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Originalarbeit Österr Wasser- und Abfallw 2019 · 71:263–272 https://doi.org/10.1007/s00506-019-0576-y Erste Hilfe für Lebensmittel – Konsumentenorientierte Vermeidungsmaßnahmen entwickeln, umsetzen und evaluieren Sandra Schwödt · Gudrun Obersteiner Online publiziert: 18. März 2019 © Der/die Autor(en) 2019 Zusammenfassung Im Rahmen einer Pilotaktion des EU-Projekts STREFOWA wurde am Institut für Abfallwirtschaft (Universität für Bodenkultur Wien) die Erste-Hilfe-Box für Lebensmittel ent- wickelt. Die Inhalte der Box basieren auf einer von April bis Mai 2017 in Ös- terreich durchgeführten Online-Haus- haltsumfrage mit über 2159 Teilneh- merInnen. Die Inhalte wurden an die Ergebnisse der Umfrage und somit an die Bedürfnisse der KonsumentInnen betreffend Wissen, Ausbau genutzter Vermeidungsmaßnahmen sowie Ein- satz neuer Hilfsmittel angepasst. Bei der Verteilung von 2000 Boxen wurde auch darauf Rücksicht genommen, auf welche Art und Weise die Konsumen- tInnen bevorzugt kontaktiert werden möchten. In weiterer Folge wurden die Materialien mittels Befragung evaluiert, um Rückschlüsse ziehen zu können, inwiefern die Materialien den Konsu- mentInnen weiterhelfen konnten und um von diesen Inputs für die Überar- beitung der Materialien und zukünftige Abfallvermeidungsmaßnahmen zu er- halten. First Aid for Food – Develop, implement and evaluate consumer-oriented food waste prevention measures Abstract As part of a pilot action of the EU project STREFOWA, the Institute of Waste Management (BOKU Univer- sity) developed the so called “First Aid Box for Food”. The contents of the box are based on an online household sur- vey conducted in Austria from April to May 2017 with more than 2159 partic- ipants. The contents were adapted to DI S. Schwödt () · DI G. Obersteiner Department Wasser – Atmosphäre – Umwelt, Institut für Abfallwirtschaft, Universität für Bodenkultur Wien, Muthgasse 107, 1190 Wien, Österreich [email protected] the results of the survey and thus to the needs of the consumers, concern- ing knowledge, enhancing already used food waste prevention measures as well as the use of new aids. The preferences of the consumers concerning type and frequency of contacting have also been taken into account. 2000 boxes have been handed out, subsequently, the materials were evaluated by means of questioning in order to be able to draw conclusions on how the materials could help the consumers and to receive from them more inputs for the revision of the materials and future waste prevention measures. 1 Einleitung Das 12. Ziel für eine nachhaltige Ent- wicklung (Sustainable Developement Goals, SDGs) der Vereinten Nationen setzt sich mit nachhaltigen Konsum- und Produktionsweisen auseinander. Der Unterpunkt 12.3 sieht eine Ver- ringerung der Lebensmittelabfälle pro Kopf um 50% auf Ebene des Handels bis hin zu jener der KonsumentIn- nen vor. Die vorliegende Arbeit diente dazu, maßgeschneiderte Vermeidungs- maßnahmen für KonsumentInnen zu entwickeln, auf deren Ebene das größte Vermeidungspotenzial in Europa (Sten- marck et al. 2016) besteht. Doch nach- haltige Wertschöpfungsketten sowie die Vermeidung von Lebensmittelabfällen sind auch für die Erreichung anderer SDGs wie 1 (Zero Poverty), 2 (Zero Hunger) und 3 (Good Health and Well- Being) unerlässlich. Die Umsetzung von Lebensmit- telabfallvermeidungsmaßnahmen in Haushalten bzw. das Erreichen von Haushalten, sodass eine tatsächliche Verhaltensänderung eintritt, hat sich bislang als schwierig erwiesen, obwohl es nicht an Initiativen mangelt. Daher ist es wichtig, mehr darüber in Erfah- rung zu bringen, was KonsumentInnen dazu motiviert bzw. daran hindert, Le- bensmittelabfälle zu vermeiden, um anschließend auf die Bedürfnisse der KonsumentInnen maßgeschneiderte Vermeidungsmaßnahmen entwickeln zu können. Die Gründe für das Aufkommen von Lebensmittelabfällen in Haushalten sind vielfältig. Sie können sowohl mit der persönlichen Lebenssituation und sozio-demografischen Einflussfaktoren in Zusammenhang stehen, als auch mit Einstellungen, Gewohnheiten und Wissen in Verbindung gebracht wer- den. Drei wichtige Anhaltspunkte, um einschätzen zu können, inwiefern Kon- sumentInnen gewillt sind, Lebensmit- telabfälle zu vermeiden, stellen deren Sensibilität gegenüber Lebensmittel- abfällen, deren Vermeidungsanstren- gungen sowie die Motivation dar, das eigene Verhalten zu ändern. Wichtig erscheint außerdem nicht nur, eine Fülle an unterschiedlichen Maßnahmen zu entwickeln, sondern diese anschließend auch gründlich zu evaluieren, um in Zukunft daraus ler- nen und darauf aufbauen zu können. Dies wurde bisher in Österreich nur sehr selten bei für KonsumentInnen entwickelten Maßnahmen zur Lebens- mittelabfallvermeidung durchgeführt. Im Rahmen des Projektes STREFO- WA wurde im Frühjahr 2017 vom Insti- tut für Abfallwirtschaft eine Haushalts- umfrage durchgeführt (Obersteiner und Schwödt 2017), deren Ziel es unter an- derem war, Chancen und Hindernisse für die Entwicklung von Lebensmit- telabfallvermeidungsmaßnahmen zu identifizieren. Erstmals konnten dabei auch verschiedene KonsumentInnen- gruppen identifiziert werden. Basie- rend auf diesen Erkenntnissen wurde eine Erste-Hilfe-Box für Lebensmittel entwickelt und getestet, welche im vor- liegenden Artikel näher vorgestellt wird. Erste Hilfe für Lebensmittel – Konsumentenorientierte Vermeidungsmaßnahmen entwickeln, umsetzen und evaluieren 263

