energieverbrauchs, sowie der Schutzvon Klima, Luftqualität und natürlichen Res-sourcen im Flughafenumfeld (Oslo Lufthavn2010: 4). Aufgrund der klimatischen Gegeben-heiten muss der Flughafen in den Wintermo-naten regelmäßig große Mengen an Entei-sungsmitteln einsetzen, um einen sicherenFlugbetrieb zu gewährleisten. Ein bewussterUmgang mit den umweltschädlichen Entei-sungsmitteln wird deshalb angestrebt. Dabeisetzen die Flughafenbetreiber ausschließlichein Enteisungsmittel ein, das als das umwelt-freundlichste auf dem Markt gilt und als nicht-toxisch für die Umwelt eingestuft wird (OsloLufthavn o.J. : Abs. 2). Außerdem werden ca.

80% der verwendeten Flüssigkeit mithilfe spe-zieller Auffangbecken gesammelt und wieder-aufbereitet (Oslo Lufthavn o.J. : Abs. 4). Dieseökologisch nachhaltige Maßnahme ist beson-ders aus dem Grund nötig, weil sich der Flug-hafen Oslo über dem größten Grundwasserre-servoir Norwegens befindet (Science Daily2011 : Abs.7).

3.2.4 Kleinere Verkehrsflughäfen mit Fokus auf Umwelt-schutz und Ökoeffizienz

Neben den großen bis mittelgroßen interna-tionalen europäischen Verkehrsflughäfen en-gagiert sich auch eine Gruppe kleinerer Flug-häfen für den Schutz von Umwelt und natürli-chen Ressourcen. Das Engagement konzen-triert sich dabei größtenteils auf einzelneAspekte des Umweltschutzes. So legt der Flug-hafen Köln-Bonn einen besonderen Wert aufden Umweltschutz im Flughafenumfeld, weilsich der Flughafen in unmittelbarer Nähe zudem Naturschutzgebiet der Wahner Heide be-findet. Die Betreiber sehen sich in der Verant-wortung, durch nachhaltige Landschaftspfle-geprojekte die Kulturlandschaft und Arten-vielfalt des Gebietes zu erhalten (FlughafenKöln/Bonn 2011 : 30). Der Flughafen ist ge-setzlich dazu verpflichtet, entsprechend seinerEingriffe in die Umwelt einen ökologischenAusgleich z.B. durch die Renaturierung vonMooren und die Beweidung von Heideflächenzu leisten (Flughafen Köln/Bonn 2011 : 34ff.).Der Flughafen Toulouse zeigt, dass auch

kleinere internationale Verkehrsflughäfen, diemöglicherweise nicht über das nötigeKnowhow oder die erforderlichen Ressourcenfür ein integratives Nachhaltigkeitsmanage-ment verfügen, zumindest ein zielführendesund transparentes Umweltprogramm betrei-ben können, das auch ohne jährlich erschei-nende Berichte öffentlich kommuniziert wird.Wie andere Flughäfen, die sich im Umwelt-schutz engagieren, erfüllt er die weltweit an-erkannten Standards der ISO 14000. DieseRichtlinien erfordern, dass ein Unternehmenim Rahmen eines Umweltmanagementsystemsdie eigenen Umwelteinflüsse identifiziert undkontrolliert und die Umweltperformancedurch die Formulierung von Umweltzielenverbessert (International Organization forStandardization 2011a: Abs. 1 ff.). Um die ge-setzten Ziele im Umweltschutz zu erreichen,haben die Betreiber des Toulouser Flughafenseine Umweltcharta mit fünf Punkten aufge-

| Mathis Trapp

Page 36: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

36 entgrenzt 7/2014

stellt, in deren Zentrum die Evaluation, Kon-trolle und Reduzierung von Fluglärm stehen(Airport Toulouse-Blagnac o.J.a: Abs. 1 ff.).Weitere Punkte widmen sich der Entwicklungeines Umweltmanagementsystems, der Inten-sivierung des Dialogs mit der lokalen Bevölke-rung durch die regelmäßige Veröffentlichungeines Newsletters (Airport Toulouse-Blagnaco.J.a: Abs.4f.) und der Etablierung eines Infor-mationszentrums zur nachhaltigen Entwick-lung innerhalb des Flughafens (Airport Tou-louse-Blagnac o.J.b: Abs. 5). Das Engagementdes Flughafens Toulouse macht deutlich, dasssich der Flughafen zurzeit noch in der Aufbau-phase von Nachhaltigkeitskonzepten befindet.Festzuhalten bleibt jedoch, dass auch die klei-neren internationalen europäischen Flughäfen,die nicht auf die gleichen Ressourcen wie dieGroßflughäfen und Hubs zurückgreifen kön-nen, einzelne Schritte hin zu mehr Nachhaltig-keit vornehmen und im engen Dialog mit ver-schiedenen Akteuren innovative Projekte um-setzen können.

3.2.5 Verkehrsflughäfen ohne vorhandene bzw. ohne er-kennbare Konzepte oder ohne weitere zielgerichtete Infor-mationen

Neben den internationalen europäischen Ver-kehrsflughäfen, die umfassende Konzepte derNachhaltigkeit verfolgen oder sich besondersauf den Umweltschutz konzentrieren, findensich auch einige Flughäfen, die keine oder kei-ne klar erkennbaren Maßnahmen nachhaltigerEntwicklung ihres Standortes ergreifen bzw.diese nicht veröffentlichen. Zu dieser Gruppezählen beispielsweise die drei Moskauer Flug-häfen Domodedovo, Sheremetyevo und Vnu-kovo, sowie die Flughäfen St. Petersburg undKiew. Der größte Verkehrsflughafen Russ-lands, Moskau-Domodedovo, gilt laut eigenenAngaben als der modernste Flughafen Russ-lands (Moscow Domodedovo Airport 2011a:Abs. 2); sein Engagement in der Frage derNachhaltigkeit beschränkt sich jedoch auf dieDurchsetzung des Qualitätsstandards ISO9001 :2000 der International Organization forStandardization (Moscow Domodedovo Air-port 2011b: Abs. 28), der auf Maßnahmen zurSteigerung der Kundenzufriedenheit abzielt(International Organization for Standardizati-on 2011b: Abs. 1 ff.). Über eventuelle Konzep-te der Nachhaltigkeit an den anderen zweiMoskauer Flughäfen sowie am Flughafen Kiewfinden sich keine erkennbar zielgerichteten In-

formationen. Der Flughafen St. Petersburg be-nennt lediglich einige Absichten und Ziele imBereich des Umweltschutzes (Northern CapitalGateway 2011a: Abs.1 ff.) und des Personal-managements (Northern Capital Gateway2011b: Abs.1 ff.), ohne jedoch konkrete Maß-nahmen zu deren Umsetzung zu ergreifen.Auch der türkische Flughafen Antalya, der imletzten Jahr über 25 Millionen Passagiere ab-fertigte, verfolgt scheinbar keine ernsthaftenMaßnahmen zu einer nachhaltigen Entwick-lung. Das verwundert besonders aus demGrund, weil die Betreibergesellschaft desFlughafens, ICF Airports, zu einem der größ-ten Flughafenbetreiber in der Türkei zählt(ICF Airports 2011a: Abs. 1 ) und die drei Ter-minals am Flughafen Antalya in Kooperationmit der Fraport AG, die weltmarktführend imBereich Airport-Management ist, betreibt (ICFAirports 2011b: Abs.1 ff.).Abschließend sollte an dieser Stelle betont

werden, dass die Entwicklungsmöglichkeitenbesonders im Zeitalter eines liberalisiertenLuftverkehrs oftmals von regionalen bzw.kommunalen politischen und wirtschaftlichenInteressen beeinflusst werden. So wird der Bauund Betrieb besonders kleinerer regionalerFlughäfen häufig politisch forciert, um ent-sprechende regionalökonomische Ziele, wiedie Wirtschaftsansiedlung und Schaffung vonArbeitsplätzen, voranzutreiben. Eine solcheEntwicklung mag unter ökonomischen und so-zialen Gesichtspunkten sinnvoll bzw. nachhal-tig erscheinen, auch wenn sie die lokalen undregionalen ökologischen Auswirkungen derFlughafenstandorte meist außer Acht lässt.

4 Fazit und Ausblick

Trotz fehlender politischer Richtlinien, die miteinem übergreifenden Konzept die nötige Ori-entierung schaffen könnten, leisten zahlreicheinternationale europäische Verkehrsflughäfeneinen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklungihrer Standorte. Nachhaltigkeit an Flughäfenbedeutet, sich der ökonomischen, ökologi-schen und sozialen Strukturen und Prozessebewusst zu werden, die am Flughafen selbstvorherrschen und durch den Flughafen imUmland geschaffen und ausgelöst werden. Siezielt vor allem auf neue Betriebsstrukturenund -prozesse ab, die ökonomisch zukunftsfä-hig, sozialverträglich sowie umwelt- und res-sourcenschonend zugleich sind und die lang-fristigen Wachstumsperspektiven des Flugha-

Nachhaltigkeit im Luftverkehr |

Page 37: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

37entgrenzt 7/2014

fens erhalten. Insgesamt stellt die im Rahmendieses Artikels vorgenommene Kategorisierungeinen ersten explorativen Versuch dar, Aspek-te der Nachhaltigkeit von Flughäfen zu syste-matisieren und hinsichtlich des entsprechen-den Engagements von Flughäfen in Teilen ver-gleichbar zu machen. Dabei wird deutlich,dass die größeren „westlichen“ Flughäfen Eu-ropas das Thema Nachhaltigkeit systemati-scher behandeln und Themen der ökologi-schen, ökonomischen und sozialen Nachhal-tigkeit in ihre Unternehmensstrategie und Ma-nagementprozesse integrieren. So verfügen diewest- und mitteleuropäischen Mega-Hubs überdas nötige Kapital und Knowhow, um Nach-haltigkeitsmaßnahmen an ihren Standortendurchzuführen und sich als innovative und zu-kunftsorientierte Standorte zu positionieren,die sich ihrer besonderen Verantwortung alsDienstleister, Wirtschaftsstandort und Arbeit-geber einerseits bewusst sind, aber anderer-seits auch den Schutz von Natur und Bevölke-rung berücksichtigen müssen. In diesem Zu-sammenhang weisen auch mittelgroße undkleinere Flughäfen das Potential für einenachhaltige Entwicklung auf; allerdings sindihre Entwicklungsmöglichkeiten oftmals auf-grund fehlender Ressourcen begrenzt oderdurch unterschiedliche regionale bzw. kom-munale politische und wirtschaftliche Interes-sen behindert. Bislang stellt die europäischePolitik kein einheitliches oder gar verbindli-ches Konzept zum Management von Nachhal-tigkeit an den europäischen Verkehrsflughä-fen, das Flughafenbetreibern als Richtliniedienen könnte. Somit fehlt einerseits insbeson-dere budgetschwachen kleineren Flughäfendie nötige Orientierung, um ein Nachhaltig-keitskonzept zu etablieren, andererseits er-schwert das Fehlen objektiver Maßstäbe zurMessung der Nachhaltigkeits-Performance dieBeurteilung eines Flughafens als nachhaltigoder nicht nachhaltig. Das bedeutet auch, dasssich Flughäfen im Rahmen ihrer Vermark-tungsstrategie als nachhaltig bezeichnen kön-nen, ohne bestimmte Leistungen in diesem Be-reich zu erbringen bzw. erbringen zu müssen.Die Frage eines adäquaten Managements vonNachhaltigkeit an Flughäfen, d.h. die konkreteUmsetzung und Evaluation der einzelnenMaßnahmen und Strategien lässt sich auf-grund der beschriebenen Informationslagenicht beantworten. Wünschenswert wäre einEvaluierungsmodell, das die infrastrukturel-len, technologischen und betriebswirtschaftli-

chen Maßnahmen eines auf den jeweiligenFlughafen zugeschnittenen Programms erfasstund in ein Vergleichsraster setzt. Für einenglobal vernetzten und exportorientierten Wirt-schaftsraum wie Europa ist der Luftverkehrvon entscheidender Bedeutung. Eine Ein-schränkung des Luftverkehrswachstums hättedamit auch Einfluss auf die wirtschaftlicheEntwicklung des gesamten Wirtschaftsraumes.Den ökonomischen Interessen gegenüber stehtauf regionaler und lokaler Ebene zunehmenddie Forderung von Bürgern und Interessen-gruppen nach mehr Nachhaltigkeit beimSchutz von Mensch und Umwelt. Mehr Ökoef-fizienz durch den Erhalt von Lebensraum undeinen sparsamen Umgang mit fossilen Ener-gieträgern und umweltschädigenden Stoffenwird daher für eine nachhaltige Betriebsfüh-rung von Flughäfen unverzichtbar sein.

LiteraturWissenschaftliche Quellen:Air Transport Action Group (2005): The economic andsocial benefits of air transport. < http://www.icao.int/atworkshop/ATAG_SocialBenefitsAirTransport.pdf> ,abgerufen am 21 .11 .2011 .Airports Council International ACI (2011 ): Airport CarbonAccreditation. Annual Report 2010–2011 .< http://www.aci-europe.org/component/downloads/downloads/2731 .html> , abgerufen am 29.11 .2011 .Åkerman, Jonas (2005): Sustainable air transport – ontrack in 2050. In: Transportation Research: Transportationand Environment 10(2), S. 111–126.Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV)(2010): Passagiere: Kumulierte Monatswerte Jan–Dez2010. < http://www.adv.aero/fileadmin/pdf/statistiken/2010/ADV_Monatsstatistik_Dez_2010_final.pdf> ,abgerufen am 17.12.2011 .Ashford, Norman/Wright, Paul H. (2011 ): AirportEngineering: planning. Design and development in the21st century. New York, John Wiley and Sons.Blumenthal, George T. (2010): Aviation and climatechange. New York, Nova Science Publishers.Boons, Frank/van Buuren, Arwin/Teisman, Geert (2010):Governance of sustainability at airports: Moving beyondthe debate between growth and noise. In: NaturalResources Forum 34, S. 303–313.Bows, Alice/Anderson, Kevin/Upham, Paul (2009):Aviation and climate change: lessons from Europeanpolicy.Civil Aviation Authority (2010): Size of ReportingAirports 2010. Comparison with 2005.< http://www.caa.co.uk/docs/80/airport_data/2010Annual/Table_01_Size_of_UK_Airports_2010_Comp_2009.pdf> ,abgerufen am 17.12.2011 .European Commission Mobility and Transport (2011 ):Single European Sky. < http://ec.europa.eu/transport/air/single_european_sky/single_european_sky_en.htm> ,abgerufen am 13.12.2011 .Forsyth, Peter/Gillen, David W./Knorr, Andreas, Mayer,Otto G./Niemeier, Hans-Martin/Starkie, David (2004):The Economic Regulation of Airports. Recentdevelopments in Australia, North America and Europe.Burlington, Ashgate.Gebhardt, Hans/Glaser, Rüdiger/Radtke, Ulrich/Reuber,Paul (Hrsg.) (2011 ): Geographie. Physische Geographieund Humangeographie. Heidelberg, Spektrum.Global Reporting Initiative (o.J.): The G3.1 Guidelines.< http://www.globalreporting.org/ReportingFramework/G31Guidelines/> , abgerufen am 29.11 .2011 .

| Mathis Trapp

Page 38: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

38 entgrenzt 7/2014

International Air Transport Association (2007): AviationEconomic Benefits (= IATA Economics Briefing 8).International Air Transport Association (2011 ):Environment. < http://www.iata.org/whatwedo/environment/pages/sustainability.aspx> , abgerufen am19.12.2011 .International Civil Aviation Organization ICAO (o.J.):Environment Branch. Aircraft Noise. Balanced Approachto Aircraft Noise Management. < http://www.icao.int/env/noise.htm> , abgerufen am 02.12.2011 .International Organization for Standardization (2011a):ISO 14000 essentials. < http://www.iso.org/iso/iso_14000_essentials> , abgerufen am 04.11 .2011 .International Organization for Standardization (2011b):ISO 9001 :2000. < http://www.iso.org/iso/catalogue_detail?csnumber= 21823> , abgerufen am 09.12.2011 .Janić, Milan (2011 ): Greening Airports: AdvancedTechnology and Operations. London, Springer.Kramer, Matthias (2010): IntegrativesUmweltmanagement. Systemorientierte Zusammenhängezwischen Politik, Recht, Management und Technik.Wiesbaden, GWV.Mensen, Heinrich (2007): Planung, Anlage und Betriebvon Flugplätzen. Heidelberg, Springer.Schulz, Axel/Baumann, Susanne/Wiedenmann, Sabine(2010): Flughafen Management. München, Olderbourg.United Nations (1987): Report on the World Commissionon Environment and Development.< http://www.bneportal.de/coremedia/generator/unesco/de/Downloads/Hintergrundmaterial__international/Brundtlandbericht.pdf> , abgerufen am 21 .11 .2011 .Upham, Paul (2001): Environmental capacity of aviation:Theoretical issues and basic research directions. In:Journal of Environmental Planning and Management 44,S. 721–734.Upham, Paul/Thomas, C/Raper D./Gillingwater, D.(2003): Environmental capacity and airport operations:Current issues and future prospects. In: Journal of AirTransport Management 9, S. 145–152.

Quellen der Flughäfen:Aéroport Toulouse Blagnac (o.J.a): Focus points andobjectives of the Charter.< http://environnement.toulouse.aeroport.fr/US/pageEdito.asp,UIDcNode,4D4C964E,UIDcRoot,6613CC09,IDPAGE,476.rwi.html> , abgerufen am 13.12.2011 .Aéroport Toulouse Blagnac (o.J.b): Information forresidents. < http://environnement.toulouse.aeroport.fr/US/pageEdito.asp,IDPAGE,1021 ,UIDcnode,EF38A6C5,UIDcRoot,8744B13.rwi.html> , abgerufen am 13.12.2011 .Aéroport Toulouse-Blagnac (2010): Statistiques de traffic– année 2010. < http://www.toulouse.aeroport.fr/files/uploads/fichiers/aeroport/statistiques/bulletin-stats-2010-12.pdf> , abgerufen am 20.12.2011 .Aeroportos de Portugal (Ana) (2010): Statistics Summary.< http://www.ana.pt/portal/page/portal/ANA/ESTATISTICA> , abgerufen am 20.12.2011 .Aéroports de la Côte d’Azur (2010): Annual Traffic Report2010. < http://corporate.nice.aeroport.fr/content/download/4834/46382/file/2010%20ANNUEL%20TOTALITE.pdf> , abgerufen am 20.12.2011 .Aéroports de Paris (2010): December 2010 traffic figures.< http://www.aeroportsdeparis.fr/ADP/Resources/e9d27c5d-b592-418c-a20c-d7a43d19afaeADP_December2010trafficfigures.pdf> , abgerufen am17.12.2011 .Aeropuertos Españoles y Navegación Aérea (Aena)(2010a): Tráfico de pasajeros, operaciones y carga en losaeropuertos espanoles. < http://www.aena.es/csee/ccurl/333/933/anualDefinitivos_2010.pdf> , abgerufen am17.12.2011 .Aeropuertos Españoles y Navegación Aérea Aena (2010b):Corporate Responsibility Report 2010.< http://www.aena.es/csee/ccurl/654/418/AENA%20RC%20ingles%20interactivo.pdf> ,abgerufen am 13.12.2011 .Amsterdam Airport Schiphol (2010): Traffic Review 2010.< http://trafficreview.schipholmagazines.nl/trafficreview.html> , abgerufen am 17.12.2011 .Anna.aero (2011 ): 2011 European Airport Traffic Trends.< http://www.anna.aero/wp-content/uploads/european-airports-2011 .xls> , abgerufen am 20.12.2011 .Associazione Italiana Gestori Aeroporti (2010):PASSEGGERI (Gennaio-Dicembre/2010).

