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Evaluation des Pilotprojekts „In guten Händen – Von Caritas zuhause betreut“ Modell für faire Care-Migration Executive Summary der mit Unterstützung der Direktion für Entwicklung und Zusam- menarbeit durchgeführten externen Evaluation Dr. phil. Claudia Heinzmann, im Auftrag von Caritas Schweiz Basel/Luzern 05. Mai 2014 Ausgangslage Das Pilotprojekt „In guten Händen – Von Caritas zuhause betreut“ wurde im Herbst 2012 von Caritas Schweiz in Kooperation mit ihrer rumänischen Partnerorganisation Alba Iulia (Trans- sylvanien/Siebenbürgen) lanciert. Die beiden Projektpartner engagieren qualifiziertes Perso- nal zur Betreuung betagter und betreuungsbedürftiger Menschen für drei Monate in einem Privathaushalt der Schweiz. Die Betreuerinnen und Betreuer sind bei Caritas Alba Iulia ange- stellt und kehren nach ihrem Einsatz an ihren Arbeitsplatz in Rumänien zurück. Mit dem Pro- jekt soll eine arbeitsrechtlich korrekte, faire Form der Pendelmigration geschaffen werden, mit der eine permanente oder längerfristige Migration von Pflegepersonen aus Rumänien ver- hindert und dem Bedürfnis älterer Menschen in der Schweiz nach einer bezahlbaren Betreu- ung zu Hause entsprochen werden kann. Zum Abschluss der Pilotphase wurde im Januar 2014 eine dreiwöchige externe Evaluation in Auftrag gegeben, mit der die Projektziele überprüft und Empfehlungen für die Weiterführung des Projekts aufgezeigt werden sollen. Basis der Studie bilden explorative Gespräche und Experteninterviews mit Kundinnen und Kunden in der Schweiz, dem Fachpersonal von Cari- tas Alba Iulia, das in der Schweiz gearbeitet hat, Angehörigen, Vorgesetzten und Behörden- mitgliedern sowie Projektverantwortlichen in der Schweiz und Rumänien. Die Interviews werden durch Dokumentenanalyse sowie eine teilnehmende Beobachtung in der pflegerischen Praxis des spitalexternen Dienstes von Caritas Alba Iulia ergänzt. In einem Fragebogen sind zusätzlich relevante Daten zu den Betreuungspersonen und den Pflegeteams von Caritas Alba Iulia erhoben worden. Hintergrund und Inhalt des Pilotprojekts Mit dem Pilotprojekt reagieren die beiden Partnerorganisationen auf mehrere, ineinander ver- wobene Problembereiche: ein Mehrbedarf an Pflege und Betreuung durch eine steigende Zahl betagter Menschen in der Schweiz, ein gesundheitspolitischer Trend zur ambulanten Versor- gung sowie das Bedürfnis vieler älteren Menschen, möglichst lange zu Hause leben zu kön- nen. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen und individuellen Bedürfnisse können weder privat durch Angehörige, Bekannte oder Nachbarn noch durch staatliche Einrichtungen aufge- fangen werden, die eine Betreuung zu Hause unterstützen. Die Lücke wird vermehrt durch ein Angebot an zumeist weiblichen Care-Arbeiterinnen aus osteuropäischen Staaten geschlossen, die aufgrund der schlechten Wirtschaftslage und geringen Löhne in ihren Heimatländern als Pendelmigrantinnen für wenige Wochen Betreuungsarbeiten in einem Privathaushalt leisten, zum Beispiel in Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Sie sind durch Vermittlungsagen-

Evaluation des Pilotprojekts „In guten Händen“

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Evaluation des Pilotprojekts „In guten Händen – Von Caritas zuhause betreut“ Modell für faire Care-Migration Executive Summary der mit Unterstützung der Direktion für Entwicklung und Zusam-menarbeit durchgeführten externen Evaluation Dr. phil. Claudia Heinzmann, im Auftrag von Caritas Schweiz

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Evaluation des Pilotprojekts „In guten Händen – Von Caritas zuhause betreut“

