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„Es muß besser werden!“ Aby und Max Warburg im Dialog über Hamburgs geistige Zahlungsfähigkeit von Karen Michels

„Es muß besser werden!“ - Hamburg University Presshup.sub.uni-hamburg.de/.../HamburgUP_MfW17_Warburg.pdf · tensiv mit Aby Warburg, seinem epochalen wissenschaftlichen Denken

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„Es muß besser werden!“

Aby und Max Warburg im Dialog

über Hamburgs geistige Zahlungsfähigkeit

von Karen Michels

Gefördert von der Böttcher-Stiftung

Den Familien gewidmet, die durch ihre hochherzigen Stiftungen vor108 Jahren die Gründung der Hamburgischen WissenschaftlichenStiftung ermöglicht und den Grundstein dafür gelegt haben, dass dieStiftung auch heute noch Forschung, Lehre und Bildung fördern kann.

Mäzene für Wissenschaft

hg. von Ekkehard Nümann

Inhalt

Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 3

1. Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 4

2. Der Familien- und Firmengründer Georg Friedrich Vorwerk . . S. 6

3. Zur Kindheit und Jugend der Vorwerk-Brüder . . . . . . . . . . . . S. 15

4. Eine Reise von Augustus Friedrich nach Nordamerika und Kuba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 23

5. Die Firmen in Chile und Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 28

6. Friedrich, Adolph und deren Ehefrauen in den Erinnerungen dreier Enkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 44

7. „Villa Josepha“ und „Haupthaus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 54

8. Gustav Adolph als Bau- und Gartengestalter . . . . . . . . . . . . . S. 60

9. Entwicklungen nach dem Tod der Brüder . . . . . . . . . . . . . . . S. 67

10. Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 70

11. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 72

12. Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 74

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Inhalt

Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102. Was willst Du mit Kunstgeschichte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143. Lehr- und Wanderjahre: „Es muß besser werden!“ . . . . . . . . . . . . . . 224. Wie man sich in Hamburg eine Existenz aufbaut . . . . . . . . . . . . . . . 335. Die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung oder Kaufleute als „Ducatenmännchen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566. 1918: „Unser Krieg“ und „die Judenfrage“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687. Neues Denken: Was hat man aus dem Krieg gelernt? . . . . . . . . . . . . 758. Überzeugte Europäer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 819. Max Warburg verabschiedet sich selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9610. Zum Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9811. Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100Stammtafel (Auszug) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100Aby und Max Warburgs Lebensdaten im Überblick . . . . . . . . . . . . . . 10212. Quellen, Literatur und Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10413. Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

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Vorwort des Herausgebers

Im Jahr 2007 feierte die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung ihr 100-jähriges Jubiläum. Der vorliegende siebzehnte Band ist Teil der zu diesemAnlass ins Leben gerufenen Schriftenreihe „Mäzene für Wissenschaft“. Inihr wird die Geschichte der Stiftung dargestellt; außerdem werden Stifter-persönlichkeiten und Kuratoriumsmitglieder in Einzelbänden gewürdigt.

Die Absicht, diese Reihe herauszugeben, entspricht dem dankbaren Gefühlden Personen gegenüber, die vor mehr als 100 Jahren den Mut hatten, dieStiftung zur Förderung der Wissenschaften in Hamburg zu gründen underreichten, dass Hamburg eine Universität erhielt. Verknüpft damit ist dieHoffnung und Erwartung, dass nachfolgende Generationen sich hieran ein

Beispiel nehmen mögen.

Dieser Hoffnung hat die Böttcher-Stiftung in hochherziger Weise entspro-chen, wofür wir ihr zu großem Dank verpflichtet sind.

Ekkehard Nümann

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Vorwort

Aby und Max Warburg, Hanseaten im besten Sinne des Wortes, haben aufihren jeweiligen Tätigkeitsfeldern Herausragendes geleistet: Aby, der ältereder beiden Brüder, hat der Kunstgeschichtsforschung eine neue Richtunggewiesen, die bis zum heutigen Tag nichts an Aktualität und Durchschlags-kraft eingebüßt hat, während Max nicht minder bedeutend für das Bank-wesen und Wirtschaftsleben seiner Zeit war. Seine Leistungen in der spä-ten Kaiserzeit, in den Jahren des Ersten Weltkrieges und in der Weimarer

Republik sind vielfach analysiert und gewürdigt worden.

Gemeinsam strebten beide eine Symbiose zwischen dem merkantilen unddem geistigen Hamburg an, wie es Aby 1909 ausdrückte. Dieses Zusam-mengehen von Geld und Geist hat, wie man weiß, bemerkenswerte Früchtegetragen, auch zugunsten der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung.1906 spendeten Moritz Warburg und seine Söhne 250.000 Mark, eine statt-liche Summe, die dabei half, die Stiftung, die die Einrichtung einer Uni-versität vorbereiten sollte, zu etablieren. Was Aby Warburg an Finanzmit-teln für seine Forschungsambitionen vom Bankhaus M. M. Warburg, alsovon seinen Brüdern, zur Verfügung gestellt bekam, war ganz außerordent-lich. Kein Wunder, dass Max die Bibliothek seines Bruders als Zweigstelledes Bankhauses charakterisierte, die sich „kosmischen statt irdischen Auf-gaben“ widmete. Das Zusammenführen von Geld und Geist hat in derStadtrepublik Hamburg bekanntlich eine lange Tradition, die bis in unsere Zeit anhält. Man denke nur an Jan Philipp Reemtsma und sein

Hamburger Institut für Sozialforschung.

Dies ist ein Erzählstrang des ungemein gehaltvollen und berührenden Bu-ches. Ein weiterer gilt dem Judentum, in das Aby und Max hineingeborenwurden. Es geht um das Auf und Ab bei der Assimilierung und die gesell-schaftliche Akzeptanz ihrer religiösen Wurzeln, um die immer wieder auf-lebende Verzweiflung über das Verhalten ihrer christlichen Landsleute unddie beständige Hoffnung auf eine Besserung des christlich-jüdischen Zu-sammenlebens. Karen Michels resümiert dazu: „Ihre so unterschiedlichen

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Lehr- und Wanderjahre ergaben in der Rückschau dennoch eine ähnlicheGeschichte: Sie erzählt vom Wunsch, dazugehören zu dürfen, und von derbitteren Erkenntnis, dass dies, allen gesetzlichen Gleichstellungsmaßnah-men zum Trotz, nur partiell, nur momentweise gelingen konnte. Diese Er-fahrung wird beider Leben bis ans Ende prägen, und sie wird sowohl Abyals auch Max dazu animieren, auf immer neue und sehr persönliche Weise

Wege der Integration zu suchen.“

„Wenn mehr Bücher gelesen würden, so würden weniger geschrieben wer-den“, hat uns Aby Warburg ins Stammbuch geschrieben. Wie dem auchsei: Dieses Buch musste geschrieben werden. Es fügt der umfangreichenWarburg-Literatur wichtige neue Aspekte hinzu. Und es darf als ein be-sonderer Glücksfall betrachtet werden, dass sich Karen Michels des Themasangenommen hat, die sich bereits in mehreren Büchern und Aufsätzen in-tensiv mit Aby Warburg, seinem epochalen wissenschaftlichen Denken unddessen Wirkung beschäftigt hat. Ihre Einschätzung der Person Aby War-burgs, dieses Leuchtturms der Kunstgeschichtsforschung, der bis heute un-vermindert hell strahlt, hat die Autorin 2010 in folgender Weise trefflichzusammengefasst: „Aby Warburg – eine der anregendsten Figuren der Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts, weitblickend, Grenzen sprengend,Horizont erweiternd, leidenschaftlich, jemand, der Wissenschaft mit hoher Emotion betrieb und den Mut zur Subjektivität und Partei-

nahme hatte.“

Seine nach Seitenzahl schmale Dissertation über Botticellis „Geburt derVenus“ und „Frühling“ (1892, erschienen 1893), die in unseren Tagen alsGründungsurkunde einer gänzlich neuen Richtung kunstgeschichtlicherForschung im Antiquariatshandel staunenswerte Preise erzielt, hat das „Lesen“ von Bildern revolutioniert. Die interdisziplinär vorgehende Kunst-wissenschaft war geboren, die Kunst von der „Abschnürung der eigentli-chen Lebenskräfte“ befreit. Und zugleich war es der Beginn einer Bücher-sammlung, die sich schrittweise zu der einzigartigen Kunstwissenschaft-

lichen Bibliothek Warburg (K. B. W.) entfaltete.

Aby und Max Warburg waren zwei herausragende Söhne Hamburgs, ei-ner Stadt, zu der sich beide Zeit ihres Lebens hingezogen und der sie sichverpflichtet fühlten. Das Buch von Karen Michels gibt tiefe Einblicke indas Leben, Fühlen und die Wirkmächtigkeit der beiden Brüder, deren sounterschiedliche, aber auch gleichgestimmte Biographien eindrucksvollmiteinander verzahnt werden. Die Lektüre fesselt, bewegt und bietet

vielerlei Neues, was den Leser mit großer Dankbarkeit erfüllt.

Die Böttcher-Stiftung hat die alleinige Finanzierung dieses Bandes gerneübernommen. Ihr Gründer, Johann Max Böttcher (1920–2014), hätte ge-wiss das Buch mit größter Aufmerksamkeit und Anteilnahme gelesen, ha-ben doch seine eigenen jüdischen Wurzeln ihn in den Schreckensjahren1933–1945 in mancherlei Bedrängnisse gebracht. Der Vorstand der Bött-cher-Stiftung wird sich auch weiterhin den Anliegen der Hamburgischen

Wissenschaftlichen Stiftung gegenüber aufgeschlossen zeigen.

Der Verfasser dieser Zeilen ist stolz darauf, mit zwei Adepten von Aby Warburg, die diesen noch persönlich in der K. B. W. in der Heilwigstra-ße 116 erlebt haben, in freundschaftlichem Kontakt gewesen zu sein: René Drommert und Hermann Vogts. Und zum Schluss darf vielleichtauch noch erwähnt werden, dass der Unterzeichnende mit der auf S. 37erwähnten Helene von Hornbostel (1840–1914) verwandtschaftlich

verbunden ist.

Wilhelm Hornbostel

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Aby und Max (ca. 1895)

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Einleitung

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„Es muß besser werden“, schreibt Aby War-burg 1889 seiner Mutter in einem Brief. Wasmuss besser werden? Mit der Antwort aufdiese Frage beginnt der rote Faden, derdurch dieses Buch führt. Besser werdenmuss das Verhältnis zwischen christlichenDeutschen und jüdischen Deutschen. DerDreiundzwanzigjährige hatte es gerade zumersten Mal erlebt, dass man ihn in der Öf-fentlichkeit als Jude identifizierte – undseine Verunsicherung war groß. Früher alsandere erkennt und beobachtet er die wach-sende Bedrohung. Die Frage, wie ein fried-liches Zusammenleben zwischen Christenund Juden aussehen könnte, wird zu seinemLebensthema werden. Es ist, wie wir heutewissen, ein existenzielles Thema. Er teilt esvor allem mit seinem Bruder Max. ···································································Die Gegensätze zwischen Aby und Maxkonnten nicht größer sein: Der eine hattebraune, der andere blaue Augen. Der einewar intellektuell, der andere Zahlenmensch.Der eine galt als schwierig und cholerisch,der andere als leichtfüßig und charmant.Aby begründete eine Bibliothek als For-schungsinstitut, Max übernahm die famili-eneigene Bank. Und doch gab es, so die Be-obachtung, die diesem Buch zugrunde liegt,im Leben von Aby und Max Warburg auf-fällig viel Gemeinsames. Aby und Max ver-brachten, das zeigen nicht zuletzt die im

Londoner Archiv erhaltenen mehr als tau-send Briefe, ihr Leben in einem beständigenDialog. Dies lag sicher in einer herzlichenbrüderlichen Zuneigung und dem traditio-nellen jüdischen Familienzusammenhalt be-gründet. Hinzu kam jedoch eine seltsameVerschränkung, die Abys Verzicht auf dieNachfolge im familieneigenen Bankhausmit sich brachte. Es ist ein mehr als deutli-cher Fingerzeig, dass die Lebenserinnerun-gen Max Warburgs dort, wo von der eige-nen Kindheit und Jugend die Rede ist,zunächst den älteren Bruder beschreiben.„Aby, geboren am 13. Juni 1866, gestorbenam 29. Oktober 1929, hätte in das Bankhauseintreten und später Teilhaber werden sol-len, wie es der Tradition der Firma ent-sprach. Er hat es aber abgelehnt, Bankier zuwerden und studierte Kunstgeschichte anden Universitäten Straßburg und Bonn.Eine Reise in die Vereinigten Staaten schlosssich an, und sie ist zum entscheidenden Er-eignis seines Lebens geworden. Fünf Jahrelang hat er dann leitend am DeutschenKunsthistorischen Institut zu Florenz mit-gearbeitet und sich schließlich in Hamburgals Privatgelehrter niedergelassen. Berufun-gen an verschiedene Universitäten lehnte erab. (…) Als ich 12 Jahre alt war, machte mirAby den Vorschlag, daß ich ihm sein Erst-geburtsrecht abkaufen solle; nicht etwa füreine Linsensuppe, sondern gegen meine

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Verpflichtung, ihm immer seine Bücheran-schaffungen zu bezahlen. Ich war ein Kind,und der Vorschlag erschien mir ausgezeich-net: das Geschäft vom Vater würde doch ge-wiß genug abwerfen, um mich Schiller,Goethe und vielleicht auch noch Klopstockkaufen zu lassen. Wir haben den Pakt feier-lich mit einem Händedruck besiegelt. Die-ser Vertrag war wohl der leichtsinnigste mei-nes Lebens; freilich habe ich ihn niebereut.“1 Nicht ohne Hintersinn spielt Maxauf das „Linsengericht“ an, mit dem im Al-ten Testament der ältere und dümmere Bru-der Esau sein Erstgeburtsrecht auf den jün-geren Jakob übertrug. Die von Abygeforderte Gegengabe, auf den ersten undkindlichen Blick so harmlos wie ein TellerSuppe, erwies sich im Laufe eines Lebens alsein finanziell herausforderndes Projekt –aber eben auch als eine existenzielle Not-wendigkeit. ···································································Wie gelingt Assimilation? Jeder der Brüderwird zeitlebens nach einer sowohl individu-ellen als auch gesamtgesellschaftlichen Ant-wort auf diese Frage suchen. Die Kulturwis-senschaftliche Bibliothek Warburg war indieser Hinsicht eine Konstruktion, die ei-nem zunehmend national und völkisch ori-entierten Deutschland ein alternativesDenk- und Lebensmodell vor Augen stelle.Sie war, so sagt ihr Begründer selbst, „keinRaum für die Allüren eines reichen Man-nes“, sondern ein „Instrument für Jeder-mann, geschaffen aus dem Gefühl der geis-tigen Notlage Deutschlands vor etwa 25 Jah-ren u.s.w.“.2 Den (überwiegend jüdischen)Mitarbeitern und Studierenden gilt sie inden zwanziger und dreißiger Jahren, in An-spielung ausgerechnet auf das Wort Luthersvon der „festen Burg“, als „feste Warburg“.Von der „K.B.W.“ sollten Impulse nicht al-

lein für die Wissenschaft, sondern für einengesellschaftlichen Wandel kommen. Diesgeht nicht zuletzt hervor aus den Worten,mit denen sich Aby gegen Ende seines Le-bens bei seinem Bruder Max bedankt: „Ichwerde es Dir und dem Vater nie vergessen –und habe Euch das öfter wiederholt – daßIhr, als ich bei Euch Unterstützung imKampf gegen den deutschen Herrlichkeits-exhibitionismus unter staatlichem Schutzverlangte, Ihr dem unoffiziellen, vereinzel-ten und unbewiesenen Zerebralmenscheneinen moralisch blanko, wirtschaftlich statt-lichen Kredit gewährt habt.“3

···································································Der Kampf gegen den Nationalismus undgegen den Herrschaftsanspruch der „deut-schen Rasse“ bildete das Aby Warburgs kul-turwissenschaftliche Arbeit speisende, vonMax verstandene und mitgetragene Leitmo-tiv. Die griechische Kultur bot das Modell:Es ist das ihr zumindest zugeschriebene ver-nunftgeleitete Denken, das gegen Irrationa-lität, Barbarentum und Aberglauben einGleichgewicht bieten kann. „Athen mußimmer wieder neu aus Oraibi [von Aby be-suchtes Dorf der Hopi-Indianer in NewMexico, KM] erobert werden.“ Dem Natio-nalismus das zivilisatorische Potential desHumanismus entgegenzusetzen, ist das Ziel.Max unterstützt dieses Projekt und vor al-lem dieses Ziel. Als Verkörperung der Vitaactiva versucht er jedoch, auf wirtschaftspo-litischem Terrain eigene Wege zu finden.Zunächst vertraut er, wie so viele, auf die In-tegrationskraft des Kaiserreiches. Nach des-sen Untergang und der Katastrophe des Ers-ten Weltkrieges dagegen wandelt Max sichzu einem überzeugten, frühen Europäer.Gleichzeitig erscheint ihm nun die wissen-schaftliche Analyse historischer und gegen-wärtiger Phänomene von weitaus größerer

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Aby und Max als „Buchstabe V“ aus dem 1909 gezeichneten „Fanö-Abc“ von Mary Warburg

Bedeutung als früher. Wie sein Bruder legter in den frühen zwanziger Jahren denGrundstein für eine wissenschaftliche Ein-richtung, das Institut für Auswärtige Politik.Es wird zum ersten Friedensforschungsinsti-tut überhaupt. Und mehr denn je versuchter – etwa mit der Gründung des Übersee-Clubs – das merkantile und das geistigeHamburg zusammenzubringen und damiteine neue Plattform jenseits aller Rasse- undReligionsdifferenzen zu etablieren.···································································Eines der von beiden Brüdern, wenn auchmit durchaus unterschiedlichen Akzenten,gemeinsam verfolgten Ziele war die Grün-dung einer Universität in Hamburg. In derFrage der Einrichtung der „höchsten Formeiner geistigen Werkstatt, einer forschendenund lehrenden Hochschule“ ging es, soschrieb Aby schon 1909, um nichts wenigerals um „Hamburgs geistige Zahlungsfähig-keit“.4 Dass die Familie Warburg für dieseUniversität in großem Stil Geld stiftete, be-deutete auch, dass sie sich zum ersten Malmit erheblichen Mitteln für eine Institutionengagierte, die keinen jüdischen Hinter-grund hatte. Was waren die Gründe? Per-sönlich bot das Eintreten für eine Hoch-schule in Hamburg Aby wie Max dieMöglichkeit, sich an einem patriotischen,zukunftsweisenden Projekt zu beteiligen, indem rassische und konfessionelle Unter-

schiede keine Rolle spielten. Zugleich be-deutete der Einsatz für die Wissenschaft inHamburg die Förderung der Fähigkeit, ob-jektiv und historisch zu denken. Undschließlich erhoffte man sich von der Uni-versität einer weltoffenen Handelsstadt Im-pulse, die dem anderswo gepflegten Natio-nalismus und „Klerikalismus“ ein neuesModell entgegensetzten. In der spezifischen,realitätsbezogenen und zugleich freieren At-mosphäre des durch eine starke Kaufmann-schaft geprägten „Tors zur Welt“ ließ sich,so die Hoffnung beider Brüder, ein neuesDenken begründen, das echte Assimilationmöglich machte. ···································································Was hat das alles heute noch mit uns zutun? In diesem Buch geht es um den Um-gang mit Minderheiten und damit einemheute in Europa mehr als brisanten Pro-blem. Aby und Max Warburg entwickelnfür dieses Problem Lösungsvorschläge. Siesind, das hat die Geschichte gezeigt, tra-gisch gescheitert. Aber, so die Hoffnung derAutorin, sie sind es doch wert, im Hinblickauf unsere gegenwärtige Situation noch ein-mal aus der Nähe betrachtet zu werden. ···································································Für vielfältige Anregungen und Hilfestel-lungen danke ich sehr herzlich EkkehardNümann, Johannes Gerhardt und EckartKrause.

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··············································································································································1 Warburg, Aufzeichnungen, S. 5 f. 2 Max Warburg, Erinnerungen von Max Warburg an Aby Warburg, o. D., wohl Dezember 1929 (Archiv des

Londoner Warburg Institute, im Folgenden WIA, III.134.1.6.). 3 Zitiert nach: Schoell-Glass, Warburg, S. 167. 4 Warburg, Pflichten, S. 305.··············································································································································

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Am 13. Juni 1866 wird dem Ehepaar Char-lotte und Moritz Warburg ein Sohn gebo-ren. In die Geburtsurkunde trägt man imGedenken an den zehn Jahre zuvor verstor-benen Großvater den ungewöhnlichen Vor-namen Aby – nicht Abraham – ein; er istwohl als dessen anglisierte, dynamisch klin-gende Variante zu verstehen. Der zweite

Name, den auch die noch folgenden vierBrüder tragen werden, ist der des Vaters,Moritz. Abys Vater Moritz ist 28, als sein ers-ter Sohn zur Welt kommt. Zusammen mitseinem älteren Bruder Siegmund führt erdas familieneigene Bankhaus. EigentlicherChef der Firma M. M. (Moses Marcus)Warburg jedoch ist die Mutter der beiden,

Was willst Du mit Kunstgeschichte?

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Das Wohnhaus von Sara Warburg in der Rothenbaumchaussee 49

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Sara. Sie ist als ebenso erfolgreiche wie ener-gische Matriarchin in die Geschichte einge-gangen, die sich weder von Geschäftspart-nern noch von den eigenen Söhnen je hatdie Butter vom Brot nehmen lassen; auchihr Mann „stand unter dem Pantoffel“. Saraleitet nicht nur die Bank, sondern ist auch,wie es sich für Juden gehört, im Vorstandzahlreicher Wohltätigkeitseinrichtungen aktiv. Das repräsentative Haus Rothen-baumchaussee 49, das sie 1865 bezogen hat-te, existiert nicht mehr; zwei der schönen,mit antikisierenden Ranken geschmücktenschmiedeeisernen Fenstergitter aber fügteihr ältester Enkel Aby in die Treppenwangenseines 1925 errichteten BibliotheksgebäudesHeilwigstraße 116 ein, wo sie noch heute zubewundern sind.···································································1864 hatte Moritz Warburg Charlotte Op-

penheim aus Frankfurt geheiratet. Sie ent-stammte einer besonders frommen jüdi-schen, ebenfalls wohlhabenden und sehr ge-bildeten Familie. Ihr Vater Nathan handelteerfolgreich mit Edelsteinen, Perlen und An-tiquitäten, und er sprach, so die Legende,dreizehn Sprachen: kein Wunder, dass auchdie Tochter Charlotte zeitlebens ein aktivesInteresse an Kunst und Kultur an den Tagund somit vielleicht auch das Fundamentfür ähnlich gelagerte Passionen ihres ältestenSohnes legte. Charlotte schrieb Gedichte,veröffentlichte Erzählungen in der Frank-furter Zeitung und entfaltete eine so zielstre-bige Persönlichkeit, dass die gefürchteteSara in ihrer Schwiegertochter eine echteGeistesverwandte erkannte.5 Sparsam, jaspartanisch in der Lebensführung, nahm siegrundsätzlich nur auf ungepolsterten Stüh-len Platz und tat alles, um vor den Kindernden erheblichen familiären Reichtum zuverbergen.6···································································Fast auf den Tag genau ein Jahr nach AbysGeburt, am 5. Juni 1867, erblickt ein weite-rer Sohn das Licht der Welt, der den NamenMax M. (für Moritz) erhält. Noch fünf wei-tere Kinder folgten: 1868 Paul M., 1871 Fe-lix M., 1873 Olga und 1879 die ZwillingeFritz M. und Louise. Bereits im Geburtsjahrvon Max hatte die Bank das Haus Ferdi-nandstraße 75 erwerben können; es wurdezur Keimzelle des heute noch bestehenden,1912–13 vom Rathausbaumeister MartinHaller neu errichteten Geschäftsgebäudes.Privat lebt man, versorgt von einigem Per-sonal, im Grindelhof 1a und damit in demspäter als „Klein-Jerusalem“ bekanntenGrindelviertel. Mit dem Erwerb eines groß-zügigen Hauses am Mittelweg 17/EckeJohnsallee dokumentiert Moritz Warburg1871 den sozialen Aufstieg der Familie. Der

Treppenwange, Gebäude der Kulturwissenschaft-lichen Bibliothek, Heilwigstraße 116

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Umzug bedeutet zugleich einen großenSchritt in Richtung Assimilation. Erleich-tert hatte ihn die Auflösung der engen Ver-bindung von Staat und lutherischer Kirchein der Hamburger Verfassung. Dem Druckdes Senates nachgebend, lockerte danachauch die Israelitische Gemeinde ihre Vor-schriften: Sie spaltete sich in Orthodoxe undReformjuden und stellte es seit 1867 jedemfrei, sich einem der beiden Verbände anzu-schließen oder auch nicht. Juden waren nungleichberechtigte Hamburger Staatsbürger.So kam es, dass sich hier, in den an der Au-ßenalster gelegenen, im 19. Jahrhundert neuerschlossenen Vierteln Rotherbaum undHarvestehude, die Bevölkerungsgruppen zumischen begannen. Etwa ein Fünftel derBewohner war jüdischen Ursprungs.

···································································Die Familie von Moritz’ Bruder Siegmund,die zunächst über den Geschäftsräumen inder Ferdinandstraße lebt, bezieht etwagleichzeitig eine herrschaftliche Villa amAlsterufer 18. Siegmund hatte mit der ausKiew stammenden Theofilia beziehungs-weise Théophilie Rosenberg eine schwerrei-che kosmopolitische Frau geheiratet, die derFamilie multinationale „byzantinische Ver-bindungen“ einbrachte.7 Sie pflegt einenaristokratischen, französisch geprägten Le-bensstil, was bei den hanseatischen Reeders-Gattinnen nicht gut ankommt. Siegmundwird Vorsteher der jüdischen Gemeindeund richtet sich im Hause eine kleine Pri-vat-Synagoge ein. Wenn er in ihr morgensseinen religiösen Pflichten nachgeht, ist er

Charlotte und Moritz Warburg mit Kindern und Verwandten, links außen Max, rechts außen Aby

bereits für den Ausritt gekleidet. Rivalitätenzwischen den Schwägerinnen Charlotte undThéophilie – die eine frankophil-internatio-nal, die andere preußisch-national gesinnt –und die permanenten Auseinandersetzun-gen zwischen den beiden unter ein gemein-sames geschäftliches Dach gezwungenenBrüdern spalten den Clan von nun an in ei-nen „Alsterufer“- und einen „Mittelweg“-Zweig. Während die Familie von Siegmundeine gesellschaftliche Position in der „jüdi-schen Aristokratie“ (Max Warburg) an-strebt, legen die „Mittelweg-Warburgs“ stetsmehr Wert auf die „Einzelleistung“ ihrerMitglieder.8 Diese Idee der „Einzelleistung“wird in der so ähnlichen Weltanschauungbeider Warburg-Brüder einen zentralen Platzeinnehmen. ···································································

Selbstverständlich beachtet man auchim Hause Moritz Warburg die jüdischenBräuche. Gekocht wird streng koscher. DieJungen lernen hebräisch und begleiten ihrenVater, wenn auch sehr ungern und mit ste-tig abnehmender Regelmäßigkeit, in die Sy-nagoge: „In einem Haus am Mittelweg warin einer Etage ein Raum als Synagoge einge-richtet, sehr hässlich, mit schlechter Luft.“9

Sie können Moritz dabei beobachten, wie eram Samstag auf seine Zigarre verzichtet,weil man am Sabbat erst nach Sonnenunter-gang Feuer machen darf. Und sie wachsenmit der Überzeugung auf, dass man andeream eigenen Wohlstand selbstverständlichpartizipieren lässt, dass Wohltätigkeit ein in-tegraler Bestanteil des eigenen Lebensstilssein müsse: Schon die Kinder werden ange-halten, gemäß dem jüdischen Gebot, ein

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Wohnhaus der Familie Moritz Warburg im Mittelweg 17, Ecke Johnsallee

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Zehntel ihrer Ersparnisse für wohltätigeZwecke in die Spardose zu stecken.10 Moritzhat ein Waisenhaus begründet, unterstütztmit namhaften Beträgen das auf eine Stif-tung Salomon Heines zurückgehende Israe-litische Krankenhaus sowie die Talmud ToraSchule. Seiner Energie und Großzügigkeitist auch der Bau der großen, 1906 fertig ge-stellten Synagoge am Grindelhof zuzu-schreiben, zu der auch Felix Warburg grö-ßere Summen beisteuert; diese sogenannte„Bornplatzsynagoge“ wurde in der Reichs-pogromnacht 1938 verwüstet und 1939 abge-rissen.

···································································Unter diesem Aspekt ist es ungewöhnlich,dass Charlotte ein christliches Kindermäd-chen beschäftigt: Franziska Jahns. Sie war ineinem Waisenhaus aufgewachsen und of-fenbar in der Lage, selbst nicht empfangeneZuwendung den Warburg-Kindern in ho-hem Maße zuteil werden zu lassen. Mit 17eingestellt, lernt sie sogar etwas hebräisch,um mit den Kindern Gebete sprechen zukönnen. Wie ein 1895 entstandenes Famili-enfoto zeigt, ist sie selbstverständlich in denKreis der Warburgs integriert. „Mit derZeit“, so erinnert sich Max Warburg, „nahm

Die Familie Warburg (1895), obere Reihe zweite von links: Franziska Jahns

sie gewissermaßen die Stellung einer älterenSchwester bei uns ein, wenn auch ihre Zu-rückhaltung und Bescheidenheit sie immerals Gouvernante erscheinen ließ. In ihrer lie-bevollen Weise war sie der gute Geist imHause, der ausgleichend wirkte, der aberauch seinen Ordnungssinn auf uns zu über-tragen verstand. Als wir dann später – sie-ben verheiratete Kinder sowie einundzwan-zig Enkelkinder – im Sommer bei denEltern auf dem Kösterberg wohnten, lebteFranziska noch und blieb auch hier der un-entbehrliche gute Geist.“11 Noch Jahrzehntenach ihrem Tod erinnert sich Aby an ihrenGeburtstag: Franziska Jahns sei eine „protes-tantische Caritas“ gewesen, die der „geld-magnatischen Lebensführung“ der Familiedas Ideal der Bescheidenheit entgegenhielt,„womit sie bei meiner einfachen seligenMutter harmonierte“.12

···································································Nach außen hin sind sie ein „Siebenge-stirn“, aber innerhalb der Familie herrscht,wie unter Geschwistern üblich, ein perma-nenter Konkurrenzdruck. Besonders Abyund Max entwickeln sich sehr unterschied-lich: Während der Ältere mit seinen dunkel-braunen Augen und seiner kleinen, zur Fül-ligkeit neigenden Statur der Mutter gleicht,kommt der blauäugige, groß gewachseneMax nach dem Vater. Von diesem – dernoch in späteren Jahren als lässiger Dandydurchgehen kann – hat er ein gewinnendesAussehen und, so ist überliefert, einen be-trächtlichen Charme geerbt, der ihm schonin jungen Jahren das Leben leichter macht.Schließlich müssen sich beide Brüder, nach-dem sie in die Vorschule des Johanneumseingeschult worden waren, in einer Umge-bung behaupten, in der sie als Juden zurMinderheit gehören. Aby dagegen gilt alssprunghaft und schwierig. Nachdem er als

Kind eine Typhuserkrankung nur knappüberlebt hat, wird er auf Anraten der Ärzteso geschont, dass er tyrannische und chole-rische Charakterzüge entwickelt. Er ist jäh-zornig, aber auch witzig, ein brillanterSchauspieler und Stimmenimitator. Wenigsportlich veranlagt, entwickelt er sich zu ei-ner Leseratte. Und obwohl in den Naturwis-senschaften völlig unbegabt, kann er eineKlasse überspringen. Beide Jungen besu-chen das – wie für Kaufmannssöhne üblich– Realgymnasium des Johanneums amSteintorplatz. Aby, der sich ja, wie erwähnt,im Alter von dreizehn gegen ein Leben alsBankier entschieden hat, schreibt sich fürein weiteres, ergänzendes Schuljahr auf demhumanistischen Zweig des Johanneums ein.Er nimmt Privatstunden in Griechisch undLatein und besteht 1886 auch das altsprach-liche Abitur. Ganz anders Max: „Ich bin im-mer ein schlechter Schüler gewesen undtrug mich keineswegs mit der Absicht, michdem Abiturientenexamen auszusetzen. Alsich in der Unterprima war, legte ich meinemVater nahe, mich doch lieber aus der Schulezu nehmen – was habe es für einen Sinn zustudieren, da ich doch in die Firma eintre-ten werde. Mein Vater aber erklärte, dassseine Söhne eine abgeschlossene Bildunghaben müssten. ‚Das hättest Du mir frühersagen müssen‘, antwortete ich, ‚ich habe inden letzten drei Jahren so gut wie nichts ge-arbeitet.‘ Es war die reine Wahrheit; vonmeinem 16. bis zu meinem 18. Lebensjahrhabe ich wirklich viel mehr geflirtet als ge-lernt. (…) Wie ich zuguterletzt das Examenbestanden habe, ist mir noch heute unbe-greiflich.“13 Im gleichen Jahr wie sein ältererBruder hat auch er es dann geschafft. Be-rauscht vom eigenen Aufholerfolg, erwägtMax, nun lieber doch Chemie zu studieren– was ihm der geschockte Vater nur müh-

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sam wieder ausreden kann. Abys Berufszieldagegen steht fest: Archäologe. ···································································Es ist heute kaum noch nachvollziehbar,welchen tiefgreifenden Schock Abys früherEntschluss, die Leitung des Bankhauses sei-nem jüngeren Bruder zu überlassen, der ge-samten Familie versetzte. Warum diese hef-tige Reaktion? Kam es nicht öfters vor, dassSöhne sich der Familientradition widersetz-ten, und konnte man nicht bereits damalssehen, dass sich Max tatsächlich sehr vielmehr für das Bankgeschäft eignete? Ja – undwenn er, wie Großmutter Oppenheim essich dringlich wünschte, sich für ein Lebenals Rabbi entschieden hätte, wäre er mit sei-

nem Entschluss auf Verständnis gestoßen.Als aber auch das vehement abgelehntwurde, war die gesamte Familie alarmiert:„Die Familie hat alles getan, damit er nichtKunstgeschichte studierte. Er sollte wenigs-tens indirekt Geld verdienen. Arzt, Chemi-ker [werden]. Selbst wenn er nach Frankfurtkam, hat ihn jedes einzelne Mitglied der Fa-milie nochmals bearbeitet: ‚Was willst Dumit Kunstgeschichte‘?“14 Abys Liebe abergehörte eben jenen Objekten, die für Judenjahrhundertelang tabu gewesen waren, bild-lichen Darstellungen. Und sie gehörte geis-teswissenschaftlichen Fragestellungen, ge-hörte der Antike als Epoche, auch Lessingsberühmter Schrift „Laokoon oder über die

Aby (links außen) im Kreise seiner Mitabiturienten am Johanneum (1886)

Grenzen der Mahlerey und der Poesie“. Wereine solche Passion zum Beruf machte,wählte nicht nur „Brotlosigkeit“, sondernbrach auch aus einem jahrhundertealten er-folgreichen System und letztendlich einemschützenden Kokon aus. Seit dem Mittelal-ter hatten die Berufseinschränkungen für

Juden dazu geführt, dass sie sich auf wenigeTätigkeiten konzentrierten – auf das ausdem Geldverleih erwachsene Bankgeschäft,auf die Medizin. Archäologie, überhaupt dieBeschäftigung mit Kunstwerken und damitauch Bildern, gehörte keinesfalls dazu.

