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Judith Haas 1436945 Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das Leben vorbereiten. Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Science im Rahmen des Universitätslehrganges für Lehrerinnen und Lehrer der Gesundheits- und Krankenpflege Begutachterin: Mag. a Dr. in Christine Fischer Karl-Franzens-Universität Graz und UNI for LIFE Graz, Mai 2017

Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

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Page 1: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

Judith Haas

1436945

Erziehung im Wandel der Zeit -

Kinder fördern und auf das Leben

vorbereiten.

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Master of Science

im Rahmen des Universitätslehrganges

für Lehrerinnen und Lehrer der Gesundheits- und

Krankenpflege

Begutachterin:

Mag.a Dr.in Christine Fischer

Karl-Franzens-Universität Graz

und UNI for LIFE

Graz, Mai 2017

Page 2: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und

ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht

benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen

als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder

ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen

Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die

vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

12. Mai 2017 Unterschrift:

Page 3: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

Danksagung

Ich möchte folgenden Menschen danken, die mich während meiner Arbeit

mit ihrer Liebe und Geduld unterstützt haben. Das Schreiben der

Masterthesis erforderte Zeit, Ruhe und Geduld. Ohne euch hätte ich das

nicht geschafft.

Zuerst meiner Familie: Meinem Mann Mathias und unseren Kindern Emma

und Mathias Junior danke ich dafür, dass sie Teil meines Lebens sind. Ohne

eure moralische Unterstützung hätte ich meine Arbeit nicht so zügig

beenden können.

Meinen aufrichtigen Dank richte ich an mein Vorbild Tante Gerti, die mir

meine Arbeit mehrmals Korrektur gelesen hat.

Sehr bedanken möchte ich mich bei meiner Mutter, die mir immer wieder

den Rücken frei hielt, damit ich Zeit zum Schreiben fand.

An Frau Mag.a Dr.in Christine Fischer geht mein Dank für ihre Ideen. Sie

ermutigte mich „einfach loszulegen“. Ich möchte ihr danken, dass sie mich

in meinem „Tun“ selbstständig arbeiten ließ und mich nie einschränkte.

Ein herzliches Dankeschön an alle genannten Personen. Ihr habt mich in

hohem Maße während dieser nicht immer einfachen Zeit mit Verständnis,

Zuspruch und Geduld begleitet.

Page 4: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ..................................................................................................... 0

1 Einleitung .......................................................................................... 1

2 Der Erziehungsbegriff ...................................................................... 3

2.1 Erziehung nach Nohl (1933) .................................................................. 3

2.2 Erziehung nach Bokelmann (1970) ........................................................ 3

2.3 Erziehung nach Brezinka (1990) ............................................................ 4

2.4 Erziehung – Conclusio ........................................................................... 4

3 Intentionale Erziehung vs. funktionale Erziehung ......................... 6

3.1 Erziehung aus Sicht des Kindes ............................................................ 7

3.1.1 Umweltreize als Anregung zur Erziehung ....................................... 8

3.1.2 Autonomie vs. Abhängigkeit von heranwachsenden Menschen ...... 9

3.1.3 Akzeptanz, sich erziehen zu lassen ................................................ 9

3.1.4 Erziehungspersonen akzeptieren ................................................. 10

4 Werte in der Erziehung ................................................................... 12

4.1 Wertvorstellung .................................................................................... 12

4.2 Wert der Gleichwürdigkeit .................................................................... 12

4.3 Wert der Authentizität .......................................................................... 13

4.4 Wert der Verantwortung ....................................................................... 13

4.5 Wert der Integrität ................................................................................ 13

5 Erziehungsziel ................................................................................. 14

5.1 Definition Erziehungsziel ..................................................................... 14

6 Epochaler Verlauf der Erziehung .................................................. 15

6.1 Erziehung in der griechischen Antike ................................................... 15

6.1.1 Sokrates ....................................................................................... 16

6.1.1.1 Ziel der Erziehung aus sokratischer Ansicht .............................. 17

6.1.1.2 Sokratische Methode ................................................................ 17

6.1.1.3 Zusammenfassung ................................................................... 18

6.2 Mittelalter und Renaissance ................................................................. 19

6.2.1 Kindheit im Mittelalter ................................................................... 19

6.3 Karl der Große ..................................................................................... 20

6.3.1 Die Bedeutung des Bildungskanons ............................................. 21

6.3.2 Die septem artes liberales ............................................................ 22

Page 5: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

6.3.2.1 Das Trivium ............................................................................... 23

6.3.2.2 Das Quadrivum ......................................................................... 23

6.3.2.3 Zusammenfassung ................................................................... 24

6.4 Aufklärung ........................................................................................... 25

6.4.1 Über das Leben Rousseaus ......................................................... 25

6.4.1.1 Rousseaus Prinzipien der Erziehung ........................................ 26

6.4.1.2 Zusammenfassung ................................................................... 30

6.5 Reformpädagogik ................................................................................ 31

6.5.1 Die Maria Montessori Pädagogik .................................................. 31

6.5.2 Leben und Werk von Maria Montessori ........................................ 32

6.5.3 Ziel der Montessori - Pädagogik ................................................... 38

6.5.3.1 Zusammenfassung ................................................................... 39

6.6 Nationalsozialismus ............................................................................. 39

6.6.1 Erziehungshaltung im Nationalsozialismus ................................... 40

6.6.1.1 Ziel der NS - Ideologie .............................................................. 41

6.6.1.2 Zusammenfassung ................................................................... 42

7 Veränderung der Erziehung bis heute .......................................... 43

8 Die Entstehung der Erziehungsstile ............................................. 45

9 Erziehungsstile ............................................................................... 46

9.1 Definition Erziehungsstil ...................................................................... 46

9.2 Erziehungsstilforschung ....................................................................... 47

9.2.1 Aktueller Stand der Forschung ..................................................... 48

9.3 Erziehungsstile nach Baumrind ........................................................... 49

9.3.1 Erziehungsforschung aus dem deutschen Sprachraum ................ 52

10 Kennzeichnung der Erziehungsstile .......................................... 53

10.1 Der autoritäre Erziehungsstil ............................................................... 53

10.2 Der nachgiebige Erziehungsstil ........................................................... 54

10.3 Der vernachlässigende Erziehungsstil ................................................. 55

10.4 Der autoritative Erziehungsstil ............................................................. 56

11 Maß der Auswirkungen von Erziehungsstilen .......................... 57

12 Merkmale eines entwicklungsfördernden Verhaltens .............. 58

12.1 Liebe und Wertschätzung .................................................................... 58

12.2 Qualität statt Quantität ......................................................................... 67

12.3 Grenzsetzung und Konsequenzen bei Überschreitung ........................ 67

12.4 Fördernde Entwicklungsangebote ........................................................ 68

Page 6: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

12.4.1 Bedeutung von Vorbildern ............................................................ 68

12.4.2 Motivation als entwicklungsfördernde Maßnahme ........................ 72

12.4.3 Das Neugierverhalten ................................................................... 75

12.4.4 Interaktion im erzieherischen Alltag .............................................. 77

12.4.5 Gemeinsame Esskultur ................................................................. 79

12.4.6 Die Natur als Ort der Entwicklung ................................................. 80

12.4.6.1 Die vier Quellen der Entwicklung............................................... 81

13 Umsetzung im Erziehungsalltag ................................................ 85

13.1 Haltungen und Einstellungen ............................................................... 85

13.2 Kinder als Subjekte wahrnehmen ........................................................ 85

13.3 Die Fragehaltung unterstützen ............................................................. 86

13.4 Rahmenbedingungen schaffen ............................................................ 86

13.5 Lebensräume schaffen ........................................................................ 87

13.6 Gemeinschaft erleben .......................................................................... 88

14 Zusammenfassung und Ausblick .............................................. 90

15 Literaturverzeichnis .................................................................... 93

Abbildungsverzeichnis ........................................................................ 102

Page 7: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

Vorwort

Die vorliegende Arbeit behandelt das Thema Erziehung, welches nie an

Aktualität verlieren wird und im 21. Jahrhundert wichtiger ist denn je, um

heranwachsenden Geschöpfen Liebe, Achtung, Kooperation, Struktur und

allseitige Förderung auf den Lebensweg mitzugeben. Sie soll Erzieherinnen

und Erziehern, gleichgültig ob im privaten oder im schulischen Bereich, als

Impuls dienen, um das eigene Erziehungsverhalten zu reflektieren und

eventuell neu zu gestalten.

Die einleitende Diskussion von Begriffsdefinitionen verschafft zunächst

einen Überblick darüber, was unter dem Begriff Erziehung zu verstehen ist.

Elementare Grundlagen sowie Klassikerinnen und Klassiker der Pädagogik

werden in der vorliegenden Masterthesis näher erläutert und vorgestellt.

Darauf aufbauend wird erörtert, wie Erziehung stattfindet und diese zum

Wohl des Kindes funktionieren kann. Ein Hauptaugenmerk wird dabei auf

den historischen Hintergrund der Thematik gelegt und ist auf die jeweiligen

Vertreterinnen und Vertreter dieser Zeit gerichtet, da Methoden aus

vergangenen Zeiten nie an Wichtigkeit verlieren werden und diese auch

heutzutage wertvolle Hinweise darüber liefern, wie eine „gute“ Erziehung

zum Wohle der heranwachsenden Individuen aussehen kann.

In weiterer Folge wird die Erziehungsstilforschung näher beleuchtet und es

wird ausgearbeitet, ob es einen Erziehungsstil gibt, der als „Optimalform“

zu bezeichnen ist, was Erzieherinnen und Erziehern als Unterstützung bei

der Ausübung ihrer Arbeit dienen kann.

Abschließend werden entwicklungsfördernde Maßnahmen näher erläutert,

die heranwachsende Menschen dabei unterstützen sollen, sich bestmöglich

auf ein Leben mit all dessen An- und Herausforderungen vorbereiten zu

können.

Die vorliegende Masterarbeit bietet somit Erzieherinnen und Erziehern

sowohl im privaten als auch im schulischen Bereich einen umfassenden

Einblick in die Geschichte der Erziehung. Sie zeigt anwendbare und

wissenschaftlich fundierte Anregungen auf, die dabei helfen, selbstständig

eigene Wege in der Erziehung auszuarbeiten, und diese in weiterer Folge

auch gehen zu können.

Page 8: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

Abstract

The work at hand deals with the subject education, which never loses

relevance and which is more important than ever in the 21st century. The

reason is that it is necessary to give love, dignity, cooperation, structure and

comprehensive advancement to adolescent people along their journey of

life. The thesis should serve educators, both in the private area and at

school, as an impulse for reflecting the own parenting and redesign it if

necessary.

The preliminary discussion of definition of terms provides initially an

overview about the term “education”. Elementary principles as well as

classical authors of pedagogy are discussed in more detail within this work

at hand. On this basis, it is then debated how education is implemented and

how it can function for the benefit of a child, whereby the focus is on the

historical background of the topic and its representatives in the past. This is

because past methods are always of importance and provide evidence of

how “good” education for adolescents can look like.

In further consequence, research about educational style is going to be

examined. Hence, it is possible to discuss whether there is an optimal

educational style available which supports educators in doing their work.

Conclusively, measures for development support are elucidated which

should help young people in preparing themselves for the life with all the

associated requirements and demands.

The master thesis at hand provides educators in the private sector as well

as at school a comprehensive insight into the history of education. It shows

applicable and scientifically substantiated suggestions to elaborate

independently new ways of education and pursue them.

Page 9: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 1

1 Einleitung

Das Thema Erziehung wird nie an Aktualität verlieren. Dazu gibt es viele

Vorschläge von pädagogischer und schulrechtlicher Seite, Erfahrungen von

Eltern, Vorschläge von Heranwachsenden und vieles mehr. Im Laufe der

Geschichte hat sich auf diesem Gebiet sehr viel geändert. Retrospektiv

betrachtet bleibt eines jedoch immer gleich: Egal ob man 6 oder 80 Jahre

alt ist, ob wir vom Miteinander in der Familie oder in der Schule sprechen,

jeder/ jede lernt unaufhörlich voneinander, jeder Mensch wirkt auf eine

andere Person durch eine gewisse Erziehungsmaßnahme ein (vgl. Sedlak

2000, S. 3). Aus dieser gewonnenen Kenntnis sollen in der Literaturarbeit

folgende Themen beleuchtet werden, um eine Zeitreise in die

verschiedenen Epochen darstellen zu können: Was ist Erziehung und

welches Ziel wird und wurde mit ihr verfolgt? Welchen Stellenwert hatte die

Erziehung in der Antike, im Mittelalter, in der Renaissance und im

Nationalsozialismus im Vergleich zu heute? Was waren und sind wichtige

Erziehungsstile? Weiteres wird die Erziehungsstilforschung näher

beleuchtet, um Belege liefern zu können, ob der autoritative Erziehungsstil

sich als eine Methode bewährt, Kinder in ihrer Erziehung zu begleiten. Die

Erziehungsstile werden miteinander verglichen, um Erziehern/

Erzieherinnen und Eltern einen prägnanten und übersichtlichen Überblick

zu gewähren. Personen, die in einer erzieherischen Funktion tätig sind,

werden in der Regel von vielen Seiten mit Erziehungsratschlägen überhäuft,

sei es von der eigenen Mutter, dem Freundeskreis oder den Medien. Viele

Menschen, die in der Erziehungsrolle fungieren, fühlen sich überfordert. Sie

möchten alles richtig machen und nicht für späteres delinquentes Verhalten

der heranwachsenden Menschen verantwortlich sein. Daraus ergibt sich die

Frage, wie man dazu beitragen kann, dass man den heranwachsenden

Menschen Wertschätzung erfahren lässt, ihnen ein Maß an Grenzen

vermittelt und wie man die Eigenständigkeit des Individuums durch

entwicklungsfördernde Maßnahmen unterstützt und gewährt, die in unserer

Kultur vorausgesetzt werden. Werte, die in einer demokratischen

Gesellschaftsform, in der wir leben, angestrebt werden sollten. Einleitend

werden Definitionen über Erziehung festgehalten, die den Einstieg in die

Page 10: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 2

Thematik ebnen. Darauf folgt, welche Voraussetzungen geschaffen werden

müssen, damit Erziehung stattfinden kann. Der historische Hintergrund

über Erziehung wird beleuchtet, da bereits frühe Ansätze, die auf die

sokratische Methode zurückzuführen sind, auf Methoden hinweisen, die in

heutiger Zeit nie an Relevanz verlieren werden. Zu den jeweiligen

epochalen Zeiten werden Personen, die sich mit dem Thema Erziehung

auseinandergesetzt haben, beschrieben, da die gewonnenen Erkenntnisse

im 21. Jahrhundert aussagekräftiger denn je sind und nicht in Vergessenheit

geraten sollen. Ziel dieser Arbeit ist es, einen prägnanten Überblick über die

geschichtliche Entwicklung zum Thema Erziehung zu erläutern. Des

Weiteren wird die Erziehungsstilforschung betrachtet, um die

verschiedenen Erziehungsstile zu beschreiben sowie die Wirkung dieser

auf das Individuum darzustellen. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen

Erzieher/ Erzieherinnen unterstützen, ein auf das Kindes Wohl

entwicklungsförderndes Angebot gewähren zu können. Die

Literaturrecherche für die Arbeit begann bereits im September 2015 und

erfolgte über Handsuche in den verschiedensten Universitätsbibliotheken.

Weiteres dienten fachgerechte Bücher, die über einen online Verlag bestellt

wurden, als Vorlage.

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S e i t e | 3

2 Der Erziehungsbegriff

Das Wort Erziehung wird aus dem lateinischen „educare“ abgeleitet und

bedeutet nicht nur großziehen, ernähren und erziehen, sondern auch

führen. Jede Begegnung mit einem anderen Menschen, ob jünger oder

älter, formt und verändert uns. Die Aufgabe der Erziehung ist es,

gesellschaftliche Werte, Traditionen und Einstellungen an die nächste

Generation weiterzugeben. Kinder und Jugendliche sollen körperlich,

seelisch, geistig und charakterlich geformt werden (vgl. Heidenfelder 2015).

2.1 Erziehung nach Nohl (1933)

„Die Grundlage der Erziehung ist das leidenschaftliche Verhältnis eines

reifen Menschen zu einem werdenden Menschen, und zwar um seiner

selbst willen, dass er zu seinem Leben und seiner Form finde“ (Nohl 1982,

S. 134).

2.2 Erziehung nach Bokelmann (1970)

„Erziehung ist dasjenige Handeln, in dem die Älteren (Erzieher) den

Jüngeren (Edukanden) im Rahmen gewisser Lebensvorstellungen

(Erziehungsnormen) und unter konkreten Umständen

(Erziehungsbedingungen) sowie mit bestimmten Aufgaben

(Erziehungsgehalten) und Maßnahmen (Erziehungsmethoden) in der

Absicht einer Veränderung (Erziehungswirkungen) zur eigenen

Lebensführung verhelfen, und zwar so, daß die Jüngeren das erzieherische

Handeln der Älteren als notwendigen Beistand für ihr eigenes Dasein

erfahren, kritisch zu beurteilen und selbst fortzuführen lernen“ (Bokelmann

1970, S.185f., zit. n. Raithel et al. 2009, S. 21).

In diesem Zitat, das von Hans Bokelmann stammt, werden bewusste

Handlungen von Älteren auf Jüngere gesetzt. Es wird darauf geachtet, dass

der Jüngere selbstständig wird. Der Erwachsene bereitet vor, was er

erreichen möchte. Genauer betrachtet hat diese Definition einen autoritären

Beigeschmack und tendiert hin zu Unterdrückung und Entmündigung.

Page 12: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 4

2.3 Erziehung nach Brezinka (1990)

„Erziehung sind soziale Handlungen, durch die Menschen versuchen, das

Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen in irgendeiner

Hinsicht dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten

Komponenten zu erhalten oder die Entstehung von Dispositionen, die als

schlecht bewertet werden, zu verhüten“ (Brezinka 1995, S. 196 -197).

Zusammengefasst sind dies Handlungen, durch die Menschen versuchen,

die Persönlichkeit anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht zu fördern.

Erziehung versucht Ziele, Normen und Werte zu verwirklichen. Letztendlich

ist Erziehung darauf ausgerichtet, sich selbst aufzuheben, das heißt, der/die

Erzieher/ Erzieherin ist irgendwann obsolet.

Nohl schätzt den Menschen positiv ein, diese Definition beinhaltet den

wechselseitigen Austausch zwischen Erziehern/ Erzieherinnen und

jüngeren Menschen. Vergleicht man diese drei Definitionen von Erziehung,

erkennt man, dass, je weiter man geschichtlich in die Vergangenheit reist,

der heranwachsende Mensch als eigenständiges Individuum angesehen

wird. Die Aufgabe der Erziehung war es, das Menschenbild zu fördern.

2.4 Erziehung – Conclusio

• Der Erziehungsbegriff umfasst gezielte und bewusste Einflüsse auf den

Bildungsprozess.

• Erziehung ist intentional.

• Erziehung versucht Ziele, Werte und Normen zu verwirklichen.

• Erziehung ist letztendlich darauf ausgerichtet, sich selbst aufzuheben

(vgl. Raithel et al. 2009, S. 22-23).

„Erziehung ist - nach allgemein akzeptierter Definition - zu charakterisieren

als absichtsvolles Beeinflussen einer Person, zumeist eines Kindes, durch

einen anderen Menschen, die ErzieherIn, in Richtung auf ein von der

ErzieherIn festgelegtes Ziel. Erziehung ist damit ein „Spezialfall“ des

Prozesses, den man Sozialisation nennt, in dem Kinder unter Einfluß ihrer

Umwelt in die jeweilige Kultur hineinwachsen, ihre Normen und Werte

Page 13: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 5

übernehmen, Handlungsstrategien aufnehmen und Voraussetzungen für

die Bewältigung neuer oder veränderter Umweltanforderungen erlernen“

(Rotthaus 2000, S.58).

Damit Erziehung stattfinden kann, gilt als Voraussetzung, dass der

Erzieher/die Erzieherin etwas weiß oder kann, was er/sie den

heranwachsenden Menschen vermitteln will. Erziehung wird nicht als

spezifische Handlungsform angesehen, sondern zielt darauf ab, dass

Personen, die in einer Erziehungsaufgabe tätig sind, beraten, informieren,

erklären, motivieren, Mut zusprechen, loben, streiten und Grenzen setzen.

Somit findet ein Beziehungsakt statt. Es gibt keine Erziehung ohne

Beziehung. Wenn Menschen, die Handlungen des Beratens, Motivierens,

Erklärens usw. einer erzieherischen Intention zuschreiben und diese

Intentionen auf heranwachsende Menschen richten, dann findet Erziehung

statt (vgl. Rotthaus, S.59f.).

Page 14: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 6

3 Intentionale Erziehung vs. funktionale Erziehung

Unter der intentionalen Erziehung werden alle geplanten, absichtsvollen

Erziehungsmaßnahmen verstanden, indem ein Mensch planvoll versucht,

auf einen anderen Menschen einzuwirken. Die funktionale Erziehung

unterscheidet sich insofern von der intentionalen Erziehung, als dass der

funktionalen Erziehung kein Motiv gegenübersteht und sie vor allem von

unbewussten Faktoren geleitet wird. So findet die funktionale Erziehung

praktisch immer und überall statt (vgl. Raithel et al. 2009, S. 23). In jeder

Situation, in der Menschen miteinander agieren, findet auf irgendeine Art

und Weise, bewusst oder unbewusst, Erziehung statt. Von einer

intentionalen Erziehung spricht man, wenn eine Erziehungsperson sich

dazu entschließt, ein bestimmtes Verhalten in einer Situation zu zeigen, z.B.

bei großem Ärger noch immer freundlich und beherrscht zu reagieren. Dies

wird zwar nicht ausdrücklich von den heranwachsenden Menschen

gefordert. Es wird den jungen Personen vorgelebt, in der Erwartung und

Hoffnung, dass das heranwachsende Wesen dieses Modellverhalten

übernimmt (vgl. Rotthaus 2000, S.59). Auf das Modellverhalten als

entwicklungsfördernde Maßnahme wird in einem späteren Kapitel

eingegangen. Ein Vater oder eine Mutter kann mit einem Kind basteln und

verfolgt damit mehr oder weniger bewusst das Ziel, beim heranwachsenden

Menschen, Interesse, Motivation und Spaß zu wecken. Somit geschieht

vieles in der Erziehung funktional. Es lässt sich zusammenfassen, dass es

viele Handlungen von erwachsenen Personen gibt, die mittelbar oder kaum

bewusst erzieherischen Beigeschmack aufweisen. Erziehung ist immer

erzieherische Interaktion, das heißt, es entsteht eine Beziehung zwischen

dem heranwachsenden Menschen und der zu erziehenden Person. Die

erzieherische Interaktion wird durch drei Einflussfaktoren bedingt:

1. der heranwachsende Mensch als zu erziehende Person

2. der Erwachsene als die Person, die erzieht

3. der Beziehungsraum, den beide, sowohl Kind als auch erwachsene

Personen, gemeinsam gestalten (vgl. Rotthaus 2000, S. 60f.).

Die Erziehung aus Sicht des Kindes wird im folgenden Unterkapitel näher

beleuchtet.

Page 15: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 7

3.1 Erziehung aus Sicht des Kindes

Es gibt grundlegende Aspekte, die auf das menschliche Gehirn

zurückzuführen sind, um Erziehung zu verstehen (vgl. Rotthaus 2000,

S.62). Der Biologe und Philosoph Humberto Maturana, der sich auf dem

Gebiet der Neurobiologie spezialisierte, lieferte mit seinen

Forschungsarbeiten wichtige Kenntnisse über das menschliche Gehirn,

speziell auf das Farbensehen. Maturana und sein Forscherteam fanden

heraus, dass bei ihren Probanden/ Probandinnen kein regelrechter

Zusammenhang zwischen Wellenlängen des Lichtes und den Aktivitäten

des Hirns festzustellen war. Konstante Zusammenhänge ergaben sich

zwischen den Farbnamen, die die Probanden dem ihnen gezeigten Licht

gaben und der Wellenlänge des Lichts. Das bedeutet, dass nicht die

gemessenen physikalischen Phänomene die Hirnaktivitäten auslösen,

sondern der Zusammenhang zwischen der Benennung der Farbe und den

Gehirnaktivitäten. Die Forscher/ Forscherinnen interpretierten, dass die

Phänomene der äußeren Welt nicht durch charakteristische Aktivitäten des

Gehirns widergespiegelt werden. Somit kamen sie zu der Schlussfolgerung,

dass das Fühlen und Denken und die Steuerung des Verhaltens zuständige

Nervensystem des Menschen operational geschlossen und autonom sein

muss. Als Geschlossenheit des menschlichen Nervensystems wird

gesehen, dass ein Mensch in der Tiefenstruktur seiner Selbststeuerung,

unabhängig von seiner Umwelt, handelt. Das Nervensystem der Menschen

handelt somit nach der Logik der individuellen und strukturellen Bedingung

und nicht aufgrund äußerer Einflüsse. Ein Mensch ist für Informationen nur

dann offen, wenn er Lernmechanismen entwickelt, die mit Erwartungen

verbunden sind und mit deren Hilfe er Erfahrungen und Bedeutungen

zuordnen kann. Somit filtern heranwachsende Personen diejenigen Reize

aus, die nach ihren Erwartungen gemessen werden und die

Aufmerksamkeit erregen sollen. Eine solche Aktivität, die im Gehirn

heranwachsender Menschen stattfindet, ermöglicht Entwicklung und somit

Erziehung. Es lässt sich zusammenfassen, dass heranwachsende

Personen nicht in verlässlicher Art und Weise zu einem bestimmten, von

anderen festgelegten Verhalten zu veranlassen sind. Kein

heranwachsender Mensch ist den Maßnahmen, die von außen einwirken,

Page 16: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 8

hilflos ausgesetzt. Es sind nicht die von außen bestimmten erzieherischen

Maßnahmen, die das Verhalten eines Kindes prägen, sondern die innere

Struktur des Kindes bestimmt über das Schicksal der erzieherischen

Intention. Das bedeutet für Personen, die in einer Erziehungsaufgabe tätig

sind, dass sie die Bedürfnisse der heranwachsenden Personen

berücksichtigen und dem Kind offen und mit Interesse begegnen sollen (vgl.

Rotthaus 2000, S. 62ff.). Erziehung ist als sehr spannend zu betrachten,

weil man unter Berücksichtigung der genannten Aspekte keinen

vorhersehbaren Ausgang weiß. Jedes Kind ist ein Individuum und jede

Reaktion sagt etwas über eine heranwachsende Person aus. Der Mensch

handelt aufgrund des geschlossenen Nervensystems autonom und folgt

seinen eigenen Gesetzen (vgl. Rotthaus 2000, S. 68).

