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3. Sobald der Aufstand begonnen hat, gilt es, mit der größ- ten Entschiedenheit zu handeln und unter allen Umständen und unbedingt die Offensive zu ergreifen. ,Die Defensive ist der Tod der bewaffneten Erhebung.' 4. Man muß bestrebt sein, den Feind zu überrumpeln und den Augenblick abzupassen, wo seine Truppen zerstreut sind. '. 5. Es gilt, täglich (handelt es sich um eine Stadt, so können wir sagen stündlich), wenn auch kleine Erfolge zu erreichen, und dadurch um jeden Preis das ,moralische Übergetoidu' fest- zuhalten. Marx hat die Lehren aus allen Revolutionen über den be- waffneten Aufstand mit ,den Worten Dantons, des größten bisher bekannten Meisters revolutionärer Taktik', so zusam- mengefaßt: ,De l'audace, de l'audace, encore de l'audace!'''l Kühnheit, Kühnheit und noch einmal Kühnheit, das war· auch das Wesen des Aufstandsplans der Hamburger Kommu- nisten. In diesem Sinne erhielten die Oberdistriktleiter des Ordner- dienstes den Auftrag, am 23. Oktober 1923, 5 Uhr früh, den überraschenden Vorstoß auf die Polizeiwachen und Kasernen durchzuführen. Die militärische Leitung rechnete damit, daß der Kampf um die Wachen und Kasernen, soweit er nicht im ersten Anlauf glückt, bis zum Nachmittag des 23. Oktober zu- gunsten der bewaffneten Arbeiter entschieden sein werde; sie befahl deshalb, erst am Nachmittag des 23. Oktober konzen- trisch gegen die eigentliche Innenstadt vorzudringen. Die Durchführung dieser Aufgaben blieb den Oberdistriktleitern überlassen. 2 Jedoch sollten sie vom ersten Augenblick des Los- schlagens an ihre Aktionen mit denen der Stadtparteileitung 1 W.!. Lenin, "Ratschläge eines Außenstehenden"; Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Bd. II, Dietz Verlag, Berlin 1955, S. 148/149. 2 Siehe "Oktober", 1926, Nr.2, S.36.

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3. Sobald der Aufstand begonnen hat, gilt es, mit der größ-ten Entschiedenheit zu handeln und unter allen Umständenund unbedingt die Offensive zu ergreifen. ,Die Defensive istder Tod der bewaffneten Erhebung.'

4. Man muß bestrebt sein, den Feind zu überrumpeln undden Augenblick abzupassen, wo seine Truppen zerstreutsind. '.

5. Es gilt, täglich (handelt es sich um eine Stadt, so könnenwir sagen stündlich), wenn auch kleine Erfolge zu erreichen,und dadurch um jeden Preis das ,moralische Übergetoidu' fest-zuhalten.

Marx hat die Lehren aus allen Revolutionen über den be-waffneten Aufstand mit ,den Worten Dantons, des größtenbisher bekannten Meisters revolutionärer Taktik', so zusam-mengefaßt: ,De l'audace, de l'audace, encore de l'audace!'''l

Kühnheit, Kühnheit und noch einmal Kühnheit, das war·auch das Wesen des Aufstandsplans der Hamburger Kommu-nisten.

In diesem Sinne erhielten die Oberdistriktleiter des Ordner-dienstes den Auftrag, am 23. Oktober 1923, 5 Uhr früh, denüberraschenden Vorstoß auf die Polizeiwachen und Kasernendurchzuführen. Die militärische Leitung rechnete damit, daßder Kampf um die Wachen und Kasernen, soweit er nicht imersten Anlauf glückt, bis zum Nachmittag des 23. Oktober zu-gunsten der bewaffneten Arbeiter entschieden sein werde; siebefahl deshalb, erst am Nachmittag des 23. Oktober konzen-trisch gegen die eigentliche Innenstadt vorzudringen. DieDurchführung dieser Aufgaben blieb den Oberdistriktleiternüberlassen. 2 Jedoch sollten sie vom ersten Augenblick des Los-schlagens an ihre Aktionen mit denen der Stadtparteileitung

1 W.!. Lenin, "Ratschläge eines Außenstehenden"; Ausgewählte Werkein zwei Bänden, Bd. II, Dietz Verlag, Berlin 1955, S. 148/149.