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··············································································································································15 Chernow, Die Warburgs, S. 46 f.16 Roeck, Warburg, S. 14.17 Chernow, Die Warburgs, S. 33.18 Max Warburg, Erinnerungen von Max Warburg an Aby Warburg, o. D., wohl Dezember 1929 (WIA,

III.134.1.6.). 19 Ebd.10 Chernow, Die Warburgs, S. 46.11 Max Warburg, Aufzeichnungen, S. 9.12 Tagebuch der K.B.W., 18. Juli 1929: Warburg, Tagebuch, S. 472.13 Max Warburg, Aufzeichnungen, S. 9 f.14 Max Warburg, Erinnerungen von Max Warburg an Aby Warburg, o. D., wohl Dezember 1929 (WIA,

III.134.1.6.). ··············································································································································

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Beide Söhne verlassen unmittelbar nachEnde der Schulzeit das Haus. Ihre so unter-schiedlichen Lehr- und Wanderjahre erge-ben in der Rückschau dennoch eine ähnli-che Geschichte: Sie erzählt vom Wunschdazugehören zu dürfen und von der bitterenErkenntnis, dass dies, allen gesetzlichenGleichstellungsmaßnahmen zum Trotz, nurpartiell, nur momentweise gelingen konnte.Diese Erfahrung wird beider Leben bis ansEnde prägen, und sie wird sowohl Aby alsauch Max dazu animieren, auf immer neueund sehr persönliche Weise Wege der Inte-gration zu suchen. In manchen Lebenspha-sen verlaufen diese Wege parallel, in ande-ren kreuzen sie sich oder bilden einengemeinsamen Strang. Ihren Ausgangspunktaber nehmen sie in jenen Jahren, die die bei-den Brüder erstmals fern vom Elternhausund – teilweise – der schützenden Umge-bung jüdischer Netzwerke verbringen. ···································································Aby beginnt an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn das Studiumder Archäologie und Kunstgeschichte. Bonnwar seit Mitte des 19. Jahrhunderts Ausbil-dungsort der preußischen Prinzen und an-derer Angehöriger der Aristokratie; es galtals „feudal“. „Hoffentlich“, schreibt MoritzWarburg, „wird unser lieber Aby jetzt denrichtigen Weg weitergehen und in kindli-cher Liebe so fortleben, wie er es in seinem

elterlichen Hause gesehen und gehörthat“.15 Der Vater hofft vergeblich: Schon zuBeginn seiner Studienzeit trifft der damalszweiundzwanzigjährige Sohn die folgen-schwere Entscheidung, nicht weiter koscherzu essen. Bei „Rothschild“, einem ständigenjüdischen Mittagstisch, schmeckt es ihmnicht, und Alternativen sind rar. „Jüdischefromme Familien giebt es nach Dr. Unger 10hier, von denen jedoch keine einen ständi-gen Gast versorgen würde.“ Das Themascheint schon länger Gegenstand intensiverErörterungen mit den Eltern zu sein, denender dahinter steckende grundsätzliche Los-lösungsprozess ihres Ältesten vom Juden-tum Angst macht. Aby antwortet seinerMutter im Januar 1887 ausführlich auf dies-bezügliche Einwände: „Was Du mir, liebsteMama, von dem schreibst, was mit dem An-dersessen wegfallen würde, so muß ich Dirbemerken, daß Du mir Unrecht thust. Daßich Jude bin, schäme ich mich ganz und gar-nicht, sondern suche im Gegenteil den An-deren zu zeigen, daß Vertreter meiner Artwohl geeignet sind, sich nach Maßgabe ih-rer Begabung als nützliche Glieder in dieKette der heutigen Cultur- und Staatsent-wicklung einzufügen“.16

···································································„Einfügen“ ist das Stichwort. Voller Be-geisterung taucht Aby ein in die Welt derStudenten – in die Welt der echten Männer.

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Lehr- und Wanderjahre:„Es muss besser werden!“

Er bewegt sich in einem Kreis HamburgerStudenten, die offensichtlich die Gepflo-genheiten einer studentischen Verbindungangenommen haben, in der man sich mit„Lieber Leibfuchs“ anredet.17 Ein Gruppen-foto aus dem Wintersemester 1887/88 zeigtihn in dieser Gruppe, zu der unter anderemJohannes Sieveking, Georg Melchior (der äl-tere Bruder des Juristen Carl Melchior, der1902 in die Warburg-Bank eintreten und1911 ihr Generalbevollmächtigter werdensollte), John Hertz, Wilhelm Kiesselbach,Paul Ruben gehörten; auch Harry GrafKessler schließt sich „dem Kreis“ zeitweisean. Das Besondere: Im Hamburger Kreisspielt, anders als sonst in Studentenverbin-dungen, die Konfession keine erkennbareRolle – seine Mitglieder entstammen so-wohl jüdischen als auch konservativ-protes-tantischen Elternhäusern. „Hamburg unddie Herkunft aus der Oberschicht der Stadtfungierte als gemeinsamer Nenner des Mit-einanders, der einen gefährlichen, feindse-ligen Antisemitismus nicht aufkommenließ.“18„14. Mai: Bier, Sekt (Stiftungsfest),Bowle“, notiert er im Tagebuch. „15. Mai:Katerstimmung.“19 Der Wein fließt in Strö-men, Wurstwaren und Butter werden vonder Mutter, Zigarren in Hunderter-Gebin-den vom Vater nach Bonn geschickt und zü-gig konsumiert. Gründlich studiert man dieLokale in Bonn und der näheren Umge-bung. Noch heute wirkt das VergnügenAbys bei der Schilderung von Ausflügen aufden Petersberg, nach „Altenaar“ [Altenahr,KM], nach Beuel zum Billardspielen anste-ckend. Seine Formulierungskunst ist schondamals ausgeprägt. Besonders imponiertdem Hamburger der rheinische Karneval:„Den Carneval habe ich gründlich mitge-macht“, schreibt er seiner Mutter Ende Feb-ruar 1887. „Was das heißt, davon macht man

sich im schwerblütigen Norden überhauptkeine Vorstellung. Wenn so ein braver Ham-burger Philister, im wohligen Gefühl seinerpolizeilich beglaubigten Tugendhaftigkeit,plötzlich hier in den Carnevalsstrudel ver-setzt würde, ihm schlügen die Haare überdem Kopf zusammen und seine Händestünden ihm zu Berge (…). Sonntag warenwir … in Köln und zwar als 5 Schornstein-feger, die zusammen an einer zusammenleg-baren Leiter herumschleppten und exercier-ten; wir sahen sehr komisch aus: ganzschwarz, bis über den Kopf durch die Ka-puze verhüllt, nach der Größe sortiert, …mit weißen Glaces und Halbmaske“.20 Aufder anderen Seite wird den Eltern immerschmerzlicher bewusst, wie sehr sich ihr äl-tester Sohn immer mehr vom Judentumentfernt: Als die Eltern anfragen, ob er zumLaubhüttenfest nach Hause kommenwerde, lehnt er ab.21 Die Mutter gibt nichtso schnell auf und hält ihm vor, dass der Va-ter sich noch nicht damit abgefunden habe,bei seinen Söhnen alles verloren zu sehen,woran sein Herz hänge: „Er hat Dir – fürseine Grundsätze – schon weitgehende Con-cessionen gemacht und wird, wie ich vo-raussehe, auch bei Max und Paul stellen-weise nachzugeben sich gewöhnen müssen.Während ich mehr mit den Verhältnissenrechne, die Umstände und Persönlichkeitenin Betracht ziehe, vollzieht sich bei Papa nurunter wahrhaftem Kummer und vielfachenAufregungen alles, was in dieser Beziehungnachgeben heißt.“22 Aby lässt sich nicht er-weichen – sein Weg wird aus dem Judentumhinausführen. Immerhin – die Ferien ver-bringt man gemeinsam in Ostende.···································································Während Aby das Studentenleben in vol-len Zügen genießt und gleichzeitig immerglücklicher wird mit der Wahl seiner beiden

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Fächer Kunstgeschichte und Archäologie,überlegt Max, ob ein Bankier nicht „derMenschheit nützen kann, ohne sie auszu-pumpen, ob er nicht den Vorteil der Weltauch zu seinem Vorteil machen kann“.23

Was aus heutiger Sicht wie ein naiv-roman-tischer Jugendtraum klingt, wird sich zu ei-nem Lebensthema entwickeln. Max War-burg hört lebenslang nicht auf, über dieFrage nachzudenken, wie er das Gemein-wohl nach Kräften befördern könne, und erfindet seine ganz persönliche Antwort aufdiese Frage. Zunächst aber erlernt er dasBankgeschäft von der Pike auf. Zwei Jahrelang, während derer er bei den GroßelternOppenheim wohnte, geht er beim Frankfur-ter Bankhaus J. Dreyfus & Co. in dieLehre.24 Danach folgt die erste Auslandssta-tion: Sechs Monate arbeitete er beim Bank-haus Wertheim & Gompertz in Amster-dam. „In dieser Stellung hatte ich meinenersten geschäftlichen Erfolg: ich konnte derFirma M. M. Warburg & Co. die Korres-pondentenstellung der NiederländischenBank im Ausland sichern“, erinnert sichMax. „Im übrigen gewährte mir Holland dieGelegenheit, die Kunstgalerien gründlichkennen zu lernen. Nie mehr habe ich einMuseum so aufmerksam studiert wie dasRijksmuseum und das Mauritshuis.“25

···································································Im Oktober 1888 aber beginnt ein anderesLeben: Max tritt voller Begeisterung seinenMilitärdienst an – freiwillig, denn er ist aufdem linken Ohr fast taub, was er verheim-lichte. Er wählt das III. Bayerische Che-vauxleger-Regiment in München: Warumausgerechnet München? Max strebt denRang eines Reserveoffiziers an. Das Reserve-offizierspatent stellt im deutschen Kaiser-reich ein wichtiges Statussymbol dar. Es istdie „Eintrittskarte in die militärische und

adlige Welt der deutschen Führungsschich-ten“ und Ausweis der Elitezugehörigkeit.26

Voraussetzung ist zunächst, dass man sichals Einjährig-Freiwilliger meldet, sein Mili-tärjahr selbst finanziert und sich im Manö-ver bewährt. Danach kann man durch Zu-wahl in den Kreis der Offiziere aufgenom-men werden. Juden bleibt dies jedoch in derRegel verwehrt. Trotz aller Proteste des„Central-Vereins deutscher Staatsbürger jü-dischen Glaubens“ vor dem Reichstag undimmer wieder aufflammender öffentlicherDiskussionen existiert die militärisch-gesell-schaftliche Diskriminierung im deutschenKaiserreich fort. Nur in Bayern hatte es ganzvereinzelte Ausnahmefälle gegeben. Maxfühlt sich ausgesprochen wohl in seinemKavallerie-Regiment. Er lebt auf großemFuß, „gibt ein Schweinegeld aus“, wie seinjüngerer Bruder Fritz kolportiert,27 undidentifiziert sich völlig mit der von Diszip-lin und Corpsgeist geprägten Welt. Wie seinBruder Aby im Kreis der Studenten, erlebter hier zum ersten Mal, dass die Leistung desEinzelnen, nicht die Zugehörigkeit zu einerReligionsgemeinschaft oder gar Rasse, zählt.Nach einem Jahr ist er Vizefeldwebel und –als einer von dreien unter siebzehn „Einjäh-rigen“ – Offiziersaspirant. Er entwickeltstarke patriotische Gefühle, will, wie vieleJuden damals, vor allem ein guter Deut-scher sein. In einem sechzehn Seiten langenBrief legt der Zweiundzwanzigjährige demVater einen neuen Lebensplan dar: Er willBerufsoffizier werden. Die Firma, die Fami-lientradition, das „gemachte Nest“ treten inden Hintergrund gegenüber der tiefenSehnsucht nach Akzeptanz. Vater Moritz istentsetzt. Er antwortet kurz, aber prägnantund den Sohn mit einem einzigen Wort anseine Wurzeln und die gesellschaftliche Rea-lität erinnernd: „Mein lieber Max, me-

schugge. Dein Dich liebender Vater.28 Mo-ritz sollte recht behalten: Max wird gegenden (nichtjüdischen) Enkel eines Ministersmit gleichen Ambitionen ausgetauscht. DerTraum von der Karriere beim Militär ist aus-geträumt. In seinen Lebenserinnerungenüberspielt er seine Verletztheit mit zwei dür-ren Sätzen: „Eine Anwandlung, die aktiveOffizierskarriere einzuschlagen, wies mein

Vater rundweg ab. Ich lernte bald einsehen,wie recht er damit hatte.“29 Moritz aktiviertseine internationalen Verbindungen undlenkt die Schritte des Sohnes auf vertrautes,internationales Territorium zurück: Er ver-schafft ihm für das Jahr 1890 eine Beschäf-tigung als Sekretär bei der Banque ImpérialeOttomane in Paris. ···································································

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Max bei der Kavallerie (1888 oder 1889)

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Es kann kein Zufall sein, dass Aby zur glei-chen Zeit sehr ähnliche Erfahrungen macht.Zuvor aber geht er mit einer neunköpfigenStudentengruppe unter Anleitung des Bres-lauer Ordinarius August Schmarsow fürzwei Monate nach Florenz. Aus Schmarsowsim Palazzo Ferroni und in seiner Wohnungabgehaltenen Lehrveranstaltungen erwächstdas bis heute bestehende renommierteKunsthistorische Institut in Florenz. 1897wird es in der Privatwohnung des LeipzigerProfessors Heinrich Brockhaus, den manzum ersten Direktor ernannt hatte, eröffnet.Aby führt in Florenz Ende 1888 den Vater ei-nes Bonner Kommilitonen, den angesehe-nen Hamburger Kaufmann und SenatorAdolph Ferdinand Hertz und dessen Toch-ter Mary durch die Uffizien. Aby und Maryfinden sich mehr als sympathisch – und be-ginnen einen intensiven Briefwechsel. ZumWintersemester 1889/90 wechselt Aby an dieUniversität Straßburg. Sie war nach demDeutsch-Französischen Krieg und der An-nexion Elsass-Lothringens durch das Deut-sche Reich 1872 als „Kaiser-Wilhelm-Uni-versität“ neu gegründet worden mit demerklärten politischen Ziel, ein „Bollwerk desdeutschen Geistes“ zu errichten – galt den-noch als modern und vergleichsweise libe-ral.30 Hier in Straßburg wird er offenbarzum ersten Mal mit offenem Antisemitis-mus konfrontiert. Mehrmals am Tag hört er,wie er der Mutter in einem Brief vom 25.November 1889 berichtet, auf der Straßehinter seinem Rücken: „Desch ischt e Jud“,was ihm schmerzlich bewußt macht, dasssein Aussehen „einen sehr ausgesprochenorientalischen Anstrich“ haben muss. DieFolge sei, dass man sich „ganz mit sich selbstauseinanderzusetzen“ habe. „Dabei wirdman freilich nicht lebensfreudiger.“ Denn,so konstatiert er in kluger Selbstbeobach-

tung: „Mich beherrscht doch noch immerdieser – eigentlich jämmerliche – Wunsch,unter stillschweigender Anerkennung allerMenschen mit denen ich zu thun habe,meine Wege (in ehrlicher Arbeit, wie ichweiß) zu gehen. Finde ich doch nun aufSchritt und Tritt, daß unser mit Recht so be-liebtes deutsches Volk sich, mit obrigkeitli-cher Erlaubnis jetzt so recht darin gefällt, je-den Juden zuerst einmal als einen fremdenEindringling von zweifelhaften Manierenanzusehen, so bin ich deprimiert. (…) DieVerhandlungen in der Commission desReichstags sind auch nicht erfreulich: Magimmerhin keine offizielle Bestimmung be-stehen, daß Juden nicht zu Reserveoffizierengemacht werden: man hat doch alles eher alsden guten Willen, den Einzelnen anzuer-kennen; nur das wäre doch wirklich der ein-zige Weg, praktisch ein gesellschaftlichesDurchdringen anzubahnen: man merktdoch an allem, daß man es mit Parvenus desNationalgefühls zu thun hat, die sich ihrerselbst noch nicht sicher sind: ‚Es muß bes-ser werden!’“31

···································································Es berührt auch heute noch, wie offen derdreiundzwanzigjährige Aby seiner Mutterdas Herz ausschüttet. Er fühlt sich ausge-grenzt. Wie hat es der 1922 ermordete Wal-ther Rathenau formuliert: „In den Jugend-jahren eines jeden deutschen Juden gibt eseinen schmerzlichen Augenblick, an den ersich zeitlebens erinnert: wenn ihm zum ers-ten Male voll bewußt wird, daß er als Bür-ger zweiter Klasse in die Welt getreten istund keine Tüchtigkeit und kein Verdienstihn aus dieser Lage befreien kann.“32 Es ist,vor allem im Rückblick, eine tragische Si-tuation. Aby wird daraus, wie wir noch se-hen werden, sein Lebensthema entwickeln:„Mir kommt oft der Gedanke, mich später

praktisch der Lösung der Judenfrage zuzu-wenden: hat man das Recht, sich vom Le-ben fernzuhalten?“ Der Vater antwortet mitdem Hinweis, glücklicherweise gäbe es „hierbei uns in Hamburg keinen Boden für der-artige Gemeinheiten“.33

···································································Charlotte Schoell-Glass hat beschrie-ben, wie hinter allen professionellen undkulturpolitischen Aktivitäten Abys diesereine Gedanke als roter Faden immer wiederaufblitzt: die „Judenfrage“. Zu ihrer Lösungwird Aby ein ganzes wissenschaftliches Ge-bäude errichten, an dessen Fassaden dieWorte „Nachleben der Antike“ und „Mne-mosyne“ zu lesen sind; im Inneren aber wirder mit großer Intensität versuchen, denKeim zu einer neuen Geisteshaltung zu ent-wickeln. Es wird ihm dabei nicht nur umdas eigene Ich, um eine Suche nach der ei-genen Identität, sondern um eine allge-meine, gesellschaftliche Perspektive gehen.Sein Interesse gilt der – an keine historischeEpoche gebundene – Frage, wie man primi-tiven Instinkten eine zivilisatorische Kraftentgegensetzen kann, die diese im Zaumhält. Die Metapher vom „Denkraum derBesonnenheit“ wird eine seiner Antwortenauf diese Frage sein. Zunächst aber schließtAby in Straßburg bei Hubert Janitschekseine Ausbildung ab. Seine 1892 eingereichteDissertation befasst sich mit Botticellis be-rühmten Gemälden „Die Geburt der Ve-nus“ und „Frühling“. Sie gelten ihm als Kar-dinalbeispiele für die neue Erkenntnis, dassdie Künstler der Renaissance bei ihrer Wie-derbelebung der Antike nicht etwa nach„edler Einfalt und stiller Größe“, sondernim Gegenteil nach heftigen Emotionen ge-sucht haben. Die Frage, welche Aspekte derAntike ausgewählt werden, wenn man sieJahrhunderte später zitiert und variiert, wird

zum Kernthema seiner wissenschaftlichenArbeit werden. ···································································Doch noch ein zweiter Aspekt verleiht die-ser frühen Studie Warburgs historische Be-deutung: Während der Arbeit macht er, aufden Spuren Jacob Burckhardts, die Entde-ckung, dass er weiter kommt in der Inter-pretation von Kunstwerken, wenn er dieUmstände ihrer Entstehung genau kennt.Aby ist Hamburger, ist Kaufmannssohn.Der Sinn fürs Praktische, für die Realien desLebens ist ihm in die Wiege gelegt. Mit die-sem Sinn erkennt er, dass Kunst nicht derGegensatz zum Alltag, nicht eine an dieWürdeformel des Museums gebundeneAusnahmeerscheinung ist. Dass er ausge-rechnet in Florenz zu dieser Überzeugungkommt, ist kein Zufall: Die Stadt war, ganzähnlich wie die Freie und Hansestadt Ham-burg, die meiste Zeit ihrer Geschichte eineStadtrepublik. Kaufleute wie die Medicihatten große Vermögen gemacht, und sie in-vestierten großzügig in Bauten, Gemäldeund Skulpturen. Reine Repräsentation istallerdings nicht ihre Sache. Auch die Inves-tition in Kunst muss irgendwie gewinnbrin-gend sein. Diese neue, aus einer spezifischhanseatischen Disposition entwickelte Fra-gestellung bringt Aby zu einem entscheiden-den neuen Ansatz: „Was hat die Kunst mitdem wirklichen Leben zu tun?“ wird von nunan die Frage sein, die ihn umtreibt. Anstattsich auf Künstlerviten und Museumskata-loge zu beschränken, untersucht er die Rech-nungsbücher, Medizinschriften, Beschrei-bungen von Theateraufführungen und Um-zügen sowie Horoskope der Zeit. Und erwird damit überwältigende Forschungser-folge erzielen. ···································································Öfters war es in den letzten Jahren zu Be-

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suchen Abys bei der Familie von Mary Hertzin der Ernst Merck-Str. 28 gekommen. Diezahlreichen Briefe, die seit ihrem erstenKennenlernen gewechselt wurden, gebenAufschluss über eine sich stetig intensivie-rende Liebe, die auch vom geistigen Aus-tausch lebte. Selbst künstlerisch tätig,nimmt Mary intensiv teil an seiner Arbeit,fühlt sich sogar für seine Karriere verant-wortlich. Am 26. September 1892 verlobensich beide heimlich, und die damals sechs-undzwanzigjährige Mary berichtet Abykurze Zeit darauf, dass sie seinen Ring im-mer trüge – aber aufpassen müsse, dass ihnniemand sähe. Beide leiden unter der vor-läufigen Aussichtslosigkeit dieser Bezie-hung, was Abys Gemüt eher verdunkelt. Im-mer wieder zögert er, einmal löst er dieVerlobung sogar wieder. Mary aber gibt mitdem Hinweis auf ihr unbeirrbares Gottver-trauen und ihre Geduld immer aufs Neuedie Richtung an.34 Für die Väter der beiden,vor allem aber für Moritz Warburg, kommteine Legalisierung gar nicht in Frage – nie-mand aus der Familie Warburg hatte bishereinen Nicht-Juden oder eine Nicht-Jüdingeheiratet. Anders verhält es sich mit MarysFamilie, die eigentlich ebenfalls jüdischenUrsprungs ist. Marys als Überseekaufmannund Reeder überaus erfolgreicher GroßvaterAdolph Jacob Hertz hatte sich 1822 luthe-risch taufen lassen:35 ein Umstand, der aberjetzt nicht als Argument in die Waagschalegeworfen werden kann. Im Gegenteil unter-nimmt man offenbar alles, um die einmalerrungene gesellschaftliche Position als ge-achtetes Mitglied des hanseatischen Bürger-tums nicht wieder zu gefährden. Marys Va-ter Adolph Ferdinand war seit 1872 Senatorund bekleidete zahlreiche Ehrenämter undPositionen – unter anderem war er Präsesder Commerzdeputation, Handelsrichter,

Mitglied der Seemannskasse, der Auswan-dererdeputation und der Bürgerschaft. ···································································Dass Aby nach der Promotion zunächsteinmal in Berlin beginnt, Medizin zu studie-ren (mit Schwerpunkt Psychologie), mageine Konzession an die Familie sein. Aberdieses Studium ist nur ein Intermezzo. ImNovember 1892 erreicht ihn der Einberu-fungsbefehl. Aby leistet seinen Militärdienstals „Einjähriger“ nicht in Bayern, sondernbeim 1. Badischen Feldartillerieregiment Nr.14 in Karlsruhe ab. Eine Flut ausgesprochenunterhaltsamer, vor allem an die „LiebeMutting“ gerichteter Briefe erreicht die Fa-milie in Hamburg, die ausführlich von denQualen und Mühen eines jungen Intellek-tuellen berichten, der plötzlich körperlichgefordert ist. Vor allem das Reiten bereitetdem nur 1,60 Meter großen Aby gewaltigeProbleme; mit seinen kurzen „Stengeln“kommt er kaum aufs Pferd und fällt an denersten beiden Tagen sechsmal herunter;Mitteilungen an die Eltern unterschreibt ermit „Kurzbein“.36 Den Unteroffizieren hälter Vorträge über Kunstgeschichte, die ihmdafür den Dienst erleichtern.37 Wie Max ge-nießt aber auch Aby letztlich das Aufgehenin einer Welt, in der das tägliche Leben vonmännlicher Disziplin geprägt ist. Auch erwird – obwohl gegen Widerstände, die auchantisemitische Untertöne tragen – zum Un-teroffizier befördert; vom Reserveoffizieraber kann gar keine Rede sein. Am 1. No-vember 1893 wird er entlassen, und wie beiseinem jüngeren Bruder schließt sich einelängere Periode im Ausland an. Sie sollte, mitUnterbrechungen, rund zehn Jahre dauern. ···································································Max genießt seine Wanderjahre. Zwei auf-schlussreiche Anekdoten aus jener Zeit cha-rakterisieren seine damaligen Lebensum-

stände, aber auch seinen Status als Kron-prinz auf das Schönste. Sie sind zu Famili-enlegenden geworden. Die erste ähnelt einerOpernszene aus „La Bohème“: Vater Moritzlässt ihm, was die Höhe des Budgets für deneigenen Lebensunterhalt betrifft, im Prinzipfreie Hand. „Allmonatlich aber gab ich beiweitem mehr aus als ich erhalten hatte. Ichschämte mich dann, nochmals zur Bank zugehen. Ich hatte eine zweite Wohnung imQuartier Latin, zusammen mit dem mit mirbefreundeten Maler Horsfall. Dort lebte ichalso während der Tage der Leere sehr einfach– aber darum nicht weniger glücklich –, bis

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Aby (rechts) beim Militärdienst (1892 oder 1893)

am Ende des Monats mein Budget wiederausgeglichen war. Daraufhin kehrte ichprompt in die üppige Wohnung Rue de Té-héran zurück, wo mich der übers ganze Ge-sicht strahlende Diener wie den verlorenenSohn bewillkommnete.“38 Im folgendenJahr volontiert Max bei N. M. Rothschild &Sons in London. Fast jedes Wochenendeaber reist er, seinem Ruf als Womanizer alleEhre machend, nach Paris, um am Montag-mittag wieder bei Rothschilds zu erschei-nen. Hiervon handelt die zweite Geschichte:„Ein Hamburger Freund berichtete meinemVater, er habe mich in Paris getroffen, vor-

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Bankhaus M.M. Warburg & Co. in der Ferdinandstraße 75

züglich aussehend und in glänzender Laune.Mein Vater schüttelte den Kopf: ‚Das mußein Doppelgänger gewesen sein, denn meinSohn ist in London. Der andere aber warvon seiner Behauptung nicht abzubringenund wettete schließlich mit meinem Vaterum zwanzig Mark. Der Vater forderte michauf, ihm eine Bestätigung zu schicken, da-mit er seine zwanzig Mark einkassierenkönne. Mir blieb nichts übrig, als ihm zuschreiben, daß ich ‚zur Erledigung dringen-der Angelegenheiten‘ an dem betreffendenTage in Paris gewesen war. Seine Antwortließ nicht auf sich warten: Ich überlasse esDir, ob Du in London oder in Hamburg le-ben willst; tertium non datur.“ Eine dritte

Möglichkeit gab es nicht – Max gewöhntesich in London ein. Krönender Abschlussder Ausbildung sollte eine Weltreise sein, dieMax zusammen mit seinem Freund PaulKohn-Speyer unternehmen wollte. Die bei-den kannten sich aus London, wo Kohn-Speyer Seniorteilhaber der Firma Brandeis,Goldschmidt & Co., eines bedeutendenMetallhandelshauses, war. Mitten aus denVorbereitungen heraus muss die Reise je-doch abgesagt werden: Der Vater brauchtdringend Unterstützung in der Bank. 1892kehrt Max nach Hamburg zurück, um end-gültig ins das Geschäft einzutreten. UndBruder Paul geht an seiner Stelle auf Welt-reise.

