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UMGRENZUNG DER AUFGABE Es ist nicht unsere Aufgabe, im Rahmen des vorliegenden Buches eine voll- ständige Geschichte der Etrusker zu bieten; wir beschränken uns vielmehr darauf, die Geschicke dieses Volkes bis in die Zeit der endgültigen Konsolidierung seiner Macht in Italien zu verfolgen und vor allem zu dem schon so vielfach behandelten „Etruskerprobleme" Stellung zu nehmen. Das „Etruskerproblem" betrifft die noch nicht zu allseitiger Zufriedenheit und in gegenseitiger Übereinstimmung beantwortete Frage nach der Herkunft des etruskischen Volkes. Zwei Meinungen stehen sich auch gegenwärtig noch gleichsam feindlich gegenüber: Die eine Gruppe von Forschern hält die Etrusker für ein ursprünglich kleinasiatisches Volk. Die Vertreter dieser Ansicht 1 ) lassen die Etrusker je nach ihrer individuellen Einstellung zu irgendeinem Zeitpunkte zwischen 1200 und 600 zur See von Kleinasien aus in Etrurien einwandern. Den Anschauungen der zweiten Gruppe 2 ) ist gemeinsam, daß sie die kleinasiatische Abstammung der Etrusker ablehnen, in ihnen vielmehr ein wie jetzt fast allgemein anerkannt zwar nicht indogermanisches, aber europäisches Volk sehen, das ent- weder in früher Zeit von Norden gekommen sei oder in Italien geradezu die Rolle eines Urvolkes gespielt habe. Die Stellungnahme zur Etruskerfrage wird dadurch erschwert, daß das für die Beweisführung vorliegende Material verschiedenen Disziplinen der Altertums- forschung angehört. Sie kann beurteilt werden vom Standpunkte des Prä- historikers, des Archäologen, des Historikers, des Sprachforschers und des Orienta- listen, sollte aber eigentlich von einer Seite Behandlung finden, welche die gesamten *·) So u. a. G. Karo, Antike I S. 216 (vertritt die Ansicht, daß die Etrusker schon im Verlaufe der ägäischen Wanderung aus Kleinsaien ausgewandert seien); Lehmann-Haupt, Klio IV S. 394f.; G-N, S. g. io2f. (seit ca. 1050); A. Furtwängler, Antike Gemmen III S. 24!. (n. Jahrhundert); E. Brandenburg, Die Felsarchitektur bei Jerusalem 1926 S. 270 (erste Welle im u. Jahrhundert, zweite vor oder um 800); Herbig, Reall. d. Vorgesch. s. v. Etrusker B S. is8f. (erste Auswanderungswelle n. Jahrhundert; wenig Nachschub . bis 8. Jahrhundert; zweite stärkere Welle 7. Jahrhundert); v. D u h n , Reall. d. Vorgesch. s. v. Etrusker A S. 133 (ca. 1000); U. Wilcken, Griech. Gesch. 2.Aufl. 8.27. 43. 244 (ca. 1000); v. Skala S. 25ff. (9. Jahrhundert); Fell, Etruria and Rome S. iff., bes. S. zi (ca. 850); M. Tver, Villanovians and Etruscans S. 257ff. (850—800); G. Körte, P-W s. v. Etrusker S. 73iff. (8. Jahrhundert); Ducati, Etruria antica S. zöff. (7. Jahrhundert); E. Korne- mann, Die Stellung der Frau in der vorgriech. Mittelmeerkultur, S. 37 (ohneZeitangabe). Debrunner in Debrunner-Stolz, Gesch. d. lat. Sprache (Sammlung Göschen 492), S. 60 (ohne Zeitangabe); Mühlestein, S. 2$if. Überseeische Herkunft der Etrusker (ohne Angabe des Ursprungslandes) nimmt E. Meyer an, Gesch. d. Altert. I 2 § 528 A; II i S. 556 A. 2. Kleinasiatische Herkunft, aber Einwanderung in sehr früher Zeit zu Lande nimmt an F. Weege, Etruskische Malerei S. 65ff. (Vgl. auch die Nachträge). *) Die Etrusker als italisches Urvolk bes. bei Schuchhardt, Prähist. Z. XVI 1925 S. logff. XVII 1926 S. 275!; für die Einwanderung von Norden u. a. Heibig, Die Italiker in der Poebene S. looff.; Annali 1884 S. io8ff.. Vgl. ferner Beloch, G-N S. 2O4ff.; L. Pareti, Le origini etrusche 11926; J. Sundwall, Villanova-Studien, S. 112 ff.; v. Bis- sing, Turuscha S. 7? . Weitere Literatur bei Ducati I S. 3iff. 58ff. (Vgl. auch die Nachträge). Brought to you by | Heinrich Heine Universität Düsseldorf Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 11/15/13 8:15 AM