3.1.1 Umweltreize als Anregung zur Erziehung

Trotz des geschlossenen Nervensystems und der Autonomie sind

heranwachsende Menschen nicht unabhängig. Es ist für ein

heranwachsendes Wesen von großer Bedeutung, dass Außenkontakte

hergestellt werden, um eine Entwicklung zu ermöglichen und so zu neuen

Anstößen, die das heranwachsende Leben bereichern können, gelangt.

Somit lässt sich die innere Struktur des Kindes verändern. Neue

Anregungen müssen in der Redensart der heranwachsenden Menschen

formuliert werden, um wahrgenommen zu werden und eine Bedeutung zu

erlangen. Wenn dies der Fall ist, dann werden die neuen Anregungen als

Informationen gewertet und können wirksam werden, das heißt, es können

Anpassungsreaktionen ausgelöst werden. Menschen, ob klein oder groß,

brauchen Umweltkontakte und äußere Einflüsse, um sich entwickeln zu

können. Zu beachten ist, dass Informationen, die die Entwicklung eines

heranwachsenden Menschen anregen sollen, zwar neu, aber vom

Bisherigen nicht zu weit entfernt sein dürfen, um Verknüpfungen herstellen

zu können. Wenn man sich als Erziehungsperson auf Augenhöhe der

Heranwachsenden begibt, so ist nicht außer Acht zu lassen, dass das

Verhalten der inneren Logik folgt. Die erzieherischen Maßnahmen sind

Page 17: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 9

somit an die Logik des Kindes anzupassen, an die Wünsche, Vorlieben und

Abneigungen (vgl. Rotthaus 2000, S.68ff.).

3.1.2 Autonomie vs. Abhängigkeit von heranwachsenden Menschen

Das menschliche Verhalten spiegelt sich durch die internen autonomen

Prozesse wider. Die Vielfalt der unzähligen Möglichkeiten wird durch die

Umweltbedingungen, wie Regeln und Verhaltensmuster, Vorannahmen,

Ideen, Werte und Normen, die Menschen miteinander teilen, eingeschränkt.

Die Regeln und Verhaltensmuster sind in einer Struktur, ob im familiären

oder schulischen Bereich, vorgegeben, werden verändert oder neu

ausgehandelt und werden an die Entwicklung des heranwachsenden

Menschen angepasst. Menschen, die miteinander in Beziehung stehen,

bilden füreinander die Umwelt und bestimmen die Möglichkeiten des

Handelns, nicht das Handeln des anderen. Das bedeutet, dass das

Verhalten einer heranwachsenden Person ohne Kenntnis der

Umweltbedingungen, unter denen sie lebt, nicht verstehbar ist. Menschen,

die miteinander leben und somit einen Beziehungsraum schaffen, in dem

Entwicklung stattfindet, interpretieren den Ort für Möglichkeiten und den

Raum für Verhalten. Erziehungspersonen sollten sich demnach immer die

Frage stellen, wieviel Raum sie Kindern für die Entwicklung eines

eigenverantwortlichen Handelns bieten (vgl. Rotthaus 2000, S.72ff.).

3.1.3 Akzeptanz, sich erziehen zu lassen

Ein Mensch ist ein Lebewesen mit Sprache. Heranwachsende Menschen

bewerten affektiv - kognitiv auf der Beziehungsebene die äußeren Reize,

die auf sie einwirken. Dabei wird unterschieden, ob ein Stimulus als zufällig

(funktional) oder als erzieherisch beabsichtigt (intentional) eingeschätzt

wird. Deuten die Außenreize auf erzieherische Maßnahmen hin, so wird

sich der heranwachsende Mensch entscheiden, ob er sich erziehen lassen

will oder nicht. Er bestimmt, ob er dem Autor/der Autorin der erzieherischen

Intention die Rolle einer Erziehungsperson zuspricht. Der/ die zu

Erziehende entscheidet, ob die Differenzen zwischen Erziehungspersonen

Page 18: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 10

und zu Erziehenden akzeptiert werden. Ausschlaggebend, damit Erziehung

stattfinden kann, ist das Alter. Erwachsene Personen lassen sich nicht

gerne von gleichaltrigen Personen erziehen und Kinder nicht gerne von

Gleichgesinnten. Heranwachsende Menschen, die in einer erwachsenen

Person eine reife Persönlichkeit sehen, sind bereit, von der Person zu

lernen und sich erziehen zu lassen. In den beiden Systemen Schule und

Familie gibt es seit Geschichte der Menschheit tradierte Vorstellungen, wie

und von wem Erziehung zu erfolgen hat. Die erfahrene erwachsene Person

erzieht das nicht erfahrene Kind. Es ist somit klar festgelegt, wer die Rolle

als Erziehungsperson und wer die Rolle als der zu erziehenden Person

annimmt. So findet Erziehung und Entwicklung statt (vgl. Rotthaus 2000, S.

76ff.).

3.1.4 Erziehungspersonen akzeptieren

Nicht nur die individuellen Handlungen des Kindes hängen davon ab, sich

erziehen zu lassen, sondern die kognitiv - emotionale Bewertung, die ein

heranwachsender Mensch den erzieherischen Handlungen beimengt. Es

gibt Kriterien, die dafür ausschlaggebend sind (vgl. Rotthaus 2000, S. 78).

• Die Person als Erziehungsperson mit ihren Bedeutungen und ihren

Einflüssen, Beweggründen und Absichten.

Wie die erziehende Person, egal ob im System Schule oder Familie,

bewertet wird, hängt vom Alter ab. Vorschulkinder haben eine hohe

Bereitschaft, Anregungen von Erziehungspersonen anzunehmen.

Heranwachsende Menschen bewerten die Erziehungshandlungen, vor

allem die Einschätzung der Beweggründe und Absichten der

Erziehungspersonen. Kinder entwickeln einen Gerechtigkeitssinn und

beurteilen die erzieherischen Handlungen. Aufgrund der Beweggründe

der Erziehungspersonen entwickeln heranwachsende Menschen eigene

Vorstellungen darüber, ob die erzieherische Maßnahme ihrem Wohl

dient oder dem Wohl der Erziehungspersonen. Damit die

Erziehungsperson vom heranwachsenden Menschen akzeptiert wird, ist

es von großer Bedeutung, dass ein Kind Aufmerksamkeit und

Page 19: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 11

Zuwendung erfährt, um ein stabiles Vertrauen in sich selbst entwickeln

zu können. Ebenso von Wichtigkeit ist, dass sich Kinder als

gleichberechtigte Personen in einer Erziehungssituation erleben und

dem Entwicklungsstand entsprechend selbstständig handeln können

und Selbstachtung erfahren. Fähigkeiten, Tätigkeiten und

Eigenschaften sowie Leistungen bei der Verfolgung gemeinsamer Ziele

sollen und müssen wertgeschätzt werden und führen somit zu einem

stabilen Selbstwertgefühl. Halten sich Erziehungspersonen an die Werte

und Regeln, die sie von heranwachsenden Menschen einfordern und

gelingt es, die positiven Erfahrungen der heranwachsenden Personen

mit den Erziehungspersonen zu verknüpfen, zeigen Kinder eine hohe

Bereitschaft sich erziehen zu lassen (vgl. Rotthaus 2000, S. 78ff.).

• Die Erziehungsziele, die von der Erziehungsperson ausgehen, sind

ein weiteres Kriterium, das entscheidend ist, ob Kinder die

Bereitschaft zeigen sich erziehen zu lassen und die

Erziehungsperson akzeptieren.

Bewerten heranwachsende Menschen die festgelegten Ziele von den

Erziehungspersonen als sinnvoll und wird auf die Wünsche und

Wertvorstellungen der Kinder Rücksicht genommen, so steht einer

Erziehung nichts im Wege (ebd., S. 79-80).

• Die Bewertung des Selbstbildes als abschließendes Kriterium

Die Bereitschaft, sich erziehen zu lassen, hängt im Wesentlichen davon

ab, ob ein heranwachsender Mensch Anregungsformen als

persönlichen Nutzen oder als Bedrohung für das Selbstbild erlebt (ebd.,

S. 81-88). Eine Erziehungsperson kann lediglich die Umwelt des

heranwachsenden Menschen ändern und somit bei der zu erziehenden

Person im besten Fall eine Anregung und im schlechtesten Fall eine

Verstörung der inneren Verarbeitungsprozesse auslösen, die zu einer

Änderung in der von der Erziehungsperson gewünschten Richtung führt

(vgl. Rotthaus 2000, S. 89).

Page 20: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 12

„Wichtigster und am ehesten zu beeinflussender Teil dieser Umwelt des

Kindes ist aber die ErzieherIn selbst. Es ist also die ErzieherIn selbst, die

ihr Verhalten ändern sollte, wenn sie das Kind veranlassen will, sich im

Sinne ihrer Erziehungsziele anders zu verhalten“ (Rotthaus 2000, S. 89).

4 Werte in der Erziehung

4.1 Wertvorstellung

Werte sind Ideen, die wir bestimmten Dingen oder Verhältnissen

zuschreiben. Man unterscheidet eine Werteigenschaft, die eine monitäre

Bedeutung für ein wertendes Individuum besitzt (Haus, Auto etc.), von den

Orientierungswerten, die in der Erziehung eine maßgebliche Rolle spielen.

Werte, die einer Persönlichkeit Orientierung geben, sind Ideale, an denen

sich Menschen in all ihren Wertungen orientieren, z.B. Achtung vor dem

Leben (vgl. Standop 2005, S. 13). Werte sind Prinzipien,

Grundüberzeugungen in einer Gesellschaft, allgemein wünschenswerte

Vorstellungen, die der einzelnen Persönlichkeit Orientierung geben, z.B.

Aufrichtigkeit, Treue, Gleichheit.

4.2 Wert der Gleichwürdigkeit

Gleichwürdigkeit bedeutet nicht, dass die Führungsrolle zwischen Eltern,

Erziehern und Kindern verteilt wird. Gleichwürdigkeit bedeutet vielmehr,

dem Kind zu vermitteln, dass Menschen jeden Alters von gleichem Wert

sind. Man respektiert gegenseitig die persönliche Würde und Integrität. Eine

gleichwürdige Beziehung bedeutet, dass die Gedanken der Kinder, die

Reaktionen, die Gefühle, das Selbstbild, die Träume sowie die innere

Wirklichkeit des Kindes genauso ernst genommen werden wie die der

Erwachsenen (vgl. Juul 2014, S. 10-11).

Page 21: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 13

4.3 Wert der Authentizität

Hinter diesem Wert verbirgt sich die Echtheit eines Menschen. Handeln

Personen, die in der Erziehungsfunktion tätig sind, authentisch, so wird

einem heranwachsenden Menschen bewusst, dass dies wahrhaft gemeinte

Emotionen sind. Der Wert der Authentizität zeigt auf, dass die Funktion der

erzieherischen Tätigkeit mit einem Trainingsprogramm für Kinder

gleichgesetzt werden kann. Wenn sich Eltern und Erziehungspersonen

selbst treu bleiben und es bewusst wird, dass jeder Mensch die Wirklichkeit

anders wahrnimmt, kann eine wertschätzende Erziehung stattfinden. Kinder

haben in gewissen Situationen ein subjektives Empfinden, das dem der

Erwachsenen zuwiderläuft. Statt den Wert des Kindes zu untergraben, geht

es darum, das Kind gleichwürdig anzuerkennen. Die Forderung, die dieser

Wert an eine erziehende Person stellt, ist, dass man eine Person

präsentieren sollte, die man wirklich ist, um auch andere in ihrer

Einmaligkeit wahrnehmen zu können (vgl. Juul 2014, S. 84-85).

4.4 Wert der Verantwortung

Jeder Mensch, der eine Erziehungsaufgabe übernimmt, egal ob im

beruflichen Rahmen oder als Elternteil zuhause, muss sich immer vor

Augen halten, dass die Verantwortlichkeit bei jedem selbst beginnt. Wenn

eine erwachsene Person in der Lage ist, die persönliche Verantwortung für

das eigene Leben, für das Handeln und für die Werte zu übernehmen, erst

dann ist sie auch in der Lage Verantwortung zu tragen (vgl. Juul 2014, S.

130-131).

4.5 Wert der Integrität

Integrität bedeutet für Erzieher/Erzieherinnen, dass sie Grenzen äußern

und nicht Grenzen für die Kinder finden sollten. Historisch betrachtet ist es

noch gar nicht lange her, seit wir damit begonnen haben, die individuellen

Bedürfnisse des Menschen, seine Grenzen und Werte ernst zu nehmen.

Dem Leben und Überleben der Gruppe ist stets eine größere Bedeutung

beigemessen worden. Wir sprechen hier von einer langen historischen

Page 22: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 14

Zeitspanne, in der die Integrität des Kindes, das heißt, seine physischen wie

psychischen Grenzen und Bedürfnisse, systematisch gekränkt wurden und

zwar als Bestandteil einer Erziehung, die ein solches Verhalten als richtig

und notwendig ansah. Der Wert der Integrität fordert auf, die eigene

Persönlichkeit in der erzieherischen Funktion zu wahren. Das bedeutet, bei

der Erziehung von Kindern ist es sehr wichtig, dass sich Eltern im familiären

Kreis sowie Erzieher/ Erzieherinnen in einer Einrichtung absprechen, um so

die Integrität gegenüber sich selbst und dem Kind zu wahren. Es geht um

die Zusammenarbeit, die in Erziehungsfragen eine entscheidende Rolle

spielt (vgl. Juul 2014, S. 42- 43).

5 Erziehungsziel

5.1 Definition Erziehungsziel

Eine Person, die erzieht, versucht die Persönlichkeit eines Menschen zu

beeinflussen, mit der Absicht, dass eine Eigenschaft von ihm/ihr erworben

wird. Die Erziehenden wollen etwas in einer Edukandin/ einem Edukanden

bewirken oder hervorbringen, sie möchten die heranwachsenden

Menschen zu etwas fähig machen. Erziehungsziele sind Idealvorstellungen

von der Gesamtpersönlichkeit oder von einzelnen

Persönlichkeitseigenschaften, die die zu Erziehenden soweit wie möglich

verwirklichen sollen. Laut Brezinka bilden erzieherische Handlungen eine

Klasse der sozialen Handlungen. Sie unterscheiden sich von anderen

sozialen Handlungen durch das, was mit ihnen bezweckt wird. Sie sind

immer Mittel zum Zweck (vgl. Brezinka 1995, S. 161-162). Ziele sind Soll-

Normen für einen gewissen Bereich, z.B. Richt-, Grob- und Feinziele beim

Lernen.

Page 23: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 15

6 Epochaler Verlauf der Erziehung

6.1 Erziehung in der griechischen Antike

Bedenkt man, wie viele pädagogische und erzieherische Ansätze die

Menschheit bereits kennengelernt hat, so wird vergessen, wo eigentlich die

Anfänge der Erziehung ruhen. Die griechische Antike legte den Grundstein

für die Weitergabe der Erziehung. Eine Erziehung, in der die mündliche

Weitergabe dazu diente, einem heranwachsenden Menschen bestimmte

Orientierungsmuster zu geben, ist, so geht es aus der Literatur hervor, so

alt wie die menschliche Bevölkerung selbst. Diese Erziehung, die aus sehr

alter Zeit stammt, beschränkt sich allein auf die Weitergabe von

Erfahrungen und weist äußerst festgefahrene Spuren auf. Inhalte werden

heranwachsenden Menschen beigebracht, ohne ihnen die Möglichkeit zu

bieten, selbst Kritik auszuüben bzw. Überlegungen zu treffen. Bei einer

solchen Erziehung wird dem Vorbild große Aufmerksamkeit geschenkt.

Eine Vorbildfunktion eignet sich dazu, eine gewisse hierarchische

Gliederung in der Erziehung zu festigen. Es wurden zu damaligen Zeiten

Muster für die Herrschaften, für die Mägde und Knechte sowie für das Volk

bereitgestellt. Vom lat. Wort principium (zeitlicher Anfang und durchtragend

bestehender Grund) wird das Neue, das die griechische Antike für das

pädagogische und erzieherische Denken liefert, sichtbar. Die Auffassung,

die Erziehung als einen Nachahmungsprozess anzusehen, wurde abgelegt.

Der Grundstein für ein pädagogisches und erzieherisches Bewusstsein

wurde gelegt. Das alte griechische Wort areté, was männliche Tüchtigkeit

bedeutet, war ein bedeutender Meilenstein auf dem Gebiet der Erziehung.

In der griechischen Antike hob dieses Wort die Besonderheit eines

Menschen, der seiner Bestimmung gerecht wurde, hervor. Den

pädagogisch/erzieherischen Bezug bekam das Wort, als es darum ging, auf

die Muster einer Gestalt hinzuweisen, sprich, den heranwachsenden

Menschen in seiner Ausformung zu einem vollkommenen Menschen zu

unterstützen (vgl. Böhm 2013, S. 11-12).

„Die aret´e, jedes Seienden bedeutet Bestzustand, Vollendung seines

Wesens“ (Epistolae morales 76, 9 zit. n. Böhm 2013, S.12).

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S e i t e | 16

Die griechische Antike legte die Bahnen, damit heranwachsende Menschen

ihren Geist wahren, sich ihrer Sinne bewusst sind und eine distanziert -

kritische Einstellung gegenüber fragwürdigen Traditionen aufweisen. Die

rein autoritäre Erziehung verlor bereits in der griechischen Antike ihr

Ansehen. Die Fähigkeit, aus eigener Einsicht Erkenntnisse zu gewinnen,

wurde gefördert (vgl. Böhm 2013, S.13). Als Grundlage für Erziehung galten

Bildung und der Zugang zu Wissen. Lange Zeit blieben Fähigkeiten wie

Lesen, Schreiben und Rechnen den herrschenden Schichten vorbehalten.

Griechische Philosophen wie Sokrates, Platon und Aristoteles forderten

darum eine umfassende Bildung für alle freien Bürger. Damit legten sie den

Grundstein für eine öffentliche Erziehung (vgl. Heidenfelder 2015). Seit

jeher haben sich Philosophen Gedanken gemacht, wie man den Menschen

zu einem guten Leben anleiten kann, wie man heranwachsende Menschen

bilden und erziehen kann/soll. Es wurde in der Erziehung keine

Spezialisierung angestrebt, sondern das Augenmerk wurde auf eine

möglichst umfassende Formung der Persönlichkeit gelegt (vgl. Decher

2012, S. 7). Im nächsten Unterkapitel werden die Gedankengänge des

Philosophen und Lehrers Sokrates näher erläutert.

6.1.1 Sokrates

Was über das Leben des Sokrates bekannt ist,

stammt aus Berichten, die über ihn, nicht von

ihm, verfasst wurden, er selbst hat keine

einzige Zeile hinterlassen. Seine Lehr- Form

war die der Kommunikation zwischen zwei

Menschen. Schreiben hieß für ihn die

Erkenntnisse mit den Worten auf Eis zu legen

und sie damit jeglicher

Entwicklungsmöglichkeit zu entziehen.

Er soll von 470 bis 399 vor unserer

Zeitrechnung gelebt haben. Das genaue

Geburtsdatum ist umstritten. In der

philosophischen Denkweise Sokrates´ ging es in der Erziehung darum,

Abbildung 1: Sokrates aus http://www.anderegg-

web.ch/phil/sokrates.htm

Page 25: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 17

Anstöße und Anregungen zu geben, wie man sein Leben selbst in die Hand

nehmen kann. Ähnlich wie ein Bildhauer ein Werk gestaltet, so meinte

Sokrates, dass auch jeder einzelne Mensch sein Leben frei gestalten und

aufbauen kann. Dem Menschen einen selbstverantwortbaren Sinn zu

geben, wurde beabsichtigt (vgl. Decher 2012, S. 31). Liest man diese

Zeilen, so kann man erkennen, dass die Strömung des konstruktivistischen

Denkens bereits so alt ist wie die abendländische Kultur.

6.1.1.1 Ziel der Erziehung aus sokratischer Ansicht

Sokrates verfolgte mit seiner Erziehung, dass jeder Mensch in der Lage ist,

ein sinnvolles und gelingendes Leben zu führen. Ein Leben, das es verdient

hat, als glücklich bezeichnet zu werden (vgl. Decher 2012, S. 34). Richtet

man den Blick geschichtlich weiter nach vorne, wurde dieses Denken nicht

immer gelebt bzw. berücksichtigt. Die zwei Hauptformen der sokratischen

Erziehung waren Prüfung und Ermahnung. Diese Worte klingen sehr strikt

und hinterlassen den Eindruck, wenig Freiraum zu haben. Sokrates meinte

jedoch, dass dies zwei einander ergänzende Aspekte und Stadien des

selben Prozesses sind. Die Ermahnung, die Frage danach, wie man leben

soll, als roten Faden für das Leben zu benutzen, führt zur Prüfung der

leitenden Lebensziele und Einstellungen. Diese Prüfung ihrerseits fließt in

die Ermahnung mit ein, das Leben in Richtung auf das als richtig und falsch

Erkannte hin auszurichten oder zu ändern (vgl. Decher 2012, S. 35).

6.1.1.2 Sokratische Methode

Die sokratische Denkweise in Bezug auf Erziehung erfolgte im Gespräch,

das um konkrete Fragen kreiste. Dieses Gespräch verlief gemäß einer

bestimmten Methode. Die Methode charakterisierte, dass der Lehrer

Sokrates dem oder den Gesprächspartner/innen keine fertigen Ergebnisse

vortrug, sondern sie durch gut durchdachte Fragen dahinführte (induziert),

aus eigener Einsicht Erkenntnisse zu gewinnen, und sei es nur, um zu

erkennen, dass man bisher einem Irrtum unterlaufen war. Diese Methode,

wo man zu Einsichten kommt, wird auch als Mäeutik (Hebammenkunst)

definiert. Sokrates´ Mutter war Hebamme und half Kindern das Licht der

Page 26: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 18

Welt zu erblicken. Sokrates bewirkte mit seiner Methode der

Gesprächsführung, dass der Geist des Individuums selbst zum Reflektieren

angeregt wurde (vgl. Dechner 2012, S. 35-37). Sokrates hatte als Erster,

zwar nicht wissenschaftlich belegt, jedoch für seine Zeit äußert

fortschrittlich, den Begriff der Induktion in Umlauf gebracht. Die Gespräche,

die er mit den zu Erziehenden führte, trugen dazu bei, dass er von einem

besonderen Fall auf die Allgemeinheit schloss.

6.1.1.3 Zusammenfassung

In der griechischen Antike war Sokrates federführend und ermöglichte eine

öffentliche Erziehung für alle Bürger und Bürgerinnen. Sokrates erkannte

bereits, dass ein heranwachsender Mensch als autonomes Wesen in der

Lage ist, kritisch zu reflektieren, das heißt, Verantwortung für das eigene

Leben zu übernehmen. Der Philosoph und Lehrer trug durch seine Methode

wesentlich dazu bei, dass die Entwicklung der heranwachsenden

Menschen gefördert wurde. So hatte bereits damals in gewisser Hinsicht

die Erziehung zur Selbsterziehung stattgefunden. Des Weiteren wurden

Werte wie Gleichwürdigkeit, Authentizität, Verantwortung und Integration

vermittelt. Er respektierte die Wünsche und Bedürfnisse der

Heranwachsenden, indem er Fragen stellte und eigene Meinungen zuließ.

Somit fand bereits in der griechischen Antike die Erziehung zum freien

Denken statt. Eine Erziehung, die dazu beiträgt, dass man

Eigenverantwortung für das eigene Leben übernimmt, im Gespräch den

nötigen Respekt gegenüber der anderen Person wahrt, Offenheit, Mut und

Ehrlichkeit erlernt, um in weiterer Folge mit Standhaftigkeit gerüstet zu sein.

Sokrates war somit Vorbild für heranwachsende Menschen, indem er durch

Fragen ein Neugierverhalten in den Heranwachsenden weckte und sie

zugleich dazu motivierte nachzudenken und zu antworten. Eine

gemeinsame Interaktion fand statt und trug somit bereits in der Antike zu

einem entwicklungsfördernden Verhalten bei.

Page 27: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 19

6.2 Mittelalter und Renaissance

Mit der Ausbreitung des Christentums nahm sich die Kirche der Erziehung

an. Dom- und Klosterschulen lehrten neben den freien Künsten Grammatik,

Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie vor allem

den christlichen Glauben. In den Genuss dieser Bildung kamen

hauptsächlich die Mitglieder des Klerus. Im Hochmittelalter verstärkte die

Kirche ihre Bildungsaktivitäten und schuf ab dem 12. Jahrhundert

wissenschaftliche Studienplätze an Universitäten. Die zu dieser Zeit

gegründeten Universitäten von Bologna, Paris und Oxford existieren noch

heute. Auch Klöster waren in dieser Zeit Zentren der Bildung und des

Wissens. Sie bildeten in der Regel nur Adelige und Kleriker aus. Die

Ausbildung des Volkes war eine Sache der mittelalterlichen

Handwerkszünfte. Das änderte sich erst in der Renaissance, als neben den

kirchlichen Schulen sogenannte Bürgerschulen entstanden. Sie

vermittelten die für den Handel notwendigen Kenntnisse in Lesen,

Schreiben und Rechnen. Für die breite Masse blieben nur die privat

organisierten Winkelschulen. Diese Schulen genossen jedoch wenig

Ansehen, weil dort oft schlecht oder gar nicht ausgebildete Personen in der

Erziehungsaufgabe tätig waren (vgl. Heidenfelder 2015). Mit der

christlichen Erziehung im Mittelalter wurde eine Pädagogik des Glaubens

angestrebt. Es ging darum, eine andere Position gegenüber der Realität

einzunehmen (vgl. Böhm 2013, S.40). Der Erziehungsbegriff definierte sich

im Mittelalter vorwiegend durch die Disziplinierung der Menschheit zu

Demut, Glauben und christlicher Vollkommenheit, um in der religiösen -

kirchlichen Gemeinschaft Anschluss zu finden (vgl. Reble 1951, S. 59).

6.2.1 Kindheit im Mittelalter

Die Kindheit wurde im Mittelalter in Phasen eingeteilt:

• Infantia

Die Phase von der Geburt bis zum siebten Monat. Sie wurde als die

Phase der Sprachlosigkeit gekennzeichnet. Die eigentliche Kindheit

dauerte bis zum 7. Lebensjahr (vgl. Klaus 1980, S. 19-21).

