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Erkrankungen des N. vestibulocochlearis Peter Berlit " In diesem Kapitel werden die wesentlichen Funktionen des VIII. Hirnnerven zusammengefasst. Die vestibulären und nicht- vestibulären Schwindelsyndrome werden in eigenen Kapiteln dargestellt (Kap. Vestibuläre Schwindelsyndromeund Kap. Nichtvestibuläre Schwindelsyndrome). Anatomie und Physiologie Die zwei Komponenten des VIII. Hirnnervs sind der N. coch- learis für das Hören und der N. vestibularis für das Gleich- gewicht. Hörorgan Die Umwandlung mechanisch übermittelter akustischer Stimuli in Nervenimpulse erfolgt im Bereich des spezialisierten Neuroepithels des Innenohres, dem Corti-Spiralorgan. Die neuroepithelialen Haarzellen sind auf der Basilarmembran der 2 ½ Windungen der Cochlea plat- ziert. Auditorische Stimuli werden durch den äußeren Gehör- gang über die tympanische Membran und die Gehörknöchel- chenkette zum Innenohr geleitet. Das Mittelohr und der Processus mastoideus sind unter physiologischen Bedingun- gen luftgefüllt. Erkrankungen von äußerem Gehörgang oder Mittelohr führen zu einer Leitungsschwerhörigkeit. Vom Innenohr aus erfolgt die Hörleitung zum Nucleus cochlearis der Brücke und von hier bilateral zur Hirnrinde mit Kerngebieten im Bereich von Colliculus inferior, Corpus geniculatum mediale des Thalamus und der Hörrinde des Schläfenlappens. Die Zahl der Neurone der zentralen Hör- bahnen ist wesentlich höher als jene im Bereich des Innen- ohres; deswegen und wegen der bilateralen Projektionen sind sensorineurale Hörstörungen in aller Regel durch Erkrankun- gen des Innenohres bedingt (Innenohrschwerhörigkeit), Lä- sionen der zentralen Hörbahnen bedingen meist selektive Dezite (z. B. Probleme mit der Geräuschlokalisation, wie sie bei Patienten mit multipler Sklerose häuger auftreten). Innerhalb des Corti-Organs sind die Neuroepithelzellen fre- quenzspezisch angeordnet. So werden beispielsweise hohe Frequenzen am basalen Ende der Cochlea und niedrige Fre- quenzen am apikalen Ende übermittelt. Dies erklärt, warum bei bestimmten Innenohrerkrankungen einzelne Frequenzbe- reiche überwiegend oder ausschließlich betroffen sein kön- nen. Gleichgewichtsorgan Das spezische Sinnesepithel des Gleichgewichtsorgans besteht aus den Haarzellen des Laby- rinths. Es ist in den semizirkulären Kanälen (Bogengängen) auf Erhebungen an den Öffnungen (Cristae ampullaris) sowie auf den Maculae acusticae von Utrikulus und Sak- kulus gelegen. Die Haarzellen der Makulae werden von einer Membran bedeckt, welche Kalziumcarbonatkristalle in einer gelatinösen Matrix enthält (Otolithen). Die Sinneszellen der Cristae sind von einer gelatinösen Masse bedeckt, welche Cupula genannt wird. Aufgrund ihrer Anordnung in den Ebenen des Raumes übermitteln die semizirkulären Kanäle des Labyrinths Winkelbewegungen des Kopfes, während lineare Bewegungen von den Otolithen vermittelt werden. Das zugehörige Ganglion vestibulare ndet sich im Meatus acusticus internus. Der N. vestibularis gelangt gemeinsam mit den Nn. facialis und intermedius durch den Meatus acusticus internus ins Schädelinnere und mit Verlauf durch den Kleinhirnbrückenwinkel zu seiner Eintrittsstelle in den Hirnstamm am Übergang von Medulla und Pons (Abb. 1). Die Fasern enden in den vier vestibulären Kerngebieten: superior (Bechterew), lateral (Deiters), medial (Schwalbe) und inferior (spinal), wobei einige Fasern von den semizir- kulären Kanälen direkt zum Lobus occulonodularis und zum Wurm des Kleinhirns ziehen. Durch die engen bilateralen Verschaltungen des Vestibu- lozerebellums mit den Vestibulariskernen und dem Nucleus fastiguus ist eine Kontrolle beider Vestibularorgane durch das Kleinhirn gegeben. Über Verschaltungen mit dem Rücken- mark wird die axiale Muskulatur vorwiegend von den media- len Vestibulariskernen und die Extremitätenmuskulatur P. Berlit (*) DGN, Essen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 P. Berlit (Hrsg.), Klinische Neurologie, Springer Reference Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-44768-0_54-1 1

Erkrankungen des N. vestibulocochlearis - link.springer.com · beim Barotrauma vor. Nur sehr selten kommt es zu spontanen Blutungen in das Innenohr, wie beispielsweise bei Leukosen

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  • Erkrankungen des N. vestibulocochlearis

    Peter Berlit

    " In diesem Kapitel werden die wesentlichen Funktionen desVIII. Hirnnerven zusammengefasst. Die vestibulären und nicht-vestibulären Schwindelsyndrome werden in eigenen Kapitelndargestellt (Kap. ▶ „Vestibuläre Schwindelsyndrome“ undKap. ▶ „Nichtvestibuläre Schwindelsyndrome“).

    Anatomie und PhysiologieDie zwei Komponenten des VIII. Hirnnervs sind derN. coch-learis für das Hören und der N. vestibularis für das Gleich-gewicht.

    Hörorgan Die Umwandlung mechanisch übermittelterakustischer Stimuli in Nervenimpulse erfolgt im Bereichdes spezialisierten Neuroepithels des Innenohres, demCorti-Spiralorgan. Die neuroepithelialen Haarzellen sind aufder Basilarmembran der 2 ½ Windungen der Cochlea plat-ziert. Auditorische Stimuli werden durch den äußeren Gehör-gang über die tympanische Membran und die Gehörknöchel-chenkette zum Innenohr geleitet. Das Mittelohr und derProcessus mastoideus sind unter physiologischen Bedingun-gen luftgefüllt. Erkrankungen von äußerem Gehörgang oderMittelohr führen zu einer Leitungsschwerhörigkeit.

    Vom Innenohr aus erfolgt die Hörleitung zum Nucleuscochlearis der Brücke und von hier bilateral zur Hirnrindemit Kerngebieten im Bereich von Colliculus inferior, Corpusgeniculatum mediale des Thalamus und der Hörrinde desSchläfenlappens. Die Zahl der Neurone der zentralen Hör-bahnen ist wesentlich höher als jene im Bereich des Innen-ohres; deswegen und wegen der bilateralen Projektionen sindsensorineurale Hörstörungen in aller Regel durch Erkrankun-gen des Innenohres bedingt (Innenohrschwerhörigkeit), Lä-sionen der zentralen Hörbahnen bedingen meist selektiveDefizite (z. B. Probleme mit der Geräuschlokalisation, wiesie bei Patienten mit multipler Sklerose häufiger auftreten).

    Innerhalb des Corti-Organs sind die Neuroepithelzellen fre-quenzspezifisch angeordnet. So werden beispielsweise hoheFrequenzen am basalen Ende der Cochlea und niedrige Fre-quenzen am apikalen Ende übermittelt. Dies erklärt, warumbei bestimmten Innenohrerkrankungen einzelne Frequenzbe-reiche überwiegend oder ausschließlich betroffen sein kön-nen.

    Gleichgewichtsorgan Das spezifische Sinnesepithel desGleichgewichtsorgans besteht aus den Haarzellen des Laby-rinths. Es ist in den semizirkulären Kanälen (Bogengängen)auf Erhebungen an den Öffnungen (Cristae ampullaris)sowie auf den Maculae acusticae von Utrikulus und Sak-kulus gelegen. Die Haarzellen der Makulae werden von einerMembran bedeckt, welche Kalziumcarbonatkristalle in einergelatinösen Matrix enthält (Otolithen). Die Sinneszellen derCristae sind von einer gelatinösen Masse bedeckt, welcheCupula genannt wird. Aufgrund ihrer Anordnung in denEbenen des Raumes übermitteln die semizirkulären Kanäledes Labyrinths Winkelbewegungen des Kopfes, währendlineare Bewegungen von den Otolithen vermittelt werden.Das zugehörige Ganglion vestibulare findet sich im Meatusacusticus internus. Der N. vestibularis gelangt gemeinsammit den Nn. facialis und intermedius durch den Meatusacusticus internus ins Schädelinnere und mit Verlauf durchden Kleinhirnbrückenwinkel zu seiner Eintrittsstelle in denHirnstamm am Übergang von Medulla und Pons (Abb. 1).Die Fasern enden in den vier vestibulären Kerngebieten:superior (Bechterew), lateral (Deiters), medial (Schwalbe)und inferior (spinal), wobei einige Fasern von den semizir-kulären Kanälen direkt zum Lobus flocculonodularis undzum Wurm des Kleinhirns ziehen.

    Durch die engen bilateralen Verschaltungen des Vestibu-lozerebellums mit den Vestibulariskernen und dem Nucleusfastiguus ist eine Kontrolle beider Vestibularorgane durch dasKleinhirn gegeben. Über Verschaltungen mit dem Rücken-mark wird die axiale Muskulatur vorwiegend von den media-len Vestibulariskernen und die Extremitätenmuskulatur

    P. Berlit (*)DGN, Essen, DeutschlandE-Mail: [email protected]

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019P. Berlit (Hrsg.), Klinische Neurologie, Springer Reference Medizin,https://doi.org/10.1007/978-3-662-44768-0_54-1

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  • vorwiegend von den lateralen Vestibulariskernen gesteuert.Vornehmlich die oberen und medialen Vestibulariskernebeeinflussen die drei Augenmuskelnerven. Durch Verschal-tungen der Vestibulariskerngebiete mit der pontinen Formatioreticularis werden der vestibulookuläre und der vestibulo-spinale Reflex gewährleistet, welche für ein klares Sehen undeine kontrollierte Haltung bei Bewegungen erforderlich sind.Schließlich sind die Vestibulariskerngebiete auch mit derHirnrinde verschaltet; schwerpunktmäßig betreffen die Pro-jektionen den intraparietalen Sulcus und den oberen Sylvi-Gyrus. Durch Läsionen der hinteren Inselregion wird dieWahrnehmung von Vertikalität, Bewegung und Körperposi-tion gestört.