Etruskische Frühgeschichte () || Umgrenzung der Aufgabe

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Page 1: Etruskische Frühgeschichte () || Umgrenzung der Aufgabe

UMGRENZUNG DER AUFGABEEs ist nicht unsere Aufgabe, im Rahmen des vorliegenden Buches eine voll-

ständige Geschichte der Etrusker zu bieten; wir beschränken uns vielmehr darauf,die Geschicke dieses Volkes bis in die Zeit der endgültigen Konsolidierung seinerMacht in Italien zu verfolgen und vor allem zu dem schon so vielfach behandelten„Etruskerprobleme" Stellung zu nehmen.

Das „Etruskerproblem" betrifft die noch nicht zu allseitiger Zufriedenheitund in gegenseitiger Übereinstimmung beantwortete Frage nach der Herkunftdes etruskischen Volkes. Zwei Meinungen stehen sich auch gegenwärtig nochgleichsam feindlich gegenüber: Die eine Gruppe von Forschern hält die Etruskerfür ein ursprünglich kleinasiatisches Volk. Die Vertreter dieser Ansicht1) lassendie Etrusker je nach ihrer individuellen Einstellung zu irgendeinem Zeitpunktezwischen 1200 und 600 zur See von Kleinasien aus in Etrurien einwandern. DenAnschauungen der zweiten Gruppe2) ist gemeinsam, daß sie die kleinasiatischeAbstammung der Etrusker ablehnen, in ihnen vielmehr ein — wie jetzt fast allgemeinanerkannt — zwar nicht indogermanisches, aber europäisches Volk sehen, das ent-weder in früher Zeit von Norden gekommen sei oder in Italien geradezu die Rolleeines Urvolkes gespielt habe.

Die Stellungnahme zur Etruskerfrage wird dadurch erschwert, daß das fürdie Beweisführung vorliegende Material verschiedenen Disziplinen der Altertums-forschung angehört. Sie kann beurteilt werden vom Standpunkte des Prä-historikers, des Archäologen, des Historikers, des Sprachforschers und des Orienta-listen, sollte aber eigentlich von einer Seite Behandlung finden, welche die gesamten

*·) So u. a. G. Karo, Antike I S. 216 (vertritt die Ansicht, daß die Etrusker schon imVerlaufe der ägäischen Wanderung aus Kleinsaien ausgewandert seien); Lehmann-Haupt,Klio IV S. 394f.; G-N, S. g. io2f. (seit ca. 1050); A. Furtwängler , Antike Gemmen IIIS. 24!. (n. Jahrhundert); E. Brandenburg , Die Felsarchitektur bei Jerusalem 1926 S. 270(erste Welle im u. Jahrhundert, zweite vor oder um 800); Herbig, Reall. d. Vorgesch. s.v. Etrusker B S. is8f. (erste Auswanderungswelle n. Jahrhundert; wenig Nachschub

. bis 8. Jahrhundert; zweite stärkere Welle 7. Jahrhundert); v. Duhn, Reall. d. Vorgesch.s. v. Etrusker A S. 133 (ca. 1000); U. Wilcken, Griech. Gesch. 2.Aufl. 8.27. 43. 244 (ca. 1000);v. Skala S. 25ff. (9. Jahrhundert); Fell, Etruria and Rome S. iff . , bes. S. zi (ca. 850);M. Tver , Villanovians and Etruscans S. 257ff. (850—800); G. Körte, P-W s. v. EtruskerS. 73iff. (8. Jahrhundert); Ducati , Etruria antica S. zöff. (7. Jahrhundert); E. Korne-m a n n , Die Stellung der Frau in der vorgriech. Mittelmeerkultur, S. 37 (ohneZeitangabe).Debrunner in Debrunner-Stolz, Gesch. d. lat. Sprache (Sammlung Göschen 492),S. 60 (ohne Zeitangabe); Mühlestein, S. 2$if. — Überseeische Herkunft der Etrusker (ohneAngabe des Ursprungslandes) nimmt E. Meyer an, Gesch. d. Altert. I 2 § 528 A;II i S. 556 A. 2. Kleinasiatische Herkunft, aber Einwanderung in sehr früher Zeit zuLande nimmt an F. Weege, Etruskische Malerei S. 65ff. (Vgl. auch die Nachträge).

