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26 Lebensmittel Zeitung LZ 38 18. September 2015 RECHT UND POLITIK Bundeskanzlerin Angela Merkel warnt vor zu restriktiven Regelungen beim Datenschutz: „Daten sind der Rohstoff der Zukunft“, sagte die Kanzlerin beim CDU-Mitgliederkongress „#CDUdigi- tal“ an diesem Wochenende. „Wenn wir die Verbindung zum Kunden nicht richtig aufbauen, dann wird uns ein wesentlicher Teil der Wertschöpfung verloren gehen“, betonte Merkel. Augenmaß fordern auch der Han- delsverband Deutschland (HDE) und der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (Bevh) vor dem Hinter- grund der laufenden Verhandlungen zur EU-Datenschutz-Grundverord- nung. Um ihre Forderungen (siehe Kasten) zu untermauern, stellten die beiden Verbände am Freitag vergange- ner Woche eine Studie des Instituts für Handelsforschung (IfH) vor. Demnach lesen 51 Prozent der Deutschen Daten- schutzbestimmungen im Internet „sel- ten oder nie“. Für die Verbände ein Be- leg dafür, dass die Informationspflich- ten Verbraucher überfordern. „Die sehr komplexen Datenschutzerklärun- gen haben keinen Mehrwert“, bilan- ziert HDE-Hauptgeschäftsführer Ste- fan Genth die Studienergebnisse. Eine grundsätzliche Vereinfachung der Datenschutzvorschriften ist daher eines der zentralen Anliegen der Ver- bände. Bezüglich der Informations- pflichten heißt das für Sebastian Schulz, Leiter Rechtspolitik des Bevh, beispielsweise: „Eine Beschränkung auf die relevanten Informationen und die Option, interessierten Verbrau- chern weitere Informationen auf Nachfrage zur Verfügung zu stellen, wäre sinnvoll“. Nach den in Brüssel diskutierten Plänen seien allerdings eher zusätzliche Informationspflichten zu befürchten. EU-Kommission, EU-Parlament und Ministerrat ringen in den soge- nannten Trilog-Verhandlungen derzeit um das künftige Datenschutzniveau in Europa. Am Mittwoch dieser Woche fand die dritte Verhandlungsrunde statt, insgesamt neun sind bis zum Jahresende terminiert, dann soll das neue Grundgesetz für die Datennut- zung stehen. Voraussichtlich bis Mitte 2018 wäre die Umsetzung in nationa- les Recht zu vollziehen. Für den Einzelhandel geht es um Themen wie Neu- und Bestandskun- denwerbung, Kundenkarten, Bonitäts- bewertungen (Socring) und das soge- nannte Profiling. Daten- und Verbraucherschützer zeigen sich angesichts des im Juni vor- gelegten Ratsentwurfs alarmiert. „Ich habe die Sorge, dass das Schutzniveau abgesenkt wird“, sagt der Berliner Be- auftragte für Datenschutz und Infor- mationsfreiheit, Alexander Dix, gegen- über der LZ. Ein Positionspapier der deutschen Datenschutzbeauftragten fordert Nachbesserungen, „mindes- tens aber einen dem bisherigen Stan- dard gleichwertigen Grundrechts- schutz“. Der Verbraucherzentrale Bun- desverband (Vzbv) meldete sich am Dienstag zu Wort: „Verbraucher müs- sen einwilligen, wenn ihre Daten zu ei- nem anderen Zweck als vereinbart ge- nutzt werden“, forderte Vzbv-Vorstand Klaus Müller. Der EU-Rat drohe eine „rote Linie“ zu überschreiten. Die Wirtschaftsverbände fürchten derweil einen europäischen Flickentep- pich. Zahllose Öffnungsklauseln in den Verordnungsentwürfen ermöglichen abweichende nationale Regelungen. „Von einer echten Harmonisierung kann dann keine Rede mehr sein“, kri- tisiert Peter Schröder, Chefjustitiar des HDE. Noch skeptischer sieht der Inter- net- und Datenschutzrechtsexperte Ni- ko Härting die Entwürfe: „Das Daten- schutzrecht wird sich nicht grundle- gend verändern. Zahlreiche Probleme und Einzelfragen in der Praxis werden bestehen bleiben“, resümiert Härting gegenüber der LZ. be/lz 38-15 Europa will Datenschutz neu regeln Kanzlerin Merkel warnt vor Überregulierung – HDE und Bevh fordern Augenmaß – Verbraucherschützer bestehen auf Kontrolle Brüssel/Berlin. Im Umfeld der Tri- log-Verhandlungen zur Reform der EU-Datenschutz-Grundverordnung positionieren sich Wirtschaftsver- bände, Daten- und Verbraucher- schützer. Die Forderungen liegen sehr weit auseinander. a Einwilligungsbasierte Datenver- arbeitung, a Datenverarbeitung auch im berechtigten Interesse Dritter, a Datenverarbeitung zu neuen Zwecken, wenn diese mit dem Ursprungszweck vereinbar sind, a Maßvolle Regulierung von Profil- bildungen (Profiling), a Begrenzung der aktiven Informa- tionspflichten. Forderungen des Handels Chefsache: Merkel blickt beim Thema Datenschutz auch auf die Wettbewerbsfähigkeit. FOTO: KAY NIETFELD/DPA Storck KG klagt gegen Zuckerkartell Hannover. Die August Storck KG hat beim Landgericht Hannover Klage gegen die drei Zuckerkartel- lanten Nordzucker AG, Südzucker AG und Pfeifer & Langen einge- reicht. Das bestätigt ein Gerichts- sprecher auf LZ-Anfrage. Dem Ver- nehmen nach fordert der Berliner Süßwarenhersteller einen hohen zweistelligen Millionenbetrag als Schadenersatz für kartellbedingt überhöhte Zuckerpreise. Mitsamt der Zinsforderungen soll die Kla- gesumme einen dreistelligen Milli- onenbetrag erreichen. Die Unter- nehmen wollten sich auf Anfrage nicht zu dem Verfahren äußern. Ein Verhandlungstermin steht noch nicht fest. be/lz 38-15 „Schoggigesetz“ steht vor dem Aus Bern. Bei der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) im Dezember droht dem Schweizer „Schoggigesetz“ das Aus. Auf Grundlage des Gesetzes zahlt der Schweizer Staat Ausgleichszahlun- gen für landwirtschaftliche Grund- stoffe, die in verarbeiteter Form ex- portiert werden (Schokolade, Kek- se). Rund 64 Mio. Euro wendete die Eidgenossenschaft im vergangenen Jahr für diese Exportförderung auf. Bei dem Treffen der WTO-Mitglied- staaten wird ein Verbot sämtlicher Exportsubventionen erwartet. In der Schweiz denkt man daher be- reits über Alternativen zum Schog- gigesetz nach. lz 38-15

