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S294 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000 Katastrophen sind ausgesprochen häufig. So gibt es in Indien mindestens 1-mal im Monat ein Zugunglück. Das Schwerste ereignete sich am 2.8.1999 in der Nähe von Gaisal, als 2 Schnellzüge aufeinander prallten. Die Erstmaßnah- men wurden von Einwohnern des Orts durchgeführt. Der Beginn der Rettungs- maßnahmen startete mit etwa 4-stündi- ger Verspätung. Vielfach sind dies die einzigen Informationen, die zugänglich sind, und bei der Vielzahl von Katastro- phen erstaunt die häufig unzureichende Dokumentation über den Ablauf und die Erfahrungen, die dabei gemacht wurden. Die Gründe mögen vielschichtig sein, zum einen sind andere Aufgaben zu erfüllen als die einer lückenlosen Do- kumentation, was insbesondere für grö- ßere Katastrophen zutrifft, zum anderen mögen viele Details von Katastrophen in Aufzeichnungen gemündet haben, die dann aber schlussendlich nicht veröf- fentlicht wurden. Schließlich gibt es si- cherlich hier und da auch Ereignisse, bei denen man sich aufgrund von Kritik in der Öffentlichkeit später gescheut hat, die Details zu publizieren. Dadurch ist die Zahl verwertbarer Publikationen über Katastrophen gering [1, 2, 4–14, 17]. Es erscheint deshalb sinnvoll, die Ergebnisse verschiedener Katastrophen unter besonderer Berücksichtigung der Katastrophe von Eschede zu analysie- ren. Erdbeben von Kobe Kobe verdankt seinen Aufschwung dem großen Kanto-Erdbeben 1923. Aus Si- cherheitsgründen wurde seinerzeit ein Teil der Industrie aus der Gegend von Tokio nach Kobe verlegt. Kobe zählt heute 1,54 Mio. Einwohner und ist der wichtigste Hafen Japans. Das Epizen- trum des Bebens lag zwischen der Insel Awaji und dem Festland und hatte eine Stärke von 7,2 nach der Richterskala. Die Herdtiefe betrug 13 km, die Hauptscha- denszone stellte einen 1–2 km breiten Streifen dar. Das Erdbeben forderte 6300 Tote und 27.000 Verletzte. Die Katastrophe Trauma Berufskrankh 2000 · 2 [Suppl 2]: S294–S297 © Springer-Verlag 2000 Großkatastrophen Hans-Jörg Oestern Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie,Allgemeines Krankenhaus Celle Erfahrungen und Ergebnisse aus bisherigen Katastrophen im Vergleich zu Eschede Prof. Dr. H.-J. Oestern Klinik für Unfall- und Wiederherstellungs- chirurgie, Allgemeines Krankenhaus Celle, Siemensplatz 4, 29223 Celle (e-mail: [email protected], Tel.05141-721100, Fax: 05141-721109) Zusammenfassung Werden die bei verschiedenen Katastrophen gemachten Erfahrungen betrachtet, zeigt sich, dass in allen Katastrophen die Kommu- nikation und die Kennzeichnung des leiten- den Notarzts Probleme darstellten. Die Um- setzung der gemachten Erfahrungen ist auf den verschiedenen Gebieten eingeleitet und z. T.auch weitgehend verwirklicht worden. Trotz vieler Katastrophen ist die internatio- nal zur Verfügung stehende Literatur über gemachte Erfahrungen eher auf Einzelbe- schreibungen beschränkt. Naturkatastro- phen zwingen zu einem anderen taktischen Vorgehen als technische Unfälle, ebenso wie der Ort der Katastrophe entscheidend ist (3.Welt oder hoch entwickelter Industrie- staat). Das Erdbeben in Kobe forderte 6300 Tote und 27.000 Verletzte und hat auf- grund der Probleme zur Einrichtung einer so genannten Katastrophenkommission ge- führt, die weltweit Katastrophenorte be- sucht, um Erfahrungen zu sammeln. Die zu späte Absperrung des Luftraums für Medien- vertreter, Kommunikationsprobleme auf- grund zusammengebrochener Telefonlei- tungen und die nicht immer optimale Be- handlung der Schwerverletzten wurden in- tern bemängelt. Die Katastrophe von Ram- stein hatte das Problem einer verteilten Zu- ständigkeit zwischen amerikanischen und deutschen Behörden. Dieses Zuständigkeits- problem hat auch zu einer entsprechend unterschiedlichen Bewertung des Gesamt- ablaufs geführt. Fehlender Katastrophenplan und fehlende Logistik sowie z. T.nicht er- folgte Primärbehandlung charakterisieren das Explosionsunglück auf dem Camping- platz in Los Alfaquez. Auch in Eschede war die Kommunikation das Hauptproblem. Letz- teres sollte im hoch technisierten Zeitalter aber schnellstmöglich gelöst werden.Wei- terhin ist die dringend benötigte flächen- deckende Umsetzung des leitenden Notarzts bisher nicht erfolgt. Hier müsste in Zukunft Abhilfe geschaffen werden. Schlüsselwörter Katastrophen · Kommunikation Katastro- phenkommission · Zuständigkeitsproblem · Kobe · Ramstein · Los Alfaquez · Eschede · Katastrophenmanagement

