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Der Effi zienz-Effekt Die Natur als Lehrerin nehmen, nicht als Vorbild.Der neue Umgang mit Ressourcen und seine unglaublichen Potenziale
Evonik-MagazinEvonik-Magazin
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Achtung Lithozeile druckt nicht mit! Diese Datei ist ohne Überfüllungen angelegt! Farbton Offset-Druck 48c 100m14359 02-232 • Evonik Image-Anzeige 2013 • Motiv Stadtmusikanten • Deutsch • 4c • Format: 220 x 270 mm + 5 mm Beschnitt • 25.09.13 • am • Evonik Magazin, Deutsch, OF, ET Oktober 2013
Wir machen Hähnchen groß und stark. Und den CO2-Ausstoß klein.
Ob Hähnchen oder Schweine: Aminosäuren von Evonik sind nicht nur gut fürs Tier, sondern auch gut fürs Klima. Im Kraftfutter sorgen sie dafür, dass Nutztiere gesund groß werden. Darüber hinaus entsteht durch die Verwendung von Aminosäuren wesentlich weniger CO2 als durch den Einsatz herkömmlicher Futter mittel. Mit der Kreativität der Spezialchemie ent wickeln wir Zukunftslösungen. Und mit der Kraft eines Industriekon- zerns versorgen wir die Weltmärkte.
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Erfolg mit Effizienz Wer sich um Effi zienz bemüht, hat immer viel zu tun. Wird aber am Ende reich belohnt – mit Spielraum für Wachstum und Innovation
Dr. Klaus Engel, Vorsitzender des Vorstandes der Evonik Industries AG
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Liebe Leserinnen und Leser,Effizienz hat viele Gesichter. Die Biene am Titel dieses Evonik-Magazins ist auf ihre Art effizient, verschiedene Verfahren der Chemie gelten als effizient und tragen zur Effizienz von Produkten des Alltags bei, als effizient kann aber auch das Fußballspiel „unseres“ Vereins, des BVB, angesehen werden.
„Effizienz schlägt Dominanz“, schrieb das „Handelsblatt“, als sich die Dortmunder vor Kurzem gegen die Bayern durchsetzten.
Was also ist gemeint mit Effizienz? Ist sie bloß ein Schlagwort – oder der „Ur-Antrieb“ aller menschlichen Aktivität? In diesem Evonik-Magazin finden Sie Deutungen aus verschiedenen Blickwinkeln. Ein großes Schaubild zeigt mit Hunderten Beispielen die Historie menschlichen Effizienzstrebens – von der Erfindung des Rades bis zur heutigen Vision von Maschinen, die uns einiges abnehmen, weil sie gleich selbst miteinander sprechen. Effizienz und Innovation sind hier nicht immer eindeutig zu unterscheiden, wobei sich klar zeigt, dass jene Innovationen die besten sind, die auch zur Effizienz beitragen.
Für ein Unternehmen wie die Evonik Industries AG ist Effizienz jedenfalls mehr als eine philoso phische Debatte, sie ist ein Gebot täglichen Handelns. Nur wer sich um Effizienz kümmert, wird wettbewerbsfähig bleiben – und nur wer wettbe werbsfähig bleibt, kann langfristig Arbeitsplätze, und damit auch die Innovationskraft, erhalten. Die Effizienz ist heute aber auch eine Einsicht in die Gegeben heiten unseres Planeten, dessen Ressourcen endlich sind – mit der Folge, dass die Ressourceneffizienz von Produkten heute kein schmückendes Beiwerk mehr ist, sondern eine Grundvoraussetzung, um sie überhaupt in die Märkte zu bringen.
Spürbar ist der hohe Stellenwert von Effizienz immer und überall im Unternehmensalltag. Das gilt nicht nur, wenn der Wind mal von vorne kommt; vielmehr sind effiziente Prozesse entscheidende Voraussetzung, um Marktchancen in jedem Konjunkturumfeld nutzen zu können. Je effizienter wir arbeiten, je sparsamer wir sind, umso mehr Spielraum gewinnen wir für Wachstum und Innovation.
Man kann es auch einfacher sagen: Effizienz bedeutet für uns, jeden Tag besser zu werden.
Herzlichst
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EFFIZIENZ Die Straßenbeleuchtung von morgen?„Wenn Menschen meine Fotos sehen, haben sie manchmal das Gefühl, es seien Bilder wie aus einem Traum“, sagt Fotograf Takaaki Ishikawa, der diese Aufnahme von Glühwürmchen in Nagoya (Japan) gemacht hat. Womöglich ist hier aber auch ein Bild aus der Zukunft zu sehen, denn Forscher versuchen, sich die hocheffiziente Leuchttechnik der Glühwürmchen zunutze zu machen. Die Käferart wandelt in einem chemischen Verfahren, der sogenannten Biolumineszenz, 95 Prozent der aufgewen-deten Energie in Licht um und nur fünf Pro-zent in Wärme. Ein Effizienz wert, den auch moderne LED-Leuchten nicht erreichen. Forscher versuchen nun, das Leuchtgen der Würmchen auf Bäume zu übertragen, auf dass die dann einmal selbsttätig die Straßen beleuchten. Das ergibt dann sicherlich ein Bild wie aus einem Traum …
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IMPRESSUM Herausgeber: Evonik Industries AGChristian Kullmann Rellinghauser Straße 1–1145128 Essen
Objektleitung: Stefan Haver
Beratung und Konzept: Manfred Bissinger
Chefredaktion: Urs Schnabel (V. i.S.d.P.)
Redaktion: Michael Hopp (Leitung), Sophie Hanika, Kristin Menzel
Chef vom Dienst: Stefan M. Glowa
Art Direction: Wolf Dammann
Gestaltung: Teresa Nunes (Leitung), Anja Giese, Arnim Knorst/Redaktion 4
Fotoredaktion: Ulrich Thiessen, Beatrice Linnenbrügger
Dokumentation: Kerstin Weber/Kontor Korrekt
Schlussredaktion: Wilm Steinhäuser
Kleine Maus – große EffizienzEffizienzsprünge in der Menschheitsgeschichte kommen oft unscheinbar daher. Und manchmal müssen sie auch noch warten, bis ihre Zeit gekommen ist. Genauso ging es der Computermaus. Auf einer Konferenz am 9. Dezember 1968 in San Francisco stellte der US-Computertechniker und Erfinder Dr. Douglas C. Engelbart seinen X-Y-Positionsanzeiger für Bildschirmsysteme (Foto) vor: Unscheinbar, aus Holz, mit Knöpfen darauf und einem Kabel daran, erhielt das Gerät bald seinen Namen „Maus“. Seinen Siegeszug als effizientes Tool in der Computer-Mensch-Interaktion trat die Maus allerdings erst an, als die Firmen Microsoft 1983 und Apple 1984 in das Marktsegment einstiegen. Und wie viele Milestones rief auch die Maus Nachfolger auf den Plan – zum Beispiel das Trackpad und die Sprachsteuerung
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EDITORIAL
3 Erfolg mit EffizienzDr. Klaus Engel über Spielraum für Wachstum und Innovation
IM BILD
4 Die Straßenbeleuchtung von morgen?Von Käfern lernen: Forscher wollen sich die Leuchttechnik von Glühwürmchen zunutze machen
INFORMIEREN
8 PerspektivenDie Effizienz der Bienen: Beispielhafte Kommunikation – Bienen informieren sich über gute Futterstellen
Drei Minuten mit…: Chemiker und Pädagoge Dr. Salman Ansari will Kindern die Neugier bewahren
E-Mails als Effizienzkiller: Ein vermeintlich schlankes Kommunikationstool macht den Arbeitsalltag beschwerlich
Weltkarte: Wie effizient ist unsere Welt? Energieeinsatz und Wirtschaftsleistung im globalen Vergleich
FORSCHUNG
16 Die Welt neu erfindenDer Chemiker und Ökovisionär Prof. Dr. Michael Braun gart will sein Prinzip der geschlossenen Nährstoff kreisläufe auf die Wirtschaft von Unternehmen und Ländern übertragen
23 Das Kreislauf-GenDie chemische Industrie ist seit jeher geprägt vom Auf- und Wiederverwerten vermeintlicher Abfälle
GESELLSCHAFT
24 Kleine Geschichte der EffizienzIn einer Zeit von Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein ist Effizienz zur Messlatte für das Handeln von Individuen, Unternehmen und ganzen Volkswirtschaften geworden
31 Effizienz tut auch mal wehEffizienz kann auch Sparen bedeuten. Unternehmen gehen sehr unterschiedlich damit um
EFFIZIENZGESCHICHTE
32 Von Natur- zu NanostoffenDie Effizienzschübe, die die Entwicklungen aus Chemie, Energie, Ernährung, Mobilität und Kommunikation in der Menschheitsgeschichte ausgelöst haben – auf einen Blick
KONSUM40 Immer mehr und immer billigerDas Prinzip des Massenkonsums beginnt, ineffizient zu werden. Individualisierte Angebote und selbstbestimmte Konsumenten werden am Markt immer wichtiger
47 Das Licht-WunderEffizienz im Alltag: LED-Technologie macht Beleuchtung in vielen Bereichen sparsamer und intelligenter
ENTWICKLUNG48 Poverty ActionMit einer neuen, aus der Arzneimittelforschung entlehnten Methode wollen Wirtschaftswissenschaftler die Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit erhöhen
53 Von Henkelmännern und RaketenEffizienz in der Organisation kann man am besten von indischen Essensboten lernen – oder von Satellitenmissionen
INNOVATION54 Effizienz-Motor ChemieChemische Verfahren bilden die Grundlagen für viele Inno vationen, die den Alltag prägen und auf andere Branchen wirken. Die Effizienzleistungen der Chemie dargestellt in Grafiken
NACHGEFRAGT
62 Was ist Effizienz für Sie?Wir fragten Juristen, Wirtschaftswissenschaftler, Vertreter der Automobilindustrie, Politiker und Kommunikationsexperten
LEBEN
64 Lob der IneffizienzVoltaire erhob die Arbeit zum Vater des Vergnügens. Doch Tom Schimmeck feiert die Kostbarkeit des Untätigseins
FINDEN
65 Auf einen BlickProdukte von Evonik Industries im Heft
Verlag und Anschrift derRedaktion:Hoffmann und Campe Verlag GmbH, ein Unternehmen der GANSKE VERLAGSGRUPPE Harvestehuder Weg 42 20149 Hamburg E-Mail: [email protected]
Druck: Neef+Stumme premium printing, Wittingen
Copyright: © 2013 by Evonik Industries AG, Essen. Nachdruck nur mit Genehmigung des Verlages. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder
Fragen zum Evonik-Magazin: Telefon +49 40 68879-137 Telefax +49 40 68879-199 E-Mail [email protected]
ACEMATT®, ACRYLITE®, AEROSIL®, DEGAROUTE®, Dy -nasylan®, DYNAVIS®, FAVOR®, PLEXIGLAS®, ROHACELL®, SiVARA®, STOCKOSORB® sind geschützte Marken der Evonik Industries AG oder ihrer Toch ter-unternehmen. Sie sind im Text in Groß buchstaben geschrieben
Diese Ausgabe des Evonik-Magazins fi nden Sie auch online unter www.evonik.de
und als iPad-App im App Store
TITEL: BIOSPHOTO/MICHEL GUNTHERFOTO: RUE DES ARCHIVES/PVDE/SÜDDEUTSCHE ZEITUNG PHOTO.
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geschichte
zum Aufklappen
ab Seite 32
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Mailbox-App Mithilfe einfacher
Wischgesten können Nutzer mit dieser App E-Mails als erledigt markieren, löschen, verschiedenen Kate-gorien zuordnen oder auf Wiedervorlage legen. Der Posteingang ist dadurch immer aufgeräumt. Die Mailbox vereint sozusagen einen E-Mail-Client mit einer To-do-App.
Kindle Lese-AppDie Kindle-App
ist für iPad, iPhone und iPod touch optimiert. Der Kindle-Shop bietet Zugriff auf mehr als 1,5 Millionen Bücher, darunter Bestseller und Neuerscheinungen. Damit hat der Digital-Leser die Weltliteratur endlich in der Tasche und kann sich auf Reisen mit dem Handy schon mal ein wenig einlesen.
Cam-Scanner Mit der App das
Handy in einen mobilen Scanner verwandeln. So lassen sich mit der Kamera eines Android-Handys Dokumente, wie Einkaufszettel und Rechnungen, nach der Shopping-Tour abfotografi eren und als Bild speichern – oder direkt in PDFs umwandeln und per E-Mail verschicken.
Runkeeper Mit dieser praktischen kleinen
App kann man sich die Anschaffung eines Schrittzählers sparen.Runkeeper verwendet die GPS-Funktion des iPhone, um zurück-gelegte Strecken zu erfassen, und verwandelt die Daten in praktische Übersichten, die sich auf dem Handy oder auf der RunKeeper-Website anschauen lassen.
Gegen die DürreUm 20 bis 50 Prozent reduziert sich die Bewässerungsfrequenz mit STOCKOSORB. Auch benötigt man weniger Dünger
Die leichte BalanceDurchschnittlich 400-mal dreht sich der Rotor eines Hubschraubers in der Minute. Wird ROHACELL als Material für Propeller eingesetzt, reduziert dies das Gewicht und spart Kerosin ein
WAS TUN, WENN das eigene Unternehmen wegen angeb-lich mangelhafter Arbeitsbedin -gungen plötzlich im grellen Scheinwerferlicht von Nicht-regierungsorganisationen (NGOs) steht? Wie reagieren, wenn knappe Rohstoffe die Produktionskosten drastisch erhöhen? Oder positiv gese-hen: Wie lassen sich Chancen erkennen und ausbauen, die sich aus Innovationen, gesell-schaftlichen Trends und ver-änderten Kundenbedürfnissen ergeben? Das Nachhaltigkeits-planspiel Napuro ermöglicht es Mitarbeitern von Unterneh-men, die Zusammenhänge und Wechselwirkungen, die für die unternehmerische Nach-haltigkeit entscheidend sind, etwa die Absicherung gegen Risiken und das frühe Erken-nen unternehmerischer Chan-cen, spielerisch zu erlernen. Auch elf Mitglieder des Talent-Bindungsprogramms Evonik Perspectives sowie drei Prak-tikanten und ein Auszubilden-der der Evonik Industries AG haben das Spiel getestet – mit großem Spaß und Erfolg.
Nachhaltigkeit spielerisch lernen
Die Effizienz der Bienen erforscht
Smarte Apps für mehr Effizienz und Produktivität
Findet eine Biene einen guten Futterplatz, teilt sie das ihren Artgenossen durch den Schwänzeltanz mit. Biologen und Informatiker der Freien Universität Berlin erforschen das effi ziente Kommunikationsverhalten mithilfe einer Roboterbiene, um es auch für Menschen nutzbar zu machen. Eine Miniantenne hilft dabei, die Bienen zu orten.