2 Siehe "Oktober", 1926, Nr.2, S.36.

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koordinieren, die die Arbeitermassen in diesem Moment zumobilisieren und für eine aktive Beteiligung am bewaffnetenAufstand zu gewinnen hatte.' Kaum war der Befehlsempfangbeendet, eilten die militärischen Leiter in ihre Oberdistrikte,um die Kampfgruppen zu alarmieren.

Während dieser Zeit drängten sich auf den Hauptstraßennoch immer die hungernden Werktätigen. Wo die Massen sichsammelten, trieben bewaffnete Polizisten sie auseinander. Aberdie Hungernden kapitulierten nicht. Sie wollten sich einerOrdnung nicht mehr fügen, in der nur das eine gewiß war,daß es immer schlechter wird. "So kann es nicht länger weiter-gehen", war jetzt allgemeine Überzeugung. Viele Werktätigesprachen schon laut davon, daß jetzt die Revolution komme."Ein großer Teil der Mitglieder der Kommunistischen Partei,die nicht dem Ordnerdienst angehörten, bestärkten die Massenin ihrem Willen zum Widerstand. Bald hier, bald dort auf-tretend, sammelten sie die Hungernden stets an den Straßen-kreuzungen, wo es die Polizei am wenigstens erwartete. DiePolizisten hasteten hin und her, aber sie konnten dieHungern-den nicht vertreiben. Überall sammelten sich die Massen er-neut -auf den Straßen, und zwar viel lebhafter als im August,als sie den Rücktritt der Cuno-Regierung gefordert hatten.Hier und da, so heißt es im Bericht eines Arbeiters, flüsterteman sich ins Ohr: "Jetzt wird losgeschlagen! "3 Aber wann undwo, wußte noch niemand zu sagen.

Zur gleichen Zeit fanden in vielen Stadtteilen KPD- Ver-sammlungen statt; die wichtigste tagte im Klub- und Ballhausam Grünen Deich. Hier sprach auch Ernst Thälmann. DieArbeiter, erklärte er, seien auf der Straße schon zum aktivenWiderstand übergegangen, jetzt werde auch die Kommuni-

1 Nach mündlicher Auskunft des Aufstandsteilnehmers J. v. B,2 Siehe "lIamburger Volkszeitung" Nr. 186 vom 23. Oktober 1924.3 Siehe A. Neuberg, "Der bewaffnete Aufstand", S.73.

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stische Partei losschlagen, um zu verwirklichen, was in ihremProgramm stehe.'

In der Nacht vom 22. zum 23. Oktober verteilte die Ham-burger Parteiorganisation einen Aufruf des Reichsbetriebs-räteausschusses, in dem die Arbeiterklasse ganz Deutschlandszum Generalstreik, zum Aufstand gegen die Offensive der Re-aktion und gegen die Militärdiktatur aufgefordert wurde." Indiesem Aufruf wurde hervorgehoben, "daß jede Verzögerungdem Tode gleichkommt und es unbedingt notwendig ist, denKampf gleichzeitig im ganzen Lande zu beginnen, weil derisolierte Kampf der Arbeiter in Mitteldeutschland zur Nieder-lage führen kann. Es wird nicht die Wiederholung der No-vemberrevolution 1918 sein. Die entscheidende Stunde istgekommen. Eins von beiden: Entweder rettet das werktätigeVolk Mitteldeutschland, verwandelt Deutschland in eineArbeiter- und Bauernrepublik, welche ein Bündnis mit derSowjetunion schließt, oder es kommt eine ungeheure Not. "3