< http://www.assaeroporti. it/ViewPasseggeriProg.asp?mese= 12&anno= 2010&lingua= it> , abgerufen am17.12.2011 .Athens International Airport (2010): Passenger Traffic2010. < http://www.aia.gr/UserFiles/File/trafficStatistics/2010/dec/164718_pax_dec_2010_EN.pdf> ,abgerufen am 20.12.2011 .Avinor (2010): Traffic Statistics 2010.< http://www.avinor.no/tridionimages/2010%20Passasjerer_tcm181 -126648.xls> , abgerufen am 20.12.2011 .BAA Airports Limited (o.J.a): Community Trust Fund.< http://www.stanstedairport.com/about-us/living-near-the-airport/applying-for-funding/community-trust-fund> ,abgerufen am 06.12.2010.BAA Airports Limited (o.J.b): Government Policy.< http://www.baa.com/portal/page/Corporate/BAA+Airports%5ECorporate+ responsibility%5EAviation+ and+ sustainability%5EGovernment+ policy/e6219df100f6f110VgnVCM10000036821c0a____/448c6a4c7f1b0010VgnVCM200000357e120a____/%20responsibility> , abgerufen am 12.12.2011 .Brussels Airport Company (2010): Brutrends 2010.< http://issuu.com/brusselsairport/docs/brutrends_2010?mode= embed&layout= http%3A%2F%2Fskin.issuu.com%2Fv%2Flight%2Flayout.xml&showFlipBtn= true> ,abgerufen am 20.11 .2011 .Copenhagen Airports (2010): December 2010.< http://www.cph.dk/CPH/UK/INVESTOR/Traffic/2010/> , abgerufen am 20.12.2011 .Dublin Airport Authority (2010): Annual Report 2010.< http://www.daa.ie/Libraries/Annual_Reports/DAA_Annual_Report_2010.sflb.ashx> ,abgerufen am 20.12.2011 .Dublin Airport Authority (2011 ): Dublin AirportSustainability Report. < http://www.dublinairport.com/Libraries/Airport_Charges/2009_Dublin_Airport_Sustainability_Report.sflb.ashx> , abgerufen am 06.12.2011 .Edinburgh Airport (2011 ): Corporate Social ResponsibilityReport. Our 2010 performance.< http://www.edinburghairport.com/assets/Internet/Edinburgh/Edinburgh%20downloads/PDFs/EDI_CSRreport_2011 .pdf> , abgerufen am 06.12.2011 .Environmental Services Department of AthensInternational Airport S.A. (2010): Care for theEnvironment. < http://www.hochtief-concessions.de/concessions/data/pdf/Athen_Environment_ 2010.pdf> ,abgerufen am 17.12.2011 .Eurostat (2013): Verwaltungseinheiten/StatistischeEinheiten. < http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page/portal/gisco_Geographical_information_maps/popups/references/administrative_units_statistical_units_1> , abgerufen am 22.10.2013.Finavia (2010): Passengers. < http://www.finavia.fi/about_finavia/trafficstatistics/statisticspassengers/passengers_2010> , abgerufen am 20.12.2011 .Flughafen Köln/Bonn (2011 ): Klima und Umwelt.< http://www.airport-cgn.de/data/files/downloads/KBAUmweltb2010web.pdf> , abgerufen am 07.12.2011 .Flughafen München (2010): Perspektiven.Nachhaltigkeits- und Geschäftsbericht.< http://www.munich-airport.de/media/download/general/publikationen/de/ib2010_n.pdf> ,abgerufen am 29.11 .2011 .Flughafen München (o.J.): Perspektiven. UnserVerständnis von Nachhaltigkeit. < http://www.munich-airport.de/media/download/general/publikationen/de/nachhaltig_flyer.pdf> , abgerufen am 19.12.2011 .Flughafen München GmbH (2011): Positive Resonanz aufGeschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht.< http://www.munichairport.de/de/micro/newsroom/mediathek/pm/2011/q4/pm61/index. jsp> , abgerufen am11 .12.2011 .Flughafen Zürich AG (2010): Traffic figures December2010. < http://www.zurich-airport.com/Portaldata/2/Resources/documents_unternehmen/investorrelations/news-flash_archiv/ZRHTrafficDec2010EN.pdf> ,abgerufen am 20.12.2011 .Forum Flughafen und Region (2010): Optimierungkontinuierlicher Sinkflug (Continuous Descent Approach,CDA). <www.forum-flughafen-region.de/. . ./Hintergrund_cda_Layout.pdf> , abgerufen am 02.12.2011 .Gatwick Airport Limited (2011 ): Our Decade Of Change.2010 Performance. < http://www.gatwickairport.com/Documents/business_and_community/Publications/2011/

Nachhaltigkeit im Luftverkehr |

Page 39: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

39entgrenzt 7/2014

816GATW_Web_Decade%20of%20Change_2011 .pdf> ,abgerufen am 06.12.2011 .General Directorate of State Airports Authority (2010):Passenger Traffic. < http://www.dhmi.gov.tr/getBinaryFile.aspx?Type= 13&dosyaID= 3&IstatistikID= 44> ,abgerufen am 17.12.2011 .Genève Airport (2010): Statistics 2010.< http://www.gva.ch/en/Portaldata/1/Resources/fichiers/institutionnels/statistiques/2010_Stats-GeneveAeroport_en.pdf> , abgerufen am 20.12.2011 .Heathrow Airport (2010a): 2010 SustainabilityPerformance Summary. Towards a sustainable Heathrow.< http://www.heathrowairport.com/assets/Internet/Heathrow/Heathrow%20downloads/Static%20files/SustainabilityPerformanceSummary_LHR.pdf> , abgerufen am01 .12.2011 .Heathrow Airport (2010b): A focus on education,employment and skills. Towards a sustainable Heathrow.< http://www.heathrowairport.com/assets/Internet/Heathrow/Heathrow%20downloads/Static%20files/EmploymentReport_Sustainability_LHR.pdf> , abgerufenam 01 .12.2011 .Heathrow Airport (o.J.): Runway Alternation.< http://www.heathrowairport.com/assets/Internet/Heathrow_noise/Assets/Downloads/Statics/Heathrow_RunwayAlternation.pdf> , abgerufen am 05.12.2011 .ICF Airports (2011a): Human Resources.< http://www.aytport.com/en/page.aspx?k= 84> ,abgerufen am 06.12.2011 .ICF Airports (2011b): About Us.< http://www.aytport.com/en/page.aspx?k= 36> ,abgerufen am 06.12.2011 .Moscow Domodedovo Airport (2011a): MoscowDomodedovo Airport and bmi Celebrate 5 Years ofSuccessful Cooperation. < http://www.domodedovo.ru/en/main/news/press_rel/?ID= 3236> , abgerufen am13.12.2011 .Moscow Domodedovo Airport (2011b): History.< http://domodedovo.ru/en/main/ about/history/> ,abgerufen am 09.12.2011 .Moscow Domodevo Airport (2011c): FlughafenDomodedovo befördert im Jahr 2010 eine Rekordzahl anPassagieren. < http://www.domodedovo.ru/ru/main/news/press_rel/index.asp?ID= 2978> , abgerufen am20.12.2011 .Northern Capital Gateway (2011a): Environmental Policy.< http://www.pulkovoairport.ru/eng/ about_pulkovo/northen_capital_gateway/enviromental_policy/> ,abgerufen am 09.12.2011 .Northern Capital Gateway (2011b): Human ResourcePolicy. < http://www.pulkovoairport.ru/eng/about_pulkovo/northen_capital_gateway/human_resources_policy/> , abgerufen am 09.12.2011 .Oslo Lufthavn (2010): Environmental Report 2010.< http://www.osl.no/tridionimages/OSL_milj%C3%B8rapport_2010_Engelsk1_tcm181 -135723.pdf> , abgerufen am 07.12.2011 .Prague airport (2010): Prague Airport evaluates 2010Operating Results. < http://www.prg.aero/en/prague-airport/press-center/press-releases/prague-airport-evaluates-2010-opearting-results/> ,abgerufen am 20.12.2011 .Schiphol Group (2011 ): Corporate Responsibility.< http://www.schiphol.nl/web/file?uuid= b1cccc93-0d99-4d25-ba615c9f45d631b1&owner= 4c59375e-68d2-4e16-836e-ccfaf0e581fe> , abgerufen am 24.11 .2011 .Swedavia (2011 ): Statistics.< http://www.swedavia.se/en/Start-page/Press/Statistics/> , abgerufen am 20.12.2011 .Vienna Airport (2011 ): Traffic Data 2010.< http://www.viennaairport.com/jart/prj3/va/main. jart?rel= en&content-id= 1249344074274&reserve-mode= active> , abgerufen am 20.12.2011 .Warsaw Chopin Airport (2010): Passengers in 2010.< http://www.lotnisko-chopina.pl/en/airport/about-the-airport/statistics/passengers> , abgerufen am 20.12.2011 .

Quellen zum Passagieraufkommen der Flughäfen:Amsterdam: Amsterdam Airport Schiphol 2010Antalya: General Directorate of StateAirports Authority 2010Athen: Athens International Airport 2010Barcelona: Aeropuertos Españoles yNavegación Aérea (Aena) 2010a)Berlin-Tegel: Arbeitsgemeinschaft DeutscherVerkehrsflughäfen (ADV) 2010Brüssel-Zaventem: Brussels Airport Company 2010Budapest: Anna.aero 2011Dublin: Dublin Airport Authority 2010Düsseldorf: Arbeitsgemeinschaft DeutscherVerkehrsflughäfen (ADV) 2010Edinburgh: Civil Aviation Authority 2010Frankfurt am Main: Arbeitsgemeinschaft DeutscherVerkehrsflughäfen (ADV) 2010Genf: Genève Airport 2010Gran Canaria: Aeropuertos Españoles y NavegaciónAérea (Aena) 2010aHamburg: Arbeitsgemeinschaft DeutscherVerkehrsflughäfen (ADV) 2010Helsinki: Finavia 2010Istanbul-Atatürk: General Directorate of State AirportsAuthority 2010Istanbul-Sabiha: General Directorate of State AirportsAuthority 2010Kiew: Anna.aero 2011Köln/Bonn: Arbeitsgemeinschaft DeutscherVerkehrsflughäfen (ADV) 2010Kopenhagen: Copenhagen Airport 2010Lissabon: Aeroportos de Portugal (Ana) 2010London-Gatwick: Civil Aviation Authority 2010London-Heathrow: Civil Aviation Authority 2010London-Stansted: Civil Aviation Authority 2010Lyon: Anna.aero 2011Madrid-Barajas: Aeropuertos Españoles yNavegación Aérea (Aena) 2010°Mailand-Linate: Associazione Italiana GestoriAeroporti 2010Mailand-Malpensa: Associazione Italiana GestoriAeroporti 2010Málaga: Aeropuertos Españoles y Navegación Aérea(Aena) 2010°Manchester: Civil Aviation Authority 2010Marseille: Anna.aero 2011Moskau-Domodedovo: Moscow DomodedovoAirport 2011cMoskau-Sheremetyevo: Anna.aero 2011Moskau-Vnukovo: Anna.aero 2011München: Arbeitsgemeinschaft DeutscherVerkehrsflughäfen (ADV) 2010Nizza: Aéroports de la Côte d’Azur 2010Oslo: Avinor 2010Palma de Mallorca: Aeropuertos Españoles yNavegación Aérea (Aena) 2010°Paris-Orly: Aéroports de Paris 2010Paris-Roissy: Aéroports de Paris 2010Prag: Prague airport 2010Rom-Fiumicino: Associazione Italiana GestoriAeroporti 2010St.Petersburg: Anna.aero 2011Stockholm-Arlanda: Swedavia 2011Stuttgart: Arbeitsgemeinschaft DeutscherVerkehrsflughäfen (ADV) 2010Toulouse: Aéroport Toulouse-Blagnac 2010Warschau: Warsaw Chopin Airport 2010Wien: Vienna Airport 2011Zürich: Flughafen Zürich AG 2010

| Mathis Trapp

Page 40: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

40 entgrenzt 7/2014

Cal l for Papers – Ausgabe Nr. 9, Sommersemester 2015

Der Boden ist, neben Wasser (siehe unserevierte Ausgabe), die wichtigste Ressource, dieder Mensch zum Leben braucht. Unser Getrei-de und Gemüse wächst darauf, unser Viehweidet auf den Wiesen, und inzwischen wirdunser Sprit auf Böden gezüchtet. Die Nachfra-ge nach guten Böden steigt mit wachsenderWeltbevölkerung. Wir nutzen den Boden (aus)bis er an seine Grenzen gelangt. Damit weiterverbunden sind aber auch Aspekte des Rechtsauf Landbesitz, der Verteilung von Boden (vonKleinbauern bis hin zu Agroindustrien) oderdes Zugangs zu der Ressource. In der 9.   Aus-gabe von entgrenzt widmen wir uns aber auchder Frage des Landnutzungswandels. Regen-wälder, die für Palmölplantagen in Indonesienund Malaysia abgeholzt werden; Weideflächenin Äthiopien für Blumen für das heimische De-kor, die von nicht-äthiopischen Investorenaufgekauft werden; Flächen, die China in an-deren Ländern aufkauft um den Hunger undsteigenden Konsum der eigenen Bevölkerungstillen zu können; oder Raps und Mais inDeutschland oder den USA, die für den Öltankdes Autos bestimmt sind. Die Nutzung der Flä-chen verändert sich. Arbeiten der anwen-dungsorientierten Geographie oder Analysen,die mit Hilfe von GIS entstand sind, sind eben-

so gefragt, wie jene Arbeiten der kritischenTheorie und physischen Geographie, die sichz.B. mit den ökologischen Folgen der Ressour-cen(aus)nutzung und des Landnutzungswan-dels auseinandersetzen. Weiterhin verfolgtentgrenzt das Konzept, offen für andere The-men zu sein, die sich nicht mit Landnutzungund antizipierten Themen befassen, denn dievielen Hausarbeiten und Abschlussarbeiten,die in der Geographie und in den Nachbarwis-senschaften geschrieben werden, sollen nichtlänger in Schubladen ihr Dasein fristen odernur die Anerkennung der Eltern erfahren.Wenn ihr Lust habt einen wissenschaftli-

chen Artikel für die 9. Ausgabe zu schreiben,dann schickt uns bis zum 15.12.2014 einenAbstract von max. einer Seite, in der das The-ma, der theoretische Zugang, die Methode undvoraussichtliche Ergebnisse angesprochenwerden. Auch die anderen entgrenzt Rubrikenwerden sich in der 9. Ausgabe dem ThemaNutzung und Ausnutzung zuwenden. Das Ab-stract und weitere Fragen könnt ihr [email protected] senden.

Wir freuen uns über eure Einreichungen.Eure Redaktion für Geographisches

(AUS)NUTZEN

Geographisches |

Page 41: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

41entgrenzt 7/2014

Anna Franke (Erlangen)August 201363°05’N 145°37’WLow Shrub Tundra,Tiefland südlich derAlaska Range, Alaska,USA

Das Plateau zwischen den Wrangell Mountainsund der Alaska Range in Alaska ist ein Para-debeispiel für eine sogenannte Low ShrubTundra, deren Flora durch Arten der Zwerg-birke und Ericaceaen geprägt ist und Wuchs-höhen von 1 ,3 m nicht überschreitet. Resultie-rend aus widrigen Wachstumsbedingungen,wie hohen Temperaturamplituden, Wind oderunausgeglichener Wasserversorgung tretenLow Shrub Tundren vorwiegend an Berghän-gen, auf Hochebenen und auf Flächen gemä-ßigter bis feuchter Bedingungen auf.

Page 42: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

42 entgrenzt 7/2014

GeoWerkstatt

GeoWerkstatt |

Die Rubrik GeoWerkstatt ist der Werkzeugkasten, aus dem man sich bedienenund inspirieren lassen kann. In diesem Teil werden Ereignis- und Erlebnisberichteüber besonders informative oder unkonventionelle Exkursionen, Sommerakademi-en, Workshops, Arbeitsgemeinschaften, Lehrveranstaltungen und studentische Pro-jekte veröffentlicht. Artikel zu diesen Themen bis maximal zwei Seiten nehmen wirgerne jederzeit von Einzelpersonen oder Autorenkollektiven entgegen und publizie-ren sie nach redaktioneller Prüfung in der nächsten Ausgabe von entgrenzt.

Ronny Schmidt, Stefanie Buchwald und Christine Splissgart:Projektbericht: Geoarchäologischer Geländeworkshop „Geofakt vs. Artefakt“

Studierende und Dozenten aus Leipzig und Almaty:Wüsten und Oasen, Steppen und Hochgebirge, unendliche Weiten und einepulsierende Millionenstadt – Kasachstan-Exkursion 2013

S. 44

S. 46

Page 43: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

43entgrenzt 7/2014

Zum nunmehr siebten Mal schon illustriert dieGeoWerkstatt, wie Geographie in Studium,Lehre und Praxis gelebt, gemacht, genossenund erlitten wird (letzteres aber niemals um-sonst, keine Sorge! ). In der aktuellen Ausgabehaben wir zwei detaillierte Berichte geogra-phischer (aber auch interdisziplinärer) Veran-staltungen für euch, die hoffentlich Lust dar-auf machen, geographisches Wissen konkretanzuwenden und einzubringen.Der erste Beitrag berichtet anschaulich von

einer Exkursion nach Kasachstan, die im Rah-men des TEMPUS I-Web Projekts „Integratedwater cycle management; building capability,capacity and impact in Education and Busi-ness“ im Herbst 2013 durchgeführt wurde undan der Studenten/innen und Dozenten/innender Universität Leipzig sowie der Al-FarabiKazakh National University in Almaty (dergrößten Stadt in Kasachstan) teilnahmen. DieExkursion veranschaulichte den Mitfahrer/in-nen die enorme Vielfalt an Landschaftszonenin Kasachstan sowie deren Veränderungen vordem Hintergrund sich wandelnder klimati-scher Einflüsse und menschlicher Nutzung.Diskutiert wurden sowohl klassisch physischgeographische Themen wie die Entstehungund Zusammensetzung bestimmter Sediment-ablagerungen oder die Verbreitung von Pflan-zenarten, die sich an die kargen Wüstenver-hältnisse angepasst haben, als auch human-geographische Fragestellungen, wie z.B. land-wirtschaftliche Nutzungen, Staudammprojekteund Konflikte um Wasserressourcen. Nebenden eigentlichen Berichten über Exkursionsin-halte und Reiseverlauf veranschaulicht derBeitrag auch die vielen Strapazen einer derar-tig langen und logistisch schwierigen Unter-nehmung. Angesichts der einzigartigen Erfah-rungen und der erlebten großen Gastfreund-schaft in Kasachstan wurden derartige Mühenvon den Teilnehmer/innen allerdings, so dasResultat, gerne auf sich genommen.Die Autoren/innen Ronny Schmidt, Stefanie

Buchwald und Christine Splissgart beschreibenin ihrem Beitrag den geoarchäologischen Ge-ländeworkshop „Geofakt vs. Artefakt“, der imWintersemesters 2013/2014 (06.-12.10.2013)zum nunmehr zweiten Mal an der UniversitätLeipzig stattfand, veranstaltet sowohl vom In-stitut für Geographie als auch vom Histori-schen Seminar. Somit handelte es sich um eine

interessante interdisziplinäre Kooperations-veranstaltung zwischen Geographen/innen,Geologen/innen und Archäologen/innen, dieauch in enger Kooperation mit der GeoWerk-statt Leipzig e.V. durchgeführt wurde. DieTeilnehmer/innen des Workshops erlebten imRahmen vielfältiger praktischer Übungen undArbeiten auf einer Grabungsfläche im Tage-bauvorfeld Peres (südlich von Leipzig) geoar-chäologische Herangehensweisen, Fragestel-lungen und Methoden. Die Grabungsflächewar aber nicht der einzige Aktionsort, fürAbwechslung war genügend gesorgt. So be-suchten die Teilnehmer/innen am letzten Tagdes Workshops bspw. die Außenstelle desLandesamtes für Archäologie in Leipzig. Ins-besondere für physische Geographen/innendürfte von Interesse sein, wie ihre spezifischeDisziplin im Kontext der Geoarchäologie viel-fältig mit anderen Disziplinen zusammenar-beiten kann (und muss). Die Autoren/innenloben sowohl die aus ihrer Perspektive sehrausgewogene Mischung zwischen konzeptio-nell-methodischen Informationen und prakti-schem Ausprobieren von geoarchäologischenGrabungs-, Datenbeschaffungs- und Datenana-lysemethoden, als auch die angenehme Atmo-sphäre sowie den geselligen Austausch zwi-schen den einzelnen studentischen Teilneh-mer/innen.Insofern hoffen wir euch mit diesen beiden

Beiträgen zeigen zu können, wie spannendGeographie sein und welche unterschiedlichenAnwendungsgebiete eine geographische Aus-bildung erschließen kann. Jedenfalls wün-schen wir an dieser Stelle, wie immer, einegute Lektüre!