Erfahrungen und Ergebnisse aus bisherigen Katastrophen im Vergleich zu Eschede

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S294 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000

Katastrophen sind ausgesprochenhäufig. So gibt es in Indien mindestens 1-mal im Monat ein Zugunglück. DasSchwerste ereignete sich am 2.8.1999 inder Nähe von Gaisal, als 2 Schnellzügeaufeinander prallten. Die Erstmaßnah-men wurden von Einwohnern des Ortsdurchgeführt. Der Beginn der Rettungs-maßnahmen startete mit etwa 4-stündi-ger Verspätung. Vielfach sind dies dieeinzigen Informationen, die zugänglichsind, und bei der Vielzahl von Katastro-phen erstaunt die häufig unzureichendeDokumentation über den Ablauf unddie Erfahrungen, die dabei gemachtwurden.

Die Gründe mögen vielschichtigsein, zum einen sind andere Aufgabenzu erfüllen als die einer lückenlosen Do-kumentation, was insbesondere für grö-ßere Katastrophen zutrifft, zum anderenmögen viele Details von Katastrophen in

Aufzeichnungen gemündet haben, diedann aber schlussendlich nicht veröf-fentlicht wurden. Schließlich gibt es si-cherlich hier und da auch Ereignisse, beidenen man sich aufgrund von Kritik inder Öffentlichkeit später gescheut hat,die Details zu publizieren. Dadurch istdie Zahl verwertbarer Publikationenüber Katastrophen gering [1, 2, 4–14, 17].

Es erscheint deshalb sinnvoll, dieErgebnisse verschiedener Katastrophenunter besonderer Berücksichtigung derKatastrophe von Eschede zu analysie-ren.

Erdbeben von Kobe

Kobe verdankt seinen Aufschwung demgroßen Kanto-Erdbeben 1923. Aus Si-cherheitsgründen wurde seinerzeit einTeil der Industrie aus der Gegend vonTokio nach Kobe verlegt. Kobe zähltheute 1,54 Mio. Einwohner und ist derwichtigste Hafen Japans. Das Epizen-trum des Bebens lag zwischen der InselAwaji und dem Festland und hatte eineStärke von 7,2 nach der Richterskala. DieHerdtiefe betrug 13 km, die Hauptscha-denszone stellte einen 1–2 km breitenStreifen dar.