Mittlerweile traten die Parteiorganisationen in den Außen-bezirken in Aktion. Am späten Nachmittag hatte die mili-tärische Leitung des KPD-Bezirks Wasserkante den Befehlzum Beginn der ersten bewaffneten Sperr aktionen gegeben.Das Mitglied der militärischen Leitung Philipp Dengel beauf-tragte Kommissare, die Sperrung der Verbindungswege einzu-leiten. Dengel erklärte: "Diese Nacht fängt es in Deutschlandan. zu brennen. Die Ortsgruppen sind verpflichtet, sich in denBesitz des Ortes zu setzen. Da militärische Anmärsche vermutetwerden, sind die Zugangsstraßen durch Aufreißen der Straßenund Fällen von Bäumen zu sperren. Die zu erwartenden Mili-

1 Nach mündlichen Auskünften der Aufstandsteilnehmer J. R., H. G.,H.K.,F.D. .

2 Siehe Walter Ulbricht, "Zur Geschichte der deutschen Arbeiter-bewegung", Bd. I, S. 139.

3 Ebenda.

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tärzüge sind durch Aufreißen der Eisenbahnschienen aufzu--halten. "1

Einer der Kommissare der militärischen Leitung hatte gegen18 Uhr dem Vorsitzenden der KPD-Ortsgruppe Ahrensburg(Vorort von Hamburg) die. Anweisung überbracht, sofort mitbewaffneten Aktionen zu beginnen. Um 21 Uhr organisiertediese Ortsgruppe in einer Tannenschonung seitlich der Ham-burger Straße unweit des Walddörferbahnhofs eine geheimeVersammlung, die durch besondere Sicherheitsposten vor allenüberraschungen geschützt wurde. Der Vorsitzende informiertedie Versammlungsteilnehmer über den bevorstehenden Auf-stand und stellte dann folgende Trupps zusammen: einenEisenbahntrupp zur Zerstörung der Schienenstrecke, einenBaumfälltrupp zur Sperrung der Straßen, einen Telefon- undTelegrafentrupp zur Unterbrechung der Leitungen und einenEntwaffnungstrupp zur Beschaffung von Waffen. Auf demBahnhof, auf der Hochbahnbrücke und auf der HamburgerStraße wurden Sonderposten aufgestellt. In der Nähe des Ver-sammlungsortes verblieb eine kleine Reserve."

Gegen 22 Uhr marschierten die Trupps zu ihren Einsatz-plätzen. Der etwa 13 Mann starke Bahntrupp erreichte dieBahnlinie Hamburg-Lübeck an der Wärterbude 77 unweit vonAhrensburg (in Richtung Hamburg). Die. Angehörigen desTrupps erklärten dem Bahnwärter, worum es ging, und nah-men sich aus der Wärterbude das nötige Werkzeug. Kaumwar der Personenzug durchgefahren, der gegen 22 Uhr ausHamburg kam, da unterbrachen sie die Bahnstrecke in beidenRichtungen. Den Bahnwärter, der sie immer wieder von ihremVorhaben abhalten wollte, jagten sie in seine Wärterbude zu-rück, ohne sich weiter um ihn zu kümmern. Doch das sollte .denRevolutionären teuer zu stehen kommen. Der Bahnwärter

1 IML, Archiv, Nr. 12/42, Denkschrift, S.24.2 Siehe ebenda, S. 19/20.

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alarmierte über ;ein Streckentelefon die Bahnhöfe Ahrensburgund Alt-Rahlstedt.

Kurz vor 23 Uhr erschienen auf Grund der Alarmrufe desBahnwärters ein Oberlandjäger und zwei Landjäger. Aberanstatt sie sofort zu verhaften, begnügten sich die Arbeiterdamit, sie zu verhöhnen. Die übermacht der Arbeiter erken-nend, wandten sich die Gendarmen schnell zur Flucht. Einpaar Kugeln, die ihnen die Arbeiter hinterherschossen, er-reichten nicht ihr Ziel. Der Oberlandjäger ersuchte bald daraufdie Hamburger Polizei um Hilfe. Die Polizeizentrale setzte so-fort ein Schnellkommando in Marsch.

Unterdessen hatten die übrigen Ahrensburger Arbeiter-trupps rege gearbeitet. Der Baumfälltrupp sägte an der Land-straße Ahrensburg-Hamburg einige große Bäume um undsperrte damit die Straße. Ein anderer Trupp durchsuchte dieWohnungen biirgerlicher Elemente nach.Waffen. Dort, wo erauf Widerstand stieß, wurde geschossen. Einen Grundstückbe-sitzer, der als eifriger Jäger bekannt war, zwangen die Arbeiternach kurzem Feuergefecht zur Herausgabe der Waffen.'