Kristine Arndt, Annika Zeddel und Jan Winkler

| GeoWerkstatt

Editorial

Page 44: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

44 entgrenzt 7/2014

Projektbericht: Geoarchäologischer Gelände-workshop „Geofakt vs. Artefakt“

Ronny Schmidt, Stefanie Buchwaldund Christine Splissgart

Zu Beginn des Wintersemesters 2013/2014fand vom 06. bis zum 12.10.2013 zum zwei-ten Mal der geoarchäologische Geländework-shop „Geofakt vs. Artefakt“ statt. Dabei han-delt es sich um eine fächerübergreifende undpraxisorientierte fakultative Lehrveranstal-tung, die maßgeblich von der Professur fürPhysische Geographie und landschaftsbezoge-ne Umweltforschung (Institut für Geographie)sowie der Professur für Ur- und Frühgeschich-te (Historisches Seminar) an der UniversitätLeipzig getragen und unterstützt wird. Konzi-piert und durchgeführt wurde dieser metho-disch orientierte Geländeworkshop in sehr en-ger Zusammenarbeit mit der GeoWerkstattLeipzig e.V. sowie einer Vielzahl von enga-gierten AbsolventInnen und StudentInnen ausden beiden Fachbereichen Archäologie undGeographie.

Das methodisch orientierte Fachgebiet derGeoarchäologie entwickelt sich seit einigenJahren zu einer nachgefragten, interdiszipli-nären Schnittstelle zwischen Archäologie, Ar-chäobotanik, Physischer Geographie, Boden-kunde und Geomorphologie. Auch am Stand-ort Leipzig war bzw. ist im Bereich der stu-dentischen Ausbildung ein gestiegenesInteresse an kulturgeschichtlich relevanten so-wie naturwissenschaftlichen und landschafts-genetischen Fragestellungen zu beobachten.Der Workshop zeigte sich somit auf demneuesten Stand aktueller Forschungstenden-zen, indem er den TeilnehmerInnen die Mög-lichkeit bot, Grundlagen und Arbeitsweisender genannten Wissenschaftsdisziplinen ken-nenzulernen und im interdisziplinären Aus-tausch mit anderen Studierenden, Absolven-tenInnen und fachkundigen ExpertInnen dieeigenen Kenntnisse über die üblichen Studien-inhalte hinaus zu erweitern. Neben der Ver-mittlung theoretisch-methodischer Inhaltestand dabei vor allem die praktische Arbeitam unmittelbaren Untersuchungsobjekt imMittelpunkt. Für diese Zwecke stellte uns dasLandesamt für Archäologie Sachsen eigens ei-ne Grabungsfläche im Tagebauvorfeld Peres(südlich von Leipzig, zwischen Kieritzsch undPödelwitz) zur Verfügung. Dort konnten sichdie TeilnehmerInnen unter professioneller An-leitung die Arbeitsweisen der jeweiligenNachbardisziplinen erarbeiten und gemeinsamdie z. T. unterschiedlichen Methoden der Da-tenaufnahme, -analyse und -auswertung dis-kutieren.Für die Workshop-Woche selbst wurde ein

buntes Programm zusammengestellt. Dienteder Sonntag zunächst der theoretischen Ein-führung in die wesentlichen Grundlagen dereinzelnen Wissenschaftsbereiche, die in Formvon zusammenfassenden Vorträgen vorgestelltwurden, ging es bereits am zweiten Tag rausins Gelände. So besuchten wir am Montag eineVielzahl von archäologischen Grabungsflä-chen, auf denen das Landesamt für Archäolo-gie Sachsen südlich von Leipzig aktuell Aus-grabungen durchführt. Neben dem geogra-phisch-geologischen Überblick zum Untersu-chungsgebiet standen an diesem Tag diesogenannten „harten“ Prospektionsmethodenim Vordergrund, bei denen der Oberboden miteinem Bagger abgetragen wird und dadurcharchäologische Befundstrukturen freigelegtwerden. Weiterhin wurden die Auswertungvon Fernerkundungsdaten, Kartenmaterial,

GeoWerkstatt |

Abb. 1: Auf der Grabungsfläche im Tagebauvorfeld Peres

Page 45: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

45entgrenzt 7/2014

verschiedener geophysikalischer Messmetho-den im Vorfeld von archäologischen Grabun-gen sowie die Möglichkeiten der Luftbildar-chäologie diskutiert. In diesem Rahmen konn-ten sich die TeilnehmerInnen somit bereitseinen ersten Eindruck von den Arbeitsabläufenverschaffen, die sie in den nächsten Tagen aufder „eigenen“ Grabungsfläche erwarten wür-den. Nachdem uns am darauffolgenden Tagdie Grabungsleiter vor Ort unsere Testflächevorgestellt hatten, ging es für uns alle ansWerk. Aufgeteilt in kleinere Gruppen konntendie WorkshopteilnehmerInnen auf dieser Test-fläche für den Rest der Workshopwocheschließlich selbst die einzelnen Arbeitsschritteeiner Grabung durchspielen. Dabei erfolgte dieBearbeitung einzelner archäologischer Befun-de im Planum sowie die Anwendung unter-schiedlicher bodenkundlicher, geomorphologi-scher und archäologischer (Gelände-)Metho-den, um die entsprechenden Befunde und Bo-denprofile zu beschreiben, zu dokumentierenbzw. wissenschaftlich korrekt anzusprechen.Das Anlegen von zwei, um die zehn Meter lan-gen Geoprofilen mit dem Bagger sorgte für dieentsprechende Abwechslung. Gleichzeitigwurden alle Befunde professionell und mitmodernster Technik eingemessen, um die Da-ten bei der späteren Auswertung am Computer

in elektronische Karten bzw. Pläne einbauenzu können. Neben diesen gängigen Methodender archäologischen und geologischen Feldar-beit wurden auch spezielle, nicht alltäglicheArbeitsweisen theoretisch besprochen und ineinigen Fällen selbst im Gelände angewandt.Zu diesen diskutierten und z. T. praktisch um-gesetzten Methoden zählten u.a. die hochauf-lösende Beprobung des Oberbodens für Phos-phatanalysen, die Bestimmung von Makrores-ten, die Entnahme von ungestörten Bodenpro-ben für mikromorphologische Untersuchungensowie die Möglichkeiten der Pollenanalyse.Unser Workshoptag endete keinesfalls mit

dem Abendessen. Neben dem sehr angeregtenAustausch zwischen den teilnehmenden Stu-dierenden fanden an zwei Abenden zusätzli-che Gastvorträge von Kommilitonen statt, diezum einen die Möglichkeiten und Anwendungvon Luftbildprospektion (von K. Cappenberg)und zum anderen die kulturgeschichtlichenHintergründe zu der auf der Grabungsflächevertretenen neolithischen Kultur der soge-nannten ‚Linienbandkeramik‘ thematisierten(von S. Buchwald).Für einen abschließenden Diskussionsabend

wurde zudem professionelle wissenschaftlicheUnterstützung geladen. So standen Dr. H.Stäuble sowie S. Kretschmer vom Landesamt,

| GeoWerkstatt

Abb. 2: Vortrag während des Workshops

Page 46: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

46 entgrenzt 7/2014

Dr. Chr. Tinapp (freiberuflicher Geoarchäolo-ge in Sachsen) und P. Viol (Grabungsleiter inPeres) für die offenen Fragen der Teilnehmer-Innen zur Verfügung.Am letzten Tag des Workshops besuchten

wir schließlich die Außenstelle des Landesam-tes für Archäologie in Leipzig. Mit diesem Ab-stecher sollte gezeigt werden, dass mit einerarchäologischen Grabung und dem Bergen vonFunden im Gelände die eigentliche Arbeitnoch lange nicht abgeschlossen ist. Die wis-senschaftliche Aufbereitung aller Daten, dieWeiterverarbeitung von Fundmaterial, das Zu-sammensetzen von Keramikscherben, die Ana-lyse von (Boden-)Proben sowie die Verarbei-tung aller Informationen in einem Geographi-schen Informationssystem (GIS) oder CAD-Plan sind nur einige der Aufgaben, die sichanschließen.Insgesamt war es für alle Beteiligten eine

sehr aufregende und interessante Woche, beider nicht nur die TeilnehmerInnen, sondernauch das ganze Organisationsteam viel dazugelernt haben.Wir möchten uns an dieser Stelle noch ein-

mal recht herzlich bei der Vereinigung von För-derern und Freunden der Universität Leipzig e.V.für die finanzielle Unterstützung des Work-shops bedanken. Ein weiterer Dank gilt denFachschaftsräten Geographie und Geologie so-wie Archäologie für die Unterstützung, demLandesamt für Archäologie Sachsen sowie sei-nen vielen MitarbeiterInnen, die uns wohlwol-lend auf den unterschiedlichen Grabungsflä-chen empfangen, bei vielen Belangen unter-stützt und alle Fragen beantwortet haben.

Wüsten und Oasen, Steppen undHochgebirge, unendliche Weiten und eine

pulsierende MillionenstadtKasachstan-Exkursion 2013

sieben Studierende aus Leipzig und Almaty,die Doktoranden Chr. Schneider und R. Schmidt sowie dieDozenten PD Dr. B. Meyer (Leipzig) und Sanat (Almaty)

Vom 25.9. bis 5.10.2013 fand im Rahmen desTEMPUS I-Web Projekts „Integrated water cyclemanagement; building capability, capacity andimpact in Education and Business“ und in Zu-sammenarbeit mit der Universität Leipzig, derAl-Farabi Kazakh National University in Almatysowie der GeoWerkstatt Leipzig e.V. unsere Ex-kursion nach Kasachstan statt. Wir, siebenStudierende aus Leipzig und Almaty, die Dok-toranden Chr. Schneider und R. Schmidt sowiedie Dozenten PD Dr. B. Meyer (Leipzig) undSanat (Almaty), haben uns aufgemacht, dasriesige Land mit seinen unendlichen Weitenzwischen dem Kaspischen Meer im Westen so-wie dem Altai und dem Tien Shan-Gebirge imOsten zu entdecken.Ziel der Reise war die Beobachtung und

Charakterisierung verschiedenster Land-schaftszonen in Abhängigkeit sich ändernder,vor allem klimatischer Umwelteinflüsse. DaKasachstan mit seiner riesigen Fläche von2.717.300 km2 zahlreiche Naturräume, bei-spielsweise Steppen, Wüsten, Halbwüsten undHochgebirge, sowie Salzseen und Sümpfe, be-herbergt, gab es einiges zu tun. Ebenso starklag unser Fokus darauf, Veränderungen in denWasserkreisläufen der verschiedenen Gebiete,zum Beispiel durch intensive Landwirtschaftund planmäßige Bewässerung, festzustellenund zu erklären sowie uns mit dem Wasser-management vor Ort vertraut zu machen.Auch Relief, Geomorphologie, Temperatur,Niederschlagsverhältnisse, die Landnutzungund der Mensch als beeinflussende Geofakto-ren wurden wiederkehrend diskutiert.Von der ehemaligen Hauptstadt Kasachst-

ans – der sehr lebendigen, imposanten undzugleich staubigen Metropole Almaty – ging esin Begleitung eines Kollegen und zwei Studen-tinnen vom Institut für Geographie der Al-Fa-rabi Kazakh National University in den südlichvon Almaty gelegenen Nationalpark Ile-Alatau.Auf unseren Bergwanderungen durch dasnördliche Tien Shan-Gebirge diskutierten wir

GeoWerkstatt |

Page 47: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

47entgrenzt 7/2014

über die Geologie und Entstehungsgeschichtedes Tien Shan, den geomorphologischen For-menschatz und dessen Dynamik sowie die Pro-blematik gravitativer Massenbewegungen. Be-sonders gut ließen sich zudem die Höhenstu-fen der Vegetation und die expositionsbeding-ten Unterschiede (spezifischer Wärme- undWasserhaushalt) beobachten und diskutieren.In Zusammenhang mit unseren Beobachtun-gen stellte sich sehr oft die Frage nach densichtbaren Auswirkungen des Klimawandelsbzw. eines sich dadurch verändernden Was-serhaushaltes der Landschaft. Diese Auswir-kungen des Klimawandels sind besonders ein-drucksvoll an den Gletschern erkennbar, die,u.a. in Folge des Temperaturanstiegs, erheb-lich an Fläche und Volumen verloren haben.Aber auch die unmittelbaren Veränderungender Landschaft durch den Eingriff des Men-schen konnten beobachtet werden. Exempla-risch hierfür sind der 150 m hohe Damm beiMedeu, der Almaty vor Schlammlawinenschützen soll sowie der massive, auf den ers-ten Blick nicht sehr umweltschonend erschei-nende Ausbau des Ski-Ressorts „Schymbulak“.Für kasachische Verhältnisse nur einen Kat-

zensprung entfernt liegt der Nationalpark Cha-ryn Canyon. Der Charyn Canyon erstreckt sichüber 150 km und aufgrund seiner Gestalt und

dem rötlichen Gestein wird er oft mit demGrand Canyon in den USA verglichen. Aller-dings weist der Charyn Canyon im Gegensatzzum Grand Canyon ‚nur‘ Höhen zwischen 150und 300 m auf. Unsere Erkundungstour führteuns hier durch den Canyon zum Fluss Charyn,der den Canyon formte. Bewundern konntenwir hier neben zahlreichen fantastisch anmu-tenden Gesteinsformationen auch tierische Be-wohner, wie die eifrig herum rasenden Erd-hörnchen, sowie botanische Besonderheiten,beispielsweise das für die kasachische Steppetypische Federgras, Salz ertragende Saksaul-Arten und verschiedene, an Trockenheit ange-passte Ephedra-Arten. Rege Diskussionen gabes über Alter, Entstehung und Gesteinszusam-mensetzung des Canyons, da verschiedeneQuellen unterschiedliche Aussagen trafen. Si-cher ist, dass vor mehreren Millionen Jahrenauf dem Gebiet des Canyons ein See existierte.Heute findet man mächtige Sandsteinablage-rungen und verschiedene Konglomerate, dievon Seesedimenten überlagert sind.Nachfolgend führte unsere Exkursionsroute

ca. 150 km östlich von Almaty erneut ins TienShan-Gebirge. Für die über 320 km lange An-reise zum Nationalpark Kol’saj-Seen brauchtenwir ordentlich Sitzfleisch – vor allem für dieletzten 50 km über sehr schlechte Schotter-

| GeoWerkstatt

Abb. 1: Auf der Wanderung durch das Tien Shan-Gebirge

Page 48: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

48 entgrenzt 7/2014

und Erdpisten! Für das individuelle Konditi-onstraining war fast täglich gesorgt. Währendder erste der drei Kol’saj-Seen noch mit demFahrzeug zu erreichen ist, können die zwei an-deren Seen nur zu Fuß über einen schmalenPfad durch das Kol’saj-Tal erreicht werden.Jedoch wurde unser äußerst anstrengenderFußmarsch durch den Nationalpark Kol’saj-Seen mit einem „erfrischenden“ Bad im zwei-ten der drei idyllisch gelegenen Bergseen be-lohnt, der eine angenehme Wassertemperaturvon 10° C hatte. Wir hatten Glück, dass sichunserer Exkursionsgruppe auf dem Weg zu-rück nur ein Hund anschloss und keine hung-rige Bärenfamilie.Nachdem wir die von malerischen Panora-

men geprägte Hochgebirgsregion im äußerstenSüdosten Kasachstans hinter uns gelassen hat-ten, führte uns der Weg auf oftmals sehr holp-rigen Pisten Richtung Norden durch das soge-nannte Siebenstromland. Die alten, heute starkverfallenen Bewässerungsanlagen beiderseitsder Straße zeugen – trotz erschwerter klimati-scher Bedingungen – von einer ehemals inten-siven landwirtschaftlichen Nutzung des Gebie-tes während der Sowjetära. Bei der Überque-rung des Hauptflusses des Siebenstromlandes,dem in diesem Abschnitt sehr braunen, sedi-mentbeladenen Ile, wurde der Konflikt um dieWasserressourcen kontrovers diskutiert. Unab-

hängig davon konnten wir bei unseren Stoppsam Fluss die angrenzende, charakteristischeWeich- und Hartholzaue genauer in Augen-schein nehmen.Den östlichsten Punkt der Reise erreichten

wir am Rand des Altyn-Emel-Nationalparks beiden Roten und Weißen Bergen, die aus Gips-kristallen bestehen und daher ihre charakte-ristische Farbe haben. Beim Durchwandernder weitverzweigten Wadis in der untergehen-den Sonne konnte die Erosions- und Abfluss-dynamik sehr anschaulich nachvollzogen wer-den.Ein herausragendes Highlight im National-

park Altyn-Emel stellte für uns die „SingendeDüne“ dar, deren „Gesang“ wir nach unseremwindumtosten Aufstieg durch unsere kreativenAbstiegsvarianten auslösten. Einer Legendenach befindet sich in unmittelbarer Nähe dazu– markiert durch drei riesige Menhire – eine„Feldküche“ von Dschingis Khan und seinenTruppen. Auch etwa 300 Jahre alte Weidenund eine Quelle, die heute von Wildeseln undanderen geschützten Arten genutzt werden,inmitten des semiariden Nationalpark-Gebie-tes, wurden von uns bestaunt und deren Ur-sprung diskutiert. Beim Genießen der Nach-mittagssonne am Brunnen „unserer“ Oase undbeim anschließenden gemütlichen Zusammen-sein in einer traditionellen kasachischen Jurte

GeoWerkstatt |

Page 49: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

49entgrenzt 7/2014

haben wir die Eindrücke des Tages Revue pas-sieren lassen.Auf der weiteren Fahrt nach Norden er-

reichten wir kurz nach dem Passieren des Al-tyn-Emel-Passes (1 .711 m) – von dem aus nocheinmal die charakteristische Verteilung derVegetation an den Hängen beobachtet wurde –eine stark von Landwirtschaft geprägte Regi-on. Die riesigen, parallel angeordneten Felder,die durch als Erosionsschutz angelegte Baum-und Gebüschreihen voneinander getrennt wer-den, und die teilweise stark veralteten Bewäs-serungsanlagen lieferten uns allen Grund zurDiskussion der sozioökonomischen und ökolo-gischen Verhältnisse, besonders unter demAspekt des Wassermanagements. Ein Weiter-fahren war hier erst möglich, als die relativzutraulichen Kamele, die teilweise am Stra-ßenrand grasten und es offensichtlich genos-sen, fotografiert zu werden, wieder von derFahrbahn trotteten. Zu den weiteren Beson-derheiten der Region zählten für uns die Kur-gany, die Grabstätten der früheren Herrscher.Diese ragen als Hügel aus der Landschaft her-aus, wobei an der Größe die Bedeutung undder Einfluss der Herren erkennbar sind.Auf dem Weg zu unserer letzten Station am

Balchasch-See durchfuhren wir weite Teile desIle-Tals. Dabei warfen wir einen Blick auf den

Kaptschagaj-Stausee, der zum Aufstauen desIle und somit als Wasserreservoir dient. Kurzdarauf passierten wir erneut den hier sehr kla-ren Ile. Außerdem konnten wir auf dem Wegeinen Blick auf den stellenweise von Salz ver-krusteten Boden werfen, in der Ferne aufBrände hindeutende Rauchschwaden erkennenund Angler beobachten, die sich in den Schilf-wäldern am Ile aufgestellt hatten.Der Ile stellt den Hauptzufluss des Bal-

chasch-Sees dar und mündet in einem weitenDelta in den See. Dieser ist, je nach Wasser-stand, um die 18.000 km2 groß und ca.620  km lang und durch eine Einengung in derMitte quasi zweigeteilt. Besonders ist hierbei,dass der östliche Teil Salzwasser und derwestliche Teil Süßwasser enthält.Auf einer Bootstour entlang eines Flussar-

mes im Ile-Delta, die uns zum westlichen Teildes Balchasch-Sees führte, konnten wir diedichten Schilfwälder direkt am Fluss noch ein-mal aus nächster Nähe betrachten. Außerdemkamen uns während der Fahrt einige Fischer-boote entgegen, was auf den Fischfang im Seehindeutet. Die dort gefangenen Fische werdenhauptsächlich in der Umgebung und in Almatyverkauft und z. T. auch nach Russland expor-tiert. Durch die Abzweigung von Wasser fürBewässerungsanlagen aus den Zuläufen des

| GeoWerkstatt

Abb. 3: Die Exkursionsgruppe

Page 50: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

50 entgrenzt 7/2014

Sees und die Anlage des Kaptschagaj-Stauseessank der Wasserspiegel des Sees bereits. Mankann nur hoffen, dass dem See nicht das glei-che Schicksal droht, wie dem ebenfalls in Ka-sachstan liegenden Aralsee.Anschließend ging es erschöpft, teilweise

verschnupft, aber voller spannender Eindrückeauf den langen Weg zurück nach Almaty, umdort noch den „Kök Bazar“ – den GrünenMarkt – nach Mitbringseln zu durchstöbernund einen letzten gemeinsamen Abend zu ver-bringen.

