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SCHWEIZER ILLUSTRIERTE SCHWEIZER ILLUSTRIERTE40 41
März pro Stund es Härz» hiess es im
Schlager über den Gigolo-Skilehrer
schlechthin, den «Gigi vo …». Wehe! Ich
solle es mir gefälligst verklemmen, in
einer Reportage über Zermatt von Gigis
Skidestination zu schreiben, warnt mich
die Dame vom Tourismusbüro, als ich
anfrage, ob ich Alex Taugwalder testen
dürfe, den schnellsten Skilehrer der Welt.
Anfang Februar fand in Bulgarien
die Weltmeisterschaft der Skilehrer statt.
Mit 150 Athleten aus fünfzehn Nationen.
Alex Taugwalder gewann Gold im Rie-
TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS REMO NÄGELI
Schnee von gestern. Natürlich
kennt er die Klischees, die
blöden Sprüche und die von
Neid geschürten Frotzeleien
bleicher Unterländer. Aha,
Skilehrer! Pisten-Macho, Skihäsli-Domp-
teur, Pulverschnee-Clooney. «Früher viel-
leicht», sagt Skilehrer Alex Taug walder,
als ich ihn danach frage. Früher trugen
einige wenige Kollegen ihr schwer ver-
dientes Schwerenöter-Image zu Recht.
Heute sei das anders. Der moderne Ski-
lehrer sei ein Profi mit pädagogischem
Geschick, Seriosität und Sozialkom-
petenz. Klar sei man charmant zu den
Gästen, die hätten schliesslich Ferien,
wollten Spass, und wer angeflirtet wer-
de, dürfe zurückflirten. Aber mit Anstand
und Abstand. Sagt Taugwalder. Und
strahlt so hinreissend schelmenhaft wie
… wie ein Skilehrer halt.
Alexander Taugwalder, Läx genannt,
ist 29-jährig, Zermatter, Ururneffe von
einem der Matterhorn-Erstbesteiger.
Und frisch verheiratet – was ihm früher
das Geschäft ruiniert hätte. Vor allem
in den 70er-Jahren waren Skilehrer mit
Vorteil sehr, sehr ledig, brachten ihre
weiblichen Gäste tagsüber in Vor- und
nachts in Rückenlage. «Von der Piste in
die Kiste» hiess das Jagdmotto mancher
Skilehrer, die beim Wort Schneeverhält-
nisse nicht primär an den Pistenbericht
dachten und deren einzig feste Bindung
zwischen Schuh und Ski montiert war.
1975 stürmte der Liebes-Slalom der Ski-
lehrer gar die Hitparade. «Er bricht im
senslalom, dazu Silber im Formations-
fahren mit seinen Teamkollegen.
«Salü, ich bin der Läx, wie geits?»
Morgens um acht stiefelt der Weltmeis-
ter im Campari-roten Skilehrer-Dress
durch den alten Dorfkern Zermatts. Die
Ski geschultert, die nagenden Minus-
grade ignorierend, der Gang trotz Gehbe-
hinderungsapparaten frustrierend ele-
gant. Der Mann ist die Freundlich- und
Fröhlichkeit in Person. Man fasst sofort
Vertrauen. Ein Tag Privat unterricht.
«Gehwer!», wallisert Läx, und sein Los-
marschieren verrät, dass er «Gehen wir»
gesagt hat.
Die Sache ist die: Vor zwölf Jahren ist
mir das Skifahren verleidet. Zu viel
Jubel, Trubel und Tubel auf den Pisten.
Mit Weltmeister Läx will ich es nochmals
wagen. Meine letzten Ski waren schmale
zwei Meter lang. Läx will mir beibringen,
wie man heute Ski fährt. Carving heisse
das Zauberwort. «Gehwer!»
Als Teenager fuhr Taugwalder Ski-
rennen, wollte Profi werden, erkannte
aber mit neunzehn Jahren, dass es ihm
nie an die Spitze reichen würde. Schon
während Matura und Hotelfachschule
heuerte er als Skilehrer bei der Schwei-
zer Ski- und Snowboardschule Zermatt
an. Bildete sich aus, bildete sich weiter,
und seit 2011 ist er Leiter des Betriebs,
Herr über 250 Skilehrer. Und damit Meis-
ter im Jonglieren mit Terminen, Gäste-
Begehren, Skilehrer-Nöten, Wetterkapri-
olen – und besonderen Gästewünschen.
Wie jenem eines Engländers, der für seine
Frau einen Skilehrer buchte: «Sie möch-
te einen jungen, hübschen Kerl – geben
Sie ihr bitte einen, der schwul ist.»
Zurück auf der Piste. Der Welt-
meister lehrt mich Carven. Erklärt,
demonstriert, lobt, verbessert und gibt
einem das Gefühl, alles «hüere güet!» zu
machen. Wir sirren los, kurven, gleiten,
und bei gefühltem Tempo 200 dreht Läx
sich doch einfach um, fährt rückwärts
und macht dabei trotzdem die dynami-
schere Figur als ich im Vorwärtsfahren.
Das sind so Momente, wo man als
An der Skilehrer-WM gewinnt ALEX TAUGWALDER Gold. Der Zermatter
weiss alles über Carven, Kurven und Flirten. Unser Reporter nimmt einen Tag
Privat-Skiunterricht. Ein Pistenbericht.