    1 Hörstörungen

    Im klinischen Alltag erfolgt die orientierende Untersuchungdes Hörvermögens mittels Fingerreiben vor dem äußerenGehörgang im Seitenvergleich sowie Flüstersprache unterZuhalten des kontralateralen Ohres. Zur Unterscheidung zwi-schen Leitungs- und Innenohrschwerhörigkeit werden dieStimmgabelversuche nach Weber und Rinne eingesetzt(Abb. 2). Eine neurophysiologische Untersuchungsmethodeist die Ableitung akustisch evozierter Potenziale (AEP), wel-che eine objektive Ermittlung der Hörschwelle ermöglichtund eine Differenzierung zwischen peripheren und zentralenHörstörungen zulässt. Die otoskopische Untersuchung dientder Inspektion von äußerem Gehörgang und Trommelfell und

    ist Voraussetzung für die kalorische Prüfung des Vestibular-organs. Die Audiometrie mit Frequenzdifferenzierung istHNO-ärztliche Aufgabe; einfache Tests helfen bei der Dif-ferenzierung von kochleärer und retrokochleärer Innenohr-schwerhörigkeit (s. Übersicht).

    Möglichkeiten der neurootologischenDifferenzialdiagnostik der sensorineuralen Hörstörung• Recruitment (Lautheitsausgleich):

    – Bei zunehmender Lautstärke nimmt die Diffe-renz zwischen gesundem und krankem Ohr ab:Morbus Menière

    – Die Differenz bleibt gleich: retrokochleäre Lä-sion (z. B. Tumor)

    • Schwellentonabnahme (abnorme Höradaption):– Ein kontinuierlicher Ton über der Hörschwelle

    wird als allmählich abnehmend wahrgenommen:retrokochleäre Läsion

    – Der Ton wird gleichbleibend wahrgenommen:kochleäre Läsion

    • Sprachdiskriminierung:– Die Diskriminierung von einsilbigen Worten

    (sein – Schein, kühn – grün) ist bei retrokochleä-ren Läsionen stärker gestört als bei kochleären

    1.1 Hörstörungen im Kindesalter

    Eine Übersicht über die Ursachen von Hörstörungen gibtTab. 1. Im Kindesalter ist die wichtigste Ursache einer Lei-tungsschwerhörigkeit die Ergussbildung im Rahmen einerOtitis media bei Malfunktion der Eustachi-Tube. In derRegel handelt es sich um ein temporäres Problem währendder Wintermonate. Allerdings kann es bei persistierendenEntzündungen mit negativem Mittelohrdruck und Retraktionder Membrana tympani zu einer bleibenden Schwerhörigkeitdurch Resorption der Gehörknöchelchen und Ausbildungeines Cholesteatoms im Mittelohr kommen.

    Bis zu ein Drittel aller Kinder, welche eine bakterielleMeningitis überleben, behalten eine Innenohrschwerhörigkeit.Die Frequenz dieser Komplikation kann durch den frühzeitigenEinsatz von Kortikosteroiden reduziert werden. Ursächlich isteine eitrige Labyrinthitis und Neuritis. Perinatale Infektionenkönnen zu einer sensorineuralen Hypakusis (Innenohrschwer-hörigkeit) führen; speziell zu nennen sind mütterliche Infektio-nen mit Treponema pallidum, Rötelnvirus, Zytomegalievirusund Varicella-Zoster-Virus (VZV). Auch kindliche Infekte imSäuglings- oder frühen Kindesalter (Mumps, Masern, Schar-lach) können verantwortlich sein.

    Die genetisch determinierten Hörminderungen im Kindes-alter sind zumeist sensorineurale Schädigungen, wobei diemeisten einem autosomal-rezessiven Erbgang folgen. Meist

    Abb. 1 Der N. cochlearis zieht zur Cochlea, der N. vestibularis inferiorzu den Bogengängen, von denen der horizontale Bogengang rechtsbesonders deutlich zur Darstellung kommt (T2-w transversal:3 DFT-CISS Sequenz; TR/TE = 12,25/5,90 ms; SD = 0,66 mm;foV = 180; Matrix = 512, Flip-Winkel = 70�). (I. Yousry, Abteilungfür Neuroradiologie, Klinikum Großhadern, München)

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  • sind die mittleren und hohen Frequenzen betroffen, dieSchwerhörigkeit kann asymmetrisch sein. Eine sensorineu-rale Taubheit tritt beispielsweise beim Klippel-Feil-Syndromneben der zervikalen Blockwirbelbildung auf (Nadol 1993).Pränatale toxische Schädigungen, die zu einer Schwerhörig-keit führen können, sind die Exposition gegenüber Thali-domid oder Tretinoin.

    1.2 Hörstörungen im Erwachsenenalter

    Ototoxisch sind insbesondere Aminoglykoside, welche v. a.eine Hochtonhypakusis bedingen, sowie Schleifendiuretika,Zytostatika wie Cisplatin, Salicylate, Tuberkulostatika undErythromycin.

    Abb. 2 a, b Stimmgabelversuchenach aWeber und b Rinne. (Mod.nach Berlit 2009)

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  • " Da die Ototoxizität bei verminderter renaler Ausscheidungzunimmt, ist insbesondere bei Nierenkranken eine engma-schige Überwachung des Audiogramms während einerentsprechenden Therapie zwingend erforderlich.

    Auch im Erwachsenenalter können bakterielleMeningitiden,spezifische Infektionen wie Syphilis oder Tuberkulose sowieimmunologische Entzündungen (Cogan-Syndrom: interstitielleKeratitis und Innenohrschwerhörigkeit; Susac-Syndrom, Pan-arteriitis nodosa, Granulomatose mit Polyangiitis, SLE, Behçet-Syndrom, Riesenzellarteriitis) zu einer sensorineuralen Schwer-hörigkeit führen. Eine isolierte, immunologisch bedingteInnenohrschwerhörigkeit wird beschrieben und kann erfolg-reich mit Kortikosteroiden behandelt werden. In diesen Fällenzeigt die Western-Blot-Untersuchung zirkulierende Autoanti-körper gegen das Protein des Innenohrs.

    Beim seltenen Susac-Syndrom kombinieren sich einesensorineurale Hörstörung mit einem Sehverlust aufgrundvon retinalen Astverschlüssen und eine subakute Enzephalo-pathie. Wegen der MR-tomografisch nachweisbaren Balken-herde kann es zu Verwechslungen mit der MS kommen. Diesteroidsensitive Autoimmunerkrankung wird mit Immunglo-bulinen und Tumornekrosefaktor(TNF)-Inhibitoren (Inflixi-mab, Adalimumab) behandelt (Buelens et al. 2019).

    Stets sollte bei der erworbenen Hypakusis ein Tumorleidenausgeschlossen werden. In aller Regel sind die AEP in diesenFällen pathologisch. Auch sehr kleine intrakanalikuläre Vesti-bularisschwannome von 5 mm Durchmesser werden zuver-lässig mittels der kranialen MRT diagnostiziert und können sofazialis- und gehörerhaltend operiert werden (Abb. 3). WeitereTumoren, die eine Schwerhörigkeit bedingen können, sindHNO-Karzinome und Metastasen im Schläfenknochenbereich.Eine bilaterale Ertaubung kann beim Typ 2 der Neurofi-bromatose aus beidseitigen Vestibularisschwannomen oderNeurofibromen resultieren.

    Traumata, die zu einem Hörverlust führen können, sindLängsfrakturen des Schläfenbeins mit Leitungsschwerhö-rigkeit, Querfrakturen mit Innenohrschwerhörigkeit undHirnkontusionen mit vorwiegend sensorineuraler Schwerhö-rigkeit für hohe Frequenzen.

    Ein Lärmtrauma (Knalltrauma) ist dann zu befürchten,wenn ein Geräusch so laut ist, dass es Schmerzen, Tinnitus oderdas Gefühl verstopfter Ohren hervorruft. Eine bleibende Innen-ohrschwerhörigkeit hängt offensichtlich darüber hinaus von derindividuellen Empfindlichkeit und zusätzlichen toxischen Ein-flüssen (z. B. Einnahme vonMedikamenten wie Salicylaten) ab.

    Ein Barotrauma kann bei Tauchern zu einem Erguss mitLeitungsschwerhörigkeit führen. Auf Änderungen des peri-lymphatischen Drucks werden auch vorübergehende Hör-minderungen nach Lumbalpunktion, spinaler Anästhesieund lumbaler Myelografie zurückgeführt. Die Ruptur derMembranen zwischen Mittelohr und Innenohr am ovalenoder runden Fenster kann zu einer Perilymphfistel mit fluktu-ierender sensorineuraler Hörminderung, vestibulären Symp-tomen und Tullio-Phänomen führen. Derartige Fisteln kom-men nach Verletzungen, starken pressorischen Manövern oderbeim Barotrauma vor.

    Nur sehr selten kommt es zu spontanen Blutungen in dasInnenohr, wie beispielsweise bei Leukosen oder Subarachno-idalblutungen. Da die Blutversorgung des Innenohres durchÄste der A. cerebelli inferior anterior (AICA) erfolgt, kann esim Rahmen des Wallenberg-Syndroms zu einer Hörminde-rung kommen. Selten ist ein isolierter Hörverlust auf demBoden einer Zirkulationsstörung, z. B. bei Fettembolien oderKoagulopathien.

