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20/2011 Massenpanik bei der Duisburger Love Parade 2010: „Es war, als ob sich die Erde aufgetan hätte“ 58

„Es war, als ob sich die Erde aufgetan hätte“ · Aber die Polizei hat es laufen lassen in der Zeit der Planung. Und wenn Beamte ... Paradeplatz und im Tunnel musste Lopa - vent

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Massenpanik bei der Duisburger Love Parade 2010: „Es war, als ob sich die Erde aufgetan hätte“

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Titel

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Duisburg, die Love Parade, um15.45 Uhr. Schnell, schnell, derMann braucht jetzt eigentlich

zwei Hundertschaften, besser drei, besservier, er braucht sie für den Osttunnel, fürden Westtunnel, für die Rampe.

Aber alles, was er im Moment bekom-men kann, ist diese eine. Die Fünfzehnteaus Köln und ein paar Kräfte aus Bochum,um die Rampe zu halten. Um sich gegendie Menge zu stemmen, die sich von allenSeiten hierher schiebt, zu diesem Beton-schlund, dem einzigen Eingang zur LoveParade – und über Stunden ihr einzigerAusgang.

Eine Hundertschaft, um die Katastro-phe zu verhindern.

Eine Hundertschaft gegen einhundert-tausend.

Genauso gut könnte Polizeirat Dirk H.aber auch versuchen, die Erdrotation auf-zuhalten. Mit nur einer Hand. Denn nichtmal alle Polizisten in seinem Abschnittkann er sofort einsetzen. Etliche laufenStreife im Außengelände.

Und die anderen? Muss er jetzt kaltins Chaos werfen. Sie sind nicht nur zuwenige, sie müssen sich auch erst mal zu-rechtfinden. Denn sie stehen noch keinehalbe Stunde hier, haben gerade die Vier-te Hundertschaft aus Bielefeld abgelöst.Was für ein Irrsinn: ein Schichtwechselmitten in den heißen Stunden der LoveParade. Genau davor hatte Polizeirat H.den „Vorbereitungsstab“ des Polizeiprä-sidiums Duisburg schon vor einem Monatgewarnt. Dass die Polizei dann nur „ein-geschränkt handlungsfähig“ wäre.

Tatsächlich musste sich die Fünfzehntegerade durch die Massen quetschen, hatteMühe, überhaupt an ihren Einsatzort zukommen, und als sie es doch geschaffthat, fehlt ihr alles, was sie hier braucht.Der Polizeifunk? Setzt häufig aus. Alshätte man das nicht schon vorher ahnenkönnen, bei dem ganzen Stahlbeton rundum die Rampe. Und die Handys? Auch

nichts, weil die Anrufe im überlastetenNetz ständig geblockt werden. Oder derLautsprecherwagen, der für die Fünfzehn-te unten an der Rampe stehen soll. Standleider am Morgen kaputt in der Werkstatt,kommt jetzt nicht mehr zu ihnen durch.

Als später die Menschen übereinander-kippen, als sie nach Luft schnappen, keu-chen, um ihr Leben kämpfen, als auchdie Polizei nicht mehr weiß, was geradewo passiert, bitten Beamte sogar einenHubschrauberpiloten, der über dem Ge-lände kreist, Durchsagen zu machen. Einverzweifelter Versuch, der scheitern muss.

Am Ende werden 21 Menschen tot sein,untergegangen im Gedränge auf der Ram-pe, dem Flaschenhals für Hunderttausen-de, die auf dem Gelände des alten Duis-burger Güterbahnhofs feiern wollten. Siesterben in einem Menschenberg, werdenerstickt, erdrückt. Aber das ist nur die ana-tomische Todesursache. Denn sie sterben

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Dieter Wehe, NRW-Polizeiinspekteur

Wehe stritt nach der Love Parade jedeSchuld seiner Beamten an der Kata-strophe beharrlich ab. Einige seinerAussagen im Innenausschuss desLandtags werden jetzt durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaftin Frage gestellt.

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Schwarzer Samstag

Wer hat Schuld am Tod von 21 Menschen bei der Duisburger Love Parade? Nicht die Polizei, lautete das Mantra

von NRW-Innenminister Ralf Jäger. Doch die Staatsanwaltschaftstellt nach monatelangen Ermittlungen fest:

Auch die Polizei leistete sich offenbar gravierende Fehler.

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Auch die des Inspekteurs Dieter Wehe.Wenn der nämlich im Innenausschuss be-schwichtigt hatte, „es gab kein Kräftepro-blem“, oder wenn er dort zur Vorrang-schaltung für Polizeihandys sagte: „Diehat es gegeben … eine Vorrangschaltungist komplett für den gesamten Einsatzzeit-raum eingerichtet worden“ – dann hatteder Mann laut Recherchen der Ermittlerentweder keine Ahnung. Oder der obersteSchutzmann des Landes wollte vor allemeines schützen: den Ruf der Polizei.

Die Planung

Love Parade? Ach ja. Was macht eigent-lich die Love Parade? Etwa so lesen sichnoch bis in den April 2010 manche Proto-kolle von Dienstbesprechungen der Duis-burger Polizeispitze. So als wäre die größ-te Techno-Party der Welt, zu der nachden Ankündigungen von Lopavent mehrals eine Million Raver kommen sollten,noch ganz weit weg. Nicht nur, was dieZeit angeht. Auch in den Gedanken.

Die Stadt plant, aber was genau? KeineAhnung, zum Stand könne man nichtsNeues berichten, heißt es im Protokoll vom8. April, man habe weder aus dem Rathausnoch von Lopavent verlässliche Pläne be-kommen. Oder am 29. April: offizielleStatements der Stadt? Weiter Fehlanzeige.Was man dazu wisse, habe man aus derZeitung; deshalb werde die Polizei jetztauf die Stadt zugehen, um für die „Planungdringend benötigte Details“ zu bekommen.

vor allem an einem staatlichen Versagen,das zu diesem Stau auf der Rampe führte.

Dass es ein Versagen der Stadtverwal-tung Duisburg war, stand schon kurz nachdem 24. Juli 2010 fest. Sie hatte alles Mög-liche getan, um das Unmögliche zu schaf-fen – diese Love Parade zu genehmigen.Sie hatte dafür die Paragrafen zum Tan-zen gebracht, für einen Totentanz, wiesich am Tag der Love Parade herausstell-te. Nun aber, zehn Monate danach, wirdklar: Auch die Polizei hat sich offenbarschwerwiegende Fehler geleistet.

Sie hat sich zwar nicht das abstruse Si-cherheitskonzept ausgedacht – das warder Veranstalter, die Firma Lopavent, dieoffenbar nur eines mit größter Sicherheitwollte: schöne Werbebilder für denHauptsponsor, die Sportstudio-KetteMcFit und ihren Chef Rainer Schaller.Aber die Polizei hat es laufen lassen inder Zeit der Planung. Und wenn Beamtedamals doch schon erhebliche Sicherheits-bedenken hatten, wie ihr Inspekteur Die-ter Wehe später im Landtagsinnenaus-schuss reklamierte, dann wiegt es umsoschwerer, dass die Polizei trotzdem nichtauf den Ernstfall vorbereitet war. Auf denFall nämlich, dass das Sicherheitskonzeptvon Lopavent zusammenklappen würde.