Inzwischen vereinigten sich die alarmierte bürgerliche Orts-wehr und die Mitglieder der deutschnationalen Bismarck-Jugend mit den Landjägern und dem inzwischen eingetroffe-nen Kommando der Hamburger Polizei und drangen vomWalddörferbahnhof aus gegen die bewaffneten Arbeitertruppsan der Hamburger Straße vor. Ein längeres Feuergefecht ent-spann sich, flaute aber allmählich ab. Die Arbeiter zerstreutensich und kehrten in ihre Wohnungen zurück, wo einzelne schonimLaufe der Nacht Festgenommen wurden. So schnell rächtesich sorgloses Verhalten.

In Bargteheide hielt der Vertreter der militärischen Leitunggegen 20 Uhr eine kurze Versammlung ab, zu der 30 bis 50Kommunisten erschienen waren. Die Geldentwertung, sagte

1 Siehe ebenda, S. 20-22.

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der Kommissar, verursache eine solche Notlage, daß ein sofor-tiges Handeln gegen die unfähige Regierung notwendig sei.Eile sei geboten, denn die Faschisten planten auch einen Schlag,dem man zuvorkommen müsse. Es gelte.die Räterepublikzu er-richten und bessere Zeiten herbeizuführen. Man solle auch hiereinen Eisenbahntrupp, einen Baumfälltrupp und einen Entwaff-nungstrupp bilden und gemeinsam mit Hamburg losschlagen.

Die Versammelten handelten, wie es der Kommissar ihnenvorgeschlagen hatte. Gegen 2 Uhr früh traten die Trupps inAktion.Der Entwaffnungstrupp ging energisch ans Werk. Erentwaffnete, angefangen vom Ortspolizisten und dem Amts-vorsteher bis zum Nachtwächter, eine ganze Reihe bürger-licher Elemente. Der Baumfälltrupp legte bei Delingsdorf aufder Chaussee von Hamburg nach Lübeck zwei Bäume um.Nur der Bahntrupp verhielt sich unentschlossen. Anstatt denSchienenstrang zu unterbrechen, verlor er sich in unfrudit-baren Diskussionen über Zweck- oder Unzweckmäßigkeit desSchienenaufreißens und ließ schließlich sowohl den Schienen-strang als auch die Telefon- und Telegrafenverbindung un-

o versehrt. Er beteiligte sich lediglich an den Entwaffnungs-aktionen. Aber die Aktivität bei der Entwaffnung der Bour-geoisie genügt noch lange nicht, um die gestellten Aufgabenerfolgreich zu lösen. Weil es offenbar der Mehrzahl der Kom-munisten von Bargteheide an revolutionärer Standhaftigkeitund Elastizität mangelte, lösten bei ihnen schlechte N achrich-ten aus Ahrensburg Verwirrung, Flucht und Kapitulation aus.'

Im Vorort Alt-Rahlstedt nahmen die Dinge einen noch ent-mutigenderen Verlauf. Der Stoßtrupp, der nach der Geheim-versammlung der KPD auf nächtliche Patrouille ging, wurdeverhaftet und ins Spritzenhaus gesperrt."

Der Versuch, die Verbindung zwischen Hamburg und Lübeck

1 Siehe ebenda, S. 22/23.2 Siehe ebenda, S. 18.

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zu sperren, endete also mit einem Mißerfolg. Die wenigenangelegten Sperren konnten von den Kräften der Bourgeoisiebald beseitigt werden. Sorglosigkeit und mangelnde revolu-tionäre Entschlossenheit hatten ermutigende Anfangserfolgezunichte gemacht.