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··············································································································································15 Zitiert nach: Roeck, Warburg, S. 22.16 Beides zitiert nach: Schoell-Glass, Warburg, S. 235 f., vgl. auch ebd., S. 53 ff. 17 Vgl. Biester, Beruf, vor allem S. 56 ff. 18 Ebd., S. 58.19 Zitiert nach: Roeck, Warburg, S.37.20 Vgl. ebd., S. 28 ff. 21 Ebd., S. 58.22 Zitiert nach: Ebd.23 Zitiert nach: Hoffmann, Warburg, S. 24.24 1939 wurde J. Dreyfus & Co. durch das Bankhaus Merck Finck & Co. „arisiert“; das Baseler Stammhaus

der Firma besteht noch heute unter „Dreyfus Söhne & Cie. Aktiengesellschaft, Banquiers“.25 Warburg, Aufzeichnungen, S. 11.26 Hoffmann, Warburg, S. 26.27 Ebd.28 Zitiert nach: Chernow, Die Warburgs, S. 60.29 Warburg, Aufzeichnungen, S. 11.30 Roeck, Warburg, S. 66.31 Zitiert nach: Schoell-Glass, Warburg, S. 254 f.32 Rathenau, Staat, S. 188 f. 33 Zitiert nach: Chernow, Die Warburgs, S. 90.34 Roeck, Warburg, S. 31; Mary Hertz an Aby Warburg. 26. August 1892: WIA, FC.35 Hertz, Hertz, S. 708 f.36 Vgl. Roeck, Warburg, S. 81 ff. 37 Max Warburg, Erinnerungen von Max Warburg an Aby Warburg, o. D., wohl Dezember 1929 (WIA,

III.134.1.6.). 38 Warburg, Aufzeichnungen, S. 12 f.··············································································································································

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Max als junger Teilhaber der Bank

Zwei Krisen hat Max gleich zu Beginn sei-ner Tätigkeit als Prokurist in der Firma zubewältigen: Die in St. Petersburg ansässigeBank der Familie de Günzburg – über sei-nen Onkel Siegmund mit ihnen verwandt –ist in Schwierigkeiten geraten. Der risikobe-reite Junior gewinnt seinen vorsichtigerenVater und andere Finanziers dafür, das Hauszu stützen. Die Sache geht gut aus – Jahrespäter wird das Darlehen zurückgezahlt. DieAktion verschafft ihm in der Finanzwelt ei-nen exzellenten Ruf. Dann bricht im August1892 in Hamburg die Cholera aus. Währendin Altona durch das Sandfiltrierwerk aufdem Kösterberg das Trinkwasser sauber unddie Bevölkerung praktisch verschont bleibt,sterben in der Hansestadt etwa 8.000 Men-schen. Pausenlos fahren Wagen mit Särgendurch die Straßen, die Angestellten erhaltenzunächst pro Kopf und Tag zwei FlaschenHennessy Cognac, den sie statt des verun-reinigten Trinkwassers zu sich nehmen. Einpaar Tage später dürfen sie ganz zu Hausebleiben. Der Hafen ist gesperrt. Unterstütztdurch zwei Freiwillige arbeitet Max vonmorgens sieben bis Mitternacht im Ge-schäft: „Ich hatte das sichere Gefühl, immunzu sein.“39 – 1893 kommt Bruder Paul vonder Weltreise zurück und wird ebenfalls Pro-kurist, während Max zum Teilhaber auf-rückt. In den folgenden Jahren arbeitet er

ununterbrochen. Er will die Bank nachoben bringen, und er will in der hanseati-schen Gesellschaft eine Rolle spielen. ···································································Zunächst geht auch er 1896, völlig über-arbeitet, auf eine lange Reise nach Übersee;sein Ziel ist Afrika. Er trifft den Präsidentender Südafrikanischen Republik Paul (Ohm)Krueger und besichtigt in Swasiland Zinn-minen. Bei der Heimkehr gibt es eine ange-nehme Überraschung: Auf Ausritten hatteMax in einer Gegend, in der die Hambur-ger Familien schon lange ihre Sommersitzehaben – in Blankenese –, ein zauberhaftesGrundstück entdeckt: wenn, dann dieses!Vater Moritz ist grundsätzlich bereit. Aberder geforderte Preis erscheint ihm viel zuhoch. Als einige Jahre später der damaligeBesitzer seine Frau mit einem Liebhaberdort in flagranti erwischt, gibt er den altenSommersitz günstig ab. 1896 erwirbt MoritzWarburg den „Kösterberg“ – vor allem, umim Sommer seine inzwischen weit verstreuteFamilie dort um sich zu scharen. Die Rech-nung wird aufgehen. Und Max hat endlichsein Landhaus. Als man ihm mit 30 Jahrenjedoch die Möglichkeit bietet, in den Senateinzutreten, rät Moritz traurig ab, das seinichts für Juden, so seine Reaktion, manwürde Max nicht als ebenbürtig ansehen.40

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Wie man sich in Hamburg eine Existenz aufbaut

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Was tun nach abgeschlossener Disserta-tion? Die Frage kann damals so ratlosmachen wie heute. Aby ergreift im Septem-ber 1895 die Gelegenheit, die Welt jenseitsder europäischen Kultur kennenzulernen.Er reist zur Hochzeit seines Bruders Paul mit Nina Loeb nach New York – ihr ausDeutschland stammender Vater SalomonLoeb ist ein schwerreicher Geschäftsmannund Bankier. Nachdem er den gesellschaft-lichen Teil hinter sich gebracht hat, fährt ernach Washington weiter, besucht dort dieSmithsonian Institution und bricht dann inden Westen auf, um die Rituale der Pueblo-Indianer zu studieren. Aus akademisch-kunsthistorischer Perspektive ist diese Reiseeine höchst originelle Idee, ein ungeheurerSchritt heraus aus dem eng begrenzten Ter-

ritorium der europäischen „Hochkultur“. Indem Milieu aber, in dem Aby aufgewachsenist, ist es völlig normal, sich bei außereuro-päischen Handelspartnern den Wind umdie Nase wehen zu lassen. Der Aufenthalt inÜbersee, in Südamerika oder Asien gehörtbis heute ganz selbstverständlich zur Ausbil-dung hanseatischer Kaufmannssöhne. Eineständige wachsende ethnografische Samm-lung bildet seit der Mitte des 19. Jahrhun-derts die weitreichenden Handelsbeziehun-gen Hamburgs auch auf der Objektebeneab. Diese Sammlung ist unter dem Namen„Culturhistorisches Museum“ 1871–1878 injenem Gymnasium untergebracht, das Abyzur gleichen Zeit besucht.···································································Abys Forschungsergebnisse sind unter der

Familie Warburg auf dem Kösterberg

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Überschrift „Schlangenritual“ inzwischenvielfach publiziert und kommentiert wor-den. Nach seiner Rückkehr hält er im Laufdes Jahres 1897 zwei Vorträge in Hamburgund einen in Berlin über „Eine Reise durchdas Gebiet der Pueblo-Indianer in Neu-Me-xiko und Arizona“, einen in der Gesellschaftzur Förderung der Amateur-Photographie,den zweiten im „Amerikanistenclub“. ···································································Danach zieht es Aby erst einmal zurücknach Florenz, wo er die Archive kennt, woer seine Forschungen fortsetzen und auswei-ten kann, wo er die Sprache inzwischenziemlich gut beherrscht und wo er – kleinund dunkel – überhaupt nicht auffällt. Er iststolz, wenn man ihn für einen Italiener hältund lebt, wie einst mit Max ausgemacht,von den regelmäßig aus Hamburg eintref-fenden Wechseln, deren Höhe immer malwieder mit dem Vater verhandelt werdenmuss. Aby sei rücksichtslos und immer zuüppig gewesen, so Bruder Max in der Rück-schau, vor allem in Bücherankäufen, er habeaus dem Vater immer größere Summen he-rausgepresst.41 Für Literatur – auch kostbareQuellenwerke – gibt Aby so viel Geld aus,dass die Familie verständnislos den Kopfschüttelt und sich fragt, ob er das alles läse– aber darauf kommt es nicht an: Die Bü-cher sind nicht mehr nur Arbeitsmaterial,sondern sie bilden einen Organismus eige-ner Art. Doch obwohl man Abys Leiden-schaft nicht teilt und nicht recht versteht,nimmt die Familie – vor allem Bruder Max– an allem Anteil. In den gemeinsamenSommerferien erläutert Aby ihm seine Pro-jekte. ···································································Im April 1897 trifft endlich der ersehnteBrief ein: Marys Bruder John kann berich-ten, sein Vater sei mit der Verbindung ein-

verstanden unter der Bedingung, dass beideParteien ihre Religionszugehörigkeit behiel-ten.42 Mary war inzwischen gelegentlich beiden Geschwistern Abys eingeladen gewesen;wenn bei einer solchen Gelegenheit aberVater Moritz unerwartet das Haus betrat,musste sie sich vor ihm verstecken. Nichtnur in Fragen der Religion, sondern auch inder Mentalität stellt man Unterschiede zwi-schen beiden Familien fest, so Max: „Das El-ternhaus Hertz war puritanisch, der einzigeLuxus die rote Weinflasche. Alle Gänge ka-men auf einmal auf den Tisch, aus Angst vorder Indiskretion der Dienstboten. Es wardas, was wir ungemütlich nennen als Stil.“43

– Nun findet zunächst die offizielle Verlo-bung und im Oktober 1897 – nach neun

Aby in Adirondack (1895)

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konfliktreichen Jahren – die Hochzeit statt.Die Trauung erfolgt auf dem Landhaus derFamilie Hertz außerhalb Hamburgs statt,die Eltern des Bräutigams bleiben ihr fern –sie treffen das junge Paar aber unmittelbardanach in Wiesbaden, wohin sie sich zu ei-nem Kuraufenthalt begeben hatten. MaxWarburg erinnert sich an diese Zeit als eine„zweite schwere Auseinandersetzung“ Abys

mit seinem Vater: „Mein Vater betrachteteeine Mischehe als ein Unglück und so muss-te die Heirat gegen seinen Willen stattfin-den. Die Eltern wohnten der Hochzeit nichtbei. Die Aufregung in Hamburg war natür-lich eine grosse, nur wir Geschwister Paul,Nina [die Schwägerin, KM], Olga und ichwaren als Vertreter der Familie bei SenatorHertz und Frau. Kurz nach der Hochzeit

Humiskatchina-Tanz in Oraibi (1895)

söhnten sich die Eltern dank des mildern-den Einflusses der Mutter mit Aby wiederaus und die Schwiegertochter Mary wurdevon da an wie nur irgendeine Tochter vonden Eltern verehrt und geliebt.“44

···································································Am 25. Dezember 1897 verlobt sich auchMax – mit der sechs Jahre jüngeren AliceMagnus. Sie ist eine Freundin der Familie,speziell seiner Schwester Olga. Vater Moritzwird erleichtert gewesen sein, denn wäh-rend sein ältester Sohn mit den Familientra-ditionen bricht, verbleibt Max wenigstensäußerlich in dem Rahmen, den ihm seineHerkunft vorgezeichnet hat. Alice ist Jüdin.Ihr Vater, ein Pelzhändler, war früh gestor-ben. Zurückgeblieben waren seine aus Russ-land stammende Frau Lola und neun Kin-der. Die Familie war verwandt mit PiusWarburg in Altona, dem Erben des AltonaerBankhauses W. S. Warburg. Pius spielte impolitischen und gesellschaftlichen Leben Al-tonas eine große Rolle. Er führte ein großesHaus an der Palmaille, wo unter anderemJohannes Brahms und Hans Christian An-dersen zu Gast waren, er war Mäzen und einengagierter Kunstsammler. Mit Anfang zwan-zig geht Alice für drei Jahre zu ihrer Tante,der Opernsängerin Helene von Hornbostel,nach Wien. Sie besucht Mal- und Zeichen-klassen (später wird man ihre Porträtkunstrühmen) und taucht ein in das so viel glanz-vollere Leben der vom kaiserlichen Hof ge-prägten Metropole. Obwohl eigentlich allespasst, erregt die Verbindung doch einigesErstaunen, denn Alice ist mittellos. Wäh-rend Max’ jüngerer Bruder mit der NewYorkerin Nina Loeb in den internationalenGeldadel eingeheiratet hatte, wählte Maxdie sprichwörtliche „arme Verwandte“, diezudem seiner charmanten Leichtlebigkeitein streng-betuliches, diszipliniertes Wesen

entgegensetzt. Die Liebe eben – am Tagnach der Verlobung schreibt er Alice einenBrief, der mit den Worten „Für immer DeinDein Dein Max“ schließt.45 Drei Monatespäter wird im Hotel „Königlicher Hof“ inder Altonaer Bahnhofstraße eine überausglanzvolle Hochzeit gefeiert: Ein zehngängi-ges Menü, begleitet von sieben Weinen, of-feriert von Kaviar bis Foie Gras alles, was gutund teuer ist. Die Hochzeitsreise führt dasjunge Paar, das in Paris standesgemäß im„Ritz“ absteigt, bis nach Sizilien. Nach ihrerRückkehr beziehen Max und Alice (im Fa-milienkreis „Malice“ genannt) zunächst einkleineres Haus nicht weit vom Mittelwegentfernt, in der Magdalenenstraße 68. Aliceentwickelt gesellschaftlichen Ehrgeiz, ihreDîners sind legendär. 1898 wird das hun-dertjährige Bestehen von M. M. Warburg &Co. gefeiert. Zum Jubiläum gründet dieFirma für ihre 53 Angestellten einen Sozial-fonds. ···································································Noch von Florenz aus macht sich Aby 1899in Hamburg einen Namen mit Veranstal-tungen im Rahmen des breitgefächerten„Allgemeinen Vorlesungswesens“: Aus dem„Akademischen Gymnasium“ erwachsenund seit 1837 offiziell benannt, hatte sich mitdem „Vorlesungswesen“ eine vor-universi-täre Einrichtung etabliert. Es vereinigte ver-schiedene wissenschaftliche Institute wieden Botanischen Garten, die Sternwarte,das Chemische Staatslaboratorium, dasPhysikalische Staatslaboratorium, das Labo-ratorium für Warenkunde, das Institut fürSchiffs- und Tropenkrankheiten; 1908 wirddas Kolonialinstitut hinzukommen. DieDirektoren dieser Einrichtungen waren zuöffentlichen Vorlesungen verpflichtet. Zu-sammen mit den für das „Vorlesungswesen“berufenen Dozenten bildeten sie einen

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Moritz Warburg und seine vier Söhne

Paul (links), Aby und Max, darüber Felix

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Aby und Mary (1897)

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„Professorenkonvent.“ Der lockere Verbundbot nicht nur Laien, sondern auch speziel-len Berufskreisen wie unter anderem Phar-mazeuten, Verwaltungs- und Zollbeamtenund selbstverständlich Kaufleuten Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten. 1895 be-schloss Werner von Melle, damals Mitglieddes Präsidiums der Oberschulbehörde (undspäter Zweiter sowie Erster Bürgermeisterder Hansestadt), die Neuordnung des „All-gemeinen Vorlesungswesens“. Dieses prä-sentierte seitdem ein akademischen An-spruch mit pragmatischem Nutzen verbin-dendes Tableau, in dem sich Aby eine aktiveRolle vorstellen kann. Immer wieder denkter in den Jahren nach seiner Promotion da-rüber nach, wie diese Rolle aussehenkönnte. Und regelmäßig diskutiert er dieseFrage mit Bruder Max. ···································································Zunächst bietet er im Wintersemester

1899 im Hörsaal A des Johanneums an dreiTagen Vorträge über Leonardo da Vinci an.Ihre Manuskripte haben sich, sorgfältig vonMary abgeschrieben und auf beinahe jederSeite rechts oben mit dem fürsorglichenHinweis „langsam!“ versehen, im Archiv desLondoner Warburg Institute erhalten. DieLeonardo-Veranstaltungen finden ein über-raschendes Echo: Schon eine halbe Stundevor Beginn der Vorlesung, so berichtet diePresse am Tag darauf, ist der etwa 200 Per-sonen fassende Hörsaal so überfüllt, dassman in die Aula umziehen muss.46 EinenSondertermin bietet er in der Kunsthalle an,wo er seinem Publikum anhand der dortverwahrten Zeichnungen und Kupferstichedie Begegnung mit Originalen ermöglicht. Die gewünschte feste Anstellung in Ham-burg, etwa in der Kunsthalle, ergibt sich ausdieser Aktivität zwar nicht: Aby hatte Kunst-hallendirektor Alfred Lichtwark schon frü-

Aby und Mary in Florenz (ca. 1900)

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Max, Alice und Sohn Erich (1900)

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her zu verstehen gegeben, dass seinen „reintheoretischen Forschungen“ in Italien das„Gegengewicht praktischer Bethätigung imeigenen Land“ fehle.47 Daraufhin bietet die-ser ihm eine Stelle als Assistent des Direk-tors an. Eine solche untergeordnete Tätig-keit ist jedoch mit Abys eigenständigenwissenschaftlichen Ambitionen nicht kom-patibel. Der damals Vierunddreißigjährigeschlägt Lichtwark im Gegenzug vor, ihn mitder Neuordnung und Publikation derHandzeichnungen und Kupferstiche zu be-trauen – auch, damit er in einem freierenBeschäftigungsverhältnis seine FlorentinerStudien weiterführen kann.48 Leider liegtweder den Entscheidungsträgern – derKommission für die Verwaltung der Kunst-halle – noch dem Direktor selbst etwas ander Beschäftigung eines weiteren Wissen-schaftlers – und schon gar nichts an einerkostspieligen Publikation. Die Pläne zer-schlagen sich im Herbst 1900. Auch zweiBesuche an der Kieler Universität, um sichdort als Privatdozent vorzustellen, bleibenohne Ergebnis.49 Dennoch erwirbt Aby mitdiesen und anderen Vorträgen in den fol-genden Jahren von Florenz aus in seinerHeimatstadt eine Reputation, die ihm dievollständige Wiedereingliederung in denhanseatischen Kosmos später erleichternwird.50

···································································Am 15. April 1900 bringt Alice Warburg ei-nen Sohn zur Welt, er erhält den NamenErich Moritz. Ein Stammhalter ist da, allesscheint perfekt zu laufen für Max und seineFrau. Die Firma prosperiert – was nicht zu-letzt den inzwischen weitgespannten Fami-lienbanden zu verdanken ist. 1900 kann dieBank Reichsschatzanweisungen in Höhevon 80 Millionen Mark in den USA platzie-ren. Was den erfolgreichen Bankier jedoch

tatsächlich belastet zu diesem Zeitpunkt,vertraut er einem Brief an, den er an seinendrei Monate alten Sohn richtet und den die-ser Jahrzehnte später in einem dicken Leder-band entdecken wird:51 „Warum ich Dir ge-rade solches schreibe, wo Du noch nichtdrei Monate alt bist? Weil gerade jetzt umDich herum in der Welt Selbsttäuschungund Lüge ihr Spiel treiben: Der Kaiser sen-det seine Truppen nach China, wo seineMissionäre den Glauben der Liebe verkün-den sollten und schwört Rache für die Er-mordung seines Gesandten in Peking. DerCzar, welcher die Friedensconferenz imHaag einberufen, begeht Treubruch gegendie Finnländer. Engländer und Buren betenzum gleichen protestantischen Gott der Ge-rechtigkeit, daß er ihnen Waffenglück gebeund töten sich in christlicher Liebe. Wirsind in einer Zeit des historischen Rück-schritts: Chauvinismus und Religionsfana-tismus regieren die Welt; da muß jeder Ein-zelne sich stärken, um nicht angesteckt zuwerden und dazu beitragen, daß diese trau-rige Wellenbewegung nur eine kurze sei.Schon wankt die Rechtsprechung (in Frank-reich: Fall Dreyfus, in Deutschland: Fall Ri-tualmord Konitz), da heißt es Kräfte sam-meln, Rückgrat haben: d’rum trinke fix:Milch, Milch und nochmals Milch, dannwird die Harmonie, die ich Dir wünsche,weil sie der Welt fehlt, nicht ausbleiben!“52

···································································In dieser eigentlich leichthändig-humorvollformulierten Lebensanweisung ist die Ma-xime „Sich selbst Durchringen zur Selbster-kenntnis, und selbst schaffen durch seineigenes Ich“ von zentraler Bedeutung. Sieerinnert an Aby Warburgs Wort von der„Leistung des Einzelnen“, an der jedes Indi-viduum gemessen werden solle. Es ist ebennicht mehr die Fortsetzung einer Familien-

tradition, die Existenz innerhalb des (jüdi-schen) Schutzraumes, die Aby wie auch MaxRückhalt gibt. Beide glauben an die Mög-lichkeit, sich als deutsche Juden durch indi-viduelle Leistung eine neue Identität er-schaffen zu können. Hier, ganz im Privaten,lässt Max erkennen, dass seine Position nochlange nicht gefestigt ist, dass er noch immeraus einer Defensive heraus agiert, derschmerzliche Erfahrungen vorausgehen.Sorgen macht ihm sowohl die außenpoliti-sche als auch die innenpolitische Lage. InFrankreich ist es die bekannte Dreyfus-Af-färe, in Deutschland der „Ritualmord Ko-nitz“, der Max – wie viele andere Juden –beunruhigt. Ritualmord – das Wort wecktauch heute noch ungute Assoziationen. Waswar geschehen? Im westpreußischen NestKonitz, etwa 130 Kilometer südlich vonDanzig gelegen, war am 11. März 1900 aufeinem noch gefrorenen See ein junger Mann

tot aufgefunden worden. Seine Gliedmaßenhatte man säuberlich abgetrennt, die Wir-belsäule durchgetrennt. Sofort fiel der Ver-dacht auf den ortsansässigen jüdischenSchächer. In der Presse kam das böse Wortvom „Ritualmord“ auf, womit eine seit demMittelalter immer wieder zur Diffamierungder jüdischen Bevölkerung verwendeteGräuellegende neue Nahrung erhielt. In derganzen Region wuchs sich daraufhin antise-mitische Propaganda zu regelrechten Pogro-men aus. Juden mussten um ihr Lebenfürchten, die Konitzer Synagoge brannteaus, die Situation eskalierte und war nurnoch durch fünfhundert preußische Solda-ten unter Kontrolle zu bringen, die in demkleinen Ort Stellung bezogen. Bis heute istder Mörder unbekannt. – Die Konitzer Vor-fälle und ihre propagandistische Aus-schlachtung versetzen selbst dem grundsätz-lich optimistischen Max einen Stoß. Sie

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Die „Arche“ auf dem Kösterberg

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führen dem damals Vierunddreißigjährigendeutlich vor Augen, dass unter der Deckeder Zivilisation noch immer atavistischeund destruktive Kräfte von ungeahntemAusmaß aktiv sind. Auch das Christentumals „Religion der Liebe“, so schlussfolgertMax, mache die Welt nicht zu einem besse-ren Ort. Angesichts dieser fast physische Di-mensionen annehmenden Bedrohungen istes vielleicht kein Zufall, dass man das alteHolzhaus auf dem Kösterberg-Grundstück„Arche“ nennt. ···································································Das Wiederaufflackern uralter VorbehalteJuden gegenüber wird in den Gesprächender Brüder häufig Thema gewesen sein:Auch in den Aufzeichnungen von Aby hatder „Fall Konitz“ Spuren hinterlassen. Aufeinem von ihm selbst mit den Angaben„Konitz“ und „1900“ versehenen Blatt Pa-pier entwirft er einen Text, der durch vieleAusstreichungen und Verbesserungen nurschwer im Zusammenhang lesbar ist; viel-leicht war er als Entwurf für einen Leserbriefgedacht. Das Blatt dokumentiert einenDenkprozess, in dem Aby Warburg um einepersönliche Stellungnahme zu den „Ritual-mord“-Vorwürfen ringt.53 Er fühlt sich zudieser Stellungnahme berufen, so schreibter, weil er bis zu seinem fünfzehnten Lebens-jahr ein gläubiger Anhänger der Orthodoxiegewesen sei, sich dann „unter schweren in-neren und äußeren Kämpfen losgemacht“habe, um sich als Privatgelehrter der moder-nen Wissenschaft zu widmen. „Das schwers-te für einen christlich denkenden Deut-schen ist vielleicht, seinem primären In-stinkte nicht Folge zu leisten (…). Das istgerade der Augenblick, wo sich die Überle-genheit der echten Ruhe zeigen sollte“.54

Aby geht das Problem psychologisch an. Erversucht sich hineinzuversetzen in jene Bür-

ger, die in der jüdischen Bevölkerung nochimmer ein fremdes Element sehen, daseinem nicht geheuer ist. Bereits hier setzt ergegen die irrationalen „primären Instinkte“ein Konzept, das er später einprägsam mitdem Schlagwort „Denkraum der Besonnen-heit“ betiteln wird. ···································································Gegen die Bedrohung von außen hilft Ar-beit. Aby sitzt mit Frau und Tochter Ma-rietta in Florenz und baut seine Bibliothekaus. Seine halbherzigen Versuche, im quasivon ihm mitbegründeten, zunächst privatenKunsthistorischen Institut irgendwie Fuß zufassen (heute ist es ein Max-Planck-Insti-tut), hatten nicht den gewünschten Erfolggebracht – was auch an seiner damals schonschwierigen, manchmal zwanghafte Zügeaufweisenden Persönlichkeit gelegen habenmag. Zudem sitzt seit 1897 Heinrich Brock-haus auf dem Direktorenposten, den Abyüberhaupt nicht schätzt. Für das Biblio-theksprojekt benötigt er mehr Mittel. Schonim Juni 1900 deutet er in einem Brief anMax die Idee an, „meine Bibliothek demGeschäft, der Firma geradezu auf ’s Contozu setzen. (…) Ich bin eigentlich ein Narr,daß ich nicht mehr darauf bestehe, daß derKapitalismus auch Denkarbeit auf breites-ter, nur ihm möglicher Basis leisten kann.“55

Immer wieder erläutert er in Briefen demVater und Bruder Max, dass sie ihn „alspraktische und weitsichtige Kaufleute di-rekt zur Rücksichtslosigkeit in Anschaffun-gen encouragieren“ müssten.56

···································································Zur gleichen Zeit arbeitet Aby über einFresko des Malers Domenico Ghirlandaioin der Kirche Santa Trinità.57 Es ist etwa 1483entstanden und handelt von der Lebensge-schichte des Hl. Franziskus. Mitten in die-ser Heiligenvita erscheinen – überraschend

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groß und unübersehbar – weltliche Perso-nen auf der Bildfläche. Es sind der Stifter desFreskos, der florentinische Kaufmann Fran-cesco Sassetti sowie der mächtige Lorenzode’ Medici mit seinen Söhnen. Die Frage,wie dieses „unmotivierte[s] Eindringen desweltlichen Elementes“ in die sakrale Sphärezu erklären sei, versucht Aby mit Hilfe neuerVerfahren zu beantworten. Er zieht „Hilfs-mittel aller Art, Schriftstücke, Medaillen,Bilder, Skulpturen“ und ganz gezielt dasneue Medium der Fotografie heran undkann so die Entstehungsbedingungen desWerks klären. Ausdrücklich unter Berufungauf Jacob Burckhardt und dessen bahnbre-chende Arbeiten zur italienischen Renais-

sance gelingt es Aby in seinem im Novem-ber 1901 fertig gestellten, 1902 veröffentlich-ten Text, dem Leser einen Einblick nicht nurin die Kunst, sondern in das Leben einer ge-samten Epoche zu vermitteln.58 Neue Be-deutung erhält vor allem der Auftraggeber.Die pragmatische Frage nach dem, der dasGeld gibt – und der aus seiner Investition ei-nen wenn auch nur ideellen Gewinn ziehenmöchte, liegt einem hamburgischen Kauf-mannssohn nahe: „Es ist eine der Grund-thatsachen der Kultur der florentinischenFrührenaissance, dass Kunstwerke dem ver-ständnisvollen gemeinschaftlichen Zusam-menwirken zwischen Auftraggebern undKünstlern ihre Entstehung verdanken, also

Aby, Mary und Tochter Marietta in Florenz (ca. 1900)

von vornherein gewissermaßen als Aus-gleichserzeugnisse zwischen Besteller undausführendem Meister anzusehen sind.“59

Sicher hat Aby sein Thema auch mit einemSeitenblick auf die heimatliche Szenerie aus-gewählt. Florenz als „Geburtsstätte moder-ner selbstbewusster städtisch-kaufmänni-scher Kultur“ scheint nicht allzu weit vonHamburg entfernt zu sein. Und auch mitFrancesco Sassetti bewegt sich Aby auf ver-trautem Gelände. Als „Geschäftsteilhaberder Mediceischen Firma in Lyon“ mit der

schwierigen Aufgabe betraut, „die zerrütte-ten Verhältnisse der Mediceischen Bank inLyon zu ordnen“,60 entstammt er einem Mi-lieu, das Aby sehr vertraut ist. Sein hier zu-tage tretendes spezielles Erkenntnisinteresse– den „stilistischen Zusammenhang zwi-schen bürgerlicher und künstlerischer Kul-tur“61 darzustellen – macht unabhängig. Esweist über die Grenzen der herkömmlichen,auf die ästhetische „Hochkultur“ konzen-trierten Kunstgeschichte weit hinaus. Manbraucht keinen Leonardo, keinen Michelan-

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Aby am Schreibtisch in Florenz (ca. 1900)

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gelo, nicht einmal Ghirlandaio, um dieseZusammenhänge zu untersuchen – es genü-gen die Glasfenster in der Lüneburger Rats-laube. Abys heute als revolutionär gefeierteNeuausrichtung der wissenschaftlichen Per-spektive ist auf jede historische und jede to-pografische Situation übertragbar – und sielässt dem um seine Karriere ringenden „Pri-vatgelehrten“ die Freiheit, sich auch aufheimatlichem Boden zu betätigen, wennsich die italienischen Optionen zerschlagensollten. Ganz ist die Verbindung nach Ham-burg ohnehin nie abgerissen: Die Sommer-monate verbringt die junge Familie regelmä-ßig im Norden, vor allem – heuschnupfen-bedingt – auf Helgoland. ···································································Im Sommer 1901 nimmt der Plan Gestaltan, die umfangreiche Büchersammlung desÄlteren in eine regelrechte Bibliothek zuverwandeln.62 Zwar muss Max, der unüber-sehbare Kosten fürchtet, mühsam überzeugtwerden. Aber wo andere reiche Familiensich einen Rennstall hielten, so wird Abyspäter gerne seinen finanziell zurückhalten-den Brüdern vorhalten, hätten sie eine Bi-bliothek, und das sei eben zehnmal mehrwert. Denn nur, wenn er über ungewöhnli-che Mittel verfüge, könne er auch Unge-wöhnliches leisten. Max bewilligt dem Bru-der für die von diesem geplante „Warburg-Bibliothek für Kulturwissenschaft“ freieHand, was in der Praxis bedeutet, dass dieBuchhändler ihre Rechnungen direkt an dieBank schicken, die dann Abys Konto for-mell damit belastet. ···································································1902 wird in Hamburg der Stammhalter ge-boren und nach Abys Bruder und seinemSchwiegervater Max Adolph genannt. Imselben Jahr demonstriert der junge Famili-envater, dass er keineswegs ein abgeschiede-

nes Leben in einem akademischen Elfen-beinturm zu führen gedenkt: 1902 stellt erfür das Hamburger Volksheim in Hammer-brook eine Ausstellung mit Reproduktionenzusammen. Das Volksheim war ein Jahr zu-vor – nach englischem Vorbild – von demevangelischen Theologen Walther Classengegründet worden mit dem Ziel, gesell-schaftliche Klassenunterschiede zu überwin-den. Vor allem die Kluft zwischen Gebilde-ten und Arbeitern sollte durch kostenloseKurse in Deutsch und Literatur, durch Sonn-tagskonzerte, Lesezimmer und andere Akti-vitäten überbrückt werden. Heute selbstver-ständlich gewordene Einrichtungen wie dieÖffentlichen Bücherhallen und die Öffent-liche Rechtsauskunft gehen auf diese Initia-tiven zurück. Im „Bericht über das sechsteGeschäftsjahr“ wird er 1907 jedoch eine ne-gative Bilanz seiner Versuche, „durch Surro-gate die Volksseele ästhetisch anzuregen“,ziehen.63 Künstler wie Dürer und Rem-brandt ließen sich nicht adäquat über Re-produktionen vermitteln: „Gerade indemRembrandt im Dunkel das Farbige sah, hater ein neues Instrument des farbigen Aus-drucks durch Mitteltöne gefunden, die diePhotographie eben auffrisst“. Man müssedie Leute vielmehr dafür gewinnen, die Ori-ginale in der Kunsthalle aufzusuchen. ···································································Seit dieser Zeit beteiligten sich Aby wieMax aktiv an den in Hamburg immer wie-der aufflammenden Überlegungen zur Grün-dung einer Universität. So berichtet der jün-gere Bruder dem älteren am 3. März 1909zunächst pessimistisch, dass man in Ham-burg nicht daran denke, eine Universitäteinzurichten. „Man braucht mindestens40–50 Millionen Mark, um eine wirklichanständige Universität zu schaffen, und esbesteht nicht die geringste Aussicht, diese

Summe zu erhalten, weder vom Staat nochvon privater Seite.“64 Eher sei es möglich,Beiträge für den Ausbau des stark frequen-tierten Vorlesungswesens zu erhalten. ···································································1904 kehrt Aby zusammen mit der Familienach Hamburg zurück. Im gleichen Jahrwird Tochter Frede geboren. Die Familiezieht – mitsamt der inzwischen eigeneRäume verlangenden Bibliothek – zunächstin die St. Benedictstr. 52. Für die Ordnungder inzwischen etwa 3500 Bücher wird eineHilfskraft eingestellt. Den Gedanken aneine reguläre akademische Karriere verfolgtAby zwar zunächst weiter. Ein Besuch beiseinem akademischen Lehrer Carl Justi inBonn im Sommer 1905 hat den Zweck, sichdessen Unterstützung zu versichern undihm den Arbeitsplan vorzustellen – es gehtum die Inventare der Medici.65 Aber dasProjekt wird Aby 1907 aufgeben. Paralleldazu versucht er, sich in der halb-wissen-schaftlichen Szene der Hansestadt zu etab-lieren. 1905 lässt er sich in die Kommissiondes Völkerkundemuseums wählen, und erhilft dem Präses der Oberschulbehörde,Werner von Melle, bei der Organisation desersten Volkskundekongresses in Hamburg.Die schwierige und langwierige Geburt derheute so selbstverständlich wirkendenHamburger Universität ist in den letztenJahren verschiedentlich ausführlich darge-stellt worden: Ende 1904 beginnt SenatorWerner von Melle, Präses der HamburgerOberschulbehörde, mit Max über die Grün-dung einer Wissenschaftlichen Stiftung zuberaten. Auch Vater Moritz ist bereit, sich zuengagieren. Melles Idee: mit der Stiftungeine Basis für die Gründung einer Universi-tät zu schaffen, die sich einer weitgehendenUnabhängigkeit vom Hamburger Senat er-freuen kann.