    Auch wenn dies vom Patienten immer wieder vermutet wird,ist eine Durchblutungsstörung nur extrem selten fassbare Ursa-che eines akuten Hörsturzes, welcher bevorzugt in Phasenphysischer oder psychischer Belastung bei jüngeren Erwachse-nen auftritt und im Allgemeinen eine gute Prognose hat – dasGehör restituiert sich innerhalb weniger Tage bis zu 2 Wochen

    Tab. 1 Ursachen einer Hörstörung

    Leitungsschwerhörigkeit (Weber zumkranken Ohr, Rinne pathologisch) Innenohrschwerhörigkeit (Weber zum gesunden Ohr, Rinne normal)

    Mittelohr Kochleär Retrokochleär

    Cerumen obturans Presbyakusis Kleinhirnbrückenwinkeltumor (Vestibularisschwannom,Meningeom, Epidermoid, Dermoid)

    Entzündung (Otitis, Mastoiditis,Cholesteatom)

    Hörsturz

    Trauma (Trommelfellruptur,Gehörknöchelchenluxation)

    Morbus Menière, Entzündung(Mumps, Masern, Meningitis)

    Syringobulbie, multiple Sklerose,Hirnstammastrozytom

    Tumor (Glomus jugulare, Karzinom) Trauma (Commotio labyrinthi,Felsenbeinfraktur, Knalltrauma)

    Entzündung (Zoster oticus)

    Otosklerose Tumor (Glomus jugulare, Karzinom) Hirnstamminfarkt

    Toxisch (Streptomycin, Cisplatin,Aminoglykoside)

    Kongenital bei maternalen Röteln

    Autoimmun (Cogan, Susac-Syndrom)

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  • weitgehend. Der Effekt der oft durchgeführten Infusionsbe-handlung mit sog. durchblutungsfördernden Präparaten ist äu-ßerst fraglich; ein frühzeitiger Behandlungsversuch mit Methyl-prednisolon intratympanal wird von einigen Autoren empfohlen(Jiang et al. 2018).

    Eine episodische Hypakusismit oder ohne rezidivierendeDrehschwindelattacken weist auf das Menière-Syndromhin, bei dem ursächlich eine Erkrankung der Flüssigkeits-homöostase im Innenohr angenommen wird.

    Wichtigste und häufigste Ursache einer sensorineuralenHypakusis beim Menschen ist der Verlust an neuroepithelia-len Zellen und Neuronen im Corti-Organ mit fortgeschritte-nem Lebensalter, wobei anlagebedingte Faktoren eine großeRolle zu spielen scheinen. Mehr als ein Drittel aller Men-schen im Alter über 75 Jahre ist von einer Presbyakusisbetroffen – die Versorgung mit einer Hörhilfe ist indiziert.

    Die drei wichtigsten Ursachen einer Mittelohrtaubheitsind dieOtosklerose, eine autosomal-dominante Erkrankungmit Manifestation im 20.–40. Lebensjahr, die eitrige Otitismedia und traumatische Längsfrakturen der Pyramide(Nadol 1993).

    2 Tinnitus

    Bei einer Vielzahl von otologischen Erkrankungen kommt esals Begleitsymptom zur subjektiven Wahrnehmung eines Ohr-geräusches. Dieses kann tonal in einem bestimmten Frequenz-

    bereich als Dauerton oder atonal intermittierend oder pulssyn-chron auftreten.

    2.1 Pulsatiler Tinnitus

    Der pulsatile Tinnitus weist auf eine Gefäßläsion hin. Wenndie Wahrnehmung dem tastbaren Puls der A. radialis ent-spricht, ist er in der Regel arterieller Genese. Typische Ursa-chen sind arteriovenöse Malformationen, Dissektionenbeispielsweise der A. carotis interna, höhergradige Gefäß-stenosen (oder hoher kontralateraler Fluss bei unilateralemKarotisverschluss), Glomustumoren, arteriovenöse Fistelbil-dungen oder gefäßreiche Tumoren wie der Glomus-jugulare-Tumor oder die Histiozytosis X. Typischerweise lassen sichdiese pulssynchronen Ohrgeräusche durch Kompression derzuführenden Arterie beeinflussen (s. folgende Übersicht).

    Ursachen des Tinnitus• Innenohr und Hörnerv (oft hohe Frequenzen, in

    der Regel auch Hörminderung): Hörsturz, patholo-gischer Gefäß-Nerv-Kontakt, Morbus Menière(tiefe Frequenzen, fluktuierend)

    • Mittelohr (oft tiefe Frequenzen, hohe Konstanz):Otosklerose, Läsionen der Membrana tympani,Mittelohrclick-Syndrom (M. tensor tympani, M. sta-pedius)

    • Sonstiger muskulärer Tinnitus: Myoklonus desweichen Gaumens (Ear-click-Syndrom), Muskelnder Tuba eustachii

    • Vaskulärer Tinnitus (pulsatil, modifizierbar durchGefäßkompression):– Arteriell: AVM, Durafistel, Glomustumor, An-

    eurysma, Dissektion, fibromuskuläre Dysplasie,Arteriosklerose, gefäßreiche Tumoren (Histiozy-tosis X), Struma

    – Venös: Jugularisanomalien, Hirndruck, Pseudo-tumor cerebri, Fistel

    • Zerebral (komplexe akustische Wahrnehmungen[„Orgel“, „Orchester“], Halluzinationen): Pons,Schläfenlappenepilepsie, Charles-Bonnet-Syndrom

    Insbesondere bei arteriovenösen Malformationen, Dura-fisteln und Dissektionen kann nicht selten auch der Untersu-cher über ein Stethoskop (gelegentlich sogar mit bloßemOhr!) den pulssynchronen Tinnitus wahrnehmen.

    Ein gleichbleibendes pulsatiles Geräusch, welches durchVenenkompression modifizierbar ist, zeichnet den Tinnitusbei Anomalien der V. jugularis aus. Auch der Tinnitus imRahmen von Hirndrucksteigerungen einschließlich des Pseu-dotumor cerebri wird über venöse Flussänderungen bei

    Abb. 3 Überwiegend intrakanalikulär wachsendes kleines Vestibularis-schwannom (Akustikusneurinom) rechts: T1-gewichtet nach Kontrastmit-telgabe. Koronare Schnittführung: Der innere Gehörgang ist trichterför-mig erweitert. Eine im Nativbild iso- bis leicht hypointense Strukturnimmt intensiv Kontrastmittel auf. Der Tumor wölbt sich ballonförmigaus dem inneren Gehörgang in die Kleinhirnbrückenwinkelzisterne vor.

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  • Druckgradienten zwischen intrakraniellen und zervikalenvenösen Strukturen erklärt.

    2.2 Tinnitus muskulärer Genese

    Eine muskuläre Genese hat der Tinnitus beim sog. Ear-click-Syndrom. Hierbei handelt es sich um einen Myoklonus desweichen Gaumens, wobei sich das Gaumensegel rhythmischhebt und senkt, was bei der Inspektion zu sehen ist. Dasgleichmäßige Klickgeräusch kann oft auch vom Untersuchergehört werden – eine erfolgreiche Behandlungsmöglichkeitbesteht in der Injektion von Botulinustoxin.

    Meist nicht rhythmisch sind Geräusche, welche durchKontraktionen der Mm. tensor tympani oder stapediuszustande kommen (sog. Mittelohrclicksyndrom). Häufigersind bei Mittelohrerkrankungen Dauertöne im tiefen Fre-quenzbereich im Rahmen der Otosklerose. Hierbei kommtes zu einer zunehmenden Fixierung des Stapes am ovalenFenster – die Behandlung ist operativ.

    2.3 Andere Tinnitusursachen

    Sowohl bei der Otosklerose als auch bei den meisten Innen-ohrerkrankungen resultiert in der Regel nicht nur ein Tinni-tus, sondern auch eine Hörminderung. Bei sensorineuralenLäsionen sind bevorzugt hohe Frequenzen betroffen – typi-sches Beispiel ist der idiopathische Hörsturz mit Tinnitus.Lediglich beim Morbus Menière findet sich ein Tinnitus imtieferen Frequenzbereich, welcher wie die Hörminderungtypischerweise fluktuierend auftritt und von Schwindelatta-cken begleitet wird. Auch ein pathologischer Gefäß-Nerv-Kontakt kann zum Tinnitus führen.

    2.4 Akustische Wahrnehmungsstörungen

    Komplexe akustische Wahrnehmungen wie bei einem Orgel-oder Symphoniekonzert, einem Chor oder sprachliche Äuße-rungen weisen auf einen zerebralen Ursprungsort hin.Paroxysmal auftretend sind sie typisches Symptom fokalerTemporallappenanfälle; auch pontine Läsionen können zukomplexen akustischen Wahrnehmungen führen. Die Alko-holhalluzinose zeigt sich in Form akustischer Halluzinatio-nen, gelegentlich mit für den Betroffenen bedrohlichem Cha-rakter. Ähnlich den visuellen Phänomenen bei (nahezu)Erblindeten können auch bei Patienten mit länger bestehen-der sensorineuraler Taubheit komplexe akustische Halluzina-tionen auftreten (Charles-Bonnet-Syndrom).

    3 Schwindel – Allgemeiner Teil

    Schwindel zählt zu den häufigsten Beschwerdekomplexen inder ärztlichen Praxis. Dabei ist die Angabe von Schwindeldurch den Patienten ausgesprochen vieldeutig und nur einegenaue Anamnese hilft in der exakten Differenzierung. Ver-tigo im engeren Sinne ist die Fehlwahrnehmung von Bewe-gung der Außenwelt oder des eigenen Körpers – diese kannrotatorisch (Drehschwindel) oder linear (Liftgefühl) sein.Nicht selten werden vom Kranken auch Schwarzwerden vorden Augen, Benommenheit, Konzentrationsschwierigkeiten,Gangunsicherheit oder Sehstörungen als Schwindel bezeich-net. Diese präsynkopalen oder Pseudoschwindelsymptomesollten anhand der Anamnese erkannt und einer zielgerichte-ten Diagnostik zugeführt werden, ebenso wie die Angabe vonSchwindel bei psychischen Erkrankungen wie der Panikstö-rung, der Angststörung oder der Depression.