Es ist nun die Anatomie dieses staatli-chen Versagens, die nach monatelangenErmittlungen erstmals in einem mehr als400 Seiten starken Bericht der Staatsan-waltschaft Duisburg seziert worden ist.Über 2500 Zeugen haben die Ermittlerbislang vernommen, darunter mehrerehundert Polizisten. Beamte wie den Poli-zeirat Dirk H., der in seiner Aussage ge-schildert hat, wie es war an diesem Nach-mittag mit nur einer Hundertschaft ander Rampe. Männer und Frauen, die mitihm auf dieser Rampe im Einsatz waren,in Tunneln, an Eingangsschleusen, in denPolizeiketten. Und die sagten, das sei allesso furchtbar schnell gegangen, dass sieauch nicht verstanden hätten, woher alldie Leute plötzlich gekommen seien, „eswar, als ob sich die Erde aufgetan hatte“.

Mit dem vertraulichen Bericht, datiertauf den 17. Januar, zeichnen die Ermittlerein erstes Panoramabild der Schuld: beider Stadt, beim Veranstalter, aber ebenauch bei der Polizei. „Schäbig“ nannteNRW-Innenminister Ralf Jäger noch kurznach der Katastrophe die ersten Vorwürfegegen seine Truppe. Nun aber deckt derBericht der Staatsanwaltschaft reihenweiseFehler auf, die bisher unbekannt waren,und er entlarvt manche Schutzbehauptung.

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4 EskalationAuch die Kette auf der Rampe löst sich auf.Es kommt zur Eskalation: Die Massen drängen zu einer schmalen Treppe, an deren Fuß viele der Opfer zu Tode kommen.

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2 Einlasssperre/PolizeikettenDer Crowd-Manager ordnet an, beideEingänge zu schließen. In den Tunnelnund im unteren Bereich der Hauptrampe werden Polizeiketten gebildet.

3 Erneuter ZustromDie Einlasssperre kann nicht aufrechterhalten werden, weitere Menschen strömen in Richtung der Hauptrampe. Die Polizeiketten in den Tunneln können dem Ansturm nicht standhalten undbrechen zusammen. Die Kette auf der Haupt-rampe gerät nun von zwei Seiten unter Druck.

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Es scheint, als sei die Love Parade fürdie Polizei lange ein Fremdkörper gewe-sen. Und umgekehrt die Polizei für dieLove-Parade-Macher bei der Stadt, beiLopavent. Im Prinzip ist das durchaus ver-ständlich. Für die Sicherheit auf dem Paradeplatz und im Tunnel musste Lopa-vent sorgen, mit Ordnern, mit einem Si-cherheitskonzept. Die Polizei war dage-gen für den Weg durch die Stadt zustän-dig. Und auf dem Partygelände nur dann,wenn sie hätte tun müssen, was sie immer

und überall tun muss: Gefahren abweh-ren, Leben retten.

Konnte also die Polizei nicht ahnen,was auf der Rampe auf sie zukommenkönnte? Wurde sie kurzgehalten von derVerwaltung, vom Veranstalter? Schonmöglich. Aber keine mögliche Entschul-digung. Im Jahr davor hatte die Stadt Bochum die Love Parade abgesagt. Zugefährlich. Der damalige Bochumer Poli-zeipräsident hatte in einem Brandbriefgemahnt, dass „Überleben“ wichtiger seials der „Spaßfaktor“. Und schon 2008,bei der Love Parade in Dortmund, wares offenbar ganz knapp gewesen. Tausen-de Raver flüchteten vor einem Platzregenin eine Unterführung der Bundesstraße 1und in eine U-Bahn-Station.

Einer, der damals beim Führungsstabsaß, der Brandschutzexperte Klaus Schä-fer, erzählte den Love-Parade-Ermittlernin seiner Vernehmung, das DortmunderGedränge sei so gefährlich gewesen, dassder Stab mit „Verletzten oder gar Toten“gerechnet habe. Nur weil Polizisten dieMassen auf offene Flächen lotsen konn-ten, sei es nicht so weit gekommen. Auchdie Duisburger Polizei muss diese Vorge-schichte eigentlich gekannt haben.

Wahr ist aber auch: Es gibt in diesenMonaten vor der Love Parade tatsächlichDinge, von denen die Polizei nichts mit-bekommt. Treffen zwischen Stadtverwal-tung und Lopavent, bei denen sie nichtdabei ist, vielleicht auch nicht dabei seinsoll. Einen Workshop und mehrere Ge-

sprächsrunden im Rathaus, zu denen sieoffenbar nicht eingeladen ist. Vermerkeund Mails zwischen den Ämtern, von de-nen sie mutmaßlich nichts erfährt. Viel-leicht auch nicht so genau erfahren wollte.Denn es gibt in so einem Genehmigungs-verfahren andere, die Regie führen. Lo-pavent stellt die Anträge, die Stadt arbei-tet sie ab; die Polizei muss zwar mitspie-len, aber nicht die Hauptrolle.

Die Stadt also: Das Gezerre und Gekun-gel beginnt dort spätestens Anfang 2010.Ausgerechnet Wolfgang Rabe, der Ord-nungsdezernent, der nachher sagen wird,dass Duisburg die Love Parade nicht absa-gen wird, „auf keinen Fall“, sieht das beieiner Besprechung am 23. Februar nochganz anders. Er trifft sich mit den Spitzenseines Ordnungsamts. Dort wird gesagt,die Fläche sei doch viel zu klein, reichevielleicht für 200000 Menschen, und dannwürden 100000 oder sogar 200000 sozusa-gen „vor der Tür“ stehen bleiben.

Seine Leuten malen aus, wie es dannzu „Unmutsäußerungen“ kommen könn-te, „oder mehr“, wie es im Protokoll heißt.Als hätten sie alles schon vorhergesehen:die Tumulte, das Geschubse und Gedrän-gel, die aufgebrachten Raver, die vor zu-gesperrten Eingängen stehen, all das, wasfünf Monate später einen schwebend leich-ten Sommertag in einen schwarzen Sams-tag umkippen lassen wird.

Damals ist für Rabe noch klar, dass Lo-pavent mehr Platz für die Parade braucht,und wenn sie das nicht bezahlen kann, weil

Wolfgang Rabe, Ordnungsdezernent

Im Duisburger Rathaus für Sicherheitund Recht zuständig, half Rabe, dieumstrittene Genehmigung für dieLove Parade durchzudrücken. Mittler-weile wird er von der Staatsanwalt-schaft als Beschuldigter geführt.

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das auch eine Geldfrage ist, dann muss dieSause eben „abgesagt werden“. Basta. Zudiesem Zeitpunkt hielt sich Rabes Ord-nungsamt allerdings auch für die zuständi-ge Genehmigungsbehörde. Das aber än-dert sich Anfang März – und danach ändertRabe offenbar auch seine Meinung, obman das Spektakel verantworten kann.

Da nämlich lässt Lopavent die Stadtzum ersten Mal wissen, dass sie das ganzeGelände einzäunen will. Eine geschlosseneFläche, damit geht die Sache ans Bauord-nungsamt. Nicht mehr Rabes Revier. Jetztgilt plötzlich die „Versammlungsstättenver-ordnung“ Nordrhein-Westfalens, eine„Sonderbauverordnung“, die betonharteRegel: nur zwei Menschen auf einem Qua-dratmeter. Bei den 90000 Quadratmetern,mit denen Lopavent zu der Zeit noch rech-net, wären das 180000 Raver, mehr nicht.