Bei Evonik setzt man künftig vermehrt auf „Learning by Playing“
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Entwicklungsschub393 Millionen € investierte Evonik im vergangenen Jahr in die Erforschung und Entwicklung neuer Produkte sowie innovativer Lösungen und Methoden
Evonik im Zitat
„Je effizienter wir arbeiten, umso mehr Spielraum gewinnen wir für unser Wachstum“Dr. Klaus Engel, Vorsitzender des Vorstandes der Evonik Industries AG
Wüstenprojekt: Drei-D-Drucker schafft Kunstwerke aus Sonne und Sand DIE IDEE scheint nur auf den ersten Blick verrückt: Im Rahmen seines Design-studiums am Royal College of Art in London hat der deut-sche Produkt designer Markus Kayser eine Apparatur entwi-ckelt, mit der sich allein durchdie Kraft der Sonne Sahara-sand schmelzen und im Sinter-verfahren mit dem Drei-D-Drucker in Gegenständewie Glaskeramik schalen oder -skulpturen ver wandeln lässt. Über eine spezielle Linsenkonstruktion, die eine automatische Nachverfol-gung der Sonne ermöglicht, wird das Licht so stark gebün-delt, dass im Brennpunkt Tem-peraturen von mehr als 2.000 Grad entstehen. Damit lässt sich selbst Sand bis zu einer
Tiefe von einigen Millime-tern schmelzen. Schicht für Schicht wird der Sand an den Stellen verflüssigt, die später Bestandteil des Objekts sein sollen. Nach jeder Schmelz-ebene muss – derzeit noch von Hand – eine neue Sand-schicht aufgetragen wer-den. Den Betriebsstrom für den elektrischen und elek-tronischen Teil seines Solar-schmelzofens gewinnt Kayser mithilfe von zwei Fotovoltaik-modulen. Bislang ist der
„Kayser-Apparat“ zwar nur ein Kunstprojekt, doch es gäbe auch praktische Anwendungs-möglichkeiten – von der Pro-duktion einfacher Haushalts-gegenstände aus origineller Glaskeramik bis zum Drei-D-Druck ganzer Häuser.
Markus Kayser kennt keine Ressourcenknappheit: Sein Gerät braucht nur Sonnenstrahlen und Saharasand. Einfache Gegen-stände wie eine Schale, aber auch eine komplexe Skulptur waren das Ergebnis der Solar-Sinteranlage mit Drei-D-Drucker
Check-in-Automaten tragen am Flughafen Kopenhagen zur schnellen Abfertigung bei
PÜNKTLICH, effizient und am besten ge -führt: Der Kopenhagener Flughafen ist einer Studie zufolge Europas bester Flug-hafen. Die Forschungsgesellschaft ATRS an der University of British Columbia in Vancouver, Kanada, hat die Verkehrs daten, Pünktlichkeitsstatistiken, Unternehmens-berichte und Passagierabfertigungszah-len untersucht. Sie verglich insgesamt 195 Flughäfen in den USA, Kanada, Europa, Asien und Australien/Ozeanien.
SIEGER DER REGIONENUSAHartsfield–Jackson Atlanta International Airport
KANADAVancouver International Airport
EUROPACopenhagen Kastrup International Airport
ASIENSeoul Gimpo International Airport
AUSTRALIEN/OZEANIENSydney Airport
Kopenhagen hat Europas effizientesten Airport
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Salman Ansari „Beim Spielen lernen Kinder am meisten“
Dr. Salman Ansari, 1941 in Indien geboren, arbeitet seit den 1960er-Jahren in Deutschland. Der Chemiker und Lernpädagoge übt in seinem neuen Buch konstruktive Kritik an der
„Akademisierung der Kindheit“
Ihr neuestes Buch heißt „Rettet die Neugier!“ Kommt unseren Kindern die Neugier denn abhanden?Jedenfalls müssen wir alles dafür tun, dass dies nicht passiert. Mit Neugier fängt alles an, dann kommt das Staunen und dann das Fragen. Kinder geben diese fantastische Eigenschaft, auf alles neugierig zu sein, oft viel zu früh auf. Woran liegt das?Die Neugier erstirbt, wenn Kinder eine Lern -um gebung vorfinden, die arm an eigenständigen Erfahrungsmöglichkeiten ist und Kindern Kon zepte aufbürdet, die sie nicht selbstständig, also vor dem Hintergrund ihres Vorwissens, erwerben können. Wenn sie Antworten auf Fragen bekommen, die sie gar nicht gestellt haben, und die Erwachsenen ihnen Begriffe oder Zusammenhänge erklären, die außer-halb ihrer Denkmöglichkeiten liegen, dann kann keine Neugier entstehen.Sie sprechen sich in Ihrem Buch für eine neue Form des Lernens aus. Was raten Sie Eltern, Lehrern und Erziehern in Zeiten des Frühförderungswahns?Wir Erwachsenen müssen umdenken, Einfachheit anstreben, lernen, mit Kindern zu spielen und das Selbstverständliche, das Alltägliche mit Neugier zu betrachten, ohne gleich die richtige Antwort parat zu haben. Wichtig ist, die Fragen und Gedanken der Kinder aufzugreifen und mit ihnen gemeinsam im Dialog eine Antwort zu finden.
Nennen Sie ein Beispiel: Wo läuft es derzeit falsch in der Erziehung, was kann man besser machen? Wie lässt sich die Neugier von Kindern wecken? Antworten auf viele Fragen bietet die Natur selbst an. Beispielsweise braucht man kein Experiment, um das Zusammenspiel zwischen Licht und Wachs-tum der Pflanzen zu entdecken. Im Schatten von Bäumen wachsen keine Blumen. Am Waldboden wächst der Löwenzahn nicht, jedoch Pflanzen, die das Klettern gelernt haben wie Efeu oder Waldrebe.Sie selbst sind ein gefragter Experte in Kindergärten. Wie sieht Ihre Arbeit mit den Kindern konkret aus? Was machen Sie anders als andere Pädagogen? Ich sehe keinen Unterschied zwischen Spielen und Lernen. Lernen setzt Erfahrung voraus. Während Kinder spielen, machen sie spontane Erlebnisse, sie kommunizieren miteinander, sind fantasievoll, kreativ, lernen zu verlieren und zu gewinnen. Ich begegne den Kindern auf ihrer Augenhöhe, stimu-liere sie mit neuen Ideen, die sie dazu anregen sollen, ihre Vorstellungen selbst in Worte zu fassen. Kinder brauchen keine Erklärungen, sondern vielmehr die stete Ermutigung, die Welt auf ihre Weise zu inter-pretieren. Kinder brauchen Naturerfahrung. Kinder brauchen Begegnungen mit Jim Knopf, Michel aus Lönneberga, Madita und Pu dem Bären. Kinder brau-chen Ferien auf Bullerbü und Reisen zu den Inseln, wo die wilden Kerle wohnen.
2.980 Kilometer mit einem Liter Benzin Bei Rennen geht es meist um Geschwindigkeit. Nur nicht beim Shell-Eco-Marathon. Bei dem Effizienz-Wettbewerb, bei dem Studenten aus aller Welt mit selbst konstruierten Fahrzeugen antreten, zählt die Tank- statt der Tacho nadel. Ziel ist es, mit möglichst wenig Energie möglichst weit zu fah-ren. Wie das geht? Mit leichten Karosserien, oft nur drei Rädern und äußerst geringem Luftwiderstand. Der Rekord liegt seit Mai 2013 bei sagenhaften 2.980 Kilometern, gefahren mit einem Liter Benzin. Das Konzeptfahrzeug „Wind Explorer“ von Evonik legte auf seiner Pionierfahrt durch Australien4.900 Kilometer mit regene rativer Energie zurück. Bei entsprechenden Windverhältnissen wurden die Lithium-Ionen-Batterien alle circa 400 Kilo-meter mit einer mobilen Windkraftanlage wieder aufgeladen.
Nachhaltigkeit39 Millionen € investierte die Evonik Industries AG im ver gangenen Jahr in verbesserten Umweltschutz. Der Energieeinsatz im Unternehmen sank 2012 im Vergleich zum Vorjahr um drei Prozent
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Transparenter Durchblick40 bis 50 Prozent leichter sind Scheiben aus PLEXIGLAS als herkömmliche Glasscheiben und reduzieren somit das Gewicht von Autos
UmwelteffizienzUm 20 Prozent verringerte Evonik die auf die Produktion bezogenen energiebedingten Treib hausgase seit 2004
VÖGEL, die gut tauchen können, ver-brauchen beim Fliegen besonders viel Energie. Das ist das Ergebnis einer wis-senschaftlichen Studie der University of Manitoba in Winnipeg, Kanada. Bei ihren Untersuchungen verglichen die Forscher um Kyle Elliott Dickschnabellummen und Meerscharben miteinander. Beide Mee-resvögel ernähren sich überwiegend von Fisch und sind exzellente Taucher. Aller-dings unterscheiden sich die Tiere im Tauchstil: Dickschnabellummen benöti-gen mit ihren Flügelbewegungen unter Wasser weniger Energie als Meerschar-ben, die sich dort mit den Füßen fortbe-wegen. Beim Fliegen ist der Energieauf-wand für beide deutlich höher. Fazit der Wissenschaftler: Die Perfektion einer Eigenschaft geht – zumindest bei Was-servögeln – zulasten anderer Eigenschaf-ten. Ab einem bestimmten Punkt rechnet sich der Energieaufwand für die Auf-rechterhaltung einer zweiten Fortbewe-gungsart sogar gar nicht mehr: Pinguine zum Beispiel haben deshalb das Fliegen schon vor mehr als 50 Millionen Jahren aufgegeben.
ENERGIEEFFIZIENTE Autorei-fen: Durch den Einsatz von Kieselsäuren (Silica) in Kom-bination mit Silanen kön-nen Reifen mit einem deutlich geringeren Rollwiderstand produziert werden. Damit las-sen sich bis zu acht Prozent Kraftstoff sparen. Als einzi-ger Hersteller weltweit bietet Evonik beide Komponenten an und ist dadurch für Kunden aus der Reifen- und Gummi-industrie ein kompetenter Partner für leistungsfähige Rei- fen mischungen. Schätzungen von Experten zufolge wird allein der Markt für Leicht-laufreifen weltweit in den nächsten fünf Jahren um gut 18 Prozent jährlich wachsen.
Kieselsäure wird nicht nur in der Automobilindustrie für Leichtl aufreifen eingesetzt, sondern auch in der Futter- und Nahrungs mittelindustrie sowie in der Farben- und Lackindustrie. In diesen Branchen ist die Nachfrage
in Südostasien stark gestie-gen. In Südamerika hat vor allem das starke Wachstum der Automobilindustrie sowie ein steigender Bedarf im Life-Science-Bereich und in der Landwirtschaft für einen Nachfrageschub gesorgt.
Um der steigenden Nach-frage nach gefällter Kiesel-säure nachzukommen, baut Evonik Industries seine Pro-duktionskapazitäten aus: In Thailand erweitert Evonik den Standort Map Ta Phut. Bereits Anfang 2014 soll die neue Anlage, die ein In -vesti tionsvolumen im un -teren zweistelligen Millionen-bereich umfasst, fertiggestellt sein. In Brasilien laufen der-weil die Planungen für eine ganz neue Produktionsstätte. Diese soll, die Zustimmung der örtlichen Behörden vorausge-setzt, 2015 in Betrieb gehen. Es wäre die erste Kieselsäure-produktion von Evonik Indus-tries in Südamerika.
Gute Taucher fliegen schlecht
Leichtlaufreifen sorgen für Nachfrageschub bei Kieselsäure
Zitat
„Effizienz heißt, die Dinge richtig zu tun, Effekti-vität heißt, die richtigen Dinge zu tun“US-Ökonom Prof. Dr. Peter Drucker
Lummen: perfekte Taucher – aber schwerfällige Flieger
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Silica-Silan-Reifen sparen Kraftstoff und bieten bessere StraßenhaftungFOTO
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Ölige Angelegenheit30 Prozent weniger Kraftstoffverbrauch von Maschinen bei gleicher Arbeitsleistung – die Technologie DYNAVIS ermöglicht eine breitere Arbeitstemperatur der Hydraulikflüssigkeiten
Ressourcenschutz31 Prozent weniger Wasser hat die Evonik Industries AG von 2004 bis 2012 verbraucht und damit das selbst gesteckte Umwelt-ziel zwei Jahre früher erreicht als geplant
You’ve got Mail – was einst die Kommunikation revolu-tionierte und der Stoff
romantischer Komödien war, ist längst zum alltäglichen Ärgernis geworden: die E-Mail. Weltweit wurden 2012 jeden Tag etwas 144 Milliarden davon verschickt. 11.680 E-Mails bekomme der Durch-schnittsmitarbeiter jährlich, sagt Barry Gill vom Mail-Dienstleister Mimecast. 74 Prozent davon werden gleich als Spam ausgesiebt. Das tägliche Abtragen und Verwalten des verbleibenden Bergs nimmt je nach Branche und Um-frage dennoch den halben Arbeitstag in Anspruch.
Gegen diese moderne Sisyphosaufgabe regt sich Widerstand. Unternehmen
setzen auf Regeln, Belehrungen und technische Einschränkungen. Manche propagieren gar den kompletten Ver-zicht. Selbst Internetpionier Prof. Micha-el Rotert, der 1984 als erster Deutscher überhaupt eine E-Mail bekam, sieht sie heute als Auslaufmodell. Bei jungen Usern dominieren ohnehin längst Messaging-Dienste, die mehr mit Chats als mit Korrespondenz gemein haben.
Dabei ist die E-Mail noch immer das ultimative Kom-munikationsmittel im Büro-alltag – und gerade deshalb
allgegenwärtig: „Sie ist ein fantastisches
Werkzeug, gerade beim Kommunizieren über Zeitzonen hinweg“, sagt Führungs-kräfte-Coach Günter Weick. Es habe sich aber nie eine echte E-Mail-Kultur eta-bliert. „Stattdessen hantiert jeder damit, wie er es instinktiv für richtig hält.“
Weick hat zwei Bücher zum Thema geschrieben und berät Unternehmen im rich-
tigen Umgang mit der E-Mail-Flut. In -stink tives Verhalten hält er für einen aus-gesprochen schlechten Ratgeber, wenn es um effizientes Verhalten geht. Sein Tipp:
„Lassen Sie sich nicht von jeder neuen E-Mail ablenken und treiben.“ Der Signal-ton für das Eintreffen von E-Mails sei ein Produk tivitätskiller erster Güte und gehö-re abgeschaltet. Wer ständig E-Mails che-cke, nehme sich oft selbst zu wichtig oder drücke sich vor eigentlicher Arbeit, mahnt Weick. Zwei- bis dreimal am Tag Mails zu checken reiche in den meisten Jobs aus.
„Am E-Mail-Stress sind wir alle mit schuld“, sagt Weick.
„Zwei von drei E-Mails, die mich nerven, habe ich selbst
verursacht.“ Jene, die am lautesten über die E-Mail-Flut stöhnen, seien meist die größten Mail-Schleudern, so Weick.
„Wer auf jede E-Mail mindestens mit einem ‚Danke!‘ antwortet, verdoppelt den E-Mail-Verkehr.“
Weick zufolge muss die ers-te Frage vor dem Schreiben lauten: „Ist diese E-Mail wirklich nötig?“ Es gibt
schließlich Alternativen. Oft hilft ein Anruf. Was den nicht wert ist, bedarf in der Regel auch keiner E-Mail. Wieder-kehrende Anfragen lassen sich womög-lich mit einem Update im Handbuch oder Intranet beantworten. Wie Evonik Industries haben viele Unternehmen zudem Kommunikationskanäle ein-geführt, die an Facebook und Chats erinnern. Sie verhindern lange E-Mail-Ketten, die entstehen, wenn mehrere Personen an einem Projekt arbeiten.
Beim Verfassen von E-Mails gilt die Regel: kurz, aber vollständig. Rückfragen las-
sen sich durch klare Formulierungen und vollständige Informationen vermeiden. Eine eindeutige Betreffzeile spart nicht nur Zeit beim Ordnen des Posteingangs, sie hilft auch beim späteren Wieder-finden. Schließlich steckt immer mehr Unternehmenswissen in den E-Mail-Postfächern der Mitarbeiter.
Auch Evonik beschäftigt sich mit dem Stressfaktor E-Mail:
„Wir brauchen die Mail, denn in einem globalen Unternehmen
lässt sich die Kommunikation nicht auf deutsche Bürozeiten beschränken“, sagt Randolf Bursian. Er leitet den Bereich Compensation & Benefits, der unter ande-rem für das Thema Arbeitszeit zuständig ist. Jetzt sorgt er auch für einen bewusste-ren Umgang mit modernen Kommunika-tionsmitteln. Ein Leitfaden für Führungs-kräfte hilft dabei. Seit September wird zudem das E-Mail-Aufkommen mobiler Endgeräte gemessen, damit Führungskräf-te wissen, welche Früchte die neue E-Mail-Kultur trägt.