    Physiologie der Bewegungswahrnehmung und -kontrolleDass auch Schwindel im engeren Sinne ein sehr häufigesSymptom mit mannigfaltigen Ursachen ist, liegt an der kom-plexen Physiologie der Bewegungswahrnehmung und -kon-trolle. Verschiedene Systeme wirken eng zusammen: Impulseaus den Gleichgewichtsorganen dienen der Übermittlung vonBewegungsgeschwindigkeiten (Beschleunigung und Ver-langsamung) sowie der Körperposition. Hierbei sind die Bo-gengänge auf Rotationsbewegungen spezialisiert: Jede Aus-lenkung der Cristae durch Bewegung der Endolymphe führtzur Wahrnehmung von Rotation. Im Utrikulus und Sakkulusreagieren die Haarzellen der Maculae auf lineare Bewegun-gen und Schwerkraft in Abhängigkeit von der Verlagerungder Otolithen. Die resultierenden elektrischen Impulse führenüber den N. vestibularis zur Stabilisierung der Augen (vesti-bulookulärer Reflex) und der Kopf- und Körperposition (ves-tibulospinale Reflexe). Visuelle Impulse werden mit derInformation aus den Vestibularorganen sowie dem sensiblenInput von Nacken und Extremitäten abgeglichen, verarbeitetund bei der Bewegungskontrolle berücksichtigt. Die sen-siblen Informationen stammen von den Propriozeptoren derMuskulatur und der Gelenke, welche für die Wahrnehmungvon Körperposition, Stellung und Bewegung essenziell sind.Von spezieller Bedeutung sind dabei die Nackenpropriozep-toren, welche die Position des Kopfes in Relation zum übri-gen Körper rückmelden.

    Die zentrale Verarbeitung der Informationen dieser dreisensorischen Systeme erfolgt im Hirnstamm (wobei die Ves-tibularis- und Augenmuskelkerngebiete und der Nucleusruber von besonderer Bedeutung sind), im Kleinhirn sowieüber dessen Verschaltungen im Großhirn. Die Störung auchnur einer Teilkomponente dieses komplexen Gleichgewichts-kontrollsystems kann zur Fehlwahrnehmung von Bewegungoder Körperposition und damit zum Schwindel führen.

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  • Im physiologischen Fall reicht oftmals das Ausschaltenoder die Beeinträchtigung einer einzelnen Komponente aus,um zu Fehlwahrnehmungen zu führen: Typisches Beispiel istdas Gefühl, sich selbst zu bewegen, wenn man in einemstehenden Zug sitzt und ein Nachbarzug anfährt. Zu denphysiologischen Schwindelformen zählt auch der Höhen-schwindel, bei dem das Fehlen visueller Fixationspunkte zurSchwindelwahrnehmung führt.

    Wenn bedacht wird, dass unser Gehirn in der Lage seinmuss, nicht nur korrekt wahrzunehmen, in welche Richtungund mit welcher Geschwindigkeit sich etwas um uns herumbewegt, sondern auch gleichzeitig stattfindende Körper-,Kopf- und Augenbewegungen richtig einschätzen und koor-dinieren muss, so liegt die Störanfälligkeit dieses Systems beiAusfall auch nur einer Komponente auf der Hand. Währendbeim jungen Menschen der Ausfall einzelner Komponenten(des stereoskopischen Sehens bei Amblyopie, der Verlusteines Beines, der Propriozeption bei spinaler Erkrankungoder Polyneuropathie oder der Ausfall eines Vestibularor-gans) gut kompensiert werden kann, bereitet dies mit zuneh-mendem Lebensalter erhebliche Probleme und führt zu einervermehrten Störanfälligkeit des gesamten Systems. Da häufigmultisensorielle Probleme beim älteren Menschen vorliegen(Arthrose der Gelenke, Sehminderung, reduzierte Tiefensen-sibilität), resultiert zunehmende Immobilität mit Sturzgefahr.Während beim Gesunden die verschiedenen Systeme sozu-sagen automatisch Hand in Hand arbeiten, muss der ältereMensch bei entsprechender Beeinträchtigung einzelne Sin-nesmodalitäten bewusster einsetzen: Ein frühes Symptom füreine beginnende Dekompensation des Gleichgewichtssys-tems ist das Stehenbleiben des Patienten beim Gehen, wennman anfängt, mit ihm zu sprechen („stops walking whentalking“).

    Klinik und DifferenzialdiagnoseEntscheidend in der Diagnostik des Schwindels ist zunächstdie Anamnese. Zunächst gilt es, eine echte Vertigo von einerPseudovertigo zu unterscheiden (Tab. 2).

    Vertigo Leitsymptom des echten Schwindels ist die Wahr-nehmung einer nicht vorhandenen Bewegung der Umweltoder des eigenen Körpers, wobei sowohl eine Rotation, eineAuf- und Abwärtsbewegung, das Ziehen in eine Richtungoder ein Schwanken des Untergrunds wahrgenommenwerden können. Charakteristischerweise wird ein solcherSchwindel durch Bewegungen verstärkt bzw. werdenSchwindelattacken durch Bewegung ausgelöst. Praktischimmer hat der echte Schwindel Begleitsymptome: Hierzugehören Nausea, Übelkeit, Erbrechen, Blässe und Schwitzensowie eine Gangstörung. Durch die assoziierte Augenbewe-

    gungsstörung kommt es zu Oszillopsien sowie einemNystagmus, der nicht selten vom Patienten selbst als ruckar-tige Doppelbildwahrnehmung bemerkt wird. Je nachdem, wodie zugrunde liegende Läsion zu lokalisieren ist, können eineHörstörung, Tinnitus, Hirnnervenausfälle oder Hirnstamm-symptome hinzutreten. Während auch bei rein vestibulärenLäsionen Sturzattacken auftreten können, resultiert keine Be-wusstseinsstörung oder Bewusstlosigkeit. Lediglich die sel-tenen fokalen epileptischen Anfälle der parietalen Inselregionkönnen mit einer Drehschwindelsymptomatik auftreten undsekundär generalisieren.

    Pseudovertigo Häufig werden vom Patienten präsynkopa-le Symptome als Schwindel bezeichnet; hierzu gehörenSchwarzwerden vor den Augen und das Gefühl, gleich hinzu-stürzen, wobei eine Übelkeit begleitend auftreten kann, esjedoch nicht zu Erbrechen kommt. Wird Luftnot in Verbin-dung mit den Attacken geschildert, so ist an Hyperventila-tionsanfälle zu denken, die ggf. auch in der Untersuchungs-situation provoziert werden können. Nicht selten lässt sicheine phobische Komponente mit Angst eruieren, welche aufeine psychische Genese des Schwindels hindeutet (sog. pho-bischer Attackenschwindel). Insbesondere wenn ganzbestimmte Situationen auslösend sind, z. B. Aufenthalt aufgroßen Plätzen oder in großen Menschenmengen (Agora-phobie) oder in engen Räumen bzw. im Fahrstuhl (Klaustro-phobie), oder bei Manifestation in Stress- und Konfliktsitua-tionen, ist diese Genese wahrscheinlich. AutonomeFunktionsstörungen können ebenso wie eine Hypoglykä-mie eine Pseudovertigo bedingen.

    Tab. 2 Differenzialdiagnose von Vertigo und Pseudovertigo

    Vertigo Pseudovertigo

    Leitsymptome Bewegungswahrnehmung(Rotation, Auf und Ab,Ziehen in eine Richtung,Schwanken wie auf einemSchiff)

    Benommenheit,Unsicherheit,Schwanken

    Begleitsymptome Nausea, Übelkeit,Brechreiz, Blässe,Schwitzen,Gangunsicherheit,OszillopsienSehstörung beiNystagmus, Stürze,Hörstörung

    Schwarzwerden vorAugen, Angst,Luftnot, Übelkeit(kein Erbrechen)

    Auslöser Bewegung (Drehung,Gehen, Aufrichten) vonKopf oder Körper

    Orthostase,bestimmteSituationen(Agoraphobie,Klaustrophobie),Stress/Konfliktsituationen

    Erkrankungen des N. vestibulocochlearis 7

  • DiagnostikLiegt tatsächlich ein Schwindelsyndrom vor, so kann die Artund Richtung der gestörten Bewegungswahrnehmung Auf-schluss über die betroffenen Anteile des Gleichgewichtsor-gans geben: Drehbewegungen! Semizirkularkanäle; lineareBewegungen ! Utrikulus oder Sakkulus. Entscheidendeapparative Untersuchungsmethode ist die kalorische Tes-tung des Gleichgewichtsorgans mittels Kalt- und Warmspü-lung, die in der folgenden Übersicht dargestellt ist.

    Für die Diagnostik des benignen paroxysmalen Lage-rungsschwindels ist die Untersuchung mittels Lagerungspro-ben unerlässlich (Abschn. 4). Auch bei anderen Schwindel-formen lassen sich der Schwindel und der begleitendeNystagmus oftmals durch Bewegungen verstärken bzw. aus-lösen. In Akutsituationen ist bereits die Körper- und Kopf-position, die der Patient einnimmt, um den Schwindel zuminimieren, aufschlussreich: In der Regel liegt das erkrankteOhr oben und der Patient meidet (Blick-)Bewegungen inRichtung des gesunden Labyrinths.