Das Erdbeben forderte 6300 Toteund 27.000 Verletzte. Die Katastrophe

Trauma Berufskrankh2000 · 2 [Suppl 2]: S294–S297 © Springer-Verlag 2000 Großkatastrophen

Hans-Jörg Oestern Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Allgemeines Krankenhaus Celle

Erfahrungen und Ergebnisseaus bisherigen Katastrophenim Vergleich zu Eschede

Prof. Dr. H.-J. OesternKlinik für Unfall- und Wiederherstellungs-chirurgie, Allgemeines Krankenhaus Celle,Siemensplatz 4, 29223 Celle (e-mail: [email protected],Tel. 05141-721100, Fax: 05141-721109)

Zusammenfassung

Werden die bei verschiedenen Katastrophengemachten Erfahrungen betrachtet, zeigtsich, dass in allen Katastrophen die Kommu-nikation und die Kennzeichnung des leiten-den Notarzts Probleme darstellten. Die Um-setzung der gemachten Erfahrungen ist aufden verschiedenen Gebieten eingeleitet undz. T. auch weitgehend verwirklicht worden.Trotz vieler Katastrophen ist die internatio-nal zur Verfügung stehende Literatur übergemachte Erfahrungen eher auf Einzelbe-schreibungen beschränkt. Naturkatastro-phen zwingen zu einem anderen taktischenVorgehen als technische Unfälle, ebenso wieder Ort der Katastrophe entscheidend ist (3.Welt oder hoch entwickelter Industrie-staat). Das Erdbeben in Kobe forderte 6300 Tote und 27.000 Verletzte und hat auf-grund der Probleme zur Einrichtung einer so genannten Katastrophenkommission ge-führt, die weltweit Katastrophenorte be-sucht, um Erfahrungen zu sammeln. Die zuspäte Absperrung des Luftraums für Medien-vertreter, Kommunikationsprobleme auf-grund zusammengebrochener Telefonlei-tungen und die nicht immer optimale Be-handlung der Schwerverletzten wurden in-tern bemängelt. Die Katastrophe von Ram-stein hatte das Problem einer verteilten Zu-ständigkeit zwischen amerikanischen unddeutschen Behörden. Dieses Zuständigkeits-problem hat auch zu einer entsprechend unterschiedlichen Bewertung des Gesamt-ablaufs geführt. Fehlender Katastrophenplanund fehlende Logistik sowie z. T. nicht er-folgte Primärbehandlung charakterisierendas Explosionsunglück auf dem Camping-platz in Los Alfaquez. Auch in Eschede war

die Kommunikation das Hauptproblem. Letz-teres sollte im hoch technisierten Zeitalteraber schnellstmöglich gelöst werden.Wei-terhin ist die dringend benötigte flächen-deckende Umsetzung des leitenden Notarztsbisher nicht erfolgt. Hier müsste in ZukunftAbhilfe geschaffen werden.

Schlüsselwörter

Katastrophen · Kommunikation Katastro-phenkommission · Zuständigkeitsproblem ·Kobe · Ramstein · Los Alfaquez · Eschede ·Katastrophenmanagement

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000 S295

ereignete sich um 5.46 Uhr Ortszeit, we-nige Stunden später wäre aufgrund desBerufsverkehrs und der bevölkertenBürohäuser die Zahl der Verletzten undToten wesentlich höher ausgefallen. Diemeisten Opfer kamen in den Wohn-quartieren mit der traditionellen Holz-bauweise ums Leben. Diese Häuser be-sitzen keine tragenden Innenwände undauf den Dächern liegt eine etwa 5–10 cmdicke Sandschicht als Unterlage für dieZiegelsteine. Durch die einstürzendenHäuser erstickten die Menschen unterder Sandschicht [20].

Probleme

Wasser-, Strom- und Gasversorgung fie-len praktisch vollständig aus. Dadurchwar die sofortige Bekämpfung von über350 Brandherden erheblich behindert.Nach 6 Tagen waren die Gebäude wiederans Stromnetz angeschlossen und nach14 Tagen funktionierte die Wasserzufuhrin den weniger beschädigten Gebieten.

Für die Wasserversorgung der Be-völkerung standen glücklicherweise gro-ße Tanks auf Armeeschiffen zur Verfü-gung.

