Upload
others
View
1
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
11
Ethik & Ökonomie
Konzeptionelle Grundlagen und
unterrichtspraktische Beispiele
Prof. Dr. Dirk Loerwald
2
Allgemeinbildung und ökonomische Bildung
Funktionenwissen/
Orientierungswissen
Gesellschaftliche
Teilhabe und
Mitgestaltung
Der Beitrag der ökonomischen Bildung zu …
Lebens-
bewältigung
Instrumentelles
Wissen
Persönlichkeits-
entwicklung
Wertebildung
3
Ausgangsüberlegung
Moral muss mehr sein, als eine gute Absicht oder eine ethische Gesinnung!
Es gilt nicht nur zu wissen, was gut und richtig ist, sondern auch, wie man
das Richtige und Gute unter den Bedingungen der modernen Wirtschaft
umsetzen kann, ohne die Vorzüge des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs
aufgeben zu müssen.
4
Ethik in modernen Gesellschaften
Kleingruppenkontext
Zentrale Kennzeichen
Großgruppenkontext
Transparenz
Face-to-Face-Interaktion
Emotionale Verbundenheit
soziale Kontrolle
Informelle Sanktionen
Individualethik
Intransparenz
Anonymität
Eigeninteresse
Selbstkontrolle (Anreize)
institutionelle Sanktionen
Institutionenethik
Zentrale Kennzeichen
5
Wirtschaftsethik – Gibt‘s das überhaupt?
„Meine Vermutung ist, dass die
Wirtschaftsethik zu der Sorte von
Erscheinungen gehört wie auch [...]
die englische Küche, die in der
Form eines Geheimnisses auftreten,
weil sie geheim halten müssen,
dass sie gar nicht existieren."
Niklas Luhmann
Soziologe
1927-1998
6
Ein kleines Gedankenexperiment
Drei Wanderer finden auf der Straße 300.000,- Euro.
Wie kann das Geld gerecht aufgeteilt werden?
7
Entscheidungsexperimente
Das Diktator-Spiel
Spieler A teilt 100,- Euro auf sich
und Spieler B nach eigenem Ermessen auf
Das Ultimatum-Spiel
Spieler A teilt 100,- Euro nach eigenem Ermessen auf
Spieler B entscheidet, ob er annimmt oder nicht
nimmt er nicht an, bekommt A auch kein Geld
8
Ethische Grundlagen der Marktwirtschaft
Adam Smith
Moralphilosoph
1723-1790
9
Ethische Grundlagen der Marktwirtschaft
Die moralische Qualität marktwirtschaftlichen Wettbewerbs
Wohlstand und
Freiheit aller durch
die Effizienz des
Wettbewerbs
Wettbewerb
als Entmachtungs-
instrument
Konsumenten-
souveränität
10
Ethik und Ökonomie im Spannungsverhältnis
Wirtschaftsethische
Problemfelder
Korruption
Whistleblowing
Versicherungsbetrug
Steuerhinterziehung
(Un-)Faire LöhneProduktmängel
Werbung
…
Illegale Märkte
Umweltverschmutzung
Pharmapatente
Produkt- und
Markenpriaterie
Tierhaltung
Arbeitslosigkeit
Armut
Falschberatung
Spekulation
Schwarzarbeit
Wirtschaftskriminalität
Finanzmärkte
11
Wirtschaftsethik – Zwei Definitionen
In der Wirtschaftsethik geht es darum, „das buchstäblich fragwürdig
gewordene Verhältnis zwischen ökonomischer Sachlogik und ethischer
Vernunft von Grund auf zu klären und es in zukunftsfähiger, lebensdienlicher
Weise neu zu bestimmen.“
Ulrich, P. (1998). S. 12.
„Wirtschaftsethik (Unternehmensethik) befasst sich mit der Frage, wie
moralische Normen und Ideale unter den Bedingungen der modernen
Wirtschaft (von den Unternehmen) zur Geltung gebracht werden können.“
Homann, K. /Blome-Drees, F. (1992). S. 14.
12
Das Feld der Wirtschaftsethik
Individualethische
Konzeptionen
Institutionenethische
Konzeptionen
Mikroebene
Verhalten einzelner Wirtschaftssubjekte
Makroebene
Rahmenbedingungenwirtschaftlichen Handelns
Mesoebene
Unternehmen/Organisationen
Unternehmensethische
Konzeptionen
13
Individualethischer Ansatz
Ausgangsthese:
Die ökonomische Sachlogik ist in einen
Gegensatz zu den Anforderungen der
ethischen Vernunft getreten.
Zielsetzung:
Die Ökonomie mit Hilfe der Ethik neu zu
bestimmen
Ansatzpunkt:
Handlungsgesinnungen der Akteure
Leitsatz: Mit Ethik zu einer lebensdienlicheren Ökonomie
14
Institutionenethischer Ansatz
Ausgangsthese:
Eine moralische Norm hat keine
Gültigkeit, solange ihre Durchsetzung
nicht sichergestellt ist.
Zielsetzung:
Der Moral in modernen Gesellschaften über
Anreizgestaltung zur Wirkung verhelfen
Ansatzpunkt:
Handlungsbedingungen einer sozialen Situation.
