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SCHWEIZER ILLUSTRIERTE SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 60 61 Er und schnorret schnetzlet Als Marktschreier ist er der Brüller. Mit seinem Gemüsehobel besucht DANIEL MEIER, 57, die Jahrmärkte der Schweiz. Der Mann macht reinstes Kabarett und feinste Gemüseteller. Marktführer Daniel Meier am Herbstmarkt Rapperswil SG. «Je lustiger die Show, desto besser der Verkauf.»

Er schnorret schnetzlet - Gueti Gschichte · im Tag Ware verkaufen. Kaltes Buffet Mit dem Ho-bel schneidet Meier auf zehn verschiedene Arten Gemüse und richtet alles schön an. Sein

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Er

undschnorret

schnetzletAls Marktschreier ist er der Brüller. Mit seinem Gemüsehobel besucht DANIEL MEIER, 57, die Jahrmärkte der Schweiz.

Der Mann macht reinstes Kabarett und feinste Gemüseteller.

Marktführer Daniel Meier am Herbstmarkt Rapperswil SG. «Je lustiger die Show, desto besser der Verkauf.»

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Er redet so liebevoll vom Höbel i, als wärs ein Familienmitglied

Der Hobel Der Börner aus Deutschland war Testsieger im «Kassensturz». Das Grund-modell kostet 55 Franken.

Standplatz Morgens um sieben Uhr trifft Meier in der Altstadt Rapperswil ein und parkiert seinen Verkaufsstand.

Viel Logistik Meier richtet seinen Verkaufsstand ein. Die Kartonschachteln sind voller Hobel und Zubehör.

Die Statisten Für seine Ver-kaufsshow schnetzelt, schei- belt und raffelt Meier bis zu 20 Kilo Gemüse im Tag.

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Alles in Orange! Wer etwas verkaufen will,

muss auffallen

Die Ruhe vor dem Sturm Auf dem Hauptplatz in stal-liert Meier den Stand. Bald kommen die ersten Kunden.

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Meiers Verkaufstaktik: Lachen die Kunden, klingelt die Kasse

Kundendienst Manche Leute bringen Meier ihren 30-jäh-rigen Hobel zum Entsorgen – und kaufen einen neuen.

Bares Ein Plastikbecken als Kasse. Für mindestens 2000 Franken will Meier im Tag Ware verkaufen.

Kaltes Buffet Mit dem Ho-bel schneidet Meier auf zehn verschiedene Arten Gemüse und richtet alles schön an.

Sein Publikum Meiers Show ist speziell – man muss stillste-hen und zuschauen. Der Mann fasziniert und irritiert zugleich.

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TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS KURT REICHENBACH

Schwer zu sagen, wer schneller produziert: Der Gemüsehobel fri-sche Gurkenscheiben oder Meier faule Sprü-

che. Die besten ihrer Kategorie sind sie beide: Daniel Meier, 57, bekannt als «Gmüesschnorri», der redseligste Marktschreier der Schweiz. Und sein Gemüsehobel: Modell V5, Marke Börner, made in Germany, «Kassensturz»-Test-sieger; «s Höbeli», nennt ihn Mei-er, so innig und vertraut, als wärs ein Familienmitglied.

Seit 40 Jahren ist Dani Meier im Geschäft. Auf Messen und Jahrmärkten. Machte Stand-up-Comedy, bevor es das Wort gab. Witzelt, blödelt, theäterlet, paro-diert eine behäbige Berner Haus-frau, karikiert eine geizige Tante, verkohlt grossmäulige Zürcher. Ein Riesenplauderi. So etwas wie der Beni Thurnheer der Märitlüt. Wer als Marktschreier den Markt beherrschen will, muss drei Be-rufe vereinen: Verkäufer, Psycho-loge und Entertainer. So einer ist dieser Daniel Meier aus Ober-rohrdorf AG. Es sei ganz einfach, sagt er : «Eine gute Show gibt ei-nen guten Verkauf.» Wenn Meier «s Höbeli» anpreist, werden sein Verkaufsstand zur Bühne und die Kundschaft zum Publikum.

«Schauen Sie, wie rassig ich Ka­bis raffle. Haben Sie Kabis im Gar­ten? Dann halt Ihr Nachbar: Denn wer im Sommer Chabis klaut, hat im Winter Sauerkraut.»

Herbstmarkt in der Altstadt Rapperswil SG, Mittwochmorgen, sieben Uhr. Verkäufer aus der ganzen Schweiz karren Stände herbei, bauen auf, richten ein. Dann fährt Meier vor. Ihn zu

überhören, sei unmöglich, meinte er tags zuvor am Telefon, aber auch übersehen könne man ihn nicht. Meier leuchtet orange. Sein kioskgrosser Autoanhänger, der Verkaufsstand, die Gemüsehobel, selbst seine Lesebrille – alles in der Signalfarbe Orange. «Man muss in dem Business halt echli auffallen», lautet Meiers Markt-analyse. Das grün-blau karierte Kurzarmhemd, das er heute trägt, ist nicht zufällig gewählt.