ErsteHilfefürLebensmittel–Konsumentenorientierte ... · questioning in order to be able to draw conclusionson how the materials could help the consumers and to receive from them

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Originalarbeit

Österr Wasser- und Abfallw 2019 · 71:263–272https://doi.org/10.1007/s00506-019-0576-y

Erste Hilfe für Lebensmittel – KonsumentenorientierteVermeidungsmaßnahmen entwickeln, umsetzen undevaluieren

Sandra Schwödt · Gudrun Obersteiner

Online publiziert: 18. März 2019© Der/die Autor(en) 2019

Zusammenfassung Im Rahmen einerPilotaktion des EU-Projekts STREFOWAwurde am Institut für Abfallwirtschaft(Universität für Bodenkultur Wien) dieErste-Hilfe-Box für Lebensmittel ent-wickelt. Die Inhalte der Box basierenauf einer von April bis Mai 2017 in Ös-terreich durchgeführten Online-Haus-haltsumfrage mit über 2159 Teilneh-merInnen. Die Inhalte wurden an dieErgebnisse der Umfrage und somit andie Bedürfnisse der KonsumentInnenbetreffend Wissen, Ausbau genutzterVermeidungsmaßnahmen sowie Ein-satz neuer Hilfsmittel angepasst. Beider Verteilung von 2000 Boxen wurdeauch darauf Rücksicht genommen, aufwelche Art und Weise die Konsumen-tInnen bevorzugt kontaktiert werdenmöchten. In weiterer Folge wurden dieMaterialien mittels Befragung evaluiert,um Rückschlüsse ziehen zu können,inwiefern die Materialien den Konsu-mentInnen weiterhelfen konnten undum von diesen Inputs für die Überar-beitung der Materialien und zukünftigeAbfallvermeidungsmaßnahmen zu er-halten.

First Aid for Food – Develop,implement and evaluateconsumer-oriented food wasteprevention measures

Abstract As part of a pilot action of theEU project STREFOWA, the Instituteof Waste Management (BOKU Univer-sity) developed the so called “First AidBox for Food”. The contents of the boxare based on an online household sur-vey conducted in Austria from April toMay 2017 with more than 2159 partic-ipants. The contents were adapted to

DI S. Schwödt (�) · DI G. ObersteinerDepartmentWasser – Atmosphäre –Umwelt, Institut für Abfallwirtschaft,Universität für Bodenkultur Wien,Muthgasse 107, 1190 Wien, Ö[email protected]

the results of the survey and thus tothe needs of the consumers, concern-ing knowledge, enhancing already usedfood waste prevention measures as wellas the use of new aids. The preferencesof the consumers concerning type andfrequency of contacting have also beentaken into account. 2000 boxes havebeen handed out, subsequently, thematerials were evaluated by means ofquestioning in order to be able to drawconclusions on how the materials couldhelp the consumers and to receive fromthemmore inputs for the revision of thematerials and future waste preventionmeasures.

1 Einleitung

Das 12. Ziel für eine nachhaltige Ent-wicklung (Sustainable DevelopementGoals, SDGs) der Vereinten Nationensetzt sich mit nachhaltigen Konsum-und Produktionsweisen auseinander.Der Unterpunkt 12.3 sieht eine Ver-ringerung der Lebensmittelabfälle proKopf um 50% auf Ebene des Handelsbis hin zu jener der KonsumentIn-nen vor. Die vorliegende Arbeit dientedazu, maßgeschneiderte Vermeidungs-maßnahmen für KonsumentInnen zuentwickeln, auf deren Ebene das größteVermeidungspotenzial in Europa (Sten-marck et al. 2016) besteht. Doch nach-haltige Wertschöpfungsketten sowie dieVermeidung von Lebensmittelabfällensind auch für die Erreichung andererSDGs wie 1 (Zero Poverty), 2 (ZeroHunger) und 3 (Good Health and Well-Being) unerlässlich.

Die Umsetzung von Lebensmit-telabfallvermeidungsmaßnahmen inHaushalten bzw. das Erreichen vonHaushalten, sodass eine tatsächlicheVerhaltensänderung eintritt, hat sichbislang als schwierig erwiesen, obwohles nicht an Initiativen mangelt. Daherist es wichtig, mehr darüber in Erfah-rung zu bringen, was KonsumentInnendazu motiviert bzw. daran hindert, Le-

bensmittelabfälle zu vermeiden, umanschließend auf die Bedürfnisse derKonsumentInnen maßgeschneiderteVermeidungsmaßnahmen entwickelnzu können.

Die Gründe für das Aufkommen vonLebensmittelabfällen in Haushaltensind vielfältig. Sie können sowohl mitder persönlichen Lebenssituation undsozio-demografischen Einflussfaktorenin Zusammenhang stehen, als auchmit Einstellungen, Gewohnheiten undWissen in Verbindung gebracht wer-den. Drei wichtige Anhaltspunkte, umeinschätzen zu können, inwiefern Kon-sumentInnen gewillt sind, Lebensmit-telabfälle zu vermeiden, stellen derenSensibilität gegenüber Lebensmittel-abfällen, deren Vermeidungsanstren-gungen sowie die Motivation dar, daseigene Verhalten zu ändern.

Wichtig erscheint außerdem nichtnur, eine Fülle an unterschiedlichenMaßnahmen zu entwickeln, sonderndiese anschließend auch gründlich zuevaluieren, um in Zukunft daraus ler-nen und darauf aufbauen zu können.Dies wurde bisher in Österreich nursehr selten bei für KonsumentInnenentwickelten Maßnahmen zur Lebens-mittelabfallvermeidung durchgeführt.

Im Rahmen des Projektes STREFO-WA wurde im Frühjahr 2017 vom Insti-tut für Abfallwirtschaft eine Haushalts-umfrage durchgeführt (Obersteiner undSchwödt 2017), deren Ziel es unter an-derem war, Chancen und Hindernissefür die Entwicklung von Lebensmit-telabfallvermeidungsmaßnahmen zuidentifizieren. Erstmals konnten dabeiauch verschiedene KonsumentInnen-gruppen identifiziert werden. Basie-rend auf diesen Erkenntnissen wurdeeine Erste-Hilfe-Box für Lebensmittelentwickelt und getestet, welche im vor-liegenden Artikel näher vorgestellt wird.