Europa will Datenschutz neu regeln - HÄRTING …26 LebensmittelZeitung RECHTUNDPOLITIK LZ38 18.September2015 BundeskanzlerinAngelaMerkelwarnt vor zu restriktiven Regelungen beim Datenschutz:„DatensindderRohstoff

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26 Lebensmittel Zeitung LZ 38 18. September 2015R E C H T UND P O L I T I K

Bundeskanzlerin Angela Merkel warntvor zu restriktiven Regelungen beimDatenschutz: „Daten sind der Rohstoffder Zukunft“, sagte die Kanzlerin beimCDU-Mitgliederkongress „#CDUdigi-tal“ an diesem Wochenende. „Wennwir die Verbindung zum Kunden nichtrichtig aufbauen, dann wird uns einwesentlicher Teil der Wertschöpfungverloren gehen“, betonte Merkel.

Augenmaß fordern auch der Han-delsverband Deutschland (HDE) undder Bundesverband E-Commerce undVersandhandel (Bevh) vor dem Hinter-grund der laufenden Verhandlungenzur EU-Datenschutz-Grundverord-nung. Um ihre Forderungen (sieheKasten) zu untermauern, stellten diebeiden Verbände am Freitag vergange-ner Woche eine Studie des Instituts fürHandelsforschung (IfH) vor. Demnachlesen 51 Prozent der Deutschen Daten-schutzbestimmungen im Internet „sel-ten oder nie“. Für die Verbände ein Be-leg dafür, dass die Informationspflich-ten Verbraucher überfordern. „Diesehr komplexen Datenschutzerklärun-gen haben keinen Mehrwert“, bilan-ziert HDE-Hauptgeschäftsführer Ste-fan Genth die Studienergebnisse.

Eine grundsätzliche Vereinfachungder Datenschutzvorschriften ist daher

eines der zentralen Anliegen der Ver-bände. Bezüglich der Informations-pflichten heißt das für SebastianSchulz, Leiter Rechtspolitik des Bevh,beispielsweise: „Eine Beschränkungauf die relevanten Informationen unddie Option, interessierten Verbrau-chern weitere Informationen aufNachfrage zur Verfügung zu stellen,wäre sinnvoll“. Nach den in Brüsseldiskutierten Plänen seien allerdingseher zusätzliche Informationspflichtenzu befürchten.

EU-Kommission, EU-Parlamentund Ministerrat ringen in den soge-nannten Trilog-Verhandlungen derzeitum das künftige Datenschutzniveau inEuropa. Am Mittwoch dieser Wochefand die dritte Verhandlungsrundestatt, insgesamt neun sind bis zumJahresende terminiert, dann soll das

neue Grundgesetz für die Datennut-zung stehen. Voraussichtlich bis Mitte2018 wäre die Umsetzung in nationa-les Recht zu vollziehen.