Selbst wenn keine Million käme, wieSchallers Truppe ständig tönte, wenn esnur die Hälfte wäre, würde das dazu führen,dass 120000 von den zwischen fünf undzehn Uhr abends erwarteten 300000 Leu-ten draußen bleiben müssten. Eine Befürch-tung, erneut nachzulesen im Protokoll einerBesprechung zwischen Ordnungsamt undBauordnungsamt von Anfang März. Au-ßerdem steht da, dass das Problem im Grun-de unlösbar sei und die Behördenmitarbei-ter an diesem Tag extra an „mögliche straf-rechtliche Konsequenzen“ erinnert wurden.Damit sie nicht zu großzügig werden.

Man muss dazu allerdings sagen: Eswird am 24. Juli auf der Rampe nicht des-halb zur Katastrophe kommen, weil dasPartygelände weiter oben überfüllt war;große Teile der Fläche sind zwischen 15und 17 Uhr noch ziemlich leer. Aber dieWege dorthin werden mit Ravern volllau-fen, die Sperren werden von denen über-rannt, die zu lange draußen gewartet ha-ben, um sich noch etwas von Ordnernund Polizisten gefallen zu lassen. Men-

gelnde Übung“ in solchen Dingen. Nurlässt sich an ihrer Zuständigkeit nun malnicht rütteln. Also soll mit ihr mal einWörtchen gesprochen werden, DezernentRabe werde das vorbereiten und dazu mitihrem Vorgesetzten reden. Das Ziel: „po-sitiven Einfluss auf Frau G. zu nehmen“.Die Anwälte von Rabe und Bölling woll-ten sich zu den Vorwürfen nicht äußern.

So wird das in den folgenden Wochennoch oft gehen. Das Bauordnungsamt bishoch zum zuständigen Dezernenten Jür-gen Dressler steht enorm unter Druck.Alle anderen in der Stadt wollen die LoveParade. Das graue Duisburg soll für einenTag endlich auch mal im ganzen Land hellaufleuchten. Aber wenn es dann ein Groß-brand sein sollte, was da am Ende des Ta-ges leuchtet, will niemand mit den Streich-hölzern in der Tasche erwischt werden.

Auch Rabe nicht. Der achtet offenbargenau darauf, dass nichts auf ihn zurück-fällt. Noch im Protokoll dieser Bespre-

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schen, aufgepumpt vor Ärger, und nichtwenige auch vollgepumpt mit Alkohol.

Die Wege sind das Problem. Es gibtnur eine Straße, die alle Besucher neh-men müssen, die Karl-Lehr-Straße. EineStraße, die auch noch in einem Tunnelliegt. Die einen werden darauf von Wes-ten kommen, die anderen von Osten, un-ten vor der Rampe sollen sich beide Strö-me treffen und dann hochfließen auf dasGelände. Dies ist das einzige Mauselochim Zaun, um reinzukommen. Aber auchdas größte, um wieder rauszukommen.Und eine Falle, wenn gleichzeitig die ei-nen rein-, die anderen rauswollen.

Doch auch davor werden die Stadtmit-arbeiter sehr früh gewarnt. Schäfer, derBrandschutzexperte, der schon in Dort-mund dabei war, hält am 22. März einenWorkshop für sie ab. Morgens erzählt er,wie brenzlig es in Dortmund war. Die Da-men und Herren von Bauaufsicht undOrdnungsamt beginnen zu tuscheln.Dann, am Nachmittag, kommt Schäferauf die Duisburger Love Parade zu spre-chen, die Karl-Lehr-Straße, die Rampe.Dass der Tunnel, durch den die Straßeführt, an der schmalsten Stelle nur 30 Me-ter breit sei. Das reiche höchstens für40000 bis 60000 Menschen in der Stunde,ohne Gegenverkehr.

Dass hier aber über das Nadelöhr Ram-pe die einen rein-, die anderen raussollen.Und dann noch eine T-Kreuzung ausRampe und Straße – für so einen Knickbraucht der Menschenstrom noch mehrPlatz. Schäfer will dazu ein Wort gesagthaben: „Irrsinn“. Und hinterher, in klei-nerer Runde, dass einer, der so etwasplant, „sie nicht mehr alle hat“.

Eingang, Ausgang, das müsse mandoch trennen, unbedingt, er schlug des-halb noch vor, einen Ausgang zur Auto-bahn 59 aufzumachen. Aber das sei mitder Begründung „zu teuer“ abgelehntworden, sagte Schäfer den Ermittlern.

Dabei hätten ihm die Leute von derStadt sogar recht gegeben, aber sie hättenüber politischen Druck von oben gespro-chen. Ja, das mit dem „politischen Druck“sei wörtlich gefallen; eine Frau aus demOrdnungsamt habe geklagt, dass ihr Chefkritische Hinweise schlicht ausblende.

Besonders einer ist offenbar irgend-wann vom Warner zum Wegwischer mu-tiert: Ordnungsdezernent Rabe. Glaubtman einem Vermerk, den sich ein Lopa-vent-Anwalt gemacht hat, dann gibt esam 28. April ein Treffen mit der Stadt.Rabe sitzt mit am Tisch, daneben seinOrdnungsamtschef Peter Bölling, außer-dem der Sprecher von OberbürgermeisterAdolf Sauerland, aber keiner vom Bau-ordnungsamt. Lopavent beklagt sich überdas Bauamt, das ständig mit der Sonder-bauverordnung querkomme. Vor allemeine Mitarbeiterin dort, die Frau G.

Ordnungsamtschef Bölling sagt laut Ver-merk, die Dame habe anscheinend „man-

Touristenattraktion Love Parade in Berlin 1998:

Jürgen Dressler, Baudezernent

Der StadtentwicklungsdezernentDressler steht dem Duisburger Bau-amt vor, das die Techno-Party auf demalten Güterbahnhof in letzter Minutegenehmigte. Auch gegen ihn wird in-zwischen ermittelt.

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chung am 28. April heißt es, er halte einExpertengutachten für „hilfreich“, weilbei der Stadt wohl keiner bereit sei, fürdie Genehmigung ein großes Risiko zuübernehmen. So ist das also.

Ein Fachmann mit einem guten Namensoll deshalb eine Expertise liefern. Undgleichzeitig auch einen Persilschein? Fallsdoch etwas schiefgeht? Im Protokoll steht,auf jeden Fall solle Michael Schreckenbergmitmachen. Schreckenberg, der renom-mierte Panikforscher von der Uni Duis-burg. Aber in diesem Vermerk steht eineandere Begründung, warum Schrecken-berg „mit ins Boot“ kommen soll. Bei derStadt befürchteten sie, dass er sonst Äu-ßerungen zur Love Parade machen könn-te, „nicht gewünschte Äußerungen“, undschlimmer noch: in der Öffentlichkeit.

Ein Problem mit seiner Fachmeinungbefürchtet die Runde dagegen offenbarnicht. Schreckenberg werde vermutlichdie Expertise nämlich gar nicht selbst er-

stellen. Es gebe da doch in Duisburg einBüro, bekannt für „veranstalterfreundli-che Gutachten“. Das bekommt am Endetatsächlich den Auftrag für eine „Ent-fluchtungsanalyse“; den Vorwurf eines„Gefälligkeitsgutachtens“ weist es aller-dings scharf zurück.