Durch die Zerstörung des Straßen-netzes und der lokalen Bahnverbindun-gen dauerte in der ersten Phase die Ber-gung der Polytraumatisierten 2–8 h.Vie-le Schwerverletzte verstarben innerhalbder ersten 60 min. Sehr viele Verschüt-tete wurden durch Nachbarn geborgen.

Aufgrund der zerstörten Telefon-netze war die Kommunikation abge-schnitten. Als Konsequenz wurden Sa-tellitentelefone empfohlen. Der Luft-raum über Kobe wurde zu spät gesperrt,sodass in der ersten Phase etliche Pres-sehubschrauber die Rettungsmaßnah-men blockierten.

Flugtag-Unfall in Ramstein

Für die Durchführung des Flugtags vonRamstein war die 316. US-Luftdivisionzuständig und damit auch für die Si-cherstellung des Brand- und Katastro-phenschutzes verantwortlich. Die Ame-rikaner können nach dem Zusatzab-kommen zum NATO-Truppenstatut auchdie Aufgaben des Brand- und Katas-trophenschutzes in eigener Kompetenzwahrnehmen. Danach haben die US-Streitkräfte als Veranstalter für geeig-nete und ausreichende Brandbekämp-fungs-,Rettungs-,Bergungs- sowie Sani-

tätsdienste zu sorgen. Deutsche Brand-und Katastrophenschutzeinheiten dür-fen auf dem Flugplatz im Gelände nurauf Ersuchen der Amerikaner tätig wer-den. Dabei liegt die Einsatzleitung inden Händen der US-Stellen. Währendder Katastrophe standen auf dem Flug-platz und in dessen Umgebung insge-samt 216 Kräfte bereit, davon 7 Ärzte,21 Rettungssanitäter, 7 Rettungshelfer,4 Krankenpfleger, 1 Medizinstudent so-wie 176 Führungs- und Sanitätskräftemit Sanitätsausbildung.

In den ersten Minuten nach der Ka-tastrophe seien die mehr als 500 Ver-letzten in einer großen Menschenmen-ge verstreut gewesen. Die Mehrzahl derVerletzten sei von Angehörigen oderFreunden wegtransportiert worden.Diese Tatsache habe zu erheblichenSchwierigkeiten bei der Lagebeurteilungund der Beherrschung der Situation ge-führt. Für den Transport standen zeit-weise bis zu 18 Hubschrauber,darunter 9der US-Streitkräfte, zur Verfügung, da-neben eine Unzahl von Krankenwagenund Bussen. Die häufig auch bei Mas-senunfällen zu beobachtende instabilepsychische Situation von Leichtverletz-ten zeigte sich auch in Ramstein in derWeise, dass diese auf Krankenwagen los-stürmten, die für den Transport schwerverletzter Patienten vorgesehen waren.Dabei mussten in 1 Fall 20 Leichtverletz-te gewaltsam aus dem Wagen herausge-holt werden [3, 10, 13, 17]. Allein 47 Pati-enten wurden in die unfallchirurgischeKlinik Homburg, Saar, transportiert [9].

Probleme

Die Probleme traten insbesondere beider Philosophie unterschiedlicher Ret-tungskonzepte auf.Während die Ameri-kaner das Konzept des „load and run“verfolgten, wurde insbesondere vondeutschen Notärzten nach dem Prinzip„stay and play“ verfahren. Für das erste-re Verfahren wurden bei der Aufarbei-tung der Katastrophe die mögliche Ex-plosionsgefahr sowie die Nähe benach-barter Krankenhäuser mit kurzen Ret-tungszeiten angeführt, des Weiteren sei-en einige der Rettungshubschrauber erstmit 2-stündiger Verspätung an den Ka-tastrophenort gekommen, zu einemZeitpunkt, an dem die meisten Verletz-ten abtransportiert waren.Aus dem US-Hospital Landstuhl wurden gegen 17.30Uhr 25 Patienten in einem Bus zum