Für den Einzelhandel geht es umThemen wie Neu- und Bestandskun-denwerbung, Kundenkarten, Bonitäts-bewertungen (Socring) und das soge-nannte Profiling.

Daten- und Verbraucherschützerzeigen sich angesichts des im Juni vor-gelegten Ratsentwurfs alarmiert. „Ichhabe die Sorge, dass das Schutzniveauabgesenkt wird“, sagt der Berliner Be-auftragte für Datenschutz und Infor-mationsfreiheit, Alexander Dix, gegen-über der LZ. Ein Positionspapier derdeutschen Datenschutzbeauftragtenfordert Nachbesserungen, „mindes-tens aber einen dem bisherigen Stan-dard gleichwertigen Grundrechts-

schutz“. Der Verbraucherzentrale Bun-desverband (Vzbv) meldete sich amDienstag zu Wort: „Verbraucher müs-sen einwilligen, wenn ihre Daten zu ei-nem anderen Zweck als vereinbart ge-nutzt werden“, forderte Vzbv-VorstandKlaus Müller. Der EU-Rat drohe eine„rote Linie“ zu überschreiten.

Die Wirtschaftsverbände fürchtenderweil einen europäischen Flickentep-pich. Zahllose Öffnungsklauseln in denVerordnungsentwürfen ermöglichenabweichende nationale Regelungen.„Von einer echten Harmonisierungkann dann keine Rede mehr sein“, kri-tisiert Peter Schröder, Chefjustitiar desHDE. Noch skeptischer sieht der Inter-net- und Datenschutzrechtsexperte Ni-ko Härting die Entwürfe: „Das Daten-schutzrecht wird sich nicht grundle-gend verändern. Zahlreiche Problemeund Einzelfragen in der Praxis werdenbestehen bleiben“, resümiert Härtinggegenüber der LZ. be/lz 38-15

Europa will Datenschutz neu regelnKanzlerin Merkel warnt vor Überregulierung – HDE und Bevh fordern Augenmaß – Verbraucherschützer bestehen auf Kontrolle

Brüssel/Berlin. Im Umfeld der Tri-log-Verhandlungen zur Reform derEU-Datenschutz-Grundverordnungpositionieren sich Wirtschaftsver-bände, Daten- und Verbraucher-schützer. Die Forderungen liegensehr weit auseinander.

Einwilligungsbasierte Datenver-arbeitung,Datenverarbeitung auch imberechtigten Interesse Dritter,Datenverarbeitung zu neuenZwecken, wenn diese mit demUrsprungszweck vereinbar sind,Maßvolle Regulierung von Profil-bildungen (Profiling),Begrenzung der aktiven Informa-tionspflichten.

Forderungen des Handels

Chefsache: Merkel blickt beim Thema Datenschutz auch auf die Wettbewerbsfähigkeit.

FOTO

:KAYNIETF

ELD/DPA

Storck KG klagtgegen ZuckerkartellHannover. Die August Storck KGhat beim Landgericht HannoverKlage gegen die drei Zuckerkartel-lanten Nordzucker AG, SüdzuckerAG und Pfeifer & Langen einge-reicht. Das bestätigt ein Gerichts-sprecher auf LZ-Anfrage. Dem Ver-nehmen nach fordert der BerlinerSüßwarenhersteller einen hohenzweistelligen Millionenbetrag alsSchadenersatz für kartellbedingtüberhöhte Zuckerpreise. Mitsamtder Zinsforderungen soll die Kla-gesumme einen dreistelligen Milli-onenbetrag erreichen. Die Unter-nehmen wollten sich auf Anfragenicht zu dem Verfahren äußern.Ein Verhandlungstermin stehtnoch nicht fest. be/lz 38-15

„Schoggigesetz“steht vor dem AusBern. Bei der Ministerkonferenz derWelthandelsorganisation (WTO) imDezember droht dem Schweizer„Schoggigesetz“ das Aus. AufGrundlage des Gesetzes zahlt derSchweizer Staat Ausgleichszahlun-gen für landwirtschaftliche Grund-stoffe, die in verarbeiteter Form ex-portiert werden (Schokolade, Kek-se). Rund 64 Mio. Euro wendete dieEidgenossenschaft im vergangenenJahr für diese Exportförderung auf.Bei dem Treffen der WTO-Mitglied-staaten wird ein Verbot sämtlicherExportsubventionen erwartet. Inder Schweiz denkt man daher be-reits über Alternativen zum Schog-gigesetz nach. lz 38-15