Und doch riecht manches nach einerKumpanei zwischen Lopavent und derStadt, die sich sogar E-Mails wie die vom5. Mai gefallen lässt. Da staucht ein Lo-pavent-Anwalt den Ordnungsdezernen-ten Rabe dafür zusammen, dass in derVerwaltung ziemlich unverblümt über dieauf dem Gelände maximal erlaubte Be-sucherzahl geredet wird: 250000. Dashabe doch absolut vertraulich bleiben sol-len. Schließlich stehe Lopavent ohnehinschon vor einer schwierigen „Herausfor-derung im PR-Bereich“, und wenn jetztso etwas „in der Presse hochkocht“ – stattder Millionenzahl, mit der Lopavent stän-dig wirbt –, dann könne das schwere Fol-

gen haben, schreibt der Anwalt. Bis hinzur Absage des Spektakels.

Also kuscht die Stadt, und wer nichtkuschen will, der duckt sich weg. AuchFrau G., die Frau aus dem Bauordnungs-amt. Die Widerspenstige. Eigentlich mussLopavent am Tag der Love Parade dieBesucher zählen, damit man immer weiß,wie viele Raver gerade auf dem Güter-bahnhof stehen, wie viele auf den Wegendorthin. Genau das will Frau G. auch Lo-pavent vorschreiben.„Hallo die Herren“, schreibt Frau G.

dazu am 11. Mai in einer Mail an ihre Kol-legen im Bauamt, nachdem Lopavent malwieder gemurrt hat. Frau G. will es nunso machen: Lopavent gibt der Stadtschriftlich, dass sie zählen wird, damithat alles seine Ordnung, für die Aktenzumindest. Aber dafür bleiben alle Mit-arbeiter der Bauaufsicht bei der Love Pa-rade einfach zu Hause, statt die Besucher-ströme zu kontrollieren. Genau so habe

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Auch das graue Duisburg sollte mal für einen Tag hell aufleuchten

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es ihr Chef Dressler auch schon Ord-nungsdezernent Rabe vorgeschlagen.Und genau so wird es dann laut Staatsan-waltschaft auch gemacht: Nicht einer ausdem Bauamt erscheint am 24. Juli bei derLove Parade. „Diese Lösung finde ichdoch charmant“, schreibt Frau G.

Charmant? Die Begründungen sind ver-logen. Und was charmant genannt wird,ist in Wahrheit schamlos. Keiner vom Bau-amt überprüft offenbar, ob Lopavent wirk-lich tut, was sie tun muss; ein Vorwurf, zudem sich der Anwalt von Frau G. unterHinweis auf die laufenden staatsanwalt-schaftlichen Ermittlungen nicht äußern will.

Die Polizei hat zwar von vielen dieserScharmützel nichts mitbekommen, als am24. Juli ihr Einsatz beginnt. Aber ahnungs-los ist auch sie nicht, und arglos kann siedeshalb nicht sein. Es gab genug Treffen,also genug Wissen, auch im Polizeipräsi-dium. Die Polizei hätte deshalb in den Mo-naten vor der Love Parade eingreifen unddas Schlimmste noch verhindern können;

Gefahrenabwehr ist ihre Pflicht. Aberauch sie wird vor der Love Parade zumFreund und Helfer all derer, die am Endejeder Prüfung nur ein Ergebnis hinnehmenwollen: Die Love Parade muss kommen.

Schon am 29. Oktober 2009 schickt diePolizei ihre Emissäre in eine große Rat-hausrunde; danach steht bereits die ent-scheidende Frage im Protokoll: ob nurein Ein- und Ausgang für die Love Paradewirklich genug ist, erst recht, weil der„auch noch in einem Tunnel“ liegt. Dererste Hinweis für die Polizei, genug, umalarmiert zu sein.

Um die Antwort soll sich im Vorberei-tungsstab der Love Parade eine Arbeits-gruppe kümmern, die Arbeitsgruppe 4,Sicherheit. Im März treffen sich die „Vie-rer“ zum ersten, danach noch 15 Mal, undjedes Mal ist die Polizei dabei. Meist sogardoppelt und dreifach, aus dem Duisbur-ger Polizeipräsidium, natürlich, aber auchaus dem Düsseldorfer, das zuarbeiten soll,und aus der Bundespolizei.

Wenn es also noch Ende April in denDienstrunden der Duisburger Polizei heißt,man erfahre zu wenig und wenn, dann oftnur aus der Zeitung, dann fragt die Polizeimöglicherweise einfach nur zu wenig, zulasch nach. Schließlich stellt Lopavent am23. April in der Arbeitsgruppe auch schonihr Sicherheitskonzept vor; zwar nur einenEntwurf, aber immerhin. Eine Kopie bleibtsogar da, fürs Protokoll. Nachfragen? Sindan diesem Tag nicht verzeichnet.

Dabei taucht der Tunnel nun sogar ineiner Liste der Vierer mit all den Aufga-ben auf, die man noch abzuarbeiten hat.„Kern“ des Sicherheitskonzepts: keinStau im Tunnel, steht da. Wieder so einKnoten im Taschentuch: der Tunnel! Undmindestens dreimal inspiziert die Polizeidie Röhre und die Rampe; auch dabei:Jörg Schalk, Düsseldorfer Polizeidirektor,der am 24. Juli im Führungsstab mit ent-scheiden soll. Sind sie alle blind für dieGefahr? Nein, sind sie nicht. Aber ebenauch nicht hart und entschieden genug,

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Polizeifahrzeug auf dem Weg zum Tunnel: Schichtwechsel in der kritischsten Einsatzphase

um einzugreifen, durchzugreifen, notfallsdie Parade abzusagen.

Im Juni etwa, da sind es nur noch gutvier Wochen bis zum Einsatz. Im Arbeits-kreis Sicherheit reicht es Schalk nun end-lich mit den großen Tönen von Lopavent.Wenn der Veranstalter immer sage, es kä-men eine Million Menschen, dann wolleer jetzt auch mal wissen, wie die Leutevom Gelände wegkämen, wenn die Wegemit neuen Besuchern schon verstopft seien.Und wie man an den Einlässen vor denTunneln verhindern wolle, dass sich dieRaver stauten, sauer darüber, dass sie nichtweiterkämen. Dass so etwas das ganze We-gekonzept zusammenbrechen lassen kön-ne und damit „sicherheitsrelevant“ sei, dassei doch wohl klar. Dafür brauche es garkeine Million, dafür reichten auch schonweniger Besucher. Das müsse jetzt mal soins Sitzungsprotokoll, verlangte Schalk. Eswaren die wichtigen, lebenswichtigen Fra-gen, wie sich am 24. Juli zeigen sollte, undSchalk meinte es offenbar ziemlich ernst.

Aber dann? Gibt sich die Polizei an-scheinend mit ein paar kleinen Änderun-gen zufrieden. Die Stadt habe zugesagt,Bedenken der Polizei zu berücksichtigen,sagte Polizeiinspekteur Wehe im Innen-ausschuss. Als Polizisten der DuisburgerStaatsanwaltschaft vor der Love Paradeden Stand der Dinge erklären, notierendie Strafverfolger jedenfalls hinterher, voneinem Sicherheitsproblem sei keine Redegewesen.