H.-J. Oestern

Experience and results of earlier disasters compared with Eschede

Abstract

Consideration of the experience recordedfollowing the various disasters shows that inall of them there have been problems withcommunication and with the identificationof the emergency doctor in charge. In thedifferent sectors steps have been taken tostart using experience so far to good pur-pose, and in places the plans have been real-ized to a large extent. Despite many disas-ters, the internationally available literatureon experience of such events is largely limit-ed to individual descriptions. Natural disas-ters require different tactical proceduresthan do technical accidents, just as the sceneof the disaster (Third World country or highlydeveloped industrialized country) is also ofdecisive importance. After the earthquake inKobe there were 6,300 dead and 27,000 in-jured, and on the basis of the problems a dis-aster commission was set up that travels todisaster sites throughout the world to collectexperience. Internal complaints were regis-tered about the too-late closure of the airspace for representatives of the media, com-munication problems arising from collapsedtelephone lines and the treatment of the se-verely injured, which was not always opti-mal.The Ramstein disaster also entailed theproblem of divided responsibility devolvingon both the American and the German au-thorities.This problem of responsibility alsoled to a corresponding difference in the waythe overall handing was evaluated.The ab-sence of a disaster plan and of any logisticalstructure and the omission in some cases ofany primary treatment characterized the ex-plosion on the camp site in Los Alfaquez.Communication was also the main problemin Eschede, but in this high-tech age thisshould be resolved as quickly as possible. Astandardized procedure for initiating the in-volvement of the emergency doctor incharge has also not yet been implemented,though it is urgently needed. Steps shouldbe taken to achieve this for the future.

Keywords

Disasters · Communication · Disaster com-mission · Problems with responsibility · Kobe · Ramstein · Los Alfaquez · Eschede ·Management of disasters

Trauma Berufskrankh2000 · 2 [Suppl 2]: S294–S297 © Springer-Verlag 2000

Städtischen Klinikum Ludwigshafenverlegt. Dieser Transport wurde von ei-nem im Notaufnahmeraum Dienst ha-benden Sergeanten 1. Klasse veranlasst.Alle Verletzten dieses Busses seien vor-her von Ärzten gesichtet worden und alsnicht schwer verletzt eingestuft worden.Im Krankenhaus Ludwigshafen wurdenjedoch 10 Patienten als schwer verletzteingestuft.Der Bustransport erfolgte oh-ne begleitende Polizeieskorte.

Propangasexplosion von Los Alfaquez

Am 11.7.1979 explodierte ein Tanklast-wagen mit 45 m3 Propangas,als er mit ei-ner kleinen Mauer kollidierte. Innerhalbvon 1–2 min brannte der gesamte Cam-pingplatz beiderseits der Straße. 250Personen wurden verletzt [19].

Probleme

Es existierte keinerlei Katastrophenplan.Die Verletzten wurden seinerzeit ohneTriage oder Behandlung rein zufällignach Norden über die Spitäler Tortosa(33 km von Los Alfaquez entfernt – 250Betten), Tarragona (89 km von Los Alfa-quez entfernt – 325 Betten) und Ampostains Zentrum des damaligen Francisco-Franco-Krankenhauses in Barcelonaoder über Castellon (97 km von Los Al-faquez entfernt – 400 Betten) nach Sü-den ins Zentrum des La-Fe-Hospitals inValencia transportiert. Der Transporterfolgte primär vorwiegend mit Privat-autos. Die erste Ambulanz war etwa 30min nach der Explosion vor Ort. In derFolge wurden mehrere Krankenwagenund Hubschrauber mobilisiert, sodassder gesamte Unfallplatz etwa 3 h spätervon Verletzten und von Toten geräumtwar.

Die fehlende Triage am Unfallortführte dazu, dass das kleine Zentrum inValencia 82 und die große Klinik in Bar-celona lediglich 58 Patienten erhielten.Die Klinik in Barcelona verfügte über eine modernste Intensivstation mit 10Intensivbetten und 21 nichtintensivenÜberwachungsbetten. Die Klinik in Va-lencia besaß ebenfalls ein modernstesVerbrennungszentrum mit 6 Intensiv-und 8 Überwachungsbetten. Volumen-substitution erhielten die Patienten, dienach Norden über die KrankenhäuserTortosa und Tarragona transportiertwurden, während alle Patienten auf den

Weg nach Süden keinerlei Flüssigkeits-therapie erhielten. Dieser Behandlungs-unterschied schlug sich in einer doppeltso hohen Mortalität in der 1. Woche inValencia gegenüber den Patienten inBarcelona nieder.