Während der gesamten Exkursion begegne-ten uns die Kasachen stets mit ausgesproche-ner Gastfreundlichkeit, obwohl die Verhältnis-se teilweise recht ärmlich waren. So erhieltenwir Einblicke sowohl in traditionelle als auchin alltägliche Lebensweisen und erfreuten unsder kulinarischen Spezialitäten. Ob Schaschlikvom Grill, traditionelle Mante, selbst gebacke-ne Baursaki, Katzenfisch aus dem Ile-Deltaoder Caj, Kumys (vergorene Stutenmilch) oderWodka: Wir wurden überall bestens versorgtund hatten die Gelegenheit, viel zu probieren.

GeoWerkstatt |

Page 51: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

51entgrenzt 7/2014

Cal l for Papers „GeoWerkstatt“

In der Rubrik Geowerkstatt suchen wir Men-schen und Konzepte, die sich auf eine inspirie-rende, ausgefallene oder unkonventionelleWeise der Vermittlung von Inhalten widmen.Wenn du beispielsweise in den Genuss einesneuartigen Seminarkonzeptes gekommen bistoder ein solches entwickelt hast, schreib unseinige Zeilen darüber. Wenn du auf Work-shops aufmerksam geworden bist, die didakti-sches Neuland vermitteln, teile diese Informa-

tionen mit uns. Oder hast du vielleicht eineeinzigartige Veranstaltung erlebt, dann be-richte uns und unseren Lesern darüber. Textezu diesen Themen bis maximal zwei Seitennehmen wir jederzeit entgegen und publizie-ren sie nach redaktioneller Prüfung in dernächsten Ausgabe von entgrenzt. Wir freuenuns auf deine Beiträge an [email protected]!

Anna Franke (Erlangen)August 201361 °29’N 142°53’WKennicott, Wrangell-St. -Elias-Nationalpark,Alaska, USA

Kennicott ist längst verfallener Stützpunktmehrerer Kupferminen im heutigen Wrangell-St. -Elias-Nationalpark, die aus dem Fund70%igen Kupfers um 1900 resultierten. Beher-bergte der Ort zur Blütezeit noch an die 600Minenarbeiter, verwandelte sich Kennicottnach dem Zusammenbruch der Kennicott Cop-per Corporation 1938 in eine Geisterstadt, dienach langen Jahren des Verfalls heute zumNationaldenkmal erklärt und nun langsamwieder aufgebaut wurde.

| GeoWerkstatt

Page 52: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

52 entgrenzt 7/2014

Sprach(r)ohr

Die Rubrik Sprach(r)ohr versteht sich als Ort des Debattierens und des Meinungs-austausches. Das Sprach(r)ohr wurde erdacht, um als Forum kontroverser Diskus-sionen geographischer Fragestellungen und studentischer Belange zu dienen. Hierwerden Fragen aufgeworfen, Ideen sowie Kritik geäußert und natürlich diskutiert.Das Sprach(r)ohr soll die Meinungen Studierender im deutschsprachigen Raum hör-bar machen und dadurch vernetzend wirken. Fühl dich frei, dich einzubringen undnutze das Sprach(r)ohr, um Belange verschiedenster Art überregional zu diskutieren.

Sprach(r)ohr |

In der letzten entgrenzt-Ausgabe wurde übererste Punkte einer Checkliste zur Nachhaltig-keit an Geographieinstituten des AK Nachhal-tigkeit der Bundesfachschaftentagung im Mai2013 in Berlin berichtet. Jetzt liefern MarcusMaaßen (RWTH Aachen) und SebastianTrösch (Uni Ausgburg) in Vertretung des AKNachGeodacht der BuFaTa im November 2013in Bochum nicht nur Vorschläge für eineÜberarbeitung bzw. Erweiterung der Checklis-te und des Leitfadens für Fachschaften, son-dern auch eine Form, wie die NachGeoDankendann schließlich auch unters Volk gebrachtwerden können – und das natürlich auf um-weltschonende Art und Weise, versteht sich.Nicht nur der Nachhaltigkeitsgedanke be-

darf einer Art Wiederbelebung oder eines Re-vivals. Auch das Institut für Geographie derUni Erlangen weist erhebliche Missstände auf,wie Matthias Plennert (Uni Erlangen) zu be-richten weiß, die hoffentlich mit einem Phö-nix-aus-der-Asche-Aufsteigen behoben werden.Also viel Spaß bzw. „Spaß“ beim Lesen und

nutzt das Sprach(r)ohr und meldet euch zuWort!

Kristine Arndt und Anne Reinhardt

Editorial

Markus Maaßen und Sebastian Trösch: Ein Volk von Dichtern und NachGeoDenkern

Matthias Plennert: Zwischen Autowerkstatt und Sex-Discount.Das neue Institutsgebäude der Geographie

S. 53

S. 53

Page 53: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

53entgrenzt 7/2014 | Sprach(r)ohr

Ein Volk von Dichtern und NachGeoDenkern

Markus Maaßen (RWTH Aachen)und Sebastian Trösch (Uni Augsburg)

Und wieder einmal fand der frisch umbenann-te AK NachGeodacht (ehemalig AK Nachhal-tigkeit) auf der letzten Bundesfachschaftenta-gung im November 2013 in Bochum großenZuspruch. Dies mag daran liegen, weil geradedieses Themengebiet jeden einzelnen von unsbetrifft und man sich ohne großen Aufwanddort engagieren und v.a. im Kleinen etwas be-wegen kann. Umweltbewusstsein und derNachhaltigkeitsgedanke sind für die meistenmittlerweile keine Fremdwörter mehr, oftmangelt es nur an einem Anstoß sich aktiveinzusetzen. Wie leicht das sein kann und wieviele Möglichkeiten es dafür im tagtäglichenLeben u.a. für uns Studenten gibt, zeigt einBlick in die in Freiburg erarbeitete ersteCheckliste. Schon auf kleine Dinge wie beid-seitiges Bedrucken von Papier oder auf eineordentliche Mülltrennung zu achten, bedeuteneinen wichtigen Unterschied im Umgang mitRessourcen und unserer Umwelt.Voller Tatendrang, Ideenreichtum und Ge-

sprächsbedarf machten wir uns zunächst aneine Sammlung bereits erfolgreicher nachgeo-dachter Unternehmungen an den verschiede-nen Universitäten der AK-Mitglieder. Die Listereicht von Fairtrade-Kaffee in der Fachschaftund einem sogenannten „Fair-o-maten“ in Aa-chen, „Umweltleitfäden“ an der TU Dresdenbis hin zu „Keep-Cups“ an der Uni Heidelberg.Im Anschluss wurden Vorschläge für eineÜberarbeitung bzw. Erweiterung der Checklis-te und des Leitfadens für Fachschaften erar-beitet. Ein eigener Sub-AK machte sich Gedan-ken darüber, wie die NachGeoDanken dannschließlich auch unter's Volk gebracht werdenkönnen – und das natürlich auf umweltscho-nende Art und Weise, versteht sich.Der überarbeitete umfangreiche Leitfaden

(mit Hintergrundinformationen, u.a. Links)und die operationalisierte kurze Checkliste fürdie Fachschaften sind ab Frühjahr 2014 übergeodach.org abrufbar.Es wurde wieder einmal deutlich, dass es

durchaus schon zahlreiche Projekte und Aktio-nen zu nachhaltigem Handeln an den jeweili-gen Universitäten gibt, aber noch ein riesigesPotenzial für weiteres Engagement vorhandenist. Daher lass' dich von unserer Checklisteund dem Leitfaden inspirieren, vernetze dich

mit anderen NachGeoDenkern und gleichden-kenden Studierenden an deiner Uni und setzedich für eine grünere Uni ein. Du wirst sehen,es macht nicht nur Spaß sich zusammen mitanderen für eine gute Sache einzusetzen, son-dern es ist auch ein gutes Gefühl einen kleinenBeitrag für eine lebenswertere Zukunft geleis-tet zu haben. Wenn wir dein Interesse geweckthaben, dann bring' dich doch mit deinen An-regungen/Ideen im AK ein – und komm ambesten zur nächsten BuFaTa Anfang Juni 2014in München.Zum Schluss noch ein kleiner Hinweis: Über

netzwerk-n.org – dem Dachverband von stu-dentischen Nachhaltigkeitsinitiativen – kannman auch für die eigene Fachschaft/Studie-rendenschaft Workshops o.Ä. anfragen.

Gemäß dem Leitsatz: „HORNBACH – Es gibtimmer was zu tun!“ verabschieden wir unsund wünschen ein fröhliches NachGeoDenken.

Markus und Sebastian

Zwischen Autowerkstatt und Sex-DiscountDas neue Institutsgebäude der Geographie

Matthias Plennert(Friedrich-Alexander-Uni Erlangen-Nürnberg)

Die Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg hat in den letzten Monaten einigesan Turbulenzen durchlebt und alles nur, weilin einem Raum der Deckenputz herabstürzteund einen Schreibtisch unter sich begrub.Mehrere Gebäude wiesen (und tun dies nochimmer) akute bauliche Mängel auf und muss-ten, obwohl die Mängel absehbar waren,kurzfristig geschlossen werden: Fenster, dieaus der Rahmung fallen, Traglasten der De-cken, die Bibliotheken, Studierende und Do-zierende nicht mehr tragen können, und PCB-Belastungen, die angeblich die Grenzwertenicht überschreiten (vielleicht Dank undichterFenster). Der Deckensturz Mitte Juni 2013war nur der letzte Tropfen, der das Fass zumÜberlaufen brachte. Betroffen waren und sinddie Philosophische Fakultät und die Geogra-phie (in der Naturwissenschaftlichen Fakultätangesiedelt), die sich eines dieser Gebäudeteilten.

Page 54: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

54 entgrenzt 7/2014

Nach der Schließung Ende Juli, dann wenndie Vorlesungen und Prüfungen vorbei sind,begann die notdürftige und zudem unnötigteure Sanierung des Gebäudes. Die Institutewurden auf die wenigen verfügbaren Räum-lichkeiten in der Stadt Erlangen verteilt. Man-che hatten Glück und kamen in der direktenNachbarschaft unter. Diese konnten sich dannz. B. kleine Büros abwechselnd mit Juristenteilen – Arbeiten im Schichtbetrieb. Anträgefür Heimarbeit wurden im Eilverfahren bewil-ligt. Andere hatten weniger Glück, räumtenihre Büros in Umzugskisten und kamen in ein,im letzten Moment angemietetes, Gebäude inTennenlohe unter.Administrativ gesehen ist Tennenlohe ein

Stadtteil Erlangens - betrachtet man jedoch ei-ne Karte, würde man das nicht vermuten. Esliegt über 6 km vom Zentrum entfernt und istdurch einen Wald vom restlichen Stadtgebietgetrennt. Tennenlohe ist zum einen eine Mi-schung aus dörflich-landwirtschaftlichenStrukturen, geschmückt mit einer kleinen Kir-che und alter Architektur, einem Wohngebietmit Einfamilienhäusern. Zum anderen bestehtes aus einem grauen Gewerbegebiet, das süd-lich angrenzt, eingepfercht zwischen Auto-bahn und Bundesstraße.In diesem Gewerbegebiet befindet sich nun

das Bürogebäude, dass die Universität als Not-unterkunft, als Provisorium angemietet hat,solange die Sanierungsarbeiten andauern. Al-lein die Anmietungsprozedur stellt eine Farcedar. Es war ein ewiges Hin und Her ohne klareKommunikation seitens der Unileitung. Malfehlte hier ein Gutachten, mal sollte es docheinen anderen Mieter geben, oder plötzlichwaren angeblich die Bücher der Teilbibliothe-

ken zu schwer für die Gebäudestatik.Als der Vertrag endlich unterschrieben war

– die Semesterferien waren inzwischen um,die neuen Studierenden begannen ihren Ba-chelor und Master – wurden die Strapazen dervergangenen Wochen nur noch erhöht. Im al-ten Gebäude konnten inzwischen wieder fünfBüros verwendet werden. Studierenden solltees nicht zugemutet werden, immer nach Ten-nenlohe zu fahren um Sprechstunden wahrzu-nehmen oder in der Verwaltung etwas abzu-geben. Die Bibliothek war erst mal gar nichtzugänglich – eine weitere Katastrophe, zuvorkonnte man noch mit viel Aufwand und Trick-serei Bücher für Hausarbeiten bekommen. Nurmit großer Opferbereitschaft und gutem Wil-len waren die Angestellten und Studierendenbereit sich dem Chaos hinzugeben, nicht aberohne den Druck auf die Universitätsleistung zuerhöhen, die sich damit herausredete, dassman das Desaster nicht hätte kommen sehen.Ein schallendes Gelächter war zu vernehmen,als man das in der lokalen Presse las. Die Uni-versitätsleitung versprach, dass der Zustandnur das Wintersemester über andauern würdeund dann ALLE InstitutsmitarbeiterInnen wie-der in ihre Räumlichkeiten könnten.Das Wintersemester ist zu Ende, das Som-

mersemester beginnt. Vor Kurzem gab eseinen öffentlichen Auftritt der Universitätslei-tung und des Bauministers Herrmann, bei demsie verkündeten, dass alle Probleme ein Endegefunden hätten. Die Philosophische Fakultätkann mittelfristig in ein altes Siemensgebäudeziehen, anscheinend sogar mit Louvre-artigerBibliothek. Aber auch diese Lösung ist bis jetztnur vage. Sowieso sind Gerüchte und Spekula-tionen das Einzige was kursiert. Die Kommu-nikation und Informationslage für Studierendeund Mitarbeiter ist ein Graus. Wenn einmalinformiert wird, dann wird ein Beschluss dik-tiert. Eine Beteiligung oder nur ein einfachesKommunizieren des Entscheidungsprozessesfinden nicht statt. Die beschlossene 'Lösung'der Probleme trifft natürlich nicht auf dieGeographie zu. Sie bleibt in dem Provisoriumund das die nächsten 2-3 Jahre! Die Mitarbei-terInnen können nun endlich ihre Kisten aus-packen, denn die Zuversicht, man wäre nurvorübergehend hier, ist nun verloren gegan-gen. Fest steht im Übrigen, dass eine neue Fa-kultät für Materialwissenschaften errichtetwird, inklusive Neubau. Diese Millionen hät-ten die Institute der Kochstraße auch gernegehabt und das nicht erst, wenn Deckenteile

Sprach(r)ohr |

Page 55: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

55entgrenzt 7/2014

herabstürzen. In einem CSU-regierten Bundes-land werden eben andere Prioritäten gesetzt.Die Anträge für Baumaßnahmen wurden zwarvon der Universität gestellt, aber vom Landnur zu einem Bruchteil bewilligt. Durch dasständige Aufschieben der notwendigen In-standhaltung wird die Sanierung jetzt um dasVielfache teurer.Als einziges betroffenes Institut der Natur-

wissenschaftlichen Fakultät, ohne nennens-werte politische oder wirtschaftliche Unter-stützer, ohne einer geschlossen Fakultät imRücken, werden alle Probleme, die bestehenbleiben, auf die Geographie abgeschoben. Daeine verfasste Studierendenschaft seit Jahrzehntenin Bayern untersagt ist, fehlt auch auf Seiten derStudierendenschaft die politische und demokrati-sche Teilhabe an Entscheidungsprozessen. DieUnileitung kann sich die Forderungen der Fach-schaftsinitiativen (FSI) zwar anhören, aber ent-schieden wird ohne uns. Jetzt ist die Geographiealso abgeschoben in einem trostlosen Gewer-begebiet zwischen einer Autowerkstatt und ei-nem Sex-Discount. Manche, u. a. die Unilei-tung, sagen, wir sollen uns doch über so eintolles Bürogebäude freuen, das wirklich gutist, aber ein Gebäude zaubert nicht gleich guteBedingungen für Angestellte und Studierende.Beim Studieren geht es nicht um tolle Semi-narräume oder schicke Kaffeeküchen. Ein In-stitut lebt vom Austausch zwischen den Leh-renden und den Studierenden, dem Austauschzwischen den verschiedenen Instituten, ebenvon einem regen Mit- und Untereinander. Ge-rade die Geographie, als die interdisziplinärausgerichtete Wissenschaft, trifft das hart.Aber die Liste der alltäglichen Probleme istnoch viel länger.Die Erreichbarkeit mit öffentlichen Ver-

kehrsmitteln ist für den neuen Universitäts-standort einfach nicht gewährleistet. VieleStudierende haben Nebenfächer, die in der Er-langener Innenstadt, oder sogar in Nürnbergabgehalten werden. Einige Wahlfachkombina-tionen werden wegen zeitlicher Kollision un-möglich. Auch das Fahrradfahren ist bei mehr-maligen Ortwechseln Innenstadt-Tennenlohe-Nürnberg nicht zumutbar. Der Fahrradwegdurch den Wald lädt auch nicht immer ein.Manchmal könne man meinen, man hätte beieiner Schlammschlacht teilgenommen. DasBussystem wird den neuen Anforderungennicht gerecht. Ein Semesterticket gibt es nicht.Die FSI kämpfen seit Jahren vergeblich dar-um.