Möglich, dass zu diesem Zeitpunktauch die Polizisten nur noch hören, wassie hören wollen – der Tunnelblick, derden kritischen Blick auf den Tunnel er-setzt. Etwa als ihnen Panikforscher Schre-ckenberg am 12. Juli bestätigt, das bespro-chene Wegekonzept von Lopavent sei„gut“. Richtig, sagt Schreckenberg dazuheute, aber da habe er doch nur über dieStrecken vom Duisburger Hauptbahnhofbis zu den Eingängen West und Ost ge-sprochen, nicht über das Veranstaltungs-gelände, den Tunnel, die Rampe. Er habedoch sowieso nie den Auftrag gehabt, sichum diese Teile zu kümmern. So sieht dasauch die Staatsanwaltschaft, ermitteltnicht gegen ihn. Warum aber hakt damalskein Polizist nach?

Einige Tage später, als Ordnungsdezer-nent Rabe in einer großen Schlussrundevor der Love Parade fragt, ob einer nochetwas zu sagen habe, was ihm nicht passe,meldet sich auch kein Polizist. Und danneine Sitzung im Innenministerium in Düs-seldorf. Wieder nichts Kritisches.

Trotzdem: Die Duisburger Staatsan-waltschaft hält so etwas nicht für strafbar.Nicht was die Polizei angeht, nicht solan-ge es nur um die Zeit vor der Love Paradegeht. Die Polizei habe zwar gewarnt, je-doch formal keinen Einspruch gegen dasSicherheitskonzept eingelegt. Musste sieaber angeblich auch nicht. Es reichte nachMeinung der Strafverfolger, dass sie auchdas Gegenteil nicht getan hatte: nie aus-drücklich zugestimmt, nie ihr Einverneh-men erklärt. Einvernehmen – dieser Be-griff ist im Gesetz nirgendwo definiert.Aber er wird in der Zukunft wahrschein-lich noch einmal eine große Rolle spielen.

Vorerst bleibt für die Staatsanwälte dieSchuld an den Stadtmitarbeitern hängen.Ohne ausdrückliches Ja der Polizei sollihre Genehmigung bereits „formell rechts-widrig“ gewesen sein, wie es in der Akteder Anklagebehörde heißt.

Und davon abgesehen natürlich auchwegen der „gravierenden Bedenken“, diedas Sicherheitskonzept von Lopavent beider Stadt hätte auslösen müssen. Nur einEingang, der gleichzeitig Ausgang ist. DieBesucher eingezwängt im Tunnel und aufder Rampe. Keine Ausweichflächen. Au-ßerdem noch der Knick der T-Kreuzung.Und ohnehin viel zu wenig Platz für vielzu viele Besucher, die offenbar noch nichtmal richtig gezählt wurden. Das ganze T-Stück sei „von der Kapazität her nicht ge-

eignet“ gewesen, derartige Massen sicherzu leiten, schreiben die Ermittler. DieStadt hätte deshalb die Parade so nichtstattfinden lassen dürfen.

Mit dem 24. Juli aber ändert sich derBlick, mit dem die Staatsanwälte bis da-hin gnädig auf die Polizei schauen. Andiesem Tag gerät für sie nun auch die Polizeiführung unter Verdacht.

Der Tag der Love Parade

Die Polizei hat an diesem Tag ihr Einsatz-gebiet in mehrere Abschnitte aufgeteilt.Zwei außen: West und Ost. Das sind dieRouten, auf denen die Raver vom Haupt-bahnhof kommen, in einer Zangenbewe-gung. Die einen laufen im Westen am gan-zen Partygelände vorbei, die anderen imOsten, dann stehen sie vor der Eingangs-schleuse West, vor der EingangsschleuseOst, da enden die beiden Abschnitte. Alles,was nun kommt, gehört an diesem Nach-mittag zum Sektor von Polizeirat Dirk H.

Er hat den riskantesten Abschnitt er-wischt, den Engpass, durch den sich alleRaver pressen müssen. Von den beidenSchleusen bis hoch zum Festplatz. In die-sem Abschnitt liegt die Karl-Lehr-Straßemit dem Osttunnel, dem Westtunnel, liegtin der Mitte die Rampe, auf der beideStröme zusammenlaufen. Das große „T“.Nur dass in diesem Fall das „T“ nicht nurfür das Zusammentreffen von Rampe undStraße steht, sondern auch für Todesge-fahr. Dann nämlich, wenn die Ordner vonLopavent hier Unterstützung brauchten,die Polizei eingreifen müsste, so wie esihr Einsatzbefehl vom 19. Juli vorschrieb.Und wenn sie dann nicht in der Lagedazu wäre. Weil auch die Polizei Fehlermacht. Oder schon längst gemacht hat.

In einer Übersicht der Love-Parade-Er-mittler tauchen später 20 Hundertschaf-

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Rainer Schaller, Veranstalter

Der Geschäftsführer von Lopaventmachte mit der Love Parade jahrelangWerbung für seine Sportstudio-KetteMcFit. Vier seiner Mitarbeiter werdenmittlerweile als Beschuldigte geführt;gegen Schaller selbst wurde bislangkein Verfahren eingeleitet.

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ten aus ganz Deutschland auf, die irgend-wann am 24. Juli im Duisburger Einsatzwaren. Aber für den T-Abschnitt warenlaut Staatsanwaltschaft nur zwei einge-plant: die Vierte aus Bielefeld, die Fünf-zehnte aus Köln. Und das auch nichtgleichzeitig, sondern hintereinander. Vor-gesehener Schichtwechsel: nachmittags,wenn bereits riesiges Gedränge herrscht.

Wer kommt denn auf so etwas?Die Ermittler sind auf einen Eintrag

vom 10. Juni in „Lupus“ gestoßen, deminternen Polizei-Logbuch. Eine Meldungan die Führungsstelle der Duisburger Polizei. Anruf aus dem Innenministerium,heißt es da, der Regierungsdirektor R.

R. habe in ein paar Tagen eine Bespre-chung mit dem Polizeihauptpersonalrat.Der habe die Dienstzeiten bei der LoveParade auf die Tagesordnung gesetzt, nach-dem „eine Berufsvertretung“ in dieser Sa-che „Druck aufgebaut“ habe. Es werde be-hauptet, die geplanten Dienstzeiten für dieLove Parade seien zu lang, bis zu 20 Stun-den, notfalls mehr. Das Innenministerium(IM) gehe davon aus, dass daran nichtswahr sei, weil „eine derartige Planungauch vom IM nicht mitgetragen würde“.

Vier Tage später, kurz vor Ende derAmtszeit des damaligen InnenministersIngo Wolf (FDP), ergeht dann Erlass Num-mer 41.2-60.11.01 aus dem Ministerium:Höchstdienstzeit zwölf Stunden, inklusi-ve An- und Abfahrt. Also muss ausge-wechselt werden.

Die Polizei hatte laut Staatsanwalt-schaft offenbar anders geplant, muss nunumplanen, dazu treffen sich kurz danachdie Leiter der Einsatzabschnitte. Sie sindfassungslos. Einer von ihnen, so das Be-sprechungsprotokoll, weist eindringlichdarauf hin, dass die Ablösung am Nach-mittag nur unter großen Schwierigkeitenauf das Veranstaltungsgelände kommen

könnte. Sollte man tatsächlich auf diesemSchichtwechsel bestehen, könne für zweiStunden nicht garantiert werden, dass diePolizei ihre Aufgaben ordnungsgemäß er-fülle. Er fordert, alles so zu lassen, wie esmal geplant war, mit Dienstzeit von elfUhr morgens bis zwei Uhr nachts, „durch-gehend“, „ohne Ablösesituation“.