Erste Hilfe für Lebensmittel – Konsumentenorientierte Vermeidungsmaßnahmen entwickeln, umsetzen und evaluieren 263

Originalarbeit

2 Bedürfnisse derKonsumentInnen

Um maßgeschneiderte Maßnahmen fürKonsumentInnen entwickeln zu kön-nen, ist es in erster Linie wichtig, derenPräferenzen und Wünsche hinsichtlichder Kommunikation von Lebensmittel-abfallvermeidungsmöglichkeiten zu er-heben, aber auch ihren Wissenstand zupotenziellen Auswirkungen aber auchVermeidungsmöglichkeiten zu kennen,um in weiterer Folge besser auf dieindividuellen Bedürfnisse eingehen zukönnen.

Folgende Daten basieren auf dervom Institut für Abfallwirtschaft inÖsterreich durchgeführten Haushalts-umfrage. Dabei wurden 2159 Teilneh-merInnen zu ihrer Einstellung, ihremWissen sowie momentan in den Haus-halten durchgeführten Vermeidungs-maßnahmen bzw. zum Lebensmittel-abfallaufkommen befragt.

2.1 Präferenzen bei derKontaktaufnahme

Obwohl unterschiedliche Konsumen-tInnengruppen identifiziert werdenkonnten, unterscheiden sich diesekaum bezüglich der gewünschten Häu-figkeit der Kontaktaufnahme, der ge-wünschten Medien zur Kontaktaufnah-me bzw. auch der Art der gewünschtenInformationen.

2.1.1 Häufigkeit der Kontaktaufnahme

Betreffend die Häufigkeit der gewün-schten Informationen zeigt sich eineinheitliches Bild. 41% der Befragtenziehen es vor, nur einmalig kontaktiertzu werden, damit sie wissen, wo dieMaterialien bei Bedarf abrufbar sind.Weitere 37% können sich vorstellen,in größeren Abständen (max. 1×proMonat) kontaktiert zu werden. Mehrals einmal pro Monat kontaktiert zuwerden, können sich nur 14% der Be-fragten vorstellen, während 8% garnicht kontaktiert werden möchten.

2.1.2 Gewünschte Wege zurKontaktaufnahme

Ein interessanter Aspekt ist, dass sichein Großteil der befragten Konsumen-tInnen (ca. 74%) bei vorgegebenen Ant-wortmöglichkeiten Informationen überLebensmittelabfallvermeidungsmaß-nahmen bzw. auch Tipps zur richtigenLagerung direkt auf Produktverpackun-

gen wünscht, ca. 46% der Befragtenwünschen sich, dass entsprechende In-formationen im Supermarkt aufliegen.Die Produktion bzw. der Einzelhandelscheinen zur Informationsvermittlungaus Sicht der KonsumentInnen einewichtige Rolle zu spielen und solltenin Lebensmittelvermeidungsmaßnah-men bzw. Kampagnen miteinbezogenwerden.

Nicht zu unterschätzen ist auch dieReichweite bzw. der Einfluss sozialerMedien, immerhin 30% der Befrag-ten können sich vorstellen, über dieseInformationen zu beziehen.

Knapp 40% der Befragten würden ei-ne App nutzen, die individuell auf derenBedürfnisse eingeht, während kosten-lose Workshops beispielsweise von nur15% der Befragten in Anspruch genom-men werden würden. 9% der Befragtenwürden überhaupt kein Angebot in An-spruch nehmen.

2.2 Art der gewünschten Information

Mehr als die Hälfte aller Befragten wür-den gerne mehr Informationen überdie richtige Lagerung bestimmter Le-bensmittel erhalten. In weiterer Folgesind Informationen über die mögli-chen gesundheitlichen Auswirkungenbestimmter Lebensmittel bei deren Ver-derb (47% der Befragten) sowie Rezep-te zur Resteverwertung (44%) gefragt.36% der Befragten haben Interesse anInformationen zur Haltbarmachungvon Lebensmitteln. Ein Viertel der Be-fragten (26%) würden gerne erfahren,wie sie sich nach Ablauf des Mindest-haltbarkeitsdatums am besten verhal-ten können um festzustellen, ob das je-weilige Produkt noch genießbar ist. Nur16% der Befragten wünschen sich eineUnterstützung bei der Einkaufs- undPortionsplanung. 10% der Befragtenwürde sich keine dieser Informationenwünschen und/oder sie nutzen. Auchin den Kommentaren zeigt sich, dasseinige KonsumentInnen empfinden,schon ausreichend oder sogar sehr gutzu diesen Themen informiert zu sein.

2.3 Wissensbasis der KonsumentInnen

Grundkenntnisse im Umgang mit Le-bensmitteln sind für die Vermeidungvon Lebensmittelabfällen von entschei-dender Bedeutung. Es wird davon aus-gegangen, dass zusätzlich das Wissenbezüglich Haltbarkeitsdaten, Saisonenund Umweltauswirkungen der Lebens-mittelproduktion bzw. von Lebensmit-

telabfällen Einfluss auf den Umgangmit diesen haben.

2.3.1 Haltbarkeitsdaten

Die falsche Interpretation der Haltbar-keitsdaten – vor allem des Mindest-haltbarkeitsdatums – wird oft als einerder Hauptgründe zum Aufkommen vonvermeidbaren Lebensmittelabfällen inHaushalten genannt.

Die Umfrage hat gezeigt, dass Kon-sumentInnen in Österreich bereits ge-lernt haben, dass Lebensmittel, diedas Haltbarkeitsdatum überschrittenhaben, verzehrt werden können. 90%der TeilnehmerInnen würden nach ent-sprechender Überprüfung von Geruchund Geschmack Milchprodukte essen,die das Haltbarkeitsdatum bereits über-schritten haben. Sogar bei Fleisch undWurstwaren würden 67% der Befragtendie Ware nach Überprüfung noch es-sen. Bei Reis und Teigwaren geben 45%der Befragten an überhaupt nicht aufdas Haltbarkeitsdatum zu achten.

