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BUCHBESPRECHUNGEN | 326 | Biol. Unserer Zeit | 5/2007 (37) www.biuz.de © 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim BIOLOGIEGESCHICHTE Evolution einer Theorie Die Endo- symbiose- theorie gehört heute zu den am besten gesicherten und bedeu- tendsten Vorstellun- gen in der Biologie: An der phylo- genetischen Entstehung der Plasti- den und einiger ihnen nahestehen- der Zellorganellen wie dem Apicoplasten der Malaria-Erreger, über die BIUZ kürzlich berichtet hat (4/2007, S. 228 – 234), sowie der Mitochondrien aus intrazellulä- ren, prokaryotischen Symbionten kann heute nicht mehr gezweifelt werden. Der vorliegende, umfangreiche und schwerwiegende Band (1,7 kg) zielt nun allerdings nicht, wie sein Haupttitel zunächst ver- muten ließe, auf eine umfassende Darstellung des Themas im Sinne eines Sachbuches ab, sondern bie- tet eine wissenschaftsgeschicht- liche Schilderung der Ursprünge und der Entwicklung dieser Theo- rie von frühen Vermutungen über erste klare Formulierungen der zunächst recht skeptisch beurteil- ten Hypothesen bis hinauf zur all- gemeinen Anerkennung. Dement- sprechend fehlt dem Band ein Sachregister, während das Perso- nenregister fast 1800 Namen auf- weist. Während die Forschung ständig weiter fortschreitet – das Vorwort schrieben bezeichnender- weise Jürgen Soll und Uwe Maier vom DFG-Sonderforschungsbe- reich „Endosymbiose: Vom Pro- karyoten zum eukaryotischen Or- ganell“ –, ist dieses Buch dem Rückblick gewidmet. Es vermittelt tiefe Einblicke auch in persönlich- menschliche und in gesellschaft- liche Facetten der Entwicklungen in diesem Themenbereich. Die He- rausgeber Armin Geus und Ekke- hard Höxtermann sind anerkannte Biologie-Historiker. Ihnen ist dafür zu danken, dass sie in Kooperation mit kompetenten Mitautoren die volle Bandbreite des Themas sicht- bar machen. Wie Lothar Jaenicke in seinem originellen Geleitwort sagt, trägt „diese Sammlung von Essays unbesungene Biographien, verknüpfende Entwicklungs- stränge von Wurzeln und Wegen der auf die russischen ‘Querden- ker’ zurückgehenden Theorie ... und die daraus entwickelte heu- tige Vorstellung über den Ur- sprung der höheren Lebewesen zusammen.“ Der Band beginnt mit Faksi- mile-Abdrucken der bahnbrechen- den Arbeiten von Constantin Me- reschkowsky (1905, 1910) und des Pflanzenphysiologen Andrej Fa- mincyn (1907, 1912), die damals im Biologischen Centralblatt und den Berichten der Deutschen Bota- nischen Gesellschaft in deutsch er- schienen sind. Es folgen die Biogra- phien dieser beiden Wissenschaft- ler und ihre Bibliographien. Die sehr detaillierte Darstellung des Lebensweges von Mereschkowsky bis hin zu seinem Selbstmord im Schweizerischen Exil lässt sich nicht ohne empathische Erschütte- rung lesen. Diese Abschnitte ma- chen fast 1/3 des Bandes aus. Es folgen dann unterschiedliche Be- trachtungen über Wurzeln und Wege der Endosymbiosetheorie. Nach einer grundlegenden Ein- führung („Entdeckung und Ent- wicklung eines biologischen Pro- blems“, Höxtermann und Mollen- hauer) folgen speziellere Beiträge, u.a. über Zoochlorellen und Zoo- xanthellen (Geus), über die Ge- schichte der Erforschung von Syn- cyanosen (Mollenhauer), weiter über plasmatische Vererbung (Hoßfeld; Hagemann), ein beispiel- haft klarer Beitrag von E. Schnepf über Ultrastruktur und Evolution der Plastiden, schließlich über das Genom der Plastiden (Kowallik) und zuletzt eine gründliche Betrachtung über Vorstellungen zur phyle- tischen Entstehung des Zellkerns (W. Martin). Zwi- schen diese objektorientierten Beiträge sind histori- sche Erörterungen eingeschoben. R. Mocek befasst sich mit den Wandlungen in der Auffassung biologi- scher Gedankengänge, konkret dokumentiert mit den Begriffen von einer „ursprünglichen Harmonie“ über den ominösen „Kampf ums Dasein“ bis zum „Prinzip der gegenseitigen Hilfe“. G. S. Levit und W. E. Krum- bein berichten über die Diskussionen der Symbioge- nesetheorie unter sowjetischen Biotheoretikern (!). Dieter Mollenhauer schildert in einem eingehenden und persönlich-sympathischen Beitrag die Wiederent- deckung der Ideen von Mereschkowsky nach 1945, die durch elektronenmikroskopische und biochemi- sche Untersuchungen unvermittelt wieder aktuell wurden und dann vor allem durch Lynn Margulis po- pularisiert worden sind. Fazit: Das sauber gedruckte, mit vielen SW-Por- traits ausgestattete Buch bietet jedem wissenschafts- historisch interessierten Biologen eine reichhaltige, solide Fundgrube. Leider wird der Preis eine ange- messene Verbreitung be-, vielleicht sogar verhindern. Evolution durch Kooperation und Integration Zur Entstehung der Endosymbiose-Theorie in der Zellbiologie. Armin Geus, Ekkehard Höxtermann, (Hrsg.), Basilisken-Presse, Marburg an der Lahn, 2007. 751 S., R 96,–. ISBN 978-3-92534783-2. Peter Sitte, Freiburg i. Br. IN KÜRZE Wer nimmt das Nashorn huckepack? Bruno P. Kremer, Klaus Richarz, Kosmos, Stuttgart, 2007. 176 S., R 12,95. ISBN 978-3-440-10232-9. Dem Autorenteam Bruno P. Kremer (den BIUZ-Lesern als Kurator dieser Zeitschrift bekannt) und Klaus Richarz gehen die Ideen nicht aus: In ihrem neuen Buch „Wer nimmt das Nashorn huckepack?“ nehmen sie sich Rekorde aus dem Tier- und Pflanzenreich vor. Vorangegangen sind erfolgreiche Titel über Kuriositäten bei Tieren und Pflanzen („Was macht der Fisch beim Blitzein- schlag?“ und „Was macht der Maikäfer im Juni?“), über Redensarten („Wer lässt die Katze aus dem Sack?“) sowie Tier- und Pflanzennamen („Wie bissig ist der Löwenzahn?“). Dass auch der neue, wiederum von Friedrich Werth liebevoll illustrierte Schmöker einige Lesestunden lohnt, zeigen folgende Beispiele, die auch hartgesottene Biologen mög- licherweise ins Grübeln bringen: Was ist die sauerste Frucht der Welt? Was ist das größte Tier, das je auf Erden gelebt hat? Wo steht der seltenste Nadelbaum? Die Antworten in Kürze: Antillenkirsche (Malphigia glabra), Blauwal (Balae- noptera musculus musculus, B. m. indica), Wollemia nobilis (Wollemi-Nationalpark, Australien). Sie möchten mehr wissen? Kremer/Richarz lesen! (cvs)