Polizeirat Dirk H., der später die Ram-pe nicht mehr halten kann, gibt das demVorbereitungsstab im Polizeipräsidiumsogar noch schriftlich. Wenn es bei derZwölf-Stunden-Vorgabe bleibe, dann ste-he ein Wechsel um 16 Uhr an, und davonwird „erneut dringend abgeraten“. Dennzu dieser Uhrzeit, davor habe auch derVeranstalter gewarnt, könne der Besu-cherandrang vor allem im Tunnel so starkwerden, dass die Polizei die Zugänge sper-ren müsse. Die Wechselzeit falle in die„kritische Einsatzphase“.

Polizeirat H. wird recht behalten. Die erste Schicht im „T“ wird am 24.

Juli von der Vierten Hundertschaft ausBielefeld übernommen; sie hat noch einenhalbwegs ruhigen Dienst. Der tödlicheSturm baut sich erst auf, draußen vor denEinlassschleusen. Der Ansturm der Raver.

Erst mittags kurz nach zwölf Uhr öffnetLopavent die beiden Eingänge, eine Stun-de verspätet, weil oben auf dem Platz diePlanierraupe noch nicht fertig war. Aberschon früh fehlen offenbar Ordner. AmWesteingang haben sie nur die Hälfte derEinlassspuren besetzt, der Rest bleibt ge-schlossen. Ein Lopavent-Anwalt sagtedazu, er habe „keine Anhaltspunkte“, dassdie in der Genehmigung vorgeschriebeneZahl der Ordner „unterschritten“ wordensei. Einen Ausgang gibt es nicht, nicht hier,nicht jetzt. Erst als die Polizei mehr Ordnerherbeizitiert und eine Ausgangsspur frei-machen lässt, so die Staatsanwaltschaft,arbeitet die Schleuse West so, wie sie soll.

Um 13.33 Uhr stehen schon 20000 Tech-no-Fans im Westen, machen „enorm“Druck, wie es in einer Lupus-Meldungheißt. Die Polizei zittert, dass die Schleu-se überrannt werden könnte; da ist es erst13.44 Uhr.

Schon gegen 14 Uhr erfahren Polizistenvon zwei Problemen, die aus diesem Tagspäter einen Katastrophentag machenwerden – und nehmen es offenbar so hin.Zwei Beamte, zuständig für Lautsprecher-durchsagen, melden sich bei Lopavent.Sie wollen sich an die Mikrofone setzen,für Durchsagen, falls nötig. Denn der Ver-anstalter hatte im Genehmigungsverfah-ren garantieren müssen, dass er so eineAnlage bereitstellt, eine, mit der die Polizei notfalls die Musik weg- und sichselbst einschalten könnte. Und nun erfah-ren die beiden Polizisten, dass sie stummbleiben werden. Technisch nicht möglich,heißt es lapidar. Warum das keiner frühergeprüft hat, nicht die Polizei, nicht diestädtische Bauaufsicht, bleibt offen. AuchLopavent wollte sich gegenüber dem

SPIEGEL zur Lautsprecheranlage nichtäußern. Mit funktionierenden Notfall-durchsagen, sagt die Staatsanwaltschaft,wäre das Gedränge, wäre die Katastrophewahrscheinlich nicht passiert.

Genauso unbegreiflich, warum um14.03 Uhr offenbar keiner schaltet, als beider Befehlsstelle der Vierten Hundert-schaft einer der wichtigsten Funksprüchedes Tages eingeht. Der Ordnerdienst,heißt es da, schaffe es nicht, am Kopf derRampe mehr Personal heranzuziehen.„Zwei Pusher vor Ort ist zu wenig.“

„Pusher“, so heißen die privaten Ord-ner, die oben an der Rampe stehen sollenund nur eine Aufgabe haben, nämlichden ankommenden Massen immer wie-der zu sagen: „Hier nicht stehen bleiben,bitte weitergehen.“ An dieser Kante näm-lich fahren die „Floats“ vorbei, die schwe-ren Lastwagen mit den Discjockeys, unddeshalb bleiben viele Besucher hier ste-hen, statt weiterzugehen und die Rampefreizumachen.

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Rettungskräfte bei der Versorgung von Verletzten

Ralf Jäger, NRW-Innenminister

Kurz vor der Katastrophe hatte er sich„zufrieden“ über „die enge Verzahnungzwischen den Sicherheitsbehörden“ ge-zeigt. Im Landtagsinnenausschuss sag-te Jäger später, er werde „nicht zulas-sen, dass die Polizei als Sündenbockfür die Fehler“ anderer herhalten muss.

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Zwölf Pusher hat Carsten Walter an-fangs dafür eingesetzt; Walter, der soge-nannte Crowd-Manager, der für Lopaventmit den Ordnern die Massen steuern soll.Doch glaubt man mehreren Zeugen, diebei der Staatsanwaltschaft ausgesagt ha-ben, dann hat er schon vor 14 Uhr vondiesem Dutzend ein paar zum EinlassWest geschickt, ein paar andere abgestellt,um ein Kamerateam zu begleiten.

Walter sagt heute, er habe keine Pu -sher abgezogen; und das Kamerateam seinicht von Pushern, sondern von anderenOrdnern begleitet worden.

Fakt ist: Auf der Rampe standen vielzu wenig Pusher, und das erfuhren Poli-zisten schon Stunden vor der Katastro-phe.

Ihre Reaktion? Keine bekannt. Um14.42 Uhr dokumentiert eine Lupus-Mel-dung, dass sich die Lage deshalb immermehr zuspitzt: Die Besucher blieben obeneinfach stehen, deshalb gebe es einenRückstau bis in den Tunnel.

Jetzt beginnt sie, die entscheidendeZeit, in der auch kleine Fehler immergleich fatale Fehler sein werden, die sichnicht mehr ausgleichen lassen.

Nach der Katastrophe hatte Crowd-Ma-nager Walter in einem SPIEGEL-Inter-view gesagt, schon gegen 14.30 Uhr habeer die Polizei rufen wollen, wegen derBesucher, die sich oben an der Rampestauten. Nur habe der Verbindungspoli-zist, der mit ihm in einem Container ander Rampe saß, kein Funkgerät dabeige-habt, um einen Vorgesetzten zu rufen. Ei-nen Einsatzführer, der etwas hätte ent-scheiden dürfen.

Falsch, bügelte später Wehe, der In-spekteur, im Landtag diesen Vorwurf weg;„der hatte ein Funkgerät“. Aber das warallenfalls die halbe Wahrheit. Denn imContainer gab es wegen des Schichtwech-sels nacheinander zwei Verbindungsbe-amte. Und der Kollege der Frühschicht,Polizeioberkommissar P., sagte bei derStaatsanwaltschaft aus: Nein, ihm sei gar

kein Funkgerät für den Einsatz zugeteiltworden. Warum nicht? Weil bei der Poli-zei vorher „bereits bekannt war“, dassder Funk im Tunnel und in anderen Tei-len des Einsatzgebiets „nicht funktio-niert“.

Ob der Beamte der Spätschicht einFunkgerät am Mann hatte, ist umstritten.Crowd-Manager Walter sagt nach wie vor,er habe keines bei ihm gesehen. Stattdes-sen habe der Beamte versucht, seine Leit-stelle per Handy zu erreichen.