Auch an die Versorgung der Geographenwurde nicht gedacht. Es gibt zwar eine gewis-se Auswahl an Currywurst- oder Dönerbuden,aber nicht zu den Preisen des Studentenwerks.An eine ausgewogene und preiswerte Auswahlan Mahlzeiten wie in einer Mensa ist nicht zudenken. Wobei sich an „Helmuts Imbiss“ eini-ge interessante Feldversuche machen ließen.Zu guter Letzt geht durch die abgeschiedene

Lage des Instituts ohne die einst angrenzendeCafeteria die Funktion als sozialer Treffpunktverloren. Durch die ehemals zentrale Lage derGeographie ging man auch mal in die Uni,wenn es nicht unbedingt notwendig war. Manhat ja immer irgendjemanden getroffen, denman kannte, wenn nicht aus der Geographie,dann zumindest aus den anderen Fakultäten,die in der unmittelbaren Umgebung lagen.Nach Tennenlohe fährt man nur, wenn esnicht anders geht oder die Leihfrist für die Bü-cher zu Ende geht. Soziale Kontakte, die nichtterminlich geplant sind, kommen kaum nochzustande. Das Kennenlernen anderer Kommili-tonen, die nicht gerade in der Vorlesung ne-ben einem sitzen, wird schwierig. Und dafürsoll man noch nach Erlangen kommen, umhier Geographie zu studieren?Es ist traurig zusehen zu müssen, wie ein

funktionierendes geographisches Institut, dasauch in der deutschen Geographie renommiertund geachtet ist, einfach so kaputt gemachtwerden kann. Leider kann ich nur hoffen.Hoffen, dass es besser wird, dass die Verant-wortlichen aus ihren Fehlern lernen.

| Sprach(r)ohr

Page 56: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

56 entgrenzt 7/2014

Cal l for Papers „Sprach(r)ohr“In der Rubrik Sprach(r)ohr suchen wir Men-schen, die ihre Meinungen in Aussagen formu-lieren wollen! Ihr habt Anregungen, Kritikoder möchtet euch generell zur akademischenGeographie äußern? Sei es zur Qualität desStudiums, der Lehre, oder zur Situation derStudierenden. Sei es zu ethischen, organisato-rischen oder politischen Fragen eures Studi-ums; oder zu inhaltlichen Ausrichtungen.Schreibt offen oder anonym! Wir wollen euchhören und zuhören! Fragt euch: Was interes-siert nicht nur mich, sondern auch meineKommilitonInnen weit entfernt an anderen

geographischen Instituten? Bildet Autorenkol-lektive und organisiert eure Meinungen. Nutztentgrenzt als Medium des Redens und Zuhö-rens. Tretet miteinander in Austausch; lasstdie Beiträge nicht im Vakuum der Teilnahms-losigkeit verhallen. Das Sprach(r)ohr ist dieEssenz von entgrenzt: Ein Ort, an dem ihr zu-sammenfindet und euren Positionen Gehörverschafft.Es werden kurze Beiträge von maximal 4.000Zeichen inkl. Leerzeichen gesucht. Wir freuenuns über eure Beiträge: [email protected]!

Anna Franke (Erlangen)August 201220°27’S 66°49’WCementerio Uyuni,Departomento Potosí,Bolivien

Am Rande des Salar de Uyuni, der größtenSalzpfanne der Erde liegt 3 km südlich der

Stadt Uyuni der Cementerio de los Trenes, einEisenbahnfriedhof, der über 100 Jahre alte,ausrangierte Züge aus der Zeit der Minenin-dustrie beherbergt. Die Züge waren damals fürden Mineralientransport zum PazifischenOzean bestimmt. Mit dem Zusammenbruchder Minenindustrie in den 1940er Jahrenwurde der Transportbetrieb stillgelegt und dieDampfloks dem Zahn der Zeit überlassen.

Sprach(r)ohr |

Page 58: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

58 entgrenzt 7/2014

GeoPraktisch

Liebe GeographInnen, liebe PraktikerInnen,

die wohl populärste aber damit auch berüch-tigste Frage an GeographInnen und solche, diesich dazu ausbilden lassen, dreht sich darum,„was man denn mit Geographie dann somacht?“. Während manche resignierend auf-geben, und sich andere Standardfloskeln zu-rechtlegen, liefern wir euch in GeoPraktischhandfeste Beispiele aus der Praxis.Dieses Mal hat entgrenzt ein Interview mit

Simon Reichenwallner geführt, in dem erschildert, wie er als Geograph seine Positionals Netzwerkmanager der ENERGIEregionNürnberg e.V zwischen Ingenieuren gefundenhat.Der zweite Beitrag in dieser Rubrik bildet

den Auftakt zu unserer neuen Reihe „A's undO's des Wissenschaftlichen Arbeitens“. Bevoreine Arbeit geschrieben wird, gilt es, sich zu-nächst einmal einen Zeitplan zu machen. Umdabei nicht die Nerven zu verlieren, schildertFrank Meyer (IFL Leipzig), worauf es an-kommt.

Viel Spaß bei der Lektüre!Eva

GeoPraktisch ist eine Rubrik, die sich auf die Praxis bezieht. Hier werdenHinweise zum Studienalltag und wissenschaftlichen Arbeiten gegeben, Inter-views mit PraktikerInnen aus geographischen Berufsfeldern vorgestellt, undTermine zu interessanten, geographischen Veranstaltungen gelistet. Damit er-halten die LeserInnen neue Anregungen und einen Überblick über ihre eigenenFachgrenzen hinaus.

GeoPraktisch |

Editorial

Interview mit Simon Reichenwallner

Frank Meyer: Masterplan Qualifikationsarbeit. Oder: Wie umschiffe ich Krisen?

S. 59

S. 62

Page 59: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

59entgrenzt 7/2014

Interview mit Simon Reichenwallner

entgrenzt: Stellen Sie sich mit drei Sätzen unse-ren LeserInnen vor.Mein Name ist Simon Reichenwallner. Ich

habe an der Friedrich-Alexander-Universität inErlangen den Master Kulturgeographie stu-diert. Derzeit arbeite ich als Netzwerkmanagerbei der ENERGIEregion Nürnberg e.V. Das isteine Netzwerkplattform zum Thema Energiefür Unternehmen, Forschungseinrichtungen,Kommunen und Verbände in der Metropolre-gion Nürnberg.entgrenzt: Was genau sind Ihre Aufgaben indem Bereich, in dem Sie tätig sind?Meine Aufgaben kann man nicht wirklich

eingrenzen. Meine Arbeit lässt sich jedoch ineinige Aufgabenbereiche gliedern. Dies ist ein-mal Öffentlichkeitsarbeit, welche ich mir mitmeinen Kollegen teile. Im Mittelpunkt stehtdabei die Gestaltung von Websites, Social-Me-dia Auftritten und Newslettern. Ein anderesFeld meiner Arbeit ist die „Mitglieder-Betreu-ung“. Dabei geht es darum, dass wir zu unse-ren Mitgliedern aus Forschung, Wirtschaft,Kommunen und Verbänden Kontakt haltenund Anforderungen an uns als Netzwerk er-kennen. Zudem bin ich noch zuständig für dieWerbung von neuen Mitgliedern. Eine meinergroßen Aufgabe ist dann noch die Koordinati-on von Arbeitskreisen, Projektgruppen undRunden Tischen. Als Geograph ist diese Aufga-be praktisch, da die Koordination von Aufga-ben im Studium bereits gelernt und gemachtwurde. Die Menschen mit denen ich im Regel-fall zusammenarbeite, stammen ursprünglicheher aus technischen Bereichen und Berufenund haben daher tendenziell weniger Erfah-rung mit Koordination von Arbeitskreisen. EinBeispiel für diese Aufgabe ist der Runde Tisch„Zukunftsfähige Immobilie“, für den ich zu-ständig bin. Es wurde ein Treffen organisiert,wobei die Themen und der Ablauf im Vorfeldmit einigen der technisch versierten Leuteausgemacht wurden. Zudem wurden die rele-vanten Rahmenaufgaben organisiert und koor-diniert. Ein Schwerpunkt für den ich auchnoch eingestellt wurde, ist die Fördermittelbe-ratung. Ich informiere die Mitgliedsfirmen,wenn sie Fragen über Förderprogramme ha-ben. Für die Ausarbeitung der Förderanträgebin ich allerdings nicht zuständig. Dazu habenwir Experten. Vielmehr ist es meine Aufgabe,den Kontakt zu diesen Experten zu vermitteln.Auf der anderen Seite schicken wir, wenn wir

ein interessantes Förderprogramm gefundenhaben, dies auch an die Mitglieder und findenheraus, ob es Interesse an einem solchen Pro-jekt gibt.Ansonsten haben wir unsere Dienstleistun-

gen definiert. Dazu gehört Networking alsDienstleistung und die Koordinierung vonNetzwerktreffen.entgrenzt: Haben sie ein konkretes Projekt andem Sie im Moment arbeiten?Wir wollen und müssen eigentlich mehr

Projekte machen, weil wir uns darüber auchfinanzieren. Im Moment gibt es einige Projek-te, die am Anlaufen sind. Es handelt sich umProjekte, zu denen bereits Ideen existierenund für die bereits Anträge gestellt wordensind. Noch sind aber keine Zusagen da, oderdie Player, die gebraucht werden, sind nochnicht gefunden. Es gibt ein Projekt, das weni-ger mit unserem Aufgabenfeld zu tun hat,sondern eher einen Service für unsere Mitglie-der darstellt. Das war auch mein erster An-trag, den ich geschrieben habe. Für diesesProjekt ist auch gerade die Genehmigungs-phase am Laufen.entgrenzt: Dann noch einmal etwas zu Ihremwissenschaftlichen Hintergrund. Welche Ver-tiefungen haben Sie im Studium gewählt?Ich habe sowohl den Bachelor als auch den

Master in Kulturgeographie in Erlangen absol-viert. Im Bachelor habe ich mich in den Semi-naren auf Regional- und Stadtentwicklung so-wie schwerpunktmäßig auf Tourismus fokus-siert. Im Master habe ich mich dann auf dieRegionalentwicklung konzentriert, mit einemFokus auf der Wirtschaftsförderung. MeineMasterarbeit habe ich schließlich über klima-freundlichen Tourismus in der FränkischenSchweiz geschrieben. Also eigentlich auchnichts was direkt mit meinem Job zusammen-hängt, außer, dass es auch etwas mit Klima zutun hatte. Aber ich habe dann freiwillig, weildas an der Uni noch nicht ausreichend ausge-baut war, Seminare des Bachelorstudiengan-ges besucht, welche in die Richtung Wirt-schaftsförderung und Regionalentwicklunggingen. Dadurch konnte ich den Hintergrundkennenlernen, der mir im Job weiterhilft. Ichdenke aber, dass die Inhalte, die ich im Geo-graphiestudium gelernt habe, vielleicht einProzent von dem Wissen ausmachen, das ichin meinem jetzigen Beruf brauche. Am wich-tigsten sind Softskills, wie Koordination, Dis-kussionsleitung und ähnliches, die man viel-mehr außerhalb des Studiums oder der Semi-

| GeoPraktisch

Page 60: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

60 entgrenzt 7/2014

nare kennenlernt und anwendet. Ich habe mirdiese vor allem bei der ehrenamtlichen Arbeitangeeignet. Dazu gehörte auch der Umgangmit Social Media und die Betreuung von sol-chen Plattformen. Das hat mir auch sicher beider Einstellung geholfen.entgrenzt: Wie wichtig ist der geographischeHintergrund und für wie wichtig halten SieBerufserfahrung durch Praktika oder Werkstu-dentenverträge?Wie bereits gesagt, schätze ich die geogra-

phischen Inhalte auf ein Prozent. Das ist na-türlich auch abhängig davon, was genau stu-diert wurde. Wenn man Wirtschaftsgeographiestudiert hat, ist es wahrscheinlich mehr. Den-noch kann man alles, was man als Hinter-grundwissen mitbekommt, immer wieder ein-bringen. Ich merke das auch im Moment, dawir ein Projekt über die Energieeffizienz imTourismus der Metropolregion Nürnberg pla-nen. Durch die Masterarbeit habe ich sicher-lich einiges ann Hintergrundwissen erworben.Was beim Netzwerkmanagement jedoch be-sonders wichtig ist, ist dass ich Kontakte habe.Über Kontakte hat man meist einen fachlichenAnsprechpartner und dadurch einen Vorteil.Soviel zu den geographischen Inhalten. Zur

Berufserfahrung: ich habe zu wenige Praktikain meinem Studium gemacht, nämlich nurzwei. Zum einen war ich in der Stadtverwal-tung, im Bereich Stadtentwicklung und -pla-nung tätig. Das hat mir persönlich wenig ge-bracht. Zum anderen habe ich bei der Wirt-schaftsförderung in Forchheim gearbeitet. Hierist an die Wirtschaftsförderung auch der Be-reich Klima und Energie gekoppelt. Das Prak-tikum hat mir für meinen Berufseinstieg sehrviel gebracht, auch weil ich es nach dem Endemeines Studiums gemacht habe. Durch dasPraktikum bin ich in das Themengebiet rein-gekommen und habe viele der Leute kennen-gelernt, mit denen ich jetzt immer noch zu-sammenarbeite. Das Beste daran war, dass ichmeinen Chef dadurch schon vorher kennen ge-lernt habe. Er hat somit von Anfang an gese-hen, dass ich Interesse an dem Thema habe. Erhat mir selber auch schon mal gesagt, ich hät-te eine gute Figur zwischen den Akteuren ge-macht, und dass ihm das sehr gut gefallen hat.Obwohl ich damals nicht viel in dem Arbeits-kreis, um den es ging, gesagt habe, sondernnur interessiert zugesehen habe. So kann manden Leuten zeigen, dass Interesse an dem The-ma besteht. Fachlich gesehen habe ich in demPraktikum gelernt, was Wirtschaftsförderung

eigentlich ist. Für mich bedeutet es vor allem,Kontaktpersonen zu haben und diesen Kontaktauch zu pflegen. Dabei müssen Fragen gestelltwerden wie: Was machen sie gerade? Kann ichIhnen helfen? Welche Projekte laufen gerade?Diese Informationen müssen dann miteinanderverknüpft werden. Ich denke, die Erfahrungenaus dem Praktikum haben mir sehr geholfen.Ansonsten habe ich neben dem Studium bei

der Fränkischen Geographischen Gesellschaft(FGG) und in der Institutsbibliothek als Hilfs-kraft gearbeitet. Diese Erfahrungen haben mirvielleicht nicht so viel gebracht, außer dassich bei der FGG den Facebook-Auftritt gestal-tet habe und das Wissen jetzt auch wiedereinbringen kann.Ehrenamtlich habe ich vier bis fünf Jahre

bei der Fachschaftsinitiative Geographie mit-gearbeitet. Hierbei habe ich Softskills kennengelernt, wie Organisation von Veranstaltun-gen, Diskussionsleitung, Protokolle schreibenund wie man sich mit anderen Leuten ausein-andersetzt. Letzteres ist für mich eine derwichtigen Sachen, die man bei einem solchenEngagement lernen kann. Zudem habe ich beider European Geography Association foryoung students and geographers (EGEA) mit-gearbeitet. Hier war ich auch erster und zwei-ter Vorsitzender der Ortsgruppe Erlangen. Ichhabe vor allem gelernt, wie man Gruppen ko-ordiniert und leitet. Wir haben zum Beispielauch einen großen Kongress organisiert. Hierhaben wir Workshops angeboten und hattendie Aufgabe, interessante Themen auszusu-chen, die besprochen werden können. Dabeihaben die Themen Social Media und Website-Gestaltung eine Rolle gespielt. Natürlich sinddiese Kenntnisse dann nur laienhaft, jedochdennoch vorhanden. All dieses Wissen undmeine Erfahrungen habe ich auch beim Be-werbungsgespräch angesprochen. Ich denke,dass das auch ein Punkt gewesen sein kann,bei dem mein Chef das Gefühl hatte: „Super,der muss sich nicht neu Einarbeiten und hatschon Grundkenntnisse.“ Es ist auf jeden Fallein Pluspunkt, wenn man in seiner universi-tären Ausbildung etwas breiter aufgestellt istund zum Beispiel noch Informatik als Neben-fach hatte.entgrenzt: Da Sie schon sehr viele Kompeten-zen wahrend Ihres Studiums gelernt haben,was wären die Kompetenzen über die Sie sa-gen würden, dass Sie dies durch den Job erstrichtig erlernt haben. Oder gibt es da über-haupt welche?

GeoPraktisch |

Page 61: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

61entgrenzt 7/2014

Also zum Großteil sind es Kompetenzen, dieman vertieft und professionalisiert. Dazu ge-hört zum Beispiel die Veranstaltungsorganisa-tion. Obwohl diese auch davon abhängig ist,was organisiert wird. Dann habe ich zuvornoch nicht so oft eine Diskussionsleitung über-nommen. Solche Dinge werden sich mit derZeit sicherlich noch professionalisieren. Auchmacht es einen Unterschied, ob man nun Dis-kussionsleitung in einem Seminar an der Unimacht oder in einem Workshop, der durch Be-rufstätige besetzt ist, die jahrelange Erfahrunghaben. Je nach Publikum sind natürlich dieAnsprüche andere. In diesem Sinn denke ich,dass ich noch viel Verbesserungs- und Lernbe-darf habe. Ansonsten habe ich jetzt eine kom-plette Website für die Energieregion erarbei-tet. Da hab ich auch etwas dazu gelernt. Dasist keine Frage.Meistens sind es Kleinigkeiten, die man ver-

tieft und erlernt, da kann man gar nicht vonKompetenzen sprechen. Die größte Kompe-tenz, die wir Geographen mitbringen ist dieAnpassungsfähigkeit und der weite Horizont.Dabei kann man sagen, dass wir uns auf allemöglichen Themen einlassen können. Dadurchhat man eine andere Sichtweise auf Themen,als vielleicht die technisch ausgebildeten Leu-te und kann ihnen auch mal andere Blickwin-kel auf Themen aufzeigen.entgrenzt: Welche Eigenschaften und fachlicheKompetenzen helfen GeographInnen genau indiesem Feld zu arbeiten?Wie schon gesagt, es ist einfach wirklich so,

dass man als Geograph einen ganz anderenBlickwinkel, z.B. bei einigen technischen Din-gen hat. Ich merke das zum Beispiel bei demRunden Tisch, den ich schon erwähnt habe(Zukunftsfähige Immobilie). Dort geht es umden energieeffizienten Betrieb von Nicht-Wohngebäuden. Im Moment liegt der Fokusauf dem Thema Nutzerverhalten und wie Nut-zerverhalten gesteuert werden kann. In derDiskussion kamen dann natürlich immer tech-nische Ansätze auf und dabei habe ich ge-merkt, dass das Gespräch in eine andere Rich-tung gedreht werden muss. Klar, man willauch technische Lösungen dafür, aber es müs-sen auch andere Komponenten eingegliedertwerden. Wir sind jetzt schon so weit zu sagen,dass Dinge wie Marketing auch reinspielenund damit haben dann die Techniker über-haupt nichts zu tun. Ich habe die Erfahrunggemacht, dass die Leute es oft extrem innova-tiv finden, wenn andere Vorschläge einge-

bracht werden, weil sie selber nicht darandenken. Schließlich fanden sie diesen „wei-chen Faktoren“ Mensch unheimlich spannend.Bei solchen Dingen spielt der breite Horizonteine wichtige Rolle. Hinzu kommen die Flexi-bilität von Geographen und auch die GIS-Kenntnisse. Diese habe ich zufällig auch schonmal gebraucht. Wir haben eine Tochtergesell-schaft, die Energienutzungspläne für Kommu-nen erstellen. Mich hatte einer der Mitarbeiterangesprochen, ob ich Kenntnisse in ArcGIShabe und etwas helfen könnte. Ich habe michzwar auch etwas einarbeiten müssen, aber insolchen Momenten merkt man, dass nicht allesolche Kompetenzen haben. Oftmals kennensich die Menschen zwar mit Kartensystemenaus, aber wenn sie dann mit solchen Program-men arbeiten brauchen sie jemanden, der sichzumindest etwas mit den Funktionen auskenntund weiß, wie sie zu benutzen sind.Hinzu kommen Softskills wie Präsentieren.