Nur in der preußischen Gemeinde Hummelsbüttel nahmdie Sperraktion einen anderen Verlauf. Wie in den vorher-genannten Orten, hatten sich auch hier die Mitglieder derKPD· versammelt. Sie berieten nicht nur die unmittelbar be-vorstehenden Aktionen, sondern auch Maßnahmen, die nachdem Sturz der bürgerlichen Regierung notwendig sein würden.An Hand eines Fragebogens erörterten die Versammelten,"wieviel Brot und sonstige Lebensmittel im Falle der Über-nahme der Regierung durch die Kommunisten im Orte zu be-schaffen wären">. Dann sperrten sie Straßen ab, durchsuchtenFahrzeuge nach Waffen und stellten bei den Bäckern den Brot-bestand fest. Bald darauf traf aus Harnburg für die Hummels-büttel er Mitglieder des Ordnerdienstes der Befehl ein, amSturm auf die Polizeiwache teilzunehmen; sie fuhren daraufnach Langenhorn.

Während dieser Zeit hatte sich in der Hamburger Kampf-leitung ein ernsthafter Zwischenfall ereignet. Gegen Mitter-nacht, so erinnert sich der damalige Sekretär der HamburgerKPD-Stadtleitung, erschien das Mitglied der militärischenLeitung Hommes, das später zur Sozialdemokratie überlief,mit einem Extrablatt in der Kampfleitung. In Chemnitz, soll erleichenblaß gerufen haben, sei kein Generalstreik beschlossenworden, man müsse sofort abbremsen. Aber Revolutionärewie Ernst Thälmann sind keine schreckhaften Menschen. Esgebe, erklärte Thälmann, kein Zurück, man müsse trotz desjämmerlichen Chemnitzer Beschlusses mit dem bewaffnetenVorstoß in Hamburg das Signal zum allgemeinen bewaffneten

1 Ebenda, S. 36.

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Aufstand geben. Doch Hommes fürchtete offensichtlich die .Revolution. Als radikalisierter Kleinbürger, den die Wogender 'revolutionären Nachkriegszeit zufällig in die' Führung derHamburger Parteiorganisation gespült hatten, setzte er allesdaran, die begonnene bewaffnete Aktion sofort abzuwürgen.Er erzwang eine nochmalige Abstimmung: doch die übergroßeMehrheit ging mit Ernst Thälmann.' Daran änderte auch dasspätere Eintreffen Remmeles, des Kuriers der Zentrale, nichtsmehr, der, wie er es bereits im KPD-Unterbezirk Kiel getanhatte, die Direktive "Nicht losschlagen" durchsetzen wollte.Ernst Thälmann ließ sich aber nicht mehr von der Verwirk-lichung des bereits eingeleiteten bewaffneten Aufstandes ab-drängen."

Unterdessen erwuchsen dem Plan der Hamburger Revolu ..tionäre noch von ariderer Seite gewisse Gefahren. Im Laufeder Nacht mehrten sich bei der Polizei Nachrichten, die auf diebevorstehende Aktion der Arbeiter hindeuteten. Außer denAlarmrufen aus Alt-Rahlstedt erhielt sie auch aus Hamburgein direktes Signal. Kurz vor 24 Uhr meldete sich auf einerPolizeiwache des Stadtteils St. Georg ein Mann, der laut Poli-zeibericht seinen Namen verschwieg. Er sei, erklärte er, soebenvon Arbeitern geweckt und aufgefordert worden, sofort seineGruppe zusammenzuholen und zu Zimmermann zu kommen.Da er aber nicht wisse, wer Zimmermann sei, mache er hiermitMeldung. "Die Wache", heißt es in der Denkschrift der Poli-zei, "brachte diese Meldung mit Recht mit den von allen Seitenals nahe bevorstehend anzusehenden AufruhrhandlungeninVerbindung, und als solche wurde sie auch an die Kommando-stelle weitergegeben. Die für die Nacht vorgesehenen Abwehr-maßnahmen konnten jedoch nicht mehr erhöht werden. "3 Ein

1 Nach mündlicher Auskunft des Aufstandsteilnehmers J. v. B.2 Nach mündlicher Auskunft des Aufstandsteilnehmers A. Sch.3 IML, Archiv, Nr. 12/42, Denkschrift, S. 16.