Innerhalb der 1. Woche wurden so-wohl von Valencia als auch von Barcelo-na 41 Patienten in die benachbarten eu-ropäischen Zentren nach Deutschland,Frankreich, Belgien und Holland ver-legt. 1 Woche nach der schweren Kata-strophe waren im Zentrum von Barcelo-na noch 7 Patienten in Behandlung, inValencia dagegen noch 16. Von den pri-mär über 250 Verletzten starben 102noch an der Unfallstelle und von den 150zunächst Überlebenden im weiteren Ver-lauf noch 108.

Eschede

Die in Eschede gewonnenen Erkennt-nisse können in verschiedene Bereicheunterteilt werden [7, 13].

Probleme im ICE-Bereich

Ein Problem stellte das Eindringen indie ICE-Wagen dar, sowohl von der Fens-terseite als auch von Seiten des Wagen-dachs. Selbst mit schwerem Gerät derFeuerwehr war es nicht oder nur müh-sam möglich, die Fenster zu zerstören.Noch schwieriger war das Eindringenvon oben in das Wageninnere. Inzwi-schen sind in gemeinsamer Arbeit zwi-schen Feuerwehr und Deutscher BahnAG mit speziellen Trennschleifern Mög-lichkeiten geschaffen worden, von derDachseite her in den Wagen einzudrin-gen bzw. erlauben spezielle Sollbruch-stellen in den Fenstern der 3. ICE-Gene-ration ein rascheres Zerstören der Wa-genfenster. Im Auftrag der Innenminis-terkonferenz werden in Zusammenar-beit von Feuerwehr und Deutsche BahnAG Richtlinien für das Eindringen inverunfallte ICE-Wagen erarbeitet.An al-len ICE-Fahrzeugen wurden die gum-migefederten Räder durch Vollräder er-setzt so wie sie auch in dem französi-schen TGV und dem japanischen Schin-kantse zum Einsatz kommen. Zur Un-fallprävention wurden die Ultraschall-prüfungen an den Rädern nicht mehrzeit-, sondern leistungskilometerbezo-gen durchgeführt. Bei den Neubaupro-jekten Köln-Frankfurt-Rhein-Main undNürnberg-Ingolstadt-München wurden

die Streckenplanungen insbesondere aufMöglichkeiten des Verzichts von Wei-chen und Überleitungen auf und vorBrücken und Tunneln überprüft. Rele-vante Prüfungen und Freigaben werdennicht mehr von einzelnen, sondernflächendeckend von 2 Personen durch-geführt.

Bei aktuellen Fahrzeugprojektenwerden gemeinsam mit den Herstellernso genannte Fehler-Möglichkeiten-Ein-fluss-Analysen (FMEA) durchgeführt.

Die sofortige Abstellung der elek-trischen Oberleitung hätte frühzeitigererfolgen müssen und stellte in den ers-ten Stunden eine erhebliche Gefährdungfür die Helfer dar. Auch dieses Problemist planerisch umgesetzt.

Kommunikation

Wie bei den vorangestellten Katastro-phen war auch in Eschede die Kommu-nikation ein Problem. Die von vielen Or-ganisationen eingeplanten Kommunika-tionsmöglichkeiten über Handys erwie-sen sich sehr rasch als unbrauchbar. Diegroße öffentliche Aufmerksamkeit führ-te auch zu einer entsprechend großenZahl von Medienvertretern, sodass sehrschnell eine Überlastung der Netze ein-trat.