„Ich muss mir immer bewusst machen, was mei-ne E-Mail beim Empfänger
auslöst“, sagt Bursian. Eine E-Mail am Samstagabend impliziere, dass jeder sein Postfach auch nach Feierabend im Blick haben soll. Das Gegenteil sei richtig. Auch ständig Kollegen und Vorgesetzte
„in Kopie“ zu nehmen, zeige keine Verantwortung, sondern ihr Fehlen.
Solche Verhaltensmuster zu ändern sei nicht einfach, sagt auch E-Mail-Berater
Weick: „Das müssen Chefs nicht nur ein-fordern, sondern vorleben.“ Gerade sie seien anfällig für Mail-Marotten: „Die E-Mail bedient auch unsere Eitelkeit“, sagt Weick. „Hunderte E-Mails am Tag sind eine Belastung, schlimmer ist nur: wenn gar keine mehr kommt.“
E-Mails als Effizienzkiller E-Mails sind zum ultimativen Kommunikationsmittel im Büroalltag geworden. Allerdings beanspruchen sie auch viel Aufmerksamkeit.
‚Immer mehr Unternehmen, darunter Evonik, entwickeln daher feste Verhaltensregeln für den effi zienten Mailverkehr
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LichtblickUm 40 Prozent verringert LED-Technik den Stromverbrauch von TV-Geräten. Die LED-Linsen werden aus AEROSIL und DYNASYLAN mit der von Evonik patentierten Sol-Gel-Technologie SIVARA hergestellt
Was meinen Sie, Herr Chu?Der Physik-Nobelpreisträger und ehe malige US-Energie minister Prof. Dr. Steven Chu ist überzeugt, dass regenerative Energien schon bald rentabel sein werden
Herr Chu, was halten Sie vom Desertec-Konzept, dem pan-europäischen Stromnetz, das unter anderem in der Sahara produzierten Solarstrom in den europäischen Norden transportieren soll?Die Sahara ist ein perfekter Standort dafür. Die Sonne lie-fert dort so viel Energie wie in kaum einer anderen Region der Erde. Zudem verdrängen Solarkraftwerke dort keine Landwirtschaft. Es gibt aller-dings einige Sicherheitspro-bleme, auch geopolitische, zu lösen. Rein technisch könnten unterseeische Gleichstrom-kabel den Stromtransport aufs europäische Festland ermög-lichen. Die Technik ist da, zwar noch teuer, aber es wird zunehmend billiger.
Das Problem ist: Es geht nicht so richtig voran. Es müssten sich alle Beteiligten einmal an einem großen Tisch zusam-mensetzen und auch verste-hen, dass sich mit dem Kon-zept Geld verdienen lässt. Technisch ist der Fortschritt jedenfalls kaum aufzuhalten. Batteriespeicher, Druckluft-speicher, Wasserstoffspei-cher – all das wird besser und billiger. Nordamerika könnte sich in 30 bis 50 Jahren kom-plett mit regenerativer Ener-gie versorgen. Wahrschein-lich wird man dann immer noch ein paar herkömmliche Kraftwerke für Spitzenzeiten brauchen. Aber der Großteil der Energie könnte sehr sau-ber ohne jegliche Emissionen produziert werden.
STROM aus erneuerbaren Energien ist zwar gut für die Umwelt, hat aber einen entscheidenden Nachteil: Wind und Sonne liefern Energie, wenn das Wetter es will, nicht wenn die Kunden ihn brau-chen. Die Folge: Große Strommengen gehen ungenutzt verloren, weil bislang Speicher fehlen, die es ermöglichen, denüberzähligen Strom zu speichern. Die Lösung könnte ein innovatives Lithium-Ionen-Elektrizitäts-Speicher-System (LESSY) bringen, das Evonik derzeit mit dem Energieversorger Steag und anderen Projektpartnern im saarländischen Völk-lingen testet. Es beruht auf einer Batterie-technik, die Evonik speziell für die Elek tro- mobilität entwickelt hat. Das System ist ausgelegt auf 4.700 Lithium-Ionen-Batte-riezellen mit einer Speicherkapazität von rund 700 Kilowattstunden und einer Leistung von rund einem Megawatt. Der Testbetrieb soll zeigen, ob Lithium-Ionen-Speicher-Systeme ihre Funktion als Puffer für Strom-Überkapazitäten und somit ihren Beitrag zur Netzstabili-sierung zuverlässig erfüllen können. Die Entwicklung von LESSY hat vier Jahre gedauert. Der Testbetrieb ist bis Anfang 2014 angelegt.
LESSY soll den Speicher-Durchbruch bringen
Zitat
„Der Fort-schritt bei den Stromspei-chern war in den vergange-nen fünf Jahren größer als in den 15 Jahren davor“Nobelpreisträger Prof. Dr. Steven Chu
Zwölf Meter lang und
zweieinhalb Meter breit: LESSY besteht
aus mehreren Tausend einzelnen Batteriezellen
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USARessourceneffizienz spielte in den USA schon immer eine große Rolle: Obwohl sich das BIP der Vereinigten Staaten seit 1990 nahezu verdreifacht hat, ist die Energie intensität um fast ein Drit-tel gesunken. Ihre hohe Innovations -kraft machen die USA zu einem der wettbewerbsfähigsten Länder
BrasilienKaum eine Wirtschaft boomt so sehr wie die brasilianische. Seit 1990 hat das Land sein Brutto-inlandsprodukt fast verfünffacht. Der Energie verbrauch hat sich im gleichen Zeitraum dagegen „nur“ verdoppelt, was für eine sparsame Energienutzung spricht. Vor allem dank seiner starken Bin nen-nach frage ist Brasilien nach Chile das wettbewerbsfähigste Land in Südamerika
EnergieintensitätDie Kennziffer setzt den Primärenergieverbrauch einer Volkswirtschaft in Relation zum erwirtschaftetenBrutto inlandsprodukt des Landes
BIPDas Bruttoinlands produkt misst die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft anhand des Wertes aller Güter, die in einem Jahr erarbeitet werden
GCIDer Global Competitiveness Index (GCI) ist ein Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Staaten und be rechnet sich aus einer Vielzahl von Faktoren wie der Effi zienz und der Innovationskraft eines Landes. Im Vergleich von 148 Ländern weltweit steht die Schweiz an der Spitze
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> 0,40
Die Welt hat sparen gelernt:Waren vor 20 Jahren im globalen Durchschnitt noch 0,25 Liter Erdöl nötig, um ein Produkt im Wert von 1 US-$ herzustellen, sind es heute nur 0,19 Liter – das heißt: Die Energieintensität ist deutlich gesunken. Neben dem Strukturwandel einer Volkswirtschaft führt vor allem die Entwicklung neuer und immer effizienterer Technologien zu einer sinkenden Energieintensität, und damit höherer Nachhaltigkeit. Berechnet man die Zahlen für die Zukunft, besteht Hoff-nung, dass der steigende Energiehunger der Weltbevölkerung durch Effizienz-gewinne mehr als ausgeglichen wird
Wie effi zient ist unsere Welt?
Wie effi zient eine Nation mit ihren Ressourcen umgeht, darüber gibt die Energieintensität Auskunft. Je niedriger sie ist, desto höher die Effi zienz. Eine niedrige Energieintensität ist auch ein Indiz für die Wachstums- und Wettbewerbsfähigkeit eines Landes
+121 %Bruttoinlandsprodukt
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*Das Öläquivalent ist ein internationaler Standard, um Vergleiche unterschiedlicher Energiegehalte verschiede-ner Energieträger wie Kohle oder Heizöl vorzunehmen. Demnach ist 1 kg Öläquivalent die Energiemenge, die bei der Verbrennung von 1 kg Rohöl freigesetzt wird.
(Angaben in koe/$05p: Kilogramm (kg) Öläquivalent* pro 0,05 US-$)
QUELLE: WWW.WORLDENERGY.ORG UND WWW.WEFORUM.ORG
Konkurrenzfähigkeit
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Konkurrenzfähigkeit
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Konkurrenzfähigkeit
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GroßbritannienTrotz Wirtschaftswachstum hat es das Vereinigte Königreich geschafft, seinen Energie verbrauch seit 1990 drastisch zu senken. Grund dafür ist neben dem fortschreitenden Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft seit den 1980er-Jahren auch eine effizientere Energienutzung. In Sachen Wettbewerbsfähig-keit schafft es Großbritannien gerade noch unter die Top Ten weltweit. Grund für das gute Ab-schneiden ist die hohe Arbeitsmarkteffizienz
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RusslandÖl und Gas stehen in Russland zwar reichlich zur Verfügung. Trotz-dem geht auch das östliche Riesenreich nicht mehr so verschwen-derisch mit seiner Energie um wie einst. Die Energieintensität hat sich seit 1990 deutlich verringert. Seine Wettbewerbsfähigkeit hat Russland vor allem gutem Bildungsstand zu verdanken
ChinaNoch vor 20 Jahren gehörte China zu den Ländern mit der höchsten Energieintensität. Das hat sich gründlich geändert. Seit 1990 hat das bevölkerungsreiche Land seine Energie-effizienz um mehr als 60 Prozent verbessert. Das hat unter anderem dazu beigetragen, dass China heute das wettbewerbsfähigste unter den Schwellenländern ist
IndienNeben China und Brasilien war Indien in den vergangenen 20 Jahren die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft der Erde. Entsprechend ist der Energieverbrauch gestiegen – dank Effizienzgewinnen allerdings weniger stark, als zu erwarten gewesen wäre. Indiens Wettbewerbsstärke liegt im verarbeitenden Gewerbe
Smarte Erfindung 280 Quadratmeter einer von Evonik entwickelten kera mischen Spezialfolie, die Lithium-Ionen-Akkus vor Überhitzung schützt, sind im E-Smart verbaut
+1.562 %Bruttoinlandsprodukt
–64 %Energieintensität
+536 %Bruttoinlandsprodukt
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+92 %Bruttoinlandsprodukt
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Produkt mit AnziehungskraftIn circa jeder vierten Windel stecken Super absorber von Evonik Industries. Dank der Polymere FAVOR haben sich Gewicht und Dicke klassischer Windeln in den vergan-genen drei Jahrzehnten mehr als halbiert
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Konkurrenzfähigkeit
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BotsuanaMit einem BIP von rund 16 Milliarden US-$ ist Botsuana zwar ein wirtschaftlicher Zwerg. Die Nation hat aber eine hohe Wachstumsdynamik und eine der niedrigsten Energie-intensitäten weltweit. Auch dank effizienter Staatsausga-ben gehört das Land zu den wettbewerbsfähigsten Afrikas
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DeutschlandSchon 1990 gehörte Deutschland zu den energieeffizientesten Ländern überhaupt. Heute ist die Energie-intensität noch einmal um ein Drittel niedriger. Hohe wirtschaftliche Flexibi-lität und große Innovationskraft brin-gen Deutschland auf Rang vier der wettbewerbsfähigsten Länder der Erde
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„Es gibt keinen Abfall“, sagt der Chemiker und Ökovisionär Michael Braungart
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Die Welt neu erfi ndenWer im Kreis läuft, macht keine Fortschritte. Das Gegenteil gilt für Rohstoffe und Materialien: Nur wenn sie in geschlossenen Zyklen kreisen, werden sie optimal verwertet. Was die Natur uns bereits vormacht, möchte der Chemiker Prof. Dr. Michael Braungart weltweit etablieren TEXT BRITTA NAGEL UND DR CAROLINE ZÖRLEIN
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ES IST EIN OFFENES GEHEIMNIS: In Wertstoff-deponien und Müllbergen sind wahre Rohstoffschät-ze verborgen. Abfall hat ein schlechtes Image – zu Unrecht. Metalle und Kunststoffe lassen sich recyceln, und aus Bioabfall lässt sich Energie gewinnen. Doch für Prof. Dr. Michael Braungart ist das erst der Anfang:
„Wir müssen die Welt neu erfinden – nicht neue Din-ge, sondern die Dinge neu“, erklärt der Chemiker und Verfahrenstechniker. „Und zwar so, dass es den ande-ren Lebewesen auf unserem Planeten nutzt und nicht nur schadet. Das ist etwas völlig anderes als die Müll-vermeidung, die wir heute betreiben“, sagt der 55-Jäh-rige. Das fängt bereits damit an, dass Abfall in Braun-garts Konzept nicht vorgesehen ist: „Abfall ist nichts anderes als neuer Nährstoff. Das macht uns die Natur in ihren geschlossenen Kreisläufen vor.“
Inspiriert von den natürlichen Vorbildern hat der Chemiker ein Konzept entwickelt, das sich auf die industrialisierte Welt anwenden lässt. Wie das genau funktionieren soll, erklärt er gemeinsam mit sei-nem Koautor, dem amerikanischen Architekten Wil-liam McDonough, im neuen Buch „The Upcycle“. Es zeigt, wie sich das bereits etablierte Umweltkonzept Cradle-to-Cradle – übersetzt „von der Wiege bis zur Wiege“ – übertragen lässt: von einem kleinen Unter-nehmen auf den Maßstab eines Großkonzerns, einer Stadt, einer Insel oder eines ganzen Landes.
Braungart hat Cradle-to-Cradle, kurz C2C, erfun-den und dazu bereits gemeinsam mit McDonough das Buch „Einfach intelligent produzieren“ verfasst. „Unter-nehmen sollen Verbrauchsgüter künftig so umwelt-freundlich herstellen, dass man sie bedenkenlos auf den Kompost werfen kann“, erläutert Braungart die C2C-Philosophie. „Gebrauchsgüter hingegen sollen so pro-
„Wir müssen die Welt neu erfinden – nicht neue Dinge,
sondern die Dinge neu“Prof. Dr. Michael Braungart
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duziert werden, dass sie nach der Benutzung wieder und wieder recycelt werden und dass ihre ‚technischen Nährstoffe‘ wieder in Produktionskreisläufe zurück-geführt werden können, ohne an Materialwert zu ver-lieren.“ Enthusiastisch spricht Braungart von seiner Idee, Firmen zu „Rohstoffbanken“ zu machen. Denn genau genommen sind Menschen nicht Verbraucher von Maschinen und Geräten, sondern „Gebraucher“. Deswegen sollen die Hersteller von Waschmaschinen, Fernsehern und Autos wieder Herr ihrer Rohstoffe werden – und nur eine Dienstleistung verkaufen, so Braungart. Das Produkt wandert nach getaner Arbeit wieder zurück, wird auseinandergebaut, zu einem neu-en, besseren Modell zusammengesetzt und zum Kun-den gebracht. „Dadurch positionieren wir die Filter an den Anfang – ins Denken – und nicht an den Schluss der Produktionskette, wo man im Nachhinein Klär- und Müllverbrennungsanlagen braucht“, so Braungart.
Abfall ist Nährstoff. Das bedeutet: Jedes Produkt muss so hergestellt werden, dass es entweder als Nähr-stoff Teil eines biologischen Kreislaufs werden kann oder sich als Recyclingprodukt endlos in einen tech-nischen Kreislauf einfügt. Abfall gibt es demzufolge nicht – das macht C2C sehr ressourceneffizient.
Damit sich das Konzept flächendeckend und bran-chenübergreifend durchsetzen kann, muss sich aber noch viel bewegen – auch in den Köpfen von Mana-gern, Unternehmern und Politikern. Deshalb brau-chen wir auch ein Upcycling der Begriffe: Das Wort
„Abfall“, so Braungart, sollte aus dem Wortschatz gestrichen und durch „Nährstoff“ ersetzt werden.