Evolution durch Kooperation und Integration. Von Armin Geus und Ekkehard Höxtermann (Hrsg.)

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B U C H B E S PR EC H U N G E N |

326 | Biol. Unserer Zeit | 5/2007 (37) www.biuz.de © 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

B I O LO G I EG E S C H I C H T E

Evolution einerTheorie

Die Endo-symbiose-theoriegehört heutezu den ambestengesichertenund bedeu-tendstenVorstellun-

gen in der Biologie: An der phylo-genetischen Entstehung der Plasti-den und einiger ihnen nahestehen-der Zellorganellen wie demApicoplasten der Malaria-Erreger,über die BIUZ kürzlich berichtethat (4/2007, S. 228 – 234), sowieder Mitochondrien aus intrazellulä-ren, prokaryotischen Symbiontenkann heute nicht mehr gezweifeltwerden.

Der vorliegende, umfangreicheund schwerwiegende Band (1,7 kg) zielt nun allerdings nicht,wie sein Haupttitel zunächst ver-muten ließe, auf eine umfassendeDarstellung des Themas im Sinneeines Sachbuches ab, sondern bie-tet eine wissenschaftsgeschicht-liche Schilderung der Ursprüngeund der Entwicklung dieser Theo-rie von frühen Vermutungen übererste klare Formulierungen derzunächst recht skeptisch beurteil-ten Hypothesen bis hinauf zur all-gemeinen Anerkennung. Dement-sprechend fehlt dem Band einSachregister, während das Perso-nenregister fast 1800 Namen auf-weist. Während die Forschungständig weiter fortschreitet – dasVorwort schrieben bezeichnender-weise Jürgen Soll und Uwe Maiervom DFG-Sonderforschungsbe-reich „Endosymbiose: Vom Pro-karyoten zum eukaryotischen Or-ganell“ –, ist dieses Buch demRückblick gewidmet. Es vermittelttiefe Einblicke auch in persönlich-menschliche und in gesellschaft-

liche Facetten der Entwicklungenin diesem Themenbereich. Die He-rausgeber Armin Geus und Ekke-hard Höxtermann sind anerkannteBiologie-Historiker. Ihnen ist dafürzu danken, dass sie in Kooperationmit kompetenten Mitautoren dievolle Bandbreite des Themas sicht-bar machen. Wie Lothar Jaenickein seinem originellen Geleitwortsagt, trägt „diese Sammlung vonEssays unbesungene Biographien,verknüpfende Entwicklungs-stränge von Wurzeln und Wegender auf die russischen ‘Querden-ker’ zurückgehenden Theorie ...und die daraus entwickelte heu-tige Vorstellung über den Ur-sprung der höheren Lebewesenzusammen.“