Page 28: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 20

• Pueritia

Beschreibt die Zeit vom 7. bis zum 14 Lebensjahr. An diesen Phasen

lässt sich sehr gut erkennen, dass die Ziffer Sieben im Mittelalter sehr

aussagekräftig war. Weitere Beispiele für diese Ziffer sind die sieben

Sakramente, die sieben Wochentage und die sieben Künste, die in der

Erziehung der heranwachsenden Menschen eine entscheidende Rolle

spielten. Nach dieser Aufzählung endete die Kindheit mit dem 7.

Lebensjahr. Die Kinder wurden wie Erwachsene behandelt. Adelskinder

wurden in die Obhut von Lehrpersonen übergeben, die für die weitere

Erziehung der heranwachsenden Menschen verantwortlich waren.

Kinder, die aus dem Volk stammten, stiegen in das alltägliche

Arbeitsleben ein. Knaben ab dem 7. Lebensjahr wurde der Eintritt in das

Berufsleben gewährt. Wie bereits erwähnt, erlernten sie den Beruf des

Vaters oder sie wurden an Kaufleute oder an handwerklich tätige

Personen übergeben. Das Loslösen von der familiären Umgebung

gehörte zum Erziehungsprozess (vgl. Klaus 1980, S. 19-21).

6.3 Karl der Große

Der am 2. April 748 nach Christi

geborene Karl der Große (vgl.

Becher 2014, S. 122) war, was wir

bis heute wissen, ein sehr

wissbegieriger Mensch, der

bemüht war, Fremdsprachen zu

erlernen und Wert darauf gelegt

hatte, die septem artes liberales,

die in einem späteren Abschnitt

näher erläutert werden, zu

praktizieren. Karl der Große war

dafür verantwortlich, dass die

Bibel und die sieben freien Künste

als Grundlage der Erziehung heranwachsender Menschen dienten. So

entstand durch Karl den Großen und seine berufenen Männer Langobarden

Abbildung 2: Karl der Große aus https://prezi.com/dt_6l9ackpuk/karl-der-groe/

Page 29: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 21

Paulus Diaconus, Peter von Pisa, Alkuin und dem Deutschen Einhard ein

neues Bildungswesen, die karolingische Bildungsreform (vgl. Hörburger

1967, S.27).

„Das was wir heute von ihm wissen, deutet auf eine heterogene

Persönlichkeit hin: grobschlächtig, gewalttätig und mitleidlos gegenüber

seinen Feinden, großzügig in der Liebe zu seinen vielen Frauen, ungebildet

(…) und gleichzeitig wiss - und lernbegierig, ein brutaler Kriegsherr und ein

kluger und geschickter Organisator seines Reiches“ (Treml 2005, S.135).

6.3.1 Die Bedeutung des Bildungskanons

Der Bildungskanon setzte sich aus dem Studieren der Bibel und aus den

septem artes liberales, die freien Künste des Mannes, zusammen. Die Bibel

zählte zu den Hauptlehrbüchern dieser Zeit. Verschiedenste

Literaturzweige dienten als Lernunterlage. Eine Bandbreite von Biografien,

Liedern, Gesetzestexten, Erzählungen und Dichtungen wurden visuell,

lehrreich und mit Behaltewert für die heranwachsenden Menschen

dargestellt. Die zentrale Rolle in der Erziehung spielte somit die Bibel,

dieser untergeordnet waren die freien Künste. Die septem artes liberales

dienten als Werkzeug, um den Weg zur Heiligen Schrift zu gewähren (vgl.

Treml 2005, S.139). Alkuin, ein Berater Karl des Großen, beschrieb die

Bedeutung der Künste wie folgt: „Die göttliche Weisheit wird getragen von

den Säulen der sieben freien Künste und niemand kommt zur

vollkommenen Erkenntnis, der nicht auf den sieben Säulen oder Stufen sich

erhebt“ (Reble 1951, S.61). Aelius Donatus (350 n. Chr.), ein römischer

Gelehrter, verfasste die Grammatik Donatus, die sich als elementares

Hilfsmittel entwickelte (vgl. Fuhrmann 2002, S. 17). Im folgenden Abschnitt

werden die sieben freien Künste und deren Bedeutung zu Zeiten des

Mittelalters erläutert.

Page 30: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 22

6.3.2 Die septem artes liberales

Die freien Künste des Mannes (septem artes liberales) sind ein Kanon

menschlicher Wissenschaften. Die Künste fanden ihren Ursprung bereits zu

Zeiten von Platon, Sokrates und Aristoteles. Im Mittelalter bestand der sich

immer wieder verändernde Kanon aus den vier rechnenden Künsten, dem

Quadrivum und dem Trivium, den drei redenden Künsten (vgl. Lindgren

2004, S.7). Zum Quadrivum, sprich den vier rechnenden Künsten, gehörten

Geometrie, Arithmetik, Astronomie und Musik. Zum Trivium, sprich den drei

redenden Künsten, zählten Rhetorik, Grammatik und Dialektik (vgl. Denk

2016, o.S). Die nächsten Abschnitte befassen sich mit dem Trivium und

dem Quadrivium. Es soll ein exemplarischer Einblick in die Künste gegeben

werden.

Abbildung 3: septem artes liberales aus http://de.mediaevistik.wikia.com/wiki/Datei:Septem_artes_liberales.gif

Page 31: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 23

6.3.2.1 Das Trivium

Im sogenannten sprachwissenschaftlichen Unterrichtsblock wurde das

Augenmerk auf die Grammatik gerichtet. Dies war der Schlüssel zum

Verständnis der Heiligen Schrift. Im Trivium wurde die lateinische Sprache

gelehrt. Der theoretische Teil befasste sich mit der Sprachlehre und der

praktische Teil legte den Schwerpunkt auf die Schriften von Poeten, die

gelesen und interpretiert wurden (vgl. Denk 2016, o.S). Der Unterricht der

Grammatik war zu damaligen Zeiten auf reines Auswendiglernen fixiert.

Autoritäres Verhalten der Lehrpersonen spiegeln sich wider, so dass in der

Abbildung der septem artes liberales die Grammatica durch Buch und Rute

charakterisiert wird (vgl. Treml 2005, S. 137). Die Rhetorik war die Fähigkeit

des sprachlichen Ausdrucks. Die Lehre der Sprache unterteilte sich

ebenfalls in einen theoretischen und in einen praktischen Teil, der sich mit

antiker Literatur befasste (vgl. Treml 2005, S.137).

„Die Dialektik stammt aus dem griechischen Wort „dialektike“, der Kunst der

Diskussion“ (Bowen 1975, S.45). Die Ursprünge der Dialektik sind auf Plato

zurückzuführen. Aristoteles, der Schüler von Plato, hielt seine

Beobachtungen in Büchern fest (vgl. Bowen 1975, S. 45).

6.3.2.2 Das Quadrivum

Die Arithmetik wird auf der Abbildung mit einer Zählschnur dargestellt. Sie

diente vor allem zur Kalenderberechnung von religiösen Festen, z.B. Ostern

(vgl. Denk 2016, o.S). In der Geometrie wurde die Lehre der Formen

gelehrt. Die Lehre von Strecken und Körpern war Gegenstand dieser Kunst.

Die Kunst der Astronomie beschäftigte sich mit dem Studium der

Himmelskörper, besonders mit der Deutung der Sternenbilder und der

Dynamik von Mond und Sonne (vgl. Lindgren 2004, S. 12f.). Die Musik, als

die letzte Kunst des Quadrivums, wird durch Musikinstrumente abgebildet.

Sie befasste sich mit Gesang oder Instrumenten, um so Zahlenverhältnisse

greifbar zu machen (vgl. Lindgren 2004, S.11f.).

Das Zeitalter der Renaissance (Wiedergeburt), wie der Name bereits

vorausschickt, rückt heranwachsende Menschen in ein neues Licht. Der

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Mensch wird nicht mehr als Form der Allgemeinheit betrachtet, sondern wird

als eigenständiges Individuum angesehen bzw. wiedergeboren (vgl. Böhm

2013, S. 44-45).

6.3.2.3 Zusammenfassung

Im Mittelalter stand der Erziehungsbegriff nicht allzu sehr im Mittelpunkt.

Der Bildungsprozess wurde forciert und Folge dessen wurden Kinder

bereits mit sieben Jahren als Erwachsene angesehen. Sie wurden nicht als

autonomes Wesen betrachtet. Die Herkunft war verantwortlich, welcher

Werdegang und welche erzieherischen Maßnahmen den

Heranwachsenden zugutekamen. Ziel war es, sich vom familiären Kreis zu

lösen, was wiederum, wie wissenschaftlich belegt werden kann, nicht

entwicklungsförderlich war. Die Erziehung erfolgte hauptsächlich über die

Vermittlung von Wissen. Die Zeit war vom Glauben und der Kirche geprägt.

Die Bibel galt sozusagen als Erziehungsleitfaden, an den sich die

Heranwachsenden sowie auch die Erziehungspersonen orientierten. Kinder

wurden somit nicht in ihrer Eigenständigkeit und Selbstbestimmung

gefördert. Lediglich der Respekt gegenüber den erwachsenen Menschen

wurde vermittelt, der jedoch nicht auf Basis der Gleichberechtigung

stattgefunden hat.

Page 33: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 25

6.4 Aufklärung

Mitte des 17. Jahrhunderts verlor die Kirche im Zuge der Aufklärung an

Einfluss. Die Wissenschaft schob sich immer mehr in den Vordergrund. Der

Mensch forschte, experimentierte und entdeckte. Die Entwicklung der

eigenen Fähigkeiten rückte in den Fokus. So äußerte der englische

Philosoph John Locke (1632–1704) den Gedanken, dass der Mensch bei

seiner Geburt ein leeres Blatt sei, das erst durch seine Erziehung

beschrieben werde. Ein weiterer bedeutender Name dieser Zeit ist der

Schweizer Jean - Jacques Rousseau (1712 – 1778), der als Entdecker der

Kindheit gilt und die Gedanken von John Locke weiterentwickelt hat. Es ging

darum, eine Abgrenzung des Kindes vom Erwachsenen zu schaffen, damit

verbunden die Anerkennung der Kindheit als selbstständige

Entwicklungsstufe (vgl. Hörburger 1967, S. 68-70).

6.4.1 Über das Leben Rousseaus

Ein wichtiger Erzieher des Abendlandes

war Jean - Jacques Rousseau, der im

Menschen stets das „Gute“ in den

Vordergrund rückte.

„Der Mensch ist von Natur aus gut“

(Rousseau 1762, zit. n. Decher 2012,

S.121). Liest man diese Zeilen, so wird

bewusst gemacht, dass ein Kind, das mit

der Natur aufwächst, trotz des negativen

Einflusses der Zivilisation standhaft

bleibt und in der Lage ist, für sich selbst

eine bessere Lebensumwelt zu

schaffen. Rousseau orientiert sich

daran, dass alles, was von einer metaphysischen Quelle stammt, gut ist.

Kommt ein Subjekt in die Hände des Menschen, so gerät es aus dem

Konzept. Mit diesen wertvollen Gedanken hat der abendländische

Philosoph und Erzieher eine neue Welt entdeckt, die Welt der Kindheit als

eigenständige Lebensphase und eigene Form des Menschseins, die in sich

Abbildung 4: Rousseau aus http://www.notablebiographies.com/Ro-Sc/Rousseau-Jean-Jacques.html

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S e i t e | 26

und durch sich gerechtfertigt ist. Zuvor wurden heranwachsende Menschen

als kleine Erwachsene betrachtet. Für uns Heutige ist diese Sicht des

Kindes selbstverständlich geworden und nicht mehr wegzudenken (vgl.

Decher 2012, S. 108- 127).

6.4.1.1 Rousseaus Prinzipien der Erziehung

• Der Eigenwert der Kindheit: Wie bereits oben erwähnt, ist es von

großer Bedeutung, das Kind als einen eigenständigen Menschen zu

sehen. Das bedeutet, die Kindheit soll nicht als Durchgangsstadium zur

erwachsenen Person angesehen werden, sondern gilt als

eigenständige, vollwertige Lebensspanne (vgl. Henting 2004, S. 44).

• Die Kindheit studieren: In seinem Roman „Emile,“ den er 1762

veröffentlichte, stellte Rousseau die nach seinem Sinn ideale Erziehung

dar. Er war der Ansicht, dass Kinder zu früh als Bürger der Gesellschaft

herangezogen werden. Ein heranwachsendes Kind ist auf die

Ausbildung seiner Sinne, Organe und Glieder angelegt. Rousseau war

der Meinung, wenn man Kinder zu früh mit den ursprünglichen Gefühlen,

Neigungen und Bedürfnissen zu unterdrücken versucht, so entwickelt

sich ein entzweiter Mensch und man arbeitet seinen Zielen zuwider (vgl.

Decher 2012, S. 123-125). Für die heutige Zeit bedeutet das, dass man

die Kindheitsphase analysieren bzw. beobachten sollte, um daraus

Schlüsse ziehen zu können. Kinder dürfen nicht mit leeren Inhalten

konfrontiert werden, für die sie noch nicht reif sind. Es ist zu

berücksichtigen, in welcher Entwicklungsphase sich ein Kind befindet.

• Negative Erziehung: Darunter versteht man, dass ein Kind nicht in der

Wahrheit unterwiesen werden darf, sondern die Erziehung muss darauf

ausgelegt werden, das Herz des Kindes frei von Lasten zu halten und

den Verstand nicht irrezuführen. Rousseaus Gedankengut legt nahe,

dass ein Kind erst ab dem zwölften Lebensjahr in der Lage ist, seinen

Geist der Vernunft zu öffnen. Davor dürfte man nicht mit

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Moralvorstellungen an das Kind herantreten, sondern man müsste die

Kinder durch die Notwendigkeit der Dinge erziehen, das heißt, in erster

Linie verhindern, dass dem Kind seelischer Schaden widerfährt. Es gehe

nicht darum, Zeit zu gewinnen, sondern zu verlieren. Das hat eine

Entmoralisierung der Pädagogik zur Folge, in der die Natur die Position

des Erziehers/der Erzieherin übernimmt. Allerdings nur insoweit, als der

Erzieher/ die Erzieherin ihre Einwirkung herbeiführt, um das Kind seinen

Wünschen entsprechend zu formen (vgl. Henting 2004, S. 45-48).

• Erfahrungslernen: Es gibt nach Rousseau dreierlei Lehrer und im 21.

Jahrhundert ebenso Lehrerinnen: die Natur, die Menschen und die

Dinge. Das Ziel der Erziehung ist dabei das der Natur selbst, denn die

Dinge und die Menschen können zumindest zum Teil, die Natur aber gar

nicht, beeinflusst werden, weshalb die zwei anderen nach ihr

ausgerichtet werden müssen. Entscheidend für Rousseau ist dabei der

Verzicht auf Macht gegenüber den heranwachsenden Menschen.

Jeglicher Zwang soll ersetzt werden durch Notwendigkeit, welche dem

Kinde einsichtiger ist. Rousseau war schon damals der Meinung, wenn

Kinder etwas freiwillig tun, dann tun sie es gerne. Er kritisierte die

Lehrpläne der damaligen Zeit, die die Lernenden mit Inhalten

konfrontierten, die für sie keine erkennbare unmittelbare Bedeutung

hatten. Dieser Bezug zur eigenen Lebenswirklichkeit müsse aber

gegeben sein, wenn Inhalte gelernt werden sollen. Dieser Vorgang des

Lernens entspreche gleichsam einem natürlichen Lernen (vgl. Henting

2004, S. 48-52).

An dieser Stelle sollte das Werk „Emil oder Über die Erziehung“ (1762)

erwähnt werden. In diesem Werk wird die fiktive Figur namens Emil durch

ihre Erziehung begleitet. Damit Emil den Nutzen seines erlernten Wissens

erkennt, führt sein Erzieher ihn in den Wald und verirrt sich absichtlich mit

ihm. Anhand der von Emil erlernten Fähigkeiten (Himmelsrichtung anhand

der Sonne und des Schattenwurfes der Bäume zu erkennen) finden beide

wieder aus dem Wald heraus. Emil kommt zur Erkenntnis, dass sein Wissen

Page 36: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 28

einen Zweck hat und auch ein noch so fern scheinender Lerngegenstand

wie die Astronomie doch nützlich sein kann. Für den Erzieher von Emil ist

es wichtig, dass sein Zögling den Nutzen des Erlernten erkennt (vgl.

Saathoff 2014, S. 15- 16).

• Die altersgemäße Erziehung

Rousseau beobachtete die Kindheits- und Jugendphasen und leitete

vier Abschnitte ab:

Die Kindheit (Alter der Natur, Geburt bis zum dritten Lebensjahr), das

Knabenalter (Alter der Stärke, bis zum zwölften Lebensjahr), die

Vorpubertät (Alter der Vernunft, vom zwölften bis zum fünfzehnten

Lebensjahr) und die Pubertät, auch Jünglingsalter – adolescence –

genannt (Alter der Einsicht, bis zum zwanzigsten Lebensjahr). Nach

ihrem Abschluss ist ein zu erziehender Mensch der Begleitung seiner

Erzieher/ Erzieherin nicht mehr bedürftig, diese können aber noch als

Freunde erhalten bleiben (vgl. Henting 2004, S. 53- 55).

Das noch nicht oder unvollkommen sprechende Kind

Rousseau zeigt auf, dass man einem Kind den Gebrauch seiner

geringen Kräfte lassen muss und den Forschungstrieb nicht

unterdrücken darf. Man muss ihm seine fehlenden Kräfte ersetzen und

ihm beistehen, allerdings beschränkt sich dies auf die Befriedigung der

natürlichen und notwendigen Bedürfnisse, wie Ernährung, Hygiene und

Schutz (vgl. Henting 2004, S. 55- 56).

Der Knabe

Diese Lebensspanne ist der Geschicklichkeit und Schärfung der

Wahrnehmung vorbehalten. Das wird praktisch durch Arbeit,

Erkundung, Nachahmung und Spiel erreicht, wobei das Kind durch

Selbsttätigkeit, in Versuch und Irrtum, seine Fähigkeiten erwerben soll.

Es wird der größte Wert auf eigene Erfahrungen und das daraus

resultierende Verständnis der Welt gelegt (vgl. Henting 2004, S.56-58).

Page 37: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 29

Rousseau schreibt ausschließlich über die männliche Form. Im 21.

Jahrhundert ist es auf beide Geschlechter zu übertragen.

Das erstarkte Kind vor der Pubertät

In dieser Lebensphase werden der erwachende Verstand und die

Vernunft angesprochen, das heißt, der Unterricht wird von den

heranwachsenden Menschen studiert. Er zielt nicht darauf ab, den

Kindern wissenschaftliche Erkenntnisse beizubringen, sondern es geht

darum, dass Kinder Gefallen am Unterricht finden. Das Ziel zum

Abschluss dieser Lebensphase ist ein arbeitsames, mäßiges, kräftiges,

geduldiges und vor allen Dingen urteilsfähiges Kind, das zwar wenige,

aber dafür gründliche Kenntnisse sein Eigen nennt (vgl. Henting 2004,

S. 58-59).

Die Reifezeit

Das bisher handelnde und denkende Wesen wird nun auch ein

liebendes und empfindendes. Damit droht nun eine neue Art der

Abhängigkeit: die von einer geliebten Person (bisher kannte das Kind

nur die Selbstliebe). Leidenschaften, welche das Kind vorher nicht

kannte, drohen den herabwachsenden Menschen zu überwältigen (vgl.

Henting 2004, S. 59-63).

• Die Erziehung zur bürgerlichen Person:

Als Glied einer Gemeinschaft muss ein Kind Pflichten erfüllen. Der

heranwachsende Mensch, der bislang in der Einsamkeit zur

Unabhängigkeit erzogen wurde, sollte am Ende dieses

Erziehungsprozesses in der Lage sein, den Bund mit der Gesellschaft

schließen zu können, um in der Gemeinschaft bestehen zu können.

Dazu gehört Menschenkenntnis, die der Jugendliche/ die Jugendliche

erfährt, wenn er/ sie in der Ferne eigene Erfahrungen sammelt (vgl.

Henting 2004, S. 63-70).

Page 38: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 30

• Die natürliche Religion:

Die natürliche Religion nach Rousseau beruht auf Erfahrungen und

Überlegungen, die allen zugänglich sind. Heranwachsenden Menschen

soll keine Weltanschauung aufgedrängt werden, damit sie diejenige

wählen können, zu der sie die eigene Meinung führt (vgl. Henting 2004,

S. 70-71).

Rousseau schreibt über den Knaben und den Bürger, die weibliche

Form wird nicht erwähnt, sie ist auch nicht gemeint. In der heutigen Zeit

ist dies für beide Geschlechter zu betrachten.

6.4.1.2 Zusammenfassung

Betrachtet man die Entwicklungsstufen, ist das Ziel von Rousseau

folgendes: Kinder sollen nicht mit reinen Kenntnissen und Wissensstoff

konfrontiert werden. Es geht darum, dass dem heranwachsenden

Menschen dabei geholfen wird, die in sich ruhenden Anlagen zum Blühen

zu bringen. Rousseau darf als einer der Begründer einer systematischen

Betrachtung des erzieherischen Verhältnisses betrachtet werden. Mit seiner

auf Erzieher und Zögling reduzierten Darstellung im Werk „Emile“ hat er das

pädagogische Verhältnis gerade in dieser Übersteigerung als sinnvolles

methodisches Prinzip radikal herausgehoben. Der Erzieher, wie Rousseau

ihn beschreibt, nimmt sich selbst weitestgehend zurück und beschränkt sein

pädagogisches Handeln auf das Anordnen natürlicher Lernprozesse, die

ihren Ausgang in der Natur des heranwachsenden Menschen nehmen (vgl.

Decher 2012, S. 110- 127). Zusammengefasst soll durch selbstständiges

Handeln ein Lernprozess stattfinden, der es ermöglicht, in allen

Lebensbelangen zurechtzukommen.

Eigenverantwortung, Selbstbestimmung sowie der nötige Respekt wurden

von Rousseau in der Zeit der Aufklärung angestrebt. Den

heranwachsenden Menschen sah man als eigenständiges, frei denkendes

Wesen. Es wurden die im Anhang genannten Werte vermittelt und die

Heranwachsenden bekamen die Möglichkeit, offen und mutig durch das

Leben zu gehen, um eigene Erfahrungen zu machen.

Page 39: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 31

6.5 Reformpädagogik

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wehrten sich einige

Pädagogen und Pädagoginnen gegen das autoritäre Denken der

herkömmlichen Schulen. Sie wollten den Geist der reinen Lernschule

überwinden und riefen eine neue Form der Erziehung ins Leben: die

Reformpädagogik. Berühmte Vertreter dieser Erziehungsrichtung sind der

Schweizer Johann Heinrich Pestalozzi (1746 – 1827) und die Italienerin

Maria Montessori (1870 – 1952). Ziel aller Reformpädagogen/innen war es,

das Kind als Individuum zu achten und seine kreativen Kräfte zu wecken

und zu fördern. Wichtige Punkte dieses Erziehungsstils waren die

Selbsttätigkeit der Kinder, das freie Gespräch und das Lernen durch

Handeln (vgl. Hörburger 1967, S. 159). Im nächsten Kapitel wird Maria

Montessori, eine Frau, die in der erzieherisch-pädagogischen Erziehung

niemals in Vergessenheit geraten wird, erläutert.

6.5.1 Die Maria Montessori Pädagogik

Dieses Kapitel befasst sich mit der Montessori Pädagogik und hebt hervor,

welchen entscheidenden Beitrag diese Frau zu Zeiten der Aufklärung für

die heutige und zukünftige Zeit geliefert hat. Ihr pädagogisches Konzept ist

sehr breit gefächert und spricht alle Altersstufen der heranwachsenden

Menschen im Erziehungsprozess an.

Page 40: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 32

6.5.2 Leben und Werk von Maria Montessori

Maria Montessori wurde 1870 in der kleinen italienischen Stadt Chiaravalle

als einziges Kind einer bürgerlichen

Familie geboren (vgl. Schulz – Benesch

2012, S. 259).

Die Familie übersiedelte nach Rom, wo

Maria Montessori die Volksschule und

im Anschluss daran höhere Schulen

besuchte. In der Literatur geht hervor,

dass der Vater von Maria Montessori ein

klassisches Bild der Rollenenverteilung

in der Familie verfolgte. Dies war wenig

erfolgreich, da Maria Montessori schon

früh eine naturwissenschaftliche -

mathematische Begabung zeigte. So

besuchte sie auch eine technische

Oberschule für Jungen. Der Gegenpol zum Vater Maria Montessoris war

die Mutter Renilde Stoppani. Sie unterstützte ihre Tochter in ihrer Eifrigkeit

und bestärkte Maria Montessori in einer doch männerdominierten Welt,

Karriere zu machen. Montessoris großer Wunsch war es jedoch, Ärztin zu

werden. In damaligen Zeiten war dies ein weitgestecktes Ziel, da der Beruf

des Arztes nur Männern vorbehalten war. Maria Montessori zeigte sich

durch ihren willensstarken Charakter hartnäckig, bis sie am Ende ihr Ziel

erreichte. Sie promovierte als erste Frau Italiens im Jahre 1886 im

Fachgebiet Medizin und übernahm eine Stelle in Rom als Assistenzärztin

an der Universitätsklinik für Psychiatrie (vgl. Speichert 2005, S. 14,

Waldschmidt 2001, S. 12).

Abbildung 5: Montessori aus http://www.littlestarmontessori.co.nz/abo

ut_montessori.html

Page 41: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 33

• Entstehung ihrer beruflichen Karriere

Die darauffolgenden Jahre als Assistenzärztin an der

psychiatrischen Abteilung der Universitätsklinik Rom prägten den

Werdegang Montessoris maßgeblich. In der Klinik wurden Maria

Montessori geistig behinderte Kinder vorgestellt, die zusammen mit

psychotischen Erwachsenen in einer Zelle lebten. Montessori gilt bis

heute als eine sehr engagierte Frau, der schon damals der Spieltrieb

dieser Kinder ins Auge stach. Die Begegnung mit diesen Kindern war

der Grundstein für die Entstehung der Montessori - Pädagogik und

Grund dafür, dass sie sich mit dem Fachgebiet Pädagogik

auseinandersetzte. Maria Montessori begann sich mit Literatur, die

zur damaligen Zeit über Erziehungsmöglichkeiten geistig behinderter

Kinder zur Verfügung stand, zu beschäftigen. Die Publikationen von

Jean Marc Gaspard Itard (1774- 1838) und Eduard Seguin (1812-

1880) Publikationen dienten Montessori als Grundlage. Itard

untersuchte einen elfjährigen Jungen, der alleine mit Tieren im Wald

lebte, und kam zu der Erkenntnis, dass eine Erziehung der Sinne die

Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten fördert. Seguin, der Schüler

Itard´s, förderte dieses Gedankengut (vgl. Waldschmidt 2001, S.

