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Fresenius Z. Anal. Chem. 300, 5 (1980) Entwicklung der Analytischen Chemie G. T61g Max-Planck-Inst. f. Metallforschung, Inst. f. Werkstoffwissenschaften, Katharinenstr. I7, 7070 Schw~bischGm~ind Kaum eine andere naturwissenschaftliche Disziplin unterlag in den letzten Jahren einem so groBen Struk- turwandel wie die Analytische Chemie mit gravieren- den Folgen fiir Forschung und Lehre. Als filtester Zweig der Chemie erlebte die klassische Analytische Chemie mit ihren fiberwiegend chemischen Methoden bei der Entdeckung der Elemente mit der Uranspaltung durch O. Hahn und F. StraBmann ihren HShepunkt. Durch den hSheren Stellenwert der Pro- duktion von chemischen Stoffen - bei der wohl immer die Einheit von Synthese und Analyse untrennbar verbunden blieb - verlor sie jedoch bald stark an erkenntnistheoretischem Wert. Dies wirkte sich zwangslfiufig in einem Rfickgang der Attraktivitfit in Forschung und Lehre aus. Erst als die Grenzen unserer technisierten Welt sich abzuzeichnen begannen und analytisches Denken im allgemeinen und im stofflichen Sinne wieder modern wurde, bemfihte man sich rtihrig um eine Renaissance dieser lang vernachlfissigten Dis- ziplin. Inzwischen ist sie aber lfingst nicht mehr nut Dom/ine der Chemie, sowohl hinsichtlich ihrer Metho- den, die gr613tenteils yon physikalischen Prinzipien abgelSst wurden, als auch in der Motivation, sie zu betreiben. Analytische Chemie wurde inzwischen ein F/icher fibergreifendes Grundlagenfach ffir mannigfal- tige, der Chemie benachbarte Disziplinen, die von den Erd-, Bio- und Werkstoffwissenschaften bis hin zur kulturgeschichtlichen Forschung reichen, wobei der Begriff )>Umweltanalytik<< sicher kein unwirksamer Motor ist. Dieser pl6tzliche Wandel, auf den die Chemie kaum vorbereitet war, beinhaltet weitreichende Konsequenzen in Forschung, Anwendung und Lehre ftir eine moderne Analytik, von der man neben der wirtschaftlichen Seite vor allem Zuverl/issigkeit in ihren Aussagen erwartet. Da immer niedrigere Konzentrationen von Schad- bzw. Fremdstoffen in einer kaum noch fiberschaubaren Anzahl von Matrices m6glichst zuverl/issig bestimmt werden sollen, wobei h/iufig die konventionelle Verfah- rens- und Denkweise nicht mehr ausreicht, sind neue Strategien in der Forschung und Lehre unumgfinglich. Sie mfissen nicht nur schnell verbreitet, sondern auch kritisch ausgelesen und diskutiert werden. Wenn heute die ehrwfirdige Fresenius' Zeitschrift ffir Analytische Chemie ihren 300. Band prfisentiert, so darf man rfickblickend feststellen, dab sie nicht nur die /ilteste geschlossene Dokumentation fiber fast 120 Jahre Analytische Chemie darstellt, sondern auch be- reits einer nicht mehr fiberschaubaren Anzahl von Analytikern und Konsumenten analytischer Methoden jeweils ein aktueller und kritischer Berater war. Ich betrachte es als grol3e Ehre, aber auch als Verpflichtung, wenn ich zur Zeit aktiv auf die Mitge- staltung dieser Zeitschrift Einflul3 nehmen darf, gerade in einer Phase, in der Analytische Chemie wieder lebendiger denn je ist, in der es aber auch ganz besonders darauf ankommt, mehr denn je sich Gedan- ken fiber ihre kfinftige Konzeption, Ziele und Pflichten zu machen. Meine besten Wfinsche begleiten die Zeitschrift und ihren Herausgeber beim erfolgreichen Start in den Abschnitt des n/ichsten Hunderts, das hoffentlich fiber eine erfreuliche Neuorientierung der Analytischen Che- mie berichten wird.