Modell für faire Care-Migration

Executive Summary der mit Unterstützung der Direktion für Entwicklung und Zusam-

menarbeit durchgeführten externen Evaluation

Dr. phil. Claudia Heinzmann, im Auftrag von Caritas Schweiz

Basel/Luzern 05. Mai 2014

Ausgangslage

Das Pilotprojekt „In guten Händen – Von Caritas zuhause betreut“ wurde im Herbst 2012 von

Caritas Schweiz in Kooperation mit ihrer rumänischen Partnerorganisation Alba Iulia (Trans-

sylvanien/Siebenbürgen) lanciert. Die beiden Projektpartner engagieren qualifiziertes Perso-

nal zur Betreuung betagter und betreuungsbedürftiger Menschen für drei Monate in einem

Privathaushalt der Schweiz. Die Betreuerinnen und Betreuer sind bei Caritas Alba Iulia ange-

stellt und kehren nach ihrem Einsatz an ihren Arbeitsplatz in Rumänien zurück. Mit dem Pro-

jekt soll eine arbeitsrechtlich korrekte, faire Form der Pendelmigration geschaffen werden,

mit der eine permanente oder längerfristige Migration von Pflegepersonen aus Rumänien ver-

hindert und dem Bedürfnis älterer Menschen in der Schweiz nach einer bezahlbaren Betreu-

ung zu Hause entsprochen werden kann.

Zum Abschluss der Pilotphase wurde im Januar 2014 eine dreiwöchige externe Evaluation in

Auftrag gegeben, mit der die Projektziele überprüft und Empfehlungen für die Weiterführung

des Projekts aufgezeigt werden sollen. Basis der Studie bilden explorative Gespräche und

Experteninterviews mit Kundinnen und Kunden in der Schweiz, dem Fachpersonal von Cari-

tas Alba Iulia, das in der Schweiz gearbeitet hat, Angehörigen, Vorgesetzten und Behörden-

mitgliedern sowie Projektverantwortlichen in der Schweiz und Rumänien. Die Interviews

werden durch Dokumentenanalyse sowie eine teilnehmende Beobachtung in der pflegerischen

Praxis des spitalexternen Dienstes von Caritas Alba Iulia ergänzt. In einem Fragebogen sind

zusätzlich relevante Daten zu den Betreuungspersonen und den Pflegeteams von Caritas Alba

Iulia erhoben worden.

Hintergrund und Inhalt des Pilotprojekts

Mit dem Pilotprojekt reagieren die beiden Partnerorganisationen auf mehrere, ineinander ver-

wobene Problembereiche: ein Mehrbedarf an Pflege und Betreuung durch eine steigende Zahl

betagter Menschen in der Schweiz, ein gesundheitspolitischer Trend zur ambulanten Versor-

gung sowie das Bedürfnis vieler älteren Menschen, möglichst lange zu Hause leben zu kön-

nen. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen und individuellen Bedürfnisse können weder

privat durch Angehörige, Bekannte oder Nachbarn noch durch staatliche Einrichtungen aufge-

fangen werden, die eine Betreuung zu Hause unterstützen. Die Lücke wird vermehrt durch ein

Angebot an zumeist weiblichen Care-Arbeiterinnen aus osteuropäischen Staaten geschlossen,

die aufgrund der schlechten Wirtschaftslage und geringen Löhne in ihren Heimatländern als

Pendelmigrantinnen für wenige Wochen Betreuungsarbeiten in einem Privathaushalt leisten,

zum Beispiel in Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Sie sind durch Vermittlungsagen-

Evaluation „In guten Händen“, Executive Summary, 05. Mai 2014 Claudia Heinzmann

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turen oder den jeweiligen Privathaushalt angestellt und arbeiten unter oft prekären Bedingun-

gen. Darüber hinaus fehlen sie als Fachkräfte in den Herkunftsländern, die gerade im

Gesundheitssektor häufig mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind wie beispielsweise die

Schweiz.