···································································1905 ergibt sich für Aby wieder einmal dieGelegenheit, auf dem kulturellen Tableauseiner Heimatstadt in Erscheinung zu treten– und hier erneut eine Kostprobe seinesKönnens abzulegen. In Hamburg findet die„48. Versammlung deutscher Philologenund Schulmänner“ statt – ein bedeutenderund mehrtägiger Kongress, der die wichtigs-ten deutschen Gelehrten aus den Natur- wieauch den Geisteswissenschaften zusammen-führt.66 Vor über 300 Zuhörern spricht eram 5. Oktober 1905 im heute nicht mehrexistierenden, am Anfang der Reeperbahngelegenen Konzerthaus über „Dürer und dieitalienische Antike“.67 Warum wählt er ausdem reichen Schatz möglicher Themen aus-gerechnet dieses aus? Zum einen, weil er dasThema an einigen Blättern aus dem Ham-burger Kupferstichkabinett abhandeln kann– das unbeachtete, sonst nur Spezialisten zu-gängliche Material wird so einer breiten Öf-fentlichkeit bekannt gemacht: Warburg lässtdie Grafiken vervielfältigen und verteilt siean die Hörer. Zum anderen, weil Dürer imDeutschen Reich gegen die kulturelle Hege-monie Frankreichs und Italiens zum „ger-manischen“ Heroen geworden war. Ihn mitder italienischen Antike in Verbindung zubringen, garantierte einen wirkungsvollenÜberraschungseffekt. Aby verfolgt hier zumersten Mal ganz gezielt eine didaktischeMission. Er richtet sich an Gymnasialpro-fessoren und Lehrer – modern ausgedrückt:Er spricht vor Multiplikatoren. Diesenmöchte er beweisen, dass sowohl das gän-gige Bild von Dürer als auch die Vorstellungvon der Antike als einer Epoche „edler Ein-falt und stiller Größe“ ein einseitiges Bildvermitteln. Wie auch die berühmte Skulp-tur von Laokoon und seinen Söhnen zeigt –die Antike hat gleichermaßen Bilder der Lei-

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denschaft und pathetischen Gefühlsaufwal-lung kultiviert wie das des ruhigen Aus-gleichs. Und die Renaissance hat eben jenepathetischen Elemente aus den antikenBildwerken herausgefiltert und weiterver-wendet. Die Lehrbücher sollten, so seineEmpfehlung, um jene schon von Nietzschebeobachtete „ekstatisch-dionysische“ Di-mension der Antike erweitert werden. Fürdie anhand von Dürer und Mantegna beob-achteten „Superlative der Gebärdensprache“wird Aby das Schlagwort von der „Pathos-formel“ erfinden. Es hat seitdem auch in an-deren Sphären Karriere gemacht und erfreutsich bis heute unveränderter Beliebtheit. ···································································Gleichzeitig aber kann Aby an dieserStelle einen Gedanken platzieren, der zu sei-nem wissenschaftlichen und weltanschauli-chen Credo werden wird: die Beobachtung,dass kulturelle Prozesse auf internationalen„Etappenstraßen“ verlaufen. Es gehe auchbei Dürer und seiner Beziehung zu Italiennicht um das von der „älteren kriegspoli-tischen Geschichtsauffassung“ propagierteMotto „entweder Sieger oder Besiegter“,sondern um „Austausch“, um „Kreislaufvor-gänge“.68 Diese über starre nationale Gren-zen weit hinausschauende Vorstellung ist,wie wir gesehen haben, aus einer biographi-schen Wurzel heraus erwachsen – derschmerzhaften Erfahrung des Ausgegrenzt-seins aus dem Deutsch-Sein, ausgegrenztalso aus einer Gemeinschaft mit klar abge-steckten Konturen. Sie erscheint aus heuti-ger Sicht sehr modern. Hier ist der Aus-gangspunkt für eine Lebensperspektive zusuchen, die Aby sowohl auf kunsthistorischeals auch auf weltanschauliche Fragen an-wendet. Für ihn und Max, für alle deut-schen Juden ist die Frage „Sieger oder Be-siegte“ keine Option. Entwicklung gibt es

nur bei Durchlässigkeit der Sphären, bei ge-genseitiger Befruchtung und bei offenemAustausch. ···································································Ebenfalls im Jahr 1905 notiert Aby Über-legungen, die auf eine maßgeschneiderteakademische Lösung für die spezifisch ham-burgische Situation hinauslaufen. Gedank-lich ist er dem merkantilen Geschehen inder Hansestadt weiter eng verbunden. Seineim Londoner Archive of the Warburg Insti-tute bewahrten Notizen verraten, dass ersich mit der Gründung einer „Hochschuleoder Museum Archiv Akademie für Kauf-männische Kultur“ befasst. Diese sollte„zwei Abtheilungen“ bekommen, eine „Ein-führende“ und eine „Fortbildende“. DasStichwort „Kaufmännische Kultur“ zeigt,dass er bereit ist, die eigenen Forschungenganz direkt in den Kontext der hanseati-schen Bedürfnislage zu stellen. Seine Ge-danken kreisen um eine wie auch immergeartete Hochschule, „die den nächstliegen-den Zwecken der kaufmännischen Fortbil-dung genügen wird“ – mit „zwei Facultäten:philosophische, volkswirtschaftliche“. AuchBegriffe wie „Kaufmännischer Instinkt“,„Erwerbskunst, Gefühlssache“ spielen indieser ersten Ideenskizze eine Rolle. Woraufer insgesamt hinaus will, ist eine „Universi-tät der Freiheit (Kampf gegen Reaction,Hanseatengeist u patriarchalische Gemüt-lichkeit)“. Damit wird deutlich, dass AbysMotivation einer kulturpolitischen Zielset-zung entspringt. Von der noch zu begrün-denden Hamburger Hochschule erhofft ersich Impulse für ein neues Deutschland, indem auch Minderheiten wie die Juden end-lich gleichgestellt wären. ···································································Innerhalb dieses „Organismus“ könnteeine „Beobachtungsstation für die Entwick-

lung der Gehirnausstülpung“ gute Diensteleisten. „Wichtiger Krystallisationsmittel-punkt“ nämlich sei die „Errichtung einesKulturwissenschaftlichen Instituts in fol-gender Form“: Das Institut solle Wider-stand bieten gegen „1. Klerikalismus 2. Na-tionalismus 3. Dilettantismus“. „Wider-stand gegen Nationalismus“ – das bedeutetauch Widerstand gegen alle Bestrebungen,über „rassische“ Klassifizierungen Zugehö-rigkeit zu definieren. In der internationalenAtmosphäre einer Kaufmannsstadt wieHamburg erkennt Aby eine Chance. Ham-burg versteht sich als „Tor zur Welt.“ Zwarherrschen auch hier, vor allem was dasKunstverständnis betrifft, geistige Enge und„patriarchalische Gemütlichkeit“.69 AberNationalismus und Klerikalismus werden inder ehemals unabhängigen „Freie und Han-sestadt“ nicht gepflegt. Ein Leben lang wirdAby auch in seinen kunsthistorischen For-schungen nachzuweisen versuchen, dass dieIdentifikation mit der Nation als allein sinn-stiftenden sozialen Raum weder in der Ge-schichte noch in der Gegenwart sinnvoll ist.Kulturelle Entwicklungen, so seine Über-zeugung, verdanken sich weiträumigen Be-wegungen, Begegnungen, Wanderungen.Wir werden noch sehen, welche schlagen-den Beweisführungen er für diese Beobach-tung immer wieder finden wird. ···································································Es fällt auf, dass Aby in dieser frühen Phasenicht an die Eingliederung der Kunstge-schichte in das Gerüst einer staatlichenHochschule, sondern ausschließlich an dieEtablierung eines unabhängigen For-schungsinstitutes denkt. Diese Idee mutetheute, wo das „Kunstgeschichtliche Semi-nar“ längst integraler Bestandteil der Ham-burger Universität ist, merkwürdig an. Da-mals aber liegt sie auf der Hand: Hamburg

besitzt zu jener Zeit zwar eben keine Univer-sität, aber doch eine wissenschaftliche Land-schaft, die sich auf die oben bereits erwähn-ten eigenständigen „Wissenschaftlichen An-stalten“ stützt.70 Wie es scheint, möchte Abysich in diese, vor allem naturwissenschaft-lich und auf die praktischen Bedürfnisse ei-ner Handels- und Hafenstadt ausgerichteteLandschaft mit einem eigenständigen Insti-tut einfügen. Es soll als Scharnier zwischenmerkantiler und geistiger Welt vermitteln.Damit bezieht er Position in einer damalslandesweit geführten Diskussion über denSinn und Zweck der Universität als solcher.Sie gilt vielen inzwischen als reines „Ab-richteinstitut, aufgesucht von jenen, dievom Staat einen Stempel darüber habenwollen, daß sie wissen, was er verlangt; obsie es besitzen, ist Nebensache, oft auch fürden Staat“.71

···································································Für die Organisation dieses „Kulturwissen-schaftlichen Instituts“ hat Aby bereits kon-krete Vorstellungen. Es solle über fünf Lehr-stühle und mehrere Mitarbeiter verfügensowie eine Zeitschrift herausgeben, den„Hb. Anzeiger für Kultur der Vergangenheitund Gegenwart“. Die eigene Bibliotheksolle darin aufgehen – ein Etat zur Ablösungsei bereits eingestellt. Eine eigene Abteilungsolle der „Geschichte des Reisens“ – und da-mit der Geschichte der Mobilität – gewid-met sein. Und auch die altehrwürdige Com-merzbibliothek Hamburgs gerät in seinenSuchscheinwerfer: „die Commerzbibliothekbleibt selbständig oder wird eingegliedert“.Vor allem die Internationalität der ganzenUnternehmung ist Aby ein wichtiges Anlie-gen: „Man müßte den Mut haben, aus derpraktischen Erkenntnis der Unzulänglich-keiten d. heutigen (opportunistischen) Uni-versität die Folgerung z. ziehen, daß nur ein

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internationaler mit wissenschaftlichen Mit-teln arbeitender Idealismus uns weiterbringt.“72 In den folgenden Jahren schwanktAbys Existenz zwischen der Konsolidierungseines Privatgelehrten- und damit immerauch Außenseiterstatus, einer Mitarbeit amKunsthistorischen Institut in Florenz undeiner klassischen Universitätskarriere imDeutschen Reich. Aber als der „heimlicheKultusminister“ in Preußen, Friedrich Alt-hoff anfragt, ob er an die Universität Bres-lau gehen würde, lehnt er mit der Begrün-dung ab, der dortige Ordinarius RichardMuther stehe seinen Forschungen so kri-tisch gegenüber, dass eine Zusammenarbeitunmöglich sei.73

···································································Grundsätzlich ist die Universität für Ju-den noch immer ein schwieriges Berufsfeld.Als ein Beispiel sei hier der Werdegang desmit Aby befreundeten Adolph Goldschmidtskizziert, den Christine Kreft detailreich re-konstruiert hat.74 Goldschmidt war, wieAby, ein hamburgischer Bankierssohn undKunsthistoriker. Eine Berufung nach Bonnwurde zunächst durch den üblichen „stil-len“, an den deutschen Hochschulen ver-breiteten Antisemitismus verhindert. 1904erreichte ihn immerhin ein Ruf aus Halle.Die Erlösung aus der akademischen Provinzwinkte 1911, als er für die Nachfolge des pro-minenten Berliner Ordinarius HeinrichWölfflin ins Spiel gebracht wurde. Auf die(übliche) Aufforderung, sich dafür taufen zulassen, antwortete Goldschmidt mit einemTelegramm, dessen Wortlaut berühmt ge-worden ist: „Bleibe Jude, bleibe Halle.“75

Seiner überragenden Qualifikation war es zuverdanken, dass er die Stelle dennoch er-hielt. Für seine Nachfolge in Halle scheintihm Aby Warburg geeignet. Dieser jedochlehnt ab. Er sei nicht wie Goldschmidt Stil-

kritiker, sondern Kunsthistoriker, er verfügenicht über die nötige Spannkraft, er sei indie Organisation des KunsthistorischenKongresses zu stark eingespannt. Das wich-tigste aber: Er hoffe auf eine philosophischeFakultät in Hamburg, die mehr seinenWünschen und Fähigkeiten entspräche –und die damit auch ihm selbst, so seine im-mer wieder angedeutete Hoffnung, eine se-riöse Daseinsberechtigung in seiner Hei-matstadt liefern würde.76

···································································Die Bank hat sich inzwischen auf interna-tionalem Tableau ein hohes Ansehen erwor-ben. 1904 werden M. M. Warburg & Co.eingeladen, sich an einem Konsortium zubeteiligen, das eine Anleihe des KaiserlichOttomanischen Reiches zur Finanzierungder Bagdadbahn plant. Entschieden gegenden Rat des Vaters, der einen Juristen in derBank für überflüssig hält, stellt Max alsneuen ständigen Rechtsberater 1902 Dr.Carl Melchior ein; er entstammt einer jüdi-schen Gelehrten- und Kaufmannsfamilie.1905 vermittelt Kuhn, Loeb und Co. ausNew York die Anfrage für die (riskante)Platzierung einer Japan-Anleihe, wofür Maxsich die Erlaubnis aus dem AuswärtigenAmt holt. Darauf folgt eine zweite Anleihe.„Der Erfolg beider Anleihen (…) machtedie in Japan bislang unbekannte Warburg-Bank berühmt und führte in der Folge zumehrfachen Geschäftsabschlüssen mit japa-nischen Banken und Handelshäusern.“77

Paul ist 1902 in die USA gegangen, er istjetzt Teilhaber in der Firma seines Schwie-gervaters, der großen InvestmentbankKuhn, Loeb & Co. 1907 wird dann derjüngste Bruder Fritz – ein promovierter Ju-rist – Partner. Fritz hatte, wie Max, in Lon-don einige Zeit bei Brandeis Goldschmidtgearbeitet und kennt sich im Metallhandel

gut aus. Ihm verdankt die Warburg-Bankden Einstieg ins Metallgeschäft. Fritz wirdMitbegründer und zeitweise Vorsitzenderder Hamburger Metallbörse sowie Vor-standsmitglied des Vereins der am Metall-handel beteiligten Firmen. ···································································Max ist es gelungen, in der Ferdinandstraßeeinige Nachbargrundstücke zu erwerben.1906 wagt man deshalb einen großenSchritt, der die innere Entwicklung derFirma deutlich nach außen kommuniziert:Ein Neubau wird geplant. Als Architektengewinnt man den renommierten Rathaus-baumeister Martin Haller, der außerdem fürAlbert Ballin, für die Hamburger Freihafen-und Lagerhaus-Gesellschaft und zahlreicheandere Auftraggeber tätig war und ist. Jon-gleur zwischen den Stilen, entwirft Hallerfür die Bank eine Neorenaissance-Architek-tur, die wie das italianisierende Pendant zur„deutschen Renaissance“ des Rathauses aus-sieht. Mit Sockel, Piano Nobile und Kranz-gesims, mit Dreiecksgiebeln, Girlandenfriesund der zum „Schein-Belvedere“ ausgebau-ten Dachzone erinnert das prächtige Bank-haus an die Ursprünge der Gattung, etwaden Medici-Palast in Florenz. 1913 wird mandas neue Kontorhaus beziehen. Inzwischenerschließt sich Max Aufmerksamkeit auchaußerhalb der hamburgischen Landesgren-zen. Im September 1907 hält er auf demDeutschen Bankiertag einen stark beachte-ten Vortrag über die Frage, ob Deutschlandauf einen möglichen europäischen Krieg fi-nanziell und wirtschaftlich vorbereitet sei –die Antwort fällt negativ aus.78 Vor allem er-kennt er angesichts der Erweiterung desdeutschen Flottenprogramms klar die Ge-fahr eines deutsch-englischen Zusammen-stoßes. „Mit der Möglichkeit eines Krieges,“so erinnert er sich, „war zu rechnen“.79

···································································Gleichzeitig engagiert sich die Bank inÜbersee. „Ich darf wohl sagen“, so Max spä-ter, „dass kein Bankhaus in Deutschlandsich so zielbewußt für die BetätigungDeutschlands in den Kolonien interessierthat wie das unsrige. (…) Ich konnte man-chen Beitrag leisten: das eine Mal mit derGründung des Kolonialinstitutes in Ham-burg, das andere Mal mit der wiederholtenUnterstützung des Tropenhygienischen In-stitutes in Hamburg, das durch unser Ein-greifen zweimal aus finanziellen Schwierig-keiten gerettet wurde.“80 Immer intensivergestalten sich die Verbindungen von M. M.Warburg & Co. mit den unterschiedlichstengesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ein-richtungen der Stadt. Max ist inzwischengeschäftlich und privat mit Albert Ballinverbunden, dem Generaldirektor der Ham-burg-Amerika Linie (HAPAG). Auch des-sen Interessen sind weitgespannt, seinMotto lautet „Mein Feld ist die Welt“. „Imdeutschen Volk“, so Max später, „war er be-kannt als der geniale Jude, der mit dem Kai-ser befreundet war“.81 Ballin wird Patenon-kel von Max’ Sohn Erich und ein engerFreund der Familie. Über und mit Ballinversucht Max in jenen Jahren, durch ver-schiedene, auch humanitäre Maßnahmeneine Entschärfung der kaiserlichen Aggres-sionspolitik zu erreichen. Zur Abwendungder Kriegsgefahr scheint vor allem eine Ver-ständigung mit England unabdingbar. Maxist mit Walter Rathenau gut bekannt, er hatdas Ohr des Kaisers, er finanziert großeStaatsaufträge und hat exzellente Kontaktein die Berliner Ministerien. Schließlich kau-fen unter seiner Führung sechs Bankiersdem Reich eine neue Kolonie, die beinahedie Größe der Britischen Inseln besitzt, dasnördliche Mosambik.82

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···································································Aus heutiger Sicht bestehen zumindest fürMax zu diesem Zeitpunkt keine Grenzenmehr zwischen dem jüdischen und nichtjü-dischen Hamburg. Unter der Oberflächeaber bleiben die Vorbehalte virulent. Dassjeder Schritt, jede öffentliche Regung vor-sichtig abgewogen werden muss, zeigt einBriefwechsel mit Bruder Aby vom August1906. Am 3. Juli war das Wahrzeichen Ham-burgs, die Hauptkirche St. Michaelis, bis aufdie Grundmauern abgebrannt. Aby erkun-digt sich bei seinem Bruder, warum das fa-milieneigene Unternehmen die Sammlungzum Wiederaufbau nicht unterstütze. DieAntwort von Max zeigt deutlich, wie sehr

man als Jude selbst dann noch vorsichtig la-vieren muss, wenn es um Wohltätigkeitgeht: „Lieber Aby, Für den Aufbau der Mi-chaeliskirche haben wir nichts gegeben, weilwir finden, dass die Beteiligung an derSammlung aus christlichen Kreisen einesehr geringe ist. Wir sind principiell bereitgewesen, und sind es auch heute noch, zuzeichnen. Wenn aber von christlicher Seiteaus so wenig geschieht, würde man uns dieMotive, aus welchen wir zeichnen, sehrfalsch auslegen, indem man es überflüssigfindet, dass wir überall zeichnen, wo die Na-men der Geber veröffentlicht werden. (…)Mit herzlichen Grüssen, Dein treuer BruderMax.“83

Aby und Max (ca. 1906)

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··············································································································································39 Ebd., S. 14 f. 40 Max Warburg, Erinnerungen von Max Warburg an Aby Warburg, o. D., wohl Dezember 1929 (WIA,

III.134.1.6.). 41 Ebd.42 John Hertz an Aby Warburg, 7. April 1897: WIA, GC.43 Max Warburg, Erinnerungen von Max Warburg an Aby Warburg, o. D., wohl Dezember 1929 (ebd.,

III.134.1.6.). 44 Ebd. 45 Hoffmann, Warburg, S. 42.46 Hamburgischer Correspondent Nr. 447 (23. September 1899). 47 Hurttig, Antike, S. 13.48 Ebd., S. 13 f. 49 Ebd. 50 So etwa 1901 „Das Leben im Kreise des Lorenzo de Medici, veranschaulicht durch die Kunst Ghirlandajos“.51 Warburg, Zeiten, S. 11 f. 52 Ebd.53 Vgl. auch Schoell-Glass, Warburg, S. 95 ff. 54 WIA, III.52.2.: Notizen „Konitz“. 55 30. Juni 1900, zitiert nach: Gombrich, Warburg, S. 167.56 28. Oktober 1900, zitiert nach: Ebd., S. 168.57 Warburg, Bildniskunst. 58 Ebd., S. 76.59 Ebd., S. 69.60 Ebd., S. 72.61 Ebd., S. 68.62 Chernow, Die Warburgs, S. 158 ff. 63 Vgl. Warburg, Bilderaussstellungen.64 Max an Aby Warburg, 3. März 1903: WIA, FC.65 Vgl. Roeck, Warburg, S. 95 ff. 66 Vgl. Hurttig, Antike, S. 15 ff. 67 Der Vortrag wurde 1906 veröffentlicht, siehe Warburg, Dürer.68 Ebd., S. 130.69 Überlegungen zur Begründung eines Kulturwissenschaftlichen Instituts (WIA, III.133.4.1. und III.133.4.2.).70 Brauer; Mendelssohn Bartholdy; Meyer, Forschungsinstitute.71 Melle, Jahre, S. 52.72 Überlegungen zur Begründung eines Kulturwissenschaftlichen Instituts (WIA, III.133.4.1. und III.133.4.2.).73 Aby Warburg an Ernst Schwedeler-Meyer, 17. September 1906: Ebd., GC.74 Kreft, Goldschmidt.75 Ebd., S. 164.76 Ebd., S. 167.77 Kleßmann, Warburg, S. 40.78 Ebd. 79 Warburg, Aufzeichnungen, S. 23.80 Ebd., S. 24.81 Ebd., S. 25.82 Vgl. Hoffmann, Warburg, S. 65 f. 83 Max Warburg an Aby Warburg, 7. August 1906: WIA, FC.··············································································································································

Die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung oder Kaufleute als „Ducatenmännchen“

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1907 kann endlich die „HamburgischeWissenschaftliche Stiftung“ ins Leben geru-fen werden. Ihr Zweck ist es, „die Wissen-schaft und deren Pflege und Verbreitung inHamburg zu fördern“. Einer ihrer Mitbe-gründer ist Moritz Warburg, der sich wiesein Sohn Max darum bemüht, in Überseeansässige ehemalige Hamburger als Stifterzu gewinnen. Gemeinsam mit Senator Dr.von Melle, Dr. Otto Dehn, Adolph Woer-mann, Max Schinckel und Edmund J. A.Siemers unterzeichnet er im Namen derStifter die Gründungsurkunde. Möglich ge-worden ist dies durch eine enorme Spendevon 2 Millionen Mark. Stifter ist der ausHamburg stammende Alfred Beit, der nachSüdafrika ausgewandert ist und dort imDiamantenhandel ein immenses Vermögenerworben hat; der unverheiratete und kin-derlose Magnat ist auf vielen Gebieten phi-lanthropisch tätig und Besitzer einer bedeu-tenden Kunstsammlung. Max kennt ihnund revitalisiert die Verbindung zu vonMelle, der mit Beit zur Schule gegangenwar.84 Auch Beit stammt ursprünglich auseiner jüdischen Familie – seine Eltern habensich jedoch 1851 taufen lassen. Die zweiteSpende von 250.000 Mark stammt von Mo-ritz Warburg und Söhnen – danach geht esweiter mit Beträgen von 100.000 bis zu2.000 Mark. Namen wie Amsinck, Woer-mann, Laeisz, Blohm, Diederichsen und

Godeffroy zeigen, dass sich Teile des hansea-tischen Bürgertums für eine Intensivierungdes wissenschaftlichen Betriebs erwärmenkonnten. Noch bedeutender erscheint es al-lerdings aus heutiger Sicht, dass – wie dieFamilie Rosenstern, Adolph Lewisohn undHenry Budge – auch mehrere jüdische Bür-ger in der Liste der Stifter erscheinen. 1907besitzt die Stiftung ein Gründungskapitalvon 3.815.000 Mark. Als erstes beruft sie denHeidelberger Historiker Erich Marcks aufeine Professur am „Allgemeinen Vorlesungs-wesen“.85 Man mag sich heute fragen, wa-rum sich Max Warburg so ungewöhnlich fürdie Hamburgische Wissenschaftliche Stif-tung und ihre Anliegen engagiert. Er selbsthatte ja, im Gegensatz zu seinem Bruder,keine akademische Ausbildung erfahren, erwar kein Wissenschaftler. Wenn man jedochim Hauptbuch der Stiftung die Liste derGeber betrachtet, fällt auf, dass hier jüdischeund nichtjüdische Namen einträchtig beiei-nander stehen. Die Wissenschaftliche Stif-tung ist eine Neugründung, von Traditio-nen und Fragen der Religionszugehörigkeitunbelastet – sie ist, um es mit einem WortAbys zu formulieren, ein „Ausgleichserzeug-nis“.86 Ihr Ziel ist ein patriotisches. Unterdem Vorzeichen einer höheren Dienstleis-tung für kaufmännische Interessen zumWohle der Hansestadt können hier Gold-schmidts und Amsincks, Warburgs und

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Woermanns endlich einmal an einem Strangziehen. ···································································Wie eng die Universitätsfrage auch Maxund Aby immer wieder verbindet, zeigt einBrief des Jüngeren an den älteren Brudervom 10. Oktober 1907. Max denkt im Rah-men seiner Mission für eine hamburgischeHochschule daran, einen Vortrag zu halten,der dann auch in der Presse erscheinen soll– und dies auch ohne die ausdrückliche Ge-nehmigung von Melles. Das Thema: „Was

sich viele Kaufleute dabei dachten, als sieBeiträge zur wissenschaftlichen Stiftung ga-ben.“ „Es ist nach meiner Ansicht wichtig,daß ein Kaufmann sich äußert, wir sinddoch nicht nur Ducatenmännchen, die sicheinem Hirten unterordnen sollen, der bei je-der Gelegenheit nur das herkömmliche‚Bäh‘ sagt. Ich würde die Rede gerne Diroder Embden87 überlassen, ich bin aberziemlich sicher, daß es mehr wirkt, wennkein Akademiker sich äußert (…). MeineDisposition habe ich lange fertig, für Rosi-

Die Unterschriften auf der Stiftungsurkunde der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung

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nen zum Einbacken bin ich empfänglich.“88

···································································1908 gelingt es Werner von Melle zusam-men mit Max und dem Direktor des Ham-burger Museums für Völkerkunde, GeorgThilenius, einen weiteren Schritt in Rich-tung Universität zu unternehmen. Sie schla-gen, wie oben bereits erwähnt, dem Reichs-kolonialamt in Berlin die Gründung einerAusbildungsstätte für Kolonialbeamte vor.Sie soll Lehrstühle für Wirtschaft, Rechtund Geographie erhalten. Am 20. Oktober1908 wird das Kolonialinstitut feierlich er-öffnet.89 Im Beirat sitzt – wie auch in demdes neuen Hamburgischen Welt-Wirt-schafts-Archivs – Max. Thilenius gehörtdem Lehrkörper des neuen Instituts an. DasKolonialinstitut bildet eine einzigartige,sehr hamburgische Schnittstelle aus wissen-schaftlichen, politischen und finanziellenInteressen. Anders als sein Name es vermu-ten lässt, bietet es ein breites Fächerspek-trum an, zu dem neben Völkerkunde auchGeschichte, englische und romanische Spra-chen und Kultur, Sprachen und GeschichteOstasiens, Japans und Indiens, Geographie,Geologie, Mineralogie, Nationalökonomie,Öffentliches Recht und Philosophie gehö-ren. Aus dieser Keimzelle soll, so von Mel-les Plan, zukünftig eine öffentliche Univer-sität erwachsen. Das Kolonialinstitut istjedoch zunächst ein Raum, der den Kunst-historiker Aby (der sich längst als Kulturhis-toriker versteht) aufs engste mit dem Ban-ker Max verbindet. Aby hat die von seinereigenen Forschungsreise nach Übersee mit-gebrachten zahlreichen Objekte – Tonge-fäße und Katsina-Figuren – dem Museumfür Völkerkunde gestiftet. Ein großer Teilbefindet sich noch heute im – 1912 errichte-ten – Gebäude des Völkerkundemuseums.···································································

1908/09 finanziert die Hamburgische Wis-senschaftliche Stiftung eine groß angelegteExpedition zum Bismarck-Archipel und andie Küste des „Kaiser-Wilhelm-Landes“; imzweiten Jahr werden auch die Karolinen undMarshall-Inseln bereist. Ziel ist die Vergrö-ßerung der völkerkundlichen Sammlung.Tatsächlich bringt man etwa 15.000 Objektemit. Aber nicht nur dies – die Expeditionhat erstaunlich breit gefächerte Forschungs-interessen. Es geht um Fragen der Religion,der Medizin, der Sprache, es geht um Kunstund um Wirtschaft. Eine ähnliche themati-sche Vielfalt wird Abys in diesen Jahrenschon zügig im Ausbau begriffener Kultur-wissenschaftlicher Bibliothek zu eigen sein.Es ist zumindest wahrscheinlich, dass ihndie durch die wirtschaftlichen Interessen derHafenstadt Hamburg motivierten ethnolo-gischen Aktivitäten in seiner unmittelbarenUmgebung zu seinem eigenen weiträumi-gen Forschungsansatz, seiner Vision einer„kulturwissenschaftlichen Station“ angeregthaben.90

···································································Auch innerhalb Hamburgs gewinnt Maxkontinuierlich an Reputation. Es scheint, alssolle sein Lebensplan, die nahtlose Integra-tion in die deutsche Gesellschaft durch Leis-tung, aufgehen. Seit dem Jahre 1904 ist erMitglied der Bürgerschaft. Er wird gebeten,in den Aufsichtsrat von Blohm und Vosseinzutreten. Und obwohl weder er nochMelchior sich danach drängen, sitzt dieBank bald in achtzehn weiteren Aufsichtsrä-ten. Kontinuierlich muss mehr Personal ein-gestellt werden – 1913 hat die Warburg-Bankmehr als 100 Mitarbeiter. Auch privat hat eseine Entwicklung gegeben: Seit 1907 be-wohnen Max und Alice samt Kindern eingroßes Haus in der Neuen Rabenstraße 27.Und auf dem Kösterberg besitzt Max jetzt

ein neues, eigenes Haus aus rotem Klinker,in dem vor eindrucksvoller Elbkulisse 48Gäste speisen können. ···································································Auch Aby und Mary suchen, durch die an-wachsende Bücherflut in Bedrängnis ge-bracht, eine geräumigere Bleibe; inzwischenumfasst die Bibliothek 9.000 Bände undbenötigt für die Katalogisierung kontinuier-lich die Hilfe eines Mitarbeiters. Im Januar1909, so berichtet er Max, besichtigen sie einHaus in der Heilwigstraße 114.91 Danachsind sie der Meinung, „dass 1.) dieses Hausein wirklich uns passendes behaglichesWohnhaus für uns abgeben würde, dessenGeräumigkeit 2.) erlauben würde, das Par-terre vorläufig gänzlich als Geschäftsraumzu benützen indem man das Eßzimmer in

die erste Etage verlegen könnte 3.) dannwürden die Räume vorläufig mindestens ?Jahre ausreichen“. Doch Aby blickt schonweiter: Um sich nicht „durch abgeschnit-tene Expansionsmöglichkeiten nervös zumachen“, möchte er „einen 6, besser 10 m.Landstreifen kaufen zu höchstens 45 M. proqm. (740qm Fl.) M. 33000 + 8000 M. Auf-schüttungskosten f. das Ufer.“ Aus eigenenMitteln werde er nicht bauen, aber er brau-che Luft, könne warten. „Mit Vater sprachich: ihn bedrücken die möglichen Baukos-ten der noch nicht vorhandenen Bibliothek.“ ···································································Das Projekt eines eigenen Bibliotheksge-bäudes ist somit 1909 bereits angesprochen.Aber Aby wird bis zur Realisierung diesesPlans noch etwa 15 Jahre warten müssen.

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Aby und seine Familie, von links nach rechts: Frede, Max Adolph, Marietta, Mary und Aby (ca. 1912)

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Der Einzug aus der St. Benedictstraße 52 indie nah gelegene Heilwigstraße 114 dagegenfindet bereits Mitte 1909 statt und wird, wiein der Familie Warburg üblich, mit einemvon Familienmitgliedern geschriebenen undaufgeführten Theaterstück gefeiert.92 Es un-terhalten sich das alte und das neue Haus.Abys Kinder spielen die Allegorien von Ge-lehrsamkeit (Max als Mönch), Häuslichkeit(Marietta als holländische Hausfrau) undGastlichkeit (Frede, mit Flügeln). Humorigwerden Probleme des täglichen Zusammen-lebens abgehandelt: „Was ist des Mannes ur-eigenstes Wesen? Bücher lesen? Und was istdas Edelste, was er mag treiben? Bücherschreiben! (…) sie fressen die Räume, sieströmen, sie quellen/ sie füllen im UmsehnRegal auf Regal;/sie wachsen an Umfang,verdoppeln die Zahl/sie fluten herbei überStufen und Schwellen/hinauf bis zum Bo-den, hinab bis zum Keller/den Eisschrank,den Aufzug, die Badewann/wo immer einHohlraum, sie füllen ihn an/schnell wie einPlatzregen oder noch schneller.“···································································Im gleichen Jahr bezieht Aby öffentlich Stel-lung in der Frage, inwieweit Hamburg seinakademisches Leben intensivieren solle. Esgeht, darum, ob man am „Allgemeinen Vor-lesungswesen“ eine archäologische Professureinrichten solle; ihr Inhaber hätte neben sei-ner Lehrverpflichtung auch die in derKunsthalle befindliche Gipsabguss-Samm-lung zu betreuen. In das Protokoll der Bür-gerschafts-Sitzung vom 12. Dezember 1909ist eine maschinenschriftliche Stellung-nahme aufgenommen, die den kämpferi-schen Titel „Kommunale Pflichten und all-gemeine Geistespolitik“ trägt. Der Text istglänzend formuliert und bedient sich sodeutlich maritimer Metaphern, dass er inKaufmannskreisen Sympathien finden muss.