    Kalorische Testung1. Ohrspiegeluntersuchung (Trommelfell intakt?)2. Vorwärtsbeugung des Kopfes um 30� (! horizon-

    taler Bogengang in vertikaler Ebene)3. Spülung für 30 s mit kaltem Wasser (30 �C). Nor-

    mal: tonische Deviation der Augen zur Seite derSpülung und nach Latenz von 20 s Nystagmus zurGegenseite für ~90–120 s

    4. 5 min Pause5. Spülung für 30 s mit warmem Wasser (44 �C). Nor-

    mal: tonische Bewegung zur Gegenseite, nachLatenz von 20 s Nystagmus zur Seite der Spülungfür ~90–120 s

    6. Fakultativ: Kaltspülung beider Gehörgänge simul-tan: tonische Blickwendung nach unten und Nystag-mus nach oben

    7. Oder: Warmspülung beider Gehörgänge simultan:tonische Blickwendung nach oben und Nystagmusnach unten

    Sofern ein Nystagmus direkt bei Inspektion vorhanden ist,spricht man von einem Spontannystagmus. Dieser wirdhinsichtlich der Ebene (horizontal bzw. vertikal), der Rich-tung (definitionsgemäß benannt nach der schnellen Kompo-nente) und etwaiger rotatorischer Anteile beurteilt. Es wirdbeobachtet, ob der Nystagmus ausschließlich bei Blickbewe-gungen auftritt (horizontaler oder vertikaler Blickrichtungs-nystagmus) und ob er auf beiden Augen gleichermaßenschlägt (dissoziierter Nystagmus?). Da insbesondere der la-byrinthäre Nystagmus durch visuelle Fixation unterdrücktwird, empfiehlt sich die Untersuchung mittels Frenzel-Brille.

    Zur Gleichgewichtsprüfung gehören weiterhin der Stand mitgeschlossenen Augen (Romberg-Versuch), das Treten auf derStelle mit geschlossenen Augen (Unterberger-Versuch) unddie Zeigeversuche (Finger-Nase, Finger-Finger, Bárány).

    Charakteristischerweise zeigt die Vestibularisläsion einenSpontannystagmus zur Gegenseite, wobei es sich um einenhorizontalen Nystagmus mit rotatorischer Komponente han-delt; gleichzeitig besteht eine Fallneigung zur und ein Vor-beizeigen auf der betroffenen Seite. Während ein rein verti-kaler Nystagmus bei peripher-labyrinthären Läsionen nichtauftritt, kann bei zentral-vestibulären Störungen der Nystag-mus uni- und bidirektional, vertikal (Upbeat und Downbeat)sowie dissoziiert sein, eine „Skew Deviation“ (vertikale Fehl-stellung der Augen) ist hinweisend auf eine Hirnstammlä-sion. Begleitende Symptome wie Nausea, Erbrechen undDysäquilibrium sind bei zentralen Läsionen deutlich geringerausgeprägt. Während die visuelle Fixation einen peripherlabyrinthären Nystagmus typischerweise unterdrückt, kön-nen zentrale Nystagmen durch Blickbewegungen verstärktwerden (Tab. 3). Beim HINTS-Test werden in Kombinationder Head-Impulse-Test, die Nystagmusanalyse und die Suchenach einer Skew Deviation in der Differenzialdiagnose peri-pher versus zentral verwertet (Kattah 2018).

    Apparative Diagnostik Eine genauere Analyse der miteiner Schwindelsymptomatik einhergehenden Augenbewe-gungsstörungen erlaubt die Elektro- oder Videonystagmo-grafie, wobei je nach apparativer Ausstattung auch diekalorische Prüfung dokumentiert wird bzw. ergänzend Dreh-stuhluntersuchungen und Blicksakkadenanalysen erfolgenkönnen. Audiogramm und AEP dienen der Dokumentationassoziierter Hörstörungen bzw. der Differenzierung periphe-rer und zentraler Ursachen. Durch die hochauflösende MRTbesteht heute die Möglichkeit, zuverlässig bestimmte Ursa-chen von Schwindelsyndromen nachzuweisen. Hierzu gehö-ren Tumoren im Kleinhirnbrückenwinkel einschließlichauch sehr kleiner intrakanalikulärer Vestibularis-Schwan-nome, entzündliche Prozesse im Mittelohr (z. B. Cholestea-tom) sowie traumatische Läsionen des Felsenbeins. Reliabelwerden auch Hirnstammläsionen erfasst, z. B. Blutungenoder Ischämien, faszikuläre Läsionen des N. vestibularis inder Eintrittszone des Hirnstamms durch MS-Plaques (Pseu-doneuritis vestibularis) oder ein pathologischer Gefäß-Nerv-Kontakt im Bereich der Vestibulariseintrittszone (Vestibularis-paroxysmie). Weitere Krankheitsbilder, die heute mittelshochauflösender MRT erfasst werden können, sind dieLabyrinthitis, die Labyrinthfistel und -kontusion, bestimmteFormen der entzündlichen Neuropathia vestibularis (z. B.Zosterinfektion) und Tumorerkrankungen wie die Meninge-osis carcinomatosa oder leucaemica (Jäger et al. 1997). Beiknöchernen Läsionen lässt sich die MRT sinnvoll durch diehochauflösende CT des Felsenbeins und der Schädelbasisergänzen.

    8 P. Berlit

  • Gezielt müssen im Einzelfall weitere diagnostischeSchritte (z. B. Lumbalpunktion bei entzündlichen Prozessenoder Ultraschalldiagnostik bzw. Angiografie bei Gefäßpro-zessen) eingesetzt werden.

    Einen Überblick über die verschiedenen Schwindelursachengibt Tab. 4. In aller Regel handelt es sich bei akut auftretendenSchwindelsyndromen um Erkrankungen des Labyrinths, desvestibulären Anteils des VIII. Hirnnervs oder der Vestibularis-kerne im Hirnstamm. Die weitaus häufigsten Erkrankungsbildersind der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel, der akuteVestibularisausfall und der Morbus Menière; der phobischeAttackenschwindel ist wichtige Ausdrucksform eines Pseudo-vertigosyndroms. Einzelne Krankheitsbilder werden im Folgen-den detailliert dargestellt.

    4 Benigner paroxysmalerLagerungsschwindel

    Häufigkeit und VorkommenMit einer Inzidenz von 64/100.000 Einwohner und Jahr istder benigne paroxysmale Lagerungsschwindel die häufigsteSchwindelursache im klinischen Alltag. Frauen sind doppeltso häufig wie Männer betroffen, meist erfolgt die Erstmani-festation jenseits des 40. Lebensjahres.

    PathophysiologiePathophysiologisch handelt es sich um die überschießendeAktivierung eines der beiden hinteren Labyrinthbogengänge(oder in sehr seltenen Fällen des horizontalen oder des vor-deren) durch abgelöstes Material der Otolithen, welchegegenüber der Endolymphe ein höheres spezifisches Gewichtaufweisen und bei Bewegung der Endolymphe eine über-mäßige Auslenkung der Haarzellen bedingen. Zumeisterfolgt die Ablösung spontan degenerativ mit zunehmendem

    Lebensalter (etwa 60 %), gelegentlich spielen auch ein Traumaoder Labyrintherkrankungen eine Rolle. Aufgrund der anato-mischen Gegebenheiten und der Schwerkraft gelangt das anor-ganische Otolithenmaterial typischerweise in den hinterenBogengang, von wo es nicht ohne Weiteres bei Bewegungenwieder in den Utrikulus gelangt. Im hinteren Bogengang liegendie Partikel der Cupula an; sobald eine Kopflageänderungerfolgt, kommt es zu einer Verlagerung des Materials in Ab-hängigkeit von der Schwerkraft. Die nachfolgende Endo-lymphbewegung führt zur Auslenkung der Cupula, und estreten Schwindel und Nystagmus auf. Die Latenzzeit zwischenKopfbewegung und Auftreten von Schwindel und Nystagmushängt von der Verlagerungszeit und dem Anhaften der Partikelan der Cupulamembran ab. Wenn die Partikel den tiefstenPunkt des Bogenganges erreicht haben, kehrt die Cupula zurAusgangsposition zurück – der Schwindel sistiert. Wird derKopf in die Gegenrichtung bewegt, gelangen die Partikelwieder auf die Cupula zurück – die erneute Auslenkung führtzu Schwindel und Nystagmus zur Gegenrichtung. Wenn ent-sprechende Bewegungen wiederholt durchgeführt werden,kommt es zur Auflösung bzw. zur Fragmentierung der Otolith-partikel und damit zu einer Abnahme von Schwindel undNystagmus: der benigne Lagerungsschwindel ist typischer-weise habituierbar bei wiederholter Einnahme der kritischenKopfposition.

    KlinikLeitsymptom sind bei Kopf- oder Körperlageänderungenauftretende kurze Drehschwindelattacken mit Übelkeit. DieAttacken setzen mit einer Latenz von 5–30 s nach Lageän-derung ein und dauern bis zu 1 min an. Sie sind begleitet voneinem torsional-vertikalen Nystagmus, der insbesondereunter der Frenzel-Brille in der kritischen Position beobachtetwerden kann (Lanska und Remler 1997).