Selbst menschlicher Bioabfall, also Fäkalien, sind alles andere als wertlos. Anhand von Beispielen aus verschiedenen Ländern weisen die Autoren nach,
dass Ausscheidungen so aufbereitet werden können, dass sie Trinkwasserqualität erreichen. Eine trink-wasserarme Stadt wie Singapur wurde so unabhän-gig vom Wasserimport aus dem Nachbarstaat Malay-sia. Gleichzeitig beinhaltet das Abwasser wertvolle chemische Verbindungen, die sich zurückgewinnen und nutzen lassen. Mittlerweile haben Braungart und McDonough den Bürgermeister von San Fran-cisco von der Bedeutung der Abwasseraufbereitung überzeugt, und auch in den Niederlanden und Schwe-den will man den wertvollen Biomüll nicht einfach durchs Abflussrohr wegspülen, sondern die im Urin enthaltenen Stickstoffe und Phosphate herausfiltern.
„Kein chemischer Grundstoff ist so in seiner Existenz bedroht wie Phosphor. Und anders als für die Roh-stoffressource Erdöl gibt es dafür keinen Ersatz“, so Braungart. Denn Phosphate sind als Dünger für Nutz-pflanzen unersetzlich. Einem Ingenieur im kanadi-schen Vancouver ist es gelungen, Magnesiumammo-niumphosphate zu isolieren und in Pellets zu pressen, die sogenannten Struvit-Kristalle. Damit düngen seit einiger Zeit die kanadischen Bauern ihre Felder – und das Abwasserunternehmen hat sich gleichzeitig eine neue Erwerbsquelle erschlossen.
In „The Upcycle“ liefern die Autoren weitere Bei-spiele aus der Wirtschaft: Der Autobauer Ford, die Supermarktkette Wal-Mart, die US-Raumfahrtbehör -de NASA und der US Postal Service sind bereits dabei, ihre Firmengebäude, Produktionsabläufe und Produk-te C2C-gerecht zu gestalten. Mit dem von Braungart und McDonough neu entwickelten Zertifizierungs-system können Unternehmen jedes ihrer Produk-te nach Schadstoffen untersuchen lassen – bis hin-ab in den molekularen Maßstab. Ebenso werden
Vom Bürostuhl bis zum Rucksack: In seinem Showroom präsentiert Prof. Dr. Michael Braungart einige der 1.300 Produkte, die nach seiner Kreislauf-Idee entstanden sind
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Das komplette Interview mit Prof. Dr.Michael Braungart fi nden Sie in der iPad-App zum „Evonik Magazin“ – kostenlos im App Store
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Ohne Anfang, ohne Ende – von der Natur lernen
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In Braungarts Zukunftswirtschaft können alle auf der Erde vorhan-denen Materialströme in zwei Ka-tegorien eingeteilt werden: in Bio-masse und in Industriemasse, die in ihren Kreisläufen entweder biolo-gische oder technische Nährstof-fe produzieren. Im biologischen Kreislauf werden sämtliche Ma-terialien von Mikroorganismen
zu Nährstoffen zersetzt. Biolo-gisch abbaubare Produkte werden zu Kompost, der wiederum den Nährboden für neue natürliche Rohstoffe bildet. Es müssen nicht zwangsläufig natürliche Produk-te sein, die diesem Kreislauf der Verbrauchsgüter zugeführt wer-den. Auch intelligent produzierte Verpackungsmaterialien oder Klei-
Positive Effekte auf die Umwelt optimieren
Energie- und Wasserverbrauch für die Ökobilanz berechnet und die sozialen Faktoren analysiert. Zwar ist die C2C-Zertifizierung gerade für Großunterneh-men meist ein langwieriger Weg. Doch am Ende loh-nen sich die Maßnahmen: Die Mitarbeitermotivation in den C2C-Unternehmen ist größer, die Kunden-akzep tanz steigt – und das ist gut fürs Geschäft.
Der US-amerikanische Expräsident Dr. Bill Clin-ton, ein erklärter Bewunderer der Autoren, betont im Vorwort des Buches vor allem den pragmatisch-didak-tischen Ansatz, den auch Laien problemlos nachvoll-ziehen könnten: „Es ermutigt uns, allein durch genau-es Hinschauen Lösungen und Innovationen zu finden, und diese mutig in die Tat umzusetzen.“ Denn letzt-lich geht es Braungart darum, die Voraussetzungen für eine „zweite industrielle Revolution“ zu schaffen und deren Umsetzbarkeit in Unternehmen aufzuzeigen.
Der deutsche Buchtitel lautet: „Intelligente Ver-schwendung. Auf dem Weg in eine neue Überfluss-gesellschaft“. Für viele umweltbewusst denkende Menschen ist gerade das ein Widerspruch. Auch der ewige Kreislauf der Natur ist alles andere als sparsam, erklärt Braungart in seinem viel zitierten Kirschbaum-Beispiel: Ein Kirschbaum im Frühling kennt kein Spa-ren, Vermeiden und Minimieren. Er ist nützlich, indem er die Luft und das Wasser reinigt, Lebensraum für 200 Arten schafft, Kohlenstoff in den Boden und in den Baum bringt, also obendrein noch kohlenstoff positiv ist. Und mit seinen vielen Blüten ist er alles andere als effizient, dafür aber ausgesprochen effektiv. „Effi-zienz bedeutet, etwas richtig zu machen, aber auch wirtschaftlich zu sein und im Zweifel zu sparen und zu vermeiden“, sagt Braungart. „Effektivität heißt zu fragen: ‚Was ist das Richtige‘?“
Mit dem von Braungart entwickelten Zertifi zierungs-system können Unternehmen jedes ihrer Produkte auf Schadstoffe untersuchen lassen
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Biologischer Kreislauf für Verbrauchsprodukte
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Technischer Nährstoff
Technischer Kreislauf für Gebrauchsprodukte
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dung können dem Kreislauf zu-geführt werden. Im technischen Kreislauf zirkulieren künstlich ge-staltete Industriematerialien end-los in einem geschlossenen System. Die gewünschte Form der Wie-derverwertung ist das Upcycling, sprich: Kein wertvolles Material geht verloren, im Gegensatz zum bisher praktizierten Downcycling.
Die Geschlossenheit des Sys-tems ist Grundvoraussetzung für die mögliche Verwendung auch toxischer Stoffe, die bis-her für einige Produkte wie Iso-lierfenster nach wie vor uner-setzlich sind. Wichtig ist, dass die Produkte im technischen Kreis-lauf leicht in ihre einzelnen Be-standteile zu demontieren sind, damit sie recycelt werden kön-nen. Die Produkte und Materia-lien in diesem Kreislauf werden Gebrauchs güter genannt, ein Name, der sich vom Konzept ei-nes Dienstleistungs- oder Ser-viceprodukts ableitet. Die C2C-Industrieprodukte werden nicht mehr gekauft, sondern lediglich gegen eine Gebühr genutzt. Bei diesem Leasingprinzip verblei-
ben die Materialien im Besitz des Herstellers und gehen nach einer definierten Nutzungsphase an ihn zurück. Vorteil: Der Herstel-ler kann höherwertige Materia-lien einsetzen, da er sie zur Wie-derverwendung zurückerhält.
Bei seinem neuen Buch „In-telligente Verschwendung“ (das am 1. Oktober 2013 erschie-nen ist) geht Braungart mit gu-tem Beispiel voran: Es ist nicht nur ideell, sondern auch physisch ein echtes Upcycling-Produkt. Bei der Herstellung wurde weit-gehend auf giftige Farb-, Bleich- und Klebstoffe verzichtet. „Jetzt ist es das weltweit erste kom-plett kompostierbare Buch“, sagt Braungart. Immerhin 18 Jahre Forschung steckten in der Pro-duktion. Und anders als bei den meisten Druck-Erzeugnissen könne man es nach der Lektüre bei Nichtgefallen sogar verbren-nen, ohne kontaminierte Asche zu hinterlassen. Wenn man dann noch seine Blumen mit der Asche düngt, hat man einen perfekten geschlossenen C2C-Nährstoff-kreis geschaffen.
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Das geschickte Nachahmen der Natur bietet zwei-felsfrei ein riesiges Potenzial. Doch auch das C2C-Konzept hat seine Schwachstellen: Denn die physikali-schen Gesetze verbieten ewige verlustfreie Kreisläufe. Zwar ermöglicht die laufende Energiezufuhr der Son-ne das Überleben organischer Kreisläufe, doch für industrielle und technische Prozesse sind die Wir-kungsgrade der solaren Energieumwandlung noch viel zu gering. Dass Braungart die Energiefrage nicht ausreichend diskutiert, mahnen auch seine Kritiker an.
Doch Braungart ist überzeugt: „Die Energiefrage ist ein Materialproblem“, die Rohstoffe seien ledig-lich am falschen Ort und in den falschen Produkten gespeichert. Auf Effizienz getrimmte Prozesse hält er für eine Sackgasse. „Man will klimaneutral leben, aber das bedeutet in letzter Konsequenz doch, dass es der Erde besser geht, wenn der Mensch sich ganz abschafft“, so der Chemiker. In der westlichen Welt ist man überzeugt, Umweltschutz bedeutet: Man zer-stört weniger, fährt also weniger Auto und produziert weniger Müll. Damit zerstört man aber nur weniger.
Braungart und McDonough wollen dem Globus einen ganz anderen Rhythmus beibringen, indem sie bis ins Detail durchdachte Materialkreisläufe und sinnvolle Designlösungen für die unterschiedlichs-ten Produkte und ihre Herstellungsprozesse kreie-ren: Diese müssen so gestaltet werden, dass sie ent-weder aus vollständig kompostierbaren Materialien bestehen – und damit in biologischen Kreisläufen flie-ßen können. Dabei ist es wichtig, dass keine Produkte mehr auf den Markt kommen, die sich in Lebe wesen anreichern, hormonell wirksam sind oder sich in bio-logischen Systemen nicht abbauen. Oder die Produk-te bestehen aus „inerten“ Verbindungen, die sich in
technischen Kreisläufen immer wieder recyceln las-sen. Mischformen sind dabei nicht erlaubt. Etwa 1.300 Produkte sind bereits nach dem C2C-Prinzip entstan-den – vom recycelbaren Rucksack bis zum komplett wiederverwertbaren Fernseher.
Ihren Ausgangspunkt nahm Braungarts Idee 1986 auf einem Schornstein. Der „Held der Umwelt“ (so nannte ihn das „Time Magazine“ 2007) lehnt sich in seinem Bürostuhl aus kompostierbarem Stoff zurück und erzählt eine seiner Lieblingsgeschichten, während er über die Dächer der Hamburger Altstadt blickt. Der damals 28-jährige Greenpeace-Aktivist Braungart hat-te mit fünf Mitstreitern einen der Fabrikschlote von Ciba-Geigy in Basel erklommen, um gegen die Ver-seuchung des Rheins zu demonstrieren. „Nach Been-digung der Aktion ließ uns Ciba-Chef Dr. Alex Krau-er mit heißer Suppe aufpäppeln.“ Was ihn beeindruckt hat: „Man suchte das Gespräch mit uns. Das hatte es bisher nicht gegeben.“ Krauer diskutierte nicht nur, er spendete noch einen hohen Betrag, damit der Wissen-schaftler Umweltforschung betreiben konnte.
Heute sind viele Unternehmen nach Braungarts Meinung schon auf dem Weg. „Etwa 40 Prozent der Evonik-Produkte sind bereits C2C-tauglich“, so der Chemiker. Die chemische Industrie passt durch ihre Herstellungsprozesse, die vielfach im Verbundsystem laufen, sehr gut in das C2C-Konzept von Braungart: Stoff- und Energieströme können optimal ineinan-dergreifen und Synergien genutzt werden. Und auch das oft schwierige Upscaling von Prozessen, also das Übertragen vom Labor- in den großtechnischen Maß-stab, managt die Chemieindustrie erfolgreich und seit vielen Jahrzehnten – und ist damit ein wichtiger Part-ner für die „nächste industrielle Revolution“.
S U M M A R Y• Es gibt keinen Abfall – nur
Nährstoffe• Produkte bleiben in einem
geschlossenen Kreislauf• Verbrauchsprodukte
werden im biologischen Kreislauf kompostiert
• Gebrauchsprodukte werden vom Hersteller zurückge-nommen, die Inhaltsstoffe für neue höherwertige Produkte verwendet
Zusammen mit einem deutschen Bekleidungs-hersteller kreierte Michael Braungart ein kompostierbares T-Shirt
Nur Nährstoffe, kein Abfall – das Prinzip der Natur übernehmen
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ABFÄLLE VERMEIDEN und aus unver-meidbaren Abfällen etwas Neues machen – so einfach ist letztlich die Idee hinter der Kreis-laufwirtschaft. Die Realität sieht leider oft sehr viel komplizierter aus. Gut, wenn da eine Indus-trie Erfahrung mit dem Thema hat. Der chemi-schen Industrie steckt das Re- und Upcycling in den Genen wie kaum einer anderen Branche.
Seit den Anfängen der modernen Che-mie Mitte des 19. Jahrhunderts waren es im-mer wieder auch Abfall- und Nebenproduk-te, für die Chemiker Verwendungen und Veredelungen entdeckten. Aus Kohle wur-den Koks und Leuchtgas gewonnen, aus dem Kohlenteer das Phenol, mit dem Kunststoffe, Aspirin und Dämmmaterial entstanden. Das Aceton, das bei der Phenolherstellung anfiel, wurde erst als Kraftstoffzusatz verbrannt, bis man daraus ein hochwertigeres Lösungsmit-tel für Epoxidharze entwickelte. Folgepro-dukte davon sorgen heute etwa dafür, dass leichte Verbundmaterialien im Auto auf dem Vormarsch sind. Die Ketten vom Abfall- zum Premiumprodukt sind lang und zahlreich.
Gerade Verbundproduktionen, wie die Evonik Industries AG sie betreibt, beruhen aufdem Prinzip: Unternehmen schließen sich da zusammen, wo ihre Rohstoffe und Produk-tionsmedien zu haben sind. Das sind nicht selten Produkte und Nebenprodukte anderer Unternehmen – gerne auch deren Abwärme.
„Die Chemie ist sehr gut darin, ihre Neben- und Abfallprodukte gering zu halten oder sie weiterzuverwerten. Das gebietet schon die Kosteneffizienz“, sagt Prof. Dr. Klaus Küm-merer, Direktor des Instituts für nachhalti-ge Chemie und stoffliche Ressourcen an der Leuphana Universität Lüneburg. „Problema-tisch wird es oftmals erst, wenn die Produkte das Werksgelände verlassen.“ Dann werden die einst so reinen Materialien in immer kom-plexeren Produkten vermischt. „Das ist die Kehrseite des Effizienzgewinns“, sagt Küm-merer. „Wenn ich von einem Stoff nur noch ganz wenig brauche, wie zum Beispiel Edel-metalle in einem Handy, dann lassen sich die-se Rohstoffe umso schwerer wieder zurück-gewinnen.“ Das rohstoffarme Japan lege
Das Kreislauf-GenDie chemische Industrie ist seit jeher geprägt vom Auf- und Wiederverwerten vermeintlicher Abfälle. Dennoch steckt auch heute noch mehr drin
gleichbar und transparent zu machen, damit man sie in Entscheidungen einbezieht“, sagt Dr. Elmar Rother, Leiter der LCM-Gruppe.