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wertvolles Eingeständnis! Die Massenaktionen der vorher-gegangenen Tage und die dadurch erzwungene ständige Alarm-bereitschaft hatten also die mehr als 5000 Vollzugsbeamten!der Hamburger Ordnungspolizei so sehr ermüdet, daß diePolizeizentrale nicht einmal in der Lage war, den Aufstandim Keime zu ersticken, nachdem er verraten worden war. Das .war ein glänzender Erfolg der Ermüdungstaktik, die die Ham-burger Kommunisten mit Ernst Thälmann an der Spitze in denTagen vor dem 22. Oktober gegenüber der Polizei angewandthatten. Weil die Mehrzahl der Hamburger Kommunisten unddas Gros ihrer Führer die Lösung der bevorstehenden kompli-zierten Aufgabe auf revolutionäre Weise vorbereitet hatten,vermochte selbst ein offener Verrat keinen schwerwiegendenSchaden mehr anzurichten. Die Polizeizentrale sah sich außer-stande, die Masse ihrer Beamten, die man am 22. Oktoberum 18 Uhr bis zum 23. Oktober, 6 Uhr, wegen Übermüdungnach Hause geschickt hatte, plötzlich für erhöhte Abwehrmaß-nahmen einzusetzen. Nur auf den Polizeiwachen, wo man dieAlarmbereitschaft aufrechterhalten hatte, ergab sich auf Grundder erwähnten Meldungen eine wichtige Veränderung. Dergrößte Teil der Wachen stellte in der Nacht vom 22. zum23. Oktober zusätzliche Horch- und Alarmposten vor die Ge-bäude." Nicht nur dieHamburger, sondern auch die BremerPolizei hatte Nachrichten erhalten, die auf einen Putsch hin-deuteten,der am 23. beziehungsweise am 24. Oktober in Nord-deutschland beginnen solle. So traf man in Bremen schon am22. Oktober alle Vorbereitungen für die Verhaftung der füh-renden Kommunisten. Da man aper wußte, daß die Aktionender Arbeiter in Bremen nur beginnen sollten, wenn die Ham-

1 Im Entwurf des hamburgischen Haushaltsplans für das Rechnungs-jahr 1923 wurden Ausgaben für 5100 Vollzugsbeamte der Ordnungs-polizei veranschlagt.

2 Siehe IML, Archiv, Nr. 12/42, Denkschrift, S.26-30.

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burger am 23. Oktober das Signal dazu gäben, wurden dieVerhaftungen zunächst noch nicht vorgenommen. Die Polizeiwollte abwarten, ob die Hamburger auch tatsächlich am23, Oktober Iosschlügen.' Die Hüter der kapitalistischen Ord-nung waren also wirklich gut informiert.

Mittlerweile hatten die Oberdistriktleiter des Ordnerdien-stes ihre wichtigsten' Funktionäre zusammengehoIt, um dieLösung der ihnen übertragenen Aufgaben zu beraten.

So hatten sich zum Beispiel im Oberdistrikt B die wichtigsten'OD- Funktionäre gegen 23 Uhr in einer Wohnung versammelt.Zu den Funktionären der Distrikte Uhlenhorst, Winterhudeund Bramfeld, die noch nicht erschienen waren, wurden Kurieregeschickt. Die OD-Gruppen dieser Distrikte sollten sofort alar-miert und ihre Funktionäre aufgefordert werden, zur nächstenSitzung um 1 Uhr früh zu erscheinen. Den Anwesenden er-läuterte der Oberdistriktleiter den taktischen Plan. Das Wich-tigste sei, stellte man fest, schleunigst im gesamten Ordner-dienst den "Gruppenalarm" auszulösen, demzufolge die Mit-glieder jeder Gruppe sich, mit etwas Mundvorrat und Ver-bandsstoff versehen, in Wohnungen zuverlässiger Genossenversammeln und weitere Befehle abwarten sollten. Licht dürfenicht gemacht werden, damit die Polizei, die durch die Straßenpatrouilliere, keinerlei Verdacht schöpfe. Mit dieser Weisungverließen die Unterführer die Beratung. Nun diskutierte der

..Oberdistriktleiter entgegen der Anweisung der militärischenLeitung mit den Zugführern den taktischen Plan. Das Ergeb-nis war, daß sie die militärische Leitung ersuchten, den bis-herigen Plan abzuändern. Den 19 Gewehren und 27 Pistolendes Oberdistrikts stünden, so erklärten sie, 17 Polizeiwachenund die Wandsbeker Polizeikaserne gegenüber. Bei diesemKräfteverhältnis sei es ratsamer, den ersten Hauptstoß gegendie Kaserne zu richten. Außerdem halte man es für richtiger,~eheIML, Archiv, Nr. 12/42, BI. 88.