«Kennen wir uns nicht? Doch, gälled Sie, bei Ihnen war ich auch schon am Portemonnaie.»

Meier zirkelt seinen Verkaufs-wagen auf ein markiertes Sieben-meterfeld. Klappt die Seitenwän-de auf, montiert Scheinwerfer, Lautsprecher und prüft mit einer Wasserwaage, ob der Stand im Lot ist. «Stände ich 14 Stunden auf einer schiefen Ebene, hätte ich am Abend Schlagseite – auch ohne Alkohol.» Trotz der Warn-farbe Orange sind ihm schon fünf Autos in den Anhänger geputscht. Und vor drei Jahren, erzählt Mei-er, fiel ihm auf der Autobahn ein Rad ab, einfach so, uiuiui, heieiei, da hätten die Funken gesprüht. Meier gestikuliert, produziert die Tonspur des Unfalls. Der Mann weiss, wie man Geschichten er-zählt. Und eine gute Show macht.

«Was! Sie haben meine Rösti­raffel noch nicht! Aber Sie sehen gar nicht so unpraktisch aus!»

Dann präsentiert Meier die Komparsen seiner Vorstellung: Ananas, Äpfel, Zwiebeln, Ran- den, Sellerie, Rüebli, Tomaten, Zucchetti, Chicorée, Kartoffeln, Paprika, Gurken, Rettich, Kabis, Lauch, Pilze und Fenchel. Gut zwanzig Kilo, die er im Laufe des Tages scheibeln, raf-

feln, raspeln, stängeln, würfeln, schnitzeln und schnetzeln wird.

«Ob es Rabatt gibt? Wer zwei Hobel kauft, darf mir du sagen.»

Im Beizli vis-à-vis trinkt er ei-nen schnellen Kaffee, liest den Rapperswil-Teil der Tageszeitung und sucht Lokal-News, die er in seine Show einbauen könnte.

Seine Art von Marktforschung. Auftritt Gmüesschnorri. Mei-

er schaltet sein Kopfmikrofon ein, legt einen Sellerie auf den Börner V5 … und beginnt über den Hobel, das Gemüse, das Wetter und sei-ne geizige Tante zu reden. Schwa-felt und raffelt in Maschi nen-gewehrkadenz. Die Show dauert noch keine Minute, schon steht ein Dutzend Neugierige da. Der Mann zieht einfach an. Sein Gschnorr irritiert und fasziniert. Wie er das Gemüse auf zehn ver-schiedene Arten schneidet, ver-sichert, so ein Hobel halte acht Jahre und achthundert Kilo Ge-müse lang, und dazwischen noch drei Gspässli einstreut und mit einer Seniorinnengruppe schä-kert – das muss man können.

Hohe Gemüsehoblerschule.

«Schauen Sie der Herr: Das ist Qualität. Mein Höbeli hält länger als heutzutage eine Ehe.»

Meiers Primarlehrer tadelte einst, der Bub rede zu gern und zu viel. Was Danis Eltern mit Stolz erfüllte, Marktfahrer auch sie, weibelten mit Zubehör für Staubsauger. Bereits mit 14 nimmt Dani daheim am Telefon Bestel-lungen entgegen, steht mit 18 am Stand, in Frack und Zylinder, und vermarktet sein «Zauberporte-monnaie, das die Welt erobert».

Er macht zwar eine Lehre als Automechaniker, geht aber nach Abschluss sofort wieder auf den

Charmeur Meier schäkert. Besonders bei älteren Damen kommen seine Sprüche und Komplimente sehr gut an.

Runterfahren Nach Feierabend meditiert Meier zu Hause im Garten. Der Gmüesschnorri ist privat ein stiller Mensch.

Edelhobel Daheim in Meiers Küche steht dieser vergoldete Börner. Als Auszeich- nung für seine Leistungen.

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Markt. Verschleudert Plastik-säcke voller Parfums für 20 Fran-ken. Reinigungsmittel für Tep-piche. Spaghettilöffel («bis zu 1000 am Tag!»). Und schafft den Durchbruch mit seinem Reini-gungstuch Clean-Fix für 12 Fran-ken. Die Swissair putzt alle Flug-zeugscheiben damit. Meier ver-kauft 800 000 Stück. Macht rich-tig Geld. Reist um die Welt. Ent- deckt Thailand und den Buddhis-mus. Kommt vor 25 Jahren zurück und auf den Gemüsehobel.

Eine Marktlücke.

«Sellerie ist ein natürliches Po­tenzmittel. Apropos: Früher hatten die Eltern mehr Kinder, heute ha­ben die Kinder mehr Eltern.»