Gerade bei den Produkten von Evonik lohnt es, den Aufwand und Nutzen für Um-welt und Ressourcen ins Verhältnis zu setzen. Beispiel Straßenmarkierungen: Die Grup-pe um Rother hat ermittelt, dass sogenann-te Kaltplastiken auf Basis von DEGAROUTE über die Lebensdauer für viel weniger CO2-Emissionen verantwortlich sind als alterna-tive Markierungssysteme. Der Hauptgrund: Sie halten viel länger. Drei unabhängige Gut-achter bestätigen den Befund. Ähnliches gilt für Silica-Silan-Systeme für sparsame Auto-reifen und Aminosäuren für effiziente Tier-ernährung. Entsprechend offensiv setzt Evonik mittlerweile Ökobilanzen als Marke-ting-Argument ein: „Vielfach sind es unsere Kunden, die diese Daten heute einfach ver-langen“, sagt Guido Vornholt, der Geograf und IT-Experte in der LCM-Gruppe. „Gera-de die Automobilindustrie geht hier große Schritte voran.“
Für effektives Recycling lohnt es, gleich von Anfang an aufs richtige Material zu set-zen. „PLEXIGLAS zum Beispiel lässt sich als einer der wenigen Kunststoffe relativ einfach depolymerisieren und wiederverwenden“, erklärt Vornholt. „Wenn es in der Autoindus-trie als Seitenverscheibung eingesetzt wird, spart das nicht nur Gewicht, es lässt sich auch bestens wiederverwerten.“ Gut 70 Prozent der Produktmengen im Konzern haben Ro-ther, Vornholt und ihre Kollegen bereits eva-luiert. „Wir tragen dieses Denken verstärkt ins Unternehmen“, sagt Rother.
„Langfristig muss es einen echten Sinnes-wandel im produzierenden Gewerbe geben“, fordert Kümmerer. „Weg vom reinen Produzie -ren, hin zum Anbieten von Effekten.“ Ein Her-steller von Desinfektionsmitteln sei bislang be-müht, möglichst viel davon zu verkaufen. „Dabei ist doch sein eigentliches Produkt ‚Keimfreiheit‘. Ließe sich der Hersteller für das Keimmanage -ment statt für Kanister mit Desinfektionslösung bezahlen, wäre er selbst erpicht, so wenig wie möglich davon einzusetzen.“
heute schon Deponien für Elektroschrott an, aus denen man hofft, Rohstoffe zu extrahie-ren, wenn die Technik dazu reif ist.
Bilanz eines ProduktlebensAuch die Ursprünge von Evonik gehen auf ein Recyclingunternehmen zurück: die „Deut-sche Gold- und Silber-Scheideanstalt“, die zu-nächst Münzen wiederverwertete und sich später auch auf die Weißblechentzinnung spe-zialisierte. Die Produkte, die Evonik heute herstellt, sind komplexer und werden in im-mer geringeren Dosen für immer komplexere Anwendungen eingesetzt – vom Kleber, der Handys zusammenhält, über Lacke, die Flug-zeuge besonders windschnittig machen bis zum Glasfaserkabel, das Daten um den Glo-bus transportiert. Da fällt das Rückgewinnen schwer. Trotzdem geht der Essener Konzern das Thema seit einigen Jahren offensiv an.
In der Gruppe Life Cycle Management (LCM) arbeiten Experten unterschiedlicher Fachgebiete daran, die ganze Lebensdau-er der Konzernprodukte zu bewerten. „Es geht vor allem darum, Daten und Fakten ver-
Langlebige Produkte schonen Ressourcen: Für Straßenmarkierungen hat Evonik Industries diesen Nutzen fürs Klima ausführlich bewiesen
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Zahl der Schiffsmühlen, die 1850 auf dem Rhein zwischen Basel und Koblenz lagen
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Schiffs mühlen gehören zu den frühesten Wasserkraftwerken. Die älteste stammt aus dem Jahr
540 nach Christus
Kleine Geschichte der Effi zienzSeit 1512 ein Vertrauter Machiavellis verlangte, ein Staat dürfe nur nach seiner Effi zienzbeurteilt werden, ist viel Wasser den Arno, die Ruhr und die Themse hinuntergefl ossen. Heute in Zeiten des wachsenden Umweltbewusstseins und der erforderlichen Nachhaltigkeit ist Effi zienz zu einer eigenen Wirtschaftsphilosophie geworden – und zur Messlatte für das Handeln von Individuen, Unternehmen und ganzen Volkswirtschaften TEXT MICHAEL HOPP
Mindestens nötige Fließ-geschwindigkeit des Flusses
1,5 Meter pro Sekunde
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OBST IST GESUND, gesünder zumindest als Donuts. Das weiß jeder. Doch erst wenn ein Spiegel hinter dem Büfett angebracht ist, greifen Menschen eher zum vi -ta min- als zum zuckerreichen Snack. Das ist eines der Beispiele, die aufgeführt werden, wenn das „Nudge“-Konzept der US-Verhaltensökonomen Prof. Dr. Dr. h. c. Richard H. Thaler und Prof. Dr. Cass R. Sunstein erklärt werden soll. „Der Mensch ist von Natur aus kein rational handelndes Wesen“, erläutert Thaler, „er ist träge, verliert schnell die Übersicht und lässt sich leicht beeinflussen.“ Daher müsse er oft von außen veranlasst werden, das Richtige zu tun – für sich, aber auch für die Allgemeinheit. Und dies geschähe am bes-ten mit einem „Nudge“, einem Schubser, der ihn auf den Pfad der Tugend lenkt.
Englands Premierminister David Cameron war 2010 von dem Konzept so angetan, dass er eine
„Nudge Unit“ gründete, mit dem Ziel, die öffentliche Verwaltung effizienter zu gestalten. Eine kleine Trup-pe von Professoren machte sich daran, „Nudges“ zu entwickeln, die wirksamer sind als Gebote, Verbote oder Informationsbroschüren. Etwa für die Jobcenter: Bisher mussten die Antragsteller bis zu sieben Formu-lare ausfüllen, bevor das erste Mal mit ihnen gespro-chen wurde. Der „Schubser“ bestand nun da rin, die Reihenfolge umzukehren, erst Gespräch, dann For-mulare. Ergebnis: 15 bis 20 Prozent Steigerung des Anteils derer, die nach nur einem Beratungsdurchgang wieder in Arbeit gebracht werden konnten.
Ähnlich erfolgreich war die „Nudge“-Idee der Finanz ämter, Mahnschreiben für die Einkommensteu-er mit einem Vermerk zu versehen: „42 Prozent der Steuerpflichtigen Ihres Stadtteils haben ihre Steuern bereits beglichen.“ Im nächsten Anschreiben war
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EFFIZIENTE NUTZUNG DER WASSERKRAFTDie Energie des Wassers genau dort aufzunehmen, wo sie entsteht, das leisten Schiffsmühlen. Sie sind mit ihren Wasserrädern als schwimmende Plattform im Fluss errichtet. Unser Bild zeigt die Schiffsmühle in Ginsheim am Ufer des Rhein – gegenüber Mainz. 2011 wurde diese Rekonstruktion einer historischen Schiffsmühle hier verankert
Eine moderne Schiffsmühle kann pro Jahr Strom produzieren für circa
1.760 €
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Anteil der Windenergie am Energiebedarf Deutschlands 2011
8 %
In Deutschland in Betrieb befindliche Windkraftanlagen
21.164
Zahl der Windmühlen in Europa im 19. Jahrhundert
200.000
Nutzbare Volllaststunden der Windenergie an der Nordsee
2.000 pro Jahr.
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Seit den 1960ern gilt das Motto: Zeit ist Geld
die Prozentzahl schon angestiegen. Für Kfz-Steu-er-Säumige wurden die Mahnungen in einer Version mit der großen Überschrift „Bezahlen Sie Ihre Steuer, oder verlieren Sie Ihr Auto“ versehen, in einer anderen kam noch ein Foto des Autos dazu. Die erste Version verdoppelte, die zweite verdreifachte die Zahlungsein-gänge im Vergleich zu den bislang gängigen Schreiben.
Inzwischen interessiert sich auch US-Präsident Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Barack Obama für das „Nudge“-System, und in England ist die Truppe so erfolgreich, dass sie ihre Dienste nun auch in der freien Wirtschaft anbietet. Die obrigkeitliche Effizienzerhöhung mit den Mitteln der Verhaltenspsychologie mag nicht jedermanns Sache sein, doch zeigt das Beispiel, dass auch ungewöhnliche Ideen gefragt sind, wenn die Effi-zienz erhöht werden soll.
Schon 1512 wurde Effizienz gefordertWenn wir heute von Effizienz sprechen, meinen wir meist die Verwendung von Rohstoffen sowie Techno-logien und Verfahren, die deren Einsatz optimieren können. David Camerons „Nudge“-Kampagne steht in einer langen Tradition, da der Fachbegriff von der Effizienz historisch seinen Ursprung in der politischen Verwaltung nimmt. Seinen Ursprung als Fachterminus hat das Wort, das heute wahrscheinlich so häufig ver-wendet wird wie nie zuvor, im Jahr 1512 in der Poli-tik der Florentiner Renaissance-Republik; der Politi-ker und Historiker Francesco Guicciardini, ein enger Vertrauter Machiavellis, forderte, die Qualität einer Regierung dürfe nur aufgrund ihrer „effeti“ beurteilt werden – also an den Leistungen der Politik für das Gemeinwohl. Auch im weiteren Verlauf der Geschich-te, etwa im aufgeklärten Absolutismus, bezog sich der
Begriff auf die Steigerung der Effizienz des Staates oder der Strafverfolgung.
Ein Begriff von Effizienz im Sinne von Nutzen-optimierung entwickelte sich erst in den folgenden Jahrhunderten. In Europa war Dr. Karl Marx der ers-te, der ein Theoriegebäude um den Gedanken errich-tete, was eine Gesellschaft tatsächlich für die Herstel-lung eines Produkts aufwenden muss. „Der Preis ist der Geldname der in der Ware vergegenständlichten Arbeit“, schrieb er in „Das Kapital“ (1867). Eine Früh-form des Effizienz-Gedankens findet sich auch in Marx’ Konzept der „Ressourcenallokation“, bei der es um die Zuordnung knapper Ressourcen wie Arbeit, Kapital, Boden und Rohstoffen geht. Während Karl Marx zur Lösung des Problems nur verordnete Gleichheit und die Vision einer perfektionierten Planwirtschaft sah, entwarfen 100 Jahre später Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Mil-ton Friedman und seine „Chicago-Boys“ fast spiegel-bildlich das Konzept des „perfekten Marktes“. Der Phi-losoph Sir Prof. Dr. Karl R. Popper deckte schließlich die Verwandtschaft der beiden Konzepte auf, die auf derselben Prämisse beruhen: Die Weltwirtschaft ist ein Nullsummenspiel, bei dem den einen genommen und den anderen gegeben wird. Für die Dynamik des Wachstums, für Psychologie oder die Innovationskraft der Ideen Einzelner ist in diesen Modellen kein Platz.
Die Karriere unseres Wortes von der Effizienz nimmt nun verschlungene Wege. Die reine Lehre der Effizienz bleibt zunächst auf bestimmte Regionen der Welt beschränkt, nur in den Ländern mit einer weit zurückreichenden Geschichte der Industrialisierung werden im Laufe des 20. Jahrhunderts Zeit und Geld-erwerb eng verknüpft zu einem mächtigen Stimulans: Da Zeit eine begrenzte Ressource ist, Geld aber
EFFIZIENTE NUTZUNG DER WINDENERGIEDie Kinderdijk-Windmühle in der Nähe von Rotterdam (Niederlande) wurde um 1738 erbaut. Die ersten Windmühlen der Menschheitsgeschichte gab es ver mutlich schon 1750 vor Christus in Babylon. Windmühlen fanden ihre erste Verwendung als Mahl mühlen, Säge- oder Pumpwerke. Die Windkraft anlagen von heute, wie sie etwa in Offshore-windparks Energie erzeugen, sind die Nachfolger der Wind mühlen
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FOTOS: KIRCHGESSNER/LAIF, ARCHIV (6), BUNDESTAG/LICHTBLICK/MELDE, SHUTTERSTOCK, PR, PICTURE ALLIANCE (3)
„Wo der Besen nicht hinkommt …“Von Luther bis Steve Jobs: Seit Langem machen sich die Menschen Gedanken über Effi zienz. Das zeigen unsere gesammelten Zitate aus fünf Jahrhunderten
Dr. Dr. h.c. mult. Angela Merkel (*1954), Bundeskanzlerin, MdB, CDU
„Ein effi zienter, fairer, sorgsamer Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen ist das A und O unserer zukünftigen Gestaltung der Welt.“
Prof. Dr. Dr. h.c. John Maynard Keynes (1883 – 1946), britischer Ökonom
„Das politische Problem der Menschheit ist die Kombination von drei Dingen: ökonomischer Effi zienz, sozialer Gerechtigkeit und individueller Freiheit.“
Mao Zedong (1893 – 1976), chinesischer Staatspräsident
„Wo der Besen nicht hinkommt, wird der Staub nicht von selbst verschwinden.“
Prof. Dr. Martin Luther (1483 – 1546), Reformator
„Denn Gott will keine faulen Müßiggänger haben, sondern man soll treulich und fl eißig arbeiten, ein jeglicher nach seinem Beruf und Amt, so will er den Segen und das Gedeihen dazugeben. Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen.“
Prof. Dr. Dr. h.c. Peter F. Drucker (1909 – 2005), US-amerikanischer Ökonom
„Nichts ist weniger effi zient, als etwas effi zienter zu machen, was überhaupt nicht gemacht werden sollte.“
Prof. Dr. Tomáš Sedlácek (*1977), tschechischer Ökonom
„Es braucht jemanden, der die Wirtschaft daran hindert, alles zu berühren. Es ist wie der Central Park in New York. Rundherum herrscht Effi zienz, aber im Park ist sie verboten. Der Park gehört der Muße und den Eichhörnchen.“
Graffi to, Autor unbekannt „Effi zienz ist nur die Faulheit der Intelligenten.“
Dr. Norbert Röttgen (*1965), MdB, ehemaliger Bundesumwelt-minister, CDU
„Eine Kultur der Schonung und der Effi zienz zu entwickeln und ökonomisch durchzusetzen ist eine Herausforderung, von der wir ökonomisch, ökologisch und auch gesamtgesellschaftlich profi tieren.“
Dr. Dr. Ludwig Reiners (1896 – 1957), deutscher Kaufmann und Schriftsteller
„Millionen von Arbeitsstunden gehen jedes Jahr durch unzureichende Lehrbücher verloren.“
Prof. Dr. Wolfgang Sachs (* 1946), deutscher Soziologe, Mitglied im Club of Rome und im wissenschaftlichen Beirat von Attac
„Die Effi zienzrevolution bleibt richtungsblind, wenn sie nicht von einer Suffi zienzrevolution be gleitet wird. Eine Ökologie der Mittel muss Hand in Hand mit einer Ökologie der Ziele gehen. Nichts ist schließlich so irrational, als mit einem Höchstmaß an Effi zienz in die falsche Richtung zu jagen.“
Steven „Steve“ Jobs (1955 – 2011), US-amerikanischer Unternehmer und Apple-Gründer
„Klick. Bumm. Fantastisch!“
Dr. h.c. mult. Gerhard Schröder (*1944), Altbundeskanzler, SPD
„Wir brauchen ein Sozialsystem, in dem endlich Marktwirtschaft und Effi zienz einkehren, sonst bleibt es unbezahlbar.“
Henry Ford (1863 – 1947), US-Unternehmer und Erfi nder der Massenproduktion
„Wer aufhört zu werben, um Geld zu sparen, kann ebenso seine Uhr anhalten, um Zeit zu sparen.“
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eine theoretisch unbegrenzte, liegt im – effizien-ten – Umgang mit der Zeit der Schlüssel zur Geldver-mehrung. Daher gilt ab den 60er-Jahren des vergange-nen Jahrhunderts das volkstümliche Motto: Zeit ist Geld. Von der Stechuhr in der Fabrik, die einen bestimmten Zeiteinsatz garantieren sollte, bis zur Entwicklung des Kalenders auch zum privaten Gebrauch entsteht eine breite Kultur des Zeitmanagements, dem hohe Effi-zienzwirkung unterstellt wird. Oftmals verwechselt wurden zu dieser Zeit noch die Begriffe „Effektivität“ und „Effizienz“, bis in Deutschland im Jahr 1982 das Deutsche Institut für Normung e.V. (DIN) ein Macht-wort spricht, und die Unterscheidung trifft: Effektivität ist „die Genauigkeit und Vollständigkeit, mit der Benut-zer ein bestimmtes Ziel erreichen“. Effizienz dagegen ist ein Maß für den „im Verhältnis zur Genauigkeit und Vollständigkeit eingesetzten Aufwand, mit dem Benut-zer ein bestimmtes Ziel erreichen“.