Dazu gehört sowohl gute Präsentationen er-stellen als auch gut referieren. Dies kann manbesonders für Workshops und Veranstaltungengut gebrauchen. Dadurch, dass ich unter an-derem für Öffentlichkeitsarbeit angestellt bin,geht es bei meiner Arbeit auch darum die In-halte zu gliedern und graphisch aufzubereiten.Hierbei muss man Schemata erstellen indemman Textinhalte anschaulich gestaltet. Ichglaube, solche Dinge fehlen auch oftmals imTechnikbereich. Dort wird dann textlich aufFachbeschreibungen eingegangen, aber diesenicht anschaulich und verständlich bereitge-stellt.entgrenzt: Wie schätzen Sie insgesamt die Per-spektive für GeographInnen in diesem Bereichein?Die Aufgabenbereiche von Cluster- und

Netzwerkmanagern unterscheiden sich natür-lich stark. Dieser Bereich ist noch immerdurch technisch ausgebildete Personen domi-niert. Auch wenn Stellen ausgeschrieben wer-den, werden oft Menschen gesucht, die sichfachlich auf diesem Gebiet auskennen. Wennjemand gesucht wird, der sich mit Energie-technik auskennt, hat ein Geograph natürlichkeine Chance. Wobei es eigentlich gar nicht sonotwendig wäre, jemanden mit technischemHintergrund einzustellen. Du kannst dich ein-arbeiten, wenn es um die Organisation vonVeranstaltungen und Workshops geht. Zudemwird dir auch von anderen zugearbeitet. Da-durch hast du den technischen Input undkannst Fragen stellen. Von daher braucht es

| GeoPraktisch

Page 62: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

62 entgrenzt 7/2014

den technischen Hintergrund, meiner Meinungnach, gar nicht so stark. Als Geograph bringstdu andere Fähigkeiten mit, die in dem Bereichgebraucht werden, aber nicht vorhanden sind.Von daher ist der Bereich Netzwerk- und Clus-termanagement für mich auf alle Fälle ein gu-tes Berufsfeld für Geographen. Ob die Chancenjetzt gut sind, ist die andere Frage, da es nichtso viele Netzwerke und Cluster gibt. Ich binauch eher durch Zufall auf die Stelle gekom-men. In der Stellenbeschreibung waren Stich-worte enthalten, welche ich mit Sicherheitnicht gesucht habe. Es war ein Glückstreffer.In diesem Bereich gibt es schon einige Stellen,aber sie sind noch nicht so breit gesät. Auchwenn in diesem Bereich gerade ein Hypeherrscht.entgrenzt: Was würden Sie Studierenden raten,die sich genau für diesen Bereich interessie-ren?Auf jeden Fall Praktika in diesem Bereich

machen! Es wäre auch gut, wenn es im MasterPflichtpraktika gibt, weil sich die meisten frei-willig nicht durchringen können. Man mussden Bereich kennen lernen. Wie bereits gesagt,Kontakte sind wichtig und wenn man solcheschon vorher hat, kommt man wahrscheinlichauch leichter in den Beruf rein. Vor allem,wenn man bereits einige Cluster- und Netz-werkmanager kennt und diese wissen, dassman auf Jobsuche ist. Dabei kann sich etwasergeben, auch weil sie ja auch Kontakte inganz Deutschland haben. Ein gutes Netzwerkzu haben ist sehr wichtig. Der wichtigstePunkt ist, dass man Praktika oder Studenten-jobs in dem Bereich macht oder sich in ande-ren Bereichen Fähigkeiten des Netzwerkmana-gements aneignen kann.Als Tipp: Bei Bewerbungen sollte man sich

möglichst nicht auf ein Thema versteifen. Ichhabe mich am Anfang auf Tourismus fixiertund zehn Bewerbungen in diesem Bereich ge-schrieben. Ich wurde jedoch nicht einmal zueinem Vorstellungsgespräch eingeladen, ob-wohl ich meine Masterarbeit in diesem Be-reich gemacht habe. Schließlich habe ich michmehr auf Cluster-, Regional- und Netzwerkma-nagement konzentriert. Diese Themen hatteich zuvor nur am Rande mit dabei. Zudem ha-be ich etwas stärker und breiter in dem Be-reich gesucht. Als Berufsanfänger kann mandie Vorstellungen und Erwartungen, die manhat, nur selten einhalten. Ich hatte Glück, weilich jetzt genau das mache, was ich machenwollte. Aber ich glaube, dass man seine Er-

wartungen herunterschrauben muss und sichbreit aufstellen sollte, anstatt sich auf ein The-ma zu fixieren. Masterarbeit bzw. Bachelorar-beit sollten deshalb nicht nur auf ein Themaausgerichtet sein, das einen Interessiert, son-dern auch im Moment in der Öffentlichkeitdiskutiert werden. Es hilft einem meiner Mei-nung nach tendenziell weniger, wenn man imTourismus Wanderwege kartiert und darüberschreibt, weil man viel zu eingegrenzt ist.Dann bekommt man zwar seinen Master, aberman hat kein Aushängeschild. Bei mir war esauch schon grenzwertig mit dem Thema kli-mafreundlicher Tourismus, weil meine Arbeitstark auf Tourismus fokussiert war. Mit demBezug auf das Klima habe ich aber etwas rein-gebracht, das auch in Zukunft wichtig ist. Ichglaube es ist essentiell, dass man bei Ab-schlussarbeiten Themen wählt, die für die Zu-kunft relevant sind und Jobaussichten brin-gen. Das sind die drei Tipps, die ich wichtigfinde.entgrenzt: Vielen Dank für das Gespräch, HerrReichenwallner!

Masterplan Qualifikationsarbeit.Oder: Wie umschiffe ich Krisen?

Frank Meyer

1 Einleitendes

Wer ist geeignet über dieses Thema zu schrei-ben? Meine Meinung: Am allerwenigsten kön-nen Professorinnen und Professoren Auskunftdazu geben, denn in Zeiten des allgegenwärti-gen Arbeitsdruckes und des Umstandes, dassteils 40 gleichzeitig zu betreuende Abschluss-arbeiten als wenig angesehen werden, ist nureine Kombination aus Innen- und Außenan-sicht, also durch jemanden, der selbst in dieserPhase ist, als auch für und mit anderen derenArbeiten durchdenkt, nützlich. Ich persönlichhabe eine Diplomarbeit hinter mir und steckemitten in meiner Dissertation. Ich habe eineProjektstelle am Leibniz-Institut für Länder-kunde, bin ehrenamtlich engagiert, politischinteressiert, habe Lehraufträge an der Univer-sität Leipzig und bin Vater – also zusätzlichzur Dissertation. Das macht Kompromisse,Einschränkungen und Abstriche immer wieder

GeoPraktisch |

Page 63: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

63entgrenzt 7/2014

notwendig, sensibilisiert aber auch für dieNotwendigkeit, Prioritäten setzen zu müssen.Neben den klassischen Qualifikationsarbeits-krisen im Freundes- und Kommilitonenkreissitze ich oft mit Studierenden zusammen, dieinnerhalb unseres Projektes ihre Arbeit schrei-ben wollen, bzw. bei uns studentische Hilfs-kraft sind. Zusätzlich habe ich als ehemaligerentgrenzt-Mitarbeiter einst Recherchen zu Kri-sen im Studium durchgeführt und Gesprächemit Behandelnden und Betroffenen geführt.Der Ursprung meines Interesses an diesemThema ist in einer bedenklichen Häufung von„Schreibblockaden“, „Lebenskrisen“, ambulan-ten psychologischen Behandlungen im Freun-des- und Bekanntenkreis in der und außerhalbder Wissenschaft zu sehen.Ziel dieses Beitrages ist es nicht, eine verall-

gemeinernde Psychologisierung von Krisen beiQualifikationsarbeiten vorzunehmen, oderdurchaus die Notwendigkeit professionellerBehandlung bei Krisen im Studium zu bestrei-ten. Dieser Text sollte zudem nicht unter demLabel von „Burnout“ oder „Depression“ gele-sen werden, sondern v.a. auf die vielfältigenMöglichkeiten eingehen, mit denen grundle-gende Zweifel in der Phase der Erstellung ei-ner Qualifikationsarbeit eingeordnet werdenkönnen, um deren Hintergrund besser verste-hen zu können. Es sollen bestehende Erkennt-nisse der psychologischen Studierendenbera-tung Leipzig mit meinen Erfahrungen mitQualifikationsarbeiten kombiniert und diesezur Diskussion gestellt werden. Ich beabsichti-ge nicht, eine allgemeine Erklärung fürSchreibblockaden o.Ä. zu liefern, denn jederFall ist individuell und häufig bringen die Be-troffenen auch „persönlichen Ballast“ mit, derseine Ursache nicht im Studium hat. Wichtigzu verstehen ist jedoch die Tatsache, dass dieArt und Weise der Organisation des eigenenArbeitens eine Bedingung für Erfolg oderMisserfolg in dieser entscheidenden Qualifika-tionsphase darstellt.Es ist das erklärte Ziel dieses Beitrages, eine

Möglichkeit der Strukturierung des Arbeitens an-hand konkreter Prinzipien und Ratschläge anzu-bieten. Dabei bieten bestehende Werke und Ar-beitsbücher z.B. zur empirischen Sozialfor-schung bereits etablierte Strukturierungen an.Meine Erfahrungen zeigen jedoch, dass diemeisten dieser Werke – wenn überhaupt –nicht mit dem entsprechenden Blick auf dieGestaltung des Arbeitsprozesses gelesen, son-dern nur auszugsweise für bestimmte konkrete

Methoden genutzt werden. Allen Lesern diesesBeitrages sei daher die Nutzung des lokalenBibliothekskataloges oder des Wissens des/derBibliotheksangestellten Eures Vertrauens an-geraten, um ergänzende, hierüber hinausfüh-rende und sicherlich auch umfangreichere Ar-beitshilfen für die eigene Forschungstätigkeitzu finden (siehe z.B. Przyborski/Wohlrab-Sahr– Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeits-buch).Doch zunächst: Wo beginnen? Zuallererst:

Es sind immer wiederkehrende Problematiken,vor der jede Person steht, welche in der Wis-senschaft eine Qualifikationsarbeit anfertigenmöchte:

Welches Thema soll es sein?Wie soll ich anfangen?Wie ist der ganze Berg Arbeitzu überblicken?

Manchmal enden diese Fragen in kleinen odergroßen Krisen, die die Erstellung z.B. der Ba-chelor- oder Masterarbeit (oder auch Disserta-tion) in verschiedenem Maße erschüttern kön-nen. Aber wie gilt es das zu vermeiden? Si-cherlich spielen v.a. häufig auch persönlichePrädispositionen eine Rolle, aber bei struktu-riertem Herangehen und realistischen Zeitplä-nen lassen sich große Klippen, die häufig mitplötzlichem Zeitdruck und dem Verlust desÜberblicks zu tun haben, gut umschiffen. Diefolgenden Hinweise sind dabei keine spezielleAnleitung für Bachelor, Master, Magister, Di-plom oder Dissertation, sondern vielmehr einemögliche Art und Weise, kleinere Forschungs-projekte so zu strukturieren, dass sie stets alsmöglich erscheinen. Dabei ist dies nicht dieeinzige Möglichkeit, aber eine, welche ich beider eigenen Arbeit und dem Arbeiten mit Stu-dierenden als sehr zuverlässig erlebt habe.Meiner Erfahrung nach passieren die meis-

ten Krisen im ersten Drittel der Qualifikati-onsarbeiten, in welchem die betreffenden Au-torInnen zwar grob ihr Thema und Interesseals auch die groben Anforderungen kennen,aber konkrete Wege dahin, wie sie das, wassie wissen wollen auch tatsächlichen erfahrenkönnen, erscheinen noch verworren und un-scharf. Häufig erlebten die von einer „Sinnkri-se“ Betroffenen gerade die Offenheit und Frei-heit in dieser Phase als Belastung. Gleichzeitigschreitet die Zeit voran und ggf. der begrenzteErstellungszeitraum oder das Ende der Regel-studienzeit bilden mahnende Deadlines, die

| GeoPraktisch

Page 64: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

64 entgrenzt 7/2014

zusätzlich Druck ausüben. Mir persönlich sindviele Fälle bekannt, in denen diese stockendenStartphasen in einer regelrechten „Schreibblo-ckade“ und vielleicht sogar in ambulanter psy-chologischer Behandlung endeten. Selten fin-den sich diese Krisen während laufender Erhe-bungen (so diese denn auch gelingen) oder imletzten Drittel der Erstellungszeit (in der dasnahende Ziel der Abgabe lockt). Leider kannich hier nicht Aspekte wie eine adäquate Ta-gesplanung, Zielsetzungen etc. thematisieren,aber hier sei u.a. auf das Interview mit FrauBirgit Wagner, Leiterin der psychologischenStudentenberatung der Universität Leipzig(entgrenzt Nr. 2) verwiesen.

2 Grundprämissen

Ich lege bei der Beratung von Studierendengroßen Wert darauf, gerade für die erste Phaseder Erstellung von Qualifikationsarbeiten kla-re und vor allem realistische Pläne und eineÜbersicht anhand konkreter Fragestellungenund Handlungsanweisungen zu entwickeln.Folgende Prämissen und Empfehlungen sinddabei essentiell, ohne jedoch generell auf jedePerson zuzutreffen. Wie schon beschrieben,stellen sie eine erfahrungsbezogene Aggregationdar. Nichtsdestotrotz sind sie nützliche Leit-planken fürs Manövrieren durch das Dickichtder Qualifikationsarbeit:

a) Du bist nicht deine Arbeit: Mitunter sinddie betreffenden Arbeitsthemen fast Her-zensthemen, welche auf persönlichem Interes-se und Engagement beruhen, und anhand de-rer der Anspruch gefühlt wird, es auch wirk-lich perfekt zu machen. Und dieser Umstandaddiert sich zur zu erbringenden Leistung ge-mäß Studien- und Prüfungsordnung undnimmt häufig in Verbindung mit Horrormel-dungen über potentielle Arbeitslosigkeit undniedrige Stundenlöhne durchaus beängstigen-de Dringlichkeit an. Auch persönliche Ansprü-che seitens des Freundes- oder Familienkreiseskommen häufig vor. Meine Empfehlung hierzulautet: Unter der Prämisse, eine Krise vermei-den zu wollen (wenn man schon aufgrund be-stimmter Vorerfahrungen weiß, dass es da einProblem geben könnte), ist das beste Thema injedem Fall ein Thema, welches keine Emotion,Hoffnung, überbordende Ansprüche o.Ä. her-vorruft. Eine Qualifikationsarbeit ist ein mecha-nischer Vorgang, bei der die betreffenden Perso-nen zu zeigen haben, dass Sie mit Hilfe wissen-schaftlichen Vorgehens ein Thema bearbeiten

können. Um mehr als das handelt es sich nicht,schon gar nicht um ein persönliches State-ment. Denkt nicht, dass populäre Dissertatio-nen oder Habilitationen nicht von ihren umsopopuläreren AutorInnen Jahre später nichtauch mit Stirnrunzeln gesehen werden: Siesind eine Stufe auf der Treppe der Karrierelei-ter. Und ein großes Maß an persönlicher In-volviertheit kann durchaus großes Engage-ment und Qualität nach sich ziehen, ist aber inmeiner Erfahrung häufig auch eine entschei-dende Basis für Schreibblockaden.

b) Plane realistisch, und passe deine Pläne an:Jede Nebentätigkeit, sei es eine Arbeit, einEhrenamt, eine zu pflegende Person, exzessiveHobbys oder auch eine Elternschaft solltennicht als etwas angesehen werden, welches inder Zeit „außerhalb“ der Bearbeitungszeit derQualifikationsarbeit stattfindet. Vielmehrstrahlen diese Tätigkeiten in die eigentlicheHauptaufgabe aus. So gehen von den 40 Stun-den nomineller Arbeitszeit für das Studiumschnell der Nebenjob, ein Hobby und privateVerpflichtungen ab, derer man öfter als mandenkt nachgibt, da häufig kaum fixe terminli-che Verpflichtungen in der Erstellungsphaseder Qualifikationsarbeit bestehen. Meine Emp-fehlung ist, in Zeit- und Arbeitsplänen dahermit nicht mehr als 25-30 h pro Woche Ar-beitszeit für die Qualifikationsarbeit zu kalku-lieren. Eigene Krankheiten oder die der Kindersollten penibel notiert und attestiert werden,um Verlängerungen des Bearbeitungszeitrau-mes entsprechend begründen zu können.Wichtig ist es zu akzeptieren, dass Pläne nie-mals akkurat einzuhalten sind, sondern immerwieder Herausforderungen, neue Erkenntnisseoder plötzliche Ereignisse auftauchen können,die jeden Plan zu Nichte machen. Bei einerrealistischen Planung sind diese Aspekte alsPufferzeiten zu integrieren. Aber scheut euchnicht, Pläne auch mal grundlegend zu überar-beiten, wenn sie nicht mehr der aktuellen Si-tuation gerecht werden. Ziel ist es dabei nicht,zu planen, sondern mittels des Planens stetsden Überblick zu behalten, was getan wurde,was derzeit zu tun ist und was zukünftig getanwerden muss.

c) Kritik muss sein: Zu den Zäsuren in Quali-fikationsphasen gehören oft Abstimmungsge-spräche mit Betreuern und Präsentationen zuZwischenständen. Kritisch sind diese Meilen-steine häufig deswegen, weil die Gefahr be-steht, eigene Ideen und Ansprüche „zerredet“zu bekommen. Häufig existiert das Gefühl,

GeoPraktisch |

Page 65: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

65entgrenzt 7/2014

dass diese eigentlich nützlichen Gesprächenicht die Qualität der Arbeit erhöhen, sonderneher bestehende Gewissheiten umwerfen undinsofern Mehrarbeit verursachen. Diese Kon-stellation tritt auch durchaus gepaart mit ei-nem Anspruch auf eine gewisse Perfektion auf,die jedoch zu verschobenen und gerissenenDeadlines führt, weil der bisherige Arbeits-stand noch nicht als ausreichend empfundenwird. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Ar-beit – eben weil sie kein persönliches State-ment ist, sondern schlussendlich im Auge be-wertender Personen bestehen muss – auchentscheidend in der Interaktion besser werdenkann. Entscheidend ist es daher, diese weg-weisenden Gespräche frühzeitig und konkretzu führen, um in eben diesen frühen PhasenGewissheiten – besonders im Hinblick auf dasVerhältnis von BetreuerIn und AutorIn – zuschaffen. Von der betreuenden Person könntihr Kritik, Fragen, Zusicherung und Zusprachegenauso erwarten, wie inhaltliche, methodi-sche oder organisatorische Unterstützung.

d) Weg mit den Fragen, her mit den Entschei-dungen: Forschen heißt fragen, viel fragen.Und insbesondere gibt es eine verunsicherndeDichte an Fragen, die soweit gehen kann, dassdie eigene Herangehensweise in Zweifel gezo-gen wird. Dies sagt keinesfalls aus, dass Ihr ei-ne Krise habt. Ganz im Gegenteil: Zweifel sindessentieller Bestandteil des ganz normalen Re-flektionsprozesses. Aber gerade weil dieser Re-flektionsprozess so normal ist, darf ihm nichtdie Fähigkeit innewohnen, euch über Wochenoder Monate aufzuhalten und in Selbstzweifelo.Ä. zu stürzen. Es ist essentiell zu verstehen,dass es nicht reicht Fragen zu stellen, sonderndass man den Mut haben muss, diese auch zubeantworten, Entscheidungen hinsichtlich derfundamentalen Parameter der eigenen For-schungen zu treffen und die Konsequenzendieser Entscheidungen zu tragen. Jede Ent-scheidung hat einen Grund und eine gut be-gründete Entscheidung ist eine Entscheidung,mit der man leben können sollte. Diese Konse-quenzen können zu einer Ausweitung oderEinschränkung des Themas, der Erhebungoder der Interpretation führen, aber es bedarfeiner bestimmten inneren Haltung, dies auchzu akzeptieren: Akzeptiert, dass es diese Ände-rungen gibt; dass diese Änderungen häufigvon Betreuern vorgeschlagen werden, unddass diese Änderungen ein integraler Bestand-teil von Forschungsarbeiten sind, mit dem esjede/r AutorIn immer wieder zu tun bekommt.