Entwicklung der Analytischen Chemie

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Page 1: Entwicklung der Analytischen Chemie

Fresenius Z. Anal. Chem. 300, 5 (1980)

Entwicklung der Analytischen Chemie

G. T61g

Max-Planck-Inst. f. Metallforschung, Inst. f. Werkstoffwissenschaften, Katharinenstr. I7, 7070 Schw~bisch Gm~ind

Kaum eine andere naturwissenschaftliche Disziplin unterlag in den letzten Jahren einem so groBen Struk- turwandel wie die Analytische Chemie mit gravieren- den Folgen fiir Forschung und Lehre.

Als filtester Zweig der Chemie erlebte die klassische Analytische Chemie mit ihren fiberwiegend chemischen Methoden bei der Entdeckung der Elemente mit der Uranspaltung durch O. Hahn und F. StraBmann ihren HShepunkt. Durch den hSheren Stellenwert der Pro- duktion von chemischen Stoffen - bei der wohl immer die Einheit von Synthese und Analyse untrennbar verbunden blieb - verlor sie jedoch bald stark an erkenntnistheoretischem Wert. Dies wirkte sich zwangslfiufig in einem Rfickgang der Attraktivitfit in Forschung und Lehre aus. Erst als die Grenzen unserer technisierten Welt sich abzuzeichnen begannen und analytisches Denken im allgemeinen und im stofflichen Sinne wieder modern wurde, bemfihte man sich rtihrig um eine Renaissance dieser lang vernachlfissigten Dis- ziplin. Inzwischen ist sie aber lfingst nicht mehr nut Dom/ine der Chemie, sowohl hinsichtlich ihrer Metho- den, die gr613tenteils yon physikalischen Prinzipien abgelSst wurden, als auch in der Motivation, sie zu betreiben. Analytische Chemie wurde inzwischen ein F/icher fibergreifendes Grundlagenfach ffir mannigfal- tige, der Chemie benachbarte Disziplinen, die von den Erd-, Bio- und Werkstoffwissenschaften bis hin zur kulturgeschichtlichen Forschung reichen, wobei der Begriff )>Umweltanalytik<< sicher kein unwirksamer Motor ist. Dieser pl6tzliche Wandel, auf den die Chemie kaum vorbereitet war, beinhaltet weitreichende Konsequenzen in Forschung, Anwendung und Lehre

ftir eine moderne Analytik, von der man neben der wirtschaftlichen Seite vor allem Zuverl/issigkeit in ihren Aussagen erwartet.

Da immer niedrigere Konzentrationen von Schad- bzw. Fremdstoffen in einer kaum noch fiberschaubaren Anzahl von Matrices m6glichst zuverl/issig bestimmt werden sollen, wobei h/iufig die konventionelle Verfah- rens- und Denkweise nicht mehr ausreicht, sind neue Strategien in der Forschung und Lehre unumgfinglich. Sie mfissen nicht nur schnell verbreitet, sondern auch kritisch ausgelesen und diskutiert werden.

Wenn heute die ehrwfirdige Fresenius' Zeitschrift ffir Analytische Chemie ihren 300. Band prfisentiert, so darf man rfickblickend feststellen, dab sie nicht nur die /ilteste geschlossene Dokumentation fiber fast 120 Jahre Analytische Chemie darstellt, sondern auch be- reits einer nicht mehr fiberschaubaren Anzahl von Analytikern und Konsumenten analytischer Methoden jeweils ein aktueller und kritischer Berater war.

Ich betrachte es als grol3e Ehre, aber auch als Verpflichtung, wenn ich zur Zeit aktiv auf die Mitge- staltung dieser Zeitschrift Einflul3 nehmen darf, gerade in einer Phase, in der Analytische Chemie wieder lebendiger denn je ist, in der es aber auch ganz besonders darauf ankommt, mehr denn je sich Gedan- ken fiber ihre kfinftige Konzeption, Ziele und Pflichten zu machen.

Meine besten Wfinsche begleiten die Zeitschrift und ihren Herausgeber beim erfolgreichen Start in den Abschnitt des n/ichsten Hunderts, das hoffentlich fiber eine erfreuliche Neuorientierung der Analytischen Che- mie berichten wird.