Die Betreuerinnen und Betreuer von Caritas Alba Iulia, die einen Einsatz in der Schweiz leis-

ten, sind Angehörige der Ungarisch sprechenden Minderheit in Rumänien. Nach Ausstellung

eines ungarischen Passes profitieren sie dank des Freizügigkeitsabkommens der EU/EFTA-

Staaten von der vollen Personenfreizügigkeit. Die meisten von ihnen arbeiten als Pflegefach-

kräfte im spitalexternen Dienst der sozialmedizinischen Abteilung von Caritas Alba Iulia oder

haben bei der Organisation einen halbjährigen Kurs als Altenpflegerinnen oder -pfleger ab-

solviert. Zur Vorbereitung ihres Einsatzes absolvieren die Betreuenden bei Caritas Alba Iulia

einen zweimonatigen Kurs, in dem sie insbesondere Deutschkenntnisse erwerben, aber auch

mit dem Leben in der Schweiz vertraut gemacht werden. Die Betreuungsarbeiten in der

Schweiz umfassen im Wesentlichen die Bereiche Haushaltsführung und einfache pflegerische

Handreichungen. Eine besondere Aufgabe liegt zusätzlich in der emotionalen und sozialen

Unterstützung der betreuten Menschen. Der Lohn ist gemäss Normalarbeitsvertrag für Haus-

angestellte (NAV) geregelt, die Höchstarbeitszeit beträgt 45 Stunden. Die Betreuenden haben

neben täglichen Freistunden Anspruch auf eineinhalb freie Tage pro Woche. In dieser Zeit

sorgen die Angehörigen oder eine von ihnen beauftragte Person für die Betreuung der Klien-

tin oder des Klienten. Damit die Kommunikation mit den Angehörigen in Rumänien gewähr-

leistet ist, muss der Betreuungsperson ein Internetanschluss zur Verfügung stehen. Während

des Einsatzes sind die Einsatzleitungen von Caritas Schweiz und Alba Iulia Ansprechpartner

für Fragen und Probleme, die Einsatzleitung in der Schweiz geht des Weiteren auch persön-

lich bei den Kundinnen und Kunden bzw. Betreuungspersonen vorbei.

Grosse Nachfrage – unerwartet geringe Beteiligung

Das Pilotprojekt, das im Oktober 2012 in den Kantonen Luzern, Zug und Zürich startete, ist in

der Schweiz auf reges Interesse gestossen. Meistens waren es Angehörige, die für ihre betag-

ten Eltern eine private Betreuungsperson suchten. Der hohen Nachfrage in der Schweiz steht

eine vergleichsweise geringe Zahl an Betreuungspersonen aus Rumänien gegenüber, die sich

bis jetzt am Pilotprojekt beteiligt haben. Von den 271 Angestellten des spitalexternen Diens-

tes von Caritas Alba Iulia leisteten bis Ende Februar 2014 30 Betreuerinnen und Betreuer

mindestens einmal einen Einsatz in der Schweiz. Zusätzlich absolvieren derzeit 11 Betreuen-

de den zweimonatigen Deutschkurs oder warten auf einen Einsatz in der Schweiz. Bis Ende

2013 kam es zu insgesamt 19 Betreuungsarrangements. Diese Zahlen liegen weit unter den

für die Pilotphase ursprünglich vorgesehenen 200 Pflegefach- und Altenpflegepersonen, die

ca. 50 Kundinnen und Kunden in der Schweiz betreuen sollten.

Die Gründe für die unerwartet tiefe Beteiligung der Angestellten von Caritas Alba Iulia sind

vielfältig. Zu ihnen gehören beispielsweise:

fehlende Zugehörigkeit der Mitarbeitenden zur ungarischen Minderheit in Rumänien

(ca. 40 Personen);

versicherungsrechtliche Fragen (zum Beispiel keine Auszahlung von Kindergeld oder

keine Einzahlung in Pensionskasse bei einer Erwerbstätigkeit in der Schweiz);

fehlende Einsatzmöglichkeiten durch organisatorische Schwierigkeiten in den Pflege-

teams bei Abwesenheit einer Pflegeperson;

Mitarbeitende haben kleine Kinder und/oder Probleme bei der Organisation einer Kin-

derbetreuung für drei Monate;

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vergleichsweise lange Vorbereitungs- und Einsatzzeiten im Gegensatz zu anderen

Formen der Pendelmigration (z.B. zwei- bis dreiwöchige Betreuungsarbeiten im Aus-

land, die während des Urlaubs geleistet werden);

Wartezeiten auf einen Einsatz, die teilweise mehrere Monate dauern;

fehlender Bekanntheitsgrad des Projekts und Unsicherheit gegenüber einem neuen

Angebot in der Testphase.