    Tab. 3 Differenzialdiagnose von peripherem und zentralem Schwindel

    Peripher labyrinthär Zentral labyrinthär

    Lageabhängiger Schwindel

    Latenzzeit vorAuftreten

    Bis zu 20 s Keine

    Nystagmusdauer Bis zu 30 s Länger als 30 s

    Schwindelbeschwerden Stark, gerichtet Weniger stark, ungerichtet

    Nystagmusrichtung Zum unten liegenden Ohr Variabel

    Kritische Kopfposition Oft eine einzige Meist mehrere

    Krankheitsbilder(Beispiele)

    Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel,Alkohollageschwindel, Perilymphfistel

    Vestibularisschwannom, vertebrobasiläre Ischämie,multiple Sklerose

    Dauerschwindel

    Nystagmus Horizontal rotierend Variabel, auch rein vertikal (Downbeat, Upbeat)

    Begleitsymptome Ggf. Hypakusis, Tinnitus Oft Schwankschwindel, Okulomotorikstörungen,Oszillopsien, sonstige Herdzeichen

    Krankheitsbilder(Beispiele)

    Morbus Menière, akute Labyrinthläsion, Neuropathiavestibularis (keine Hörstörung), Vestibularisschwannom(wenig Schwindel)

    Pontomedulläre Hirnstammläsion – ischämisch,Tumor, Entzündung, Fehlbildung, medialerKleinhirninfarkt (AICA)

    Erkrankungen des N. vestibulocochlearis 9

  • Tab.4

    UrsachendesSchwindels

    Vestib

    ulär

    Nichtvestibulär

    Labyrinth

    N.v

    estib

    ularis

    Zentralvestibulär

    Kardiov

    asku

    lär

    Psychisch

    Son

    stige

    Morbu

    sMenière

    (End

    olym

    phhy

    drop

    s)Kleinhirnbrückenw

    inkeltu

    moren

    Vertebrob

    asiläre

    Ischäm

    ien

    Blutdruckschw

    anku

    ngen

    Akrop

    hobie

    Som

    atosensorisch-zervikaler

    Schwindel(Presbyv

    ertig

    o)

    BenignerLagerun

    gsschw

    indel

    Aku

    terVestib

    ularisausfall

    Syringo

    bulbie,

    vestibuläreEpilepsie

    Herzrhy

    thmusstörun

    gen

    Psychose

    Häm

    atolog

    isch

    (Anämie,

    Leuko

    se)

    Com

    motio

    undApo

    plexia

    laby

    rinthi

    Vestib

    ularisparoxy

    smie

    (Gefäß-N

    erv-Kon

    takt)

    Multip

    leSklerose

    (parox

    ysmaleDysarthrie

    undDysbasie)

    Herzinsuffizienz

    Pho

    bischer

    Attackenschw

    indel

    Hormon

    ell(H

    yperthyreose)

    Entzünd

    ung(O

    titis,

    Mastoiditis)

    Hirnstammtumoren

    Karotissinu

    ssyn

    drom

    Visuell(D

    oppelbild

    er,V

    isus

    störun

    gen,

    Myo

    kymiedes

    M.o

    bliquu

    ussuperior)

    Tox

    isch

    (Chemotherapie,

    Aminog

    lyko

    side,A

    spirin,

    Schleifendiuretika)

    Tox

    isch

    (Alkoh

    ol,C

    O,

    Hyd

    antoine,Opiate)

    Medikam

    ente

    (Antihyp

    ertensiva,Betablocker,

    Vasod

    ilatanzien,

    Diuretik

    a)

    Fistel

    Kleinhirnläsion

    en

    10 P. Berlit

  • DiagnostikCharakteristischerweise lässt sich in der klinischen Untersu-chungssituation der Schwindel durch das Dix-Hallpike-Ma-növer auslösen: Der Patient wird rasch von der sitzendenPosition in eine liegende gebracht, wobei der Kopf in30–40� Hängelage etwa 40� auf eine Seite gedreht wird.Hierbei kommt es zur Auslösung des Schwindels, und eslässt sich unter der Frenzel-Brille ein zum unten liegendenOhr schlagender Nystagmus von Sekundendauer beobachten.Bei Rückkehr in die sitzende Ausgangsposition kommt es zueinem kurzen, in Gegenrichtung schlagenden Nystagmus undSchwindelgefühl. Es müssen stets beide Richtungen getestetwerden. Bei etwa der Hälfte aller Patienten lässt sich eineeinseitige Untererregbarkeit des Gleichgewichtsorgans in derkalorischen Testung dokumentieren (Lempert et al. 1995).

    TherapieAufgrund der anatomischen Gegebenheiten gelangt das Oto-lithenmaterial aus dem hinteren Bogengang (im Unterschiedzu den anderen beiden Bogengängen) nicht ohneWeiteres beiKopf- und Körperbewegungen wieder in den Utriculus, woes keinen Schwindel mehr auslösen kann, sondern es bewegtsich zwischen Cupula und tiefster Stelle des Bogengangeshin und her. Da es sich um ein mechanisches Problem handelt(Kanalolithiasis), können naturgemäß keinerlei Medika-mente (Antivertiginosa) helfen. Eine Möglichkeit derBehandlung besteht in einem Lagerungstraining, wobeihintereinander wiederholt die kritische Position eingenom-men werden muss. Ziel ist dabei die Fragmentierung undAuflösung des Otolithenmaterials – die Habituierung kommtbei der klinischen Anwendung zu Hilfe.

    Wesentlich eleganter als ein solches Lagerungstraining sindjedoch Deliberationsmanöver mit dem Ziel, die verklumptenPartikel aus dem hinteren Bogengang zu entfernen. Hierzustehen zwei Manöver zur Verfügung. In der praktischenAnwendung müssen die einzelnen Bewegungen rasch undenergisch durchgeführt werden – bei empfindlichen Patientenist ggf. eine Prämedikation mit einem Antiemetikum und einemSedativum sinnvoll. Beim Semont-Manöver wird der mitKopfrotation um 45� zum nicht betroffenen Ohr aufrecht sit-zende Patient um 105� in Seitwärtslage zum betroffenen Ohrgebracht, verbleibt in dieser Position etwa 3 min und wird dannmit einem schnellen Schwung um 195� auf die entgegenge-setzte Seite gelagert. Dort verbleibt er ebenfalls 3 min und wirddann wieder in eine aufrechte Position gebracht.

    Dasselbe gilt für das Epley-Manöver: Hierbei erfolgt alsErstes die Drehung des Kopfes um 45� zur betroffenen Seite.Dann wird der Patient in seitliche Kopfhängelage zur betrof-fenen Seite gebracht. Der dritte Schritt besteht in einer Kopf-drehung um 90� zur Gegenseite. Dann wird der Patient inseitliche Kopfhängelage zur betroffenen Seite gebracht. Dannwerden Kopf und Körper um 90� weitergedreht. Schließlichwird der Patient mit gleichbleibender Kopfposition aufge-

    richtet. In sitzender Position wird dann der Kopf simultanin eine Mittelposition gebracht und um 45� vornübergebeugt(s. folgende Übersicht). Das Epley-Manöver führt in 75 %der Fälle zur Symptomfreiheit nach einer einzigen Sitzung,95 % aller Patienten sind nach der 2. Sitzung schwindelfrei.Da der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel bei Kanalo-lithiasis nicht selten rezidiviert, kann eine Wiederholung desManövers erforderlich werden. Bei kooperativen Patienten,denen das Problem erklärt werden kann, kommt auch dieSelbstbehandlung anhand eines entsprechenden Faltblattes(Abb. 4) in Frage.

    Bei entsprechender apparativer Ausstattung hilft die360�-Rotation des hinteren Bogenganges (Lempert et al.1997).

    Epley-ManöverJede Bewegung muss rasch (innerhalb 1 s) und ener-gisch durchgeführt werden (ggf. Prämedikation). Nachjeder Einzelbewegung muss das Sistieren des Nystag-mus abgewartet werden (mindestens 30 s).

    • Seitliche Kopfhängelage zur betroffenen Seite• Kopfdrehung um 90� zur Gegenseite• Der Patient soll sich auf diese Seite drehen (dabei

    Kopf halten)• Aufrichten (Hinsetzen des Patienten, dabei Kopf

    halten)• Simultan Kopf in zentrale Position bringen und 45�

    vornüberbeugen

    Semont-Manöver• Aus sitzender Position mit 45�-Rotation des Kopfes

    zur nicht betroffenen Seite rasche Seitwärtslagerungum 105� zur betroffenen Seite. Verbleib in dieserPosition für 3 min oder mindestens bis zum Sistie-ren des Nystagmus

    • Rasche Umlagerung um 105� auf die entgegenge-setzte Seite (Verbleib in dieser Position für 3 min)

    • Aufrichtung in sitzende Position

    5 Akuter Vestibularisausfall

    Da der genaue Pathomechanismus dieses Krankheitsbildesnicht bekannt ist, bevorzugen wir den Begriff akuter Vestibula-risausfall oder Neuropathia vestibularis vor der oft geübtenBezeichnungNeuritis oder Neuronitis vestibularis. Diskutiert

    Erkrankungen des N. vestibulocochlearis 11

  • werden eine immunologisch entzündliche Genese bzw. eineInfektion mit dem Herpes-simplex-Virus, da in einem Teil derFälle ein Infekt der oberen Luftwege dem klinischen Bildvorausgeht. Betroffen sind Patienten im jungen und mittlerenErwachsenenalter ohne Geschlechtsbevorzugung. Üblicherwei-se tritt der schwere gerichtete Drehschwindel akut ohne Vor-boten auf; selten gehen ein Unsicherheits- und Druckgefühl imKopf der Akutmanifestation voraus. Der Drehschwindel gehtmit einem Nystagmus zur Gegenseite (horizontal mit rotatori-scher Komponente) sowie einer Fallneigung zur betroffenenSeite einher, der Patient ist nicht in der Lage, zu stehen oder zu

    gehen. Es kommt zu heftigem Erbrechen, Nausea, Blässe undSchwitzen. Der HINTS-Test dient der Abgrenzung von Hirn-stammläsionen (Kattah 2018).