„Es wird wohl kaum eine Stadt in Deutsch-land geben“, so Abys Kommentar, „die denantiken Göttern vor aller Augen ein so mi-serables Asyl bietet, wie Hamburg. Im Halb-dunkel zusammengepfercht, führen Götterund Heroen, die hoch im freien Licht dieVerehrer grüßen sollten, in der hamburgi-schen Kunsthalle ein Dasein wie Auswande-rer im Zwischendeck; und Hamburg solltediesen Importartikel nicht nur des äußerenEindrucks wegen besser behandeln.“ Prag-matisch holt Aby die Entscheidungsträgerdort ab, wo sie stehen: Die Kinder der Stadt-väter beklagten sich über die Trockenheitder gymnasialen Bildung – dem könne manabhelfen, wenn das „Wort“, also die Texteder antiken Autoren, durch das „Bild“, alsodie Skulpturen, ergänzt würden: „die visu-elle Wiederbelebung des Gedächtnisstoffeshier in Hamburg“ nicht ungestümer zu for-dern, sei ein Fehler. Der zu berufene Ar-chäologe könne und müsse für HamburgsKultur aber noch ganz anderes leisten:„Durch ihn sollen Mächte reden, die demNiveauschwund und der Maßstablosigkeiteines tagedienerischen Geschmacks entge-genwirken.“93

···································································In einem Punkt aber unterscheiden sich dieBrüder, und das wird unübersehbar, als am29. Januar 1910 Vater Moritz stirbt: Es ist einunumstößliches Gesetz, dass der Erstgebo-rene am Grab des Vaters das Totengebet, das„Kaddisch“, spricht. Trotz der Bitten vonMutter und Brüdern weigert sich Aby. Er,der inzwischen jede Religion als „Aberglau-ben“ betrachtet und der auch seine Kindernicht hat taufen lassen, hält das für Heuche-lei. Max habe schon vor langer Zeit zu sei-ner „ungetrübten und dankbaren Zufrie-denheit“ die Aufgaben übernommen, dieim Judentum dem Erstgeborenen zufallen.94

Aby nimmt weder an der Beisetzung nocham Trauergottesdienst teil. Moritz hatte sichzwar auch in der Hamburgischen Wissen-schaftlichen Stiftung engagiert, aber wargleichzeitig den Traditionen des Judentumsin jeder Hinsicht treu geblieben: Noch zweiJahre zuvor hatte er zusammen mit seinenim Geschäftsleben aktiven Söhnen der Tal-mud Tora Schule ein neues Gebäude gestif-tet. Zwar ist für Max die Befolgung der jü-dischen Gesetze und der Besuch derSynagoge längst keine Herzenssache mehr.Aber er wird sich zeitlebens in ihrem Rah-men und damit in den vom Vater vorgege-benen Spuren bewegen. ···································································Von außen betrachtet hat es den Anschein,als würden die Wege der beiden Brüder auchdarüber hinaus spätestens ab 1910 endgültigauseinanderdriften. Max weitet seinen Ak-tionsradius auf das internationale Bankge-schäft aus. Er investiert in Afrika, er ver-strickt sich in undurchsichtige Kolonialge-schäfte, er wird zu einem der großenAkteure im Netzwerk aus Wirtschaft undPolitik. Viel Energie investiert er – aus heu-tiger Sicht vielleicht naiv – in den Versuch,mitzuwirken in der Abwehr eines Krieges,dessen Bedrohung immer näher rückt. SeinVerbündeter ist der in Köln als Sohn jüdi-scher Eltern geborene Ernst Cassel, späterSir Ernest Cassel. Der in London lebende,außerordentlich einflussreiche Magnat istprivater Finanzberater von König EdwardVII. Aby dagegen, der den politischen Am-bitionen seines Bruders kritisch gegenüber-steht und ihn immer mal wieder zur Zu-rückhaltung auffordert, arbeitet über stil-psychologische Phänomene, hält Vorträgeund versucht, sich sowohl auf internationa-lem als auch auf dem heimatlichen Parkettzu profilieren: Sein Ringen um öffentliche

Anerkennung ist einerseits aus der privatenSituation heraus zu verstehen – er muss esseiner Familie beweisen! Andererseits ist esimmer wieder das auch auf ihn angewendeteStereotyp des wohlhabenden Juden, des„Bankierssohns“, des „reichen hamburgi-schen Kunstfreundes“, des „kunstbegeister-ten hamburgischen Patriziers“, das ihn un-ter Zugzwang setzt.95 Und nicht zuletzt istes das aus der Erfahrung der Ausgrenzungheraus entwickelte Lebensziel – sich durchLeistung in die deutsche Gesellschaft zu in-tegrieren – das ihn antreibt. Sein Ziel ist, soformuliert er bereits 1909, ein „institutsmä-ßig arbeitendes Laboratorium“, um daraus„eine neue Methode der Kulturwissen-schaft, deren Basis das ‚gelesene’ Bildwerkist“, zu entwickeln.96

···································································Dass Aby sich auch als Kunstkritiker betä-tigt, ist für einen Kunsthistoriker ungewöhn-lich. Eine dieser Aktivitäten gilt den neuenFresken im Hamburger Rathaus. Im Mai1910 erscheint in der Zeitschrift „Kunst undKünstler“ eine kritische Besprechung. Siewird vom „Hamburgischen Corresponden-ten“ in voller Länge abgedruckt, woraufhinAby zahlreiche zustimmende Zuschriftenerhält. Der Text gipfelt in dem wunderba-ren, als Appell an die politischen Entschei-dungsträger gerichteten Satz: „Wer das Amtrepräsentativer Geschichtsverkündung öf-fentlich übernimmt, verpflichtet sich dazu,als soziales Erinnerungsorgan zu funktionie-ren, das zurückschauender Selbsterkenntnisauf die wesentlichen Entwicklungsmo-mente verhelfen soll; wenn aber nun jenesRiesentryptichon (sic) von Strandidyll, reli-giösem Zeremonialakt und Landungsplatzdie Quintessenz hamburgischer Kulturent-wicklung ausreichend versinnbildlicht, soist eben den Hamburgern und ihrem beru-

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fenen Organ im Augenblick höchster Ge-dächtnisanspannung nichts aufregend Gro-ßes, nicht einmal menschlich Wesentlicheseingefallen, das zu so monumentalem Vor-trage berechtigt.“97 Wo Goethes Zeit vonKunstwerken noch erwartet habe, daß sie„aufregten“, sei man heute auf die banale„Anregung“ heruntergekommen. Aby er-scheint die Erzählung leer und hohl, es feh-len jene Momente, in denen das „eigent-lichste und höchste Ausdrucksmittel derHistorie“ zur Geltung kommt, Momente„ideale[r] Humanität“ und „beseelten Men-schentums“.98

···································································Konsequent verfolgt von Melle, unter-stützt von Max, weiter den Plan, die Wis-senschaftlichen Anstalten, das Vorlesungs-wesen und das Kolonialinstitut in eineordentliche Universität zu überführen. Im-mer wieder zieht letzterer seinen akade-misch sozialisierten Bruder in Detailfragenzu Rate.99 1910 schlägt er vor, Aby in denVorstand der Wissenschaftlichen Stiftung zuberufen. Deren größtes Problem liegt im er-klärten Widerstand, der den Universitätsbe-fürwortern aus weiten Kreisen der Bevölke-rung entgegenschlägt. Die Gegenargumentelauten unter anderem: „Fehlendes Bedürfnisfür eine Universität“, die „Gefährdung vonHamburgs Handel und Schiffahrt“ – für de-ren Bedürfnisse die Leistungsfähigkeit desStaates uneingeschränkt erhalten bleibenmüsse – sowie die „Entstehung eines gelehr-ten Proletariats in Hamburg“ und, natür-lich, die „zu geringe Veranschlagung derKosten“.100 Aber auch in Berlin findet dieIdee, Hamburg mit einer Hochschule aus-zustatten, wenig Freunde: Wenn Max, meistaus Anlass der Kieler Woche, auf WilhelmII. trifft, fällt diesem prompt das Stichwort„Universität Hamburg“ ein. „Der Kaiser

war entschieden dagegen, daß Hamburgeine Universität bekommen sollte. Er gabzu, daß die höhere Erziehung in Hamburgeine ziemlich einseitige und nicht sehr tief-gehende sei. Doch meinte er: liegt nicht ge-rade in dieser etwas beschränkten Bildungeine gewisse Stärke? Das war“, so erinnertsich Max mit nicht ganz nachvollziehbarerSympathie, „ganz richtig und traf den Na-gel auf den Kopf“.101

···································································1911 listet Aby in einem Brief an den FreundFriedrich Bendixen seine Verdienste in Sa-chen Universität auf: „Pace-macher für dieAkademische Idee seit 190?/ ohne ihn wäreMax Warburg nicht in Bewegung gekom-men und ohne diesen nicht Beit als Geldge-ber und ohne diesen hätte von Melle nichtserreicht.“102 Immerhin kann 1911 dank einergroßzügigen Spende des Reeders EdmundSiemers ein Vorlesungsgebäude an derMoorweide eingeweiht werden. Es steht so-wohl für die Veranstaltungen des Allgemei-nen Vorlesungswesens als auch die des Ko-lonialinstituts zur Verfügung; über demPortal ist es in Stein gemeißelt zu lesen: „DerForschung – der Lehre – der Bildung.“ 1911bereitet von Melle einen Antrag an die Bür-gerschaft vor. Für die Verhandlungen wer-den Vertrauensmänner aus allen politischenLagern gewählt, zu denen auch das Bürger-schaftsmitglied Max Warburg gehört. Die-ser plädiert für die Gründung einer „Über-seeuniversität“, die zwar Unabhängigkeitbesitzen, aber kontinuierlich von einem„kaufmännischen Beirat“ beraten werdensolle: eine Vorstellung, die bei den Verfech-tern akademischer Selbständigkeit naturge-mäß auf Widerstand stößt. ···································································Senatssyndikus Hermann Albrecht fasstes Anfang Januar 1912 so zusammen: „und

da scheint es mir so zu liegen, daß unser Vor-lesungswesen, unsere WissenschaftlichenAnstalten und unser Kolonialinstitut vor al-lem bis zu einem gewissen Grade entwickeltsind, dass einerseits in finanzieller und ma-terieller Beziehung nicht mehr viel an derUniversität fehlt, andererseits aber geradedas fehlt, was sie auf die Dauer zu existenz-berechtigten und lebensfähigen Gebildenmacht, nämlich die Zusammenfassung desGanzen zu einer geistigen Einheit und dieStudenten“. Wenn dies nicht gelänge, brä-che das Kolonialinstitut zusammen, dietüchtigen Professoren liefen weg, die Wis-senschaftlichen Anstalten verkümmerten.„Es kommt dann eben dahin, daß das ganzevon uns in diesen Dingen investierte Kapi-tal sich als nutzlos verwandt darstellt.“103

···································································Seinen möglichen Beitrag zu einer solchenUniversität sieht Aby zu diesem Zeitpunkt,wie er dem Bruder immer mal wieder erläu-tert, in einer „kolonialwissenschaftliche[n]

Beobachtungsstation“, deren besonderenZwecken nach jeder Richtung hin entspro-chen werden könne, sobald der „Beobach-tungspanzerturm drehbar“ gemacht werde,„d. h. wenn die Klassische Kultur compe-tente Vertreter findet: ohne diese ist geradedas Leben der Gegenwart in ‚wilden Län-dern‘ ganz unverständlich: afrikanischerAberglauben ist eben z.T. altantikes Erbgut(ich habe ja oft davon erzählt), und die Un-bildung des Hamburgers – anderen Län-dern gegenüber – kommt eben daher, daßder heimatseelige Dilettant den kritischenMaßstab, die Aufklärung, die die antikeKultur jeder historischen Betrachtungbringt, entbehrt.“104 Er weiß, daß er denHamburgern höchstens mit dem Motto„Bildung schadet nichts“ kommen kann.Dem in akademischen Fragen unerfahrenenMax rät er dringend dazu, das Recht zurPromotion mit der Bedingung zu verknüp-fen, daß der Doktorand auch einige Semes-ter an der Universität studiert hatte: „die

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Das Vorlesungsgebäude auf der Moorweide

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Doktorarbeit kann nicht irgendwo zumSchluß gemacht werden, sondern ist – beider philosophischen Facultät das Endpro-duct der Zusammenarbeit zwischen Lehrerund Schüler“. Gar nicht einverstanden istAby mit Max’ Wunsch, der HamburgerUniversität auch eine Theologische Fakultätanzugliedern: „Bedenke doch, dass wir inder glücklichen Lage sein können – waskeine Universität in Deutschland kann –uns vom Einfluss des Klerikalismus, der al-les wissenschaftliche spaltet, freizuhalten!!Die Idee von einer theologischen Facultätdarfst Du nicht in die Discussion werfenohne Deine vorzügliche sonstige Situationganz ernsthaft zu gefährden.“105

···································································Aby selbst ist grundsätzlich durchaus bereit,in dieser Universität eine aktive Rolle zuspielen: „Würde mir nun,“ so heißt es 1911in einem Brief an den in Hamburg schonbestallten Historiker Erich Marcks, „fallsman überhaupt daran denkt, mich etwa alsHon. Professor einzugliedern (wie es nachIhrer freundlichen Idee möglich wäre) diealleinige Vertretung der Kunstwissenschaftin der Facultät zufallen, d. h. würde ich ord.Hon. Prof. mit Sitz und Stimme in der Fa-cultät werden können? Oder müßte ich miretwa mit den Museumsdirectoren in die Fa-cultätsgeschäfte theilen? Sollte letzteres ge-plant sein, so würde ich bitten, gütigst vonmir absehen zu wollen: ich wäre dadurchverhindert, mein bestes autoritativ zu vertre-ten, ohne auf Reibungswiderstände zu stos-sen, die zu überwinden mich zu viel Ener-gie – dazu noch ohne Aussicht auf Erfolg –kosten würde.“106 Wie auch immer – imFebruar 1912 erhält Aby vom Senat in Aner-kennung seiner kunstgeschichtlichen Vorle-sungen und der Ablehnung des Rufs nachHalle den Professorentitel verliehen, „was

mir für meine Mutter“, so berichtet er ei-nem Freund, „die sich z. Zt. an der Rivierain Cap d’Ail befindet Spass machen soll.Auch mir ist es zur Erleichterung meinesganzen Betriebes recht willkommen.“107

···································································Was hat die Kunst mit dem wirklichen Le-ben zu tun? Diese Leitfrage wird 1912 erneutein Thema, das beide Brüder in einem Pro-jekt zusammenbringt: die HAPAG-Impera-tor-Affäre.108

···································································Eine weite Seereise auf einem der Schiffeder „Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Aktien-Gesellschaft“ hat Aby zwar im Lebennicht unternommen, sein maritimer Akti-onsradius blieb auf die regelmäßig aus Heu-schnupfen-Gründen nach Helgoland unter-nommenen Schiffstouren beschränkt. Aberer muss doch die Kreuzfahrtschiffe Ballinsgekannt, vielleicht im Hamburger Hafenbesichtigt haben, denn immer mal wiederkritisiert er die Ausstattung der Schiffe in ei-nem falschen Louis XIV.-Stil. Max, der Ha-pag-Schiffe von Seereisen her kennt, scheintmit ihm einer Meinung zu sein. Er gewinntBallin 1912 dafür, seinen Bruder zum künst-lerischen Berater des neuen Flaggschiffes„Imperator“ zu machen; das Schiff soll einschwimmendes Luxus-Hotel werden unddamit auf der Nordatlantikroute gegenüberder britischen Konkurrenz neue Maßstäbesetzen. Der „Imperator“ ist eine patrioti-sche, eine nationalistische Unternehmung.Name und Galionsfigur – ein aggressiver,bekrönter Adler, der auf einer Kugel sitzt –sind als überdeutliches politisches State-ment und als Referenz an Wilhelm II. zuverstehen. Fotos vom Stapellauf am 23. Mai1912 zeigen einen festlich gewandeten MaxWarburg neben Ballin und dem Kaiser. Abyjedoch scheitert mit seiner Mission. Die vor-

gesehenen Bilder sortiert er als „frechenKitsch“ und „Theatervedute zweiten Ran-ges“ aus und bestellt bei als fortschrittlichgeltenden Hamburger Malern wie PaulKayser, Friedrich Lissmann und HermannBruck neue Gemälde. Als jedoch Ballin ei-genständig die Maler Ascan Lutteroth undFriedrich Schwinge beauftragt, quittiert Abyenttäuscht sein „Amt“.109 In seiner Antwortauf einen Brief Ballins, der ihm offenbar einHonorar und/oder eine Anstellung in Aus-sicht gestellt hatte, heißt es am 10. Juli 1913:„Hochverehrter Herr Ballin, (…) Ich sehemeine Dienste als vollständig dadurch kom-pensiert an, dass eventuell Bruck einen zwei-ten Versuch machen darf und Lutteroth fürden Imperator nur als Provisorium anzuse-hen ist. Es ist für mich bisher und auch wei-terhin unbedingt selbstverständlich, dass ichdie Beraterschaft rein ehrenamtlich ausge-führt habe, das war die einzigste Bedingung,die ich meinerseits daran knüpfte, als Maxmich fragte, und die er Ihnen auf meinenausdrücklichen Wunsch vorgetragen hat. –Da Sie sicherlich mit dem Angebot derStelle mir eine Freude machen wollten (undes hat mir auch sehr gut getan), so bitte ichSie, mir unter allen Umständen die Befrie-digung zu lassen, etwas nur ehrenamtlichnicht ganz gut gekonnt zu haben. WollenSie mir aber noch einen Extragefallen tun,so lassen Sie dem jungen Lissmann dieMöglichkeit, für die Kuppel des Speisesaalsin der Vaterland [das zweite Schiff der „Im-perator-Klasse“, KM] einen Entwurf unterden von mir vorgeschlagenen Bedingungeneinzureichen.“110

···································································Max jedoch, der vielleicht auch für denschwierigen Bruder eine Beschäftigungsucht, gibt nicht auf. Am 18. September 1913schreibt er Aby, der sich gerade zur Kur im

Sanatorium Dr. Heinsheimer in Baden-Baden befindet, einen Brief: „Lieber Aby! Es wird Dich freuen zu hören, dass es mirgelungen ist, Ballin dazu zu bringen, einSchiff dem deutschen Kunstgewerbe für dieHerstellung der Inneneinrichtung zu ver-schreiben. (…) Das von Ballin in Aussichtgenommene Schiff der Barbarossa-Klasse(Ostasienfahrt) war aber schon zu weit fort-geschritten, um in der von den Herren ge-wünschten Weise eingerichtet zu werden.Vielleicht wird es Prof. Schumacher gelin-gen, endlich unser Ziel zu erreichen.“ UnserZiel – zur Phalanx aus Aby und Max ist nunauch Baudirektor Fritz Schumacher gesto-ßen. Aber „das Schlimme ist nur, dass Bal-lin gegen alles Systematische, seiner natürli-chen Anlage nach, Front macht. Auf alleFälle aber sind wir einen guten Schritt in derTendenz weitergekommen. Du siehst, daßman garnicht so zu schimpfen braucht, wieDu es immer tust, um die Welt zu verbes-sern.“111 Handschriftlich setzt er hinzu:„Bruck hat den Auftrag bekommen, einneues Bild zu malen“ – der große Reeder istsomit zu Kompromissen bereit. ···································································Es darf trotz der weitgehend auf Hamburgausgerichteten Perspektive dieses Buchesnicht unerwähnt bleiben, dass sich Aby injenen Jahren auf dem internationalen kunst-historischen Parkett ein eindrucksvollesRenommee erwirbt. Er erregt Aufsehen mitArbeiten zu ungewöhnlichen Themen wie„Arbeitende Bauern auf burgundischenTeppichen“ oder, noch avantgardistischer,„Luftschiff und Tauchboot in der mittelal-terlichen Vorstellungswelt“. Er ist Mit-Or-ganisator des Internationalen Kunsthistori-kertages in Rom 1912 und hält auf diesemam 19. Oktober auch selbst einen Vortrag.Dieser ist in die Geschichte der Kunstge-

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schichte deshalb eingegangen, weil er nach-weist, wie man mit einer neuen Methode,von einem veränderten Blickwinkel ausganz konkrete Fragen zu lösen vermag, aufdie es bis dahin keine Antworten gab: Bis-lang unverständliche, nicht gedeutete Re-naissance-Fresken im Palazzo Schifanoia inFerrara ergeben nun einen Sinn. Aby denktin neuen, weiteren Räumen. In der Nach-folge Lamprechts, Riegls, von Falkes be-trachtet er „Antike, Mittelalter und Neuzeitals eine zusammenhängende Epoche“ und„die Werke freiester und angewandter Kunstals gleichwertig“. Für die akademischeKunstgeschichte gilt vor allem Letzteres alsRegelverstoß.112 Der 19. Oktober 1912 wirdzur Geburtsstunde der Methode, Bilder zu„lesen“, der Ikonologie.

···································································In Hamburg dagegen ist 1913 die Universi-tätsfrage völlig ins Stocken geraten. ImSommer lehnt die Bürgerschaft einen ent-sprechenden Antrag ab. Max und Aby müs-sen sich zunächst geschlagen geben. Den-noch erreicht Aby in dieser Zeit einwichtiges Zwischenziel. Seine ursprünglichprivate Studiensammlung hat sich in einehalb-öffentliche Institution verwandelt. ···································································Es gibt Öffnungszeiten, es gibt Mitarbeiter,und es gibt einen Namen – K.B.W., Kultur-wissenschaftliche Bibliothek Warburg. Inden „Aussendungen der Hamburger Ober-schulbehörde“ ist zu lesen: „Kulturwissen-schaftliche Bibliothek Warburg. Prof. Dr.phil. A. Warburg, 114 Heilwigstrasse. Aus ei-

Aby und Sohn Max Adolph im Arbeitszimmer in der Heilwigstraße

ner mit Abbildungssammlung verbundenenHandbibliothek zur Untersuchung derFrage nach dem Einflusse der Antike auf dieKunst der italienischen Renaissance entstan-den, wird die K.B.W. seit 1902 auf breitererGrundlage systematisch zu einer Studien-stätte für Kulturwissenschaftliche Ikonolo-gie (unter besonderer Berücksichtigung derVerkehrsprobleme auf dem Gebiete interna-tionaler Bilderwanderung) ausgestaltet; wis-senschaftlichen Benutzern steht die Biblio-

thek werktäglich Nachm. 5–7 offen. Buch-bestand 1914: etwa 18.000 Bde. Jährl. Zu-gang etwa 1.000 Nrn. WissenschaftlicheHilfsarbeiter: Dr. phil. Wilh. Printz. Dr.phil. Fritz Saxl.“113 Bedeutsam ist vor allemdie Nennung Fritz Saxls, des aus Wien stam-menden, halbjüdischen Kunsthistorikers,dem er im Januar 1914 eine Stellung ange-boten hatte und der zu Abys engstem Mit-arbeiter werden sollte.

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··············································································································································184 Beit ist Hamburg immer verbunden geblieben. 1890 etwa baute er für seine Mutter im Mittelweg 1913 ein

Haus und 1905/06 konnte ihn Lichtwark gewinnen, die Kosten für Liebermanns umstrittenes Gemälde„Der Hamburger Professorenkonvent“ zu übernehmen. Vgl. Albrecht, Beit, S. 96, 110.

185 Vgl. Ahrens, Stiftungsprofessur.186 Warburg, Bildniskunst, S. 69.187 Wohl Heinrich Embden, Neurologe, Facharzt für Nerven- und Geisteskrankheiten in Hamburg und

Hausarzt der Familie Aby Warburg. 188 Max an Aby Warburg, 10 Oktober 1907: WIA, FC.189 Ruppenthal, Kolonialismus.190 Michels, Bannkreis, S. 61.191 Aby an Max Warburg, 22. Januar 1909: WIA, III.26.3. 192 Das neue Haus: Ebd., III.25.6.193 Warburg, Pflichten, S. 305.194 Chernow, Die Warburgs, S. 166 f. 195 Schäfer, Bibliothek, S. 119 f. 196 Ebd., S. 115.197 Warburg, Wandbilder; siehe auch Warnke, Kunstgeschichte.198 Vgl. auch Russell, Tradition, S. 165.199 Aby an Max Warburg, 25. September 1911: WIA, IV, 153.100 Melle, Jahre, S. 90 f. 101 Warburg, Aufzeichnungen, S. 31 f. 102 Aby Warburg an Friedrich Bendixen, 1911: WIA, IV, 30 f. 103 Warburg, Aufzeichnungen, S. 89.104 Ebd. 105 Aby an Max Warburg, 1. Oktober 1911: WIA, IV, 159-160.106 Aby Warburg an Erich Marcks, 23. Dezember 1912: Ebd., 424. 107 Aby Warburg an Victor Goldschmidt. 20. Februar 1912: Ebd., GC.108 Vgl. Russell, Tradition, S. 168 ff. 109 Michels, Bannkreis, S. 69 f.110 Aby Warburg an Albert Ballin, 10. Juli 1913: WIA, GC.111 Max an Aby Warburg, 18. September 1913: Ebd.112 Zitiert nach: Michels, Bannkreis, S. 77 f. 113 Ebd., S. 81.··············································································································································

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Am 1. August 1914 erklärt DeutschlandRussland den Krieg. Der zu diesem Zeit-punkt 48 Jahre zählende Aby wird aufgrundseines Alters nicht mehr eingezogen, Maxebensowenig. Die Bank, die in den letztenJahren glänzende Geschäfte gemacht hatte,entwickelt als erste ein Hilfskassen-Projekt,aus dem in Schwierigkeiten geratenen Fir-men und Gewerbetreibenden Kredite ge-währt werden konnten. Auch ist sie an derGründung einer Seeversicherungsgesell-schaft und einer Kriegsmetallgesellschaft be-teiligt. Zusammen mit Syndikus Carl Mel-chior und Albert Ballin gründet Max die(später halb-staatliche) Zentral-Einkaufsge-sellschaft, über die aus neutralen Staatenund besetzten Gebieten Lebensmittel einge-führt werden. Persönlich gut vernetzt, wirdMax vom Auswärtigen Amt ins neutraleSchweden geschickt, um das Land für diedeutschen Ziele zu gewinnen; er resigniertjedoch angesichts der Naivität und Schwer-fälligkeit der deutschen Außenpolitik. 1915siedelt Bruder Fritz (dessen Frau Anna, geb.Warburg in Schweden aufgewachsen war)mit Familie ganz nach Schweden über, mitder ebenfalls offiziellen Aufgabe, von dortfür die Verbesserung der Lebensmittel- undBrennstoffsituation des blockierten Deutsch-land zu sorgen. Was die persönliche undmanchmal auch politische Situation derWarburgs erschwert, sind ihre engen fami-

liären Verbindungen zum potentiellenKriegsgegner Amerika. 1916 muss Max ein-sehen, dass das finanzielle Schicksal unsererFirma vom politischen Schicksal Deutsch-lands abhängt. „Sollte Deutschland denKrieg verlieren und die Reichsbank nicht inder Lage sein, ihre Garantien uns gegenübereinzulösen, dann wird uns nichts übrig blei-ben, als eine Annonce folgenden Wortlautsin die Zeitung zu setzen: ‚Auf dem Felde derEhre stellten ihre Zahlungen ein M. M.Warburg & Co.“114

···································································Aby versucht, das Kriegsgeschehen intel-lektuell, als Wissenschaftler zu bewältigen:Er legt – wie viele seiner Zeitgenossen – einZeitungsausschnitt-Archiv an, und er gibteine Zeitschrift heraus. Die Sammlung vonZeitungsausschnitten auch ausländischerOrgane soll der Wahrheitsfindung dienen.Wem kann man glauben, was ist Propa-ganda, was Tatsachenbericht? Das Stigmader „falschen“ Geburt scheint von ihm, wievon so vielen Juden in den ersten Kriegsmo-naten, abzufallen. Einer seiner Zettelkästenwird mit „Unser Krieg“ betitelt. Anderer-seits will auch er, wenn schon nicht an derFront, mit seinen Mitteln einen patrioti-schen Beitrag leisten. Inzwischen hat er sichzum radikalen Parteigänger der „deutschenSache“ entwickelt. In offiziellen Auftrag ent-wickelte er ein neues Propaganda-Organ,

1918: „Unser Krieg“ und „die Judenfrage“

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die „Rivista“. Mitstreiter sind Thilenius undder italienisch-deutsche, am Kolonialinsti-tut tätige Phonetiker Giulio Panconcelli-Calzia. Die eher chauvinistische als völker-verbindende Zeitschrift will durch Beiträge,vor allem aber eine üppige und gezielte Bild-auswahl „einen unmittelbaren Eindruckvon Deutschlands Kultur im Kriege“ geben;nach zwei Nummern wird sie eingestellt.115

···································································Mitte 1916 ist es erneut die „Judenfrage“,die Aby und Max, um den militärischenTon jener Jahre aufzugreifen, zu einer Pha-lanx zusammenschmiedet. Zwar hatte Wil-helm II. bei Kriegsbeginn einen „Burgfrie-den“ ausgerufen, der auch die jüdischenDeutschen einbezog: „Ich kenne keine Par-teien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!(…) ohne Parteiunterschied, ohne Stam-mesunterschied, ohne Konfessionsunter-schied.“ Viele Juden begrüßen begeistertdiese erste wirkliche Chance zur völligen In-tegration und melden sich freiwillig zumKriegsdienst; in den ersten Kriegsmonatenwird jüdischen Soldaten sogar die Beförde-rung in den Offiziersrang ermöglicht. Sehrbald aber schlägt die Stimmung um, und inMilitär und Presse setzt eine massive antise-mitische Hetzkampagne ein. Unter ihremDruck gibt Walter Rathenau schon im März1915 sein Amt im Kriegsministerium auf.Juden werden als „Drückeberger“ verun-glimpft – und für die Notlage der Bevölke-rung verantwortlich gemacht. „JüdischeVerfilzung“ ist wieder ein beliebtes Schlag-wort, und damit ist auch „das System Bal-lin-Rathenau“ gemeint. Max gerät so ganzdirekt in die Schusslinie der Antisemiten. Erreagiert mit der Erstellung einer Denkschriftüber „Die Judenfrage im Rahmen der deut-schen Gesamtpolitik“, die zahlreichen Per-sönlichkeiten des politischen Lebens über-

reicht wird.116 Co-Autor ist, wie die im Lon-doner Archiv erhaltenen Briefe aus jenerZeit belegen, Bruder Aby. Schärfer im Ton,aber in der Sache genauso entschlossen,trägt er zum Text das Seine bei – „Das istdoch ganz selbstverständlich, daß ich Kor-rekturen nicht übel nehme!“, lässt der jün-gere Bruder den älteren wissen.117

···································································Was steht in diesem Text?118 Zunächst ein-mal schreibt der Autor „nicht als Jude“, son-dern als „Deutscher jüdischen Glaubens“;seine Initiative dient nicht der Verbesserungder jüdischen Lebensbedingungen, sonderndem Wohl des Staates. Es geht – immernoch aktuell – um die Frage der Ehrenstel-lung des Reserve-Offiziers und die Frage,warum Juden in Deutschland zwar Richter,aber niemals Staatsanwalt werden können.Es geht um Neid und Taufzwang, um Tole-ranz und Gerechtigkeit. An zahlreichen Bei-spielen gibt Max Einblick in das bittere Er-leben jüdischer Deutscher. Wenn es gelänge,so sein Appell an die politisch Verantwortli-chen, diese nicht mehr als unerwünschteMinderheit zu behandeln, könne das Deut-sche Reich auch außenpolitisch immensenGewinn daraus ziehen. „Die Lebensfragelautet: Wie machen wir jeden einzelnenBürger zum nützlichen und freudigen Mit-kämpfer in Krieg und Frieden?“ „Als Mit-glied einer Familie“, so lautet der Schluss,„die väter- und mütterlicherseits seit 300Jahren nachweisbar in Deutschland gelebthat, die für die geschäftliche EntwicklungDeutschlands ehrlich und erfolgreich mitge-wirkt hat, für Kunst, Wissenschaft undWohltätigkeit ihr ehrlich Teil beigetragen,ihre Blutopfer in dem Kriege 1870/71, wie indem jetzigen gebracht hat, muß ich ohnefalsche Bescheidenheit und ohne falschenStolz, als Deutscher auf diese Gefahr auf-

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merksam machen. November 1916, M.W.“ ···································································Zwar wiegelt der grundsätzlich optimisti-sche Max in einem Brief an Aby vom 13. Juni1916 noch ab: „Ich nehme alle diese Dingesehr kühl; ein zweijähriger Krieg, insbeson-dere wenn er schlecht verfuttert wird, kannnur schlechte Leidenschaften hervorrufen.Das geht auch wieder vorüber.“119 Aber sei-ner an die Vernunft appellierenden Denk-schrift merkt man die emotionale Intensität,mit der sie verfasst wurde, noch heute deut-lich an. Denn mit dem Schwinden derKriegshoffnung wird im Deutschen Reichvermehrt nach Schuldigen Ausschau gehal-ten; als Sündenbock eignet sich, wie so oftin der Geschichte, eine Minderheit – die Ju-den. Der Ernst der Lage wird Max spätes-tens im Oktober desselben Jahres deutlich,als der preußische Kriegsminister AdolfWild von Hohenborn eine „Judenzählung“anordnet. Mit ihr soll der Anteil der Judenan allen Soldaten des deutschen Heeres er-mittelt und somit – vorgeblich – dem Vor-wurf entgegengetreten werden, sie würdensich mit dem Argument kriegswichtiger Tä-tigkeit bevorzugt vom Heeresdienst befreienlassen. Ein immer aggressiverer Antisemitis-mus steigt aus den Tiefen der Gesellschaft anihre Oberfläche. Diskriminierungen undextreme Demütigungen der jüdischen Sol-daten sind die Folge. Die Ergebnisse der„Judenzählung“ wird man bis Kriegsendegeheim halten, was Gerüchten schlimmsterArt neue Nahrung gibt. Gleichzeitig ist klar,dass damit alle Integrationsbemühungen imKaiserreich gescheitert sind; Antisemitismusist staatlich sanktioniert. Einzig der Natio-nalliberale Gustav Stresemann, der sich zu-nächst für eine „offene Klarstellung“ unddamit für die Zählung ausgesprochen hatte,warnt 1917 öffentlich vor der Gefahr einer

uneindämmbaren antisemitischen Bewe-gung. 1922 wird eine Untersuchung erge-ben, dass der Anteil der zum Kriegsdiensteingezogenen Juden proportional dem derNichtjuden entsprach. – BemerkenswerteReaktionen sind auf Max’ Schrift über die„Judenfrage“ nicht bekannt. Als er versucht,nach der Absetzung Wild von HohenbornsEnde Oktober 1916 mit dem neuen Kriegs-minister Hermann von Stein ins Gesprächzu kommen, hält dieser ihm einen Vortragüber Heinrich Heine als „vaterlandslosenGesellen.“ ···································································Im gleichen Jahr, im Oktober 1917, erhältAby von einem Verwandten seiner Frau,dem Diplomingenieur Hans Hertz, einenZeitungsausschnitt zugesandt, in dem dieFamilie Warburg verunglimpft und behaup-tet wird, sie sei auch mit Max Liebermannverwandt. Gravierender aber ist ein zweiterPunkt: Er läuft auf die aus Verschwörungs-theorien und Verdrehungen historischerTatsachen zusammengebastelte Verleum-dung hinaus, Warburgs seien schuld daran,dass Amerika in den Krieg eingetreten seiund damit auch, dass Deutschland diesenverloren habe. Wie immer, wenn Aby sichim Familien- oder Freundeskreis äußert,reagiert er scharf: „Über das Gespräch, dasmein Bruder mit Protopopoff [dem dama-ligen russischen Innenminister AlexanderProtopopov, KM] führte, darf in Kriegszei-ten von uns nichts gesagt werden. Das wis-sen die Schweine. Ein Ersuchen um Rich-tigstellung an das Blatt oder die Blätter wirdunsererseits kaum erfolgen. Die deutschenEhrabschneider müssen erst tiefer im Sumpfsitzen, ehe man ihnen zu Leibe gehen wird.Was mich betrübt, ist nur, daß die gewissen-losesten, dümmsten und gefährlichstenJournalisten sich als Vaterlandspartei auf-