So vielfältig die Gründe gegen eine Beteiligung am Pilotprojekt, so vielfältig sind die Motive,

die die Betreuungspersonen für ihren Einsatz in der Schweiz angeben: Bei vielen ist der im

Vergleich zu ihrem Bruttomonatslohn von ca. 850-1'100 RON (ca. 240-315 CHF/ca. 190-245

Euro) hohe Verdienst massgebliches Argument für ihre Arbeit in der Schweiz. Mit dem Geld

sollen zum Beispiel Schulden beglichen sowie Wünsche und Lebensziele erfüllt werden, so

etwa die Renovierung des Hauses, der Kauf eines neuen Autos oder die Bezahlung einer wei-

terführenden Ausbildung der Kinder. Weitere Begründungen für eine Teilnahme sind bei-

spielsweise Spracherwerb, Selbstbestätigung, Neugier sowie Realisierung früherer Reise-

ideen.

Zufriedenheit bei den Betreuenden und Betreuten

Bei den befragten Personen zeigt sich, dass die Projektziele auf individueller Ebene insgesamt

erreicht worden sind. Die Betreuerinnen und Betreuer fühlen sich vor und während ihres Ein-

satzes gut unterstützt und arbeitsrechtlich abgesichert, insbesondere schätzen sie die Möglich-

keit, an ihren alten Arbeitsplatz zurückzukehren zu können. In ihrer Freizeit haben sie die

Gelegenheit, sich mit anderen Projektteilnehmenden zu treffen. Per Skype findet ein regel-

mässiger Kontakt zu den Angehörigen in Rumänien statt, durch den auch ein Teil der Kinder-

betreuung fortgesetzt wird. Die Betreuung der minderjährigen Kinder ist durch Familienange-

hörige gewährleistet. Sie erfolgt in den meisten Fällen durch die zurückbleibenden Ehemän-

ner oder -frauen.

Auch die Zielsetzungen in Bezug auf die betagten Menschen und ihre Angehörigen in der

Schweiz können weitgehend als erfüllt betrachtet werden, wobei hier allerdings die Datenlage

sehr eingeschränkt ist. Die befragten Angehörigen fühlen sich durch das Angebot von Caritas

entlastet und in der Sicherheit, dass sie ein rechtlich abgesichertes Betreuungsarrangement

eingehen, das ihrer Mutter oder dem Vater ermöglicht, in der vertrauten Umgebung zu blei-

ben. Die Klientinnen und Klienten erfahren nach Einschätzung ihrer Angehörigen eine pro-

fessionelle, persönliche Betreuung, die sich stabilisierend und fördernd auf die oft demenz-

kranken Menschen auswirkt.

Herausforderungen für Caritas Alba Iulia

Im Gegensatz zur insgesamt grossen Zufriedenheit auf individueller Ebene ist Caritas Alba

Iulia durch das Pilotprojekt in organisatorischer und finanzieller Hinsicht mit diversen Prob-

lemen konfrontiert. Die 14 Pflegeteams der sozialmedizinischen Abteilung sind durch die

Abwesenheit ihrer Kolleginnen und Kollegen stark betroffen und versuchen, die Lücke durch

Mehrarbeit und Neuanstellungen zu schliessen. Die Rekrutierung von geeignetem Pflegefach-

und Altenpflegepersonal erweist sich jedoch als schwierig und zeitaufwändig. Um die Be-

treuung zu gewährleisten, muss beispielsweise das Personal aufgrund der grossen Distanzen

vor Ort wohnen, ebenso muss Caritas Alba Iulia mit Lokalbehörden verhandeln, um die An-

stellung von neuem Personal zu finanzieren. Teilweise deuten sich Konflikte zwischen den

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Mitarbeitenden an, auch wenn der Entscheid der Kolleginnen und Kollegen, einen Einsatz in

der Schweiz zu leisten, von den Teammitgliedern unterstützt wird. Durch Umorganisation,

Neuplanung und Neuanstellungen ergeben sich ausserdem diverse indirekte Kosten, die in der

ursprünglichen Budgetplanung unberücksichtigt geblieben sind und selbst mit den bisher er-

folgten Administrativentschädigungen von Caritas Schweiz nicht gedeckt werden können.