Der Band beginnt mit Faksi-mile-Abdrucken der bahnbrechen-den Arbeiten von Constantin Me-reschkowsky (1905, 1910) und desPflanzenphysiologen Andrej Fa-mincyn (1907, 1912), die damalsim Biologischen Centralblatt undden Berichten der Deutschen Bota-nischen Gesellschaft in deutsch er-schienen sind. Es folgen die Biogra-phien dieser beiden Wissenschaft-ler und ihre Bibliographien. Diesehr detaillierte Darstellung desLebensweges von Mereschkowskybis hin zu seinem Selbstmord imSchweizerischen Exil lässt sichnicht ohne empathische Erschütte-rung lesen. Diese Abschnitte ma-chen fast 1/3 des Bandes aus. Esfolgen dann unterschiedliche Be-trachtungen über Wurzeln undWege der Endosymbiosetheorie.Nach einer grundlegenden Ein-führung („Entdeckung und Ent-wicklung eines biologischen Pro-blems“, Höxtermann und Mollen-hauer) folgen speziellere Beiträge,u.a. über Zoochlorellen und Zoo-xanthellen (Geus), über die Ge-schichte der Erforschung von Syn-cyanosen (Mollenhauer), weiterüber plasmatische Vererbung(Hoßfeld; Hagemann), ein beispiel-haft klarer Beitrag von E. Schnepfüber Ultrastruktur und Evolutionder Plastiden, schließlich über das

Genom der Plastiden (Kowallik) und zuletzt einegründliche Betrachtung über Vorstellungen zur phyle-tischen Entstehung des Zellkerns (W. Martin). Zwi-schen diese objektorientierten Beiträge sind histori-sche Erörterungen eingeschoben. R. Mocek befasstsich mit den Wandlungen in der Auffassung biologi-scher Gedankengänge, konkret dokumentiert mit denBegriffen von einer „ursprünglichen Harmonie“ überden ominösen „Kampf ums Dasein“ bis zum „Prinzipder gegenseitigen Hilfe“. G. S. Levit und W. E. Krum-bein berichten über die Diskussionen der Symbioge-nesetheorie unter sowjetischen Biotheoretikern (!).Dieter Mollenhauer schildert in einem eingehendenund persönlich-sympathischen Beitrag die Wiederent-deckung der Ideen von Mereschkowsky nach 1945,die durch elektronenmikroskopische und biochemi-sche Untersuchungen unvermittelt wieder aktuellwurden und dann vor allem durch Lynn Margulis po-pularisiert worden sind.

Fazit: Das sauber gedruckte, mit vielen SW-Por-traits ausgestattete Buch bietet jedem wissenschafts-historisch interessierten Biologen eine reichhaltige,solide Fundgrube. Leider wird der Preis eine ange-messene Verbreitung be-, vielleicht sogar verhindern.

EEvvoolluuttiioonn dduurrcchh KKooooppeerraattiioonn uunndd IInntteeggrraattiioonnZur Entstehung der Endosymbiose-Theorie in derZellbiologie. Armin Geus, Ekkehard Höxtermann,(Hrsg.), Basilisken-Presse, Marburg an der Lahn,2007. 751 S., RR 9966,,––. ISBN 978-3-92534783-2.

Peter Sitte, Freiburg i. Br.

I N K Ü R Z E

WWeerr nniimmmmtt ddaass NNaasshhoorrnn hhuucckkeeppaacckk??

Bruno P. Kremer, Klaus Richarz, Kosmos,Stuttgart, 2007. 176 S., RR 1122,,9955. ISBN 978-3-440-10232-9.

Dem Autorenteam Bruno P. Kremer (denBIUZ-Lesern als Kurator dieser Zeitschriftbekannt) und Klaus Richarz gehen die Ideen nicht aus: Inihrem neuen Buch „Wer nimmt das Nashorn huckepack?“nehmen sie sich Rekorde aus dem Tier- und Pflanzenreich vor.Vorangegangen sind erfolgreiche Titel über Kuriositäten beiTieren und Pflanzen („Was macht der Fisch beim Blitzein-schlag?“ und „Was macht der Maikäfer im Juni?“), überRedensarten („Wer lässt die Katze aus dem Sack?“) sowieTier- und Pflanzennamen („Wie bissig ist der Löwenzahn?“).

Dass auch der neue, wiederum von Friedrich Werth liebevollillustrierte Schmöker einige Lesestunden lohnt, zeigenfolgende Beispiele, die auch hartgesottene Biologen mög-licherweise ins Grübeln bringen: Was ist die sauerste Fruchtder Welt? Was ist das größte Tier, das je auf Erden gelebthat? Wo steht der seltenste Nadelbaum? Die Antworten inKürze: Antillenkirsche (Malphigia glabra), Blauwal (Balae-noptera musculus musculus, B. m. indica), Wollemia nobilis(Wollemi-Nationalpark, Australien). Sie möchten mehrwissen? Kremer/Richarz lesen! (cvs)