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spielen dürfen, ohne daß sich im Jubiläums-jahr Luthers ein rechter deutscher Mannfindet, der das Buch von dem freien Gewis-sen des Zeitungsmenschen wider jeden Ka-pitalismus rechts und links zu schreibenwagt.“120

···································································In der gemeinsam verfassten Denkschrift istes Aby wichtig, auf das Engagement der Fa-milie nicht nur für soziale Belange undKunst, sondern auch für die „Wissenschaft“hinzuweisen. Dahinter verbirgt sich nichtnur ein dezenter Hinweis auf persönlicheVerdienste, sondern auch ein allgemeinesAnliegen: Vor dem Hintergrund der identi-tätsmäßigen Zwickmühle der deutschen Ju-den erscheint es heute nur allzu nachvoll-ziehbar, dass man in der Verbreitung einerauf Objektivität und Neutralität gerichtetenDenkweise eine Lösung sieht – vielleichtwar auch dies ein Grund für das überpro-portional intensive Engagement der War-burgs für eine Universität in Hamburg. Abyselbst gibt dafür eine Probe ab. Während derKriegsjahre arbeitet er an einer Studie, die1920 publiziert werden wird: „Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Lu-thers Zeiten“.121 Dass sich ein Kunsthistori-ker mit religiösen Fragen und ein Jude mitLuther befasst, muss damals exzentrisch ge-wirkt haben – zumal Aby nicht etwa den be-kannten Antisemitismus Luthers behandelt,sondern diesen im Gegenteil als rationaldenkenden Kämpfer gegen primitives Den-ken würdigt: vielleicht ein Reflex seiner un-mittelbaren Umgebung, denn Aby hat ja ineine sehr protestantische Familie eingeheira-tet, und er wird sich auf dem OhlsdorferFriedhof auch in ihrem Grab, nicht etwa aufdem jüdischen Teil des Friedhofs, begrabenlassen. Abys um sein Lebensthema, denZwiespalt zwischen Ratio und Aberglauben

kreisende Studie hat einen Subtext. Dieserverrät sich gleich eingangs, als von der „Un-freiheit des abergläubigen modernen Men-schen“ die Rede ist. Aberglaube, magischesDenken, das Vertrauen auf die Sterne unddas eigene Horoskop durchzieht, so seineBeobachtung, die Menschheitsgeschichtebis in die Gegenwart. Selbst im Umkreis Lu-thers, in dem eigentlich das Vertrauen aufGott die oberste Maxime hätte sein müssen,ist die Sternengläubigkeit nicht ausgerottet.Zu allen Zeiten besteht die Gefahr einesRückfalls in die Irrationalität. Immer wiederhat dieses irrationale Denken eine Diskrimi-nierung der Juden ausgelöst: Im Mittelalterhat man ihnen den Ausbruch der Pest –„Brunnenvergiftung“ – in die Schuhe ge-schoben. Jetzt gerade macht man sie für diesich abzeichnende militärische Niederlageverantwortlich. Der dieser Auffassung zu-grunde liegenden, latenten Schicksalsgläu-bigkeit setzt Aby die historische Wiederbe-lebung des Humanismus und einenvirtuellen „Denkraum“ entgegen. Dieserentsteht aus der Einnahme einer anderen,weiter vom Objekt entfernten Perspektive.Erst aus der Distanz, so seine Überzeugung,aus Logik und dem Versuch, Phänomene inBegriffe zu fassen, entsteht die Möglichkeitobjektiver Wahrnehmung und, so darf manfolgern, vernunftgeleiteten Handelns.···································································Es wundert angesichts dieser Hoffnung aufdie Wissenschaft nicht, dass sich Aby mehrdenn je für die Etablierung einer Hambur-gischen Universität bemüht. Seit 1916 ist erim Kuratorium der Hamburgischen Wis-senschaftlichen Stiftung. Inzwischen hatsich seine Einstellung geändert – er plädiertnun für eine Hochschullandschaft aus selb-ständigen Forschungsinstituten plus Uni-versität. „Hochverehrte Magnifizenz!“, so

schreibt er am 24. Dezember 1917 an vonMelle, „Nach meiner Darstellung der Sach-lage könnte ich zur Klärung der Meinungeninbezug auf die Universitätsfrage dadurchbeitragen, dass ich einige Herren einmal anmeiner Bibliothek zeige, was ein For-schungsinstitut ist (Anlage, Aufbau, Hilfs-kräfte, Kosten) und warum gerade ich, derwohl am frühesten hier in Hamburg von derNotwendigkeit der Forschungsinstitute aufgeisteswissenschaftlichem Gebiete innerlichüberzeugt war und tatsächlich (seit 1906)geschaffen hat, doch zu der Ueberzeugunggekommen bin, dass ohne Universität einForschungsinstitut nicht als lebendiger Or-ganismus in den Gesamtkreislauf der deut-schen Kultur einmünden kann, und da-durch vor der Gefahr steht, provinzial zuverkümmern.“122

···································································Der Kriegseintritt der USA im Jahr 1917wird von der Familie, deren Mitglieder sichnun als „Feinde“ gegenüberstehen, als uner-trägliche Belastung empfunden. Bruder Fe-lix muss – als amerikanischer Staatsbürger –die Familienfirma verlassen. Der Briefkon-takt bricht völlig ab, persönliche Nachrich-ten werden von einem Zensor abgefangen.Max leidet unter der Verblendung der Ver-antwortlichen, die den bereits verlorenenKrieg bis zur Hoffnungslosigkeit fortfüh-ren. Als sich im Oktober 1918 die völlige po-litische Wende abzeichnet, die der Kriegnach sich ziehen würde, wird Prinz Max vonBaden als Reichskanzler ins Spiel gebracht.Er wiederum bittet Max um seine Mitarbeitin der Regierung. Dessen Reaktion zeugtvon Illusionslosigkeit: „In meiner Antwortsagte ich ohne Zögern, daß ich mich ihmgern zur Verfügung gestellt hätte, aber ichkenne die Deutschen und wisse, daß sie nieund nimmer einen jüdischen Finanzminis-

ter hinnehmen würden.“123 Am 9. Novem-ber verkündet Reichskanzler Max von Ba-den den Thronverzicht Wilhelm II. InHamburg übernehmen die Sozialdemokra-ten, kontrolliert von einem „Arbeiter- undSoldatenrat“, die Regierung. Senat und Bür-gerschaft sind abgesetzt. Ende 1918 tritt Maxin die liberal-konservative Deutsche Volks-partei, die Partei Gustav Stresemanns, ein.Am 10. November stirbt – für Max einfurchtbarer Schlag – Albert Ballin, vermut-lich an einer Überdosis seiner Medika-mente. Und während Max aufgefordertwird, als Vertreter des Reichsschatzamtes anden Friedensverhandlungen teilzunehmen,versinkt Aby in einer schweren Schizophre-nie. ···································································Schon länger hatten Phobien, Zwangsvor-stellungen und Wahnideen Aby und seineUmgebung auf das heftigste tyrannisiert. ImHerbst 1918 droht er, seine Familie und sichselbst mit einem Revolver zu töten. Die inder Krankenakte angegebene Begründunglässt im nachhinein aufhorchen: „Er meinte,seine Familie, seine Frau, die drei Kinderwürden von unbekannten Verfolgern ent-führt, verschleppt, gefoltert und getötetwerden.“124 Aby, der Künstlern ohne weite-res „seismographische“ Fähigkeiten attes-tierte, scheint hier selbst von schlimmenVorahnungen überfallen zu werden: WenigeJahre später wird sein Bruder Max einemMordkomplott nur knapp entkommenkönnen. Nun ist jedenfalls allen Beteiligtendeutlich, dass eine längere psychiatrischeBehandlung unumgänglich ist. Am 2. No-vember 1918 bringen ihn Max und Marynach Eimsbüttel in die Privatklinik Dr. Lie-nau. Im Aufnahmeprotokoll festgehalteneÄußerungen Abys zeigen, dass sein psy-chischer Ausnahmezustand, seine Zerrissen-

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heit vor allem dem Kriegsgeschehen ge-schuldet sind: Besonders belastet ihn derUmstand, dass sich nun seine Brüder – dieeinen in Hamburg, die anderen in den USA– als politische und geschäftliche Feinde ge-genüberstehen.125 Acht Monate verbringtAby hier, ohne dass sich sein Zustand we-sentlich bessert; am 12. Juli 1919 wird er un-geheilt entlassen. Nachdem es zuhause nichtgeht, liefert man ihn am 9. Oktober 1919 indie Psychiatrische Universitätsklinik Jenaein, die bis zu seiner Emeritierung im Jahr1919 Otto Binswanger geleitet hatte. ImApril 1921 beginnt Aby eine Behandlung inder von dessen Neffen Ludwig Binswangergeführten Prominenten-Klinik „Bellevue“im schweizerischen Kreuzlingen. „MeineKrankheit besteht darin“, so notiert er am16. Juli 1921 in einem autobiographischenFragment, „daß ich die Fähigkeit, die Dingein ihren einfachen Kausalitätsverhältnissenzu verknüpfen, verliere, was sich im Geisti-gen wie im Realen widerspiegelt, so z. B.mag ich deswegen nur einfache übersehbareGerichte essen“.126

···································································Im gleichen Jahr 1918 hatte sich Aby nocheinmal deutlich zu Wort gemeldet mit ei-nem Beitrag, der in dem Sonderheft „ZurUniversitätsfrage“ erschien, das von der „Li-terarischen Gesellschaft zu Hamburg“ he-rausgegeben wurde; ihr Schriftleiter warGustav Schiefler.127 Anlass war eine heftigeAuseinandersetzung um die Gründung derUniversität, die mit befremdender Schärfevor allem in der hamburgischen Presse aus-getragen wurde. Eine Denkschrift vom 15.Mai 1918 ist von verschiedenen Professorendes Kolonialinstituts und des AllgemeinenVorlesungswesens unterzeichnet; ihr Fazit:Da man sich in Hamburg eine Volluniver-sität gar nicht leisten könne, entstünde ein

Zerrbild, das weder als Forschungsanstaltnoch als Lehrinstitut brauchbar sei.128 War-burgs Entgegnung trägt den ungewöhnli-chen Titel „Das Problem liegt in der Mitte“und beginnt mit einer verschachtelt, aberbrillant formulierten Aussage: „Die Ent-wicklung des Universitätsgedankens inHamburg kann das erfreuliche Schauspieleiner gerade aufsteigenden Linie nicht bie-ten; neben dem ‚Kolonialinstitut‘ und der‚Wissenschaftlichen Stiftung‘, durch derenErrichtung Hamburg schon 1907 die deut-sche Bildung auf neue Bahnen brachte,wurde von manchem die hergebrachte deut-sche Universität zunächst wie ein alterndesErziehungsorgan empfunden, das, bedrücktdurch die kräfteverzehrende Lehrpflicht imakademischen Großbetrieb, in steigenderWeltfremdheit die auffrischende Berührungmit dem wirklichen Leben mehr und mehrzu verlieren verurteilt schien.“ Diese Berüh-rung von Wissenschaft und „wirklichem Le-ben“ habe man in Hamburg ja bereits überdie Gründung des Kolonialinstituts, Wis-senschaftlicher Stiftung und Vorlesungenherstellen wollen – aber im Grunde sei dieseKonstruktion so unbefriedigend, dass manneu nachdenken müsse. Goethes „Wander-jahre“ zitierend, weist er darauf hin, dassnicht „die Wahrheit“ in der Mitte liege, son-dern eben das Problem: „In der Mitte bleibtdas Problem liegen, unerforschlich viel-leicht, vielleicht auch zugänglich, wenn manes darnach (sic) anfängt!“ Ohne selbst einenaktiven Lösungsvorschlag anzubringen, gibtWarburg danach die Bahn frei für Beiträgeder Professoren Otto Franke, Wilhelm Wey-gandt, Georg Thilenius, Richard Salomonund Heinrich Winkler (vom Kieler Institutfür Seeverkehr und Weltwirtschaft), die uni-sono für die Gründung einer Universität inHamburg argumentieren. 1919 haben Aby

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und Max dann eines ihrer Lebensziele er-reicht: In der ersten demokratisch, nichtmehr nach dem alten Klassenwahlrecht ge-wählten Bürgerschaft hat die SPD die abso-lute Mehrheit. Sie beschließt in ihrer dritten

Sitzung am 28. März – nun ohne Beteili-gung der Wissenschaftlichen Stiftung – dieGründung einer „Hamburgischen Universi-tät“.129

··············································································································································114 Warburg, Aufzeichnungen, S. 46. 115 Zitiert nach: Michels, Bannkreis, S. 85.116 Vgl. Schoell-Glass, Warburg, S. 133 ff. 117 Ebd., S. 137.118 Abgedruckt: Ebd., S. 256 ff.119 Zitiert nach: Ebd., S. 136.120 Vgl. Schoell-Glass, Warburg, S. 178 ff.121 Warburg, Weissagung. 122 Aby Warburg an Werner von Melle, 24. Dezember 1917: WIA, GC.123 Warburg, Aufzeichnungen, S. 64.124 Königseder, Warburg, S. 75.125 Marazia; Stimili, Binswanger, S. 213.126 Die Krankengeschichte ausführlich dokumentiert; ebd., S. 99.127 Warburg, Problem. 128 WIA, GC.129 Bolland, Gründung, S. 85.··············································································································································

Schon 1918 hat Max’ Sohn Erich eine Aus-bildung bei der Disconto-Gesellschaft be-gonnen, wo er, kunsthistorisch vorgebildetdurch Onkel Aby und persönlich interes-siert, nebenher die Vorlesungen von AdolphGoldschmidt besucht. Auch den ersten Vor-trag Albert Einsteins über Relativitätstheorieerlebt er als Hörer – später wird er sich vorallem daran erinnern, dass dieser durch laut-starke Proteste rechtsradikaler Studenten ge-stört wurde.130 Inzwischen hat das infameWort von der „Dolchstoßlegende“ Karrieregemacht – vor allem der SPD und den Ju-den wird die Schuld gegeben am katastro-phalen Ausgang des Krieges. Auf offiziellerEbene kann und will man auf ihre Mitwir-kung nicht verzichten: Max wird, ebenso wieder ihm inzwischen als Teilhaber noch engerverbundene Carl Melchior, aufgefordert, anden Friedensverhandlungen teilzunehmen.Melchior übernimmt die Leitung der Fi-nanzdelegation, der auch Max angehört. Am31. März 1919 reist die deutsche Finanzdele-gation nach Frankreich; man quartiert sienordöstlich von Paris im Château de Villettebei Compiègne ein. Wochenlang lässt mansie unter militärischer Bewachung warten.Schließlich unterbreiten die Alliierten Vor-schläge, deren Erfüllung Melchior wie Maxunmöglich erscheint. Hellsichtig schreibt eran seine Frau: „Der Welt eine neue Zeit ver-künden, von Liebe und Gerechtigkeit spre-

chen, und dann einen Weltraubzug unter-nehmen, den Keim zu neuen Kämpfen legenund den Glauben an eine bessere Zeit töten,heißt, die größte Weltsünde begehen, die innächster Nähe zu erleben entsetzlich ist.“131

Am 25. April 1919 erlaubt man der Finanzde-legation, nach Versailles zu reisen. Alle deut-schen Delegationsmitglieder sind schockiertvon der Härte der Reparationsforderungen.Unterstützung erhalten sie von dem engli-schen Unterhändler John Maynard Keynes,der aus Protest gegen die Vertragsbedingun-gen von seinem Posten in der Delegation zu-rücktritt. Am 24. Juni reist die gesamteKommission zurück nach Weimar, wo dieFinanz- und Wirtschaftssachverständigen –unter ihnen Wilhelm Cuno, Ballins Nach-folger bei der HAPAG, und Franz HeinrichWitthoefft, Vertreter der Hamburger Han-delskammer – einstimmig empfehlen, dieFriedensbedingungen abzulehnen. Doch ihrVotum ist bedeutungslos geworden. Als Maxnach vier Monaten wieder in Hamburg ein-trifft, verteilt der „Schutz- und Trutzbund“an der Börse Flugblätter, auf denen er per-sönlich, paradoxerweise, für die Annahmedes „Schmachfriedens“ verantwortlich ge-macht wird.132

···································································Für Max folgt eine hektische Zeit voller po-litischer Aktivitäten, Reparationsverhand-lungen mit Belgien, England und Holland

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Neues Denken – was hat man aus dem Krieg gelernt?

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sowie intensiver Versuche, die galoppierendeInflation aufzuhalten; auch sie wird dem An-tisemitismus weiter Auftrieb geben. Im Juli1920 wird Melchior zu einem der Unter-händler der Konferenz von Spa ernannt, aufder die Frage der Reparationen erneut ver-handelt wird. Als dieser sich wie Rathenauund der (nichtjüdische) Bankier BernhardDernburg für die Annahme der Kohlenfor-derungen und damit gegen die drohende Be-setzung des Ruhrgebiets ausspricht, lässtHugo Stinnes das Wort „Rassenabstim-mung“ fallen. „Er sagte, es seien die jüdi-schen Experten gewesen, die zum nachgebengeraten hätten. Er veröffentlichte einenBrief, in dem es hieß: ‚eine Anzahl Vertreterin Spa haben aus einer fremdländischen Psy-che heraus den deutschen Widerstand gegenunwürdige Zumutungen gebrochen.‘“133

···································································In Hamburg fällt Max die Verantwortungfür die Kulturwissenschaftliche Bibliothekseines erkrankten Bruders zu. Vielleichtnicht nur aus persönlicher Verbundenheit,sondern auch aus Einsicht in die gerade jetztbenötigte kulturpolitische Notwendigkeitdieses Instruments beschließt die Familie ih-ren Weiterbetrieb auch bei Abwesenheit desBegründers. Schon im November 1919schreibt Max einen Brief an Fritz Saxl inWien, in dem er ihn bittet, nach Hamburgzurückzukommen. Am 1. April 1920 wirdmit der Firma M. M. Warburg & Co. undProf. Dr. Aby Warburg der Einstellungsver-trag abgeschlossen.134 Eine seiner Aufgabenist es, das Institut, so wie es sich Warburg vorAusbruch des Krieges gewünscht hatte, mitdem neu gegründeten kunsthistorischen Se-minar der Universität zu verzahnen, eineandere, Warburgs Publikationsprojekte auchin dessen Abwesenheit zu betreuen. Die Bi-bliothek ist noch immer im Wohnhaus un-

tergebracht. „Mein lieber Aby“, so schreibtMax dem Bruder am 12. Juli 1921 in die Heil-anstalt nach Kreuzlingen: „Mit grosserFreude lese ich jetzt überall anerkennendeWorte über Deine Arbeit. Ich nehme an,dass Dir diese Kritiken immer zugesandtwerden. Du hast mehr Erfolg in der Wissen-schaft als ich in der Praxis, denn mit Logik,Erfahrung und selbst gründlicher Arbeitkommen wir augenblicklich in dieser ver-rückten Welt doch nicht weiter. (…). Deintreuer Bruder Max.“135

···································································Aus seinen Zeilen spricht Resignation. Im-mer wieder bieten wechselnde Mitgliederder Regierung Max sowie Carl MelchiorBotschafter- und Ministerposten an – im-mer wieder lehnen beide ab. Max muss fürden Moment einsehen, dass alle Anstren-gungen, aller Sachverstand und aller guterWille den Hass auf die Juden nicht beseiti-gen können. Zwar gehört er (bis 1925) demZentralausschuss der Reichsbank an – aberer muss einsehen, dass man sich als deut-scher, erfolgreicher Jude eine exponierteStellung nicht leisten kann. Aus Sicherheits-gründen vermeidet er jetzt auch den Besuchder Synagoge – und die Hochzeit seinerTochter Lola mit Rudolf Hahn, einem Bru-der des Salem-Begründers Kurt Hahn, fin-det 1921 im eigenen Hause statt. Er beginnt,sich vermehrt auf internationale und ham-burgische Aktivitäten zu konzentrieren. 1921gründet er, zusammen mit Bruder Paul, inNew York die International AcceptanceBank, die den internationalen Handel überkurzfristige Kredite gegen Bankakzepte fi-nanzieren soll. Im November 1921 verleihtman Max in feierlicher, von Orgelklang be-gleiteter Zeremonie den Ehrendoktor derHamburgischen Universität.136

···································································

Während der langen Wochen des War-tens in Château de Villette hatten Max,Melchior und der Diplomat Graf Brock-dorff-Rantzau den Plan eines Instituts zurAufarbeitung der politischen Kriegsursa-chen entwickelt. Es soll – gegen die Konkur-renz von Berlin, München und Frankfurt –in Hamburg angesiedelt werden. Schon 1918empfiehlt Max von Melle die BerufungAlbrecht Mendelssohn Bartholdys. Evange-lisch getaufter Jude, Urenkel des Komponis-ten, Spezialist für Auslandsrecht mit Profes-sur an der Universität Würzburg, dem Kreisum Prinz Max von Baden und Kurt Hahnnahe stehend und mit Max schon zwanzigJahre bekannt, ist der damals schon hochbe-rühmte Gelehrte derjenige, dem Max dieihm notwendig erscheinende Kriegsursa-chenforschung zutraut. 1920 wird der Völ-kerrechtler auf einem für ihn geschaffenenLehrstuhl für ausländisches Recht berufen;seine Vergütung wird durch einen Zuschussder Wissenschaftlichen Stiftung aufge-stockt.137 1921 übernimmt er die Leitung der„Forschungsstelle für die Kriegsursachen“ be-ziehungsweise eines „Archivs für Friedens-verträge“. Mendelssohn und seine Familiesowie das Archiv sind zunächst in unmittel-barer Nähe von Max, im Haus von PaulWarburg auf dem Kösterberg untergebracht.Im November 1922 bewilligt die Hochschul-behörde das aus diesem Archiv erwachseneInstitut für Auswärtige Politik; seine Grün-dung wird am 31. Januar 1923 von der Ham-burgischen Bürgerschaft – gegen die Stim-men der Deutschnationalen – formell be-schlossen. Es soll Richtlinien entwickeln füreine dem Frieden dienende Außenpolitik.Max Warburg wird so der Initiator des ers-ten Friedensforschungsinstituts.···································································Wie klar Max und Carl Melchior die aktu-

elle politische Lage einschätzen, zeigt derFall Walther Rathenau. Dieser war 1921 zumWiederaufbauminister, im Januar 1922 zumAußenminister ernannt worden – gegen dieflehentlichen Bitten seiner betagten Mutter,die von den zahllosen Drohbriefen gegenihren Sohn weiß. Am 24. Juni 1922 wirdRathenau von Mitgliedern der rechtsextre-mistischen Terrorgruppe „OrganisationConsul“ aus einem fahrenden Auto herauserschossen. Sein Tod erschüttert die jungeWeimarer Republik zutiefst – und er hat un-mittelbare Auswirkungen auf Max. Dennwenige Tage später erhält er vom Hambur-ger Polizeipräsidenten eine dringende War-nung: Man wisse, dass auch er auf der To-des-Liste der Attentäter stehe. Er mussuntertauchen, zieht, auf Schritt und Trittbewacht, in die Wohnung seiner Schwäge-rin Dora Magnus, dann zu einer Cousine,geht für Wochen nach Holland, später fürMonate in die USA. Hier gewinnt er Bru-der Paul und einige andere – schon fürSpenden an die Wissenschaftliche Stiftungherangezogene – jüdische Mäzene dafür, sei-ner Forschungsstelle für fünf Jahre lang einefinanzielle Unterstützung zuzusagen. „DasInstitut“, schreibt er Paul am 23. Dezember1922, „kann ein Kristallisationspunkt vongroßer Bedeutung werden, und es ist nötig,wenn man die vollkommene Verwirrungsieht, in der sich viele Kreise in Deutschlandnoch befinden“.138 Es ist auffällig, dass er diegleiche Vokabel verwendet wie sein Bruderknapp zwanzig Jahre zuvor für das von ihmgeplante kulturwissenschaftliche Institut –„Krystallisationspunkt“. ···································································Max’ Ansprache zur Eröffnung des vonihm initiierten Übersee-Club in Hamburgmuss am 27. Juli 1922 im Gebäude der Pa-triotischen Gesellschaft Oberlandesgerichts-

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rat Wolfgang Fehling verlesen. Der Übersee-Club, der heute eher gesellschaftlichen Zwe-cken dient, galt seinen Begründern als poli-tische Notwendigkeit: Dies geht schon ausseinem ursprünglichen Namen „Gesell-schaft für wirtschaftlichen Wiederaufbauund Auslandskunde – Überseeklub“ hervor.Zwar kreist alles Denken der Beteiligtennoch immer um die sogenannte Kriegs-schuldfrage – man hofft auf DeutschlandsRehabilitation. Aber eine Lehre, die Maxaus dem verlorenen Krieg gezogen hatte, be-traf die Kaufmannschaft, die sich, so seineBeobachtung, viel früher und viel intensiverpolitisch hätte betätigen müssen. Denn de-ren vitales Interesse am Freihandel sei stetsauf einheitliche weltwirtschaftliche undweltpolitische Räume mit für alle gültigenrechtlichen Grundlagen gerichtet. Aus demSchluss seiner langen programmatischen Er-öffnungs-Rede lässt sich erkennen, dass erinzwischen dem international orientiertenhanseatischen Kaufmannsgeist mehr zu-traut als der deutschnationalen BerlinerDenkungsart: „Nicht der Leitsatz der Eng-länder ‚right or wrong, my country‘ – alleMittel, auch die eines Piraten heiligend, sollunser Wahlspruch sein, sondern uns soll derSpruch über dem alten Hamburger Nobis-tor leiten, der allerdings nur als Wahrzei-chen für später uns dienen kann, wennwahre Freiheit und Gleichheit für alle Völ-ker gilt: ‚Nobis bene, nemini male! (UnsGutes, niemandem Schlechtes!)‘“139 Für denersten Vortrag ist – aus Anlass der achten, imRahmen der Hamburger Übersee-Wocheabgehaltenen Tagung des Weltwirtschafts-kongresses – John Maynard Keynes eingela-den; er spricht am 26. August 1922, unterrauschendem Beifall, über „The ReparationPolice of Germany“.···································································

Der Name Max Warburg wird öffentlichnicht mehr genannt: Alle Aktivitäten, mitdenen er in Verbindung gebracht wird, ge-ben der antisemitischen Hetze neue Nah-rung. Auch das Institut für Auswärtige Po-litik bleibt nicht verschont: „Dass es von na-tionalistischer Seite scharfen Angriffenausgesetzt war, die sich persönlich gegen je-den richteten, der an seinem Werden betei-ligt gewesen war, konnte nicht überra-schen“, wird sich Max Warburg erinnern.140

Wie sein Bruder Aby setzt auch Max in die-ser Situation auf die wissenschaftliche Ana-lyse, auf das „Erkennen von Gesetzmäßig-keiten“ als strategische Langzeitmaßnahmezum Erreichen seiner politischen Ziele. Dievon beiden ins Leben gerufenen Instituteentwickeln sich in symptomatischer Paralle-lität. Um die Standpunkte der Nachbarlän-der beobachten zu können, legt Mendels-sohn Bartholdy – wie schon Aby Warburgzum Verlauf des Ersten Weltkrieges – eineumfangreiche Zeitungsausschnittsammlungan. Beide Institute treten mit Publikationenund Vortragsveranstaltungen an die Öffent-lichkeit: Die von Fritz Saxl in Absprache mitAby und Max geführte K.B.W. gibt zwei ge-wichtige Schriftenreihen heraus: die „Stu-dien“ und die „Vorträge der Bibliothek War-burg“ (ab 1921/22). Wie die Kulturwissen-schaftliche Bibliothek lädt das Institut fürAuswärtige Politik regelmäßig zu Vorträgenein, und auch diese werden in Gestalt vonPublikationen dokumentiert. Außerdemerscheinen ab 1922 die „Europäischen Ge-spräche – Hamburger Monatshefte für Aus-wärtige Politik“. Ab 1924 ist das Institut fürAuswärtige Politik, das inzwischen auchüber eine umfangreiche Bibliothek verfügt,im Turm von Hamburgs „Alter Post“ nahedem Hamburger Rathaus untergebracht.Sechs fest angestellte Mitarbeiter unterhal-

ten den Betrieb; Mendelssohn Bartholdyselbst wird zu einer der Leuchtturm-Figurender jungen Universität.···································································Sowohl Aby als auch Max dürfen sich nunals Gründer eines wissenschaftlichen Insti-tutes betrachten, das unabhängig arbeitenkann, aber doch eng mit der jungen Ham-burger Universität verzahnt ist. Die akade-mische Kunstgeschichte beginnt inoffiziell,indem die Direktoren der großen Museen,so etwa Gustav Pauli von der Kunsthalle, ab1919 Lehrveranstaltungen anbieten. Dochschließlich beantragt der studentische Fa-kultätsausschuss die Anstellung einer kunst-historischen Lehrkraft. Pauli schlägt denfrisch promovierten Erwin Panofsky ausBerlin vor, dessen Dissertation er außeror-dentlich schätzt. Dieser ist zwar gewillt,doch die Stadt hat eigentlich kein Geld. Pa-nofsky solle, so Paulis Idee, erst einmal mitVorlesungen beginnen, dafür könne manihm anbieten, ihn in Hamburg zu habilitie-ren, sodass er später den noch einzurichten-den kunsthistorischen Lehrstuhl überneh-men könne. So geschieht es – Pauli stelltRäume in der Kunsthalle zur Verfügung,und im Juli 1920 ist Panofsky Privatdozent:ohne Einkommen, aber mit Lehrverpflich-tung.141 Dass die Zugehörigkeit zum Juden-tum in diesem Moment keine Rolle spielt,verdankt sich zum großen Teil dem Um-stand, dass die Hamburger Universität vonTraditionen und Rücksichten unbelastetagieren kann. Im Oktober 1921 wird er defacto Lehrstuhlinhaber, aber noch immerohne Gehalt; erst 1926 wird man ihn offiziellzum Ordinarius ernennen. 1922 habilitiertsich auch Fritz Saxl, Aby verleiht man in ab-

sentia den Titel Honorarprofessor. Saxl undPanofsky beginnen eine fruchtbare, lang-jährige Zusammenarbeit, und die K.B.W.versteht sich, was Öffnungszeiten und Bü-cherbestände sowie -ankäufe betrifft, alsKomplementärinstitution zum Kunsthisto-rischen Seminar. Wesentlichen Anteil an ih-rer Fortexistenz haben die „amerikanischen“Brüder Paul und Felix, die der K.B.W. einDollarkonto einrichten.142

···································································Während Aby in Kreuzlingen weiter umseine geistige Gesundheit ringt, verhaftet dieMünchner Polizei im November 1922 denInitiator der Attentatspläne gegen Max,Hermann Ehrhardt. Max kehrt sofort nachHamburg zurück. In seiner wieder aufge-nommenen Korrespondenz mit Hugo Stin-nes formuliert er seinen neu gewonnenenStandpunkt: Die „Judenfrage“ sei eineFrage, die überall dort aufkomme, wo Mi-noritäten lebten. „Ich glaube nur an die Zu-kunft eines Staates, der alle seine Mitbürgerzur Arbeit und Liebe heranzieht, die in derSchicksalsgemeinschaft Jahrzehnte undJahrhunderte ihre Zugehörigkeit zum Staatebekundet haben. Wer will mir mein Vater-land, mein Zugehörigkeitsgefühl nehmen,wenn ich nachweisen kann, daß meineFamilie sowohl väterlicher- wie mütterli-cherseits seit über vierhundert Jahren inDeutschland ist, und daß meine Vorfahrendie Vergangenheit Deutschlands miterlebtund (an ihr) in verschiedener Weise, wie je-der Deutsche, zu ihrem bescheidenen Anteilmitgearbeitet haben? Diese Schicksals- undKulturgemeinschaft ist die Grundlage fürden Staat.“143

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··············································································································································130 Warburg, Zeiten, S. 61 f.131 Warburg, Aufzeichnungen, S. 79.132 Ebd., S. 86 f.133 Warburg, Aufzeichnungen, S. 90 f. 134 Schäfer, Bibliothek, S. 182 f. 135 Max an Aby Warburg, 12. Juli 1921: WIA, GC.136 Max an Aby Warburg, 22. November 1921: Ebd. 137 Nicolaysen, Mendelssohn, S. 1.138 Weber, Rechtswissenschaft, Anm. 72.139 Übersee-Club, Der Übersee-Club, S. 27.140 Warburg, Aufzeichnungen, S. 125.141 Bredekamp, Ex nihilo, S. 31–47; inzwischen ist das Manuskript der Habilitationsschrift im Zentral-

institut für Kunstgeschichte in München aufgefunden worden, vgl. Panofsky, Erwin Panofsky.142 Vgl. Warnke, Privatbankier, S. 14 ff.143 Zitiert nach: Hoffmann, Warburg, S. 112.··············································································································································