18f.). Bis Anfang des 19. Jahrhunderts hatten die beiden Ärzte

effektive Arbeiten auf dem Gebiet der Erziehung mit geistig

behinderten Kindern geleistet. Der Arzt Seguin entwickelte eine

Erziehungsmethode, die die Entwicklung dieser Kinder durch

Sinnesübungen förderte. Maria Montessori baute die Konzeption von

Seguin aus, wie wir sie bis heute kennen. Sie wendete diese

Methode mit großem Erfolg bei geistig behinderten Kindern an. Maria

Montessori war davon überzeugt, dass die entsprechende Erziehung

solchen Kindern effektiver helfen kann als nur medizinische

Betreuung (vgl. Röhrs 1998, S. 251, Schulz- Benesch 1999, S. 33ff.).

So wurden beim Lernen die Mittel und Materialien an die

heranwachsenden Menschen angepasst und nicht die

heranwachsenden Menschen den Materialien (vgl. Noll/Schieder

2000, S. 26). Ende des 19. Jahrhunderts übernahm Maria Montessori

die Leitung eines neu gegründeten heilpädagogischen Institutes für

Page 42: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 34

Kinder in Rom. Nach zweijähriger Beschäftigung beendete sie die

Arbeit in diesem Institut. Grund dafür war eine uneheliche

Schwangerschaft, die vor der Öffentlichkeit geheim gehalten wurde.

Maria Montessori gebar 1898 einen Sohn namens Mario, der bei

Pflegeeltern am Land aufwuchs. So war es Montessori möglich,

sofort an ihrer beruflichen Karriere weiterzuarbeiten. Festzuhalten ist

dennoch, dass dieser Schritt eine schmerzhafte Erfahrung in ihrem

Leben darstellte. Zu vermuten ist, dass sie auf Grund dieser

Erkenntnis ihr Einfühlvermögen für Kinder und deren Bedürfnisse zu

verdanken hatte. Als Marios Pflegemutter starb, nahm Maria

Montessori ihren bereits jugendlichen Sohn zu sich. Es kristallisierte

sich im Laufe der Zeit heraus, dass Mario Montessori eine wichtige

Stütze für seine Mutter darstellte. Er führte das Werk seiner leiblichen

Mutter weiter (vgl. Waldschmidt 2001, S. 20f.).

• Tätigkeit als Pädagogin/ Grundsteinlegung der Montessori -

Pädagogik

Im Laufe der Jahre widmete sich Maria Montessori immer intensiver

den Erziehungsmethoden für geistig behinderte Kinder. Zu

damaligen Zeiten wurden in San Lorenzo Wohnungen für bedürftige

Familien sowie ein Kinderhort errichtet. Die Kinder der dort

ansässigen Arbeiterfamilien wurden betreut. Montessori wurde

damals mit der Konzeption der Einrichtungen beauftragt. Der

Grundstein für ihr pädagogisches Handeln wurde gelegt. Montessori

konnte zu dieser Zeit ihre Erziehungsmethoden bei nicht behinderten

Kindern probeweise anwenden. 1907 wurde das erste Kinderhaus,

Casa die bambini, für gesunde Kinder eröffnet. Die Kinder sollten in

dieser Institution zur Selbstständigkeit erzogen werden. Weiteres

wurde den Kindern angeboten, die Welt zu entdecken. Leiterin für

„das Haus der Kinder“ wurde die Tochter des Hausmeisters, da Maria

Montessori davon überzeugt war, dass die klassische Lehrer/

Lehrerinnenausbildung zu sehr autoritär geprägt war (vgl.

Waldschmidt 2001, S. 31ff.) In diesem Kinderhaus entwickelte

Montessori ihren pädagogischen Ansatz. Sie verfolgte die

Page 43: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 35

Einstellung, dass Erziehung nach den inneren Fähigkeiten und

Beobachtungen des Kindes zu erfolgen habe. Die Interessen der

Kinder sollen von speziellen Materialien gelenkt und nicht von den

Pädagogen/ Pädagoginnen bestimmt werden. Personen, die im

Erziehungsprozess tätig sind, zeichnen sich durch Flexibilität aus

und verstehen sich als Helfer/Helferinnen bei der Entwicklung

selbstständiger Individuen. Sie pflegen die vorbereitete Umgebung,

erklären den Gebrauch der Montessori-Materialien und beobachten

heranwachsende Menschen bei der Tätigkeit, die sie durchführen.

Sie unterstützen bei Entwicklung und Selbstfindung und geben

Hilfestellung beim Wahrnehmen sozialer Verantwortung (vgl. Riedl

2007, S. 6). Montessori beobachtete in ihrem Kinderhaus ein

Mädchen, dass sich mit einem Sinnesmaterial beschäftigte. Das Kind

konnte durch nichts gestört werden. Nach der Bewältigung der

Aufgabe konnte Maria Montessori sehen, dass das Kind eine

innerliche Zufriedenheit verspürte. Ihr Gedanke wurde damit

bestätigt, dass Kinder eigenaktiv sind und sich selbst motivieren

können. Bei den geistig behinderten Kindern stellte Montessori fest,

dass sie zu einer Tätigkeit motiviert werden mussten. Der

Grundgedanke, dass in Kindern die Kraft verwurzelt ist, sich selbst in

ihrer Entwicklung voranzutreiben, hat sich bestätigt. Werden Kindern

geeignete Materialen angeboten, so arbeiten sie konzentriert,

motiviert und auf freiwilliger Basis. Das Erfolgserlebnis der

Erziehungsmethode von Montessori war dafür verantwortlich, dass

weitere Kinderhäuser in Italien entstanden. Im Jahre 1909 schrieb

Maria Montessori ihr erstes Buch. Im selben Jahr hielt sie ihren

ersten internationalen Trainingskurs. Maria Montessori hatte mit 40

Jahren den Grundstein für eine neue Erziehungsform gelegt. Der

große Erfolg brachte Maria Montessori dazu, dass sie 1910 ihre

medizinische Laufbahn beendete. Sie konzentrierte sich auf die

Weiterentwicklung und der internationalen Verbreitung ihres

pädagogischen Konzeptes (vgl. Kramer 1997, S. 13-17).

Page 44: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 36

• Internationale Verbreitung der Montessori - Pädagogik

Die Montessori- Pädagogik gewann ab dem Jahre 1911 vermehrt

internationale Anerkennung. Die innovative Erziehungsmethode

polarisierte in den USA. Helen Parkhurst wurde von Maria

Montessori zu ihrer Stellvertreterin in Amerika ernannt. Sie war eine

der internationalen Teilnehmerinnen in den Trainingsseminaren, die

Montessori hielt. Der Daltonplan ist ein pädagogisches Konzept, der

von Helen Parkhurst entwickelt wurde (vgl. Popp 1999, S.29).

Montessori wurde damals klar, dass sie von Rom aus keinen

Überblick über die USA haben konnte. Die gewaltige Dynamik, die

diese Pädagogik annahm, führte dazu, dass Montessoris Werke in

alle Weltsprachen übersetzt wurden (vgl. Röhrs 1998, S. 250). Im

Jahr 1916 verließ Maria Montessori Italien und übersiedelte nach

Barcelona. Sie bildete an den verschiedensten Orten der Welt

Lehrpersonen aus und hielt Vorträge. Montessori Gesellschaften

wurden gegründet. Nennenswert ist die Montessori - Gesellschaft in

den Niederlanden (vgl. Riedl 2013, S.25).

• Entwicklung der Montessori - Pädagogik in Österreich

1922 öffnete Österreich die Tore für das pädagogische Konzept von

Maria Montessori. Es wurde das berühmte Montessori Haus der

Kinder in Wien gegründet. Montessori hatte ihre Pädagogik

mittlerweile soweit ausgebaut, dass das Konzept auf die

verschiedenen Altersstufen ausgedehnt wurde. Die Montessori-

Pädagogik war vom Vorschulbereich bis hin zur Sekundarstufe

breitgefächert vertreten. 1929 wurde in Berlin, die Zentrale der

Organisation, die Assocation Montessori Internationale (AMI)

gegründet. Montessori wurde zur Präsidentin ernannt, ihr Sohn Mario

wurde als Sekretär beschäftigt. Heute befindet sich diese Zentrale in

Amsterdam und verfolgt das Ziel, die Ausbildungsstandards der

Montessori - Pädagogik zu erhalten (vgl. Riedl 2013, S. 26).

Page 45: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 37

• Verbot der Montessori- Pädagogik

Das Aufkommen des Nationalsozialismus vor dem zweiten Weltkrieg

war dafür verantwortlich, dass die Montessori - Pädagogik in den

darauffolgenden Jahren gestoppt wurde. Ministerpräsident Benito

Mussolini war regimeführend und sorgte dafür, dass Maria

Montessori sich endgültig aus Italien zurückzog. Zu dieser Zeit

wurden alle Schulen, die das montessorische Konzept

verinnerlichten, geschlossen. Im benachbarten Deutschland wurden

zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs ebenfalls alle Schulen, die unter

dem Konzept Montessoris liefen, geschlossen. Ebenso veranlasste

man, dass alle Bücher, die von Montessori publiziert wurden,

verbrannt wurden. Zu dieser Zeit beschäftige sich Montessori mit der

Friedenserziehung. Montessoris Konzept der kosmischen Erziehung

entwickelte sich auf Basis der Friedenserziehung. Zu Beginn des

Zweiten Weltkriegs im Jahre 1939 reisten Maria Montessori und ihr

Sohn nach Indien. Ihre Nationalität führte dazu, dass sie in Indien

ihrer Freiheit beraubt wurden. Dennoch konnte Montessori ihre

Tätigkeit weiter fortsetzen. Während der Kriegsjahre fokussierte sie

sich auf die Verbreitung ihres Konzeptes in den asiatischen Ländern.

Alleine in Indien wurden 1000 Lehrpersonen von Maria Montessori

und ihrem Sohn ausgebildet (vgl. Riedl 2013, S. 26-28). Im Jahre

1946 fanden Maria Montessori und ihr Sohn Mario wieder zurück in

die Niederlande. Die damals bereits 80-jährige Frau war bis zu ihrem

Lebensende stets bemüht, ihre Ausbildungskurse in den

verschiedensten Ländern anzubieten, um möglichst vielen Kindern

in ihrer Selbstständigkeit helfen zu können. In der Endphase ihres

Lebens wurde Maria Montessori mit unzähligen Auszeichnungen und

Ehrentiteln von verschiedenen Staaten für ihr Lebenswerk

ausgezeichnet. Durch die Kriegsjahre ging der Einsatz, den Maria

Montessori bezüglich der Friedenserziehung ausübte, unter. Maria

Montessori verstarb am 6. Mai 1952 im Alter von 82 Jahren in

Holland (vgl. Schultz- Benesch 1999, S.37).

Page 46: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 38

6.5.3 Ziel der Montessori - Pädagogik

„Das Kind ist nicht ein leeres Gefäß, das wir mit unserem Wissen aufgefüllt

haben und das uns so alles verdankt. Nein, das Kind ist der Baumeister des

Menschen und es gibt niemanden, der nicht von dem Kind, das er selbst

einmal war, gebildet wurde“ (Montessori 1987, S. 13). Maria Montessori war

davon überzeugt, dass ein heranwachsender Mensch von Geburt an ein

aktives, neugieriges Verhalten sowie Samenkörner für bestimmte

Begabungen in sich trägt, die auf dem Weg des Größerwerdens gepflegt

werden müssen. Vergleichbar mit dem Plan eines Hauses, der durch

effektive äußere Einflüsse und Bedingungen zu einer besseren Entfaltung

gelangt (vgl. Hansen - Schaberg 2005, S.2). Ausschlaggebend für die

Persönlichkeitsentwicklung des heranwachsenden Menschen sind die

Umgebung und das soziale Umfeld, in dem die Kinder aufwachsen. Der Ort

des Aufwachsens sollte der Startplatz in der Erkundungsreise sein und

somit auch ein Ankerplatz, zu dem man jederzeit zurückkehren kann (vgl.

Stein 1998, S. 11f.). Montessori postulierte, dass jedes heranwachsende

Kind einzigartig und unverwechselbar ist und somit die vollkommene

Zuwendung und Förderung verdient bzw. bekommen muss (vgl.

Waldschmidt 2001, S. 41). Die holistische Persönlichkeit, die bei

erwachsenen Personen als selbstverständlich wahrgenommen wird, muss

gerade bei Kindern betrachtet werden. Die Wichtigkeit in der Erziehung liegt

laut Maria Montessori darin, dass der heranwachsende Mensch

wahrgenommen wird unter Einbeziehung der Sinne (vgl. Ludwig 1999, S.

365). Wenn man den Bauplan des Kindes bedenkt, so darf nicht außer Acht

gelassen werden, dass der Bauherr/die Bauherrin immer der

heranwachsende Mensch selbst bleibt. Diese Tatsache muss von den

erziehenden Personen anerkannt werden. So ist ein Lernen aus

Überzeugung möglich und nicht aus Zwang durch autoritäres Verhalten

(vgl. Thomas 2002, S. 7). Das wesentliche Ziel, das die Erziehungsmethode

nach Maria Montessori verfolgt, ist, dass der heranwachsende Mensch in

seiner Selbstständigkeit gefördert und die Möglichkeit, sich frei zu bewegen,

gegeben wird. Freiheit ist in einer derartigen Erziehung für Montessori Weg

und Ziel zugleich. Die zunehmende Selbsttätigkeit der Kinder führt zur

Unabhängigkeit, die für das Leben unerlässlich ist (vgl. Waldschmidt 2001,

Page 47: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 39

S. 42). Der Entwicklungsstand des Kindes ist im Lernprozess jeglicher Art

zu berücksichtigen. Lernen wird nicht von der erziehenden Person

bestimmt, sondern dort, wo sich der heranwachsende Mensch befindet (vgl.

Noll/ Schieder 2000, S. 39). Grundgedanke von Maria Montessori ist es,

dass durch die veränderte Erziehung Menschen heranwachsen, die durch

selbstständiges Handeln einer sich veränderten Welt gewachsen sind (vgl.

Thomas 2002, S.6).

6.5.3.1 Zusammenfassung

Gleichwürdigkeit, Authentizität, Verantwortung und Integration sind Werte,

die in der Gesellschaft große Bedeutung haben. Montessori hat, was

Erziehung betrifft, alles versucht umzusetzen, was auch heute der

wissenschaftliche Stand der Forschung aufzeigt.

„Hilf mir, es selbst zu tun, dann hilfst du mir, ich selbst zu werden“ (Candolini

2007, S. 36).

Dieses zum Abschluss in abgewandelter Form angeführte Zitat diente Maria

Montessori als Leit- und Grundsatz und hat auch in der heutigen Zeit nicht

an Aktualität verloren.

6.6 Nationalsozialismus

Geprägt vom totalitären Anspruch in allen Lebensbereichen herrschte auch

an der Erziehungsfront bedingungsloser Gehorsam. Eigenständiges

Denken und selbstverantwortliches Handeln wurden aus den

pädagogischen Konzepten des Dritten Reichs verbannt. Andersdenkende

Erzieher/Erzieherinnen wurden vom Schuldienst ausgeschlossen.

Unterrichtsinhalte verbreiteten ausschließlich das nationalistisch-

rassistische Rollenbild von Kindern, Frauen und Männern (vgl. Scholtz

2009, S. 168).

Page 48: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 40

6.6.1 Erziehungshaltung im Nationalsozialismus

In einem einleitenden Zitat von Hitler zur Erziehung von heranwachsenden

Menschen wird der Blickwinkel der NS - Ideologie sehr deutlich erkennbar

(vgl. Reicher 2014, S.3).

„Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muss weggehämmert werden. In

meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die

Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene,

grausame Jugend will ich. Jugend muss das alles sein. Schmerzen muss

sie ertragen. Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein. Das freie,

herrliche Raubtier muss erst wieder aus ihren Augen blitzen. Stark und

schön will ich meine Jugend. Ich werde sie in allen Leibesübungen

ausbilden lassen. Ich will eine athletische Jugend. Das ist das Erste und

Wichtigste. Ich will keine intellektuelle Erziehung. Mit Wissen verderbe ich

mir meine Jugend. Aber Beherrschung müssen sie lernen. Sie sollen mir in

den schwierigsten Proben die Todesfurcht besiegen lernen…“ (Bayer 1982,

S.54, zit. nach Reicher 2014, S.3).

Die Wertevorstellungen zu Zeiten Hitlers beziehen sich vorwiegend auf

gesunde Körper. Die gelebten Erziehungsideale, die an Zucht und

Sauberkeit sowie der Unterwerfung orientiert waren, geben auch Einblick in

einen Erziehungsratgeber von Johanna Haarer (1936). Wenn ein Kind

schreit, „dann, liebe Mutter, werde hart! Fange nur ja nicht an, das Kind aus

dem Bett herauszunehmen, es zu tragen, zu wiegen, zu fahren oder es auf

dem Schoß zu halten, es gar zu stillen“ (Haarer 1936, S. 173, zit. nach

Reicher 2014, S. 3).

In der Erziehung wurden Körperkontakt, Liebe und Zuneigung sowie ein

tröstendes Wort abgelehnt. Der Erziehungsratgeber von Johanner Haarer

war bis in die 1960er Jahre als ratgebendes Buch in Fragen Erziehung

verbreitet. Die Ratschläge, die in diesem Buch zu finden waren,

widersprechen den Erziehungsfähigkeiten, die Personen in sich tragen.

Eine dieser Kompetenzen wäre die nonverbale angeborene

Kommunikationsform, die Erzieher/ Erzieherinnen sowie Eltern intuitiv

ausdrücken, wenn sie mit heranwachsenden Menschen interagieren (vgl.

Page 49: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 41

Reicher 2014, S. 3-4). Standpunkt aus heutiger Sicht und

entwicklungswissenschaftlichen Forschungen ist es, dass es von enormer

Wichtigkeit ist, Kindern, egal welchen Alters, tröstende Worte zukommen zu

lassen, die mit emotionalen Signalen verpackt sind (ebd., S. 3-4). Die

beiden Begriffe Führung und Erziehung wurden zu der Zeit gleichgestellt

(vgl. Scholtz 1985, S. 144). Autoritäre Machtausübung im

Erziehungsrahmen Familie und Schule wurde ausgeübt (vgl. Reicher 2014,

S. 3-4).

6.6.1.1 Ziel der NS - Ideologie

Wie aus dem einleitenden Zitat dieses Kapitels von Hitler hervorgeht, sollte

die Schule nicht einen Ort der Wissensvermittlung darstellen. Es wurde

darauf abgezielt, die politischen Grundprinzipien zu lehren. In den

Lehrplänen fand sich die nationalsozialistische Ideologie wieder, wo auf die

Betonung der körperlichen Ertüchtigung, der Rassen- und Vererbungslehre

sowie einer Frauen- und Familienbildlehre Wert gelegt wurde. Der

Unterricht hatte das Ziel, den Rassismus und die Gleichschaltung zu fördern

(vgl. Reicher 2014, S. 4). In dem Buch von Fricke - Finkelnburg (1989) mit

dem Titel „Nationalsozialismus und Schule“ wird dazu geäußert:

„Hitlers ‚Programm‘ für die Schule, entwickelt auf der Grundlage sozial-

darwinistischer Vorstellungen, erhob die ‚Rasse‘ zum obersten Wert. An

erster Stelle stand das Heranzüchtigen gesunder Körper´. Erst in zweiter

Linie kam die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten. Wissensvermittlung

sollte zugunsten körperlicher Ausbildung und ideologischer Ausrichtung

zurücktreten. Naturwissenschaftliche und technische Bildung sollten

zurückgedrängt werden. Betont wurden dagegen die

geisteswissenschaftlichen, in den Dienst ideologischer Indoktrination zu

nehmenden Fächer. Koedukative Erziehung wurde abgelehnt“ (Fricke-

Finkelnburg 1989, S. 12).

Das Ziel der NS - Ideologie war die Vermittlung von politischer Ideologie

(vgl. Reicher 2014, S.4). Fricke - Finkelnburg schreibt: „Das Primat der

Page 50: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 42

Politik hatte die Autonomie der Pädagogik abgelöst“ (Fricke- Finkelnburg

1989, S.13). Es wurde von einer Umkehr von Erziehungs- in

Machtverhältnisse gesprochen (vgl. Scholtz 1985, S. 109ff.).

Heranwachsende Menschen wurden als besonders formbare Personen

betrachtet. Sie sollten so früh wie möglich mit den Idealen der NS - Politik

konfrontiert werden (vgl. Reicher 2014, S.4). Individuelle Bedürfnisse

standen nicht im Vordergrund, die gemeinschaftliche Erziehung und ein

einheitliches Denken wurden angestrebt. Somit waren auch Lehrpersonen

in Schulen dazu verpflichtet, eigenständiges Denken zu untersagen (vgl.

Reicher 2014, S. 5).

6.6.1.2 Zusammenfassung

Die Zeit des Nationalsozialismus nimmt den wohl fragwürdigsten

Stellenwert in der Entwicklungsgeschichte der Erziehung ein. Eine Zeit, die

von einer strikt autoritären Erziehungsform geprägt war und in der Zucht

und Ordnung als die wichtigsten Ziele galten. Eine solche

Erziehungsmethode ist nicht anzustreben, da Kinder nicht in ihrer

Selbsterfahrung gestärkt und nicht als autonomes Wesen angesehen

werden.

Page 51: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 43

7 Veränderung der Erziehung bis heute

In den 1960er Jahren wurden grundlegende Veränderungen im Verhältnis

von Erziehern und Erzieherinnen, egal ob im familiären oder schulischen

Bereich, beobachtet (vgl. Reicher 2014, S.8). Der Übergang von der

alleinigen Bestimmung der Erzieher und Erzieherinnen zur kindbezogenen

Erziehung (vgl. Sieder 1967, S.265), die auf die Wünsche und Bedürfnisse

der heranwachsenden Menschen Rücksicht nimmt, wurde forciert. Die

herkömmliche Erziehung, die geprägt war vom Unterschied zwischen

Erwachsenen und Kindern, von Wissenden und Unwissenden, machte die

Heranwachsenden zum Objekt mit dem Ziel, sie zu nicht frei denkenden

Menschen zu erziehen. Es gibt jedoch keine Eindeutigkeit im Unterschied

von Erwachsenen und Kindern und die Machtausübung, die im

Nationalsozialismus ausgeübt wurde, ist empirisch nicht mehr tragbar (vgl.

Rotthaus 2000, S.130). Eine Erziehung zum freien Denken, wie wir sie

bereits zu Zeiten Montessoris kennenlernten, wurde angestrebt. Der

Gehorsam verlor die Dominanz in Erziehungsaufgaben in den 1968er

Jahren und führte zu innovativen Erziehungskulturen (vgl. Baader/Sager

2010, S. 255-267). Nach den Jahren von Drill und Disziplin interpretierte die

Gesellschaft nach den 68er Jahren, dass heranwachsende Menschen

Fähigkeiten, wie z.B. Motivation, Lebenslust und Zielerreichung, alleine

entwickeln können. Die unmenschliche Behandlung von Kindern und

Jugendlichen, die zu Zeiten der NS - Ideologie herrschte, führte dazu, dass

Erzieher/ Erzieherinnen der Meinung waren, heranwachsende Personen

würden viel ungelenkten Freiraum benötigen. Dies hatte zur Folge, dass die

jugendlichen Personen in eine Art luftleeren Raum verwiesen wurden und

somit ohne Schutzzone aufwuchsen. Heute geht aus neurobiologischen

Studien hervor, dass es ein Irrtum ist, heranwachsende Menschen auf sich

alleine zu stellen. Es wird belegt, dass Interesse, soziale Anerkennung und

Wertschätzung, die von einem Menschen zum anderen Menschen

entgegengebracht werden, effektiv dazu beitragen, dass sich zu erziehende

Personen in ihrer Entwicklung entfalten und wachsen können (vgl. Bauer

2008, S. 18ff.). Einen hohen Stellenwert in der Erziehung des 21.

Jahrhunderts bekommt die Selbstständigkeit der heranwachsenden

Page 52: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 44

Menschen, während die geschichtlich - traditionellen Erziehungsziele wie

Unterordnung und Gehorsam an Wichtigkeit verlieren (vgl. Reicher 2014,

S. 8). Dieser Wandel spiegelt die gesellschaftliche Veränderung wie

zunehmender Wohlstand, wider. Der öffentliche Zugang der Gesellschaft

zu Bildung und ebenso der Anstieg des Bildungsniveaus sind dafür

verantwortlich, dass postmaterialistische Werte, wie Glück, Freude und

Selbstverwirklichung, an Priorität gewonnen haben. Die Erziehung zur

Mündigkeit, zum Mitwirken und zur Selbstständigkeit bedarf einer

holistischen Einbeziehung der heranwachsenden Menschen in den

Erziehungsprozess. Erzieherische Handlungen haben an Hierarchie

verloren. Stattdessen wird das Miteinander von heranwachsenden

Menschen und Erziehern/Erzieherinnen fokussiert (vgl. Reicher 2014, S. 9).

„Die Bedeutung konventioneller Normen der Einordnung, wie Disziplin, gute

Umgangsformen und Achtung, nimmt ab, Autonomiewerte nehmen zu“

(Reicher 2014, S.9). Erst zwischen 1975 und 1989 wurde die Züchtigung

von heranwachsenden Menschen durch Erwachsene verboten. Kinder

haben in der heutigen Zeit ein Recht auf Erziehung ohne Gewalt. Sie sind

berechtigt, mehr Entscheidung für die Lebensverhältnisse zu tragen.

Partizipation, Vorsorge und Schutz gelten als Voraussetzung für eine

bestmögliche Erziehung und Entwicklung (vgl. Reicher 2014 S. 9).

Verallgemeinernd spricht man heute von einer Erziehung, die stark auf die

Selbstbestimmung der heranwachsenden Menschen abzielt. Die

Beziehung von Erziehern und Erzieherinnen zu den Kindern ist heute zum

größten Teil durch positive Emotionalität geprägt (ebd., S.9).