Eine umfassendere Theorie der Effizienz entsteht erst um die Jahrtausendwende, als mit der weltweiten Klimadiskussion die Notwendigkeit des reduzierten Verbrauchs beziehungsweise des Ersatzes der fossilen Energieträger ins Bewusstsein rückt. Ein Umdenken scheint notwendig, wenn es etwa um die Frage nach der Versorgung der Weltbevölkerung mit bezahlba-rer Energie geht. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Dennis Mea-dows’ 1972 postuliertes Dogma von den „Grenzen des Wachstums“ behält bis heute drängende Aktuali-tät, insofern es Bewusstsein schafft für die Begrenzt-heit der Ressourcen. Mit der These, dass daraus das
„Ende des Wachstums“ abzuleiten wäre, steht Meadows zu Beginn des neuen Jahrtausends allerdings zuneh-mend isoliert da. Überzeugend wirken jetzt die Mög-lichkeiten der neu entstehenden, effizienten und nach-
haltigen Technologien, deren Entwicklung bei Weitem nicht bloß der Idee des reinen Wachstums geschuldet ist, sondern vielmehr den drängenden Fragen, die sich aus einer rasch anwachsenden Weltbevölkerung erge-ben und dem rasant steigenden Konsum der Schwellen-länder. Die „Effizienz-Revolution“ entwickelt sich zu einer Plattform, auf der sich verschiedene Disziplinen der Industrie verknüpfen und wirksam werden kön-nen. Der chemischen Industrie, und vor allem der Spe-zialchemie, kommt hier eine Schlüsselrolle zu, da ihre Produkte entscheidend dazu beitragen, die knappen Ressourcen der Welt effizienter zu nutzen.
„Effizienzrevolution“ im AlltagDie Effizienz wird dabei zu einem Blickwinkel, der sich auf viele Felder anwenden lässt. In Unternehmen werden nicht nur die für jeden sichtbare Produktent-wicklung, sondern auch unterschiedliche interne Bereiche und Prozesse auf den Prüfstand der Effizienz gestellt, unter – dem selbst sehr „effizienten“ – Para-meter neu bewertet und mit neuen Ideen gefüttert.
Gleichzeitig wird ständig der Nachweis erbracht, wie gut effiziente Technik funktioniert. Häuser kön-nen heute als Passivhaus ohne klassische Gebäu-deheizung gebaut werden. Licht verbraucht dank LED-Technik nur mehr einen Bruchteil des bisheri-gen Stroms. Für das „Volltanken“ eines Elektroautos kann man schwerlich mehr als 10 € ausgeben. Fern-ab jeder Theo rie betreffen diese Effekte jeden, sie sind massenwirksam, entfalten in allen Regionen der Welt Wirkung und verändern rasch auch die Sichtweisen der Menschen. Das ist die Macht der „Effizienzrevolu-tion“: Sie findet vor allem im Alltag statt. Von der Zahn-bürste, dem Föhn bis zu Auto, Handy und Compu-
Bewusstsein für die Begrenztheit der Ressourcen
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ter – die Produkte, deren Verfügbarkeit unseren Wohlstand definiert, müssen unter hohem Einsatz von Energie und Ressourcen hergestellt werden und ver-brauchen bis an ihr Ende und darüber hinaus Energie. Wenn wir diese Ausstattung beibehalten wollen, sind wir – bei sinkenden Ressourcen und damit steigenden Preisen – gezwungen, den Ressourceneinsatz für die-se Produkte zu minimieren, wenn er sich nicht in den Verbraucherpreisen abbilden soll. Sparsamere Autos und Hausgeräte, energieautarke Wohn-, Büro- und Produktionsgebäude werden sich auf den Märkten daher immer besser durchsetzen können.
Es sieht so aus, als wäre das Effizienz-Gen bereits unwiderruflich eingeschrieben in die DNA der Märk-te, und nicht nur in die der Industrieländer. Die Ein-haltung der Effizienzgebote ist gerade in den Schwel-lenländern unumgängliche Voraussetzung für den Wohlstand für alle, denn verliefe die Entwicklung zu höherer Ressourcenschonung identisch wie in den Industrie ländern, wären die Umweltkosten unabseh-bar hoch.
Da sich so viele Hoffnungen auf sie gründen, ist die Effizienz nicht nur zu einer vorherrschenden Wirt-
schaftsphilosophie, sondern auch zur Wissenschaft geworden. Die Effizienzforschung – teils in Unterneh-men betrieben, teils von Hochschulen und Instituten – begleitet Gesellschaft und Wirtschaft in ihrer großen Transformation. „Die technische kennt ebenso wie die biologische Evolution Gewinner und Verlierer, und die Geschwindigkeit der Anpassung ist ein entscheiden-der Faktor“, heißt es im Jahresbericht 2012 der Fraun-hofer Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V. Die Forscher begründen Effizienz als unausweichlichen evolutionären Vorgang: Wer ein Ziel erreicht, ohne alle seine Ressourcen zu verbrau-chen, ist im Vorteil gegenüber dem, der das Ziel eben-falls erreicht, aber dann keine Reserven mehr hat.
Effizienz ist ein zentrales Muster der Natur, und gerade die frühen und effizientesten Erfindungen des Menschen – wie Wasserrad oder Windmühle – waren eng mit den Kräften der Natur verbunden. Die Steigerung von Effizienz ist in der Natur ein Gesetz und läuft auch unabhängig vom Menschen. Allerdings haben wir die Chance, mitzumachen und sie zu unse-rem Vorteil zu nutzen. Es gibt keinen Grund, dies nicht zu tun. Mit oder ohne „Nudges“.
Anteil der Energie-versorgung, den Brasilien mit Wasserkraft deckt
90 %
Anzahl der Personen, für die Wassertriebwerke 2012 in Deutschland Strom lieferten
13 Millionen Mit 1.000 Liter Wasser, die von der Spitze des Eiffelturms fallen, lässt sich Strom für eine Wasch-maschinenfüllung erzeugen
1 Kilowattstunde
Menschen nutzen Wasserkraft seit
5.000 Jahren
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Mit den Kosten runterWorüber man weniger gern spricht: Effi zienz kann auch Sparen bedeuten. Unternehmen gehen sehr unterschiedlich damit umEine Keynote auf der MacWorld sollte gute Laune verbreiten. 5 bis 6 Millionen Computer wolle man im Jahr verkaufen. Dann verhagel-te eine Verlustmeldung über 96 Millionen US-$ fürs erste Quartal die Stimmung. Sofort gingen Gerüchte über Massenentlassungen um, und die Kommentatoren spotteten: „Nie war die Apple-Aktie so wertlos wie heute.“
Sie haben recht: Die Geschichte ist alt, von 1996, also aus der Zeit vor iPhone und iPad, jenen Innovationen, die Apple im neuen Jahr-tausend zum wertvollsten Unternehmen der Welt machten. Doch im Laufe seiner Ge-schichte stand der Computerhersteller zwei-mal auf der Kippe. Sicher wird er in solchen Zeiten einen genauen Blick auf die Ausgaben gehabt haben; vom eingeschlagenen Weg ließ sich Apple aber nicht abbringen, inves-tierte in eigene Stärken und entwickelt sich bis heute mit beispielloser Innovationskraft.
Erinnern Sie sich an José Ignacio López? Der Manager gelangte zu zweifelhaftem Ruhm, als er Ende der 80er-Jahre mit bruta-len Sparmaßnahmen bei Opel aufräumte. Die Folgen: Kostensenkungen, Qualitätsmängel, die Opel-Krise nahm ihren Lauf und der „Ló-pez-Effekt“ fand Eingang in die Lehrbücher. Heute steht er für die Fälle, in denen Un-ternehmen kaputtgespart werden, mit allen Konsequenzen. Die schlimmste: keine Inno-vationen mehr. „Wer zu spät an Kosten denkt, ruiniert sein Unternehmen“, sagt der Indus-trielle und Designer Philip Rosenthal. „Wer zu früh an Kosten denkt, tötet die Kreativität.“
Sparen für höhere Effizienz„Kostensparen allein macht Unternehmen nicht
wettbewerbsfähig“, befindet der langjährige Fraunhofer-Präsident Prof. Dr. Hans-Jörg Bullinger. Selbst in Zeiten nachlassender Kon-junktur müsse oftmals zuerst investiert wer-den – in die Effizienz. Tabu für Sparmaßnahmen sollten Ausbildung, Sicher heit und Zukunfts-investitionen sein.
Jedes Unternehmen muss seinen Weg beim Sparen finden. Doch für alle gilt: Bei wachsender Konkurrenz und stagnierenden Einnahmen muss man an den Ausgaben feilen. Diese Einschätzung scheint sich derzeit ein-mal mehr zu verfestigen. Allein in Deutsch-
lands 30 DAX-Konzernen laufen nach Be-rechnungen des „Handelsblatts“ in diesem Jahr Sparprogramme von rund 20 Milliar-den €. Auch in der deutschen Chemieindus-trie sah man zuletzt verhaltene Prognosen. Für 2013 geht die Branche nur von einem An -stieg der Produktion um 1,5 Prozent aus. Die Umsätze im Inland waren in der ersten Jahres-hälfte rückläufig, der Absatzmarkt Europa erholt sich, in den Märkten Asien und Latein-amerika schwächt sich die Konjunktur ab.
Beim oft notwendigen Sparen ist das „Wie“ entscheidend. Die Erfahrungen vieler Unter-nehmen zeigen: „Gutes Sparen“ macht effizien -ter. Wettbewerbsfähigkeit, profitables Wachs-tum und gute Perspektiven für Arbeitsplätze sind untrennbar verbunden, ebenso schlanke Prozesse, kurze Entscheidungswege und inno-vative Produkte. Wichtig ist aber auch die Ein-bindung der Mitarbeiter. Denn immer wieder zeigen Beispiele, dass Mitbestimmung Wege aus Krisensituationen eröffnen kann. Mit-arbeiter wissen meist um die Bedeutung von Effizienzsteigerung: Hätte die Produktion heu-te noch den Stand von vor zehn Jahren, wäre man nicht mehr konkurrenzfähig. Die Erfah-rung zeigt: Wenn Effizienzinitiativen nachvoll-ziehbar die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, werden sie auf breiter Basis mitgetragen.
EFFIZIENTE NUTZUNG DER WASSERKRAFT IIEffizienter lässt sich die Energie des Wassers ausnutzen, wenn man fließendes Wasser zusätzlich aufstaut. Das Wasser wird durch eine Wasserturbine geleitet, die die Energie des Wassers in eine mechanische Drehbewegung um-wandelt, welche dann wiederum einen Generator antreibt. Schon 1853 wurde an den Niagarafällen Strom erzeugt, Deutschlands erstes Wasserkraftwerk entstand 1890 in Bad Reichenhall
Auf den individuellen Mix an Maßnahmen kommt es an
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2000 2010 2020 2030 2040 2050 2060199019801970Ölkrise – erste Energiekrise Golfkrieg – zweite Energiekriseeiter Weltkrieg
19601950940
38 Fußbodenbeläge aus Polyvinylchlorid (PVC), Fritz Klatte
1953 Tupperware aus Niederdruck-Polyethylen, Karl Ziegler
2000 Kunststoff und Nanotechnologie, Grundlagen: Richard P. Feynman
1953 Synthetische Fasern aus Dimethylterephthalat, Ewald Katzschmann
eke- land 1972 Flugzeugteile aus Polymethylmethacrylat, Röhm & Haas GmbH/Degussa AG 2011 Pilotanlage: Kunststoffherstellung aus CO2
ter, Wallace Hume Carothers
1977 Batterien aus leitfähigen Polymeren, Hideki Shirikawa , Alan J. Heeger und Alan MacDiarmid
PLEX IGLAS, Röhm & Haas AG
935 Nylon/Nylonstrümpfe, Wallace Hume Carothers
2003 Digitalkamera-OLED-Display aus organischen Polymeren, Eastman Kodak Company Inc. 2003 Integrierter Schaltkreis aus Nanoröhren, Wissenschaftler der Universität Berkeley
2013 In naher Zukunft: flexible und biegsame Displays, OLEDs auf flexiblem Träger
1939 Plastiktüten aus Polyethylen, Forscherteam der Firma ICI aus Großbritannien
1940 Silicon-Dichtungsmasse, Stanley Kipping
2001 Integrierte Schaltkreise aus organischen Polymeren, Siemens AG 2002 Kommerzielle Anlage zur Herstellung von Polylactiden
1937 Schaumstoff und Dämmplatten aus Polyurethanen, Otto Bayer
B I O C H E M I E U N D N A C H H A LT I G E „ G R Ü N E C H E M I E “
1938 Polytetrafluorethylen/Teflon für Antihaftpfanne, Roy J. Plunkett
1946 Klebstoff aus Epoxidharz, Ciba AG 1962 Isophoron, Hibernia AG 1976 tert-Butylmethylether (MTBE), Hüls AG 1999 Biotechnologische Hybridmaterialien
1960 Fahrbahnmarkierung aus Methylmethacrylat, Röhm & Haas GmbH/Degussa AG
ChemieDie Chemie ist heute und in Zukunft doppelt gefordert: Ihren Kunden dazu zu verhelfen, Produkte herzustellen, die es den Menschen ermöglichen, Ressourcen zu sparen – aber auch bei den eigenen Prozessen und Verfahren sicherzustellen, dass sie ressourcenschonend erfolgen. Neue Effizienzschübe bringen Bio- und Nanotechnologie sowie Katalyseverfahren.
Sahachiro
t Calmette 1957 Imipramin, Antidepressiva, Roland Kuhn 1998 Phosphodiesterase(PDE)-5-Hemmer, Medikamente gegen Erektionsstörungen
1957/58 Zytostatika zur Behandlung von Lungenkrebs und Leukämie 1958 Glykopeptid- Antibiotika, Reserveantibiotika
1960 Antibabypille, Carl Djerassi
1957–1961 Contergan, wegen Missbildungen vom Markt genommen
und Charles Best 1964 Betablocker, Bluthochdruckmittel, Sir James Whyte Black 2006 Impfstoff gegen Gebärmutterhalskrebs
1963 Impfstoff gegen Masern 2007 Sorafenib, Medikament gegen Leberkrebs, greift Krebszellen und Tumor-Blutversorgung an
n- amide, Gerhard Domagk
Fleming
1945 Chloroquin – Malariamedikament
1967 Medikament gegen Rhesusfaktor-Unverträglichkeit
1980 WHO erklärt Pocken für ausgerottet
1982 Gentechnisch hergestelltes Humaninsulin
1960–2002 Polio-Massenimpfung, eingeführt von Albert Bruce Sabin 2012 Gentherapie zur Linderung von Bauchspeicheldrüsen-Entzündung
1950 Filmüberzüge für Arzneimittel, pharmazeutische Polymere setzen den Wirkstoff zielgerichtet im Körper frei
1949 Medikamente in Kapselform, Wirkstoff wird über längeren Zeitraum abgegeben 1984 Silibinin gegen Knollenblätterpilzvergiftung 2013 Hepatitis-C-Medikamente stehen kurz vor der Zulassung 2013 Forschung an Nanokapseln, die Wirkstoffe noch zielgerichteter absetzen
1987 Nukleosidanaloge Reverse-Transkriptase-Hemmer, Präparate gegen HIV/Aids
GesundheitDie Menschen leben länger und wollen mobil bleiben. Dabei helfen sensorgestützte Fern- überwachung, neue „Ersatzteile“ aus Metall und Kunststoff, künstliche Nerven und Sehprothesen für Blinde. Menschliche Nervenzellen werden mit neuronalen Schaltkreisen verknüpft – beschädigte Nerven können durch sie unterstützt und ersetzt werden, Fremdsprachen „aufgespielt“ werden.