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nicht alle 17 Polizeiwachen auf einmal zu überrennen, sondernsich lediglich auf die acht Wachen-zu konzentrieren, die vonkasernierter Ordnungspolizei besetzt seien, "und auch diese.nidit unbedingt zu nehmen, sondern lediglich in Schach zuhalten'". Selbstverständlich, fügten sie beschwichtigend hinzu,solle es nicht verwehrt sein, sich durch einen schnellen Hand-streich dieser Wachen zu bemächtigen; nur möchte man Vorallemdie Waffen gegen die Kaserne einsetzen. Die militärischeLeitung wies diesen Versuch, den Plan des allgemeinen Hand-streichs zur Eroberung der Wachen zu torpedieren, eindeutigund bestimmt zurück.

Gegen 1 Uhr versammelten sich, wie vorgesehen, die OD-Funktionäre des ganzen Oberdistrikts B. Gegen jede Wache,befahl der Oberdistriktleiter nunmehr, sei ein Stoßtrupp vonzwei bis drei Gruppen einzusetzen. Gegen die Wachen in dervon Essenstraße und am Mundsburger Tor werde wegen derdortigen besonders starken Besatzung die doppelte Anzahlvon Gruppen eingesetzt. Jeder Stoßtrupp erhalte mindestenszwei Pistolen oder ein Gewehr und eine Pistole. Da die mili-tärische Leitung das Hauptgewicht darauf lege, durch über-rumpelung der Polizeiwachen in Arbeitervierteln rasch einenAnfangserfolg mit möglichst großer politischer Auswirkungzu erzielen, werde die Wandsbeker Kaserne vorläufig nichtüberrumpelt; denn die vorhandenen Kräfte reichten ohnehinnicht einmal, einen erfolgversprechenden Angriff auf alleWachen zu unternehmen. Die Wandsbeker Kaserne st!ii des-halb im Anschluß an den Sturm auf die Wachen durch einenplanmäßigen Angriff zu erobern." Jeder Stoßtrupp müsse5 Minuten vor 5 Uhr auf dem jeweiligen Stellplatz stehen undPunkt 5 Uhr die Wache stürmen. Die Beamten seien sofort zu

1 "Oktober", 1926, Nr.2, S.37.2 Siehe ebenda, S.38. Zu dieser Abänderung holte man sich die Zu-

stimmung der Kampfleitung.

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entwaffnen und gefangenzusetzen und alle Räume nach Muni-tion und Waffen zu durchsuchen. Darauf verbliebe nur nochein Posten zur Bewachung der Gefangenen in der Wache; alleübrigen Stoßtruppler sollten sich dann zu weiteren Aktionenauf dem unbebauten Gelände des Pinelsweges versammeln.Zugleich aber seien die wichtigsten Alsterübergänge und Aus-fallstraßen zu sperren. Nach dieser Befehlsausgabe nahmendie Stoßtruppführer genaue Uhrzeit und eilten wieder in dieAlarmquartiere ihrer Gruppen. Abgesehen von der schädlichenDiskussion über den Plan, handelte man in den anderen OD-Oberdistrikten ähnlich."

So wachten in den ersten Stunden des 23. Oktober in vielen'Hamburger Arbeiterwohnungen Hunderte von OD-Mitglie-dern. In revolutionärer Kampfstimmung warteten sie auf dieStunde, in der sie das Signal zum bewaffneten Aufstand gebenwollten, der Deutschland für immer von den monopolistischenAusbeutern und Kriegstreibern befreien sollte.

1 Nach mündlichen Auskünften der Aufstandsteilnehmer J. R., W. v.d. R., A. B., A.G.