Als Lösungsmöglichkeiten sind ver-schiedene Ansätze geplant. Eine Mög-lichkeit könnte darin bestehen, dass be-stimmte, der Notfallrettung zugewiese-ne Nummern im Katastrophenfall einebevorrechtigte Freischaltung erhaltenund damit immer ansprechbar sind.Entsprechende Pläne werden zurzeitvon verschiedenen Telekommunikati-onsgesellschaften intensiv bearbeitet.Ei-ne ursprünglich für das Jahr 2003 ge-plante Änderung des bisherigen Systemskönnte u. U. schon Mitte des Jahres 2000erreicht werden.

Behörden und Organisationen mitSicherheitsaufgaben (BOS), wie Polizei,Bundesgrenzschutz und Bundeswehr,betreiben derzeit ein Analogfunknetz,dessen gesetzliche Basis auf das Jahr 1951zurückgeht. Bereits 1976 beschloss dieständige Konferenz der Innenministerund Senatoren der Länder eine Viel-kanalfunktechnik nach einheitlichenRichtlinien, um eine Kommunikationzwischen Einrichtungen von Polizei, Ka-tastrophenschutz und Hilfs- und Ret-tungsdiensten sicherzustellen. Das Tele-kommunikationsgesetz (TKG) von 1996

S296 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000

Großkatastrophen

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000 S297

legt die veränderten Betriebsbedingun-gen mit der Zuteilung von Frequenzenfest. Schwierigkeiten bestehen beimZurücklegen großer räumlicher Entfer-nungen, da eine durchgehende Funk-kommunikation schwierig und eine au-tomatische Weiterleitung an das nächsteFunknetz nicht realisierbar sind.

Ein weiteres Problem besteht darin,dass wegen der festen, vom Bedarf un-abhängigen Zuteilung der Funkkanälean bestimmte Benutzergruppen ein per-manenter Mangel an Frequenzen auf-tritt. Dieses Problem soll durch digitaleBündelfunksysteme behoben werden.

Seit 1990 begann das EuropäischeInstitut für Fernmeldenormen (ETSI)mit dem digitalen BündelfunkstandardTETRA (terrestrial trunked radio). Un-ter dem Namen MC 9600 existiert fürdie französische Polizei und Gendarme-rie ein System mit der Bezeichnung Te-trapol. Das System TETRA 25 befindetsich zurzeit in einer Pilotphase, wobeiauch die gesamteuropäischen Aspektemit berücksichtigt werden und im Kata-strophenfall eine wesentlich verbesserteKommunikationsmöglichkeit besteht.

Leitender Notarzt

Entsprechend den Untersuchungen derIdentifizierungskommission des Bun-deskriminalamts (IDKO) [15] und desgerichtsmedizinischen Instituts der Me-dizinischen Hochschule Hannover [18]bestand bei den Verstorbenen keinerleiÜberlebenschance.Von den 87 stationärbehandelten Patienten wurden nur 3 ausmedizinischer Indikation verlegt. DiesePunkte sprechen für die medizinischeVersorgung,nicht nur am Katastrophen-ort, sondern auch in den weiterbehan-delnden Krankenhäusern. Gerade vordiesem Hintergrund erweisen sich lei-tende Notarztgruppen für Katastro-phensituationen als unverzichtbar [16].Sie sind bisher jedoch flächendeckend

nicht institutionalisiert, obwohl gesetz-lich verankert. In diesem Zusammen-hang müssten auch in Bereichen mitdünner Besiedlung kreisübergreifendeoder auch mobile leitende Notarztgrup-pen realisiert werden. Eine entsprechen-de leitende Notarztgruppe aus 8 Ärztenwurde auch inzwischen in Celle konzep-tionalisiert.

Ein großes Problem stellt die Kenn-zeichnung des verantwortlichen leiten-den Notarzts vor Ort dar. Hier mussbundeseinheitlich eine entsprechendeMarkierung erreicht werden. Zur Verfü-gung stände z. B.die Farbe gelb,d. h.gel-ber Helm und gelbe Jacke mit schwar-zem Schriftzug „Leitender Notarzt“.Auchdieses Problem ist inzwischen in Angriffgenommen.

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