3 Übergeordnetes Erkenntnisinteresse

Wenn diese Grundprämissen als Vorwissen er-worben und als paradigmatisch akzeptiertwurden, geht es an den ersten, aber zentrals-ten thematischen Schritt: Die Formulierungdes übergeordneten Erkenntnisinteresses.Wichtig ist, dass der Umstand, dass „ich jetztmein Bachelorthema habe“ nicht automatischheißt, dass ein Erkenntnisinteresse expliziertwurde, welches ein systematisches und pro-duktives Vorgehen ermöglicht. AutorInnen,welche eben dieses noch nicht konzis formu-liert haben, erleben in meinen Augen sehrfrüh eine Phase, in der einerseits ein Themabekannt ist aber konkrete Fragestellungenoder Methoden kaum ausarbeitbar sind, weildas Thema selbst höchstens ein Arbeitstitel istaber keine Arbeitsanweisung bietet. Das über-geordnete Erkenntnisinteresse stellt in kurzer,konzentrierter und konsistenter Form dar, wel-cher Sachverhalt (mit welcher Methode) und vorallem (!) mit welchem Ziel bearbeitet werden soll.Es muss nicht unumstößlich sein und unter-liegt durchaus auch kleineren Änderungenaber bildet die Rahmenbedingung für eine ge-wisse arbeitsökonomische und intellektuelleStabilität, mittels derer ein zuversichtlichesund zielgerichtetes Bearbeiten des Themasmöglich ist. Ein zwar nicht perfektes aberkonzises fiktives Beispiel:Auf der Basis aktueller Literatur der Didak-

tiktheorie sowie Interviews mit Bachelorstudent-Innen soll der Einfluss individueller biographi-scher Erlebnisse auf die Art und Weise des Zu-standekommens thematischer und methodischerFestlegungen im Rahmen von Abschlussarbeitenherausgearbeitet werden.Die Bedeutung einer expliziten – verschrift-

lichten – und mit dem/der BetreuerIn abge-stimmten Version des Erkenntnisinteresses fürdas erfolgreiche Vorankommen der Qualifika-tionsarbeit kann gar nicht überschätzt werdenund muss noch vor dem Anmelden der Arbeitin Sack und Tüten sein. Wie dieses Erkenntnis-interesse ausgearbeitet wird, ist egal: Dieskann Literaturrecherchen, Absprachen mitdem/der BetreuerIn oder manchmal einfacheine einzige zündende Idee auf der Basis be-reits erlernter Sachverhalte oder aktuellerMeldungen in den Medien umfassen. Dass die-ses Erkenntnisinteresse gründlich ausgearbei-tet wird und als Kernpunkt eines Exposés zurQualifikationsarbeit auch über längereZeiträume inhaltlich größtenteils stabil bleibt,

| GeoPraktisch

Page 66: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

66 entgrenzt 7/2014

ist essentiell. Ein Punkt zu Literaturrecherchenist noch zu bemerken: Häufig wird von Studie-renden zu wenig Zeit in dieses Arbeitspaketgesteckt und zu früh ein Punkt erreicht, derals ausreichend erlebt wird obwohl vieleAspekte des Forschungsstandes noch unbe-leuchtet geblieben sind. Dies führt häufig da-zu, dass das Erkenntnisinteresse nicht wirklichNeuheiten hervorbringen kann, weil es schonbeforscht wurde.

4 Forschungsfragen

Die Stellung von Forschungsfragen im For-schungsprozess differiert in verschiedenenDisziplinen. Manchmal müssen eher Hypothe-sen aufgestellt werden, manchmal umfasst ei-ne explorative Studie eher eine allgemeineFrage zu einem Zusammenhang zwischenSachverhalten. Unabhängig von der Disziplinwerden Forschungen jedoch stets von Fragenangeleitet, welche an eine wie auch immer ge-artete Datenbasis gestellt werden. Diese For-schungsfragen sind Konkretisierungen des Er-kenntnisinteresses in Frageform. Sie fokussierenTeilfoki des Oberthemas, die eben als Teilaus-schnitte konkret untersuchbar sind und in sichabgeschlossen bereits Erkenntnisse hervor-bringen. Dabei kann für jede Forschungsfrageeine eigene Methode, oder für alle dieselbeMethode gewählt werden. Im Idealfall bauendie Forschungsfragen aufeinander auf und er-gänzen sich in einem Maße, welches die Be-friedigung des übergeordneten Erkenntnisin-teresses ermöglicht. Für das obige Beispieler-kenntnisinteresse könnten das z.B. sein:

1. Wie wird in der bestehenden Forschungslite-ratur zur Didaktiktheorie der Einfluss biographi-scher Erlebnisse von BachelorstudentInnen aufderen Abschlussarbeiten gesehen?

2. Wie bewerten BachelorstudentInnen denEinfluss biographischer Erlebnisse auf die eigenenBachelorarbeiten?

3. Welches statistische Ausmaß besitzt der Ein-fluss der Erlebnisse a) Tod von Angehörigen undb) Geburt eines eigenen Kindes hinsichtlich derBewertung der betreffenden Abschlussarbeiten.

Die zweite Forschungsfrage kann differenziertwerden anhand (1 ) der Merkmale der Bache-lorstudentInnen (z.B. hinsichtlich Geschlechtoder Alter) oder (2) nach der Art der biogra-phischen Erlebnisse (z.B. Schicksalsschläge).In jedem Fall sollte diese Konkretisierung

nicht wahllos sondern auf der Basis wissen-schaftlicher Literatur begründet erfolgen.Gleiches gilt für die dritte Forschungsfrage,bei der statistisch zwar möglich wäre, dassz.B. Personen, die Eltern wurden, eine umdurchschnittlich 0,9 Notenpunkte bessere No-te bekamen. Ob die quantitative Untersuchungdessen jedoch sinnvoll, der Zusammenhangsignifikant und das Ergebnis selbst reliabel ist,steht auf einem anderen Blatt. Hierbei wirdwieder deutlich, dass die Gespräche mitdem/der BetreuerIn genauso essentiell sind,wie die Konkretisierung von Ergebnissen unddas Durchspielen möglicher Ergebnisse.

5 Zeit- und Arbeitsplanung

Parallel zur Erstellung der Forschungsfragensollte immer wieder auf das zur Verfügungstehende Zeitbudget (gem. Studien- und Prü-fungsordnung) geachtet werden: Die Erhebungselbst – also das Sammeln von Daten – solltein der Planung in keinem Fall 20 % der Ge-samtarbeitszeit nach der Anmeldung der Qua-lifikationsarbeit überschreiten. Dies ist damitbegründet, dass im Laufe der Literaturarbeit,der Datenbearbeitung, der Analyse, desSchreibens und Korrigierens noch viele Hür-den warten, welche jeweils Verzögerungenhervorrufen können. Eine konservative Zeit-planung beinhaltet Pufferzeiten und übersetztAmbitionen in realistisch erreichbare Ziele.Zudem muss immer damit gerechnet werden,dass die Anfragen für z.B. Interviews Wochenzur Bearbeitung bei der Zielperson/-institutionbrauchen, oder auch Anfragen nicht beant-wortet werden und Neuplanungen notwendigwerden.Für unsere Forschungen rechne ich mit ge-

wissen Pauschalgrößen für Interviews undGruppendiskussionen, welche ich hier gernezur Diskussion stelle, um zu verdeutlichten,welche Arbeitsaspekte häufig im Dunkeln lie-gen, aber durchaus zeitlich wichtig sind. Sokalkuliere ich im Rahmen der Abschätzungdes Arbeitsaufwandes für empirische Erhe-bungen im Kontext der Sozialforschung für einInterview mit folgenden Werten:

a) Anbahnung des Kontaktes (Email, Tele-fon, Nachfragen, Absprachen, etc.) – 1 Stunde

b) Durchführung des Interviews (Hin- undRückfahrt, Wartezeit, 60 min Interview) – 3Stunden

c) Datenbearbeitung (Mitschnitt kopieren,

GeoPraktisch |

Page 67: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

67entgrenzt 7/2014

Literaturarbeit

Was will ich wissen?

Phase 1 :Erkenntnisinteresse

Phase 2:Was wurde veröffentlicht?

Phase 3:Forschungsfragen erstellen

Ergebnisextraktionund -analyse

SÄULE 1 SÄULE 3SÄULE 2EmpirischeErhebung

Wie kann ich es wissen?

Phase 1 :Welche Methode?

Phase 2:Literatur zu Methoden

Phase 3:Erhebungsplan entwickeln

Reflektion des Einflusses derMethode auf die Ergebnisse

PraktischeNotwendigkeiten

Bedingungen des Forschens

Welchen Nutzen bringt dieArbeit für die Zeit nach demStudium?

Was muss ich dazulernen?(Thema, Methode)

Was bin ich bereit zu tun?(Ethik, Aufwand)

Was wird von mir verlangt?(Anspruch, Benotung)

Wo kriege ich Hilfe?(BetreuerIn, Freunde)

ERHEBUNG

transkribieren, korrigieren) – 8 Stunden

Diese Werte sind Durchschnittswerte und un-terscheiden sich im konkreten Einzelfall er-heblich – sowohl nach unten als auch nachoben. Jedoch sind dies konservativ gerechneteAnhaltspunkte, um eine Planung anzustellen.So ist ersichtlich, dass für ein einziges Inter-view inkl. Transkription aber noch ohne Aus-wertung leicht 12 Stunden vergehen können,woraus folgt, dass in einer Arbeitswoche ma-ximal 3-4 Interviews durchgeführt und tran-skribiert werden können. Der zeitliche Auf-wand für die Analyse ist schwerlich konkret zubeziffern und hängt stark von der Methodikund Methodologie ab, sollte jedoch bezogenauf meine Erfahrungen zwischen 30 und 40 %der Gesamtarbeitszeit liegen, da durch dieKollision des empirischen Materials mit denkonkreten Forschungsfragen durchaus Verzö-gerungen und Nachplanungen notwendig seinkönnen.

6 Praktisches Vorgehen vor der Erhebung

Wenn Erkenntnisinteresse, Forschungsfragenund die Zeitplanung mit dem/der BetreuerIn

abgestimmt wurden, stellt sich jedem/r Auto-rIn zumindest die folgende Frage: Wo fangeich an? Und die Antwort auf diese Frage istschwierig, denn mehr noch als eine einzelneAufgabe stellen sich jedem/r AutorIn eineVielzahl von Baustellen, die häufig parallelbewältigt werden müssen, um der Erhebungnäher zu kommen. Ich möchte diese Vielzahlan Abschnitten entsprechend Abb. 1 ordnen,wobei diese Ordnung keine dem Arbeiten int-rinsische ist, sondern vielmehr eine möglichestrukturierende Sicht auf den Arbeitsprozessinsbesondere zu Beginn ist.Häufig wird das berüchtigte „Theoriekapi-

tel“ (siehe Säule 2) – bestehend aus der Bear-beitung des Themas anhand bereits bestehen-der wissenschaftlicher Veröffentlichungen –einer empirischen Erhebung (siehe Säule 3)gegenüber gestellt. Ich möchte dies aufgreifenund um eine dritte viel fundamentalere aberarbeitsökonomisch bedeutsamere Säule ergän-zen: Die praktischen Notwendigkeiten. In mei-nen Erfahrungen finden sich unzählige Bei-spiele, wo Krisen nicht mit den Arbeitsinhal-ten der Säulen 2 und 3 zusammenhingen, son-dern vielmehr aufgrund von Unsicherheiten inZusammenhang mit den Themen der Säule 1

Abbildung 1: Arbeitsstrukturierung bis zur Erhebung (Quelle: eigene Erarbeitung)

| GeoPraktisch

Page 68: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

68 entgrenzt 7/2014

entstanden. Doch zuallererst: Welche Aufga-ben sind in den Säulen zu verorten?Fragen bezüglich des Themas, die Erarbei-

tung des Erkenntnisinteresses anhand bereitsbestehender Forschungsliteratur, die Formu-lierung der Forschungsfragen und wiederkeh-rende Phasen thematischer Konkretisierungstehen im Zentrum von Säule 2. Sie impliziertdabei keine natürliche Abtrennung zwischenTheorie und Methode, sondern beinhaltetauch Fragen bezüglich des Zustandekommensvergangener Forschungen, welche relevant fürdas eigene Thema sind. Hauptrichtung dieserSäule ist die Frage „Was will ich wissen?“. DieArbeitspakete in dieser Säule beinhalten häu-fig Literaturrecherchen, Textarbeiten am Er-kenntnisinteresse, den Forschungsfragen oderder Darstellung des Forschungsstandes (bzw.auch des Exposés). Die Frage „Wie kann ich eswissen?“ steht im Zentrum von Säule 3, wel-che sich vor allem mit den Methoden zur Er-langung der beabsichtigten Erkenntnisse wid-met. Entscheidungen als auch Literaturrecher-chen zu Methoden, um deren Adäquanz hin-reichend einschätzen zu können, werdendurch detaillierte Erhebungspläne ergänzt, diedas Fortkommen dieses essentiellen Bestand-teils einer Qualifikationsarbeit übersichtlichvermitteln. Oftmals unberücksichtigt ist je-doch die Säule 1 , die sich eher mit den Bedin-gungen des Forschens beschäftigt, welche dasForschungsergebnis nicht determinieren, son-dern vielmehr die Bedingungen für ein erfolg-reiches und gesundes Gedeihen des eigenenProjektes darstellen. So müssen sich AutorIn-nen fragen, ob sie sich überhaupt Interviewsaussetzen wollen, oder doch lieber Fragebögenauswerten. Neben persönlichen Befindlichkei-ten und Ängsten in Verbindung mit dem The-ma und den potentiellen Probanden kannhierbei auch Vorwissen zu Methoden und In-halten bzw. die Bereitschaft für das Einarbei-ten in eine möglicherweise neue Methode vonBelang sein. Ein Abgleich mit den Anforderun-gen – auch hinsichtlich des wissenschaftlichenArbeitens mittels Literaturarbeit – aber auchmit den praktischen Möglichkeiten, z.B. Ratoder Unterstützung von anderen zu bekom-men (ob nun in fachlicher Hinsicht, oder wennes gilt, das eigene Kind zu betreuen), ist dabeikein Beiwerk, sondern Teil einer realistischenPlanung und damit möglichst stressfreienDurchführung.Grundsätzlich sollten sich alle AutorInnen

immer zu allen drei Säulen Aufgaben stellen

und voran bewegen: So ist es am Anfang häu-fig der Fall, dass das Erkenntnisinteresse unddie Forschungsfragen von den Möglichkeitenbestimmter Methoden beeinflusst werden, zudenen sich wiederum die forschende Personauch persönlich positionieren muss. Eine un-entwegte Auseinandersetzung mit dem, wasderzeit in den einzelnen Bereichen von Nötenist, um einen Schritt weiterzukommen, ist da-bei nicht unbedingt eine Mehrbelastung, son-dern vielmehr nur eine kleine auf die Zukunftgerichtete Investition.Auf die Zeit der Erhebung selbst bzw. die

Zeit der Analyse etc. möchte ich an dieserStelle nicht eingehen, weil ich wie eingangsdargelegt die Krisenproblematik häufig imersten Drittel der Arbeit beobachten konnte,und natürlich, weil die Hürden in diesem Be-reich höchst individuell v.a. mit der speziellenThematik und dem Betreuungsverhältnis derQualifikationsarbeit zusammenhängen.

7 Ausleitendes

Diese Einteilung in Säulen kann keine konkre-te Arbeitsplanung ermöglichen oder eineStruktur anbieten. Sie ist eine mögliche Visua-lisierung dessen, was häufig als riesiger Ar-beitsberg wahrgenommen wird. Man kann sieverfeinern, indem z.B. die zeitliche Dimensioneingefügt wird, ggf. weitere Unterteilungenvorgenommen werden, oder indem eine alter-native Strukturierung in Abgrenzung zu dervon mir präsentierten vorgeschlagen und ge-nutzt wird. Was auch immer euch hilft, denÜberblick zu behalten, solltet ihr nutzen. Abernichts bringt euch so viel, wie die Beachtungder einen – auch oben genannten – Grundprä-misse, mit welcher mir einst Bernd Belina imJahr 2008 meine umfangreichen Überlegun-gen zu Möglichkeiten und Unmöglichkeitenvon Kodierbäumen für politische Reden aufEU-Ebene zerschlug: „Fang doch einfach malan.“

GeoPraktisch |

Page 69: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

69entgrenzt 7/2014

Ihr seid TutorInnen oder DozentInnen undhabt Erfahrungen mit wissenschaftlichen Ar-beiten? Wenn ihr diese Erfahrungen als Tippsan Andere weiter geben und den Studierendenhelfen wollt zu lernen, wie man richtig wis-senschaftlich arbeitet, dann meldet euch beiuns! Oder habt ihr Hinweise zu interessantenVeranstaltungen (Kolloquien, Tagungen, Semi-nare, Sommerschulen, etc.) in der Welt derGeographie, die im Winter anstehen und wolltGeoOrga wieder füllen? Ihr habt weitere Tippsrund ums Geographiestudium oder über Prak-tika? Dann teilt eure Eindrücke, Hinweise undAnregungen mit uns in der Rubrik GeoPrak-tisch! Einreichungen von max. zwei Seitennehmen wir jederzeit entgegen und publizie-ren sie nach redaktioneller Prüfung in dernächsten Ausgabe von entgrenzt. Wir freuenuns auf euren Beitrag ([email protected])!

Cal l for Papers „GeoPraktisch“

| GeoPraktisch

Page 70: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

70 entgrenzt 7/2014

Foto(Geo)graphie

Die neue Rubrik Foto(Geo)graphie nimmt ihreArbeit auf und zollt damit endlich einmal demschönsten Beifang der geographischen ArbeitTribut! Denn wer kennt sie nicht, die Faszina-tion der Länder, Menschen und Kulturen, dieeinem auf allerlei Reisen begegnet und derengeographische Fundstücke in Form und Farbein der Schublade oder auf der Festplatte vorsich hin schlummern.Doch damit soll nun Schluss sein! Wir ha-

ben uns Gedanken gemacht und wollen eurenBildern die Bühne bereiten. Eine tolle Idee,finden wir – klar, es ist ja auch unsere eigeneund mit Feuereifer stürzen wir uns in die Pla-nungsphase! Was erst einmal so bunt und ver-lockend ausschaut, erfordert natürlich auch ei-niges an Tüftelei. Wie viele Fotos sollen es ei-gentlich sein und wie möchten wir in der Zeit-schrift verteilt werden? Welche Eigenschaftenmuss so ein Pixelmosaik haben und wie wäh-len wir objektiv und fair aus? Mit Thema, oh-ne Thema, eigenes Thema, Geothema? Wiewird man dem Diskussionsbedarf gerecht, deran unsere Türe klopft? Mit Leserbriefen, Face-book oder einem Blog?Das Ergebnis unseres Gedankensports liegt

nun vor euch! In jeder Ausgabe zeigen wirfünf Fotos passend zum aktuellen Thema undlassen den Fotografen in einem kurzen Textdarüber berichten. Unser Blog (http://fotogeo-graphie.tumblr.com/) steht danach als Diskus-sionsplattform für eure Fragen und Anregun-gen bereit und kann auch vom Fotografen für

weitere visuelle und informative Ergüsse ge-nutzt werden.Doch wie wird nun eigentlich ausgewählt?