Schließlich tritt ein, was Max befürch-tet hatte: Deutschland kann die Reparati-onsforderungen nicht bedienen, und dieFranzosen besetzen am 9. Januar 1923 dasRuhrgebiet. Es gilt jetzt als Pfand. Unge-decktes Geld aus der deutschen Notenpressefinanziert den passiven Widerstand, zu demdie Reichsregierung aufgerufen hat. Der da-raus erwachsene Geldverfall ist ungeheuer.Sparguthaben werden wertlos, Familien ver-armen von heute auf morgen, in der Bankhört die normale Geschäftstätigkeit auf. Im-merhin – durch die International Accep-tance Bank kann die Hapag gestützt wer-den. Gemeinsam mit drei anderen Privat-banken gelingt es auch, die Stadt Hamburgso weit zu stützen, dass Löhne und Gehäl-ter gezahlt werden können. Gemeinsam miteinem Konsortium von Hamburger Unter-nehmen gründet Max die „HamburgischeBank von 1923“, die das erste wertbeständigeGeld nach der Inflation herausbringt.144 DieK.B.W. in der Heilwigstraße wird aus Mit-teln der amerikanischen Brüder finanziert.Viele Gelehrte nehmen die Einladung zuVorträgen auch deshalb gerne an, weil hiernoch anständige Honorare gezahlt werdenkönnen. Es ist der Nationalliberale GustavStresemann, der die Krise bewältigt. Im Au-gust 1923 wird er – zwar nur für drei Monate– Reichskanzler, und die von ihm durchge-setzte Währungsreform stabilisiert die Lage

schnell. Bis zu seinem Tod 1929 wird er Au-ßenminister bleiben – und wir werden nochsehen, welche Hoffnungen sowohl Max alsauch Aby auf ihn setzen. ···································································Aby kann – niemand, auch nicht der An-staltsleiter Binswanger hatte damit gerech-net – am 12. August 1924 aus der Heilanstaltin Kreuzlingen entlassen werden. Vorausge-gangen waren immer wieder wochenlangeBesuche von Fritz Saxl, der mit Aby arbei-tete, und am 21. April 1923 jener inzwischenlegendär gewordene Vortrag über seine fastzwanzig Jahre zurückliegende Reise zu denHopi-Indianern, der heute unter dem Titel„Das Schlangenritual“ bekannt ist. Aby er-lebt, ebenso wie die staunenden Ärzte unddie gleichermaßen überraschte, brieflich in-formierte Familie, den Vortrag als eineSelbstbefreiung, die ihm, so wird er jedochnicht müde zu betonen, nur mit Hilfe derAnwesenheit Fritz Saxls habe gelingen kön-nen. Auch der Besuch des inzwischen an derHamburger Universität lehrenden Philo-sophen Ernst Cassirer im Frühjahr 1924wird als ein weiterer Wendepunkt erlebt.Seitdem besteht, so schreibt Aby in einemBrief an die Leiter der Kuranstalt Bellevue,„Hoffnung, daß ich noch eine wirklich trag-fähige neue Methode der kulturpsycho-logischen Geschichtsauffassung skizzierenkönnte“.145

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Überzeugte Europäer

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···································································Max dagegen sieht sich gezwungen, seinenAktionsradius, zumindest nach außen hin,zu verkleinern. „Melchior und ich hieltenuns so viel wie möglich von politischer undehrenamtlicher Tätigkeit zurück. Der Anti-semitismus, der immer größere Dimensio-nen angenommen hatte, gebot Zurückhal-tung. Was immer wir vertreten hätten, wirwürden immer angeschuldigt worden sein,nur im international-jüdischen Interessegehandelt zu haben. Ich war froh, im Stil-len wirken oder auch nur beraten zu kön-nen.“146 Es ist gut nachzuvollziehen, dass er – auch weltanschaulich – nach Neuorien-tierung sucht. Als überzeugende Alternativezum Nationalismus und zum faktischenAusschluss von Minderheiten aus der Gesellschaft erscheint ihm in den frühenzwanziger Jahren die Vorstellung eines ge-meinschaftlich agierenden Europas voneinzigartiger Überzeugungskraft. Sie wirdpropagiert von dem damals noch nicht drei-ßigjährigen Grafen Coudenhove-Kalergi.Richard Coudenhove-Kalergi, Sohn einesaus brabantisch-byzantinischem Uradelstammenden Vaters und einer japanischenMutter, als Österreicher in Böhmen lebendund international gut vernetzt, bringt idealeVoraussetzungen mit für die Entwicklungeiner Vision, die er „Paneuropäische Union“oder „Vereinigte Staaten von Europa“ nennt.Nur über einen supranationalen, humanis-tisch orientierten, wirtschaftlichen und po-litischen Zweckverband, so seine Überzeu-gung, lässt sich ein erneuter Weltkrieg ver-hindern. In diesem vereinigten Europawerden Fragen der Rassenzugehörigkeitkeine Rolle mehr spielen.147 Coudenhove-Kalergi wird, aus heutiger Sicht, der Vorden-ker der europäischen Idee. Max – der homopoliticus – stellt Verbindungen für Couden-

hove her, empfiehlt ihn an AußenministerStresemann, spendet regelmäßig Geld fürdessen Paneuropa-Organisation und plantmit ihm die Herausgabe einer Zeitschrift.148

Coudenhove-Kalergi hat nach dem ZweitenWeltkrieg den Erfolg seiner Idee noch erle-ben dürfen: 1950 erhielt er als Erster den In-ternationalen Karlspreis der Stadt Aachen.Die heutige Flagge der Europäischen Unionund ihre Hymne, Beethovens Ode an dieFreude, gehen auf seine Vorschläge zurück. ···································································Bei seiner Rückkehr darf und muss Aby inHamburg erkennen, dass sich die von ihmgegründete Einrichtung auch ohne seineAnwesenheit bestens entwickelt hat. SeineEingliederung in den laufenden Betrieb,dem inzwischen auch die Philosophin Ger-trud Bing angehört, wird, wie er selbst eseinmal formuliert hat, „dornig“.149 Dazukommen die Probleme, die etwa 20.000 Bü-cher und das sie verwaltende Personal sowieBesucher inzwischen in einem Familien-wohnhaus hervorrufen. Die Lösung liegtnahe – und Aby hatte sie ja schon vor vielenJahren angesprochen: ein Bibliotheksneu-bau auf dem Nachbargrundstück. Max sorgtdafür, daß sich alle vier Brüder an dessen Fi-nanzierung beteiligen. Im Mai 1926 kanndie Eröffnung gefeiert werden. Entstandenist ein Klinkerbau, dessen rhythmisierte Fas-sade ferne Erinnerungen an Fritz HögersChilehaus in sich trägt. Aby, der es als Sym-bolforscher gewohnt ist, hinter die Oberflä-chen der Dinge zu schauen, vermittelt mitder Gestalt seines Bibliotheksgebäudes nunselbst eine Botschaft. Kunstvoll gesetzteBacksteine statt Putz – das erinnert in Ham-burg jeden an die offiziellen Bauten vonFritz Schumacher, an die Finanzdeputationoder das Schwesternhaus des UKE. Mitdem von ihm gewählten, kostspieligen Ma-

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Das Gebäude der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek – Fassade

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terial bekennt sich Aby – der übrigens gutund gerne Plattdeutsch beziehungsweisemissingsch spricht und mit Schumacher be-freundet ist – einerseits zum bodenständi-gen Hanseatentum. Die eine klassischeTempelfront andeutende Fassade jedochkommuniziert andererseits das Programmder K.B.W. nach außen: Es geht um das„Nachleben der Antike“. ···································································Von außen eher hanseatisch-sachlich, über-rascht das Bibliotheksgebäude im innerenmit einem spannungsvollen, ellipsoidenLesesaal, der in mehrfacher Hinsicht sym-bolische Bedeutung besitzt. Die Ellipse mitihren beiden Polen verkörpert Abys Vorstel-lung vom „ewigen Pendelschlag“ der Ge-schichte. Dem Besucher vermittelt sie dasGefühl, sich in einer „Arena des Geistes“ zu

befinden. Und schließlich erinnert sie an je-nen bedeutungsvollen Moment in der Ge-schichte der Wissenschaft, in dem Keplergegen die vorherrschenden Denknormenerkannt hat, dass sich Planeten nicht aufkreisrunden, sondern auf ellipsoiden Bah-nen bewegen. Mit dem selbständigen Den-ken, dem individuellen Erkenntnisvermö-gen des Menschen beginnt für Aby dieBefreiung aus der Irrationalität – und aus je-nen geistigen Fesseln, die das Judentum zumewigen Sündenbock der europäischen Ge-schichte machen. ···································································Zwar hat Mary im Dachgeschoss ein Bild-hauer-Atelier erhalten. Aber Aby, seit sei-nem frühen Verzicht auf das Erbe unter ge-wissem Legitimationszwang, sieht seineInstitution wie eine Parallele zur Bank.

Der Lesesaal

Während über deren Eingang die Buchsta-ben „M.M.W. & Co.“ stehen, wird die Fas-sade der Bibliothek mit den – allerdings inBackstein ausgeführten – Lettern „K.B.W.“versehen. Max hatte kurz vorher das Ge-bäude in der Ferdinandstraße technisch mitRohr- und Seilpostanlage sowie einem haus-eigenen Telefonnetz aufrüsten lassen: Auchdie K.B.W. erhält – etwas überdimensio-niert für das relativ bescheidene Gebäude –eine Rohrpostanlage, ein Netz aus 22 Tele-fonen, dazu zwei Bücheraufzüge sowie einunter dem Fußboden verlaufendes Bücher-förderband. Einen Tresor braucht sie natür-lich auch – Max lässt aus der Bank einengroßen Safe anliefern, in dem die wertvolls-ten Bücher und Leihgaben feuer- unddiebstahlsicher untergebracht werden kön-nen. Die Botschaft ist angekommen: Maxvergleicht, loyal wie stets, in seinerEröffnungsansprache die Bibliothek mit ei-ner „Zweigstelle des Bankhauses M. M.Warburg, die sich kosmischen statt irdi-schen Aufgaben“ widme. ···································································Mit der Aufnahme der Arbeit im neuen Bi-bliotheksgebäude beginnt Aby das bereitserwähnte Tagebuch, in das auch die beidenMitarbeiter Saxl und Bing regelmäßig ein-tragen müssen. Gewisse Namen, gewisseVerweise in eben jenem Journal verraten,wie eng der gemeinschaftliche Einsatz füreine Welt, in der Juden gleichberechtigteBürger sein können, Max und Aby noch im-mer verbindet. So erscheint im Oktober1926 der Name Coudenhove-Kalergis imTagebuch der K.B.W.: „PaneuropäischerCongress (Coudenhoves Idealismus trium-phiert!).“150 Unter dem 10. November tauchtCoudenhoves Projekt erneut auf: „Gerücht,daß die Firma Paneuropa finanziert; schriebDr. Harriet Wegener: nächstens meint Frau

Monster, daß die Firma die Sonnenfleckenfinanziert, damit die Orangen in Palaestinawachsen.“151 Mit der „Firma“ ist M. M.Warburg & Co. gemeint, die immer wiederin die antisemitische Schusslinie geraten;Dr. Harriet Wegener ist eine Mitarbeiterinam Institut Mendelssohn Bartholdys, derauch selbst gelegentlich in der Bibliothek zuGast ist. ···································································Auch in der Hamburgischen Wissen-schaftlichen Stiftung sind beide Brüder wie-der aktiv. Die Stiftung unterstützt For-schungsreisen und vergibt – trotz Inflation– Druckkostenzuschüsse sowie Mittel zurAnschaffung von Fachliteratur; gelegentlichwerden überbrückungsweise auch Witwen-renten aufgestockt. Zahlreiche Anträgekommen aus dem Wissenschaftler- und Stu-dentenkreis um die K.B.W. – die Max

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Mary als Bildhauerin

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Bücheraufzug, Rohrpostanlage, Telefonautomat und Tresor

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durchaus nicht immer befürwortet. Im Ver-lauf der dreißiger Jahre wird ihre Bedeutungimmer größer werden, vor allem für jüdi-sche Professoren und Studenten, die aufeine andere, staatliche Unterstützung nichtmehr hoffen dürfen. ···································································Im September 1926 müssen sich Aby undMax, auch das wird im Tagebuch festgehal-ten, erneut mit einer direkten antisemiti-schen Anfeindung befassen. „Erfahre durchMax M. daß Fritsch einen Privatbrief vonmir an Hans Hertz vom November 1917 imHammer März 1926 abgedruckt und der II-Instanz vorgelegt hat um meine ‚Mentalität‘zu illustrieren. Der Brief muß im Zusam-menhang verstanden sein. Er ist dem ver-storbenen Hans Hertz meines Erachtensnach seinem Tode entwendet worden.“ Esgeht um einen 1923 im völkischen Organ„Der Hammer“ veröffentlichten, massiv ge-gen Max gerichteten Artikel, in dem dieserals „Der heimliche Kaiser“ und an Deutsch-lands Niederlage Hauptschuldiger darge-stellt wird.152 Max und Melchior reichteneine Beleidigungsklage ein, der das Gericht1924 entsprach; es verurteilte den Autor desArtikels, Theodor Fritsch, zu drei MonatenGefängnis und der Auflage, das Urteil in sie-ben Zeitungen abzudrucken. MehrfacheRevisionsanträge aber zogen das Verfahrenweiterhin in die Länge; 1927 endete es miteinem deutlich abgeschwächten Urteil, dasletztendlich auf die Zahlung einer Geldbußevon 1.000,– Reichsmark hinauslief. Bei derUrteilsbegründung wird der oben bereits er-wähnte, 1917 an Hans Hertz gerichtete BriefAbys zwar zu einem den Bruder entlasten-den Beweisstück – aber allein der Umstand,dass dieser aus dem Nachlass des verstorbe-nen Hertz entwendet und dem „Hammer“zugespielt worden war, beleuchtet die ex-

trem angespannte Situation, in der sichdeutsche Juden im allgemeinen und War-burgs im besonderen in den zwanziger Jah-ren bereits befinden.···································································Am 16. April 1925 hält Außenminister Gus-tav Stresemann im Übersee-Club einen Vor-trag. Sein Thema lautet „Politik und Wirt-schaft in ihren Weltbeziehungen“.153 Es istfür ihn und seine Politik charakteristisch,dass er sich nicht scheut, inmitten von all-gemeineren Ausführungen zu wirtschaftli-chen Themen die „jüdische Frage“ anzu-sprechen. „Ich habe die Empfindung, alswenn wir in den Zeiten des Glücks über dengrandiosen wirtschaftlichen Aufstieg etwasvon dem verloren hätten, was früher dasVolk näher zusammenführte, den Gedan-kenzusammenhang mit den großen Strö-mungen der Literatur, der Kunst, der Phi-losophie. Eine Frage, die oft in dieser Ge-genwart leidenschaftlich erörtert wird, dieFrage, woher das Übergewicht des jüdischenElements in vieler Beziehung käme, ist,glaube ich, am treffendsten nach der Rich-tung zu klären, daß gerade unsere jüdischenMitbürger am ehesten in diesen Dingendrinstehen und darin aufgehen und dadurcheine Überlegenheit haben, die jeder hat, dergeistig etwas bedeutet, über einen, der ihmauf diesem Gebiet nicht zu folgen vermag.Lassen Sie im Wirtschaftlichen das Seelischenicht erstarren.“154 Mag die Erklärung auchetwas schwammig bleiben: dass ein Nicht-jude und hochrangiger Politiker den wirt-schaftlichen Erfolg von Juden nicht als Er-gebnis einer „Verschwörung“, sondern einergeistigen Überlegenheit betrachtet und eswagt, diese Meinung auch öffentlich zu ver-treten, muss auch und gerade Max Warburgeine Genugtuung und Beruhigung gewesensein.

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···································································Kurz danach kann Stresemann seine Poli-tik des Ausgleichs und der Verständigung indie Realität umsetzen. Gemeinsam mit demenglischen und dem französischen Außen-minister, Joseph Austen Chamberlain undAristide Briand, gelingt ihm mit den „Ver-trägen von Locarno“ der erste Schritt zurÜberwindung der durch den Weltkriegnoch weiter aufgerissenen Gräben. Fortanwerde es, so Chamberlain, „weder Siegernoch Besiegte“ geben. Stresemann hob an-lässlich der Unterzeichnung der Verträge am1. Dezember 1925 in London hervor, dass esgerechtfertigt sei, von einer „europäischenIdee“ zu sprechen: Er, der Republikaner ausVernunft, hatte die Kraft gefunden, die Zu-kunft der Weimarer Republik als eine euro-päische zu gestalten. 1926 wurde Stresemannund Briand für diese überragende Verhand-lungsleistung der Friedensnobelpreis verlie-hen. Aby und Max müssen sich in diesemAugenblick bestärkt fühlen in ihrem Glau-ben an die Möglichkeit, dass der aktuelleAntisemitismus letztendlich zu überwindensei. Einen wichtigen Hinweis darauf lieferterneut das Tagebuch der K.B.W., in dem fürdas Jahr 1926 ein ungewöhnlicher Vorgangdokumentiert ist: Aby Warburg entwirfteine Briefmarke. ···································································Was hat die Kunst mit dem Leben zu tun?„Die Luftpostmarke setzt die energetischeVerkehrsdynamik an Stelle der staatspoliti-schen Willensübertragung“.155 Schon seitlängerem hatte Aby die Briefmarke als einBildmedium im Blick, das knapp, unmittel-bar und subkutan kulturpolitische Inhaltevermittelte. Aus heutiger Sicht ungewöhn-lich, verdankte sich sein Interesse einer da-mals breiten öffentlichen Diskussion: DieWeimarer Republik sah sich vor die Aufgabe

gestellt, sämtliche staatlichen Hoheitszei-chen – Münzen, Flaggen, Embleme, Post-wertzeichen – neu definieren zu müssen.Dazu installierte sie die Position eines„Reichskunstwartes“. In dem dynamischenKunsthistoriker Edwin Redslob fand sicheine adäquate Besetzung.156 Aby, der imLauf seiner Forschungen immer wieder aufdas Ausdruckspotential historischer wie ak-tueller Staatsallegorien gestoßen war, ludRedslob zu einem Vortrag in die K.B.W. einund garnierte diesen selbst mit ausführli-chen Ergänzungen. Das politische Signalder Nobelpreisverleihung setzte 1926 neueEnergien in ihm frei, die ihn aus dem Sta-tus des Beobachters in den des Gestaltersversetzten. Er skizzierte selbst eine neueLuftpostmarke. Ihre Umsetzung vertrauteer dem jungen Grafiker Otto HeinrichStrohmeyer an. Als Motiv wählte er stilisier-tes Flugzeug, das sich aus einem Hangar indie Lüfte erhebt. Auf den Unterseiten seinerTragflächen sind die Worte: „Idea vincit“ zulesen. Am unteren Rand sind die Namen„Briand Chamberlain Stresemann“ zu lesen.Idea vincit – die Idee siegt: Das grenzüber-windende Medium der Briefmarke solltezum kulturpolitischen Botschafter einerneuen, europäischen, durch die Verträgevon Locarno begründeten Friedensordnungwerden. Sie ist es, der Aby hier ein dynami-sches, aktives Denkmal setzt.157

···································································Am 20. Dezember 1926 ist Stresemann tat-sächlich in der K.B.W. – sein Enthusiasmuslässt allerdings zu wünschen übrig: „Freuemich doch den Mann ‚an die Trambahnrangebracht‘ zu haben“, so notiert Aby imTagebuch. „Hinter Stresemann’s plumpenStil muß doch viel geistige Civil-Couragestecken. Ich wollte ihm zeigen, daß manseine Entwicklungskurven als Aufstieg auf-

faßt. Mein Bruder Max ermahnt mich, kei-nen schlechten Nachgeschmack zu kultivi-ren (sic). Stresemann sei sehr beeindrucktgewesen von der Art wie ich mit der Biblio-thek verknüpft sei, nur sei er krank und inFolge der Krisen nicht aufnahmefähig.“158

Die Wirkung des Blattes auf Stresemannblieb nicht aus: „Rat Merck sagte telepho-nisch, daß das Blatt Stresemann sehr gefal-len habe. Mein Bruder Max stärkte michauch im Glauben. Nachmittags spät tele-phonierte Max an, daß Petersen mich ante-lephonieren werde um die Form zu finden,das Blatt an Briand und Chamberlain gelan-gen zu lassen. Die K.B.W. solle dabei mög-lichst zurücktreten. Ganz meine Meinung.(…) Petersen telephoniert daß Stresemannselbst die Idee ausgesprochen habe, daß die

K.B.W. Briand und Chamberlain ein Exem-plar schicke, was sie aber, weil sie zu beschei-den sei, wohl nicht wolle. Sehr richtig; ichschlage vor, von der Regierung aus die Blät-ter an Stresemann zur Weitergabe zuzuschi-cken.“159 Das „Linoblatt“ Otto HeinrichStrohmeyers wird in 46 Exemplaren herge-stellt und Briand und Chamberlain mitHilfe des Auswärtigen Amtes überreicht.Gleichzeitig verschickt man es, wie im Ta-gebuch penibel dokumentiert und aus derKorrespondenz ersichtlich, an Korrespon-denzpartner in aller Welt.160

···································································Es gibt viele Anzeichen dafür, dass sich Maxnicht nur mit der Briefmarken-Idee, son-dern insgesamt mit dem hochanspruchsvol-len, für Außenstehende nicht leicht ver-

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Idea vincit

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Die fünf Warburg-Brüder in der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek (A

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k (August 1928), von links nach rechts: Paul, Felix, Max, Fritz und Aby

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ständlichen Projekt seines älteren Brudersidentifiziert: Als Aby ihm beispielsweise, im-mer in der Absicht zu zeigen, dass sich dieInvestition in die Bibliothek gelohnt hat,durch Bing einen Bericht über den Besuchdes Niedersächsischen Bibliotheksvereinsam 10. April 1927 zukommen lässt, antwor-tet er: „Sehr verehrtes Fräulein Bing, Ihreausführlichen Zeilen (…) hat (sic) michaußerordentlich interessiert und mir vonneuem den Beweis dafür gegeben, daß meinBruder und wir auf dem richtigen Wegesind.“161 „Mein Bruder und wir auf demrichtigen Weg“162 – das bedeutet: Anerken-nung durch Leistung, hier durch wissen-schaftliche Leistung, allmähliche Assimila-tion nicht in New York, sondern hier, vorder eigenen Tür, in der Region, in Nieder-sachsen. Aby lässt, hocherfreut über dieseAnerkennung, die Antwort seines Brudersals Abschrift in das Bibliothekstagebuch ein-tragen.···································································3. Januar 1928 – noch immer geht es zwi-schen den Brüdern um Hochschulpolitik:Der in enger Arbeitsgemeinschaft mit denK.B.W. lebende Philosoph Ernst Cassirererhält einen Ruf nach Frankfurt. „In Köster-berg“, notiert Aby ins Tagebuch. „Mit Maxin bester Form über Schwieriges gespro-chen. Cassirers Rektorat. Max absolut dage-gen, weil er Cassirer den brutalen Ansprü-chen des Amtes nicht für gewachsen hältund weil er fürchtet, daß trübe Erfahrungenim Amt Cassirer geradezu zum VerlassenHamburgs zwingen könnten.“163 Dass hin-ter diesen Bedenken eigene Erfahrungenund die Angst vor starken antisemitischenReaktionen stehen, zeigt Abys Bemerkung,dass Max gegen das Rektorat von CassirerBedenken habe, um ihn zu schützen. Außer-dem suche Frau Cassirer (in Frankfurt)

„Ghetto-Wärme“. Am 23. Juni erscheint ausder Feder von Aby ein flammender Aufrufim Hamburger Fremdenblatt „Warum Ham-burg den Philosophen Ernst Cassirer nichtverlieren darf.“164 Er zeigt Wirkung: Im Juli1929 wird Cassirer zu einem der ersten jüdi-schen Rektoren einer deutschen Universitätgewählt. ···································································Was auch festgehalten wird, sind dieSchwierigkeiten mit der Familie. Vor allemPaul steht dem inzwischen ein Vermögenverschlingenden K.B.W.-Projekt kritisch ge-genüber und muss immer wieder von derUnumgänglichkeit der hohen Ausgabenüberzeugt werden. Dieser Etat wird jährlichmit den Brüdern neu verhandelt. „Max M.ermahnte mich in Karlsbad zur energischs-ten Einsparung im Einzelnen, die er mitErfolg bei MMW durchführt.“165 Dazukommt Abys extreme, fordernde Persönlich-keit, deren Intensität nur schwer auszuhal-ten ist. Er fühlt sich abgelehnt, ausgeladen.Aber „bei der märchenhaft sympathischen60. Geburtstagsfeier meines Bruders Max[am 5. Juni 1927, KM] sprach ich doch beiTisch: ich bedankte mich bei meinen Brü-dern (und besonders bei Max) daß sie demgeistigen Abentheuer einen so großen Cre-dit eingeräumt hätten, wobei ich nicht hin-zuzufügen vergaß, daß es aber ein sehr ver-nünftiges (solides) Abentheuer sei, auf dassie sich eingelassen.“166

···································································Im April 1928 lädt Max Vertreter der Han-delskammer in die K.B.W. und bittet seinenBruder, für diese einen Vortrag auszuarbei-ten. Er gilt dem „Festwesen der Renais-sance“ und damit einer für die handfestenKaufleute auf den ersten Blick exotischenThematik. Aber Aby versucht, sein Publi-kum dort abzuholen, wo es steht: Er spricht

über das Wechselverhältnis zwischen Öko-nomie und Kultur, er streicht die Bedeutungder wirtschaftlichen Transferwege heraus, erberichtet über die Überwindung der kosmi-schen Dämonenfurcht durch abstrakte Ge-setzmäßigkeit sowie den „clash of cultures“,den die Begegnung von nordeuropäischemRealismus und antikem Ideal zur Zeit derRenaissance mit sich brachte; aus ihr entwi-ckelte sich, so seine Beobachtung, eine tief-greifende Humanisierung und Intellektuali-sierung: da schimmert seine auch für dieJetztzeit, auch für Hamburg geltende Hoff-nung durch.167 Vom September 1928 biszum Juni 1929 unternimmt Aby mit seinerAssistentin Gertrud Bing eine Studienreisenach Italien – beunruhigt, aber auch mitwissenschaftlichem Interesse an dessen aus-gefeilter Symbol-Politik registrieren sie denAufstieg von Mussolini.168

···································································Kurz vor seinem Tod am 3. Oktober 1929hält Stresemann vor dem Völkerbund eineRede, die Berühmtheit erlangten sollte. Diein ihr gestellte Frage „Wo bleibt die europäi-sche Münze, die europäische Briefmarke?“,

trifft sich exakt mit den Hoffnungen Abysund Max’ auf eine bessere Zukunft in einemgeeinten Europa – und lässt die Briefmar-ken-Idee wieder anklingen. ···································································Am 26. Oktober 1929 stirbt Aby, nachdemauch seine physische Konstitution schonlänger angegriffen gewesen war, an einemHerzinfarkt. „Er hatte die Gabe“, so erinnertsich Max an seinen älteren Bruder, „kritischeZeiten direkt körperlich zu empfinden; sahunglaublich klar die Gefahr. In der Chole-razeit gab er genaue Angaben. ‚Ich habe ei-nen prophetischen Bauch‘ (Bolschewismus,Antisemitismus). (…) Er hatte Interesseund Verständnis für das Geschäft; sagte unsBescheid über die Kundschaft, warnte sehr,sich für die Öffentlichkeit zur Verfügung zustellen. War sehr gegen die Rolle, die wir inspäteren Jahren gespielt haben, ‚wir gäbeneine zu große Angriffsfläche.‘ Er hatte einedirekte Börsennase. (…) Er erkannte schonwährend des Krieges den wachsenden Anti-semitismus.“169 Die Bibliothek wird vonden Brüdern weiterfinanziert. Sie soll, sobestimmt es Max, „ein Treffpunkt bleibenvon Mensch und Buch. Sie soll keine An-sammlung von toten Büchern sein. In dennächsten 5 Jahren wird alles so weiterge-führt, wie mein Bruder es wohl gewünschthätte und gewünscht hat.“170

···································································Durch seine engen familiären Verbindun-gen zu amerikanischen Großbanken wieKuhn, Loeb & Co. und zur Bank of Man-hattan, in der Bruder Paul Vorstandsvorsit-zender war, kann sich Max auf die dringendnotwendige Beschaffung von Auslandskre-diten für deutsche Unternehmen, Länderund Gemeinden, auch für die HansestadtHamburg, spezialisieren.171 Als er dieserkurzfristig einen hohen Schuldenbetrag

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Aby und Gertrud Bing auf der Italienreise 1929

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stundet, gerät auch er an den Rand der Zah-lungsunfähigkeit – aus der ihn die BrüderPaul und Fritz mit einem erheblichen finan-ziellen Engagement retten. Da die Ham-burger Wirtschaft inzwischen Auslandskre-dite mehr denn je benötigt, behält Max dasOhr der neuen Machthaber und auch (bis

Oktober 1933) seinen Platz im Generalratder Reichsbank. Reichsbankpräsident undReichswirtschaftsminister Hjalmar Schachtschätzt die Kompetenz des Bankhauses War-burg, das sich inzwischen als Spezialist fürAuswanderungsfragen und Devisenrecht ei-nen Namen gemacht hat, hoch.

Danksagung

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··············································································································································144 Ebd., S. 112 ff. 145 Marazia; Stimili, Binswanger, S. 99.146 Warburg, Aufzeichnungen, S. 125.147 Coudenhove-Kalergi wird in den dreißiger Jahren immer wieder entschieden gegen den grassierenden

Judenhass Stellung beziehen und die von seinem Vater verfasste Studie „Über das Wesen des Antisemitis-mus“ neu verlegen.

148 Vgl. Hoffmann, Warburg. 149 Tagebuch der K.B.W., 10. Juli 1929: Warburg, Tagebuch, S. 469.150 Tagebuch der K.B.W., 4. Oktober 1926: Ebd., S. 15.151 Tagebuch der K.B.W., 10. November 1926: Ebd., S. 24.152 Schoell-Glass, Warburg, S. 178 ff, 181 ff.153 Übersee-Club, Der Übersee-Club, S. 83–96. 154 Ders., Zeitgeschehen, S. 50.155 Tagebuch der K.B.W., 28. Februar 1927: Warburg, Tagebuch, S. 62.156 Vgl. hierzu Weizbacher, Redslob.157 Mommsen, Freiheit, S. 216.158 Tagebuch der K.B.W., 20. Dezember 1926: Warburg, Tagebuch, S. 37.159 Tagebuch der K.B.W., 21. Dezember 1926: Ebd., S. 24 f. 160 McEwan, Facetten, S. 75–98, vor allem 88 f. 161 Vgl. Fleckner; Woldt, Bilderreihen, S. 99 f.162 Tagebuch der K.B.W., 14. April 1927: Warburg, Tagebuch, S. 81.163 Tagebuch der K.B.W., 3. Januar 1928: Ebd., S. 265.164 Warburg, Cassirer.165 Tagebuch der K.B.W., 7. Mai 1927: Warburg, Tagebuch, S. 90. 166 Tagebuch der K.B.W., 5. Juni 1927: Ebd., S. 99.167 Vgl. Fleckner; Woldt, Bilderreihen, S. 277.168 Michels, Warburg.169 Max Warburg, Erinnerungen von Max Warburg an Aby Warburg, o. D., wohl Dezember 1929 (WIA,

III.134.1.6.). 170 Max Warburg, Erinnerung an Aby Warburg anläßlich seines Todes, 5. Dezember 1929 (Archiv der

Warburg-Stiftung).171 Kopper, Bankiers, S. 72 ff. ··············································································································································

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Doch letztendlich zerstoben Max’ Hoff-nungen, die antijüdische Politik der natio-nalsozialistischen Politik mäßigen zu kön-nen. 1932 trat er aus der sich zunehmendantirepublikanisch entwickelnden DVP aus. ···································································Auch die Hapag ist inzwischen, nach derletzten großen Liquiditätskrise, staatlicherAufsicht unterstellt. Die neuen Machthabernutzen als erstes die Gelegenheit, Max War-burg aus dem Unternehmen zu entfernen. ImFrühsommer 1933 wird er, jetzt sechsundsech-zigjährig, aus dem Aufsichtsrat der Hapagentlassen, offiziell nicht wegen seiner Zuge-hörigkeit zum Judentum, sondern wegen sei-nes Alters und seiner Nähe zur vorherigenRegierung. Seine Reaktion auf diese bittereund schmerzhafte Entscheidung – niemandprotestiert, betretenes Schweigen breitet sichaus – nötigt aufgrund ihrer Souveränitätnoch heute Bewunderung ab: Sarkastisch ge-nug, ergreift Max das Wort und hält eine An-sprache auf sich selbst: „Meine sehr geehrtenHerren, lieber Herr Warburg! Wenn ich michin diesen Kreisen umsehe, finde ich, verzei-hen Sie, kein Gesicht eines Mannes, der fürdie deutsche Schiffahrt entscheidendes ge-leistet hätte. Die große und mächtige deut-sche Schiffahrt ist vornehmlich das Werkzweier Juden. Der eine ist der verstorbene Al-bert Ballin und der andere ist der Mann, derdie Ehre hat, vor ihnen zu stehen. Es ist nicht

meine Art, von mir selber zu sprechen, aberich weiß, daß Sie mir gerne etwas sagen wol-len, und sich vielleicht nur genieren. Erlau-ben Sie mir, Ihnen etwas nachzuhelfen. Zuunserem großen Bedauern haben wir davonKenntnis nehmen müssen, daß Sie den Ent-schluß gefaßt haben, aus dem Aufsichtsratder Gesellschaft auszuscheiden, ja, daß Siediesen Entschluß als unwiderruflich bezeich-nen. Es fällt uns schwer, von Ihnen scheidenzu müssen, von einem Mann, der zusammenmit dem seligen Albert Ballin unsere Gesell-schaft groß gemacht hat. Es fällt uns schwer,in Ihnen einen Bürger zu verlieren, der sei-nem Vaterlande während des Krieges sogroße Dienste geleistet hat. Schließlich kön-nen wir auch nicht vergessen, daß nach demAusgang des unglücklichen Krieges Sie undkein anderer unsere Gesellschaft aus Trüm-mern wieder aufgebaut und mit Ihrem Geldesaniert haben. Wir haben Ihnen das nichtvergessen. Und wenn wir, die neuen Leutehier, jetzt gezwungen sind, uns von Ihnen,dem altbewährten Mitarbeiter, zu trennen,tragen wir die Schuld. Erlauben Sie mir, daßich mich von Ihnen verabschiede bis zumWiedersehen, das heißt bis zu dem Tage, andem Sie wieder meiner bedürfen.“ Spricht,erhebt sich, faltet seine Serviette und geht.172

Max Warburg verabschiedet sich selbst

[9]

···································································172 Wiborg, Feld, S. 269.···································································

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Max in den dreißiger Jahren

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Wie ging es weiter? Saxl und Bing gelingt –mitsamt sämtlicher Bücher und technischerEinrichtungen – Ende 1933 die Emigrationnach London. Geholfen hat eine von derHamburger Oberschulbehörde gedeckteTarnung der Bücherflucht als „Leihgabe“und der Umstand, dass Teile der K.B.W. alsamerikanischer Besitz gelten konnten. InEngland besteht sie noch heute als Teil derUniversity of London und unter dem Na-men „The Warburg Institute“ fort.···································································Erwin Panofsky kann nach New Yorkübersiedeln. Am 21. April 1933 schreibt ervon dort einen Brief an Max: „Die wirklicheTragödie, die hier so wenig verstanden wird,besteht ja für unsereinen darin, daß wir,trotz allem, das Land, und besonders dieStadt, in die wir hineingewachsen sind, solieb haben, und so finde ich denn, daß manwohl weggehen kann (wiewohl die hiesigenAussichten nicht gerade rosig sind), abernicht einfach wegbleiben.“173 Er kehrt tat-sächlich noch einmal zurück, aber nur fürwenige Wochen. Sein Glück ist es, am Insti-tute of Advanced Study in Princeton einneues Leben und eine neue Karriere begin-nen zu dürfen. ···································································Max glaubt sehr lange, dass sich das Blattnoch wenden würde – und er will helfen.Schon Ende der zwanziger Jahre hat er den

Vorsitz des Hilfsvereins der deutschen Judenund die Leitung der Ortsgruppe des Vereinszur Abwehr des Antisemitismus übernom-men. Mit seinen eigenen Mitteln kämpft erwie ehemals sein Bruder Aby „gegen dieKräfte des Dunkels“, gegen barbarische,vorzivilisierte Strömungen, die sich demWeg ins Licht der Zivilisation und Hu-manität entgegenstellen wollen.174 Nach der Machtübernahme der Nationalsozialis-ten jongliert er zwischen nachdrücklichemEintreten für die verfolgten Juden und Un-terstützung der neuen Reichsregierung, namentlich des Reichsbankpräsidenten Hjal-mar Schacht. 1937 schließt ihn nach fünf-undzwanzigjähriger Mitgliedschaft die Kai-ser-Wilhelm-Gemeinschaft (heute Max-Planck-Gesellschaft) aus. Max gründet imgleichen Jahr die Allgemeine Treuhandstellefür die jüdische Auswanderung und wird füreine große Zahl Verfolgter zum Fluchthel-fer – auch viele Kunsthistoriker aus demUmkreis der K.B.W. wenden sich an ihn mitder Bitte um Rat, Vermittlung und Unter-stützung. Im Dezember 1937 legt man auchder Hamburgischen Wissenschaftlichen Stif-tung nahe, Max auszuschließen. Der von al-len Kuratoriumsmitgliedern unterzeichneteBrief schließt mit den Worten, dieser habesich „ein Denkmal, dauerhafter als Erz“ ge-schaffen. Es nützt nichts: 1938 zwingt manMax, die Bank an „Arier“ zu übertragen.