Seit zwei Stunden schnorret und schnetzelt Meier. Er begrüsst viele Frauen mit Kindern («Ich bin der Mütterberater»). Ältere Damen kaufen gleich mehrere Hobel, schwärmen, sie benützten den Börner seit vielen Jahren und würden nun den Enkeln einen schenken. Solche Spontanliebes-bekundungen sind für Meier Gold wert. Nichts wirkt auf unschlüs-sige Neukunden eindrücklicher als die Euphorie altein gefleischter Gemüsehobler.

«Wird beim Raffeln der Chicorée rot, musst du aufhören, gell!»

Das Produkt, so Meier, müsse sehr gut sein. «Verkauft man Ramsch, ist man sofort weg vom Fenster.» Sein Hobel sei der beste, ein durchdachtes Produkt, er neh-me ihn sogar mit in die Ferien, nach Thailand. Oder Brasilien, die Heimat seiner Frau. 55 Fran-ken kostet ein V5-Hobel (samt Sicherheitshalter, 10 Schnittarten mit Messerverschlussposition und Würfelstufe grob/fein), das Super-Set (mit Rohkostschneider, Rösti-

raffel, Wellen-Waffelschneider) gibts für 98 Franken.

Was auffällt: Er schwatzt nie-mandem etwas auf. Dreht keinem was an. Der Gemüseschneider ist kein Aufschneider. Sondern ein Überzeuger: «Ich rede gern, über-rede aber niemanden.»

«Moment, ich bediene Sie sofort. Darf ich noch schnell dieser Dame dort das Geld wegnehmen? Möch­ten Sie Retourgeld oder Salat?»

Ein paar Tausend Hobel ver-kauft Meier im Jahr. Ein «akzep-tabler» Markttag bringt ihm min-destens 2000 Franken. An 67 Ta-gen ist er auf Märkten und Mes-sen. Sein Jahr beginnt mit dem Ostermarkt Bremgarten AG und endet mit dem Weihnachtsmarkt Winterthur ZH. Wintermärkte meidet er, mit Graus erinnert er sich an einen Bärner Zibelemärit bei minus 15 Grad, als ihm die Zwiebeln auf dem Hobel gefroren.

Der Märit-Markt sei härter und hektischer geworden, sagt Meier. Immer öfters checken Kun-den am Stand per Handy, ob es den Hobel irgendwo noch billiger gibt. Ja, sagt Meier, sein Produkt soll günstig sein – «aber nicht um jeden Preis!».

Dann gönnt er sich eine halbe Stunde Pause. Und der Gmües-schnorri wird zum privaten Da-niel Meier, zu einem ruhigen, be-dachten Mann. Keine Sprüche, keine Bandwurmsätze, leise und lebenserfahren erzählt er. Von den Schmerzen in der Vorführhand («vom stundenlangen Gemüse-halten»). Von der Krise («eine Mil-lion Gäste hatte die Muba früher, heute noch 124 000»). Von seiner 27-jährigen Tochter aus erster Ehe und der sechsjährigen Re-becca aus zweiter Ehe. Und vom Humor, den er mag («Otto und Giacobbo/Müller»).

«Für Kartoffelgratin stellen Sie das Messer auf 2, 4 oder 6 Milli­meter. Oder gar 7 – für die gross­mäulige Zürcher Verwandtschaft.»

(Meier darf das. Er ist selber Zürcher.)

Nach elf Stunden ist Feier-abend. Meier fährt zurück in den Aargau in sein Bauernhaus, zu seiner Familie. Später wird er für sie kochen, alles frisch natür-lich. In der Küche steht ein ver-goldeter Hobel vom Hersteller, für besondere Leistungen verlie-hen. Zuerst aber setzt sich Meier in den asiatisch gestalteten Gar-ten – und meditiert. Er brauche das, um herunterzufahren.

Und dann … wäre da noch das verarbeitete Gemüse von heute. Gescheibelt, geraffelt, geraspelt, gestängelt, gewürfelt, geschnit-zelt. Wird jetzt aufgepickt. Die Hühner eines Kollegen sind dank-bare Abnehmer. Etwas scheu erst, aber der unerhörteste Markt-schreier der Schweiz überzeugt auch die paar Hühner schnell.

«Adiö, merci. Bis zum nächsten Jahr, wieder hier. Und sollten Sie mich nicht sofort sehen – hören werden Sie mich bestimmt.»

So begann es Meier mit 18 Jahren (mit Zylinder), er preist auf dem Markt sein Zauberporte-monnaie an.

Die nächste Generation Tochter Rebecca, 6, eifert ihrem Vater nach. Hier in der Küche in Oberrohrdorf AG.

Entsorgen Das geschnittene Gemüse aus seiner Tages-show verfüttert Meier an die Hühner eines Kollegen.

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