„Erziehungsziele und -einstellungen mit Blickrichtung auf

entwicklungsförderliches und dem Kindeswohl dienliches

Erziehungsverhalten“ (Fuhrer 2007, S.273) werden in der Zeit, in der wir

heute leben, fokussiert. Personen, die in einer Erziehungsfunktion tätig sind,

stellen sich heute immer mehr die Frage, wie Kontrolle und Begrenzung für

mögliches delinquentes Verhalten heranwachsender Menschen

entgegenzusteuern ist. Wie man durch Erziehungsstile ein „Rezept“ für

Erziehung finden kann, wird im nächsten Abschnitt erläutert. Auf

entwicklungsfördernde Merkmale, um heranwachsende Personen

Page 53: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 45

bestmöglich zu fördern und auf das Leben vorzubereiten, wird abschließend

eingegangen.

8 Die Entstehung der Erziehungsstile

„Kurt Lewin (1890-1947) war ein amerikanischer Psychologe deutscher

Herkunft. Er gilt als Vater der

Sozialpsychologie, die erforscht, wie

Erleben und Verhalten durch

Mitmenschen beeinflusst wird und wie

sich der Einzelne in sozialen Bereichen

verhält. Er begründete die Feldtheorie,

nach der das Erleben und Verhalten

eines Menschen durch die Bedingungen

seines Lebensraumes (= Feldes)

bestimmt wird“ (Altenthan et al. 2008, S.

214). Der Psychologe Kurt Lewin lieferte

im Jahre 1939 mit seinen Mitarbeitern Ralph White und Ronald Lippit

erstmals neue Erkenntnisse für die Erziehungsstilforschung. Durch

experimentelle Situationen im nicht schulischen oder familiären Kreis

wurden Führungsstile abgeleitet, auf denen die heutigen Erziehungsstile

zurückzuführen sind. Kindergruppen im Alter von 10-12 Jahren trafen sich

über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten einmal wöchentlich zu

Werk- und Bastelarbeiten. Diese Freizeitgruppen setzten sich aus fünf

Mitgliedern zusammen, die im Hinblick auf Schulleistung, Alter, Intelligenz

vergleichbar zusammengestellt wurden. Jede Gruppe wurde von einer

erwachsenen Person geleitet. Die leitende Person musste während der

Bastel- und Werkarbeiten einen bestimmten Führungsstil (autoritär,

demokratisch, laissez-faire) anwenden. Sechs Wochen vergingen und die

leitenden Personen wechselten in eine andere Gruppe, wo sie einen

anderen Erziehungsstil praktizieren mussten. Am Ende der experimentellen

Situation hatte jede Kindergruppe mindestens zwei erwachsene Personen

mit unterschiedlichen Erziehungsstilen erlebt und jede leitende Person

hatte mindestens zwei Stile ausprobiert. Damit die Ergebnisse vergleichbar

Abbildung 6: Lewin aus https://changecom.wordpress.com/2012/09/04/change-know-alls-kurt-lewin/

Page 54: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 46

gemacht werden konnten, wurde für jeden Stil vor der Durchführung des

Experimentes ein genauer Plan entwickelt, nach dem die erwachsenen

Personen vorgehen mussten. Ziel der Experimente war die Erforschung der

Auswirkung der Erziehungsstile auf das Erleben und Verhalten

heranwachsender Personen. Die Ergebnisse dieses Experiments waren

eindeutig und ergaben, dass Kinder, die autoritär geleitet wurden,sich wenig

bis kaum äußerten. Es wurde zum Teil aggressives Verhalten gegenüber

Gruppenmitgliedern beobachtet, sofern dies nicht von der leitenden Person

untersagt wurde. Spontanität und Kreativität der Gruppe waren

eingeschränkt. Es wurde auf Anregung der leitenden Person gearbeitet. Die

demokratisch geleiteten Gruppen zeigten ein höheres Ausmaß an

Kreativität und Spontanität. Es zeigte sich eine entspannte Atmosphäre und

die Kinder waren ausgeglichen und zufrieden. Laissez- faire geleitete

Gruppen zeigten oft ein wenig zielstrebiges und planloses Verhalten. Da die

leitende Person keine bzw. nur lockere Regeln aufstellte, kam es vor, dass

die Leitung von einem Kind übernommen wurde. Zusammenfassend ist

festzuhalten, dass die laissez-faire geleitete Gruppe am unproduktivsten

war. Die autoritär und demokratisch geleiteten Gruppen boten ungefähr die

gleiche Leistung, allerdings ist anzumerken, dass die Qualität der

erbrachten Arbeit in den demokratisch geleiteten Gruppen höher war (vgl.

Altenthan et al. 2008 S. 214ff.).

9 Erziehungsstile

9.1 Definition Erziehungsstil

„Erziehungsstile bezeichnen die dominante Form konkreten erzieherischen

Verhaltens in der Interaktion mit Kindern. Die Wirkungen solcher

erzieherischer Verhaltensweisen in Gestalt der Reaktionen der Betroffenen

gehen als bestimmende Faktoren in die Klassifikation der Erziehungsstile

mit ein. Weniger beachtet ist bis heute der Aspekt geblieben, daß mit dem

Erziehungsstil gleichzeitig ein jeweils zeitgebundener und historisch

gewachsener Lebensstil vermittelt wird. Die diesbezüglichen Auswirkungen

Page 55: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 47

auf die heranwachsende Generation sind vor allem dann problematisch,

wenn der familiäre, schulische und staatliche Erziehungsstil

auseinanderdriften“ (Köck 1994, S. 193).

9.2 Erziehungsstilforschung

Die Entwicklung der wissenschaftlichen Untersuchungen in Bezug auf die

Erziehungsstilforschung hat in der Zeit von 1962 und 1972 steigend

zugenommen. 1970 erkennt man eine deutlich erkennbare Zunahme an

Publikationen (vgl. Lukesch 1975, S.9).

Abbildung 7: Entwicklung der Untersuchungen aus http://epub.uni-

regensburg.de/2694/1/Einleitung_Erziehungsstile.pdf

Page 56: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 48

Das Interesse über die Auswirkung von erzieherischem Handeln war im

Laufe der Zeit stetig gewachsen. Durch die veränderten

Erziehungseinstellungen auf Grund gesellschaftlichen Wandels wurden

diese Forschungen weiter vorangetrieben. Gehorsam, Fleiß und Höflichkeit

verloren an Wert, eigene Meinung, soziale Kompetenz und

Selbstständigkeit gewannen an Bedeutung und werden seit den 1968er

Jahren gefördert (vgl. Stapf et al. 1972, S. 23ff.). Nach jahrelanger

Forschung deklarierte die amerikanische Entwicklungspsychologin Diana

Baumrind in den 60er Jahren die drei typischen Erziehungsstile: autoritativ,

autoritär und premissiv (vgl. Fuhrer 2007, S.132ff.). Die Studie von Diana

Baumrind wird im folgenden Kapitel erläutert.

9.2.1 Aktueller Stand der Forschung

Nach den Jahren des Gehorsams bis hin zur Akzeptanz des Kindes als

Individuum wurde die Erziehungszielforschung von Diana Baumrind

erweitert. 1983 ergänzten Maccoby und Martin die Erziehungsstile von

Diana Baumrind, indem sie den premissiven Erziehungsstil in einen

nachgiebig erziehenden und vernachlässigenden Stil unterteilten. Baumrind

übernahm in den 90er Jahren diese Aufteilung von Maccoby und Martin

(vgl. Hoppe- Graff 2014, zit. nach Myers 2014, S. 756-757). Somit

kristallisierten sich in weiterer Folge vier nennenswerte Erziehungsstile

hervor, die bis heute ihre Gültigkeit bewahren. Von Glen Elder, Professor

für Soziologie und Psychologie an der Universität in North Carolina, gibt es

weitere Studienarbeiten, in denen er die vier Haupterziehungsstile nach

Baumrind untergliedert. Der absolut strenge autokratische, vor dem

autoritären Erziehungsstil, der partnerschaftlich egalitäre, der sich zwischen

dem autoritativen und premissiven Stil befindet und abschließend der

negierende Erziehungsstil, bei dem kein Interesse am heranwachsenden

Menschen gezeigt wird.

Die Unterteilung erfolgt in: autokratisch, autoritär, autoritativ, egalitär,

permissiv, vernachlässigend und negierend (vgl. Elder 1962, S.241-262).

Zum heutigen Standpunkt gibt es unzählige Einzelstudien der

verschiedensten Disziplinen, wie z.B. in der Erziehungswissenschaft,

Page 57: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 49

Soziologie und Erziehungspsychologie. Der Bezug zu den einzelnen

Fachbereichen fehlt jedoch, so dass keine übergreifenden Ergebnisse

vorliegen. Die Auswirkungen der Erziehungsstile sind erforscht,

zusammenhängende Ergebnisse in der Anwendung wären in Zukunft noch

ein Feld, das zur Forschung näher beleuchtet werden sollte (vgl. Cyprian/

Franger 1997, S.217-221).

9.3 Erziehungsstile nach Baumrind

Wie bereits erwähnt ist die amerikanische Psychologin Diana Baumrind auf

diesem Gebiet nennenswert. Sie untersuchte in

Langzeitstudien die Erziehungsstile von Eltern

mit Kleinkindern. Eine fordernde und eine

reagierende Reaktion der Eltern auf das

Verhalten der Kinder wurde entdeckt. In ihrer

ersten Studie 1966 wurden Eltern von drei nach

Persönlichkeitsmerkmalen und Sozialverhalten

verschiedene Gruppen von Volksschulkindern

verglichen. In der ersten Gruppe befanden sich

kompetente Kinder, die bei Beobachtungen und

Interviews hohe Werte auf den Gebieten

geistige und soziale Reife, Selbstständigkeit,

Selbstvertrauen, Freundlichkeit, Leistungsorientierung und

Entscheidungsfähigkeit erreicht hatten. Die Eltern, die diese Kinder

erzogen, übten einen autoritativen Erziehungsstil aus. Weniger

selbstbewusste, unzufriedene, introvertierte und misstrauische Kinder

bildeten die zweite Gruppe. Diese Kinder erfuhren einen autoritären

Erziehungsstil. Die Kinder mit geringem bis keinem Selbstvertrauen,

mangelnder Selbstbeherrschung und geringer Neugier kamen in die dritte

Gruppe. Gruppe drei wurde mit dem nachgiebigen (permissiven)

Erziehungsstil erzogen. Das elterliche Verhalten wurde mit verschiedenen

Methoden beurteilt. Dazu gehörten Hausbesuche, Beobachtungen in

Abbildung 8: Baumrind aus http://genocide.leadr.msu.edu/c

riticisms-diana-baumrind/

Page 58: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 50

vorstrukturierten Situationen und Interviews. Es wurden vier Aspekte des

elterlichen Verhaltens bewertet (vgl. Fuhrer 2007, S. 131f.).

• Kontrolle: Dieser Punkt beinhaltet die elterlichen Bemühungen, das kindliche Handeln zu beeinflussen sowie die Verdeutlichung, elterliche Standards zu fördern (vgl. Baumrind 1966, zit. n. Fuhrer 2007, S. 132 f.).

• Anforderungen an die Reife: Ein hohes intellektuelles, emotionales oder soziales Leistungsniveau wird vom Kind erwartet (ebd., S. 132f.).

• Klarheit der Eltern - Kind- Kommunikation: Argumente sollen dazu dienen, dass Kinder zum Gehorsam erzogen werden. Es werden jedoch die Gefühle und Meinungen der Kinder berücksichtigt (ebd., S. 132f.).

• Emotionale Zuwendung: Darunter werden Verhaltensweisen wie Liebe, Fürsorge und Mitgefühl, die Eltern durch Wärme vermitteln aber auch Lob und Freude über die Leistungen des Kindes, die durch Anteilnahme gezeigt wird, verstanden (ebd., S. 132f.).

Die Eltern von reifen und kompetenten Kindern, die sich in der Gruppe eins

befanden, hatten in allen vier Bereichen hohe Werte. Sie kristallisierten sich

im Vergleich zu anderen Eltern als warmherziger, liebevoller,

unterstützender heraus. Sie nahmen ihre Pflicht in der elterlichen Rolle

ernster als andere Eltern. Die Eltern der ersten Gruppe kannten die

Interessen und Zukunftsperspektiven sowie die Persönlichkeitsmerkmale

ihrer Kinder. Die Eltern - Kind- Kommunikation war klar und es wurden

offene Gespräche über jegliche Entscheidungsprozesse getroffen. Diese

Eltern vermittelten den Kindern ein Gefühl von Kontrolle und hielten

Konsequenzen mit dementsprechenden Begründungen ein. Sie

respektierten das kindliche Streben nach Autonomie und die Meinungen

des Kindes. Die emotionale Wärme und die konsequente Kontrolle sowie

die positive Förderung kindlicher Selbstständigkeit wird als autoritativer

Erziehungsstil bezeichnet, der im nächsten Kapitel zusammenfassend

erläutert wird (vgl. Baumrind 1966, zit. n. Fuhrer 2007, S. 133f.).

.

Page 59: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 51

Eltern von weniger selbstbewussten und introvertierten Kindern, die die

Gruppe zwei gebildet hatte, zeigten, dass die rationale Kontrolle geringer

ausgeprägt war. Diese Eltern nahmen eine gewisse Machtposition ein und

setzten Gehorsam und Ordnung mit Zwang durch. Das Verhalten der Eltern

war wenig von Wärme, Liebe, Mitgefühl und Unterstützung geprägt.

Verhandlungsgespräche über die Entscheidungen und Vorschriften wurden

nicht gerne akzeptiert. Dieser Stil wird als autoritär bezeichnet.

Eltern der am wenigsten reifen Kinder waren nachgiebig (premissiv),

warmherzig und zeigten kein Kontrollverhalten. Sie vermieden es, Macht

auszuüben und bevorzugten es, Kinder mit dem Entscheidungsprozess

alleine zu lassen. Es wurden seitens der Eltern kaum Anforderungen

gestellt (vgl. Baumrind 1966, zit. n. Fuhrer 2007, S. 134).

Als die Kinder neun Jahre alt waren, fand eine Nachfolgeuntersuchung statt.

Es wurden wie in den früheren Untersuchungen Merkmale von Eltern und

Kindern gemessen. Im Fokus stand die Kombination der beiden

Erziehungsdimensionen: Forderung/ Kontrolle und emotionale Wärme.

Daraus wurden die vier Erziehungsstile abgeleitet, die im nächsten Kapitel

noch einmal erläutert werden. Aus den Studien der Psychologin Baumrind

ging hervor, dass die positivsten Wirkungen der autoritative Erziehungsstil

hatte. Die autoritativ erzogenen Kinder wiesen in den Bereichen soziale

Kompetenz, Reaktionsbereitschaft und intellektuelle Leistungsfähigkeit die

höchsten Werte auf. Diese Kinder waren ziel- und leistungsorientierter als

Kinder aus anderen Gruppen. Töchter autoritärer Eltern, die hohe

Ansprüche mit wenig emotionaler Wärme stellten, konnten sich zwar sozial

durchsetzen, wohingegen sich bei Mädchen permissiver und

vernachlässigender Eltern ein Mangel an sozialer Kompetenz zeigte. Bei

Söhnen ablehnender Eltern zeigte sich eine verstärkte Dominanz bei

geringen Führungsqualitäten und sozialen Kompetenzen (vgl. Baumrind

1989, S. 349-378).

Page 60: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 52

9.3.1 Erziehungsforschung aus dem deutschen Sprachraum

Die autoritative Erziehung hat sich in den amerikanischen Studien als

sinnvoll erwiesen. In den letzten Jahren ist das Interesse an der Forschung

zum Thema Erziehung wieder enorm gestiegen. Nennenswert ist die Studie

von Juang und Silbereisen (1999). Das Ziel der Studie war es, die Wirkung

autoritativer Erziehung über einen Zeitraum von drei Jahren zu

untersuchen. Bei der Stichprobe handelte es sich um 283 Jugendliche aus

Deutschland. Das Alter der jugendlichen und heranwachsenden Personen

war bei der ersten Erhebungswelle im Jahr 1993 zwischen 10 und 13

Jahren. Weitere Erhebungen fanden 1994 und 1995 statt. Die

signifikantesten Ergebnisse dieser Studie waren, dass heranwachsende

Jugendliche, die eine autoritative Erziehung erfuhren, im Vergleich zu nicht

autoritativ erzogenen Menschen geringe Depressivitätswerte zeigten.

Autoritativ erzogene Menschen wiesen außerdem bessere Schulnoten auf

sowie ein höheres Ausmaß an Selbstwirksamkeit im Vergleich zu

Jugendlichen aus nicht autoritativen Erziehungshandlungen. Jugendliche

Personen, die eine nicht autoritative Erziehung genossen, berichteten,

delinquente Handlungen (z.B. die Benutzung einer Waffe, die nicht rechtens

ist) begangen zu haben. Diese Studie belegt ebenfalls, dass eine

autoritative Erziehung mit einer positiveren Entwicklung der

heranwachsenden Personen verbunden ist (vgl. Juang/ Silbereisen 1999,

zit. nach Silbereisen/ Zinnecker 1999, S.317-336).

Somit lässt sich zusammenfassen, dass Personen, die einen autoritativen

Ansatz in ihrer Erziehungshaltung wählen, Herzenswärme und Liebe mit der

Förderung des kindlichen Autonomiestrebens kombinieren. All das

geschieht innerhalb transparenter Regeln, die der Entwicklung des

heranwachsenden Menschen angepasst sind. Ein Mittelweg, wie es der

autoritative Erziehungsstil vorgibt, d.h. weder zu nachgiebig noch zu streng,

ist für die Erziehung von Kindern am förderlichsten. Autoritativ erzogene

Personen verfügen laut der Untersuchungen über das höchste Maß an

geistiger und sozialer Kompetenz im Vergleich zu anderen

Erziehungsstilen. Somit ist der weitere Lebensweg mit hoher moralischer

Page 61: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 53

Haltung, mit Hilfsbereitschaft und der Möglichkeit, beste Schulleistungen zu

erzielen, gewährt (vgl. Fuhrer 2007, S.135 ff.).

10 Kennzeichnung der Erziehungsstile

10.1 Der autoritäre Erziehungsstil

Beim autoritären Erziehungsstil

legt man in der Erziehung der

heranwachsenden Menschen

den größten Wert darauf, dass

den Anweisungen Folge geleistet

wird. Sollten Kinder den

Forderungen in ihrem Verhalten

nicht entsprechen, werden sie

„bestraft“, um so ihren Willen zu

beeinflussen.

Die Eigenständigkeit der Kinder

wird unterdrückt, indem ihre

Wünsche in der Regel nicht mit in

die Entscheidung der

Erzieher/innen einbezogen

werden (vgl. Fuhrer 2007, S.

135ff.). Ein Dialog zwischen

Erzieher/ Erzieherinnen und Kind findet nicht statt. Das Kind wird nicht als

Subjekt mit eigenen Interessen und Bedürfnissen betrachtet, sondern zum

Erziehungsobjekt herabgesetzt. Die Machtposition der Erzieher/

Erzieherinnen wird zur Umsetzung der eigenen Wünsche ausgenutzt und

nicht zugunsten des Kindes. Man würde meinen, dass solch ein

Erziehungsstil völlig überholt und nicht mehr dieser Zeit entspricht. Ziel

einer autoritären Erziehung ist es, die heranwachsenden Personen auf die

gesellschaftlichen Anforderungen vorzubereiten sowie Orientierung und

Wertevorstellungen zu vermitteln. Es wird gezielt in die Persönlichkeit der

zu erziehenden Menschen eingegriffen (vgl. Hurrelmann 2006, S.158f.).

Abbildung 9: eigene Darstellung des autoritären Erziehungsstils

Page 62: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 54

10.2 Der nachgiebige Erziehungsstil

Bei diesem Erziehungsstil sind

Erzieher/innen offen für die

Wünsche der Kinder, stellen

aber keinerlei Anforderungen

und üben nur eine geringe

Kontrolle aus. Sie möchten,

dass ihre Kinder ohne Grenzen

und frei von Zwängen

aufwachsen. Bei diesem

Erziehungsstil kommt es häufig

vor, dass die Kinder die

Erzieher/innen dominieren. Der

Stil kann auf der einen Seite aus

sehr behütendem und

liebevollem Verhalten bestehen.

Auf der anderen Seite kann es

aber vorkommen, dass sich die

Erzieher/innen gänzlich aus der Erziehungsaufgabe lösen und nur aus dem

Grund ihrem Kind enorm viel Freiheiten bieten, da sie mehr Zeit für sich

selbst wollen. Bei diesem Erziehungsstil wird außer Acht gelassen, dass

Kinder sowohl Aufmerksamkeit als auch Grenzsetzungen benötigen. Eine

Entwicklung ohne Zwänge mag zwar gut gemeint sein, aber in der

liebevollen Beziehung, in der weder emotionale Kälte noch Misstrauen

herrscht, kann ein gesetzter Rahmen mehr als nützlich sein. Regeln

können, wenn diese im Einvernehmen und mit Rücksicht auf die

Entwicklungsstufe des Kindes festgelegt werden, dem Kind Sicherheit

bieten. Es weiß, innerhalb welcher Grenzen es sich bewegen darf und dem

Kind sind die Folgen einer Überschreitung idealerweise bekannt. Eine

völlige Handlungsfreiheit bietet keinerlei Struktur und hilft dem Kind nicht,

sich später in der Gesellschaft zurechtzufinden (vgl. Fuhrer 2007, S. 135-

136). In der Erziehung ist ein Rahmen notwendig, da durch Grenzen ein

inneres System von Werten und Normen aufgebaut wird.

Abbildung 10: eigene Darstellung des nachgiebigen

Erziehungsstils

Page 63: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 55

10.3 Der vernachlässigende Erziehungsstil

Erzieher/innen fühlen sich für die Erziehung der Kinder nicht verantwortlich

oder sie nehmen den Auftrag nicht

wahr. Die Verantwortung, dem Kind

Ernährung, Pflege, Förderung und

gesundheitlichen Schutz zu bieten,

wird unterlassen.

Dieser Erziehungsstil, bei dem

drastische Probleme zu erkennen

sind, bietet einem Kind keine

Grundlage. Die Erzieher/innen als

Vorbilder für die Kinder sind mit der

Erziehungsverantwortung überfordert

(vgl. Fuhrer 2007, S. 136). Beim

vernachlässigenden Erziehungsstil

werden die Bedürfnisse der

heranwachsenden Personen von den

Erziehern und Erzieherinnen nicht berücksichtigt. Es wird keine

Erziehungsverantwortung übernommen und ein Desinteresse an der

Entwicklung der Kinder wird gelebt (vgl. Hurrelmann 2006, S. 161).

Abbildung 11: eigene Dar. des vernachlässigenden Erziehungsstils

Page 64: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 56

10.4 Der autoritative Erziehungsstil

Eine Verknüpfung von emotionaler

Wärme, konsequenter Kontrolle

und positiver Förderung kindlicher

Autonomie zeichnet den

autoritativen Erziehungsstil aus. Er

kann als eine Art Mittelweg

zwischen dem autoritären und dem

nachgiebigen Stil betrachtet

werden. Die Basis bilden sowohl

die Kommunikation zwischen

Erzieher/innen und Kindern als

auch emotionale Wärme, Fürsorge

und Sicherheit. Die Erzieher/innen

sind fordernd gegenüber ihren

Kindern und es werden klare aber

flexible Grenzen gesetzt, welche

auch konsequent eingehalten werden (vgl. Fuhrer 2007, S. 132-137).

Kindliche Bedürfnisse und die erzieherische Autorität in dosierter und

ausgeglichener Weise kommen bei diesem Erziehungsstil zum Vorschein

(vgl. Hurrelmann 2006, S. 161). Autoritativ steht für umsichtig und

zurückhaltend eingesetzte Autorität der Erzieher und Erzieherinnen (vgl.

ebd., S. 162). Ein partnerschaftliches Miteinander, Kommunikation und

Verhandlungsbereitschaft entstehen trotz klarer Regeln (ebd., S. 166ff.).

Dieser Erziehungsstil zielt darauf ab, dass heranwachsende Menschen

soziale Verantwortung und Selbstständigkeit im Leben übernehmen. „Das

magische Zieldreieck der Erziehung“ (Hurrelmann 2006, S. 164) kommt hier

in den Vordergrund und zum Einsatz. Es beinhaltet die Erziehungsaufgaben

Anerkennung, Anregung und Anleitung (ebd., S. 164).

Anerkennung beinhaltet die emotionale Akzeptanz und Zuwendung, die

einem heranwachsenden Menschen vermittelt werden sollten (ebd., S.164).

Bei der Anregung sollen positive Impulse und Rückmeldungen für eine

Weiterentwicklung des Kindes gegeben werden (ebd., S.164).

Abbildung 12: eigene Darstellung des autoritativen Erziehungsstils

Page 65: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 57

Die Anleitung, als dritter und letzter Punkt dieses Dreiecks, beinhaltet

transparente Vereinbarungen und Umgangsformen, die dem

Entwicklungsstand und der Persönlichkeit des heranwachsenden

Menschen angepasst sind (ebd., S. 165).

11 Maß der Auswirkungen von Erziehungsstilen

Ein Erziehungsstil hat eine indirekte Wirkung auf die kindliche Entwicklung,

indem er einerseits einen Einfluss auf die Erzieher/innen- Kind - Interaktion

hat und andererseits Persönlichkeitsmerkmale des Kindes beeinflusst. Er

wird durch die Erziehungsstile der Erzieher/ Erzieherinnen und deren Werte

geprägt, weil diese bereits eine gewisse Auffassung von Erziehung und

deren Ablauf haben. Der Stil alleine hat keinen allzu großen Einfluss auf die

kindliche Entwicklung. Die Ziele und Werte der Erzieher/ Erzieherinnen,

welche sich in Ihrem Verhalten gegenüber dem Kind manifestieren, als auch

die persönlichen Merkmale des Kindes haben eine außerordentliche

Wirkung auf die Entwicklung. Da der Stil zum Teil die Bereitschaft des

Kindes, sich erziehen zu lassen, beeinflusst, sollte er mit Bedacht

ausgewählt und flexibel an die sich veränderten Aspekte, die unabhängig

von einem Erziehungsstil zu betrachten sind, angepasst werden (vgl. Fuhrer

2007, S. 131-137). Im Folgenden wird erläutert, wie man

entwicklungsfördernd auf die zu Erziehenden einwirken kann. Fuhrer

betont, dass sich Erzieher/ Erzieherinnen keinesfalls auf einen speziellen

Erziehungsstil festlegen sollten. Eine „gute“ Mischung, für die es kein 100-

prozentiges Rezept gibt, ist ausschlaggebend.