Wie bewältigen wir den nun hoffentlich fol-genden Wust aus Einsendungen? Abgestimmtwird anhand eines Dreipunktesystems redakti-onsintern nach den Kriterien der Aufnahme-qualität, der Kreativität und Themennähe. Fürein schönes, druckbares Ergebnis spielt dieQualität zwar eine große Rolle, bei uns jedochnur die zweite Geige. Wichtig ist uns vor al-lem die kritische und kreative Auseinander-setzung mit dem Thema der jeweiligen Ausga-be, die visuell und informativ unser aller Le-serdasein bereichern soll! Mit dabei als Pio-niere auf neuem Land sind dieses Mal Fotosaus unserer Redaktion von Cosima Wernerund Anna Franke, die Eindrücke zahlreicherExkursionen aus dem schönen Geographie-Studium zeigen wollen. Ob staubige Straßen,weite Landschaften oder rostige Zeugen ver-gangenen Wirtschaftsbooms – mal was fürsAuge, mal was zum Nachdenken.Ab der Ausgabe 8 seid dann ihr an der Rei-

he! Habt ihr die entlegensten Ecken der Welterkundet, seid tief getaucht und weit gereist?Dann lasst uns daran teilhaben und schicktuns eure Fotos mit einer kurzen Beschreibungvon maximal 500 Zeichen an:[email protected] weiteren Teilnahmebedingungen fin-

dest du rechts.Anna & Björn

Die Welt ist ein Fotoalbum und wir möchten es mit euch füllen!Foto(Geo)graphie soll visuelle Anreize geben, die Welt geographisch zu be-trachten und zu interpretieren. Passend zum Thema jeder Ausgabe stellt dieRubrik Leserfotos aus aller Welt und jeder Perspektive vor und soll damit nichtnur Fernweh wecken sondern auch den kritischen Blick in unsere Umweltschärfen! Brennt euch noch etwas unter den Nägeln oder klebt dasFragezeichen auf der Stirn? Dann habt ihr die Möglichkeit in unserem Blog mitdem Fotografen und untereinander über das Foto oder das Objekt zudiskutieren und Fragen zu stellen: http://fotogeographie.tumblr.com/

Editorial

Foto(Geo)graphie |

Page 71: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

71entgrenzt 7/2014

In der nächsten Ausgabe geht es dann gleichkreativ weiter: Schickt uns eure schönsten Fo-tos zum Thema Nischengeographie! Nischenbeschreiben in den Naturwissenschaften fürden Menschen, die Flora und die Fauna an-spruchsvolle Lebensräume, die durch ein kom-plexes Zusammenspiel verschiedener Umwelt-faktoren eine hohe Anpassung und eine spezi-elle Funktion im Ökosystem erfordern. Tief-seefische in der Schwärze des Ozeans, dieEidechse in der Wüste oder Mangrovenwälderim Gezeitenwechsel der salzigen Ozeane! Seidihr eher humangeographisch unterwegs, somacht euch auf die Suche nach den Nischender Menschheitsgeschichte in Raum und Zeit!Schickt uns Eindrücke zu Obdachlosigkeit,Entschleunigung und Turbokapitalismus oderaus dem Leben der Urwaldvölker und Hochge-birgsbewohner! Vielleicht arbeitet ihr sogar ineiner wissenschaftlichen Nische mit unge-wöhnlichen Methoden oder Ansätzen? Dannerklärt uns, ob wir diesen Zweig wirklichbrauchen und warum diese Nischenforschungso wichtig für uns ist! Wir freuen uns auf fas-zinierende und kreative Einsendungen [email protected] bis zum 1 .8.2014 undeinen farbenfrohen Start der RubrikFoto(Geo)graphie! Lies dir die Regeln auf-merksam durch und leg los!

Teilnahmebedingungen:

Dein Foto soll den Betrachter abholen und mitan den Ort des Geschehens nehmen, den Ent-deckergeist wecken. Dein Foto muss von dirselbst aufgenommen worden und dein Eigen-tum sein. Abgebildete Personen müssen mitder Veröffentlichung ausdrücklich einverstan-den sein. Für den Inhalt der Fotos bist duselbst verantwortlich. Dein Foto darf auch einSonderformat haben, muss aber mindestenseine Breite von 2.500 Pixeln aufweisen undgut erkennbar sein. Du musst das Foto in we-nigen Worten (maximal 500 Zeichen) be-schreiben und uns Namen und Wohnort desFotografen, das Aufnahmedatum sowie denNamen, die Region, das Land und die Koordi-naten des Aufnahmeortes mitteilen. Hast duInformationsquellen verwendet, so sind diesenatürlich zu kennzeichnen. Die Auswahl derFotos erfolgt innerhalb der Redaktion nachden Kriterien der Themennähe, der Aufnah-mequalität und der Kreativität.

Cal l for Photos „Foto(Geo)graphie“

Dieses Mal mit dabei waren:S. 17 Kebon Kacang (Cosima Werner)S. 25 Laguna Cañapa (Anna Franke)S. 41 Low Shrub Tundra (Anna Franke)S. 51 Kennicott (Anna Franke)S. 56 Cementerio Uyuni (Anna Franke)

| Foto(Geo)graphie

Übrigens: in der digitalen Version der Zeitschrift führt euch einKlick auf das Kamera-Logo direkt zu einer Karte!

Page 72: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

72 entgrenzt 7/2014

Die MitarbeiterInnen von entgrenzt

entgrenzt ist ein offenes Medium und lebt vomMitmachen. So konnte die siebte Ausgabe vonentgrenzt nur durch viele HelferInnen und Mit-arbeiterInnen entstehen. Was anfangs durchsieben StudentInnen der Leipziger Geographieangestoßen wurde, wird mittlerweile durchviele ständige MitarbeiterInnen geleistet. DieMitarbeiterInnen arbeiten u.a. aus Leipzig, Er-langen, Kiel, München und Frankfurt an ent-grenzt mit. Danke an alle HelferInnen der sieb-ten Ausgabe von entgrenzt:Anna Franke (Erlangen), Anne Reinhardt

(München), Annika Zeddel (Erlangen), BjörnSaß (Erlangen), Cosima Werner (Erlangen),Eva Platzer (Erlangen), Florian Steiner (Frank-furt), Frank Feuerbach (Leipzig), Frank Meyer(Leipzig), Franziska Bader (Leipzig), HenrikeWilhelm (Göttingen), Ingo Haltermann (Es-sen/Münster), Jan Winkler (Erlangen), JorgStephan Kahlert (Bonn), Josephine Kellert(Leipzig), Jörg Kosinski (Leipzig), JuliaGrieshammer (Uni Bayreuth), Kristine Arndt(Bonn), Thomas Kandler (Leipzig)

Die Mitarbeit bei entgrenzt

Auch eine Onlinezeitschrift entsteht nicht vonallein. Im Hintergrund arbeiten bei entgrenztviele pfiffige Köpfe und fleißige Hände, damitdie Website, das Layout und natürlich die In-halte entstehen und in die richtige Form ge-bracht werden können. Wir sind ein fröhlichesTeam aus GeographInnen, SoziologInnen, Kul-turwissenschaftlerInnen und Technikfreaks, indem neue HelferInnen, egal aus welcher Fach-richtung, jederzeit herzlich aufgenommenwerden. Wenn du dich also ausprobierenwillst, bieten dir unsere Redaktionsbereiche,die PR und Technik viele Möglichkeiten dazu.Wir arbeiten weitestgehend dezentral, um

dem Ziel der Vernetzung von Studierendeneinen Schritt näher zu kommen. Der Umgangmit unserem entgrenzt-Wiki, E-Mail und Skypeist daher zentral in unserer Arbeitsweise. Soll-test du also nicht an unserem Stammsitz inLeipzig sein, lass dich nicht entmutigen. Unse-re HelferInnen sitzen auch an anderen Stu-dienorten. Die Aufgaben reichen von kleinenHilfsleistungen, Tipps und Recherchen, zumöglichen Beiträgen, bishin zu umfangreiche-

ren Arbeiten wie dem aktiven stetigen Mitwir-ken innerhalb eines Verantwortungsbereichs.Wieviel Zeit du bei uns einbringst, entschei-dest du allein. Außerdem ist Motivation undAbstimmung im Team wichtig, der Rest istLearning by Doing. Es gibt keine Mindest-Se-mesterzahl und die Arbeit ist ehrenamtlich.Hast du Interesse an der Mitarbeit bei ent-grenzt? Dann schreib uns eine E-Mail [email protected]. Oder besuche unsereWebsite www.entgrenzt.de für aktuelle Mitar-beitsgesuche.

UnterstützerInnen

entgrenzt hätte nicht ohne unsere Unterstütze-rInnen entstehen können. Wir bedanken unsbei der GeoWerkstatt Leipzig e.V. für die Un-terstützung und den Rahmen, der entgrenztdamit ein zu Hause gibt. Ein herzlicher Dankgeht an das Kuratorium, das uns bei der Dis-kussion des Konzeptes und dessen Weiterent-wicklung mit viel Erfahrung zur Seite standund bei Fragen zur Erstellung einer Zeitschrifthalf: Dr. Ute Wardenga (Leibniz-Institut fürLänderkunde), Prof. Dr. Otti Margraf (Leibniz-Institut für Länderkunde und GeographischeGesellschaft zu Leipzig), Prof. Dr. Vera Denzer(Institut für Geographie, Universität Leipzig),Dr. Annett Krüger (GeoWerkstatt Leipzig e.V.und Institut für Geographie, UniversitätLeipzig), Prof. Dr. Dieter Rink (Helmholtzzen-trum für Umweltforschung, Leipzig) und Ni-colas Caspari (GeoDACH-Entsandter, Mar-burg). Der wissenschaftliche Beirat hat dieBeiträge für die Rubrik Geographisches gewis-senhaft und aus professioneller Perspektiveunter die Lupe genommen und die AutorInnenim Review-Prozess begleitet: Damit haben wirBeiträge mit Qualität gewonnen und unsereAutorInnen durften sich auf die Probe stellen.Wir danken dem wissenschaftlichen Beirat da-für. Danke auch an die AutorInnen der ver-schiedenen Rubriken. Ihr habt euch getrautund diese Zeitschrift mit lesenswerten Inhaltengefüllt! Ganz besonderer Dank gilt GeoDACH,der Vertretung deutschsprachiger Geographie-Studierender. GeoDACH versteht sich als Or-gan zur Vernetzung sowie als Diskussions-plattform. Die Kooperation von entgrenzt undGeoDACH ist uns besonders wichtig, weil zurDiskussion und Vernetzung ein Medium benö-

entgrenzt machen, aber wie?

Page 73: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

73entgrenzt 7/2014

tigt wird, das frei mitgestaltet werden kannund die Diskussion befördert. Durch die Zu-sammenarbeit mit GeoDACH werden diskuta-ble Inhalte aus den Arbeitskreisen für Studie-rende sichtbar.

Nachwuchs für diekommenden Ausgaben!?entgrenzt – die studentische geographische On-line-Zeitschrift von Studierenden für Studie-rende sucht Nachwuchs. Altgediente Mitarbei-terInnen entwachsen dem studentischen Da-sein und widmen sich neuen Aufgaben. Die al-ten Aufgaben hingegen bleiben, und hierkommt ihr ins Spiel! Habt ihr Lust am Um-gang mit Sprache, am Layouten, Tüfteln, Netz-werken oder Promoten? Wolltet ihr schon im-mer etwas gestalten, euch einbringen odereinfach mal was ausprobieren? Bei entgrenztseid ihr mit euren Fähigkeiten, eurer Kreativi-tät und eurem Enthusiasmus herzlich willkom-men, denn wir suchen Nachwuchs in allen Ru-briken und Sparten, von der Redaktion, derPR, dem Layout bis hin zu technischen Fragen.Ob GeoWerkstatt, Sprach(r)ohr, GeoPraktischoder Geographisches, wir freuen uns überneue MitarbeiterInnen.Die redaktionellen Aufgaben in den vier

entgrenzt Rubriken Geographisches, GeoWerk-statt, Sprach(r)ohr und GeoPraktisch ähnelnsich stark. Dazu gehören:

• Formulierung von Calls und Editorials• Verhandlung der eingereichten Abstracts• Kontakt zu AutorInnen• Ideen für Gastbeiträge und deren

Einwerbung• Lektorieren der Beiträge• Lauscher für potenzielle Beiträge

aufstellen

In der Rubrik Geographisches, in der Studie-rende eigene wissenschaftliche Arbeiten veröf-fentlichen können, kommt zudem noch derKontakt zu potenziellen GutachterInnen sowiedie Vermittlung zwischen AutorInnen undGutachterInnen hinzu.Beiträge aus der GeoWerkstatt widmen sich

Tagungen, Exkursionen und anderen Veran-staltungen, die meist außerhalb des muffigenSeminarraums stattfinden und über den Lehr-

buch-Tellerrand hinausgehen. RedaktionelleMitarbeiterInnen, die sich in der "Geographie-Landschaft" besonders gut auskennen, könnenuns besonders unterstützen.Die Rubrik Sprach(r)ohr ist der Ort des De-

battierens in entgrenzt. Hier wird unter ande-rem aus den Fachschaften, von der Bundes-fachschaftentagung und anderen studenti-schen Initiativen berichtet. Der stetige Kontaktzu dem Verein Geo-D.A.Ch. und der Besuchder BuFaTa gehören zu den weiteren Aufga-ben der Sprach(r)ohr-Redaktion. Wer sich hiereinbringen möchte, lernt die vielen Initiativenkennen, die Studierende auf freiwilliger Basisveranstalten.Bei GeoPraktisch steht hingegen die wohl

am häufigsten an GeographInnen gerichteteFrage im Mittelpunkt: "Was macht man mitdiesem Studium?" Hier berichten Berufstätigevon ihren Jobs, ihren Werdegängen und Auf-gaben. Folglich suchen wir für dieses Ressortnach Personen, die Lust haben, neben grund-sätzlichen redaktionellen Aufgaben z.B. auchdas Führen von Interviews zu übernehmen.Da entgrenzt dezentral arbeitet, d.h. alle

Geographiestudierenden im ganzen deutsch-sprachigen Raum sich angesprochen fühlendürfen, ist eigenständiges Arbeiten und E-Mail-Kommunikation bei uns unumgänglich.Dafür bieten wir Euch die Möglichkeit sich

mit neuen und eigenen Ideen bei entgrenzteinzubringen um die Dynamik beizubehalten.Ihr werdet dabei die Geographie von einer an-deren Seite erleben.Und wenn Ihr immer noch unschlüssig seid,

dann weisen wir schon einmal auf das nächsteGesamttreffen im September hin, zu dem alleInteressierten herzlich eingeladen sind (weite-re Informationen per E-Mail).

Fragen? Interesse?

Dann meldet Euch unter [email protected] freuen uns auch euch. Euer entgrenzt-Te-am

Für Technik, PR und Layout

Entsprechende Calls findet Ihr in Kürze aufunserer Facebook-Seite unter

www.facebook.com/entgrenzt

Euer entgrenzt-Team

Page 74: entgrenzt - Ausgabe 7 - SoSe 2014entgrenzt.de/?dl_name=2014_05_01_eg_Ausgabe_7_screen.pdf · ?=2,-0 < $:$0 ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit 04>0

Name: entgrenzt – studentische Zeitschrift für Geographisches | Verein: GeoWerkstatt Leipzig e.V. | InhaltlichVerantwortlicher gemäß § 6 MDStV/TDG: Johann Simowitsch, Karl­Heine­Straße 21, 04229 LeipzigEmail: [email protected]

Anschrift: GeoWerkstatt Leipzig e.V., c/o Institut für Geographie, Johannisallee 19a, 04103 Leipzig | Vorsitzender:Frank Feuerbach | Tel.: 0341/97 38 616 (Redaktion) | Fax.: 0341/97 32 799 | Email: [email protected]: VR 3619 (Amtsgericht Leipzig)

Haftungshinweis für die digitale Version von entgrenzt: Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernehmen wirkeine Haftung für die Inhalte externer Links. Für den Inhalt der verlinkten Seiten sind ausschließlich deren Betreiberverantwortlich. GeoWerkstatt Leipzig e.V. hat keinen Einfluss auf den Inhalt von verlinkten Seiten und distanziert sichausdrücklich von rechtswidrigen oder anstössigen Inhalten.

GeoWerkstatt Leipzig e.V. übernimmt keine Gewähr für die Aktualität, Richtigkeit, Vollständigkeit oder Qualität derveröffentlichten Daten und Inhalte. GeoWerkstatt Leipzig e.V. haftet nicht für Schäden gleich welcher Art, die durch dieNutzung oder Nichtnutzung der dargebotenen Informationen enstehen oder bereits entstanden sind.

entgrenzt bedankt sich für die rechtliche Beratung durch Dextra­Rechtsanwälte.

Das entgrenzt­Layout wurde erstmalig durch Marco Holzheu entworfen. Das Layout der siebten Ausgabe von entgrenzthat Florian Steiner gestaltet. Die Cover­Illustration wurde von Josephine Kellert gestaltet. Die Schriftart YanoneKaffeesatz wurde von www.yanone.de erstellt und von entgrenzt unter CC BY 2.0 Lizenz verwendet. Die SchriftartCharis SIL wurde unter der SIL Open Font License (OFL), Version 1.1 veröffentlicht. Die zur Gestaltung des Layoutsverwendete Software Scribus ist ein freies Desktop­Publishing­Programm und unter der GNU General Public Licenselizenziert.

ISSN: 2193­1224

Die nächste Ausgabe von entgrenzt wird am1 .   November 2014 erscheinen. Das Leitthemader achten Ausgabe von entgrenzt in der Ru-brik Geographisches lautet:

NischenMit der Offenhaltung des Leitthemas für dieRubrik Geographisches hat entgrenzt bisher gu-te Erfahrungen gemacht und möchte diesesKonzept weiter führen. Es zeigt sich, dass derGeographie der Plural ganz gut steht: Geogra-phie(n) der Moral, Gewalt, Großstädte, der

Drogen, über Männer und Frauen, Pflanzen,Ozeane, Gletscher, vielleicht sogar über zwi-schenstaatliche Abhörmethoden etc. Die Listekann scheinbar endlos weitergeführt werden.Ob über Strukturen in Baumringen oder ge-sellschaftliche globale Verflechtungen, jederMaßstab kann betrachtet werden, dabei Neueszu Tage führen und auf klitzekleine Detailsoder komplexe Verknüpfungen eingehen.Die Nischen, in die sich Geographen und Geo-graphinnen hineinfuchsen, wollen wir in dernächsten Ausgabe von entgrenzt aus demSchattendasein in das Rampenlicht stellen.

entgrenzt ist ein Projekt der GeoWerkstatt Leipzig e.V. in Kooperation mit GeoDACH.

Vorschau entgrenzt Ausgabe Nr. 8, WiSe 2014/15

Impressum