Solche Polizeihandys sollten eigentlicheine sogenannte Vorrangschaltung haben,auch noch durchkommen, wenn die örtli-chen Mobilfunkzellen überlastet sind. Da-für hätte die Polizeiführung nach Ermitt-lerrecherchen zwei Dinge tun müssen:Handys bei der Bundesnetzagentur alsVorrang-Handy anmelden. Und sie beiBedarf beim Mobilfunkunternehmen frei-schalten lassen. Doch laut den Ermittlun-gen hatte die nordrhein-westfälische Poli-zei nur einen „verschwindend geringen“

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auf der Rampe: Ein Menschenberg, verklemmt, verkeilt – und unten liegen die ersten Toten

Teil ihrer Handys überhaupt bei der Bun-desnetzagentur gemeldet, wie es in einemAuswertungsvermerk heißt: das ganze Po-lizeipräsidium Duisburg zum Beispiel nur5. Köln 10. Düsseldorf 13.

Aber noch nicht einmal diese „ge-flaggten“ Handys waren demnach freige-schaltet. Dazu sei es erst abends gegen 21Uhr gekommen, Stunden nach der Kata-strophe. Das Fazit der Ermittler: Wärenalle Polizeihandys rechtzeitig angemeldetund freigeschaltet gewesen, wäre es „mitan Sicherheit grenzender Wahrscheinlich-keit“ zu keinen oder höchstens zu kleine-ren Problemen mit dem überlasteten Netzgekommen. „Um den Erfolg des laufendenErmittlungsverfahrens nicht zu gefährden,dürfen und wollen wir uns nicht zu dessenInhalten äußern“, sagte Ludger Harmeier,Sprecher des NRW-Innenministeriums, zuden Vorwürfen. In Polizeikreisen heißt es,man habe anstelle einer formalen Vorrang-schaltung eine „Priorisierung“ direkt mitdem Mobilfunkanbieter vereinbart.

Doch nach Erkenntnissen der Ermittlerfunktionierten schon am Nachmittag vie-le Polizeihandys nicht, etwa um 15.30 Uhrin der Fünfzehnten Hundertschaft vonThorsten M. Es ist jene Kölner Einheit,die erst seit wenigen Minuten im Einsatzist und die Vierte aus Bielefeld gerade ab-gelöst hat. Jetzt muss ihr Führer auf derRampe wichtige Entscheidungen treffen,während seine Beamten kaum Zeit ha-ben, sich zurechtzufinden, „vor die Lage“zu kommen, wie es M. später bei seinerVernehmung nennen wird.

Die Beamten müssen sich in diesemMoment vorkommen, als wären sie mitdem Fallschirm in ein Kampfgebiet abge-worfen worden, mitten in die Schlacht.Ihr Funk fällt immer wieder aus, auchnach mehreren Kanalwechseln gibt es

kaum Verbindung. Handys funktionierennicht, von etwa 15.30 bis 18 Uhr, wie M.den Ermittlern schildert. Der Auftrag än-dert sich alle paar Minuten. Von oben dasDröhnen harter Einschläge, Beats mit750000 Watt Musikleistung. Im proviso-rischen Befehlsstand ihre Führer, zusam-men mit dem Crowd-Manager. Lagebe-sprechung im Container.

Sie entscheiden jetzt, sofort die beidenEingänge zu schließen, den im Westen,den im Osten; der Crowd-Manager gibtden Befehl an seine Schleusenwärter vorden Tunneln durch, fordert eine Bestäti-gung, dass sie jetzt keinen mehr durchlas-sen. So soll die Rampe entlastet werden,bis sich der Stau oben an der Kante auf-gelöst hat. Die Fünfzehnte muss helfen,mit zwei Polizeiketten. Der erste Zug stelltsich im Osttunnel auf, der dritte Zug imWesttunnel, nur je ein paar Dutzend Be-amte, mehr hat der Abschnitt dafür jetztnicht. Und etwas später fällt die Entschei-dung, auch noch eine Polizeikette auf derRampe aufzubauen. Die soll verhindern,dass Besucher, die schon gehen wollen,von oben die Rampe herunterlaufen.

Nur womit diese Kette ziehen? Es bleibtnur noch der Zweite Zug, doch der hat ei-nen anderen Auftrag: im Außengelände si-chern. Einige Beamte bleiben deshalb aufihren Posten, 20 rennen zur Rampe. Aber20, das reicht nicht, um die Kette oben amRampenkopf zu bilden, dafür brauchteman, wie ein Polizist später den Ermittlernvorrechnet, mindestens eine Hundert-schaft. Also stellen sich die 20 des ZweitenZugs unten auf die Rampe. An eine Stelle,an der Gitter stehen, die dort eigentlichgar nicht hätten stehen sollen, weil sie dieRampe verengen. Die Kette kann abernicht verhindern, dass immer noch Besu-cher auf dem Heimweg die Rampe herun-terlaufen, nach unten, in ihren Rücken.

Wer die Idee für diese Kette hat, ist un-klar; die Staatsanwaltschaft sagt, derCrowd-Manager. Aber der Führer desZweiten Zugs gab in seiner Vernehmungan, er selbst habe sich das einfallen lassen.Die Polizei also. Diese Kette unten aufder Rampe wird dem Menschenschwall,der später aus den Tunneln strömen wird,dann noch weniger Platz lassen.

Im Prinzip ist die Idee der Ketten trotz-dem nicht falsch. Im Vermerk der Staats-anwaltschaft heißt es, auf diese Weise hät-te man durchaus Zeit gewinnen können,um den Stau am Rampenkopf aufzulösen.Bislang haben die Ermittler weder Poli-zeirat H. noch Hundertschaftsführer M.zu Beschuldigten erklärt. Ohne funktio-nierende Funk- und Handyverbindungenhätten die beiden einfach nicht wissenkönnen, was dann an den Eingangsschleu-sen passieren würde. Und wie dann eineszum anderen und alles zusammen zumTod von 21 Menschen führte.

Die Eingänge sind nämlich gar nichtdicht. Lupus verzeichnet um 16.03 Uhr Tu-

multe vor den Schleusen, Panikgefahr. ImOsten beginnt der Schleusenmeister vonLopavent wieder mit Stoßöffnungen, umden Druck aus der Menge zu nehmen, im-mer wieder für ein paar Minuten, auf, zu,auf, zu. Im Westen bekommt sein Ordner-kollege offenbar einen fatalen Befehl. DenStaatsanwälten sagte er, gegen 16 Uhr habeihn ein Polizeibeamter angewiesen, denDurchgang aufzumachen. Die angeblicheBegründung des Uniformierten: Sonst lau-fe „seine“ Straße über, für die er vor demWesttunnel zuständig sei. Bis in den Januarhatte die Staatsanwaltschaft nicht klärenkönnen, wer dieser Beamte war.

Doch es kam noch schlimmer. Um16.31 Uhr will ein Sanitäterteam aus demTunnel herausfahren, im Krankenwagenein Mann mit einem lebensgefährlichenZuckerschock. Doch an der Schleusedrängen sich Tausende Menschen.

Es ist ein Polizeioberkommissar, der nunentscheidet, ein Zaunelement auszuhän-gen, um Platz für den Sani-Wagen zu schaf-fen. Tatsächlich kann sich das Fahrzeugdurch den Pulk quetschen, der zum Party-gelände drängt, aber nur um den Preis,dass für Minuten Hunderte Raver unge-bremst in den Tunnel laufen. Von all demerfährt Polizeirat H. auf der Rampe nichts.