Page 66: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 58

12 Merkmale eines entwicklungsfördernden

Verhaltens

Das Verhältnis zwischen Erziehern/ Erzieherinnen und Kindern ist als eine

gegenseitige Interaktion zu betrachten. Kinder haben Einfluss auf die

alltägliche Gestaltung des Lebens der Erzieher/ Erzieherinnen und führen

zu Veränderung. Sich dieser Tatsache bewusst zu werden ist eine Aufgabe,

der sich werdende Eltern sowie Erzieher/Erzieherinnen stellen müssen (vgl.

Fuhrer 2007, S. 194).

12.1 Liebe und Wertschätzung

Grundlage für eine gelingende Erziehung ist eine Umgebung, die von Liebe

und wohlwollendem Verhalten der Erziehungspersonen geprägt ist. Jedes

Kind benötigt ein anderes Maß an emotionaler Wärme, welches sich im

Laufe der Entwicklung auch ändern kann. Jedenfalls ist dies individuell zu

betrachten. In dem Buch von Tschöpfe - Scheffler „Fünf Säulen der

Erziehung. Wege zu einem entwicklungsfördernden Miteinander von

Erwachsenen und Kindern.“ wird dies als „wahrnehmende Liebe“

bezeichnet. Man gibt dem Kind weder zu viel noch zu wenig, sondern genau

das, was es gerade braucht (vgl. Tschöpe - Scheffler 2013, S. 45-46).

Abbildung 13: Die fünf Säulen der Erziehungs

aus http://www.kindertagespflege-aktuell.de/

Page 67: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 59

Liebe: Dem Kind wird genügend körperliche Wärme entgegengebracht,

damit eine warmherzige Atmosphäre entsteht. Der emotionale Aspekt kann

sich durch Körperkontakt, Lächeln, eine zugewandte Haltung, Blickkontakt

und Trost äußern. An dem Ort, wo erzogen wird und wo Menschen

miteinander in Beziehung treten, entstehen emotionale Bindungen. Im Zuge

der Reformpädagogik Anfang des 20. Jahrhunderts hat Nohl den

pädagogischen Bezug in den Mittelpunkt seiner Lehrmethode gelegt, wie

bereits zu Beginn der Arbeit in einem Zitat festgehalten wurde. Ein weiterer

Begriff, der die erste Säule prägt, ist die wahrnehmende Liebe. Der

Gegenpol zu einer blinden, vereinnahmenden und überfürsorglichen Liebe.

Der Schlüsselbegriff der wahrnehmenden Liebe geht auf den Pädagogen

Johann Heinrich Pestalozzi zurück, der im 18.

Jahrhundert lebte. Pestalozzi hat die Erziehung,

die Jean-Jacques Rousseau beschrieben hat,

weiter beleuchtet und beschrieben. Er forderte eine

denkende Liebe von der mütterlichen Rolle. Die

Liebe war das Hauptthema in Pestalozzis

Erziehung und Leben. Aufgrund dessen wird seine

Erziehung nie an Aktualität verlieren. Seine

Erkenntnis basiert darauf, dass Liebe die

Grundvoraussetzung für eine förderliche

Entwicklung ist. Heranwachsende Menschen

haben ein Gespür dafür, wenn Erzieher/

Erzieherinnen im familiären oder schulischen Raum Kindern mit „echter“

Liebe begegnen. Das heißt, den heranwachsenden Personen muss ein

liebender Mensch gegenüberstehen, damit die Liebe im Kind gebildet

werden kann (vgl. Tschöpe - Scheffler 2013, S. 47-54). Die wahrnehmende

Liebe zeichnet sich dadurch aus, dass Erziehungspersonen nicht vorschnell

in das Leben der Heranwachsenden eingreifen, sondern sorgfältig

Beobachtungen Folge leisten. Eine der herausforderndsten Aufgaben im

Erziehungsprozess ist es, die eigenen Bedürfnisse, Wünsche und

Vorstellungen von den heranwachsenden Kindern und dessen Leben

zurückzunehmen, zum Vorteil der Entwicklung der individuellen

Persönlichkeit. Sind Einfühlung und Beobachtung fixer Bestandteil der

Abbildung 14: Pestalozzi aus https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Heinrich_Pestaloz

zi

Page 68: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 60

Liebe zu den Kindern, dann nehmen Erziehungspersonen wahr, dass

heranwachsende Menschen sich gegen Einengung und Überbehütung zu

wehren wissen. Wenn Erziehungspersonen in der Lage sind eine

Zurückweisung als essentiellen Entwicklungsschritt zur Selbstständigkeit

der Kinder zu akzeptieren und bereit sind, Heranwachsende für ihre

eigenen Lebenserfahrungen loszulassen, dann steht einer förderlichen

Entwicklung nichts mehr im Wege. Durch die Reflexion der eigenen

Gefühle, kann eine besitzergreifende Liebe zu einer sehenden, sprich

wahrnehmenden Liebe werden (ebd., S. 54-60).

Achtung: Erwachsene zeigen gegenüber dem Kind Aufmerksamkeit und

akzeptieren das Anderssein des Kindes. Personen, die in einer

Erziehungsaufgabe tätig sind, akzeptieren, dass heranwachsende

Menschen anders sind als sie selbst, die kindliche Individualität wird

wertgeschätzt. Den Kindern wird zugetraut, dass sie einen eigenen Weg

gehen können und der Eigensinn der Kinder wird mit Respekt betrachtet.

Der polnische Arzt, Pädagoge, Waisenhausvater und Schriftsteller Janus

Korczak (1878-1942) hat maßgeblich zur Säule der

Achtung beigetragen. Sein Konzept der Achtung setzt

voraus, dass die eigenen Einstellungen gegenüber den

heranwachsenden Menschen grundlegend zu

überprüfen sind. Janucz Korrczak war lange als der

Mann bekannt, der 1942 zusammen mit 200

Waisenkindern den letzten Weg durch die Warschauer

Straßen antrat. Dieser Weg führte nach Treblinka in die

Gaskammer und letztendlich zum Tod. Er begleitete,

trotz Möglichkeit zu fliehen, freiwillig die

heranwachsenden Menschen in den Tod. Dieses Ende

zeigt deutlich seine achtende, begleitende und liebende Haltung gegenüber

den Kindern. Korczak postulierte, dass das herkömmliche hierarchische

Denken verlassen werden muss (Erzieher/ Erzieherin - Zögling). Erziehung

ist ein dialogisches Verhältnis (vgl. Tschöpe - Scheffler 2013, S. 60-62).

Abbildung 15: Korczak aus http://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/biography/Korczak.h

tml

Page 69: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 61

In einer Erziehung der Achtung steckt für Erziehungspersonen eine enorme

Herausforderung, da der Mensch hinter seiner Rolle als Mutter/ Vater oder

beispielsweise Lehrer/ Lehrerin gefragt ist. In einer Erziehung, die auf

Achtung basiert, schenkt die Person, die erzieht, dem heranwachsenden

Menschen die volle Aufmerksamkeit, erkennt, dass er oder sie anders ist

als sie selbst und akzeptiert die ihr unbekannten Anteile. Die Grundlage des

Erziehungsprozesses ist geprägt von hoher Wertschätzung, die dem

heranwachsenden Menschen entgegengebracht wird. Erziehungspersonen

bestärken die Kinder, eigene Wege zu gehen und lassen zu, dass sie selbst

Lösungen für das Wollen und Streben finden. Vordergründig ist der Respekt

vor dem „Eigenen - Sinn“ der heranwachsenden Menschen. Wenn

Erziehung zu einem Dialog gleichbedeutender Interaktionspartner/

Interaktionspartnerinnen werden soll, dann bedeutet das, dass man wie

Korczak den individuellen Erfahrungen der Heranwachsenden einen hohen

Wert zuschreibt. Das allweit gängige Erziehungssystem von oben nach

unten wird von Korczak durchbrochen und in ein Beziehungsgefüge gestellt.

Der heranwachsende Mensch wird nicht zum Objekt der Erziehung,

sondern als Subjekt in seiner Einzigartigkeit ernst genommen (vgl. Tschöpe

- Scheffler 2013, S.63-67).

Kooperation: Die Erwachsenen vermitteln dem Kind Verständnis und

geben ihm die Möglichkeit, sich in die Erziehung einzubringen. Das heißt,

dass in der dritten entwicklungsfördernden Dimension die Interaktion, das

wechselseitige Verstehen, Gespräche und Erklärungen mit den

heranwachsenden Menschen von großer Bedeutung sind. Es geht dabei

um ein Miteinander und um das gegenseitige Verstehen und Anhören. Die

Meinung der Kinder wird in die Entscheidungen der erwachsenen Personen

miteinbezogen. Eine respektvolle, wechselseitige Verständigung zu finden

ist Grundlage für eine förderliche Entwicklung und ermöglicht den

Erziehungspersonen den Blick in die Welt der Wirklichkeit des Kindes. Die

Struktur der Personen, die erziehen, sieht jedoch häufig die Teilung in eine

Erwachsenenwelt und eine vom Erwachsenen vorgegebene Kinderwelt. So

hängt es von den Erziehungspersonen ab, inwieweit ein heranwachsendes

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S e i t e | 62

Wesen am Leben der Erwachsenen teilhaben darf (vgl. Tschöpe - Scheffler

2013, S. 67f.).

„Wenn sich die gesellschaftliche Welt der Erwachsenen und die des Kindes

überschneiden, sind weniger methodisierte zielorientierte

Erziehungsimpulse nötig, weil sie durch vielfältige gemeinsame

„Umgangssituationen“ gemeinsame Erfahrungen ergeben und dadurch für

Kinder und Erwachsenen mehr emotionales, kognitives und soziales

Lernen möglich wird“ (Tschöpe - Scheffler 2013, S.68).

Im Mittelpinkt dieser kooperativen Säule der Erziehung stehen das

Interaktionsverhalten, Erklärungen, Gespräche und wechselseitiges

Verstehen. Akzeptanz und Respekt spielen ebenso eine wichtige Rolle wie

die emotionale Zuwendung. Der Fokus liegt hier jedoch auf dem

partnerschaftlichen Umgang miteinander (vgl. Tschöpe - Scheffler 2013, S.

68ff.).

Struktur: Eine weitere entwicklungsfördernde Säule ist die Struktur. Dem

Kind wird klargemacht, dass das Zusammenleben und Miteinander nur mit

klaren Regeln möglich ist, die allen beteiligten Personen bekannt und

einsichtig sind. Wenn die Regeln nicht beachtet werden, gehen

Konsequenzen hervor, die eingehalten werden müssen. Rituale, wie das

Vorlesen von Geschichten, Begrüßungsrituale oder ein gemeinsames

Essen geben dem Erziehungsalltag Struktur und dem heranwachsenden

Menschen Sicherheit, auf die er sich verlassen kann. Jeder Prozess der

Erziehung, auch der, in dem es um Grenzen und Verbindlichkeiten geht,

muss eine liebevolle Beziehung, emotionale Wärme und Verbundenheit von

der Person, die erzieht, voraussetzen. Man ist sich heute weitgehend

darüber einig, dass heranwachsende Menschen Strukturen, das heißt,

Grenzen und Verbindlichkeiten benötigen. Das „Wie“ ist nach wie vor

Diskussion vieler Erziehungspersonen (vgl. Tschöpe - Scheffler 2013, S.

72). Viele postulieren, dass es von Bedeutung sei, heranwachsenden

Menschen zu erklären, warum etwas von Wichtigkeit ist. Andere wiederum

meinen, in den ersten Lebensjahren Kindern ohne Erklärungen Regeln und

Page 71: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 63

Grenzen vorzugeben. So heißt es, dass die Gewöhnung an Disziplin in den

ersten Lebensjahren ausschlaggebend sei. Eine Erklärung nach dem „Wie“

könnte im Verstehen des Lernverhaltens von Säuglingen und Kleinkindern

liegen. T. Berry Brazelton und Stanly I. Greenspan haben an der George-

Washington-Universität ein Modell für die Beobachtung und Behandlung

von Säuglingen und Kindern mit Entwicklungsstörungen erstellt. Sie sind

der Meinung, dass die Struktur nach der Liebe das zweitwichtigste

Erziehungselement ist, um die Entwicklung heranwachsender Menschen zu

fördern (vgl. Tschöpe - Scheffler 2013, S. 72f.).

„Grenzen und Struktur müssen auf Zuwendung und Fürsorge aufbauen,

denn mit dem Wunsch des Kindes, den Menschen, die es liebt, Freude zu

bereiten, ist die Aufgabe, ihm die Internalisierung von Grenzen zu

ermöglichen, bereits zu 90 % gelöst. Kinder suchen die Zustimmung ihrer

Bezugspersonen aus verschiedenen Gründen: weil sie diese Menschen

lieben und von ihnen anerkennt und respektiert werden möchten oder weil

sie sich vor deren Missbildungen fürchten. Selbstverständlich sind Angst

und das Bedürfnis zu gefallen, häufig gleichzeitig im Spiel. Kinder lernen

auch, indem sie sich die Menschen ihrer Umgebung zum Vorbild nehmen.

Moral erwächst aus dem Versuch so zu werden wie ein bewunderter

Erwachsener“ (Brazelton/ Greenspan 2002, S. 247 f.).

Pestalozzi postulierte in seinen Werken, dass es für heranwachsende

Menschen wichtig ist, dass sie verstehen, warum eine Erziehungsperson

gewisse Grenzen setzt. Für ihn bedeutete es nicht, durch Grenzen Kinder

in erster Linie für ihr Verhalten zu bestrafen oder sie in eine Struktur

hineinzupressen. Heranwachsenden sollte es ermöglicht werden, Grenzen

und Regeln im sozialen Miteinander anzuerkennen, zu verstehen und sie

zu erlernen. Das kann durch Gewöhnung an Rituale, wie bereits zu Beginn

dieses Erziehungselementes erwähnt oder durch Regeln geschehen.

Ebenso dadurch, dass die heranwachsenden Personen mit der Zeit die

Einsicht für Grenzsetzungen entwickeln. Die Verhaltensvorgaben und

Strukturen werden im Laufe der Zeit des Großwerdens zu einem inneren

Wertesystem der Kinder und dies sollte in einer Atmosphäre liebender

Zugewandtheit geschehen. Der Wunsch nach Zugehörigkeit und

Page 72: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 64

Anerkennung, den Heranwachsende haben, ist immer zu berücksichtigen.

Eine liebevolle, verlässliche Erziehungsperson, die als kontinuierliche

Weltvermittlerin auftritt, um die Welt den heranwachsenden Menschen

deuten zu können, ist für Kinder, denen Erfahrungen fehlen,

ausschlaggebend, um in der Gesellschaft Orientierung zu finden,

sozusagen Wert- und Normvermittlung. Normen schreiben die erwünschten

Verhaltensweisen in einer Gesellschaft vor und somit bestimmen sie das

soziale Handeln der Persönlichkeit. Sie geben Struktur und regeln den

Umgang von Mensch zu Mensch. In der Begegnung mit anderen Menschen

und der Welt entstehen Fragen, Erfolge, Misserfolge, Staunen. Ein

heranwachsendes Wesen erfährt Liebe und Hass, Freude und Angst sowie

Trauer und es spürt und erfährt die Grenzen anderer Menschen sowie die

eigenen. Die neuen Erfahrungen, die ein junger Mensch macht, werden in

den eigenen Lebenszusammenhang eingeordnet. Es bilden sich Muster,

Typisierungen, Zugehörigkeits- und Abgrenzungsstrategien. Im Bild einer

anderen Person kann sich die eigene Persönlichkeit entwickeln (vgl.

Tschöpe - Scheffler 2013, S.73-74). Heranwachsende Menschen

entwickeln sich zu einem „definierten Ich innerhalb einer sozialen Realität“

(Erikson 1981, S. 17). Bei der sogenannten „Ich – Identität“ nach Erikson ist

es notwendig, dass heranwachsenden Menschen eine klare Regelvorgabe

und Struktur, die den Alltag ordnet, beim Aufbau dieser Identität behilflich

ist. Konkret heißt das, dass Heranwachsenden die Regeln des

Zusammenlebens einsichtig gemacht werden und diese bekannt sind. Bei

Nichteinhalten, wie bereits oben erwähnt, gibt es erwartete Konsequenzen,

die sich auf das Verhalten des Kindes beziehen und nicht auf die Person

bezogen werden und den Menschen in seiner Würde in Frage stellen.

Erziehungspersonen sind ebenso dazu angehalten, ihre Gefühle und

eigenen Grenzen durch Ich- Botschaften zu zeigen, z.B.: Mir gefällt es nicht,

wenn du mit dem Finger in der Nase bohrst und nicht, weil du mit dem

Finger in der Nase bohrst, mag ich dich nicht mehr. Falls vereinbarte Regeln

nicht Einhalt erzielen, folgen Konsequenzen. Dies bietet Kindern

Handlungssicherheit. Neben den Regeln zählen Gewohnheiten und

Alltagsrituale in der Lebensführung zu den Grenzsteinen in einer

strukturierten Erziehung. Pestalozzi postulierte, dass die geistige und

Page 73: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 65

körperliche Konzentration und Gewöhnung sowie die Stille das

Ordnungssystem von Heranwachsenden unterstützen (vgl. Tschöpe -

Scheffler 2013 S. 75). Festzuhalten ist, dass die Grenzen und Regeln nicht

als Verbote im negativen Sinn zu betrachten sind, sondern sie sind ein

Leitfaden, um Orientierung für eine förderliche Entwicklung zu ermöglichen.

Sind Grenzen und Regeln sowie Strafen den Heranwachsenden

nachvollziehbar und haben sie mit dem Verhalten des Kindes und nicht mit

der Person zu tun, dann tritt eher eine Veränderung aus Einsicht ein, als

wenn aus Angst gehandelt und Druck auf das Kind ausgeübt wird. Eine

kontinuierliche Struktur, die von Erziehungspersonen vorgelebt wird, ist für

die Entwicklung von jungen Menschen von enormer Wichtigkeit, um ein

selbstregulierendes Leben führen zu können (vgl. Tschöpe - Scheffler 2012,

S.76ff.).

Förderung: Die fünfte Säule ist die allseitige Förderung, damit

heranwachsende Personen sich und ihre Umwelt verstehen lernen.

Erziehungspersonen bieten eine stimulierende Umwelt. Kinder werden mit

der Natur, Religion, Technik usw. vertraut gemacht. Erwachsene Personen

stehen bei Fragen zur Verfügung und ermöglichen dem heranwachsenden

Menschen verbale, motorische, intellektuelle und sinnliche Erfahrungen, die

für die Entwicklung ausschlaggebend sind. Die Fähigkeiten und Interessen

des Kindes werden gefördert und es wird für eine Umgebung mit

Anregungen und Bildung gesorgt (vgl. Tschöpe- Scheffler 2013, S. 78ff.).

Ein heranwachsender Mensch ist zunächst fremd in der Welt. Die Aufgabe

der Erziehungspersonen ist es, dem Individuum eine an Anregung reiche

Umgebung zu bieten, das heißt, das Kind lernt die Natur, Religion, Technik

usw. kennen. Das Neugierverhalten von Kindern wird unterstützt und auf

Fragen der Kinder antwortet die Person, die erzieht. Somit wird den

Heranwachsenden die intellektuelle, sinnliche und sprachliche Erfahrung

ermöglicht. Was nun sollen Erziehungspersonen heranwachsenden

Menschen vermitteln? Die Autorin Donata Elschenbroich lieferte zwischen

1996 und1999 Antworten, indem sie Menschen aller Schichten, jeden Alters

und unabhängig vom Bildungsstand diese Frage stellte (vgl. Tschöpe-

Page 74: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 66

Scheffler 2013, S.79). So stellte sich heraus, dass die eigene Anwesenheit

von Erziehungspersonen als positiver Beitrag im Entwicklungsprozess von

jungen Menschen angesehen wird. Kinder sollen einem Erwachsenen eine

ungerechte Strafe verziehen, in einer anderen Familie übernachtet und

einen Schneemann gebaut haben. Das sind nur einige Erfahrungen, die laut

dieser Umfrage heranwachsende Menschen im Alter von sieben Jahren

erlebt haben sollen (ebd., S. 79ff.).

„Wissen, das sind ebenso Erinnerungsspuren des Kindes, Routinen,

Zweifel, offenen Fragen, intelligentes Raten. Auch entscheiden können:

Das interessiert mich jetzt nicht. Wissen heißt nicht über etwas viel zu

reden, sondern etwas tun können“ (Elschenbroich 2001, S. 30ff.).

Die Autorin beschreibt in ihrem Buch heranwachsende Menschen als

Lebens – Experten/ innen. Sie sind Sammler/ Sammlerinnen, Forscher/

Forscherinnen und Erfinder/ Erfinderinnen. Kinder sollen in ihren Kräften

unterstützt werden, damit sie zu ihren eigenen Lehrpersonen werden

können. Erwachsene sind dafür verantwortlich, den Heranwachsenden

Erfahrungen zu ermöglichen, sie ihnen näher zu bringen und die Augen

offen zu halten, wo sie nötige Möglichkeiten des Lernens verhindern. Die

fünf Säulen, die zur Entwicklungsförderung der heranwachsenden

Personen dienen, befinden sich auf einer Basis, in der die Kinder als

Subjekt gesehen werden. Erziehungspersonen bejahen die Rolle und die

damit verbundenen Veränderungen und akzeptieren diese. Dadurch

entsteht Liebe, Achtung, Kooperation, Struktur und eine allseitige

Förderung, die ständig wächst (vgl. Tschöpe - Scheffler 2013, S. 84).

Page 75: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 67

12.2 Qualität statt Quantität

Es ist kein Geheimnis, dass Kinder viel Aufmerksamkeit benötigen. Das

häufigste Problem bei der Erziehung von Kindern ist der Zeitmangel der

Erzieher/ Erzieherinnen. Materielle Dinge als Versuch der Kompensation

von Abwesenheit werden genutzt. Kinder können auf Materielles

verzichten, jedoch niemals auf soziale und emotionale Aspekte. Arbeit zur

Finanzierung des Lebensunterhaltes ist jedoch erforderlich. Ist aus diesem

Grund zu wenig Zeit vorhanden, sollte die Zeit, die bleibt, sinnvoll genutzt

werden. Hierbei sollte dem Kind ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt

werden (vgl. Fuhrer 2007, S. 139-145).

12.3 Grenzsetzung und Konsequenzen bei Überschreitung

Grenzen sind notwendig und sinnvoll, soweit sie auf einer liebevollen und

fürsorglichen Beziehung aufbauen. Sie sind allerdings von der autoritären

Erziehung abzugrenzen, bei der den Kindern keinerlei Spielraum bzw.

Freiraum geboten wird. Die Aufstellung von Regeln nützen Kinder im

Idealfall, um Orientierung zu finden. So lernen Kinder, innerhalb welcher

Grenzen sie sich bewegen können und welche Werte und Normen sie zu

berücksichtigen haben. Grenzen sollten flexibel sein, das heißt, je nach

Altersstufe des Kindes sind sie zu verändern. Ausschlaggebend ist die

Konsequenz. Grenzen werden im Sinne des Kindes gesetzt. Sie sollten für

das Kind logisch und nachvollziehbar sein. Dies gilt auch bei einer

Grenzüberschreitung. Hier ist es ebenfalls wichtig, dass eine Konsequenz

folgt, welche für das Kind absehbar ist. Sie sollte angemessen sein sowie

im zeitlichen Rahmen und im Sinnzusammenhang mit der überschrittenen

Regel stehen. Wichtig ist aber, dass eine Reaktion folgt, da ansonsten die

Glaubwürdigkeit der Erzieher/Erzieherinnen in Frage gestellt wird. Kinder

lernen auf diese Art und Weise auch Verantwortung für ihr Handeln zu

tragen. Da Erzieher/Erzieherinnen und Eltern für Kinder ein Vorbild

darstellen, sollten sie selbst in der Lage sein, sich an aufgestellte Regeln zu

halten (vgl. Fuhrer 2007, S. 144- 149).

Page 76: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 68

12.4 Fördernde Entwicklungsangebote

Ein Kind lernt die Welt zunächst nur durch die Angebote kennen, die ihm

ein erwachsener Mensch ermöglicht. Es ist somit die Aufgabe der Eltern

und Erzieher/ Erzieherinnen, es möglichst umfassend aber nicht

überfordernd zu fördern. Kinder sollten selbst entscheiden dürfen und

sollten nicht in eine bestimmte Richtung gedrängt werden (vgl. Fuhrer 2007,

S. 153- 156). Nach Maria Montessori strebt jedes Kind nach

Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Montessoris Grundsatz zielt darauf

ab, dem Kind möglichst eigenständiges Handeln zu gewähren und ihm

lediglich mit Hilfestellungen beiseitezustehen. Dadurch werden die

Selbstregulation sowie die Selbstwirksamkeit des Kindes gefördert (vgl.

Hörburger 1967, S. 159).

12.4.1 Bedeutung von Vorbildern

Der Psychologe Albert Bandura sorgte in den 60er Jahren für großes

Aufsehen, als er behauptete,

heranwachsende Menschen bzw. die

Menschen allgemein lernen am meisten

davon, wenn sie andere Menschen erleben

oder beobachten.

Für die Verhaltenspsychologie war es jedoch

eine interessante Entdeckung, da man

glaubte, das menschliche Verhalten entstehe

durch gelernte Reaktionen auf Bestrafungs-

und Belohnungsreize. Banduras Theorie ist

inzwischen durch psychologische Studien gut

fundiert und wurde neurobiologisch bestätigt.

Handlungen, Gefühle, Empfindungen und Stimmungen, alles was eine

erziehende Person von sich gibt, wird von heranwachsenden Menschen

beobachtet. Dazu kommt, dass das Verhalten der Erwachsenen stimuliert

und so auf eine gewisse Art und Weise von heranwachsenden Personen

nachgespielt wird (vgl. Bauer 2008, S. 26f.). Kinder ahmen gerne die Rolle

der Mutter und des Vaters sowie von Lehrern und Lehrerinnen nach. In

Abbildung 16: Bandura aus https://prezi.com/ychnfrskjh6m/albert-banduras-social-learning-

theory/

Page 77: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 69

ihrem Spielverhalten lässt sich beobachten, dass diese Rollen verkörpert

werden. Was man heranwachsenden Menschen zeigt, wird im Gehirn des

beobachteten Kindes gleichsam wie in einem Spiegel nachgeahmt. Es sind

die Nervenzellen, die darauf ausgerichtet sind, das System der

Spiegelneuronen zu bilden. Diese Spiegelnervenzellen sind dafür

verantwortlich, dass das, was Menschen sehen oder miterleben, in eine Art

„Mit - Tun“ übersetzt wird. Diese Nervenzellen bilden im Gehirn der

beobachtenden Menschen neben den Handlungen auch Gefühle und

Empfindungen nach. Daraus entwickeln sich die Gesamteindrücke, die z.B.

ein heranwachsender Mensch von einer zu erziehenden Person gewinnt,

inklusive der emotionalen Einstellungen, Handlungsstrategien und

Motivationen. Erziehende Personen, egal ob im familiären oder im

schulischen Bereich, sollten sich daher im Klaren sein, dass sie im Kopf der

heranwachsenden Personen Bilder hinterlassen und dass diese visuellen

Darstellungen Kinder verändern bzw. zu einem Teil von ihnen werden

können und somit maßgeblich zu einer förderlichen Entwicklung beitragen

(vgl. Bauer 2008, S.27f.).