*) Die Etrusker als italisches Urvolk bes. bei Schuchhardt , Prähist. Z. XVI 1925S. logff. XVII 1926 S. 275!; für die Einwanderung von Norden u. a. Heibig, Die Italikerin der Poebene S. looff.; Annal i 1884 S. io8ff.. Vgl. ferner Beloch, G-N S. 2O4ff.;L. Pareti, Le origini etrusche 11926; J. Sundwall , Villanova-Studien, S. 112 ff.; v. Bis-sing, Turuscha S. 7? . Weitere Literatur bei Ducati I S. 3iff. 58ff. (Vgl. auch dieNachträge).

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88 Zweiter Teil. Die Etrusker

hier angedeuteten Kenntnisse vereinigt, da nur so eine der primitivsten Forde-rungen der Wissenschaft, die völlige Beherrschung des zur Beurteilung vorliegendenGesamtmateriales, Genüge findet. Unsere nachfolgenden Ausführungen ent-sprechen dieser Forderung nicht vollkommen, ja, ihre restlose Erfüllung dürftejenseits der Grenze menschlicher Leistungsfähigkeit liegen (s. S. 5). Immerhinhabe ich mich bemüht, allen in Frage kommenden Disziplinen gerecht zu werdenund sie zur Lösung der zahlreichen Probleme möglichst gleichmäßig heranzuziehen.Lücken blieben allerdings in den Belangen der etruskischen Sprachwissenschaft,doch wären in diesem Wissenszweige ja auch dem engeren Fachmanne bis zumAbschlüsse des CIE und Erscheinen der zugehörigen Indices die Hände gebunden1).

Die historische Überlieferung vermittelt uns für die Beurteilung des Etrusker-problemes recht wertvolle Angaben, welche zugunsten der Einwanderung ausKleinasien sprechen. Dennoch wird man es nicht wagen, auf sie in erster Linie zubauen, da die griechische Überlieferung für die ältere Zeit neben wenigen auf Tat-sachen beruhenden, brauchbaren Angaben viel unverwendbares Gut und vor allemzahlreiche auf spekulativem Wege gewonnene Phantasien bietet, ohne daß wirimmer Mittel und Wege fänden, Brauchbares und Unbrauchbares zu unterscheiden.Beachtenswerte Schlüsse lassen sich aus den Ergebnissen der Kultur- und Religions-geschichte, sowie aus der Geschichte des Alphabetes ziehen, aber auch sie könnennur stützend und nicht aufbauend verwendet werden. Die Nachrichten aus den orien-talischen Quellen werfen schließlich manch helles Schlaglicht auf das Schicksal der Et-rusker in der bewegten Zeit um 1200 v. Chr., führen aber ebenfalls zu keinem Endziele.

Eine restlose Lösung des Etruskerproblemes scheint mir dagegen die Früh-archäologie zu bieten. Es wird sich mit Hilfe der Gräberforschung feststellenlassen, daß in der Zeit zwischen 1000 und 700 alle Grabformen und Beisetzungs-riten, die uns aus Westkleinasien bekannt sind, auch in Etrurien und zwar alsdeutliche Neueinführungen auftreten, für die Italien keinerlei Vorstufen aufzuweisenhat. Grabformen werden aber auf dem Handelswege nicht importiert, am wenig-sten in solcher Geschlossenheit und zwischen räumlich solchermaßen voneinanderabgelegenen Ländern. Es müssen somit namhafte kleinasiatische Volksteile inder angegebenen Zeit nach Etrurien ausgewandert sein, was allein für die Etruskerzutrifft. Diesem ebenso einfachen wie bündigen Beweisverfahren schließt sichan, daß gleichzeitig mit manchen Grabformen und Riten eine größere Anzahlvon Errungenschaften der Kunst und des Kunstgewerbes Kleinasiens — wiederumvorstufenlos — in Etrurien Eingang finden.

Von großer Bedeutung ist schließlich die Verwertung des der Sprachforschungzu dankenden Materiales. Wertvoll für die Feststellung der kleinasiatischen Volks-zugehörigkeit der Etrusker, leistet es besondere Dienste für die mutmaßliche Lo-kalisierung ihrer Heimat innerhalb Kleinasiens.

Wir werden somit zuerst die archäologischen Gegebenheiten als Kronzeugenzu Rate ziehen, um dann in Verbindung mit einer Sichtung des sprachlichen Mate-riales an Hand der historischen Überlieferung der Griechen, Römer und Orientalenein möglichst anschauliches Bild der ältesten Zeit etruskischer Geschichte zu gewin-nen, welch letzterem Bemühen natürlich aber nur soweit Erfolg beschieden seinkann, als die Beschaffenheit des Quellenmaterials eine befriedigende ist.

*) Vgl. die resignierende Stellungnahme G. Herbigs, Etrusker S. 144.

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