2.3.2 Lagerung

Falsche Lagerung kann die Haltbarkeitvon Lebensmitteln und damit das Auf-kommen an Lebensmittelabfällen starkbeeinflussen. Bei Betrachtung der Zu-sammensetzung von vermeidbaren Le-bensmittelabfällen aus österreichischenHaushalten (Schneider und Lebersorger2009) zeigt sich, dass Obst und Gemüseknapp ein Drittel ausmachen und damitnach Brot und Gebäck am zweithäufigs-ten entsorgt werden.

Insbesondere die korrekte Lagerungvon Obst und Gemüse erfordert Grund-kenntnisse über die jeweiligen Merk-male der verschiedenen Sorten, da einständiger Kompromiss zwischen derErhaltung der mikrobiellen und derallgemeinen Qualität gesucht werdenmuss (Krämer 2011). BeeinflussbareParameter für die Haushalte sind dieTemperatur und die relative Luftfeuch-tigkeit.

Bei der vorliegenden Umfrage wieauch einer Masterarbeit mit Lebensmit-teltagebüchern (Schwödt 2016) stell-te sich heraus, dass besonders Obsthäufig fälschlicherweise bei Raumtem-peratur gelagert wird, obwohl es voneiner kühleren Lagerung profitierenwürde. Die Umfrage ergab, dass 58%der TeilnehmerInnen Weintrauben beiRaumtemperatur lagern, während Äp-fel von 78% bei Raumtemperatur ge-lagert werden und Orangen sogar von

264 Erste Hilfe für Lebensmittel – Konsumentenorientierte Vermeidungsmaßnahmen entwickeln, umsetzen und evaluieren

Originalarbeit

85% der TeilnehmerInnen. Erdbeerenbleiben nur bei 22% der TeilnehmerIn-nen außerhalb des Kühlschranks. Alleaufgeführten Sorten sollten im Kühl-schrank aufbewahrt werden, um dieHaltbarkeit zu verlängern. Geschmack-seinbußen, wie fälschlicherweise oftangenommen, sind nicht zu erwarten,da die Produkte auch davor, bis zu ih-rer Präsentation im Einzelhandel (beiÄpfeln z.T. sogar über Monate) entspre-chend kühl gelagert werden. 10% derUmfrageteilnehmerInnen lagern Karot-ten bei Raumtemperatur, was zu einemdeutlich schnelleren Verderb führt. Dieoptimale Lagerung von Tomaten führtzu merklichen Unsicherheiten bei denKonsumentInnen. Ein österreichischerTomatenproduzent empfiehlt die La-gerung bei Raumtemperatur. ObwohlTomaten länger im Kühlschrank frischbleiben, verlieren sie beträchtlich anAroma und sind daher nicht für kalteLagerungsbedingungen geeignet.

2.3.3 Umweltauswirkungen vonLebensmittelabfall

Der Wasser-Fußabdruck gibt an, wieviel Wasser für die Produktion be-stimmter Lebensmittel benötigt wird.Die UmfrageteilnehmerInnen erhielteneine Auswahl aus sechs verschiedenenProdukten (Reis, Brot, Käse, Rindfleisch,Apfel, Tomate). Die Aufgabe bestanddarin, jene drei herauszufinden, dieden größten Wasser-Fußabdruck auf-weisen. Obwohl nur 41% der Teilneh-merInnen jene drei mit dem höchstenWasser-Fußabdruck richtig identifizie-ren konnten, wussten über 90%, dassdie Produktion von Rindfleisch beson-ders viel Wasser benötigt.

Weniger als 1% der Befragten istder Meinung, dass Lebensmittelabfällekein Problem darstellen, da diese biolo-gisch abbaubar sind. 48% der Befragtenhaben bei der Entsorgung von Lebens-mitteln Bedenken aufgrund negativerAuswirkungen auf die Umwelt bzw. 45%aufgrund von negativen Auswirkungenauf die globale Ernährungssituation.

2.3.4 Erntezeit in Österreich

Während 77% der TeilnehmerInnenrichtig eingeschätzt haben, dass Kür-bisse in Österreich von August bis Ok-tober geerntet werden können, war esbei anderen Sorten deutlich schwierigerfür die Befragten. So wussten nur 28%,dass die Kartoffelernte bereits im Junibeginnt und bis in den Oktober dau-

ert, da es sehr unterschiedliche Sortengibt und nur jene, die im Herbst geern-tet werden, auch für die Einlagerungverwendet werden. 50% der Befragtenkonnten die heimische Erdbeersaison(Mai bis August) richtig zuordnen.

2.4 Bereits durchgeführteVermeidungsmaßnahmen inHaushalten

2.4.1 Maßnahmen zur Vermeidung

Die häufigsten bewusst durchgeführtenMaßnahmen, welche von 80–90% derBefragten regelmäßig genutzt werden,sind das Verwerten von Speiserestenund das Essen oder Verarbeiten von Le-bensmitteln, die drohen zu verderbenoder das Haltbarkeitsdatum zu über-schreiten. Auch Einfrieren spielt eineRolle für über 80% der Befragten. BeiRoadshows und Veranstaltungen zumThema Lebensmittelabfallvermeidungzeigt sich, dass häufig dieselben (weni-gen) Lebensmittel bzw. Produkte einge-froren werden und es an Wissen fehlt,welche Bandbreite an Lebensmittelneingefroren werden können. Die Mög-lichkeit der Verfütterung an Haustiere,der Weitergabe an Familienmitgliederoder Einkochen wird von etwa 20–30%der Befragten genutzt. Etwa 6% derBefragten nutzten bereits die Möglich-keit, Essen an soziale Einrichtungen/Foodsharing-Initiativen weiterzugeben.

2.4.2 Einkauf

Über 80% der Befragten geben an, im-mer oder oft zu überprüfen, welche Pro-dukte sich noch im Haushalt befinden,bevor sie einen Einkauf tätigen. In et-wa die Hälfte der Befragten gibt an, dasEssen für die kommenden Tage immeroder oft im Voraus zu planen, während8% der Befragten nur selten und 5%der Befragten nie eine Einkaufsliste ver-wenden. Nur 16% halten sich immer andie Einkaufsliste, weitere 60% geben an,das oft zu tun.