1946/1947 Technisch durchgeführte Synthese von DL-Methionin, Werner Schwarze, Hans Wagner und Hermann Schulz 1995 Kommerzielle Vermarktung der ersten gentechnisch veränderten Pflanzen in den USA 2006 DL-Methionin-Anlage in Antwerpen
Struktur der Aminosäure Methionin, George Barger und Frederick Philip Coyne det die Grundlage der Produktion von „Kunstdünger“, Carl Bosch o- gas aus Mist und Gülle herzustellen. Billiges Öl verhinderte Weiterentwicklung
ke- land und Samuel Eyde 1990 Bioregulatoren – wirken gezielt auf bestimmte Wachstumsprozesse, um das Ernten effizienter zu machen
1996 Geklontes Lebewesen (Klonschaf Dolly) n, John Howard Mueller, Forscher an der Columbia University, New York, gibt aber eine falsche Summenformel an
e Formel, gibt der Aminosäure den Namen „Methionin“ 1973 Biogastechnik wird wieder aktuell
1960 Labor zur quantitativen und qualitativen Bestimmung von Aminosäuren in Futtermitteln, Mischfuttern und Vormischungen 1983 Künstliche Genübertragung auf eine Pflanze (Tabak)
G E N T E C H N I K
ErnährungUm den steigenden Bedarf der wachsenden Weltbevölkerung an Fleisch, Milch und Eiern zu stillen, werden in der Nutztierernährung Futtermittelergänzungen durch Aminosäuren immer wichtiger – sie erhöhen die Effizienz und senken den Stickstoffausstoß. In den hoch- industrialisierten Ländern gewinnt individuell abgestimmtes Functional Food an Bedeutung.
1954 Atomkraftwerk Obninsk
1954 Silicium-Solarzelle
1958 Solarpanele für US-Raumfahrt-Satellit Vanguard I
1986 Bisher größter Atomreaktorunfall, Tschernobyl 1991 Offshorewindpark in Dänemark
2012 Weltweit 1199 neue Kohlekraftwerke geplant
2012 Nur noch zehn Prozent des weltweiten Stroms werden aus Atomenergie gewonnen
2011 Weltweite Kapazität Fotovoltaikanlagen: 70 Gigawatt 1992 Europas größtes Sonnenkraftwerk auf dem Mont Soleil
1985 Hausbesitzer installieren netzgekoppelte Fotovoltaikanlagen 1981 Europäische Sonnenkraftwerke auf Sizilien und in Almería
1974 Größter Druckwasserreaktor der Welt Block A des Kernkraftwerkes Biblis, mit 1,2 Gigawatt Leistung
1967 Assuanstaudamm in Ägypten
1966 Kernkraftwerk in der BRD, Gundremmingen 1960 Heizen mit Erdgas - strom wird zum Standard
es Neutrons, Sir James Chadwick
1937 Turbogeneratoren mit Wasserstoffkühlung
1938 Künstliche Kernspaltung, Otto Hahn, Fritz Straßmann und Lise Meitner
2011 Super-GAU in Fukushima B E G I N N AT O M Z E I TA LT E R Z E I TA LT E R E R N E U E R B A R E R E N E RG I E NT E R
EnergieDer Anteil an erneuerbaren Energien wird durch den Einsatz großer Speicher, die das unterschiedliche Aufkommen ausgleichen, weiter steigen. Solarmodule und hocheffiziente Dämmstoffe und Gebäudetechnologien senken den Energiebedarf, Megacitys werden zu Zukunftslaboren energieautarker Urbanität.
1950 Überwiegend motorbetriebene Schiffe
1969 Jumbojet Boeing 747 2004 Wasserstoffgetriebene Busse, Projekt unter anderem von DaimlerChrysler AG und Shell AG 1975 Carsharing taucht als Begriff in der Londoner „Times“ auf
2007 Hybrid-Zug, Frankreich
1980 Solarflugzeug 2007 Passagierflug Airbus A380
1990 Biodiesel geht an den Markt
2007 Ein-Liter-Auto, Volkswagen AG, Prototyp
1990 Renaissance der Elektromotoren, jedoch nur Fertigung in Kleinauflagen 1991 Lithium-Ionen-Batterie, Sony Corp.
1994 NECAR 1, Fahrzeug mit Brennstoffzellen, Daimler-Benz AG
1997 Serienmäßiger Hybrid-Pkw: Toyota Prius, Toyota Motor Corporation
2000 Die USA stellen ein genaueres GPS-Signal für die zivile Nutzung zur freien Verfügung 2008 Membranfolie, Evonik Industries AG/Daimler AG
1973 Dreiwegekatalysator, John J. Mooney/Carl D. Keith 1969 Überschall-Passagierflugzeug Concorde
1964 Hochgeschwindigkeitszug 1984 Satelliten-Navigationssystem für Pkw, Steven Lobbezoo
1956 Patent für Abgaskatalysator, Eugene Houdry 1957 Satellit Sputnik 1 1976 Marslandung der Sonden Viking 1/2
1981 Spaceshuttle Columbia 1969 Apollo 11, Menschen landen auf dem Mond
1939 Flug mit Düsenflugzeug Heinkel He 178, Erich Warsitz
Iter Avto, auf einer elektronisch angetriebenen Papierrolle Z E I TA LT E R D E R E N E RG I E E F F I Z I E N T E N M O B I L I TÄT
MobilitätDas Zeitalter der motorisierten Individualmobilität wird von Managed Mobility ersetzt. Internetgestützte Infrastrukturen übernehmen die Planung alltäglicher Verkehrswege und wählen den richtigen Mix an Verkehrsmitteln. Das selbst steuernde Auto wird Realität. Insgesamt wird der Verkehr effizienter und sicherer.
2020 Deutschland: 1 Million E-Autos erwartet
1961 Erster Raumflug Wostok 1, Juri Gagarin
hen, John Logie Baird
fort bild, Edwin Herbert Land 1941 Universell programmierbarer Digital-Computer, Konrad Zuse 1994 Smartphone „IBM Simon Personal Communicator“, IBM Corporation
1946 Mobiltelefon in Form eines Autotelefons, AT&T Inc. 1949 Erster Personal Computer „Simon“ für den Heimgebrauch, Edmund C. Berkeley
1981 Tragbarer Computer, Adam Osborne 2006 Twitter, Jack Dorsey und andere
1953 Weltweite Liveübertragung im Fernsehen
2012 Miniaturcomputer Google Glass, Sergey Brin 1956 Festplattenlaufwerk, IBM Corp.
1991 World Wide Web wird massentauglich, Tim Berners-Lee 1964 Kommerzielles Faxgerät, Xerox Corp.
1989 ISDN wird Universalnetz
1969 ARPANET, Vorläufer des heutigen Internets 2010 iPad, Steve Jobs, Apple Inc.
1971 E-Mail, Ray Tomlinson
1992 SMS, Neil Papworth
1995 Internet-Telefonie, Michaela Merz
1998 Suchmaschine Google, Sergey Brin, Larry Page
2004 Facebook, Mark Zuckerberg 1979 Walkman, Sony Corp.
1983 Kommerzielles Mobiltelefon, Motorola Inc.
2007 iPhone, Steve Jobs, Apple Inc.
1975 Digitalkamera, Steven J. Sasson, Eastman Kodak Company Inc. 2001 iPod, Jon Rubinstein, Anthony Fadell, Apple Inc. CA Victor
1982 CD, Sony Corp., Koninklijke Philips Electronics N. V.
KommunikationDie Entwicklungen der digitalen Kommunikation werden immer mehr in der Produktion genutzt. Die vierte industrielle Revolution wird mit der Vernetzung von Maschinen und Prozessen sowie mit drahtlosen Netzen und intelligenten Objekten die Produktionsabläufe optimieren. Die Smart Factory ist ressourceneffizient und integriert Kunden und Geschäftspartner.
I N T E R N E T D I G I TA L E R E VO L U T I O N
30.09.13 09:1138-39_Aussenklapper.indd 38 30.09.13 18:11
1900Weltwirtschaftskrise Zweiter We
19401930192019101800 18501700 17501500 16001400130012001100100050010.000 vor ChristusErster WeltkriegDreißigjähriger KriegChristi Geburt Französische Revolution
LegendeVon der Steinzeit bis zur industriellen Ära: Die mit einem Booster gekennzeichneten Erfindungen und Ereignisse waren besonders effizient und veränderten die Welt.Booster
Ernährung
BoosterGesundheit
BoosterChemie
BoosterKommunikation
BoosterMobilität
BoosterEnergie
CH E M I E
1938 Fuß
1770 Radiergummi aus Naturkautschuk, Joseph Priestley
1869 Billardkugeln aus Celluloid, Ersatz für Elfenbein, Bernstein, Schildpatt, John Wesley Hyatt 1897 Knöpfe aus Kunsthorn, Adolf Spitteler und Wilhelm Krische
1896 Monopolseife, Julius Stockhausen 1914 Waschmittel auf Enzymbasis, Otto Röhm
1907 Telefongehäuse aus Phenolharzen, Leo Hendrik Baekeland
1923 Aminoplast-Steckdosen, Leo Hendrik Baeke- land
1930 Textilien aus Polyester, Wal1933 PLEX IGLA
1935 Nyl
19
194
193
1851 Gummi aus natürlichem/synthetischem Kautschuk, Charles Nelson Goodyear 1530 – Bestecke aus Milchstein, Ersatz für Horn, Holz, Elfenbein, Wolfgang Seidel
1670 Entdeckung brennbaren Gases, Robert Boyle; 1766 brennbare Luft, Henry Cavendish, heute als Wasserstoff bezeichnet 1697 Phlogistontheorie, Alchemie, Georg Ernst Stahl 1592 Thermometer, Galileo Galilei 1771 Entdeckung des Sauerstoffs, Carl Wilhelm Scheele, Joseph Priestley
1674 Reduktion der Luft beim Atmen, Zwei-Gase-These, John Mayow
I N D U S T R I E L L E E R D Ö L N U T Z U N G 10.000 v. Chr. Farben aus pflanzlichen Harzen
7000 v. Chr. Pfeile aus Birkenpech
4000 v. Chr. Mumifizierung mit natürlichem Asphalt
2000 v. Chr. Bälle aus elastisch, formbarem Naturkautschuk, Maja 5. Jahrhundert v. Chr. Luft als Substanz, Empedokles
100 v. Chr. Höhepunkt der Vier-Elemente- und Transmutationslehre, Alchemie, Aristoteles 900 Schwefel-Quecksilber-Theorie, Alchemie
um 1000 Lehrbuch der Chemie, Avicenna 4. Jahrhundert v. Chr. Aufbau der Materie, Atomtheorie, Demokrit
193
Ä R A N AT U R S T O F F E B E G I N N D E S M E S S E N D E N F O R S C H E N S U N D F R Ü H E T H E O R I E N
G
E S UN D H E I T Circa 3000 v. Chr. Erste schriftliche Erwähnung von Opium als Narkotikum
14. Jahrhundert Älteste erhaltene Nieten- brillen mit zwei Gläsern
1500 Entwurf umfassender Heilkunst und Lebenskunde, Paracelsus 1590 Erstes zusammengesetztes Mikroskop, Hans und Zacharias Jansen, Hans Lippershey
1804 Morphin, Friedrich Wilhelm Adam Sertürner
1846 Ether, Betäubungsmittel und Narkosemittel, William Morton
1810 Homöopathische Mittel, Christian Friedrich Samuel Hahnemann 1870 Entwicklung der Tablettenform 1831 Chloroform, Justus von Liebig, Eugène Soubeiran, Samuel Guthrie, 1847: Chloroform als Narkosemittel, Sir James Young Simpson
1882 Entdeckung des Tuberkulose-Bazillus, Robert Koch 1874 Pflichtimpfung gegen Pocken
1885 Tollwutimpfung, Louis Pasteur
1894 Entdeckung des Pest-Bazillus, Alexandre Yersin; Antiserum, Albert Calmette
1909 Salvarsan, gegen Syphilis, Geburtsstunde der Chemotherapie, Paul Ehrlich und Hata Sah
1921 Tuberkulose-Impfstoff, Camille Guérin, Albert Cal1922 Insulin, Frederick Grant Banting und
1887 Amphetamine, Lazar Edeleanu
1935 Sulfon- ami
1928 Penicillin, Sir Alexander Flem1891 Impfserum Diphterie und Tetanus, Medikament gegen Atemwegsinfektion, Emil von Behring
1899 Aspirin, Felix Hoffmann
4300–3000 v. Chr. Älteste Medizinfläschchen aus Ton enthalten Schwefel, in Norddeutschland 1150 Entwurf der Natur- und Heilkunde „Causae et curae“, Hildegard von Bingen 1350 Begründung der abendländischen Chirurgie, Guy de Chauliac 1543 Begründung einer neuzeitlichen Anatomie sowie des morphologischen Denkens in der Medizin, Andreas Vesalius 1750 Systematik der Physiologie und Pathologie, Albrecht von Haller
1761 Begründung der modernen pathologischen Anatomie, Giovanni Battista Morgagni 1796 Pockenimpfstoff (mit Kuhpocken) in England eingeführt, Edward Jenner
1628 Entdeckung des Blutkreislaufes, „De motu cordis“, William Harvey
1665 Beschreibung der Lungenkapillare, Marcello Malpighi 3000 v. Chr. Jungsteinzeit: rituelle Operationen, Geburtshilfe, Trepanationen (operative Öffnung der Schädelhöhle zur Vornahme chirurgischer Eingriffe), Dämonenbeschwörung
2800 v. Chr. Ältestes Chirurgiebuch Papyrus Smith und andere Papyri 500 v. Chr. Akupunktur als Diagnose- und Therapiemethode
129 Galen von Pergamon – zahlreiche Schriften bilden Grundstock für weitere Entwicklung der europäischen Medizin
330 v. Chr. Griechische Ärzte verfassen Hippokratischen Eid als ethischen Kodex 2100–2000 v. Chr. Die ersten Rezepte werden in sumerische Tontäfelchen eingeritzt
H Y P N O S E , K R Ä U T E R U N D N AT U R H E I L M I T T E L E N T S T E H U N G D E R H E I L K U N D E M O D E R N E C H E M I S C H E P H A R M A Z I E
ERNÄH R U N G
5000 v. Chr. Ackerbau 3200 v. Chr. Imkerei – Ägypter hielten Bienen in aufgestapelten Tonröhren
1100 Dreifelderwirtschaft – Ruhephase für Anbaufläche zum Regenerieren, Grundlage für großes Bevölkerungswachstum
1773 Entdeckung Harnstoff, Hilaire Rouelle 1826 Benennung von zwölf Stoffen für Pflanzenwachstum, Philipp Carl Sprengel 1900 Ammoniaksynthese – nicht industriell umsetzbares Verfahren, Wilhelm Ostwald 1840 Mineralstofftheorie – mit Prinzip der pflanzlichen Ernährung konnten Ernteerträge gesteigert werden, Justus von Liebig (1803–1873)
1842 Superphosphat, Sir John Bennet Lawes 1908 Katalytische Ammoniak-Synthese, Fritz Haber 1931 Bestimmung der Stru 1848 Der Handel boomt mit dem begehrten Stickstoff- und Phosphatdünger Guano 1910 Haber-Bosch-Verfahren zur Massenproduktion von Ammoniak – bildet die
1930–1950 Versuche, Bio- gas
1830 Transportable Gewächshäuser, Nathaniel Ward
1849 Wasserlöslicher Phosphatdünger, Justus von Liebig 1858 Kalisalz für die Landwirtschaft – wichtigster Nährstoff für Pflanzen, wird im Bergbau gefördert, Adolph Frank