Wirkungen des Projekts auf die Abwanderung bei Caritas Alba Iulia

Wie andere Nichtregierungsorganisationen in Rumänien ist Caritas Alba Iulia seit dem Sturz

des Ceauşescu-Regimes zu einem bedeutsamen regionalen Wirtschaftsfaktor geworden und

beschäftigt derzeit ca. 600 Angestellte. 2011 sah sich die Organisation vermehrt mit dem

Problem einer kurz- und längerfristigen Migration ihres Pflegefach- und Altenpflegepersonals

konfrontiert, etwa 16 Personen kündigten, weil sie im Ausland arbeiten wollten. Diese Ent-

wicklung sollte durch das Pilotprojekt „In guten Händen“ aufgefangen werden. Aus den Da-

ten lassen sich diesbezüglich drei Effekte ableiten:

Stabilisierung: Nach Einführung des Pilotprojekts 2012 gab es bei Caritas Alba Iulia

keine Kündigungen mehr, die mit einem Auslandseinsatz begründet wurden, was Vor-

gesetzte als unmittelbare, positive Folge des Projekts werten. Von einigen wenigen

ehemaligen Angestellten ist ausserdem bekannt, dass sie aufgrund des Projekts zu-

rückgekehrt sind, genaue Daten hierzu fehlen jedoch. In einem einzigen Fall kam es

durch das Angebot zu einer langfristigen Abwanderung einer Betreuungsperson in die

Schweiz.

Lenkung: Ungefähr ein Drittel der Betreuerinnen und Betreuer wählt eine Teilnahme

am Pilotprojekt als Alternative zu kurzfristigen, oft prekären Betreuungsarbeiten im

Ausland, die sie zum Beispiel während ihres Urlaubs verrichtet haben.

Förderung der Pendelmigration: Etwa ein Drittel der Betreuerinnen und Betreuer hatte

zuvor keine Absicht oder nur eine vage Idee, im Ausland zu arbeiten. Sie wurden erst

mit dem Projekt zu Pendelmigrantinnen und -migranten. Allerdings lassen die Daten

keine Aussagen zu, was die Teilnehmenden getan hätten, wenn das Pilotprojekt nicht

lanciert worden wäre.

Angesichts der bisher vergleichsweise geringen Projektteilnahme muss bedacht wer-

den, dass das Problem der Abwanderung bei Caritas Alba Iulia möglicherweise kleiner

ist als vermutet oder dass die Mitarbeitenden unter Umständen andere, zum Beispiel

kürzere Formen der Pendelmigration vorziehen oder aufgrund ihrer Lebenssituation

vorziehen müssen.

Weiterführende Entwicklungen bei Caritas Alba Iulia

Auf einer individuellen und lokalen Ebene zeigen sich bei Caritas Alba Iulia erste weiterfüh-

rende Entwicklungen, die durch das Pilotprojekt angeregt worden sind:

Die Betreuerinnen und Betreuer profitieren finanziell von ihrem Einsatz in der

Schweiz. Vereinzelt errichten sie mit dem Verdienst ein eigenes Geschäft oder unter-

stützen das lokale Gewerbe indirekt, beispielsweise durch den Kauf des Baumaterials

zur Renovierung ihrer Häuser. Ein Mehrwert des Projekts ergibt sich auch im Hinblick

auf die Selbstkompetenz der Betreuungspersonen sowie die Organisation ihrer Arbeit

bei Caritas Alba Iulia.

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Bei Caritas Alba Iulia wurden durch das Pilotprojekt neue Arbeitsstellen geschaffen:

Bis jetzt kam es zu 16 permanenten und 8 befristeten Neuanstellungen von Pflegefach-

und Altenpflegepersonal sowie zur temporären Anstellung einer Sozialarbeiterin.