Aus Sicht der KonsumentInnen füh-ren vor allem Sonderangebote, zu gro-ße Verpackungseinheiten oder beson-ders ansprechende Produkte dazu, dassmehr gekauft wird als ursprünglich ge-plant. Einkaufen mit Hunger ist eben-falls für ca. 50% der Befragten relevant.

2.4.3 Hindernisse bei der Umsetzungvon Vermeidungsmaßnahmen

Mehr als 55% der Befragten sind derMeinung, dass mangelnde Zeit, imHaushalt befindliche Lebensmittel nochzu verarbeiten, dazu führt, dass häufi-ger Lebensmittel entsorgt werden müs-sen. Ein Viertel der Befragten hat dasGefühl, dass die entsprechende Lager-möglichkeit im Haushalt fehlt. 23% derBefragten gaben an, dass ihnen die be-nötigte Kreativität fehlt, um Reste ent-sprechend zu verwerten. Das fehlendeWissen war für 10% der Befragten vonBedeutung. 3% der Befragten gaben an,dass dieses Thema für sie einfach nichtwichtig genug ist.

3 Erste-Hilfe-Box für Lebensmittel

Anhand der vorliegenden Ergebnis-se wurde ein Maßnahmenpaket, die„Erste-Hilfe-Box“ für Lebensmittel, ent-wickelt, welches auf die verschiede-nen Bedürfnisse der KonsumentInnenabgestimmt wurde. Folgende Punktewurden bei der Erstellung beachtet:

3.1 Kommunikation undKontaktaufnahme

• Die KonsumentInnen werden nureinmal gezielt mit einem Maßnah-menpaket kontaktiert.

• Das Maßnahmenpaket wird im Ein-zelhandel angeboten (eine Umset-zung auf Produktebene, wie ge-wünscht, ist ungleich schwieriger).

• Die von den KonsumentInnen pri-mär gewünschten Informationen(v.a. zu Lagerung, Auswirkungenauf die Gesundheit, Resterezepteund Haltbarmachung) bereitzustel-len und zusätzlich darauf zu achten,auch jene Vermeidungsmaßnahmenabzudecken, welche bisher kaumumgesetzt bzw. welche als Hinder-nisgründe genannt wurden (Zeit, La-gerung, Kreativität), um das Wissender KonsumentInnen zu vertiefen.

• VerschiedeneKonsumentInnengrup-pen anzusprechen – sowohl jene, de-nen das Thema bereits sehr wichtigist und die das Paket als Multiplika-torInnen einsetzen können, als auchjene, die sich bisher wenig mit ver-schiedenen Maßnahmen beschäftigthaben oder die das Gefühl haben,dass es an Ideen zur Lebensmittelab-fallvermeidungmangelt. Ein wesent-licher Punkt war, den KonsumentIn-

Erste Hilfe für Lebensmittel – Konsumentenorientierte Vermeidungsmaßnahmen entwickeln, umsetzen und evaluieren 265

Originalarbeit

Abb. 1 Erste-Hilfe-Box für Lebensmittel (Außen- und Innenansicht)

nen mehr Sicherheit im Umgang mitLebensmitteln zu vermitteln.

3.2 Wissen

• Die KonsumentInnen werden überdie richtige Lagerung von Obst undGemüse informiert.

• Die KonsumentInnen bekommen In-formationen über Haltbarkeitsdaten,wie auch darüber, wie lange Produk-te selbst nach Überschreitung dieser

Daten noch genießbar sind, um einegewisse Sicherheit zu vermitteln.

• Die KonsumentInnen erhalten einenÜberblick über mögliche Maßnah-men imHaushalt.

3.3 Handeln

• Die KonsumentInnen bekommenkreative Resterezepte zur Verfügunggestellt, deren Erarbeitung von Food-bloggerInnen unterstützt wurde.

• Die KonsumentInnen erhalten Infor-mationen zum Einfrieren sowie Ge-frierbeutel zum Handeln.

• Die KonsumentInnen erhalten Infor-mationen zum Einkochen sowie Ge-lierhilfe zumHandeln.

• Die KonsumentInnen erhalten ei-ne Hilfestellung, die verhindern soll,dass Lebensmittel im Kühlschrankvergessen werden.

Abb. 1 zeigt die Außenansicht sowie dieentwickelten Inhalte für die „Erste-Hil-

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Originalarbeit

fe-Box“, welche in weiterer Folge imDe-tail beschrieben werden.

Für das Design der Box wurde ei-nerseits das bekannte Zeichen für „Ers-te Hilfe“ an der Frontseite verwendetund andererseits eine Abbildung einerdurchgestrichenen Figur, die Lebens-mittel zumMüll trägt, für die Vordersei-te gewählt, zusammen mit dem Spruch„Landet das Essen im Magen, musst dues zum Müll nicht tragen“, der an eineBauernregel erinnert, wie sie in Öster-reich bzw. allgemein im deutschspra-chigen Raum oft verwendet werden,um das Wetter vorherzusagen.

Folgende Informationsmaterialienwurden für die Erste-Hilfe-Box entwi-ckelt:• 10 Tipps und Tricks: Dieses Informa-

tionsblatt im A5-Format zeigt einenÜberblick über Lebensmittelabfall-vermeidungsmaßnahmen im Haus-halt.

• Blitz-Marmelade: Einkochen ist un-kompliziert und geht schnell – diesist eine wichtige Botschaft an Konsu-mentInnen, die befürchten zu wenigZeit dafür zu haben, um Lebens-mittel auf diese Weise haltbar zumachen. In vier einfachen Schrit-ten wird auf dem Blitzmarmelade-Kärtchen erklärt, wie Marmeladeeingekocht werden kann, um damitObst haltbar zu machen, zusätzlichfinden sich wertvolle Tipps, wie dieMarmelade verfeinert werden kannund worauf es beim Einfüllen in dieGläser ankommt.

• Lagerkreis: Der Lagerkreis hilft Kon-sumentInnen dabei, Obst und Ge-müse richtig zu lagern. Er zeigt, wel-che Temperaturen für die Lagerungbestimmter Obst- und Gemüsesor-ten geeignet sind,welche eingefrorenwerden können und welche großeMengen des Reifegases Ethylen ab-geben.