„Modell-Lernen liegt vor, wenn ein Individuum als Folge der Beobachtung

des Verhaltens anderer Individuen sowie der darauf folgenden

Konsequenzen sich neue Verhaltensweisen aneignet oder schon

bestehende Verhaltensmuster weitgehend verändert“. (Vogl 1974, S. 85,

zit. n. Edelmann 2000, S. 191).

Heranwachsende Menschen werden dabei zu Beobachtern, die sich

Verhaltensweisen aneignen, die sie bei einer anderen Person sehen. Die

beobachtete Person wird dabei Modell genannt und diese hat Wirkung auf

den/die Beobachter/in. Als Ergebnis dieses Prozesses zeigt der/die

Beobachter/in neues oder geändertes Verhalten. An der Art und Weise, wie

heranwachsende Menschen von Erziehern/Erzieherinnen ihren

wahrgenommen werden, erkennen sie nicht nur, wer sie selbst sind,

sondern wer sie sein könnten, das heißt, worin die Potenziale und

Entwicklungsmöglichkeiten bestehen. Heranwachsende Menschen leben

Page 78: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 70

sich sozusagen in die Vorstellungen und Visionen der erziehenden

Personen hinein. Voraussetzung dafür ist, dass erziehende Personen einen

Zukunftskorridor haben und diesen vermitteln und vorleben. Zu erziehende

Personen verwerten sowohl unmittelbare Vorbilder der erziehenden

Personen, als auch die Spiegelung ihres eigenen Bildes, das sie von der

Erziehungs- oder Bezugsperson erhalten, um so Stück für Stück ein Selbst

zu entwickeln. Das ist der Mittelpunkt, worum es in Erziehung geht, der

Grund, warum Beziehungen zu Erwachsenen für heranwachsende

Menschen eine entscheidende Rolle spielen. Beziehungen, die erziehende

Personen als „Vorbilder“ mit heranwachsenden Menschen gestalten, tragen

maßgeblich dazu bei, was aus Kindern und Jugendlichen wird. Zur

grundlegendsten Voraussetzung gehört es, dass Personen, die in einer

Erziehungsaufgabe tätig sind, für den jungen Menschen da sind. Sie

müssen sich als Menschen mit Eigenschaften zeigen. Dies gelingt, wenn

erwachsene Personen vital auftreten, das Leben und sich selbst lieben,

Bescheid darüber wissen, wie man Lösungen für Probleme sucht, sich für

Ziele begeistern und für Lebensstile und Werte eintreten, die sie für richtig

halten. Das heißt, authentisch bleiben und eigene Schwächen nicht

verleugnen. Personen, die die Bandbreite dieser Eigenschaften aufweisen,

dürfen menschliche Fehler haben. Viel wichtiger ist es, dass sie über das

System der Spiegelneuronen einen Resonanzraum erzeugen, der bei

heranwachsenden Menschen eine Flamme der Begeisterung entzündet.

Heranwachsende Menschen erkennen, wie sie sich in der Wahrnehmung

von Erziehungspersonen spiegeln und spüren, was ihnen eine erwachsene

Person rückmeldet (vgl. Bauer 2008, S.28ff.).

Page 79: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 71

Vom Erleben bis zum Ausführen eines Verhaltens durchläuft der

heranwachsende Mensch Verarbeitungsprozesse.

Diese Prozesse werden in die Aneignungsphase und in die

Ausführungsphase unterteilt. In der ersten Phase geschieht zuerst der

Aufmerksamkeitsprozess und danach setzt der Gedächtnisprozess ein. Der

heranwachsende Mensch muss dem Modell eine gewisse Aufmerksamkeit

zukommen lassen. Damit ein Modell als solches angenommen wird, muss

es bestimmte Charakteristika haben, die es in den Augen des Beobachters/

der Beobachterin als solches geeignet erscheinen lässt, Fähigkeiten, wie

z.B. Mut, eigene Fehler einzugestehen. Ein beobachtetes Verhalten kann

erst nach einer gewissen Zeit offen gezeigt werden. Inzwischen muss es so

im Gedächtnis gespeichert werden, dass es bei Bedarf schnell und

problemlos abgerufen werden kann. Dabei kann es als konkretes Bild der

Situation oder verbal abgespeichert werden (vgl. Edelmann 2000, S. 191).

Die so genannte Ausführungsphase wird wiederum in den motorischen

Reproduktionsprozess und in den Verstärkungs - und Motivationsprozess

unterteilt. Das Verhalten wird konkret wiedergegeben und durch die

spezifische kognitive Organisation des Beobachters/ der Beobachterin

gesteuert. Ein Verhalten wird aber nur dann zur Ausführung durch die

beobachtende Person gelangen, wenn es für ihn/ sie sinnvoll erscheint. Die

Ausführung ist also abhängig von den Erwartungen des Beobachters/ der

Beobachterin, die dieser Mensch an das Verhalten knüpft (ebd., S. 191).

Abbildung 17: Vorgang des Modell - Lernens aus: http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/LERNEN/Modelllernen.shtml

Page 80: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 72

Bandura bezeichnet dies so: „Ein Individuum mag zwar die Fähigkeit

erwerben und behalten, ein modelliertes Verhalten auszuführen, wird das

Erlernte aber nur schwerlich offen ausführen, wenn Sanktionen drohen oder

die Umstände keinen Ansporn bieten“ (Bandura 1976, S. 29).

Der Einfluss des äußeren Ansporns auf das Beobachtungslernen konnte

deutlich gezeigt werden, wobei einmal mehr Lob stärker als Bestrafung

wirkte. Auch Selbstansporn und -evaluation haben großen motivationalen

und entwicklungsfördernden Einfluss (vgl. Edelmann 2000, S 191).

12.4.2 Motivation als entwicklungsfördernde Maßnahme

„Für Psychologen ist Motivation ein Bedürfnis oder ein Verlangen, das

Verhalten auslöst und es in eine bestimmte Richtung lenkt. Motivation ist –

wie Intelligenz – ein hypothetisches Konstrukt. Wir schließen vom

beobachtbaren Verhalten auf die dahinter liegende Motivation.“ (Myers

2005, S. 496). Es gibt vier Merkmale, die Motivation kennzeichnen, nämlich

Aktivierung, Richtung, Intensität und Ausdauer. Man aktiviert ein

bestimmtes Verhalten, um ein Ziel zu erreichen. Dies macht man so lange,

bis das Ziel erreicht wurde, oder ein anderes Motiv wichtiger wird. Wie jeder

von uns weiß, ist ein bestimmtes Verhalten einmal mehr, einmal weniger

stark ausgeprägt und weist unterschiedliche Beständigkeit auf (vgl.

Edelmann 1996, S. 353ff.). Psychologisch gesehen beeinflussen drei

Theorien den Umgang mit dem Begriff Motivation: „die Instinkttheorie (heute

durch die evolutionäre Perspektive ersetzt), die Triebtheorie (die die

Interaktion von inneren Trieben und äußeren Zwängen betont) und die

Erregungstheorie (die von einem Drang nach einem optimalen

Stimulationsgrad ausgeht)“ (Myers 2005, S. 496).

Die richtige Motivation ist eine unentbehrliche Voraussetzung für eine

gesunde Entwicklung.

„Es ist keine menschliche Aktivität denkbar, ohne dass in irgendeiner

Weise eine Motivation dabei beteiligt wäre.“ (Edelmann 2000, S. 258).

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S e i t e | 73

Kreativität, Motivation und ein kooperatives Miteinander klingen sehr

vielversprechend und all dies möchte man den heranwachsenden

Personen auf dem Lebensweg mitgeben (vgl. Bauer 2008, S.9).

„Lebenslust, Motivation und die Bereitschaft, sich für ein Ziel anzustrengen,

entstehen in einem Menschen nicht von selbst“ (Bauer 2008, S.18).

Der Mensch, der als ein biologisches System zu betrachten ist, ist nicht wie

ein Computer durch seine Gene programmiert. Gene empfangen Signale

und dienen als Kommunikatoren und Kooperatoren (vgl. Bauer 2008, S.19).

„Was Gene leisten, lässt sich nur im Zusammenhang mit der Umwelt

erfassen, in der sie - als Teil des Organismus - tätig sind und auf die sie

reagieren. Umwelten wiederum erschließen sich in ihrer Bedeutung nur,

wenn wir sie vor dem Hintergrund der biologischen und psychischen

Reaktionen beschreiben und verstehen, die sie in lebenden Systemen

auslösen“ (Bauer 2008, S.19-20).

Legt man diese Erkenntnis auf heranwachsende Menschen um, so wird

aufgezeigt, dass man Kinder nur dann fördern und verstehen kann, wenn

man sie im Kontext ihrer Lebenssituation und der biologisch,

psychologischen Reize sieht. Wie bereits erwähnt kommt die Motivation

nicht von alleine. Die Erforschung der neurobiologischen Areale, die für

Energie, Motivation, Lebenswillen und Lust an Leistung verantwortlich sind,

liegt erst ein paar Jahre zurück. Durch die Entdeckung der

neurobiologischen Motivationssysteme kam man drei Botenstoffen auf die

Spur. Diese drei Botenstoffe, die als „Mischung“ zu betrachten sind, werden

dem Körper vom Gehirn zugeführt. Zu den drei Botenstoffen zählen:

• Dopamin: Bewirkt, dass ein Mensch Lust hat, etwas zu tun und bereit

ist, Anstrengung und Leistung zu erbringen.

• Opioide: Diese körpereigenen Opioide sorgen dafür, dass sich

Menschen seelisch gut und wohl fühlen.

• Oxytozin: Ein Botenstoff, der uns bestimmten Menschen besonders

verbunden fühlen lässt (vgl. Bauer 2008, S. 20-21).

„Gemeinsam bilden die Leistungsdroge Dopamin, die Wohlfühldrogen aus

der Gruppe der Opioide und das Freundschaftshormon Oxytozin ein

geradezu geniales Trio“ (Bauer 2008 S. 21). Heranwachsende Menschen,

die mit einem solchen „Cocktail“ versorgt werden, sind in der Lage,

Page 82: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 74

gemeinsam mit anderen Personen etwas auf die Beine zu stellen, haben

Lust auf das Leben und wollen den Erfolg der erledigten Handlungen

genießen (ebd., S. 22). Was aber muss auf zwischenmenschlicher Ebene

ausgelöst werden, damit diese Botenstoffe vom Gehirn in den Körper

gelangen? Damit die Motivationssysteme im Körper heranwachsender

Personen in Schwung kommen, benötigt es soziale Interaktion und

Anerkennung sowie ein hohes Maß an Wertschätzung, die verbal oder

nonverbal einem Individuum zum Ausdruck gebracht werden können. Das

Gehirn verwandelt seelische Eindrücke in biologische Signale. Studien

belegten, dass soziale Isolation und Ausgrenzung Gene im Bereich der

Motivationssysteme außer Betrieb setzen. Anders herum betrachtet hat die

Aussicht auf Wertschätzung und Anerkennung die Inbetriebnahme der

Motivationssysteme zur Folge. So ist es ausschlaggebend, dass Personen,

die in einer Erziehungsaufgabe tätig sind, heranwachsenden Menschen das

authentische Gefühl vermitteln, anerkannt zu werden. Das Interesse an den

zu erziehenden Personen ist offensichtlich zu zeigen. Dort, wo sich

Erzieher/ Erzieherinnen für heranwachsende Menschen persönlich

interessieren, wird Kindern das Gefühl vermittelt, dass das Leben einen

Sinn verfolgt und es sich deshalb lohnt, sich für Ziele anzustrengen.

Heranwachsende Personen haben ein biologisches Grundbedürfnis,

Anerkennung zu erlangen. Ohne dies können sie nicht nur keine Motivation

erlangen, sondern sich ganzheitlich nicht gesund entwickeln. Um die

neurobiologischen Prozesse anzukurbeln und Motivation aufzubauen,

brauchen heranwachsende Menschen verbindliche Beziehungen. Dies

bedeutet nicht, dass man Kinder unter eine Glashaube setzen oder in Watte

packen soll. Da Kinder Anerkennung suchen, ist es von enormer

Wichtigkeit, ihnen Informationen und Auskunft darüber zu geben, was

Erzieher/ Erzieherinnen von ihnen erwarten. Erwachsene sollen bei der

Erziehung nicht auf das Wert legen, was für sie der einfachste und

bequemste Weg ist, sondern das in heranwachsenden Menschen fördern,

was das Leben von ihnen verlangen wird (vgl. Bauer 2008, S.22f.).

Page 83: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 75

Dazu zählen:

• Begeisterungsfähigkeit

• Pfiffigkeit

• Kreativität

• Hilfsbereitschaft

• kritisches Denken

• Fairness

• Sportlichkeit

• Unbestechlichkeit

• Fleiß

• Durchhaltevermögen

• Konfliktbereitschaft

• Empathie (vgl. Bauer 2008, S. 23).

Bereits Sokrates, wie zu Beginn dieser Recherche erwähnt, definierte vier

Grundtugenden wie die Tapferkeit, Wissen, Gerechtigkeit und Mäßigung

(vgl. Bauer 2008, S.22f.). Priorität ist es demzufolge, heranwachsenden

Menschen Aufmerksamkeit, Anerkennung und Wertschätzung zu

vermitteln. Wird dies außer Acht gelassen, suchen sich Kinder und

jugendliche Personen Ersatzreize, die in der Lage sind, die

Motivationssysteme des Gehirns zu täuschen, um doch an die Botenstoffe

heranzukommen, die eine lebensnotwendige Bedeutung haben (vgl. Bauer

2008, S. 23f.).

12.4.3 Das Neugierverhalten

Die Neugier ist ein eigenständiges Konzept der Motivationspsychologie und

ist ein Aspekt der intrinsischen Motivation. Intrinsisch bezeichnet man die

Motivation, die von innen herauskommt. Man hat den Wunsch oder die

Absicht etwas Bestimmtes zu machen, man führt eine Handlung durch, weil

man es selbst will. Dies genügt als Belohnung (z.B. Spaß). Die Intrinsische

Motivation setzt sich zusammen aus der Neugier, dem Anreiz und den

Erfolgserwartungen. Gegenpool zu der intrinsischen Motivation ist die

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S e i t e | 76

extrinsische Motivation, die so zu beschreiben ist: Man tut etwas, damit man

positive Folgen (z.B. gute Noten, Lob) herbeiführt und negative

Konsequenzen vermeidet (schlechte Noten, Strafen). Als Neugier

bezeichnet man in der Literatur eine kurzzeitige Zuwendung zu einem

Gegenstand oder einer Situation. Neben Hunger, Durst und dem Verlangen

nach Schlaf ist die Neugier ein Grundbedürfnis für alle Menschen (vgl.

Edelmann 1996, S. 361ff.).

„Die Suche nach Neuem stellt einen unumstrittenen Prädikator der

Kreativität dar.“ (Rost 2001, S 497).

Die Neugier löst beim Menschen vier verschiedene Verhaltensmuster aus:

• Perzeptive Zuwendung: Dabei spricht man von einer sinnlichen

Aufmerksamkeit durch ungewöhnliches Reizmaterial. Man beobachtet

oder hört etwas. Die Sinnesorgane werden auf einen neuen Reiz

gerichtet.

• Lokomotion: Man geht auf etwas zu oder kommt sich räumlich näher.

Ein Beispiel dafür wären z.B. Ratten in einem neuen Labyrinth.

• Manipulation: Man nimmt eine Veränderung durch komplexe

Gegenstände vor.

• Fragen: Moderne Entwicklungstheorien sehen in der Neugier eine

wichtige Antriebskraft für die Eigentätigkeit des Kindes in seiner

Auseinandersetzung mit der Umwelt. Obwohl man davon ausgeht, dass

das Neugiermotiv angeboren ist, muss das Kind die notwendigen

Verhaltensweisen (z.B. Inspizieren, Betasten, Manipulieren,

Fragenstellen) im Laufe seiner Entwicklung erst lernen (vgl. Schmalt/

Langens 2009, S. 161ff.).

„In einer Situation, die Unbekanntes enthält, fühlt man sich einerseits zum

Neuen hingezogen, um es untersuchen zu können. Andererseits entstehen

aber auch Fluchttendenzen, weil sich das Unbekannte als gefährlich,

vielleicht sogar als lebensbedrohlich erweisen kann. Furcht ist der Gegner

des Neugierverhaltens.“ (White 1959, o.S., zit. nach Mietzel 2000, S.351).

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S e i t e | 77

Dies zeigt jedoch heranwachsenden Menschen auf eine eigene Art und

Weise, wann sie an ihre Grenzen stoßen. Die Neugier ist es auch, die den

Menschen dazu bringt, neue Dinge in Angriff zu nehmen. Neugierverhalten,

das für die Entwicklung junger Menschen essentiell wichtig ist, kann in der

freien Natur gefördert werden, was in dieser Arbeit noch erläutert wird.

Für Kinder ist es wichtig, sich mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Dies

machen sie meist auch selbsttätig. Wichtig dafür ist aber eine anregende

Umwelt.

„Die Neugier der Menschen wird geweckt, wenn er etwas erfährt, was er

nicht erwartet hat, was ihn folglich verblüfft.“ (Mietzel 2000, S. 354).

12.4.4 Interaktion im erzieherischen Alltag

Jede gemeinschaftliche Aktion im Erziehungsprozess drückt sich durch die

Art und Weise aus, in der Erziehungspersonen und heranwachsende

Menschen miteinander kommunizieren. Nach Friedemann Schulz von Thun

gibt es für jede Botschaft vier Aspekte (vgl. Schulz von Thun 2001, S. 25).

• Die Beziehungsebene, die ausdrückt, wie man zueinander steht

(ebd., S. 27).

• Die Sachebene, die darüber Auskunft gibt, welche Information eine

Person weiterleitet (ebd., S. 26).

• Der Appell, der eine Person auffordert, etwas zu tun (ebd., S. 29f.).

• Die Selbstoffenbarungsebene, die darüber informiert, was eine

Person, z.B. als Erziehungsperson, über sich preisgibt (ebd., S. 26f.).

Eine Aussage enthält somit mehrere Botschaften, die dem Sender,

im Erziehungsprozess also dem heranwachsenden Menschen,

oftmals nicht bekannt sind und erst interpretiert werden müssen. Die

Kommunikation kann ausdrücklich formulierte (explizite) oder

unausgesprochene (inplizite) Nachrichten enthalten. Ausdrücklich

wird meist auf der Appellebene formuliert, z.B. „du sollst“. Die

anderen Aspekte geschehen nicht ausdrücklich, also eher

Page 86: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 78

unbewusst, „zwischen den Zeilen“. Nach Schulz von Thun wird

Erziehung besonders durch die nichtausdrücklichen Aspekte

(inplizite) Nachrichten geprägt. Mimik, Gestik, Tonfall, Lautsprache,

also die gesamte Körpersprache, was wie gesagt oder nicht

verbalisiert wird, spielen für die Erziehung eine ausschlaggebende

Rolle. Ohne dass etwas nicht ausdrücklich formuliert wird, können

Kinder erfassen, wozu Erziehungspersonen sie auffordern, wie ihnen

zumute ist (Selbstkundgabe) oder was sie von ihnen halten

(Beziehungsebene). Diese Beziehungsebene trägt zur Stärkung des

Selbstwertgefühls bei. Kinder nehmen durch die Ebene der

Beziehung in der Kommunikation wahr, was Erzieher/Erzieherinnen

von ihnen halten. Durch die Art und Weise, wie zu Erziehende von

Erziehungspersonen behandelt werden, verbal oder nonverbal, wird

vermittelt, wie erwachsene Personen zu ihnen stehen (vgl. Schulz

von Thun 2001, S. 25-41). Erzieher/Erzieherinnen, die den

heranwachsenden Menschen Zuneigung, emotionale Wärme und

Achtung zeigen, klare Strukturen und Grenzen vorgeben sowie die

Mitbestimmung und Partizipation im Erziehungsprozess zulassen,

geben dem heranwachsenden Wesen das Gefühl von

Selbstwirksamkeit. Dadurch wird die Entwicklung von

Selbstständigkeit und Selbstregulation gefördert. Personen, die in

einer Erziehungsaufgabe, egal ob im schulischen oder familiären

Bereich, wirksam sind und dies den Heranwachsenden ermöglichen,

können davon ausgehen, dass sich die Kinder zu selbstsicheren,

autonomen, emotional stabilen, lebensfrohen, sozial kompetenten

und leistungsbereiten Persönlichkeiten entwickeln. Personen, die

sich physisch, psychisch und sozial wohl fühlen, greifen am

wenigsten zu Suchtmitteln, besitzen Kommunikations- und

Konfliktfähigkeit und die Fähigkeit, mit Gefühlen umzugehen. Sie

können kritisch Denken sowie Entscheidungen und Handlungen

treffen, zeigen Selbstbewusstsein und reflektieren sich selbst. Diese

Fähigkeiten basieren auf sozialen Beziehungen, die durch eigene

Erfahrungen erlernt werden. Einige dieser Fähigkeiten sind in einem

Menschen angelegt, müssen jedoch weiterentwickelt werden oder

Page 87: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 79

bedürfen der Unterstützung durch die Erziehungsperson. Damit dies

gelingen kann, ist nicht der Austausch von Informationen vorrangig,

sondern die Erprobung, durch die heranwachsende Menschen selbst

zu den Akteuren der Lern- und Erfahrungsprozesse werden, z.B.

einen Lebensraum erkunden, wie ihn die Natur bietet (vgl. Tschöpe-

Scheffler 2013, S. 34ff.).

12.4.5 Gemeinsame Esskultur

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass gemeinsame Mahlzeiten, die

heranwachsende Menschen mit Erziehern/ Erzieherinnen bzw.

Bezugspersonen, die mit einer Erziehungsaufgabe betraut sind,

einnehmen, sich positiv auf den Entwicklungsprozess auswirken. Eines der

ältesten Rituale, die die Menschheit seit jeher auslebt, ist das Essen in einer

Gruppe. Beim Essen geht es nicht nur darum, das Hungerbedürfnis zu

stillen. An einem Ort, wo man es sich im Kreise lieber und vertrauter

Menschen schmecken lässt, kommen wichtige Eigenschaften zum

Vorschein, die ein Individuum zu dem Individuum machen, was es ist.

Dazu zählen:

• Freude an Geselligkeit

• Sehen und Gesehenwerden

• wechselseitige Anteilnahme

• miteinander Teilen

• miteinander Sprechen

• Erleben von Zusammenhalt (vgl. Bauer 2008, S.101f.).

In der Studie von Marla Eisenberg und ihren Kollegen/ innen „Correlation

between familiy meals and psychosocial well-being among adolescents“ (zu

Deutsch: Zusammenhänge zwischen Familienessen und psychosozialen

Wohlbefinden unter Jugendlichen) wurde belegt, dass heranwachsende

Menschen, die mindestens siebenmal in der Woche mit Bezugspersonen

essen, ein signifikant besseres Allgemeinbefinden, niedrigeres

Drogenrisiko und bessere Schulnoten aufwiesen als Jugendliche, die nur

zweimal oder seltener gemeinsame Mahlzeiten einnahmen.

Page 88: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 80

Die Daten stammten aus einer schulischen Umfrage von 1998 bis 1999

unter 4746 Jugendlichen aus Gemeinden des Großstadtgebietes

Minneapolis/St. Paul, Minnesota, die ethnisch und sozialökonomische

Unterschiede aufwiesen. Aus der Studie geht hervor, dass sich Eltern

bemühen sollten, mit ihren Kindern gemeinsame Mahlzeiten einzunehmen.

Dabei sollte auf jegliche Medien verzichtet werden. Die gemeinsame

Mahlzeit sollte von den Eltern dazu genutzt werden, sich bei den

heranwachsenden Menschen über ihr Befinden, ihre Erlebnisse und

Gedanken zu erkundigen. Den Untersuchungsergebnissen zufolge kann

das Einnehmen gemeinsamer Mahlzeiten das Wohlbefinden und die

Entwicklung der heranwachsenden Menschen verbessern. Die Wichtigkeit

der Familie bzw. Bezugspersonen als Schlüsselkomponente wurde in der

Studie klar festgehalten. Gemeinsames Essen schafft Routine und

Beständigkeit in dem heute so oft schnelllebigen Alltag. Gemeinsame

Mahlzeiten bieten eine Möglichkeit, heranwachsende Menschen zu

sozialisieren und ihnen Kommunikationsfähigkeiten, Verhaltensweisen und

gute Essgewohnheiten zu vermitteln, die sich begünstigend auf die

Entwicklung auswirken (vgl. Eisenberg et al. 2004).

12.4.6 Die Natur als Ort der Entwicklung

Blickt man zu den Vorfahren unserer Zeit zurück, wird bewusst, dass das

Leben und somit auch die Erziehung in der Natur stattgefunden hat. Eine

Entwicklung ohne Steckdosen ist für heute heranwachsende Personen

kaum bis gar nicht vorstellbar. In diesem Kapitel wird darauf eingegangen,

was der Reichtum der Natur, den die Welt bietet, für heranwachsende

Menschen mit sich bringt. Kinder brauchen in Zeiten wie diesen das gleiche

Ausmaß an körperlicher Bewegung wie vor Tausenden von Jahren, wo es

als Selbstverständlichkeit galt, sich zu bewegen, Abenteuer zu erleben und

bis an die eigenen Grenzen zu stoßen. In einem Zeitalter von Handy,

Fernseher, Internet und Co wird auf den essenziellen Entwicklungsraum

vergessen - die Natur. (vgl. Renz - Polster/ Hüther 2013, S. 35f.).