Im Herbst 2013 begann Caritas Alba Iulia in zwei Projekten, die in enger, vor allem

finanzieller Verbindung zum Pilotprojekt in der Schweiz geplant worden sind, Wohn-

und Betreuungsmöglichkeiten für betagte und demenzkranke Menschen in der Region

einzurichten. Damit greift die Organisation neben der Schaffung von Arbeitsplätzen

durch Neuanstellungen eines der zentralen regionalen und nationalen Probleme des

Landes auf: Ähnlich wie in der Schweiz ist auch in Rumänien eine Zunahme der älte-

ren Bevölkerung feststellbar, die – verstärkt durch Kurz- und Langzeitmigration sowie

veränderte Familienstrukturen und Lebensformen – alleine wohnt. Sie werden bereits

bisher von Caritas Alba Iulia oder ähnlichen Einrichtungen unterstützt, doch müssen

zukünftig neue Formen der Betreuung eingerichtet werden, so etwa – wie in den bei-

den Projekten vorgesehen – eine stundenweise Betreuung von Demenzkranken oder

Wohn- und Betreuungsmöglichkeiten für arme Betagte. Zusätzlich erweitern die Pro-

jekte das Angebot an pflegerisch-medizinischer Aus- und Weiterbildung für die Lo-

kalbevölkerung, die einen wichtigen weiteren Entwicklungsfaktor Rumäniens darstel-

len.

Fazit: „In guten Händen“ als Modell für zirkuläre Migrationsformen?

Die Evaluation zeigt, dass eine rechtlich abgesicherte, persönlich begleitete Form der Pen-

delmigration, die den Betreuungspersonen eine Rückkehr an ihre bisherige Arbeitsstelle ge-

währleistet, viele Voraussetzungen erfüllen muss. Zum einen bedarf es seitens der Projekt-

und Einsatzleitungen einer sorgfältigen Abklärung, regelmässigen Überprüfung und persönli-

chen Begleitung des Betreuungsarrangements, um die gesetzten Standards beizubehalten.

Dies ist mit Zeit- und Personalkosten verbunden und erfordert sowohl verbindliche Abspra-

chen mit den Betreuten und den Betreuenden als auch zwischen den Partnerorganisationen.

Zum anderen muss berücksichtigt werden, dass die Care-Migrantinnen und -Migranten im

Gegensatz zu individualisierten Formen der Pendelmigration Teil des Arbeitsumfeldes im

Herkunftsland bleiben. Durch die wechselnd stattfindende, befristete Abwesenheit von Ange-

stellten findet im Herkunftsland ein Eingriff in eine komplexe Arbeitsorganisation statt. Wie

am Beispiel von Caritas Alba Iulia deutlich geworden ist, kann dies für die entsprechende

Organisation mit weitreichenden finanziellen und organisatorischen Konsequenzen verbunden

sein. Die Planung und Weiterführung des Pilotprojekts „In guten Händen“ oder ähnlicher Pro-

jekte muss deshalb in enger Zusammenarbeit mit der arbeitgebenden Organisation erfolgen, in

die die Betreuenden nach ihrem Einsatz zurückkehren. Neben vielen Möglichkeiten bringt

dies auch Limitierungen durch die Organisation selbst sowie den gesellschaftlichen, politi-

schen und wirtschaftlichen Kontext mit sich, in den die Arbeitgebenden eingebettet sind. Wie

im Fall des Pilotprojekts kann dies dazu führen, dass die Ausgestaltung oder der weitere Aus-

bau des Projekts nicht wie erwünscht erfolgen kann.

Diese besondere Form der Pendelmigration beinhaltet aber auch vielversprechende Möglich-

keiten. Das Angebot stellt für Care-Migrantinnen und -Migranten insbesondere eine Alterna-

tive zu prekären Formen zirkulärer Migration dar. Darüber hinaus vermindert es durch die

Weiterbeschäftigung der zurückkehrenden Betreuungspersonen einen Brain- und Care-Drain

auf lokaler und letztlich auch nationaler Ebene im Herkunftsland. Dieser Effekt wird verstärkt

durch Neuanstellungen sowie die Entwicklung neuer Projekte zur Lösung dringender lokaler

und überregionaler Probleme, wie dies beispielhaft mit den Angeboten von Caritas Alba Iulia

zur Betreuung betagter und demenzkranker Menschen geschieht. Vor diesem Hintergrund

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kann das Pilotprojekt „In guten Händen“ durchaus Modellcharakter für zirkuläre Migrations-

formen haben, wobei allerdings die konkrete Ausgestaltung, Umsetzung und langfristige Wir-

kung solcher Angebote zum jetzigen Zeitpunkt ebenso wenig absehbar sind wie diejenigen

des Pilotprojekts.