• Vergiss-Mein-Nicht-Ecke: Mit die-ser kann ein bestimmter Bereichim Kühlschrank markiert werden,in dem in weiterer Folge Lebens-mittel gelagert werden, die zeitnahgegessen werden müssen. Dies sollKonsumentInnen dabei unterstüt-zen, nicht auf schnell verderblichesEssen im Kühlschrank zu vergessen.

• Einfrier-Hilfe: Einfrieren wird bereitsvon vielen KonsumentInnen genutzt.Das Einfrierkärtchenbietet einen de-taillierten Überblick, welche Lebens-mittel wie lange eingefroren werdenkönnen. Dabei spielt auch das scho-nende Auftauen eine Rolle.

Folgende Materialien wurden außer-dem zur Verfügung gestellt:• Toppits-Gefrierbeutel: Damit es den

KonsumentInnen leichter fällt, dieEinfriertipps in die Tat umzusetzen,wurden von der Firma Toppits Ge-frierbeutel gesponsert.

• Haas-Gelierhilfe: Die von der Fir-ma Haas gesponserte Gelierhilfe sollKonsumentInnen dazu ermuntern,Obst mithilfe des Blitzmarmelade-kärtchens einzukochen.

• „Ist das noch gut?“-Folder der Wie-ner Tafel: Dieser Folder erklärt dasMindesthaltbarkeitsdatumund zeigt,wie lange verschiedene Produkteoft noch nach Überschreiten desDatums gegessen werden können,um KonsumentInnen diesbezüglichmehr Sicherheit zu geben.

4 Evaluation der Erste-Hilfe-Box

Die Evaluation von Vermeidungsmaß-nahmen wird nach wie vor meist nichtdurchgeführt. Daher ist es oft nichtmöglich abzuschätzen, inwiefern dieseauch von den KonsumentInnen ange-nommen wurden.

4.1 Methode

Die Erste-Hilfe-Boxen wurden im März2018 innerhalb von 6 Tagen in dreiverschiedenen SPAR-Filialen in Wienan 2000 VerbraucherInnen verteilt. DieFilialen befinden sich in verschiede-nen Wiener Gemeindebezirken, diesich auch bezüglich Einkommens-, undBildungsniveau und Arbeitslosenanteilvoneinander unterscheiden. Dies solltees ermöglichen, mit der Box möglichstviele unterschiedliche Typen von Kon-sumentInnen zu erreichen. Die Ver-teilung selbst fand zu verschiedenenTageszeiten unter der Woche sowie amWochenende statt, was ebenso die Er-reichung möglichst unterschiedlicherKonsumentInnengruppen ermöglichte.

Die Evaluierung der Erste-Hilfe-Boxerfolgte wiederum über eine Befragungder KonsumentInnen, indem der Boxjeweils ein Kuvert mit Antwortsendungbeigelegt wurde. Die Antwortsendungermöglicht es, dass der Empfänger denVersand übernimmt, und zwar nur fürdie Kuverts, die tatsächlich zurückge-schickt werden. Den KonsumentInnenwurden die Boxen persönlich ausge-händigt und die weitere Vorgehenswei-se sowie das Ziel dahinter kurz erklärt.Zusätzlich wurde es den KonsumentIn-nen ermöglicht, den Fragebogen online

auszufüllen – der dafür benötigte Linkwar ebenfalls in der Box zu finden. Umdie Rücklaufquote zu erhöhen, wurdenPreise zur Verfügung gestellt, die un-ter all jenen verlost wurden, die einenFragebogen retournierten und damiteinverstanden waren, ihre Kontaktda-ten weiterzugeben.

307 KonsumentInnen retournierteneinen Fragebogen. Das bedeutet, dass15% der Haushalte, die eine Box erhiel-ten, an der Befragung teilnahmen. Inder Regel arbeiten Marktforschungsin-stitute mit Follow-Ups und Erinnerun-gen – sie wenden sich somit erneut andie zu befragenden Personen um dieRücklaufquote zu erhöhen. Dies war je-doch mit dieser Art der Verteilung nichtmöglich – die Rücklaufquote kann alszufriedenstellend angesehen werden.

4.2 Ergebnisse

Da diese Stichprobe nicht selbst aus-gewählt wurde, sondern vollständigauf freiwilliger Teilnahme beruhte, wardie Zusammensetzung nicht vorher-sehbar. Die Mehrheit der Teilnehme-rInnen war weiblich (77,5%) und dasDurchschnittsalter der TeilnehmerIn-nen betrug 52,7 Jahre, was deutlich überdem österreichischen Durchschnittsal-ter von 42,6 Jahren zu Beginn des Jahres2018 liegt (Statistik Austria 2018). 45%der TeilnehmerInnen waren zum Zeit-punkt der Befragung unter 50 Jahrenalt. KonsumentInnen zwischen 15 und80 Jahren konnten zur Teilnahme ander Evaluierung motiviert werden.

Im Durchschnitt lebten die Teil-nehmerInnen in einem 2,3-Personen-Haushalt, was annähernd mit dem ös-terreichischen Durchschnitt von 2,15vergleichbar ist (Statistik Austria 2017).21,8% der TeilnehmerInnen gaben an,in ihrem Haushalt mit Kindern unter18 Jahren zu leben. Die teilnehmen-den Haushalte haben durchschnittlich1,8 Kinder, was in etwa dem österreichi-schen Durchschnitt von 1,67 entspricht(Statistik Austria 2017). 24% der Teil-nehmerInnen gaben an, ein Haustierzu besitzen.

Eine große Mehrheit (76,8%) derTeilnehmerInnen gab an, extrem be-troffen davon zu sein, Lebensmittelentsorgen zu müssen, weitere 21%empfinden es als „ziemlich unange-nehm“. Nur ein/e Teilnehmer/in gaban, dass das Wegwerfen von Essen nichtals unangenehm empfunden wird.

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Abb. 2 Alltagstauglichkeit derMaterialienausSichtderKonsumentInnen

Abb. 3 MeinungenderKonsumentInnenzuverschiedenenAussagenzurBox

Abb. 2 zeigt, welche drei Materialienaus der Box KonsumentInnen am ehes-ten im Alltag einsetzen würden.