Page 89: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 81

12.4.6.1 Die vier Quellen der Entwicklung

• Unmittelbarkeit

Fühlen, Riechen, Hören und Sehen sind bei allen Menschen auf Zentimeter

bis wenige hundert Meter begrenzt. Jedoch tragen diese Sinne dazu bei,

dass sich Menschen jeden Tag auf das Neue selbst erweitern. Für

heranwachsende Menschen spielen sinnliche Erfahrungen im

Entwicklungsprozess eine entscheidende Rolle: Berührungen, das Hören

bekannter Melodien, das Riechen vertrauter Gerüche und das Schmecken.

Betrachtet man die Entwicklung vom Säugling bis zum heranwachsenden

Menschen, stellt sich heraus, dass der Mensch sich zunächst entlang

sinnlicher Spuren entwickelt. Es wird gerochen, Dinge werden in den Mund

gesteckt, es wird geschmeckt, beäugt und gefühlt. Was die Bewegung

betrifft, ist der ganze Körper im Einsatz. Der Phantasie sind hier keine

Grenzen gesetzt. Die Sinne eines Menschen tragen maßgeblich zum

Selbstbewusstsein von Kindern bei. In einer Zeit, wo virtuelle Medien immer

mehr den Selbsterweiterungsprozess steuern, ist es wichtig, den festen

Boden unter den Füßen nicht zu verlieren (vgl. Renz - Polster/ Hüther 2013,

S. 43ff). Was die Natur an Motivation, sich zu bewegen, bietet, kann kein

Spielzeug der Welt ersetzen.

„Wollen wir erreichen, dass sich unsere Kinder in einer technischen Welt

zurechtfinden, müssen wir dafür sorgen, dass sie sich zuerst einmal dort zu

Hause fühlen, wo sie die meiste Zeit ihr Habitat hatten: unter freiem Himmel“

(Roeper 2011, S.99).

Heranwachsende Menschen leben und lernen von Erfahrungen, die unter

die Haut gehen. So ist es nicht verwunderlich, dass Kinder den Umgang mit

den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde suchen. Das Knistern

eines Feuers, verbunden mit dem Geruch, das Plätschern eines Baches,

einen Windhauch spüren und mit den Händen aus Erde einen Brei formen,

all dies bildet die Körperlichkeit eines Kindes aus, verbindet Sinne mit Seele

und stellt den unmittelbaren Zugang zur Natur her (vgl. Renz - Polster/

Hüther 2013, S.43ff.).

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S e i t e | 82

• Freiheit

Einen großen Vorteil, den die Natur bietet, ist die Freizügigkeit. Beobachtet

man heranwachsende Menschen auf Spielplätzen, die in Parks angelegt

wurden, so wird oft festgestellt, dass Kinder mit den Gegebenheiten vor Ort

zu Beginn nicht viel anfangen können. Auf einem Bauernhof die Wiesen und

Felder durchstreifen, eine verlassene Burgruine erkunden, das sind

Erfahrungen, die man heranwachsenden Menschen im Laufe ihrer

Entwicklung ermöglichen sollte. Aber warum? Kinder wollen Taten

umsetzen und etwas bewirken - wirksam sein. Heranwachsende Menschen

wollen mit der Welt zusammenstoßen und dabei lernen. Sie suchen nach

Ecken und Kanten, sowie Höhlen und Hügel, die sie erforschen können, ob

in der Realität oder in der Fantasie. Streifzüge, verbunden mit spielerischen

Aktivitäten im Freien, sind für Kinder von enormer Wichtigkeit, sie nehmen

die Spielsituation ernst und stoßen selbst an ihre Grenzen. Nicht umsonst

kommen Kinder völlig abgekämpft und müde aus einer Welt des Freiseins

nach Hause zurück. Kinder suchen das Neue und wollen unbekannte Dinge

entdecken. Deswegen ist für eine förderliche Entwicklung entscheidend,

dass Kinder äußere und innere Erlebnisse, die sich in der Natur unter freiem

Himmel abspielen, erleben können. Das Klettern auf einen Baum, der

Sprung über einen kleinen Bach, das Hüpfen auf einem Heuhaufen, all das

sind Erlebnisse, die zur Gestaltungsfreiheit und Selbstverwirklichung eines

heranwachsenden Menschen beitragen (vgl. Renz - Polster/ Hüther 2013,

S.46ff.).

• Widerständigkeit

Wie aus dieser Literaturarbeit bereits hervorgeht, benötigen

heranwachsende Menschen Grenzen und genau die kann der

Entwicklungsraum Natur aufzeigen. Einen gewissen Rahmen und Freiheit

zu haben, gehört in der Welt draußen zusammen. Die Natur ist nicht nur

Einladung zur Freizügigkeit, sondern sie ist widerständig. Das heißt, sie

richtet sich nicht nach den Wünschen und Bedürfnissen der

heranwachsenden Personen. Schneit es und ist es kalt, so kann keine

Person die Heizung betätigen. In der freien Natur sind es die Menschen, die

sich an die Gegebenheiten anpassen müssen. Ist es beim Zelten kalt,

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S e i t e | 83

sammelt man Holz und versucht Feuer zu machen. Kinder sammeln das

Holz dafür ein, es muss etwas getan werden. Man hilft zusammen und

erfährt somit die eigenen Grenzen. Alles, was Kinder selber tun und

erleben, stärkt und fördert ihre Entwicklung. Am Beispiel Zelten kann man

bei heranwachsenden Personen beobachten, dass die Kraft einer Gruppe

förmlich Berge versetzen kann. Kinder lernen unaufhörlich, Schritt für

Schritt, den eigenen seelischen Haushalt zu führen, um selbstständig zu

werden und der Lebens- und Entwicklungsraum Natur kann dazu

maßgeblich beitragen. Für den etappenweisen Aufbau der Selbstkontrolle,

für die vielen Schritte des Großwerdens suchen Kinder das Abenteuer, das

die Natur zu jeder Zeit bereitstellt. Am Abenteuer erkennt man, dass Freiheit

und Grenzen eine Symbiose bilden. Ein Abenteuer, das Spiel mit den

eigenen Grenzen, kann von erziehenden Personen weder verordnet noch

organisiert werden. Das Sprungbrett zum Abenteuer ist Freiheit (vgl. Renz

- Polster/ Hüther 2013, S.50f.).

„In einer unter Regulativen von Eltern und Betreuern stehenden Welt (…)

bleiben Eigenschaften auf der Stecke, wie wir sie gemeinhin mit gelungenen

Menschen verbinden. Zu diesen Eigenschaften, die als Ausdruck von Reife

am Ende der elterlichen Erziehung stehen sollen, gehören Autonomie,

Selbstbestimmung, Eigenverantwortung, das Meistern von Risiko,

Phantasie und Kreativität, schöpferisches Denken und spontane

Bezogenheit zu Menschen und anderen Wesen in der Welt. Es ist

bemerkenswert, dass Kinder genau diese Eigenschaften und Fähigkeiten

suchen. Sie haben einen Instinkt für das Richtige, eine Intuition für die

passende (…) Nahrung. Es sollte uns zu denken geben, dass wir die

genannten Qualitäten zwar fordern, dass wir aber die Felder, auf denen die

Kinder von allein zu ihnen finden, zunehmend blockieren: die von selbst

auflebende Natur, das freiheitliche Spiel in der Wildnis, die ungeplante,

ungesteuerte Zeit“ (Weber 2012, S. 49).

Page 92: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 84

• Verbundenheit

Mitmenschliche Beziehungen sind für heranwachsende Kinder der

Schlüssel zu einer gesunden Entwicklung. Darunter versteht man eine

verlässliche, feinfühlige und authentische Beziehung. Was jedoch hat die

Natur damit zu tun? Gerade die Natur bietet einen Entwicklungsraum, wo

sich mitmenschliche Beziehungen entwickeln, z.B. zu den Spielgefährten.

Die Natur ist ein Ort, wo Treffen unter den zu Erziehenden stattfindet.

Gerade diese Konstellation, die im Lebensraum Natur entstehen kann, führt

zu Verbundenheit. Es ist jedoch noch viel mehr, was die Natur bietet. Da

sind die Pflanzen, die Bäume und die Tiere. Hügel, Berge und Wälder,

verbunden mit Gerüchen und dem Klang der Natur, der den

heranwachsenden Menschen Beziehungen ermöglicht und somit zu einer

förderlichen Entwicklung beiträgt.

Die Natur ist der beste Beweis, dass nicht nur die menschliche Welt für

Kinder Bindungen bereithält. Somit lässt sich sagen, dass der Reichtum der

Natur den heranwachsenden Menschen mit vielen Facetten begegnet: als

Spielraum, einen Ort der Entdeckung, einen Raum, der Beziehungen

schafft, einen Gestaltungsraum, Selbsterfahrungsraum und Rückzugsraum.

Zusammenfassend wird festgehalten, die Natur bietet alles, was ein Kind

für die Entwicklung benötigt (vgl. Renz - Polster/ Hüther 2013, S.54ff.).

Kinder suchen eine Umwelt, in der sie die sozialen und seelischen

Entwicklungsbedürfnisse befriedigen können. Das ist der Grundstein, den

sie bei der Erforschung der Umwelt, beim Spielen und bei der Formung ihrer

Beziehung legen. Danach richtet sich der Kompass der Entwicklung aus.

Personen, die in einer Erziehungsaufgabe tätig sind, sollten durch die

Augen der heranwachsenden Menschen blicken, um festzustellen, dass

Kinder für neue Ideen bereit sind, Ideen, wo sie spielerisch entdecken,

gestalten und wirken können. Welchen Bezug ein heranwachsendes Kind

zur Natur hat, ist an den selbstgemalten Kinderbildern abzulesen. Es gibt

kein Kinderbild ohne Sonne, Himmel, Bäume oder Tiere. Die Erfahrungen

in der Natur sind für Kinder eine Stärkung (vgl. Renz - Polster/Hüther 2013,

S. 57 ff.).

Page 93: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 85

13 Umsetzung im Erziehungsalltag

13.1 Haltungen und Einstellungen

Was „gute“ Erzieher und Erzieherinnen kennzeichnet, ist nicht, dass sie viel

über heranwachsende Menschen wissen, sondern dass sie eine Haltung

bzw. eine Einstellung gegenüber den Heranwachsenden haben, die ihnen

das Gefühlt gibt, dass sie bedingungslos anerkannt und akzeptiert werden,

das heißt, in der Subjekthaftigkeit angenommen werden. In einer

schnelllebigen Zeit, in der Leistung, so hinterlässt es den Eindruck,

dominiert, ist diese Haltung nicht einfach einzunehmen. Der heutige

Irrglaube, dass Kinder keine Höchstleistung erbringen, wenn sie nicht von

Erziehern und Erzieherinnen angetrieben werden, kann nicht bestätigt

werden. Beobachtet man Kinder beim Bauen eines Legoturms, wird man

eines Besseren belehrt. Jedes Individuum baut für sich den höchsten Turm

und nicht einen mittelmäßig hohen Legoturm. Die Anlage, Höchstleistung

zu erbringen, schlummert von Geburt an in jedem Kind. Es ist nicht

erforderlich, Kindern ständig zu sagen, was sie zu leisten haben, weil sonst

die Bereitschaft etwas zu tun eher verloren geht. Kinder werden als

Gestalter und Gestalterinnen ihres eigenen Lernprozesses geboren.

Sprechen, Greifen, Krabbeln und Gehen, all diese entscheidenden

Entwicklungsschritte lernen Kinder von der ersten Stunde an von sich selbst

heraus (vgl. Hüther 2017, o.S.).

.

13.2 Kinder als Subjekte wahrnehmen

Ab einem Alter von drei bis vier Jahren bemerken Kinder, dass sich Erzieher

und Erzieherinnen nicht bedingungslos freuen, was sie gestalten und

entdecken. Erzieher und Erzieherinnen im familiären Bereich sowie auch in

Einrichtungen machen klar deutlich, dass Kinder nur dann bedingungslos

akzeptiert und anerkannt werden, wenn sie sich mit dem beschäftigen, was

die Erziehungsperson für relevant empfindet. Ein heranwachsender

Mensch reagiert dem zu Folge mit Anpassung. Er versucht, die

Vorstellungen der Erzieher und Erzieherinnen zu erfüllen. Kinder, die das

Page 94: Erziehung im Wandel der Zeit - Kinder fördern und auf das

S e i t e | 86

umsetzen, haben nicht die Absicht, für sich selbst Erfahrungen zu sammeln,

sondern sie wollen Bedeutsamkeit und Anerkennung erlangen. So wird

nicht die Subjekthaftigkeit der Kinder gefördert, sondern ein Rückschritt in

der Erziehungsaufgabe forciert, wo ein Kind als Objekt angesehen wird.

Kinder werden zu Objekten der Absichten, der Bewertungen und Ziele der

Erzieher und Erzieherinnen. Erziehende sollten versuchen, eine andere

Grundhaltung zu entwickeln und sich nicht als Former und Formerinnen der

Kinder sehen, sondern als suchende Erwachsene, um zu entdecken, was

aus den heranwachsenden Menschen entspringen möchte. Dies bietet die

Möglichkeit, ein Kind besser kennenzulernen, wenn man sich einfach neben

das Kind setzt und beobachtet (vgl. Hüther 2017, o.S.).

13.3 Die Fragehaltung unterstützen

Auch wenn einem Erzieher und einer Erzieherin beim Wort „Warum“ so

manches Mal der Geduldsfaden reißt, Kinder erschließen sich ihr Wissen

durch Fragestellungen und nicht durch Belehrungen. Man sollte versuchen,

einen heranwachsenden Menschen immer im Fragemodus zu halten (vgl.

Hüther 2017, o.S.). Eine Methode, die uns von Sokrates bereits bekannt ist.

Keine dauernden Erklärungen, das Kind soll zum Nachdenken angeregt

werden und Fragen formulieren. So hat ein Kind die Chance, selbst Dinge

herauszufinden und gleichzeitig wird es ein Erfolgserlebnis erfahren (vgl.

Hüther 2017, o.S.).

.

13.4 Rahmenbedingungen schaffen

Alle entwicklungsfördernden Maßnahmen sind sehr interessant zu lesen, es

braucht jedoch einen Rahmen, innerhalb dessen sich heranwachsende

Menschen entwickeln können. Eine Erziehung zu Zeiten der NS - Ideologie,

wo Disziplin und Dressur an der Spitze der Erziehung standen oder das frei

– laufen, das in den 1968 Jahren Anklang fand, ist, so geht es aus der

Literatur hervor, auch heute noch aktuell. Beides ist nicht korrekt. Es geht

vielmehr darum, dass die erwachsenen Personen die Verantwortung über

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S e i t e | 87

die Erziehung übernehmen, die sie haben, weil sie erwachsen sind und das

Kind vor den negativen Erfahrungen schützen wollen, die sie vielleicht

selber gemacht haben. Kurz um, es benötigt also Regeln. Ein Kind benötigt

eine Struktur, damit es den Alltag gestalten kann und sich nicht in

Tätigkeiten verliert, von denen der Erzieher und die Erzieherinnen wissen,

dass sie nicht optimal sind. Erziehungspersonen haben die Aufgabe,

Kindern zu helfen eine Struktur zu entwickeln. Wenn man heranwachsende

Menschen ernst nimmt, dann reicht es nicht, ihnen einfach Verbote zu

erteilen. Man muss ihnen auf eine Art und Weise erklären, warum sie ein

Verbot erhalten haben. Das ist nicht zu vergleichen mit einer Dressureinheit

aus dem Zirkus. Es sind Regeln, an die sich alle Personen halten müssen.

Wenn Erzieher und Erzieherinnen im familiären Kreis einem Kind

Fernsehverbot erteilen, so ist es völlig unangebracht, wenn erwachsenen

Personen selbst vor dem TV – Gerät anzufinden sind. Münzt man die

Situation auf Erzieher und Erzieherinnen in den Schulalltag um, kann man

Kindern das Essen und Trinken nicht verbieten und selbst das Gegenteilige

tun. Solche Regeln wird ein Kind zwar nicht als Liebesbeweis wahrnehmen,

sie sind jedoch für die weitere Entwicklung maßgeblich entscheidend und

spätestens im Erwachsenenalter wirft man retrospektiv betrachtet einen

dankenden Blick zurück (vgl. Hüther 2017, o.S.).

13.5 Lebensräume schaffen

Die Natur als Ort der Entwicklung war schon vor tausenden von Jahren ein

Lebensraum, wo Kinder entdeckt, geforscht und gelernt haben. Im 21.

Jahrhundert ist das nicht anders, außer der Tatsache, dass weiter Angebote

dazu gekommen sind. Die Nutzung von digitalen Medien. Die Nutzung von

Computer, Fernseher und Co sind auch nicht verwerflich, wenn sie in

dosierter Art und Weise angewendet werden. Bedenklich wird es, wenn

Medien eingesetzt werden, um Langeweile abzubauen. Neben Erziehern

und Erzieherinnen im familiären und schulischen Bereich gibt es auch noch

den Freundeskreis. Man sollte darauf achten, mit wem das Kind

Freundschaft schließt und nicht dem Zufall überlassen – leichter gesagt als

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S e i t e | 88

getan. Eine Möglichkeit dem entgegenzusteuern wäre z.B. im privaten

Erziehungsalltag Elterngruppen zu bilden, die gemeinsam mit den

heranwachsenden Menschen den Ort der Natur entdecken. Dort gibt es

unzählige Möglichkeiten, wie fischen, wandern usw. Das hat zu Folge, dass

man sich näher kennenlernt und Freundschaften entstehen (vgl. Hüther

2017, o.S.).

13.6 Gemeinschaft erleben

Im Erziehungsprozess in einer Einrichtung wäre es möglich Eltern-

Kennenlern-Abende zu veranstalten, um so allen Erziehungspersonen die

Möglichkeit zu bieten sich näher zu kommen. Die Erziehung von Kindern ist

nämlich keine Einzelangelegenheit von einer Person, wie es rückblickend

den Frauen überlassen war. Für die Erziehung heranwachsender

Menschen ist die Gemeinschaft in der nächsten Umgebung genauso wichtig

und auch zuständig (vgl. Hüther 2017, o.S.).

„Um Kinder gut groß zu ziehen, braucht man ein ganzes Dorf“ (afrikanisches

Sprichwort, zit. n. Hüther 2017, o.S.).

In unserer heutigen Zeit, wo Großfamilien eher Seltenheitswert haben, eher

schwierig umzusetzen. Man sollte versuchen auch in der Nachbarschaft

ältere Personen zu finden, die gerne bereit sind mit Kindern Zeit zu

verbringen. Es geht um das gegenseitige Ermutigen. Der Gedanke, dass

die Erziehung von Kindern allein Elternsache ist, wird nicht bestätigt. Es

benötigt einen breitflächigen Austausch mit Eltern, Großeltern,

Kindergartenpädagogen und Kindergartenpädagoginnen sowie Lehrern

und Lehrerinnen. Wir leben in einer gesellschaftlichen Umbruchsituation,

wo man im Hier und Jetzt nicht sagen kann, welche Zukunft vor unseren

Kindern liegt. Das Entscheidende ist, dass man die Kinder nicht als einen

Besitz betrachtet, sondern immer als Geschenk, das einem anvertraut

wurde - ein Geschenk, das man auf seiner Reise begleiten darf (vgl. Hüther

2017, o.S.).

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Abbildung 18: Emma Haas 2016, 7 Jahre

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14 Zusammenfassung und Ausblick

Wird der Verlauf der Geburt von Erziehung, wie sie heute definiert wird, seit

ihrer Entdeckung als Phänomen in ihrer damaligen Erscheinungsform

nachverfolgt, so ist erkennbar, dass sie an die geschichtlichen und

politischen Veränderungen angepasst wurde. Stellt man die früheren

Erziehungsziele den heutigen gegenüber, fällt auf, dass es schon in der

Antike oberste Bestrebung war, den heranwachsenden Menschen

Willensfreiheit auf dem Lebensweg mitzugeben (vgl. Krüger/ Helsper 2006,

S.67f.).

In den Studien von Baumrind sowie in der Studie von Juang und Silbereisen

wird belegt, dass die positive Wirkung des autoritativen Erziehungsstils in

der Erziehungsaufgabe als die „Optimalform“ gilt, da die sozialen

Kompetenzen und die kindliche Persönlichkeitsbildung gefördert werden.

Fuhrer betont in seinem Werk „Erziehungskompetenz“, dass es keinen

perfekten Erziehungsstil gibt und auch keinen Leitfaden, der Punkt für Punkt

befolgt werden muss. Erziehungsaufgabe benötigt Mut, Fehler zu machen

und die Bereitschaft, eigene Denkmuster zu verändern (vgl. Bauer 2008, S.

30). Erwachsene Personen müssen sich im Klaren sein, wie es Bandura in

den 60er Jahren beschrieben hat, dass sie als Vorbildfunktion fungieren und

somit maßgeblich dazu beitragen, welche Entdeckungen im Laufe des

Entwicklungsprozesses den Kindern ermöglicht werden. Wenn Erzieher/

Erzieherinnen und Eltern in einem Team zusammenarbeiten und jede Partei

im Sinne und um des Kindes Willen auf eine ehrliche, liebevolle Art und

Weise handelt, so steht einer gelingenden Entwicklung des Kindes nichts

mehr im Wege. Die Menschheit muss sich hinsichtlich der zukünftigen

Kompetenz der Kinder immer wieder mit Erziehungsdiskussionen

auseinandersetzen. In der demokratischen Gesellschaft, in der wir leben,

sind die Zielvorstellungen hinsichtlich entwicklungsfördernder Erziehung

nicht stimmig und somit die Antworten nicht eindeutig (vgl. Gudjons 2008,

S.193). In der Vergangenheit war es ein langer Weg bis zu dem Punkt, an

dem Kinder nicht mehr als kleine Erwachsene betrachtet wurden. Ein

bedeutender Schweizer namens Jean - Jacques Rousseau (1712 – 1778)

brachte Licht in das Dunkel, er galt und gilt als Entdecker der Kindheit. Er

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zeigte eine Abgrenzung des Kindes vom Erwachsenen und betitelte die

Kindheit als selbstständige Entwicklungsstufe (vgl. Hörburger 1967, S. 68-

70). Tschöpe - Scheffler betont, dass Kinder an der Erwachsenenwelt

teilnehmen sollten und dass es sehr wichtig ist ihnen beiseite zu stehen und

zu helfen, wenn sie Unterstützung benötigen. Ein Kind sollte in die

Gesellschaft eingegliedert werden und muss sich daher gewisse Normen

und Werte aneignen. Kinder und Erwachsene sind als gleichwertige

Menschen zu betrachten. Es gibt keine Hierarchie. Die Erwachsenen

können die Kinder an ihrem Wissen teilhaben lassen, sollten den Kindern

aber auch die Möglichkeit bieten, ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Die

intentionale Erziehung ist also nicht überzubewerten oder zu idealisieren.

Es sollte nicht immer nur danach gehen, das Kind in eine bestimmte

Richtung zu lenken, um einem Erziehungsstil gerecht zu werden. In der

heutigen Zeit spricht man von einer demokratischen Erziehung, in der die

Autonomie der heranwachsenden Personen als ein realistisches

Erziehungsziel dargestellt wird (vgl. Schickhardt 2012, S.161ff.). Aus Sicht

der Neurobiologie geht hervor, dass Kinder durch die Aktivierung der

genannten Botenstoffe Dopamin, körpereigenen Opioide und Oxytozin in

der Lage sind, ein motivationsreiches Leben zu führen, das für die

Entwicklung von großer Bedeutung ist (vgl. Bauer 2008, S18ff.). Es geht

hervor, dass der Lebensraum Natur bestens für eine gesunde Entwicklung

der heranwachsenden Menschen beiträgt. Für Kinder ist es enorm wichtig,

dass ihre individuellen Fähigkeiten gefördert werden, indem man Angebote

bereitstellt, bei denen sie sich kreativ und voller Elan entfalten können. Es

geht darum, die heranwachsenden Personen in ihrer Eigenleistung zu

stärken, ihnen bei Schwierigkeiten, die das Leben mit sich bringt,

hinwegzuhelfen und dafür zu loben, was sie im Spiel oder beim Lernen

geleistet haben (vgl. Bauer 2008, S.100). Kinder lernen frei zu denken,

Entscheidungen selbst zu treffen und sich auf ein gleichberechtigtes

Zusammenleben einzustellen. Man ist sich heute allerdings weitgehend

darüber einig, dass eine gute Erziehung Kindern auch Grenzen und Regeln

mitgeben muss. Eine situative und wertschätzende Erziehung steht jedoch

immer im Vordergrund. Entscheidend ist es, in problematischen Situationen

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S e i t e | 92

auf sein Gefühl zu hören und mit dem Kind die Kommunikation

aufzusuchen.

Abbildung 19: Postkarte, Weisheit aus Tibet

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S e i t e | 93

15 Literaturverzeichnis

Altenthan, Sophia/ Betscher-Ott, Sylvia/ Gotthardt, Wilfried/ Hobmair,

Hermann/ Höhlein, Reiner/ Ott, Wilhelm/ Pöll, Rosemarie/ Schneider, Karl-

Heinz (2008): Pädagogik. In: Hobmair, Hermann (Hrsg.): Pädagoik. 4. Aufl.,

Troisdorf: Bildungsverlag Eins, S. 214-218.

Baader, Meike Sophia/ Sager, Christin (2010): Die pädagogische

Konstitution des Kindes als Akteur im Zuge der 68er- Bewegung. Diskurs

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Sokrates .............................................................................. 16

Abbildung 2: Karl der Große .................................................................... 20

Abbildung 3: septem artes liberales ......................................................... 22

Abbildung 4: Rousseau ............................................................................ 25

Abbildung 5: Montessori .......................................................................... 32

Abbildung 6: Lewin ................................................................................... 45

Abbildung 7: Entwicklung der Untersuchungen ....................................... 47

Abbildung 8: Baumrind ............................................................................. 49

Abbildung 9: eigene Darstellung des autoritären Erziehungsstils ............ 53

Abbildung 10: eigene Darstellung des nachgiebigen Erziehungsstils ...... 54

Abbildung 11: eigene Dar. des vernachlässigenden Erziehungsstils ....... 55

Abbildung 12: eigene Darstellung des autoritativen Erziehungsstils ........ 56

Abbildung 13: Die fünf Säulen der Erziehungs ........................................ 58

Abbildung 14: Pestalozzi .......................................................................... 59

Abbildung 15: Korczak ............................................................................. 60

Abbildung 16: Bandura ............................................................................ 68

Abbildung 17: Vorgang des Modell- Lernens ........................................... 71

Abbildung 18: Emma Haas, 2016 7 Jahre ............................................... 89

Abbildung 19: Postkarte, Weisheit aus Tibet ........................................... 92