Schnellster Skilehr er der Welt
Synchrones Ehepaar Alex (vorne) und seine Frau auf Zermatts Pisten. Auch Fränzi leitet eine Skischule, in Oberiberg SZ.
ERFOLG AM HALS Alex «Läx» Taugwalder unterwegs in Zermatt. Die goldene Skilehrer-WM-Medaille gewann er im Riesenslalom, die silberne im Team-Formationsfahren.
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SKISCHULE UND APRÈS-SKI
Links: Als Leiter der Skischule gibt Alex selber keinen Unterricht mehr. Aber er besucht und überprüft täglich alle Klassen auf den Pisten, hier eine Kindergruppe.Rechts: Alex’ Eltern Leander und Simone (2. v. r.) und seine Schwester Sarah (l.) führen das Zermatter Bergrestaurant Blatten. Der Weltmeister und seine Frau Fränzi (r.) werden mit der teuflisch-feinen Hausmischung Gili-Gili begrüsst.
STÄNDCHEN IN ALEX’ WOHNUNG Seit letztem Oktober sind Alex, 29, und Fränzi, 32, verheiratet. Im Sommer kommt ihr Kind zur Welt.
Unterländer mit ein paar fiesen Ski-
lehrer-Klischees zündeln möchte. Aber
Läx pariert charmant, sagt, der Schnee
sei heute aber auch cheibe kalt und
klebe am Ski, darum hätte ich wohl etwas
Mühe. Nicht ich, der Schnee ist schuld.
Skifahren, sagt Läx, sei seine ein-
zige Konstante im Leben. Und die Musik.
Er textet, komponiert, spielt Gitarre und
Piano und war früher Sänger der Zer-
matter Band Lingworm, die 2006 immer-
hin den Kleinen Prix Walo gewann. Läx
sagt, er komponiere am besten, wenn es
ihm schlecht gehe. Er hat schon lange
nichts mehr komponiert.
Was vor allem an Fränzi Hubli liegt,
32, aus Oberiberg SZ. Vor vier Monaten
wurde geheiratet. «Am 31. Oktober»,
sagt Fränzi. «Am 30.», sagt Läx, prüft
aber sicherheitshalber seine Agenda (es
war der 31.) und entschuldigt sich, sie
hätten beide viel zu tun. Und ein logisti-
sches Problem: Während Läx in Zermatt
lebt, leitet Fränzi in ihrer Innerschweizer
Heimat die Ski- und Snowboardschule
Ybrig mit achtzig Schneesportlehrern.
Dreieinhalb Autofahrstunden trennen
das Paar. «Läx und ich», sagt Fränzi,
«sind in unseren Wohnorten tief verwur-
zelt, darum arbeiten und wohnen wir
während der Wintersaison weiterhin
getrennt.» Ein Zustand, den man noch
verkomplizieren kann.
An Läx’ Haustür hängt das Foto einer
Ultraschalluntersuchung. Im Sommer
kommt das Baby zur Welt. Wie das Fami-
lienleben zwischen Wallis und Schwyz
dann organisiert wird, ist unklar. Zuerst
werden jetzt Vornamen sortiert. «Etwas
Normales» soll es sein, in ihren Skischul-
klassen hätten sie drum immer wieder
Kinder mit so abstrusen Namen wie
Bonnevoyage oder Loveday.
Als Skilehrerin weiss Fränzi um die
Verlockungen, denen ihre männlichen
Kollegen ausgesetzt sind. «Natürlich
wird geflirtet, alle Skilehrer flirten.» Ent-
scheidend sei die Dosis. Und nein, sie
sitze abends nicht in ihrem Ober iberg
und frage sich, was Läx in Zermatt wohl
grad mache. Ihr Mann, da ist sich Fränzi
sicher, habe ein sehr geordnetes Leben.
Sie kennt jedenfalls keinen, der so per-
fekt Rasen mäht wie ihr Mann.
Mit Läx fägts. Einen Tag mit dem
weltbesten Skilehrer auf der Piste und
ich kehre reu- und übermütig zum Ski-
sport zurück. Viel zu schnell ist der Tag
vorbei, letzte Abfahrt, letztes «Gehwer».
Dann, Debriefing in Taugwalders Ski-
keller. Wo – ha! also doch! auch er! – das
klassische Skilehrer-Klischee auf uns
wartet: ein Skihäsli. Zwischen Gitarren-
koffern, zig Paar Ski, Schuhtrockner und
dem Skilehrer-WM-Pokal steht sie da,
blond, 1 Meter 75 gross, glatt poliert, flott
tailliert, «und perfekt für Freestyle und
Sprünge», schwärmt Läx und befingert
das Paar Ski, von dessen Deckblatt eine
aufgemalte Blondine lächelt. Dann zieht
er seine Skilehrerjacke aus. Nach 19 Uhr
dürfe die im Ausgang nicht mehr getra-
gen werden, nicht wie früher, zu Gigi
von …, ja eben, zu Gigis Zeiten, als
Skilehrer von der Abfahrt nahtlos zum
Absturz an der Bar übergingen. Apropos
Après-Ski. Läx zeigt noch einmal sein
Weltmeister-Skilehrer-Zermatter-Grinsen.
«Gehwer?» Wier geh!
Der Gast will Spass: Skilehrer,
die angeflirtet werden, dürfen zurückflirten
ALEX TAUGWALDER
Snow und Show Alex ist Gitarrist und Sänger der Zermatter Band Lingworm.
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