Kurz danach filmen Überwachungska-meras, wie der Tunnel regelrecht vonMenschen geflutet wird. Die Polizeikettenin der Unterführung sind bereits zusam-mengebrochen, und nun gerät auch dieKette auf der Rampe von zwei Seiten un-

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Gedenkkreuz an der Treppe bei der Rampe: Das

Carsten Walter, Crowd-Manager

Der Psychologe steuerte am Tag der Love Parade die Besucherströme. Als die Lage eskalierte und er Polizeiunterstützung brauchte, warlange kein weisungsbefugter Beamter zu erreichen. Gegen Walter ermittelt die Staatsanwalt-schaft.

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ter Druck, von unten, von oben, bis sienicht mehr gehalten werden kann.

Die Rampe. 26 Meter breit, 130 Meterlang. Betonwände auf beiden Seiten. Undan der Wand links die schmale Treppe.

Die Todestreppe.Sie hatten es gerade aus dem Tunnel

geschafft, Ina und ihre Bekannten, jetztstanden sie im Gedränge, auf der Rampe,aber Ina hatte keine Ahnung, wo sie wa-ren. Kein Schild, keine Lautsprecher-durchsage, sie sah nur die Köpfe; Köpfe,die ganze Rampe hoch. Ging es da obenweiter? Oder war das eine Sackgasse?

Sie sagt zu ihren Bekannten, da links,die Treppe. Sie wundert sich. So einekleine Stiege, das soll der Eingang zurLove Parade sein? Aber wo sonst? Alsozur Treppe, die Ersten laufen dort schonnach oben, auch Ina denkt jetzt, dass diesder einzige Weg für sie alle ist.

Für 21 wird es der Weg in den Tod.Alle drängen, drücken zur schmalen

Treppe, sie stehen so eng, dass sie kaumnoch Luft in die Lungen ziehen können,und nun beginnt das Meer der Köpfe vordieser Treppe zu wogen, hin und her, wieÄhren im Wind, und dann, ganz langsam,drückt es die Ersten zurück nach hinten,und die Nächsten, und die Nächsten aufdie Nächsten, und sie liegen übereinan-der, schichten sich auf, und die in diesemBerg liegen, können ihre Arme nichtmehr bewegen, ihre Beine nicht, undmanchmal nicht mal mehr ihre Finger.Sind verklemmt, verkeilt, eine dichte

Masse Mensch, ein Menschenberg. Untenliegen die Toten. Und die Polizisten inder Nähe haben Glück gehabt, dass sieselbst nicht hineingezogen worden sind.Können nicht mehr alle retten, manchenur noch ihr eigenes Leben. Es ist dieschlimmste Art für einen Polizisten, sichdas Versagen einzugestehen: danebenzu-stehen, wenn andere sterben.

Erst um 16.48 Uhr kommt aus dem Füh-rungsstab der Polizei endlich der Not-stopp-Befehl, beide Eingänge und die Vor-sperren auf dem Weg dorthin zu schlie-ßen. Sofort, total, rigoros, mit der 18.Hundertschaft, die – endlich – als Verstär-kung an die Westschleuse geschickt wird.Es dauert am Ende nur ein paar Minuten.Dann ist geschafft, was schon viel früherhätte passieren müssen: den Ansturm derRaver komplett zu stoppen.

Staatsanwälte gegen die Polizei

Das also sind die Ereignisse, wie sie sichfür die Staatsanwaltschaft Duisburg imJanuar darstellten, der Weg in eine Kata-strophe. Die Ermittlungen sind inzwi-schen weitergegangen, aber was soll sichnoch ändern? Wer von einem „Unglück“spricht, wie das Innenminister Jäger nachder Love Parade getan hat, wird dafür inden Akten bislang kaum Belege finden.Es geht nicht um unglückliche Umstände,es geht um unfassbares Unvermögen.Nicht um schicksalhafte Wendungen, son-dern um krasses Versagen.

Derzeit 16 Beschuldigte führt die Staats-anwaltschaft; nicht Sauerland, den Ober-bürgermeister, der die Love Parade unbe-dingt in Duisburg fahren lassen wollte,nicht Schaller, den Lopavent-Geschäftsfüh-rer und McFit-Chef, der den Massenauf-lauf als Marketing-Mittel sah. Beide warenwomöglich zu weit weg von Anträgen undGenehmigungen, von Tunnel und Rampe,als dass sie strafrechtlich für das Debakelgeradestehen müssten. Aber wohl ihre Mit-arbeiter. Bei der Stadt die DezernentenRabe und Dressler, die Männer und Frauenaus dem Bauamt, dem Ordnungsamt, demBezirksamt, und bei Lopavent der Sicher-heitschef oder der Crowd-Manager.

Bei der Polizei allerdings ist es umge-kehrt. Dort muss sich der erste Mann ver-antworten, der Leitende PolizeidirektorKuno S. Und damit könnte auch die Ver-teidigungslinie von Innenminister Jägerund Inspekteur Wehe in sich zusammen-fallen: dass es vielleicht ein paar kleinereFehler bei der Polizei gegeben hat, aberkein Großversagen.

Das Versagen der Polizei ergibt sichaus der Summierung von Unzulänglich-keiten, aus der Verkettung von Fehl- oderNichtentscheidungen, die am Ende in dieKatastrophe führten – wobei nicht jedesVersäumnis mit den Mitteln des Straf-rechts verfolgt werden kann. Dem Poli-zeiführer S. werfen die Staatsanwälte vor,im Einsatzzentrum der Polizei über dieAußenkameras alles im Blick gehabt zuhaben: den Menschenpfropf am Kopf derRampe, schon gegen 15 Uhr, die fehlen-den Pusher dort oben. Und er habe wis-sen müssen, dass im T-Stück doch viel zuwenig Kräfte standen, als er am Nachmit-tag erfuhr, dass der Crowd-Manager diePolizei längst um Hilfe gerufen hatte.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt, gegen15.40 Uhr, so die Staatsanwälte, hätteKuno S. als oberster Polizist der Love Pa-rade handeln müssen: mit Verstärkungen,die er ins T-Stück schickt und an die Ein-gänge. Er hätte die Schleusen demnachsperren lassen müssen, notfalls mit allerGewalt. So wie es der Führungsstab dannja auch anordnete, aber eben erst um16.48 Uhr, als es zu spät war. Warum dasnicht auch schon früher hätte möglichsein sollen? Die Staatsanwälte haben dar -auf keine Antwort gefunden. Der Anwaltvon Kuno S. weist den Vorwurf, sein Man-dant habe um 15.40 Uhr „polizeilicheMaßnahmen pflichtwidrig unterlassen“,als „unbegründet“ zurück.

Dennoch verdächtigen die Ermittler S.nun der fahrlässigen Tötung, der fahrlässi-gen Körperverletzung. Weil er nicht getanhabe, was getan werden musste: die Gefahrabwehren. Aber wer hat das an diesemTag schon? Und in den Wochen davor?

Es gibt offenbar keine Unschuldigenmehr bei dieser Love Parade. Außer 21Opfern. ANDREA BRANDT, GEORG BÖNISCH,

JÜRGEN DAHLKAMP, SVEN RÖBEL

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soll der Eingang zur Love Parade sein?