Das beliebteste entwickelte Mate-rial stellt das Rezeptheft dar, welchesmehr als 50% wiederverwenden wür-den. Auch das Einfrierkärtchen sowieder Lagerkreis wurden von mehr als30% als nützlich bewertet. Die 10 Tippszur Lebensmittelabfallvermeidung wur-den von 21% der TeilnehmerInnen ge-schätzt, während das „Vergiss-mein-nicht-Kärtchen“ nur wenige begeisternkonnte.

Unter den gesponserten Materiali-en sind die „Toppits-Gefrierbeutel“ ambeliebtesten – 65% der TeilnehmerIn-nen schätzen dieses Hilfsmittel. Etwa20% der Konsumenten empfanden die„Haas-Gelierhilfe“ als hilfreich. Der „Istdas noch gut?“-Folder der Wiener Tafelstieß bei 44% der TeilnehmerInnen aufInteresse.

Abb. 3 zeigt, inwiefern verschiedeneAussagen zu der Box auf die Teilnehme-rInnen zutreffen.

Über 90% der TeilnehmerInnen ga-ben an, dass sie nicht oder eher nichtbehaupten würden, von dem Thema„Lebensmittelabfall“ genervt zu sein.Mehr als 65% der Teilnehmer emp-finden den Inhalt als interessant, fürweitere 28% ist das eher zutreffend.36% der Befragten empfinden es alszutreffend, etwas Neues gelernt zu ha-ben, für weitere 31% ist diese Aussageeher zutreffend. Laut Aussagen der Teil-nehmerInnen hat die Erste-Hilfe-Boxauch Einfluss auf deren Verhalten. Sowürden 46% der TeilnehmerInnen diezu bewertende Aussage „Ich werfe nunweniger weg“ als zutreffend oder eherzutreffend empfinden. 40% der Befrag-ten empfinden es als zutreffend undweitere 28% als eher zutreffend, nunschonender mit Lebensmitteln umzu-gehen. Für beinahe 90% der Teilneh-

merInnen ist die Aussage „Ich werdeden Inhalt wieder verwenden“ zutref-fend oder eher zutreffend.

Zusätzlich wurden die Teilnehmergefragt, ob sie sich andere nützlicheHilfestellungen vorstellen können, diedurch die Erste-Hilfe Box oder ähnli-che Materialien zukünftig aufgegriffenwerden können.

24% der TeilnehmerInnen, die ger-ne ihre Idee teilen wollten, gaben an,dass sie eine größere Vielfalt an Res-terezepten vorziehen würden. Darüberhinaus haben 22% der TeilnehmerIn-nen Interesse an einer Liste mit sozialenEinrichtungen, an welche Lebensmit-telüberschuss aus Haushalten überge-ben werden kann. Vereinzelt werdenmehr Informationen zu Haltbarkeits-daten gewünscht oder aber z.B. Listen,die am Gefrierschrank angebracht wer-den können, um einen Überblick überdie eingefrorenen Lebensmittel zu be-halten, bzw. Magnete, um die Vergiss-mein-nicht-Kärtchen zu ersetzen oderaber die unterschiedlichen Temperatur-zonen im Kühlschrank zu markieren. Inweiterer Folge gab es Anmerkungen da-zu, welche Lebensmittel als Tierfutterfür Haus- und/oder Wildtiere geeig-net sind, und eine Liste an Abfallver-meidungs-Apps für KonsumentInnen.Weitere 30 TeilnehmerInnen gaben an,keine andere Idee zu haben oder nichtsändern zu wollen.

Die Ergebnisse zeigen, dass bei derEntwicklung von Vermeidungsmaßnah-men auch sozio-demografische Merk-male eine Rolle spielen. Die Gefrierhilfe,der Lagerkreis, aber auch die Vergiss-mein-nicht-Kärtchen werden von denunter 35-Jährigen am besten bewertet,während z.B. die Blitzmarmelade beidieser Altersgruppe am wenigsten An-klang fand. Die Tipps und Tricks bzw.der „Ist das noch gut?“-Folder der Wie-ner Tafel konnte bei TeilnehmerInnenzwischen 35 und 65 Jahren punkten. DieResterezepte waren bei über 50% derTeilnehmer alle Altersgruppen beliebt,überraschenderweise jedoch besondersbei den über 65-Jährigen.

Auch das Geschlecht hat einen ge-wissen Einfluss bezüglich der Präferenzbestimmter Materialien. Die Einfrier-kärtchen, die „Ist das noch gut?“-Foldersowie der Lagerkreis werden von Män-nern mehr geschätzt als von Frauen.Im Gegensatz dazu gefallen Frauen dieRezepte sowie das Blitzmarmeladekärt-chen bedeutend besser.

Auch der Bildungsgrad hat einenEinfluss auf die Beliebtheit bestimm-

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Originalarbeit

ter Box-Inhalte. Der Lagerkreis wurdedeutlich besser (mehr als doppelt sogut) von TeilnehmerInnen mit Maturaoder abgeschlossenem Studium be-wertet als von TeilnehmerInnen, derenhöchste abgeschlossene Ausbildung ei-ne berufsbildende Schule oder Lehreist. Das Marmeladerezept sowie die10 Tipps und Tricks werden von Abgän-gerInnen von berufsbildenden Schulenam meisten geschätzt, gleichzeitig be-wertet diese Gruppe die Einfrierhilfeam schlechtesten.

5 Diskussion undSchlussfolgerungen

Lebensmittelverschwendung ist einThema, das die KonsumentInnen be-wegt – doch reicht diese Betroffenheitbeim Blick in die Tonne aus, um dasAufkommen von Lebensmittelabfällenin Haushalten nachhaltig zu verringern?Wie können jene KonsumentInnen er-reicht werden, die sich überhaupt nichtdafür interessieren? Die Absicht Le-bensmittelabfälle zu vermeiden, führtjedenfalls nicht zwangsläufig zu einertatsächlichen Reduktion dieser Abfälle(Stefan et al. 2013). Wichtig erscheintdaher in einem ersten Schritt auf diepassenden Maßnahmen zu finden.