    Entscheidende diagnostische Maßnahme ist die kalori-sche Testung der Gleichgewichtsorgane, welche auf derbetroffenen Seite einen Ausfall oder eine kalorische Minde-rerregbarkeit erbringt. Der Patient wird mit Bettruhe, Anti-emetika und Antivertiginosa behandelt. Kortikoide verkür-zen den Krankheitsverlauf, nicht hingegen Valaciclovir(Strupp et al. 2004). Die Prognose ist günstig: Die Mehrzahlaller Patienten zeigt innerhalb von wenigen Tagen bis zu

    Abb. 4 Selbstbehandlung des gutartigen Lagerungsschwindels. (Nach Lempert et al. 1997)

    12 P. Berlit

  • 2Wochen eine weitgehende Rückbildung von Schwindel undNystagmus, der schließlich nur noch bei raschen Kopfbewe-gungen in Erscheinung tritt. Im Verlauf von Wochen undMonaten normalisiert sich auch die kalorische Erregbarkeitdes betroffenen Gleichgewichtsorgans. Rezidive kommenvor, jedoch praktisch stets kontralateral. Obwohl aus derTatsache, dass der horizontale und anteriore Bogengangbetroffen sind, also ein Teilausfall des Labyrinths vorliegt,darauf geschlossen werden kann, dass die Pars superior desN. vestibularis betroffen sein muss, ist die Bildgebung auchmittels hochauflösender MRT regelrecht. Bei typischemBefund in der kalorischen Prüfung ohne klinische zusätzlicheSymptome ist daher eine MRT nicht erforderlich.

    Wichtig ist die Bildgebung lediglich für den Ausschluss derPseudoneuritis vestibularis bei faszikulärer Läsion des Nervsdurch Plaques im Rahmen der multiplen Sklerose oder beiDurchblutungsstörungen im Versorgungsgebiet der A. cerebelliinferior anterior (AICA), aus der die Labyrintharterie (A. audi-tiva interna) hervorgeht. Eine unscharf begrenzte Kontrastmit-telaufnahme des N. vestibulocochlearis oder des Labyrinthszeigt sich bei spezifischen viralen Infektionen, insbesonderebeim Zoster oticus.

    5.1 Bilaterale Vestibulopathien

    Die idiopathische bilaterale Vestibulopathie kann im Verlaufnach einem oder mehreren akuten Vestibularisausfällen, aberauch subakut bis chronisch ohne entsprechende akute Krank-heitsbilder auftreten. Klinisch bestehen eine Gangunsicher-heit mit Zunahme im Dunkeln oder bei Augenschluss sowieauf unebenem Grund und Oszillopsien bei raschen Kopfbe-wegungen aufgrund des gestörten vestibulookulären Refle-xes. Die Oszillopsien werden vom Patienten v. a. beim Gehenbemerkt. In der kalorischen Testung zeigt sich eine beidsei-tige Unter- bzw. Unerregbarkeit des Labyrinths. Stets gilt es,eine symptomatische Genese der bilateralen Vestibulopathieauszuschließen. Dabei ist an eine toxische Genese (z. B.Aminoglykoside), Tumorerkrankungen (z. B. beidseitigesVestibularisschwannom bei der Neurofibromatose Typ 2),hereditäre und entzündliche Ursachen (Cogan-Syndrom) zudenken.

    Das Cogan-Syndrom ist gekennzeichnet durch eine inter-stitielle Keratitis, Drehschwindel sowie beidseitigen Tinnitusund Innenohrschwerhörigkeit. Laborchemisch finden sich akuteEntzündungszeichen mit BKS-Beschleunigung, CRP-Erhö-hung und Leukozytose. Im Verlauf kann sich eine systemischeErkrankung manifestieren. Ursächlich ist eine nekrotisierendeimmunologisch bedingte Vaskulitis kleiner Gefäße. Therapeu-tisch werden Kortikoide und Infliximab eingesetzt (D’Aguannoet al. 2017).

    6 Labyrinthitis

    Bei der Labyrinthitis kombinieren sich Schwindel und Innen-ohrschwerhörigkeit, häufig liegt zusätzlich ein Tinnitus vor.Bei der tympanogenen Labyrinthitis erfolgt die Infektionüber das runde oder ovale Fenster, wobei eine angeboreneDehiszenz (Mondini-Alexander-Dysplasie), eine Labyrinth-fistel oder traumatische Fissuren die Infektion begünstigenkönnen. Typische Erreger der akuten Labyrinthitis sind Sta-phylokokken, Streptokokken, Haemophilus influenzae undPneumokokken; bei der chronischen Verlaufsform sind Pseu-domonas aeruginosa, Proteus mirabilis und Staphylokokkendie wichtigsten Erreger.

    Im Rahmen von bakteriellen Meningitiden durch Pneumo-kokken, Haemophilus influenzae und Meningokokken kann esüber den inneren Gehörgang zu einer Begleitlabyrinthitis kom-men.

    Hämatogen entsteht die Labyrinthitis bei den Treponemen-Infektionen Syphilis und Borreliose. Die hochauflösende MRTzeigt eine multifokale, unscharf begrenzte Kontrastmittelauf-nahme im Labyrinth aufgrund der gestörten Permeabilität derGefäße, die Behandlung erfolgt antibiotisch.

    Beim Cholesteatom, der chronischen Otitis media, kann esim Verlauf zu einer Labyrinthitis kommen, die Behandlungist operativ.

    7 Menière-Krankheit

    Häufigkeit und VorkommenEs handelt sich um ein sporadisches Krankheitsbild (Inzidenz45/100.000 Einwohner) mit Hauptmanifestationsalter zwi-schen dem 40. und 50. Lebensjahr und ausgewogenerGeschlechtsverteilung.

    PathogeneseDie genaue Ursache des Menière-Syndroms ist nichtbekannt. Pathophysiologisch findet sich eine Volumenzu-nahme der Endolymphe mit entsprechender Aufweitung desLabyrinths (endolymphatischer Hydrops); periodische Rup-turen der Trennmembran zwischen Endo- und Perilym-phraum lösen die Attacken aus. Der Übertritt der kaliumrei-chen Endolymphe in den Perilymphraum bedingt eineDepolarisation des N. vestibulocochlearis.

    KlinikLeitsymptom sind wiederholte heftige Drehschwindelatta-cken mit Übelkeit, Erbrechen und Dysäquilibrium, welchebegleitet sind von einem fluktuierenden Tinnitus, Hörminde-rung und Druck- oder Völlegefühl im Ohr. Die akute Meniè-re-Attacke tritt abrupt auf und dauert wenige Minuten bis zu

    Erkrankungen des N. vestibulocochlearis 13

  • 2 Stunden. Während der Attacke besteht ein heftiger Dreh-schwindel mit horizontal rotatorischem Nystagmus initialzum betroffenen Ohr, später zur Gegenseite. Der Patient kannnicht stehen oder gehen, er zeigt eine Fallneigung zur Seitedes betroffenen Ohres. Die begleitende Hörminderung bes-sert sich mit Abklingen des Schwindels. Im Verlauf resultierteine progrediente Innenohrschwerhörigkeit mit positivemLautheitsausgleich und relativ gut erhaltener Sprachdiskri-minierung. Die Hörstörung kann ebenso wie Drehschwindel-attacken Erstsymptom der Menière-Krankheit sein. Im Ver-lauf kommt es nicht selten zu Sturzattacken im Rahmen vonMenière-Anfällen, welche typischerweise vom Patienten sogeschildert werden, als sei er plötzlich umgestoßen worden.Gelegentlich wird auch eine Scheinbewegung des Bodensoder Umgebung direkt vor dem Sturz wahrgenommen. DiePatienten sind im Rahmen der Attacken nicht bewusstlos.Meist sistieren diese Menière-Sturzattacken spontan inner-halb eines Jahres. Bei bereits bestehender Innenohrschwer-hörigkeit kann sich selten auch das Hörvermögen währendeiner Drehschwindelattacke verbessern (Lermoyez-Syn-drom). Typischerweise kommt es im Verlauf von einigenJahren zu einem spontanen Sistieren der Drehschwindelatta-cken bei allerdings persistierender Innenohrschwerhörigkeit.

    DiagnostikIn der Zusatzdiagnostik zeigt sich bei einem Drittel der Fälleneben der Innenohrschwerhörigkeit eine thermische Unterer-regbarkeit des Labyrinths; die Hörschwelle bessert sich beiosmotischer Dehydrierung des Labyrinths (positiver Glyce-rol-Test).

    TherapieTherapeutisch werden Antihistaminika, Antiemetika undSedativa eingesetzt. Aufgrund der im Allgemeinen günstigenLangzeitprognose ist die Indikation zu Operationen wieeinem Endolymphsubarachnoidalshunt oder einer selektivenDestruktion von Anteilen des Endolymphraumes kritisch zustellen. Möglich sind die intratympanale Kortikoid- oder Gen-tamycingabe. Eine Intervalltherapie zur Attackenprophylaxeerfolgt meist mit Betahistin oder Diuretika, trotz ungenügenderoder negativer randomisierter Studien (James und Burton2001; Thirlwall und Kundu 2006; Rosenbaum und Winter2017).

    8 Weitere paroxysmaleSchwindelattacken

    8.1 Vestibularisparoxysmie

    Einen Überblick über die Differenzialdiagnose von Schwin-delattacken gibt Tab. 5. Selten ist die Vestibularisparoxysmie,welche in Analogie zur Trigeminusneuralgie durch patholo-

    gischen Gefäß-Nerv-Kontakt im Kleinhirnbrückenwinkelauftritt. Leitsymptom sind sekundenlange Drehschwindelat-tacken, welche oft kopfpositionsabhängig sind und mit Tin-nitus oder Hörminderung einhergehen. Audiologie, Kalorikund AEP ergeben oft pathologische Befunde. Die hochauflö-sende MRT kann Gefäßschlingen nachweisen. Typischer-weise helfen Carbamazepin oder Gabapentin – dies kannauch ex juvantibus zur Diagnose führen. In der Regel ist eineOperation nach Jannetta nicht erforderlich.