Zum Schluss

[10]

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Ende August tritt er mit Alice eine Besuchs-reise in die USA an. Erst nach den Gescheh-nissen der „Reichskristallnacht“ und War-nungen seines Vertrauten, des inzwischenzum Syndikus der Bank bestellten Kurt Sie-veking, lässt er sich überzeugen, dort zu blei-ben. Am 26. Dezember 1946 stirbt Max inNew York. Sein Sohn Erich, der sichinzwischen Eric nennt, kehrt 1956 nachHamburg zurück und wird, auf ein Zusam-menwachsen der europäischen Nationenhoffend, erneut Teilhaber des Bankhauses.Seine Bereitschaft und seine Fähigkeit, Brü-cken zu bauen, haben dem Hamburg derNachkriegszeit ein neues Gesicht verliehen. ···································································Albrecht Mendelssohn Bartholdy wird1934 ebenfalls in die Emigration gezwungen.Er findet Aufnahme in Großbritannien, woer noch kurze Zeit als Senior Fellow am Bal-liol College in Oxford wirkt; dort verstirbter, zweiundsechzigjährig, 1936. Die renom-mierten Instituts-Zeitschriften „Europäi-sche Gespräche“ und „Amerika-Post“ wer-den noch 1933 eingestellt. Das reduzierteInstitut wird schließlich von Reichsaußen-minister Joachim von Ribbentrop verein-nahmt, nach Berlin verlagert und dort mitdem Deutschen Institut für Außenpoliti-sche Forschung zusammengelegt. Sein Auf-trag, die Analyse von Kriegsursachen zurVermeidung künftiger Konflikte, verkommtzum Gegenteil: Spätestens mit Kriegsbeginn

wird es zu einer reinen Propaganda-Einrich-tung zur Rechtfertigung der deutschen Ex-pansion und zur Herabsetzung der Gegner.Nach dem Krieg reaktiviert man in derrechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni-versität Hamburg um die gerettete Biblio-thek das Institut für Auswärtige Politik, wel-ches jedoch nicht an die internationaleReputation der Mendelssohn-Ära anknüp-fen kann. Seine jahrzehntelange provisori-sche Existenz dauert bis 1973. Seitdem be-steht es unter dem Namen Institut fürInternationale Angelegenheiten im Fachbe-reich Rechtswissenschaften der UniversitätHamburg fort.175

···································································Die Europäische Gemeinschaft und die eu-ropäische Münze sind längst Realität. Trotz aller Probleme hat beides bis heute dazu bei-getragen, Kriege in ihrem Hoheitsgebiet zuverhindern.···································································Abys sarkastischer Bemerkung „Ich hätteein brüllender Löwe in der Wüste Juda wer-den sollen, statt dessen bin ich ein kapitalis-tisches Schosshündchen in Harvestehudegeworden“ müsste man heute widerspre-chen.176 Dass sein Beitrag zur Fortentwick-lung der Geisteswissenschaften inzwischeneine so weitreichende, Disziplinen und Gren-zen überwindende Bedeutung erlangenwürde, hat er damals nicht ahnen können.

··············································································································································173 Erwin Panofsky an Max Warburg, 21. April 1933: Archiv der Warburg-Stiftung, Hamburgische Wissen-

schaftliche Stiftung, VII, Archiv No. 507, Hamburg; freundlicher Hinweis von Dr. Johannes Gerhardt. 174 Hoffmann, Warburg, S. 142.175 Vgl. Nicolaysen, Mendelssohn.176 Max Warburg, Erinnerungen von Max Warburg an Aby Warburg, o. D., wohl Dezember 1929 (WIA,

III.134.1.6.).············································································································································

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Anhänge

[11]

Lion (Joshua) Lewisohn (um 1783–?) OO Fanny Haarbleicher (1786–1857)Der älteste Sohn ist

Aby M. Warburg (1866–1929) OO 1897

Mary Hertz (1866–1934)

··············································································································································Stammtafel (Auszug)··············································································································································

Max M. Warburg (1867–1946) OO 1899

Alice Magnus (1873–1960)

Moritz M. Warburg (1838–1910) OO 1864 Charlotte Oppenheim (1842–1921)

Frede C.Warburg(1904–2004)

OO 1938Adolf Prag

(1906–2004)

Erich Warburg (1900–1990)

OO 1946 Dorothea Thorsch

(1912–2003)

Lola Warburg (1901–1989)

OO 1921 Rudolf Hahn (1897–1964)

Renate Warburg (1904–1984)

OO 1927Richard Samson

(1900–1943) OO 1940

Walter Strauss(1908–?)OO 1959

Sir William Calder(1881–1960)

Max Adolph Warburg

(1902–1974) OO 1938

Josepha (Josi)Spiero

(1902–1988)

Marietta Warburg(1899–1973)

OO 1926 Peter Braden(1900–1975)

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Olga C. Warburg(1873–1904)

OO 1898 Paul Kohn-Speyer

(1868–1942)4 Kinder

Fritz M. Warburg(1879–1964)

OO 1908 Anna B. Warburg

(1881–1966)3 Kinder

Louise Warburg(1879–1973)

OO 1901Julius Derenberg

(1873–1928)4 Kinder

Felix Moritz Warburg(1871–1937)

OO 1895 Frida F. Schiff

(1875–1958)keine Kinder

Paul M. Warburg(1868–1932)

OO 1895 Nina Loeb (1870–1945)

2 Kinder

Anita Warburg (1908–2008)

OO 1940 Max Wolf

(1899–1962)

Gisela Warburg (1912–1991)

OO 1943 Charles F.

Wyzanski jr. (1906–1986)

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··············································································································································Aby und Max Warburgs Lebensdaten im Überblick ··············································································································································13. Juni 1866 Aby wird in Hamburg geboren 5. Juni 1867 Max wird in Hamburg geboren 1886 Aby beginnt das Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Archäo-

logie in Bonn und setzt dieses später in München und Straßburg fort1892 Aby reicht seine Dissertation ein über „Sandro Botticellis ‚Geburt der

Venus‘ und ‚Frühling‘. Eine Untersuchung über die Vorstellungen vonder Antike in der italienischen Frührenaissance“

1893 Max tritt nach seiner Lehrzeit beim Frankfurter Bankhaus J. Dreyfus & Co. und Aufenthalten in Paris und London als Prokurist bei M. M. Warburg & Co. ein

1904 nach langjährigen Aufenthalten in Florenz siedelt Aby endgültig nachHamburg über

1906 Moritz Warburg und seine Söhne spenden 250.000 Mark für die ge-plante Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung; Moritz gehört 1907dem ersten Kuratorium der Stiftung an, in späteren Jahren werden auchMax und Aby Warburg Mitglied dieses Gremiums

1910 nach dem Tod des Vaters übernimmt Max offiziell die Leitung bei M. M. Warburg & Co.; er weitet den Aktionsradius auf das internatio-nale Bankgeschäft aus

1912 Aby erhält vom Hamburger Senat den Professorentitel verliehen1918 erste Anzeichen einer psychischen Erkrankung bei Aby; Aufenthalt in

der Privatklinik Dr. Lienau (Hamburg)1919 Max ist als Finanzsachverständiger der deutschen Friedensdelegation in

Versailles tätig1921 Aby wird zum Honorarprofessor an der Philosophischen Fakultät der

Hamburgischen Universität ernannt; Max bekommt von dieser dieEhrendoktorwürde verliehen

1921–1924 mehrjähriger Aufenthalt Abys in der Privatklinik „Bellevue“ in Kreuz-lingen (Schweiz)

1923 Gründung des Instituts für Auswärtige Politik1925 Aby lässt für seine umfangreiche Bibliothek in der Heilwigstraße 116 ein

eigenes Gebäude bauen, das 1926 als Kulturwissenschaftliche BibliothekWarburg eingeweiht wird

1925–28 Aby hält an der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Lehrveranstaltungenfür Studenten der Hamburgischen Universität ab

1927 Max wird Mitglied des Vorstandes des Hilfsvereins der deutschen Juden;von 1935 bis 1938 fungiert er als Vorsitzender des Vereins und als Rats-mitglied der Reichsvertretung der deutschen Juden

26. Oktober 1929 Aby stirbt in Hamburg

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1937 Max willigt notgedrungen in die „Arisierung“ der Bank ein1938 Ende August reist Max in die USA; nach dem Progrom vom

9./10. November bleibt er in New York und wird 1944 amerika-nischer Staatsbürger

26. Dezember 1946 Max stirbt in New York

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Unveröffentlichte Quellen:Der Nachlass und die Korrespondenz von AbyWarburg sind 1933 im Zuge der Emigration derKulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg mitdieser nach London gegangen. Für die vorlie-gende Arbeit wurde in erster Linie auf die um-fangreichen Archivbestände des Warburg Institutein London zurückgegriffen, außerdem auf verein-zelte Bestände des Archivs der Warburg-Stiftung,Hamburg, und des Archivs der HamburgischenWissenschaftlichen Stiftung, Hamburg. ··································································· Literatur und veröffentlichte Quellen:Ahrens, Gerhard: Die Hamburgische Stif-tungsprofessur für Geschichte (1907–22), in: Zeit-schrift des Vereins für Hamburgische Geschichte74/75 (1989), S. 41–60Albrecht, Henning: Alfred Beit. Hamburgerund Diamantenkönig, Hamburg 22015 (Mäzenefür Wissenschaft; 9)Biester, Björn: Der innere Beruf zur Wissen-schaft: Paul Ruben (1866–1943). Studien zurdeutsch-jüdischen Wissenschaftsgeschichte, Berlin2001 (Hamburger Beiträge zur Wissenschafts-geschichte; 14)Bolland, Jürgen: Die Gründung der „Ham-burgischen Universität“, in: Universität Hamburg1919–1969, Hamburg 1970, S. 17–105Brauer, Ludolph; Mendelssohn Bar-tholdy, Albrecht; Meyer, Adolf (Hg.):Forschungsinstitute. Ihre Geschichte, Organisa-tion und Ziele, zweiter Band, Hamburg 1930Bredekamp, Horst: Ex nihilo: PanofskysHabilitation, in: Reudenbach, Bruno (Hg.): Erwin Panofsky. Beiträge des Symposions Ham-burg 1992, Berlin 1994 (Schriften des Warburg-Archivs im Kunstgeschichtlichen Seminar der

Universität Hamburg /Warburg-Archiv Ham-burg; 3), S. 31–47Chernow, Ron: Die Warburgs. Odyssee einerFamilie, Berlin 1996Fleckner, Uwe; Woldt, Isabella (Hg.):Aby Warburg. Gesammelte Schriften, Bilder-reihen und Ausstellungen, Zweite Abteilung,Band II.2, Berlin 2012Gombrich Ernst H.: Aby Warburg. Eineintellektuelle Biographie, Frankfurt/M. 1981(Europäische Bibliothek; 12)Günther, Horst: Aby Warburg und seineBrüder, in: Deutsche Brüder. Zwölf Doppel-porträts, Berlin 1994, S. 254–287 Hamburgischer Correspondent Nr. 447(23. September 1899): Tages-NeuigkeitenHertz, Hans W.: Art. Hertz, Adolph Jacob, in: Neue Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften, Band 8, Berlin 1969, S. 708–709Hoffmann, Gabriele: Max M. Warburg,Hamburg 2009 (Hamburger Köpfe)Hurttig, Marcus A.: Die entfesselte Antike.Aby Warburg und die Geburt der Pathosformel inHamburg, Hamburg 2011Klessmann, Eckart: M. M. Warburg & CO.Die Geschichte eines Bankhauses, Hamburg 1999 Königseder, Karl: Aby Warburg im „Belle-vue“, in: Galitz, Robert; Reimers, Brita (Hg.):Aby M. Warburg. „Ekstatische Nymphe …trauernder Flussgott“. Portrait eines Gelehrten,Hamburg 1995 (Schriftenreihe der Hamburgi-schen Kulturstiftung), S. 74–98Kreft, Christine: Adolph Goldschmidt undAby M. Warburg. Freundschaft und kunstwissen-schaftliches Engagement, Weimar 2010

Quellen, Literatur und Bildnachweis

[12]

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Russell, Mark A.: Between Tradition andModernity. Aby Warburg and the Public Purposesof Art in Hamburg 1896–1918, Oxford, New York2007 (Monographs in German History; 19)Schäfer, Michael: Die Kulturwissenschaft-liche Bibliothek Warburg. Geschichte und Per-sönlichkeiten der Bibliothek Warburg mit Be-rücksichtigung der Bibliothekslandschaft und derStadtsituation der Freien und Hansestadt Ham-burg zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Berlin 2003(Berliner Arbeiten zur Bibliothekswissenschaft; 11)Schoell-Glass, Charlotte: Aby Warburgund der Antisemitismus. Kulturwissenschaft alsGeistespolitik, Frankfurt am Main 1998Übersee-Club e.V. (Hg.): Zeitgeschehen imÜbersee-Club 1922–1997. Kultur und Kommerzim Amsinck-Haus am Neuen Jungfernstieg,Hamburg 1997Ders. (Hg.): „Der Übersee-Club sei gegrün-det“. Vorträge und Reden aus den Jahren 1922 bis1925. Eine Auswahl, Hamburg 2005Warburg, Aby M.: Bildniskunst und florenti-nisches Bürgertum I. Domenico Ghirlandajo inSanta Trinita. Die Bildnisse des Lorenzo de’Medici und seiner Angehörigen [1902], in:Wuttke, Dieter (Hg.): Aby M. Warburg. Aus-gewählte Schriften und Würdigungen, Baden-Baden 1980 (Saecula Spiritalia; 1), S. 65–102Ders.: Dürer und die italienische Antike [1906],in: Wuttke, Dieter (Hg.): Aby M. Warburg.Ausgewählte Schriften und Würdigungen, Baden-Baden 1980 (Saecula Spiritalia; 1), S. 125–135Ders.: Die Bilderausstellungen des Volksheims[1907], in: Bredekamp, Horst; Diers, Michael(Hg.): Aby Warburg. Gesammelte Schriften. Studienausgabe, Erste Abteilung, Band I.2: DieErneuerung der heidnischen Antike. Kultur-wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der euro-päischen Renaissance. Reprint der von GertrudBing unter Mitarbeit von Fritz Rougemont edier-ten Ausgabe von 1932, Berlin 1998, S. 589–592Ders.: Kommunale Pflichten und allgemeineGeistespolitik [1909], in: Wuttke, Dieter (Hg.):Aby M. Warburg, Ausgewählte Schriften undWürdigungen, Baden-Baden 1980 (SaeculaSpiritalia; 1), S. 305Ders.: Die Wandbilder im hamburgischenRathaussaale [1910], in: Bredekamp, Horst; Diers,Michael (Hg.): Aby Warburg. Gesammelte

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Schriften. Studienausgabe, Erste Abteilung, BandI.2: Die Erneuerung der heidnischen Antike.Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschichteder europäischen Renaissance. Reprint der vonGertrud Bing unter Mitarbeit von Fritz Rouge-mont edierten Ausgabe von 1932, Berlin 1998, S. 579–587 Ders.: Das Problem liegt in der Mitte [1918], in:Die Literarische Gesellschaft. Sonderheft zurUniversitätsfrage 4, 5 (1918), S. 149–150Ders.: Heidnisch-antike Weissagung in Wortund Bild zu Luthers Zeiten [1920], in: Wuttke,Dieter (Hg.): Aby M. Warburg. AusgewählteSchriften und Würdigungen, Baden-Baden 1980(Saecula Spiritalia; 1), S. 199–304Ders.: E. Cassirer. Warum Hamburg den Philo-sophen Cassirer nicht verlieren darf, in: Hambur-ger Fremdenblatt Nr. 173 (28. Juni 1928)Ders.: Tagebuch der KulturwissenschaftlichenBibliothek Warburg mit Einträgen von GertrudBing und Fritz Saxl, hg. von Karen Michels undCharlotte Schoell-Glass, in: Bredekamp, Horst;Diers, Michael; Forster, Kurt W. u. a. (Hg.): AbyWarburg. Gesammelte Schriften, Siebte Abtei-lung, Band 7, Berlin 2001Warburg, Max M.: Aus meinen Aufzeichnun-gen, Glückstadt 1952Warburg, Eric M.: Zeiten und Gezeiten.Erinnerungen, Hamburg 1982Warnke, Martin: „Ich bin wissenschaftlicherPrivatbankier, dessen Credit so gut ist wie der derReichsbank“. Aby Warburg und die Warburg-Bank, in: Michels, Karen: Aby Warburg. ImBannkreis der Ideen, München 2007, S. 10–19 Ders.: Lebendige Kunstgeschichte. Mit Warburgim großen Festsaal des Hamburger Rathauses, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 8, 3 (2014), S. 110–118

Weber, Hermann: Rechtswissenschaft imDienst der NS-Propaganda. Das HamburgerInstitut für Auswärtige Politik und die deutscheVölkerrechtsdoktrin in den Jahren 1933 bis 1945,in: Gantzel, Klaus-Jürgen (Hg.): Wissenschaft-liche Verantwortung und politische Macht. Zumwissenschaftlichen Umgang mit der Kriegsschuld-frage 1914, mit Versöhnungsdiplomatie und mitnationalsozialistischem Großmachtstreben.Wissenschaftliche Untersuchungen zum Umfeldund zur Entwicklung des Instituts für AuswärtigePolitik Hamburg/ Berlin 1923–1945, Berlin,Hamburg 1986 (Hamburger Beiträge zur Wissen-schaftsgeschichte; 2), S. 185–425 Weizbacher, Christian: Edwin Redslob.Biographie eines unverbesserlichen Idealisten,Berlin 2009 Wiborg, Susanne; Wiborg, Klaus: 1847–1997. Unser Feld ist die Welt. 150 Jahre Hapag-Lloyd, Hamburg 1997··································································· Trotz sorgfältiger Nachforschungen konnten nichtfür alle Abbildungen die Rechteinhaber ermitteltwerden. Sollte jemand in urheberrechtlicher Be-ziehung Rechte geltend machen, so möge er sichan die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftungwenden.··································································· Bildnachweis:Archiv der Hamburgischen WissenschaftlichenStiftung (S. 57)Archiv des Warburg Institute (restliche Bilder)Hamburger Bibliothek für Universitätsgeschichte(S. 63)Privatbesitz Marie Warburg (S. 32)Privatbesitz Max Warburg (S. 17, 30, 42, 44, 97)Universität Hamburg, Warburg-Archiv (S. 12, 14 f.,34, 83 f., 86)

Verzeichnet sind die Namen von natürlichen Per-sonen, die in den Kapiteln 1 bis 10 genannt wer-den. Anmerkungen bleiben unberücksichtigt,ebenso die Namen Aby und Max Warburg. Ein *verweist darauf, dass auf der angegebenen Seite(auch) ein Bild der jeweiligen Person bzw. derName des Malers erscheint. Bei den Vornamenfindet in den meisten Fällen eine Beschränkungauf den Rufnamen statt···································································Albrecht, Hermann 62Althoff, Friedrich 52Amsinck, Antonie 56Amsinck, Gustav 56Andersen, Hans Christian 37Assisi, Franz von 45Auerbach, Alice (geb. Kohn-Speyer) 19···································································Baden, Prinz Maximilian von 72, 77Ballin, Albert 53, 64, 65, 68, 72, 75, 96Beit, Alfred 56, 62Bendixen, Friedrich 62Bing, Gertrud 85, 92, 93*, 98Binswanger, Ludwig 73, 81Binswanger, Otto 73Blohm, Georg 56Blohm, Hermann 56Bondy, Toni (siehe Cassirer, Toni)Boticelli, Sandro 27Braden, Marietta (geb. Warburg) 19, 45, 46*, 59*,60Brahms, Johannes 37Briand, Aristide 88, 89Brockdorff-Rantzau, Graf Ulrich 77Brockhaus, Heinrich 26Bruck, Hermann 65Buonarroti, Michelangelo 47

Budge, Henry 56Burckhardt, Jacob 27, 46···································································Campe, Hugo 77Cassel, Sir Ernest 61Cassirer, Ernst 81, 92Cassirer, Toni (geb. Bondy) 92Chamberlain, Sir Austen 88, 89Classen, Walther 48Coudenhove-Kalgeri, Graf Richard 82, 85Cuno, Wilhelm 75···································································Dehn, Otto 56Derenberg, Carl 19Derenberg, Gabriele (siehe Schiff, Gabriele)Derenberg, Louise (geb. Warburg) 15, 17, 18*, 19Derenberg, Ruth (siehe Domela-Nieuwenhuis,Ruth)Derenberg, Walter 19Dernburg, Bernhard 76Diederichsen, Gustav 56Domela-Nieuwenhuis, Ruth (geb. Derenberg) 19Dürer, Albrecht 48, 49, 50···································································Edward VII., König von Großbritannien undIrland 61Ehrhardt, Hermann 79Einstein, Albert 75Embden, Heinrich 57···································································Falke, Otto von 66Fehling, Wolfgang 78Franke, Otto 73Fritsch, Theodor 87···································································Gerhardt, Johannes 13Ghirlandaio, Domenico 45, 48

Namensregister

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Goethe, Johann Wolfgang von 11, 62, 73Goldschmidt, Adolph 52, 75Goldschmidt, Regine (siehe Oppenheim, Regine)Gossler, Maria (siehe Hertz, Maria)Grimson, Bettina (geb. Warburg) 19Gutmann, Sophie (geb. Magnus) 37···································································Hahn, Kurt 76, 77Hahn, Lola (geb. Warburg) 19, 76Hahn, Rudolf 76Haller, Martin 15, 53Heine, Salomon 18Heinsheimer, Friedrich 65Hertz, Adolph Ferdinand 26, 28, 36Hertz, Adolph Jacob 28Hertz, Hans 70, 87Hertz, John 23, 35Hertz, Maria (geb. Gossler) 36Hertz, Mary (siehe Warburg, Mary)Höger, Fritz 82Hornbostel, Helene von (geb. Magnus) 37Horsfall, Charles 29···································································Jahns, Franziska 18*, 19Janitschek, Hubert 27Justi, Carl 49···································································Kayser, Paul 65Kessler, Graf Harry 23Ketteler, Clemens August Freiherr von 43Keynes, John Maynard 75, 78Kiesselbach, Wilhelm 23Klopstock, Friedrich Gottlieb 11Kohn-Speyer, Alfred 19Kohn-Speyer, Alice (siehe Auerbach, Alice)Kohn-Speyer, Edmund 19Kohn-Speyer, Marian (siehe Sander, Marian)Kohn-Speyer, Olga (geb. Warburg) 15, 17, 18*, 19,36, 37Kohn-Speyer, Paul 31Krause, Eckart 13Kreft, Christine 52Kruger, Stephanus Johannes Paulus 33···································································Laeisz, Sophie 56Lamprecht, Karl 66Lessing, Gotthold Ephraim 20Lewisohn, Adolph 56Lichtwark, Alfred 41, 43

Liebermann, Max 70Lienau, Cai 72Lissmann, Friedrich 65Loeb, Nina 34, 36, 37Loeb, Salomon 34Luther, Martin 11, 71Lutteroth, Ascan 65···································································Magnus, Alice (siehe Warburg, Alice)Magnus, Dora 37, 77Magnus, Gertrud (siehe Suse, Gertrud)Magnus, Hermann Levin 37Magnus, Lola 37 Magnus, Helene (siehe Hornbostel, Helene von)Magnus, Sophie (siehe Gutmann, Sophie)Mantegna, Andrea 49Marcks, Erich 56, 64Medici, Giovanni de’ 46Medici, Giuliano II. de’ 46Medici, Lorenzo I. de’ 46Medici, Pierro II. de’ 46Melchior, Carl 23, 52, 58, 68, 75, 76, 87Melchior, Georg 23Melle, Werner von 41, 49, 56, 58, 62, 72Mendelsohn Bartholdy, Albrecht 77, 78, 79, 85,99Merck, Heinrich 89Mussolini, Benito 93Muther, Richard 52···································································Nietzsche, Friedrich 50Nikolaus II., Zar von Russland 37Nümann, Ekkehard 13···································································Oppenheim, Charlotte (siehe Warburg, Char-lotte)Oppenheim, Nathan 15, 24Oppenheim, Regine (geb. Goldschmidt) 20, 24···································································Panconcelli-Calzia, Giulio 69Panofsky, Erwin 79, 98Pauli, Gustav 79Petersen, Carl Wilhelm 89Prag, Frede (geb. Warburg) 19, 49, 59*, 60Protopopov, Alexander 70···································································Rathenau, Walther 26, 53, 69, 76, 77Redslob, Edwin 88Ribbentrop, Joachim von 99

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Riegl, Alois 66Rijn, Rembrandt Harmenszoon van 48Rosenberg, Théophilie (siehe Warburg, Théophi-lie)Rosenstern, Ferdinand 56Rosenstern, Max 56Rosenstern, Otto 56Ruben, Paul 23···································································Salomon, Richard 73Samson, Renate (geb. Warburg) 19Sander, Marian (geb. Kohn-Speyer) 19Sassetti, Francesco 46, 47Saxl, Fritz 67, 76, 78, 79, 81, 85, 98Schacht, Hjalmar 94, 98Schiefler, Gustav 73Schiff, Gabriele (geb. Derenberg) 19Schiller, Friedrich 11Schinckel, Max 56Schmarsow, August 26Schoell-Glass, Charlotte 27Schumacher, Fritz 65, 84Schwinge, Friedrich 65Siemers, Edmund 56, 62Sieveking, Johannes 23Sieveking, Kurt 99Smulowicz, Charlotte Esther (geb. Warburg) 19Spinelli, Ingrid (geb. Warburg) 19Stinnes, Hugo 76, 79Stresemann, Gustav 72, 82, 87, 88, 89, 93Strohmeyer, Otto Heinrich 88, 89Suse, Gertrud (geb. Magnus) 37···································································Thilenius, Georg 58, 73···································································Unger (Dr.) 22Unger, Eva (geb. Warburg) 19···································································Vinci, Leonardo da 41, 47···································································Warburg, Alice (geb. Magnus) 37, 42*, 43, 58, 99Warburg, Anna Beata 68Warburg, Anita (siehe Wolf, Anita)Warburg, Bettina (siehe Grimson, Bettina)Warburg, Charlotte (geb. Oppenheim) 10, 14, 15,16*, 18*, 19, 22, 23, 26, 28, 34*, 36, 37, 60, 64Warburg, Charlotte Esther (siehe Smulowicz,Charlotte Esther)Warburg, Erich 19, 42*, 43, 53, 75, 99

Warburg, Eva (siehe Unger, Eva)Warburg, Felix 15, 17, 18*, 19, 34*, 39*, 60, 61, 79,90*, 92Warburg, Frede (siehe Prag, Frede)Warburg, Fritz 15, 17, 18*, 19, 24, 34*, 52, 53, 60,61, 68, 91*, 92, 94Warburg, Gisela (siehe Wyzanski, Gisela)Warburg, Ingrid (siehe Spinelli, Ingrid)Warburg, James 19Warburg, Lola (siehe Hahn, Lola)Warburg, Louise (siehe Derenberg, Louise)Warburg, Marietta (siehe Braden, Marietta)Warburg, Mary (geb. Hertz) 12*, 26, 28, 35, 37,41*, 45, 46*, 59*Warburg, Max Adolph 19, 48, 59*, 60, 66*Warburg, Moritz 11, 14, 15, 16*, 17, 18*, 19, 22, 23,24, 27, 28, 29, 31, 33, 34*, 35, 36, 37, 38*, 49, 52, 56,59 Warburg, Olga (siehe Kohn-Speyer, Olga)Warburg, Paul 15, 17, 18*, 19, 23, 31, 33, 34*, 36,37, 38*, 52, 60, 61, 76, 77, 79, 90*, 92, 93, 94Warburg, Pius 37Warburg Renate (siehe Samson, Renate)Warburg, Sara 14, 15Warburg, Siegmund 14, 16, 17, 33Warburg, Théophilie (geb. Rosenberg) 16, 17Wegener, Harriet 85Weygandt, Wilhelm 73Wild von Hohenborn, Adolf 70 Wilhelm II., Deutscher Kaiser 43, 53, 62, 64, 72Winkler, Heinrich 73Witthoefft, Franz Heinrich 75Woermann, Adolph 57Wolf, Anita (geb. Warburg) 19Wölfflin, Heinrich 52Wyzanski, Gisela (geb. Warburg) 19

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Aus der Reihe „Mäzene für Wissenschaft“ sind bisher erschienen:

Band 1 Die Begründer der Hamburgischen Wissenschaftlichen StiftungBand 2 Sophie Christine und Carl Heinrich Laeisz. Eine biographische Annäherung an

die Zeiten und Themen ihres LebensBand 3 Eduard Lorenz Lorenz-Meyer. Ein Hamburger Kaufmann und KünstlerBand 4 Hermann Franz Matthias Mutzenbecher. Ein Hamburger Versicherungs-

unternehmerBand 5 Die Brüder Augustus Friedrich und Gustav Adolph Vorwerk.

Zwei Hamburger KaufleuteBand 6 Albert BallinBand 7 Ernst Friedrich Sieveking. Erster Präsident des Hanseatischen OberlandesgerichtsBand 8 Franz Bach. Architekt und UnternehmerBand 9 Alfred Beit. Hamburger und DiamantenkönigBand 10 Hermann Blohm. Gründer der Werft Blohm & VossBand 11 Gustav Amsinck. Ein Hamburger Großkaufmann in New YorkBand 12 Henry P. Newman. Hamburger Großkaufmann und MäzenBand 13 Adolph Lewisohn. Kupfermagnat im „Goldenen Zeitalter“Band 14 Johannes August Lattmann. Sozial und liberal im vordemokratischen

Hamburger SenatBand 15 Heinrich Freiherr von Ohlendorff. Ein Hamburger Kaufmann im Spiegel

der Tagebücher seiner Ehefrau ElisabethBand 16 Edmund Siemers. Unternehmer und StifterBand 17 „Es muß besser werden!“ Aby und Max Warburg im Dialog über

Hamburgs geistige Zahlungsfähigkeit

In Vorbereitung sind:Stadt – Mann – Universität: Hamburg, Werner von Melle und ein Jahrhundert-Lebenswerk,Teil 1: Der Mann und die StadtJulius Carl Ertel. Ein Hamburger Industrieller

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Impressum

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