Leitsatz: Mit Ökonomik zu einer höheren Wirksamkeit von Moral
15
Makroebene:
Mikroebene:
Rahmen-
bedingungen
soziale
Phänomene
VerhaltenAnreize
Persönlichkeits-
variablen
Handlungsgesinnungen und
Handlungsbedingungen
16
Beispiel: Plastikmüll
17
Individualethischer Ansatz: Appelle/ Aufklärung
18
Institutionenethischer Ansatz: Regeländerung
Spiegel-Online vom 09.02.2016 – 19:30 Uhr
19
Primat der Institutionenethik!
Die Vermittlung des institutionenethischen Ansatzes ist die zentrale Aufgabe für
eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit Ethik im Wirtschaftsunterricht.
Zwei Argumente:
(1) Andere Schulfächer, in denen ethische Fragestellungen behandelt werden
(z. B. Religion, Philosophie, Pädagogik etc.), sind individualethisch
ausgerichtet und institutionenethische Ansätze geraten nicht in den Blick.
(2) Individualethische Appelle geraten in der modernen Gesellschaft
zunehmend an Grenzen.
Ethik im Wirtschaftsunterricht
20
Kuvert-Spiel
Ausgangssituation: Sie erhalten ein Startkapital (z.B. Spielgeldnote) und ein Kuvert
Ziel: möglichst viel (Spiel-)Geld erwirtschaften
Entscheidung: Startkapital behalten oder ins Kuvert stecken
Spielleitung: Kuverts einsammeln
alle im Kuvert befindenden Geldnoten verdoppeln
zufällige Rückgabe der Kuverts (nicht das eigene!)
Individuelles Ergebnis: Inhalt des Kuverts und das ggf. einbehaltene Startkapital.
21
Kuvert-Spiel
Ergebnis-Matrix
Alle Anderen
Individuum
Geld ins
Kuvert
stecken
Geld
einbehalten
Geld ins Kuvert stecken Geld einbehalten
I III
II IV
bestes
kollektives Ergebnis
bestes
individuelles Ergebnis
schlechtestes
individuelles Ergebnis
schlechtestes
kollektives Ergebnis
(Trittbrettfahrerposition)
22
Kuvert-Spiel
Spielvariationen
Mit und ohne Anonymität (konkreter Tauschpartner zugewiesen)
Mit und ohne Absprachen
Mit geschenktem oder selbst verdientem Spielgeld
Mit oder ohne Schwelle (mind. 2/3 der Kuverts müssen voll sein)
23
„Eine Dilemmastruktur charakterisiert die Situation, in der Interessenkonflikte
die Realisierung der gemeinsamen Interessen verhindern. […]
(Homann/Suchanek 2005, S. 31 und S. 34)
Dilemmastrukturen
24
B
A
schweigt
gesteht
schweigt gesteht
A: 2 Jahre Haft
B: 2 Jahre Haft
A: 0 Jahre Haft
B: 12 Jahre Haft
A: 12 Jahre Haft
B: 0 Jahre Haft
A: 10 Jahre Haft
B: 10 Jahre Haft
I III
II IV
Das Gefangenendilemma
25
Individuen verfolgen sowohl gemeinsame als auch konfligierende Interessen
der Einzelne kann keinen spürbaren Beitrag zur Problementschärfung leisten
individuelle und kollektive Interessen konfligieren
Anonymität (Trittbrettfahrer-Problematik)
(vgl. für viele Homann, H./Suchanek, A. 2005, S. 37 f., Karpe, J./Krol, G.-J 1997, S. 85 ff. oder Ernst, A. 1997, S. 18 ff.)
Zentrale Merkmale sozialer Dilemmata
26
z. B. Rollenspiel
(Eggert/Hübner 1997)
z. B. Kuvertspiel
(Schweizer
Nationalbank 2008:
Projekt iconomix)
z. B. Fischerspiel
(Ziefle 2000)
Gefangenendilemma
Verschiedene Ausprägungen Sozialer Dilemmata
Zweipersonen-Dilemmata
(Modelltheoretische Vereinfachung)
Mehrpersonen-Dilemmata
(Rekonstruktion gesellschaftlicher Probleme)
Beitragsdilemma Nutzungsdilemma
Weitere Dilemma-Spiele
27
Δ Wissen Δ Bewusstsein Δ Verhalten
enge
ZusammenhängeDiskrepanzen
nachvollziehbar durch
institutionenethische Analyse
Δ Handlungs-
bedingungen
Implikationen für Bildungsprozesse:Grenzen eines moralisierendes Unterrichts
28
Die sozialökonomische Kartographierung als
Methode zur Schärfung einer
institutionenethischen Perspektive
29
Falschberatung in Banken
G-20-Gipfel am 02.09.2009
„Die Behörden empfehlen den
Angestellten aus der Londoner
Finanzbranche während des
G20-Gipfels auf ihre formelle
Kleidung – Krawatte, Hemd und
Anzug – zu verzichten. Damit
sollen Übergriffe durch
Aktivisten vermieden werden.“
Wut in der Bevölkerung
30
Falschberatung in Banken
Finanztest 01/2010, S. 22-26
31
Falschberatung in Banken
"Die Chronik der Krise gleicht einer Saga aus Gier und Größenwahn“
(Quelle: Stern, 40/2008)
"Gier-Banker haben uns abgezockt!"