Auf bestimmte Konsumententypenangepasste Maßnahmen können eindabei ein Schlüssel zum Erfolg sein.Die Auswertung der Erste-Hilfe-Boxzeigt, dass auch die Berücksichtigungsozio-demografischer Merkmale wiez.B. Alter oder Bildungsgrad sinnvollist. Auch Emotionen sind ein wichtigerFaktor – Schuldgefühle beispielsweisekönnen die Motivation zum Handelnerhöhen (Quested et al. 2013). Auch dieErste-Hilfe-Box wurde in erster Linievon KonsumentInnen evaluiert, welchees als sehr unangenehm empfinden,Lebensmittel zu entsorgen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist dieKommunikation von Lebensmittelab-fallvermeidung – es scheint sinnvoll zusein, eine Mischung aus verschiedenenMedien bei Kampagnen einzusetzen.Die vorliegenden Ergebnisse zeigen,dass der Einzelhandel bei der Verbrei-tung von Vermeidungsmaßnahmen ausSicht der KonsumentInnen eine wichti-ge Rolle spielt, was auch in der Studievon Young et al. (2017) deutlich wird.Diese zeigt, dass durch die Vermitt-lung entsprechender Inhalte auf Social-Media-Kanälen von Einzelhandelsun-ternehmen bzw. in Newslettern undMagazinbeiträgen des untersuchten

Einzelhandelsunternehmens sowohldie Häufigkeit als auch die Mengen dergemeldeten Lebensmittelabfälle redu-ziert werden konnten.

Die Erste-Hilfe-Box ist ein Beispielfür eine innovative, an die Bedürfnisseder KonsumentInnen angepasste Maß-nahme, mit deren Hilfe es jedenfallsmöglich, ist die Neugier der Konsu-mentInnen zu wecken, um herauszu-finden, was sich im Inneren befindet– einen ersten Kontakt herzustellenist ein wichtiger Schritt. Obwohl sichgezeigt hat, dass KonsumentInnen esbevorzugen, nur einmalig kontaktiertzu werden, um zu erfahren, wo sich dieentsprechenden Informationen auffin-den lassen, sind regelmäßige Erinne-rungen sicher sinnvoll.

Obwohl die KonsumentInnen beider Befragung zur Erste-Hilfe-Box fest-stellten, nun weniger wegzuwerfen, dieMaterialien wiederzuverwenden odersorgsamer mit Lebensmitteln umzuge-hen, ist ungewiss, ob sich das Aufkom-men an Lebensmittelabfällen in diesenHaushalten tatsächlich verändert hat.Die Art der Evaluierung lässt keinendirekten Rückschluss darauf zu, ob Per-sonen ihr Handeln tatsächlich ändern,sondern nur auf die Einstellung derMenschen zur Box. Die Erhebung vonEffekten von Abfallvermeidungsmaß-nahmen generell wird von ExpertIn-nen als schwierig eingeschätzt (z.B.:Zorpas und Lasaridi 2013; Read et al.2009). Zentrale Probleme, die sich hierergeben, sind zum einen, dass manVermeidungsmaßnahmen nicht sehenkann und eine Teilnahme daran visuellnicht beobachtbar ist, im Gegensatzzu Recyclingmaßnahmen. Zum ande-ren ist es schwierig, eine Reduktionder Abfallmenge der Vermeidung zu-zuschreiben und nicht etwa anderenUmständen, wie der wirtschaftlichenSituation. Gängige Erhebungsmetho-den zu Effekten der Abfallvermeidungsind u.a. Analysen zum Abfallaufkom-men, vergleichende Analysen mittelsKontrollgruppen, Analysen mittels spe-zifischer zumeist räumlich abgegrenz-ter Kampagnen, Analysen von Verhal-tensänderungen mittels Befragungen,teilnehmende Beobachtungen und an-dere. All diese Methoden haben Stärkenaber auch Schwächen. Sehr oft sind dieMethoden zu aufwendig, zu personal-und kostenintensiv, um sie ausführlichgenug für repräsentative Ergebnisse zugestalten. Unbestritten besteht auf die-sem Gebiet weiterer Forschungsbedarf.

Vermeidungsmaßnahmen werdenin Zukunft möglicherweise nicht nurdarauf fokussieren, die Menge an ver-meidbaren Lebensmittelabfällen zu re-duzieren, sondern sich auch verstärktauf Lebensmittel mit den relevantestenUmweltauswirkungen und umweltbe-wusste Kaufentscheidungen konzen-trieren. Young et al. (2017) kommenzum Schluss, dass es wichtig ist, bei derEntwicklung von Lebensmittelabfall-vermeidungsmaßnahmen in Hinblickauf die Vermeidung von Treibhaus-gasemissionen bzw. andere negativeUmweltauswirkungen auch darauf zuachten, sogenannte Rebound-Effektezu vermeiden. Diese können dann ent-stehen, wenn KonsumentInnen z.B. dasdurch Vermeidung von Lebensmittel-abfällen mit geringerer Umweltauswir-kung (z.B. Obst, Gemüse) gesparte Gelddazu verwenden, Produkte zu kaufen,deren Produktion mit großen Mengenan Treibhausgasemissionen verbundenist, wie z.B. Fleisch (Barrett und Scott2012).

Diese Überlegungen sprechen dafür,dass es in erster Linie von Bedeutungist, die Wertschätzung für Lebensmittelentlang der gesamten Wertschöpfungs-kette zu erhöhen – dazu werden inden kommenden Jahren noch mehrAnstrengungen erforderlich sein undkreative Wege eingeschlagen werdenmüssen. Nur dann wird es gelingen,das Entwicklungsziel 12 der VereintenNationen „Nachhaltiger Konsum undProduktion“ auch umzusetzen und wiein 12.3 gefordert auch die Menge anLebensmittelabfällen pro Kopf bis 2030zu halbieren.

Förderung Das Projekt STREFOWAwurde finanziert durch die Mittel desEuropäischen Development Fonds undkofinanziert durch das Bundesminis-terium für Nachhaltigkeit und Touris-mus, die Wiener Umweltschutzabtei-lung (MA 22) sowie der VKS Verpa-ckungskoordinierungsstelle GmbH.

Funding Open access funding providedby University of Natural Resources andLife Sciences Vienna (BOKU).

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