    8.2 Perilymphfistel

    Drehschwindelattacken in Verbindung mit einer fluktuieren-den Leitungsschwerhörigkeit und Tinnitus können im Rah-men einer Perilymphfistel eine Menière-Krankheit imitieren.Dabei bestehen ein Spontannystagmus wechselnder Rich-tung, ein Lagerungsnystagmus bei Positionierung auf daserkrankte Ohr, ein positives Fistelsymptom oder ein Tullio-Phänomen (geräuschinduzierter Schwindel und Nystagmus)als klinische Leitsymptome. Getriggert werden die Symp-tome durch ein Valsalva-Manöver. Zugrunde liegt ein Kurz-schluss zwischen Mittelohr und Labyrinth durch Schädigungdes Lig. anulare stapediale oder der Membran des rundenFensters. Akut kommt es zur Schädigung durch Überdeh-nung im Rahmen von stumpfen Schädelverletzungen, durchdas Barotrauma oder ausgeprägte pressorische Manöver,wobei eine kongenitale Schwäche eine Rolle spielen kann.In der MRT sind gelegentlich Lufteinschlüsse im Vestibulumnachweisbar. Therapeutisch entscheidend ist der operativeFistelverschluss.

    Tab. 5 Differenzialdiagnose von Schwindelattacken

    Bezeichnung Diagnostik

    Benigner paroxysmalerLagerungsschwindel

    Dix-Hallpike-Lagerungsprobe

    Morbus Menière Ohrsymptome, Audiologie, Kalorik

    Vestibularisparoxysmie Audiologie, Kalorik, Carbamazepin(ex juvantibus)

    Hirnstammattacken beiMS

    Neuroophthalmologie, MRT, Liquor

    AICA-Durchblutungsstörungen

    Gefäßrisikofaktoren,Ultraschalldiagnostik, MRT

    Phobischer (psychogener)Schwindel

    Bestimmte Auslösefaktoren,psychischer Befund

    Epileptischer Schwindel Begleitsymptome, EEG, MRT

    Toxischer Schwindel Alkohol, Salicylate

    Perilymphfistel Anamnese (Trauma? Barotrauma?),Fistelzeichen, Tullio-Phänomen, MRT,explorative OP

    14 P. Berlit

  • 8.3 Idiopathische Drehschwindelattacken imKindesalter

    Im Kindesalter können „idiopathisch“ akute Drehschwindel-attacken mit Blässe und Immobilität und gelegentlich Erbre-chen und Nystagmus auftreten, welche mit einer bei kalori-scher Testung nachweisbaren Untererregbarkeit eines oderbeider Gleichgewichtsorgane einhergehen. Die Schwindelat-tacken sistieren spontan vor Erreichen des Erwachsenenal-ters; gelegentlich zeigen diese Patienten im Verlauf typischeMigräneattacken.

    8.4 Multiple Sklerose

    Paroxysmaler Schwindel kann Initialsymptom einer multi-plen Sklerose sein; diese Patienten zeigen häufig zusätzlicheine paroxysmale Dysarthrie und Dysbasie.

    8.5 Alkoholintoxikation

    Bei Alkoholintoxikationen kann es zu einem akuten Dreh-schwindel mit Nystagmus kommen, welcher wenige Stundenanhält und mit Übelkeit und Erbrechen einhergeht. Typi-scherweise wird dieser Schwindel bewegungs- und positions-abhängig verstärkt. Differenzialdiagnostisch muss eineWernicke-Enzephalopathie bedacht werden.

    8.6 Fokale Epilepise

    Die fokale Epilepsie bei Läsionen des posterolateralen Schlä-fenlappens oder des unteren Parietallappens in der Nähe derSylvi-Fissur geht mit einer minutenlangen Drehschwindel-symptomatik einher, im Verlauf kommt es zum Grand Mal.Abgegrenzt werden muss diese fokal eingeleitete Epilepsievon der Reflexepilepsie, bei der ein großer epileptischerAnfall durch einen Drehschwindel reflektorisch ausgelöstwird. Die Provokation der epileptischen Aktivität lässt sichim EEG während einer kalorischen Vestibularistestung doku-mentieren.

    9 Weitere Erkrankungen mitDauerschwindel

    Einen differenzialdiagnostischen Überblick über die Ursa-chen des akuten Dauerschwindels gibt Tab. 6.

    Neben den bereits besprochenen Krankheitsbildern sinddie Contusio labyrinthi und persistierende traumatischeSchädigungen (Felsenbeinfraktur) zu bedenken. In derRegel handelt es sich um eine entzündliche Genese (Labyrin-

    thitis, Zoster oticus), wozu wahrscheinlich auch der akuteVestibularisausfall als immunologisch bedingte inflammato-rische Läsion zählt. Nur sehr selten bedingt eine isolierteischämische Läsion einen zentralen Vestibulariskernausfallmit über Stunden oder Tage anhaltendem Drehschwindel.Zugrunde liegt hierbei ein arteriosklerotisch, thrombotischoder embolisch (AICA oder PICA) bedingter Infarkt. Gele-gentlich wird kernspintomografisch ein medialer Kleinhirn-infarkt nachgewiesen. Klinisch können hierbei zerebelläreSymptome fehlen. Die folgende Übersicht gibt einen Über-blick über zentrale Schwindelursachen.

    Zentrale Schwindelursachen• Vertebrobasiläre Infarkte• Demyelinisierende Erkrankungen (multiple Skle-

    rose, Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen[NMOSE], paraneoplastisch)

    • Kleinhirnbrückenwinkelprozesse (Vestibularissch-wannom, Meningeom)

    • Hirnnervenneuropathie (N. statoacusticus)• Pathologischer Gefäß-Nerv-Kontakt (Vestibularis-

    paroxysmie)• Hirnstammprozesse (arteriovenöse Malformation,

    Tumor, Trauma, Blutung)• Epilepsie• Degenerative Erkrankungen (spinozerebelläre Ata-

    xien, Friedreich-Ataxie)

    Tumoren im Bereich des Kleinhirnbrückenwinkelsführen in aller Regel nicht zu einer vorherrschenden Schwin-delsymptomatik, weil der allmählich sich entwickelnde Ves-tibularisausfall zentral kompensiert werden kann. So bedingtdas Vestibularisschwannom typischerweise eine Hochton-schwerhörigkeit und einen Tinnitus, jedoch keinen Dreh-schwindel. Sowohl dieser Tumor als auch Meningeome, Epi-dermoide und Malignome werden kernspintomografischnachgewiesen.

    Degenerative Erkrankungen des Kleinhirns und seinerBahnen führen oft zu einem ausgeprägten Nystagmus, bedin-gen jedoch kaum Schwindel. Dies gilt für die spinozerebellä-ren Ataxien und die Friedreich-Ataxie. Eine Reihe von Nys-tagmusformen kann medikamentös behandelt werden(Tab. 7).

    Tab. 6 Differenzialdiagnose des akuten Dauerschwindels

    Bezeichnung Diagnostik

    Akuter Vestibularisausfall Kalorik

    Labyrinthitis Liquor, Borrelien/Virusantikörper

    Contusio labyrinthi Anamnese

    Felsenbeinfraktur Radiologische Diagnostik

    Zoster oticus Otoskopie, Serologie

    Erkrankungen des N. vestibulocochlearis 15

  • 10 Facharztfragen

    1. An was muss bei einem pulsatilen Tinnitus gedacht wer-den?

    2. Nennen Sie die häufigsten Ursachen von Schwindelatta-cken.

    3. Schildern Sie die Deliberationsmanöver bei Kanalolithia-sis.

    4. Wie wird eine Neuropathia vestibularis behandelt?5. Was sind das Susac- und das Cogan-Syndrom?

    Literatur

    Berlit P (2009) Memorix Neurologie, 5. Aufl. Thieme, StuttgartBuelens T, Ossewaarde-van Norel J, de Boer JH, Nubourgh I, Glibert G,

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    D’Aguanno V, Ralli M, de Vincentiis M, Greco A (2017) Optimalmanagement of Cogan’s syndrome: a multidisciplinary approach.J Multidiscip Healthc 11:1–11

    Jäger L, Strupp M, Brandt T, Reiser M (1997) Bildgebung von Laby-rinth und Nervus vestibularis. Nervenarzt 68:443–458

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    Thirlwall AS, Kundu S (2006) Diuretics for Meniere’s disease or syn-drome. Cochrane Database Syst Rev:CD003599

    Tab. 7 Medikamentöse Therapie des Nystagmus

    Nystagmusart Medikation

    Downbeat-/Upbeat-Nystagmus 4-Aminopyridin, Clonazepam,Baclofen

    See-saw-Nystagmus Baclofen

    Erworbener Pendelnystagmus Memantin, Gabapentin

    Periodischer alternierenderNystagmus

    Baclofen, Antikonvulsiva

    Obliquus-superior-Myoklonien Carbamazepin, Propanolol

    Sakkadische Oszillationen Clonazepam, Phenobarbital,Propanolol

    16 P. Berlit

    https://doi.org/10.1097/IAE.0000000000002466https://doi.org/10.1080/00016489.2018.1504170https://doi.org/10.5867/medwave.2017.08.7068https://doi.org/10.5867/medwave.2017.08.7068

    Erkrankungen des N. vestibulocochlearis1 Hörstörungen1.1 Hörstörungen im Kindesalter1.2 Hörstörungen im Erwachsenenalter

    2 Tinnitus2.1 Pulsatiler Tinnitus2.2 Tinnitus muskulärer Genese2.3 Andere Tinnitusursachen2.4 Akustische Wahrnehmungsstörungen

    3 Schwindel - Allgemeiner Teil4 Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel5 Akuter Vestibularisausfall5.1 Bilaterale Vestibulopathien

    6 Labyrinthitis7 Menière-Krankheit8 Weitere paroxysmale Schwindelattacken8.1 Vestibularisparoxysmie8.2 Perilymphfistel8.3 Idiopathische Drehschwindelattacken im Kindesalter8.4 Multiple Sklerose8.5 Alkoholintoxikation8.6 Fokale Epilepise

    9 Weitere Erkrankungen mit Dauerschwindel10 FacharztfragenLiteratur