(Quelle: Bild-Zeitung vom 01.07.2009)
"Gier ohne Grenzen"
(Spiegel-Dossier, abgerufen am 14.08.2009)
32
Falschberatung in Banken
Genug ist noch zu wenig -
Warum regiert uns die Gier?
Sendung vom 20.01.2010
33
Falschberatung in Banken
„Die Finanzmakler müssen die eigentlich ethische Grundlage ihrer Tätigkeit wieder
entdecken, um nicht jene hoch entwickelten Instrumente zu missbrauchen, die dazu dienen
können, die Sparer zu betrügen.“ […]
„Die Wirtschaft braucht nämlich für ihr korrektes Funktionieren die Ethik; nicht irgendeine Ethik,
sondern eine menschenfreundliche Ethik.“
(Quelle: „Caritas in Veritate“. Enzyklika
von Papst Benedikt XVI. Juli 2009.)
34
Falschberatung in Banken
"Alle individuellen Kategorien
wie Egoismus oder Gier führen
in die Irre. […] Unser ganzer
Wohlstand beruht auf dem
Gewinnstreben, auf dieser Gier.“Prof. Dr. em. Karl Homann
35
Falschberatung in Banken
Eine institutionenethische Analyse
Ein Systemversagen kann nicht in erster Linie durch individuelles
Fehlverhalten erklärt werden!
Es ist zu fragen, wie das System solches Fehlverhalten ermöglicht und
angereizt hat.
In der Sprache des Sports:
Es geht nicht nur darum, die moralische Qualität der Spieler in Frage zu
stellen, sondern auch darum, die moralische Beschaffenheit der
Spielregeln zu überprüfen.
36
Systembedingte Ursachen
Mitarbeiter/innen in Banken …
verkaufen z. T. Produkte, die sie nicht in vollem Umfang verstehen,
beraten und verkaufen zugleich,
erhalten leistungsorientierte Bonuszahlungen, die die Objektivität
der Beratung verzerren können und
stehen unter Verkaufsdruck.
Zwei ökonomische Erklärungsansätze:
Finanzprodukte als Vertrauensgüter
Geldanlageberatung als Prinzipal-Agenten-Beziehung
37
Qualitätsmängel auf Vertrauensgütermärkten
janein
ja ja
neinneinVertrauensguteigenschaften
Suchguteigenschaften
Erfahrensguteigenschaften
Beurteilbarkeit von
Qualitätseigenschaften
ex ante ex post
38
Qualitätsmängel auf Vertrauensgütermärkten
Vertrauen in
Personen
Vertrauen in
Institutionen
39
Die Prinzipal-Agenten-Theorie
beauftragt
leistet
Eigen-
interesse
Eigen-
interesse
Asymmetrische Information
Prinzipal Agent
Auftragsbeziehungen aus Sicht der Prinzipal-Agenten-Theorie
40
Die Prinzipal-Agenten-Theorie
Interessen
der Bank
Interessen
der Kunden
Interessen der
Vertriebsmitarbeiter
Ebene des
Prinzipals
Ebene des
Agenten
hidden action
hidden characteristicshidden intention
hidden information
41
Rahmenbedingungen
Handlungssituationen
Interessen/
Motive/
Präferenzen
Die Sozialökonomische Kartographierung
42
Falschberatung in Banken
Die Sozialökonomische Kartographierung
43
Falschberatung in Banken
Eigeninteresse/
Gier
Loyalität
zur Bank
Kunden-
zufrieden-
heit
Finanzkrise/
hohe private Verluste
erfolgs-
orientierte
Ent-
lohnungs-
systeme
Verkaufs-
druck
Banken-
kodex
Verbraucherministerium
(Qualitätssicherung)
Wertpapier-
handels-
gesetz/
BGH-Urteil
Die Sozialökonomische Kartographierung
44
Das Feld der Wirtschaftsethik
Individualethische
Konzeptionen
Institutionenethische
Konzeptionen
Mikroebene
Verhalten einzelner Wirtschaftssubjekte
Makroebene
Rahmenbedingungenwirtschaftlichen Handelns
Mesoebene
Unternehmen/Organisationen
Unternehmensethische
Konzeptionen
45
Kontakt
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Fakultät II, Department für Wirtschafts-
und Rechtswissenschaften
Institut für Ökonomische Bildung
Ammerländer Heerstraße 114 - 118
26129 Oldenburg
Tel.: +49 (0) 441 798-2651
Fax: +49 (0) 441 798-2970
Sekretariat: +49 (0) 0441 798-2638
E-Mail: [email protected]
Institut für Ökonomische Bildung
gemeinnützige GmbH (IÖB)
Bismarckstr. 31
26122 Oldenburg
Tel.: +49 (0) 441 361303-49
Fax: +49 (0) 441 361303-99
Sekretariat: +49 (0) 441 361303-13
E-Mail: [email protected]