1810 Einführung des peruanischen Guano in Europa, Alexander von Humboldt 1828 Synthetisierter Harnstoff, Friedrich Wöhler 1903 Birkeland-Eyde-Verfahren – zur Herstellung von künstlichem Salpeter und Düngesalz, Christian Birke- lan
1923 Entdeckung schwefelhaltiger Aminosäuren, Joh
1925 Methionin – S. Odake korrigiert die For
1871 Guano-Vorräte auf den peruanischen Inseln sind erschöpft 1913 Ammoniakherstellung beginnt im BASF-Werk in Oppau 3000 v. Chr. Fäkalien, Kompost, Streu, Materialien aus dem Wald oder Mergel (je zur Hälfte Ton und Kalk) als Düngemittel, um den Ertrag zu steigern 3000 v. Chr. Schleusen zur Wasserstandsregulierung im antiken Sueskanal
2000 v. Chr. Brunnen: Im alten Ägypten wurde so lange senkrecht in die Tiefe gegraben, bis das Grundwasser erreicht und genutzt werden konnte
3000 v. Chr. Kanäle bauen die Menschen in Mesopotamien, um ihre Felder zu bewässern 16. Jahrhundert Inkas bauen Guano ab
27 v. Chr. Bereits in der Römerzeit war die „Gründüngung“ mit Stickstoff sammelnden Pflanzen, die dann untergepflügt wurden, bekannt
ab 5. Jahrhundert v. Chr. An der Westküste Südamerikas wird Vogelmist als natürlicher Dünger eingesetzt 300 v. Chr. Aquädukte im Römischen Reich
70 Schriften über Wein- und Obstbau, Plinius der Ältere 600–1500 Blüte der Bienenhaltung
300/400 Erfindung des Wasserrades durch griechische Ingenieure – zur Bewässerung in der Landwirtschaft, als Schöpfrad zum Heben von Wasser
B E G I N N D E R AG R I K U LT U RC H E M I E – E R S AT Z D E R N AT U R S T O F F E D U RC H C H E M I S C H E S T O F F EZ E I T D E R H U N G E R S N Ö T E I N E U R O PAA C K E R B A U U N D D R E I F E L D E R W I R T S C H A F T
1558 Pechpfannen beleuchten Straßen in Paris. Ab 1667 werden Öllampen verwendet
1600 William Gilbert verwendet das erste Mal den Begriff „elektrisch“
1600 Gas erhält seinen Namen von Jan Baptista van Helmont
1672 Elektrisiermaschine – Generator zu Erzeugung von elektrischer Ladung, Otto von Guericke 1716 Warmwasserheizung, Marten Trifvald
1733 Entdeckung der positiven und negativen Ladung, Charles François Du Fay
1400 Erste Kachelöfen 1180 Glasfenster in englischen Privathäusern
1745 Kondensator, Ewald Georg von Kleist und Pieter van Musschenbroek 1752 Blitzableiter, Benjamin Franklin
1799 Patent für Gaslampe, Philippe Lebon
1778 Entdeckung der „brennbaren Luft“ – Methan, Graf Alessandro Volta
1850 Wechselstromgenerator für größere Leistungen mit Hufeisenmagneten, Floris Nollet
1882 Wasserkraftwerk im englischen Northumberland
1887 Windanlage, James Blyth
1898 Entdeckung der radioaktiven Elemente Radium und Polonium, Marie und Pierre Curie
1900 Öl- und Gaskessel
1906–1936 Gleichstromfernübertragung in Frankreich, René Thury
1909 Inbetriebnahme einer 100-Kilovolt-Freileitung in Amerika, 290 Kilometer
1912 Stromtarif mit Grundgebühr in Potsdam
1917 Hochspannungsfreileitungen
1930 Wechsel- str
1932 Entdeckung des N
19
19 1913 Geothermisches Kraftwerk, Larderello
1915 Braunkohlekraftwerk Golpa-Zschornewitz
1903 Wasserkraftwerk Necaxa
1882 Kohlekraftwerke für die Beleuchtung von Städten und privaten Haushalten
1866 Dynamomaschine, die kostengünstig und flexibel Strom erzeugt, Werner von Siemens 1880 Patent für die Kohlenfadenlampe – Glühlampe, Thomas Alva Edison
1800 Batterie – voltasche Säule, Graf Alessandro Volta
1827 Elektrolyse von Wasser, Graf Alessandro Volta 1827 Wasserturbine, Benoît Fourneyron
1835 Glühlampe, James Bowman Lindsay
1820 Magnetfeld kann durch elektrische Ströme erzeugt werden, Hans Christian Ørsted 1826 Ohmsches Gesetz – Zusammenhang zwischen Spannung, Widerstand und Stromstärke, Georg Simon Ohm
1831 Elektromagnetische Induktion – Elektrizität unter Einwirkung von Magneten und Bewegung, Michael Faraday
1839 Fotoelektrischer Effekt, Alexandre Edmond Becquerel
1840–1879 Erstes Transatlantikkabel zwischen Europa und den USA
10 Erste belegbare Windmühlen in Persien zur Getreideverarbeitung EN E R G I E
6000 v. Chr. Entdeckung Erdgas. Im heutigen Iran erstmalig als „ewiges Feuer“ schriftlich dokumentiert 2600 v. Chr. Staudamm Sadd-el-Kafara
1200 v. Chr. Wassermühle, Mesopotamien 600 v. Chr. Thales von Milet, griechischer Mathematiker, entdeckt Ursprung der Elektrizität. Er reibt Bernstein an einem Tierfell, kann Phänomen der elektrostatischen Aufladung aber nicht erklären
um 500 v. Chr. Die Etrusker entzünden Kerzen aus Tierfett. Im Mittelmeerraum werden Lampen für Olivenöl entwickelt 591 Erwähnung von Kirchenfenstern aus Glas, Gregor von Tour
B E G I N N S T R O M Z E I TA LT E RE R D Ö L W I R D Z U M S T R AT E G I S C H E N R O H S T O F FÖ F E N U N D L A M P E N E L E K T R I Z I TÄTF E U E R , W I N D U N D WA S S E R
1891 Tesla-Transformator erzeugt Hochspannung, Nikola Tesla
MOB I L I TÄT 1272 Erste urkundliche Erwähnung einer Kutsche
1269 Erste schriftliche Erwähnung eines Kompasses, Flavio Gioia
1783 Erste Ballonfahrt, Erfinder Heißluftballon, Joseph Michel und Jacques Étienne Montgolfier 1712 Erste leistungsfähige Dampfmaschine, Thomas Newcomen
1750–1900 Goldenes Zeitalter der Kutschen 1804 Dampflokomotive, Richard Trevithick 1860 Entwicklung Gasmotor, Étienne Lenoir 1880 Auto mit Verbrennungs- und Kolbenmotor, Carl Benz
1880 Lokomotive mit Verbrennungsmotor
1827 Patent für Schiffsschraube, Josef Ludwig Franz Ressel
1881 Elektroauto – Gustave Trouvé
1881 Elektrische Straßenbahn in Berlin, Werner von Siemens 1817 Laufrad, Karl Freiherr von Drais; um 1865: Fahrräder mit Pedalantrieb 1888 Langstreckenfahrt – Bertha Benz fährt 100 Kilometer von Mannheim nach Pforzheim
19
1930 Navigationssystem Iter Avt
1903 Gesteuerter Motorflug, Orville und Wilbur Wright
1900 Lohner-Porsche-Elektromobil, Ferdinand Porsche 1891 Flugzeug, Otto Lilienthal
1783 Dampfschiff, Claude François Jouffroy d’Abbans
1830 Dampfbusse in England als öffentliche Verkehrsmittel
1832 Pferdestraßenbahn in New York
1869 Sueskanal
10.000 v. Chr. Benutzung von Pfaden 3500 v. Chr. Erfindung des Rades
4000 v. Chr. Flöße, Einbäume, Fellboote 2500 v. Chr. Metallreifen, vierrädriger Wagen
4000 v. Chr. Steinpflasterung in Städten, erste Handelsrouten 800 Wikinger-Segelschiffe
3000 v. Chr. Transportkarren 1200 Segelfrachtschiffe 1492 Entdeckung Amerikas, Christoph Kolumbus
1240 Aufbauten auf Wagengestellen
2800 v. Chr. Älteste Darstellung eines Reitpferdes: eine Ritzzeichnung aus dem Orient
1000 v. Chr. Phönizische Galeeren, Römergaleeren, griechische Galeeren 1000 v. Chr. Reiten auf Pferden beginnt, sich durchzusetzen
400 v. Chr. Nachgewiesene Mautstraßen 280 v. Chr. Leuchtturm von Alexandria
1332–1323 v. Chr. Streitwagen des ägyptischen Pharao Tutanchamun
F Ö R D E R U N G E R D Ö L
N
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EW
M O B I L I TÄT Z U L A N D E U N D WA S S E R Z E I TA LT E R D E R L U F T FA H R T
1831 Elektromagnetische Induktion, Grundlage für Elektromotor, Michael Faraday
1876 Ottomotor – Gasmotor geht in Serienproduktion, Nikolaus August Otto
6000 v. Chr. Trommeln zur Nachrichtenverbreitung über Distanz 5000 v. Chr. Tontafeln zur Bild- und Schriftaufzeichnung
3500 v. Chr. Papyrus als Beschreibstoff 800–1200 Höhepunkt der Tätigkeit der Skriptorien – Mönche schreiben Bücher zur Vervielfältigung ab 1041 Druck mit beweglichen Lettern aus Ton; Bi Sheng; kurz danach waren die ersten Zinntypen in Gebrauch 1279 v. Chr. Tauben als Warn- und Nachrichtensystem
550–500 v. Chr. Postsystem durch Pferdeboten (Persien)
200 v. Chr. Rauchzeichen zur Nachrichtenverbreitung entlang der Chinesischen Mauer 288 v. Chr. Bibliothek von Alexandria – die berühmteste Bibliothek der Antike
868 Holztafeldruck
350 v. Chr. Pergament als Beschreibstoff
2400 v. Chr. Kurierdienst mit Schriftrollen
59 v. Chr. „Acta Diurna“, eine Vorform der Zeitung, herausgegeben von Gaius Julius Caesar 105 Papier als Beschreibstoff, Cai Lun
980 Lochkamera, Alhazen 1450 Moderner Buchdruck, Johannes Gutenberg
1600 Buchillustrationen mit Holzschnitten setzen sich durch; werden gegen Ende des Jahrhunderts von Kupferstichen abgelöst
1686 Transportable Camera obscura, die das Bild an die Wand projiziert, Johann Zahn 1605 Zeitung „Relation“, Johann Carolus
1610 Postkutsche in England
1649–1806 Kaiserliche Reichspost, Thurn und Taxis
1789 Lochkarten
1805 Lochkarten treiben Jacquard-Webstuhl an, Joseph-Marie Jacquard
1830 Posteisenbahn 1839 Fotografie-Verfahren „Daguerreotypie“, Louis Jacques Mandé Daguerre
1843 Kopiertelegraf zur elektrischen Übertragung von Handschriften, Alexander Bain
1859 Mikrofilm, René Dagron
1896 Funktechnik, Guglielmo Marconi
1887 Foto-Rollfilm, Hannibal Goodwin
1897 Braunsche (Elektronenstrahl)röhre, Ferdinand Braun
1887 Grammofon, Emil Berliner
1876 Patent für marktreifes Telefon, Alexander Graham Bell 1928 Mechanisches Farbfernsehen, Joh
1933 Polaroid-Sofort bild 1
1930 Vinylschallplatte, RCA Vic 1930 Telex
1877 Phonograph, Thomas Alva Edison
1878 Öffentliche Telefonzelle
1861 Telefonapparat, Johann Philipp Reis 1865 Schreibmaschine, Rasmus Malling-Hansen
1844 Morse-Telegrafie, Samuel F. B. Morse
1712 Patent für „Maschine zum individuellen Schreiben“ = Schreibmaschine, Henry Mill
1184 v. Chr. Mit Feuerzeichen melden die siegreichen Griechen über neun Stationen und 518 Kilometer den Fall Trojas
390 Der Römer Vegetius beschreibt einen optischen Telegrafen
KO
M
MU N I K AT I ON
1858 Atlantikkabel
Z E I TA LT E R PA P I E R E L E K T R I S C H E KO M M U N I K AT I O NZ E I T U N G S Ä R A
Zeit des StillstandsWelche Fortschritte in Effizienz in einer Gesellschaft entstehen, hängt wesentlich von der sozialen Ordnung ab und den Entwicklungsmöglichkeiten, die sie dem Einzelnen bietet. So gilt das Mittelalter als innovationsarme Periode. Mehr als 90 Prozent der Menschen waren im Agrarsektor beschäftigt und wurden in Abhängigkeit und Armut gehalten. Erst im Hochmittelalter wird durch die Entwicklung neuer landwirtschaftlicher Geräte die Effizienz in der Landwirtschaft erhöht, was aber den einfachen Bauern zunächst nicht zugutekommt. Neue Werkzeuge werden im 12. Jahrhundert für den beginnenden Bergbau entwickelt.
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Von der Erfi ndung des Rades bis zu Maschinen,
die miteinander redenKönnen wir uns nicht mehr Zeit lassen?
Die Menschen haben diese Frage in ihrer Geschichte immer mit Nein
beantwortet. Wie bei der natürlichen Evolution gehört zu den Rahmen-
bedingungen der technischen Evolution die Konkurrenz. Es gibt Gewinner und
Verlierer, und der wichtigste Wett-bewerb ist immer der nächste.
Die großen Ideen, die dieser Wettbewerb hervor-
bringt, sind meist dadurch gekennzeichnet, dass sie
aus dem Vorhandenen mehr machen. Effi zienz gewinnt seit Tausenden
Jahren – und dies gilt umso mehr heute, als die Ressourcen
knapp werden. Jetzt gilt es sogar, die Entwicklung der Effi zienz effi zienter zu machen. Unternehmen Sie auf diesen
Aufklappseiten eine Zeitreise durch die evolutionäre Entwicklung der
Effi zienz. Zeitschienen zeigen Ihnen auf einen Blick, wie unterschiedlich die
Entwicklung in den einzelnen Bereichen über die Jahrtausende verlief. Trotzdem
kann man sagen: „Uns Menschen ist immer etwas eingefallen.“ Und wahrscheinlich
auch: „Darauf können wir vertrauen“
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immer billiger
Massenproduktion: In der Deda Chicken Processing
Plant im chinesischen Dehui werden täglich 375.000 Hühner
geschlachtet, zerteilt und verpackt
Evonik-Magazin 2 | 2013
K O N S U M 41
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Ein Prinzip am Ende? Jahrzehntelang stellten Unternehmen Produkte her, die sich möglichst viele Menschen leisten sollten. Dieses Prinzip des Massenkonsums beginnt zunehmend, ineffi zient zu werden. An seine Stelle
könnten stärker vernetzte Strukturen treten, in denen die Kunden selbst zu entscheidenden Akteuren werden TEXT BIRK GRÜLING
Immer mehr…
…und
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und ist bereit, dafür mehr auszugeben“, erklärt Adl-warth. Das iPad vermittelt eine andere Botschaft als das Spar-Tablet aus dem Elektronikdiscounter. Zu die-sen Konsumansprüchen passt auch der Gang in den Biosupermarkt. Man schreibt den dortigen Produk-ten positive Wirkungen auf die eigene Gesundheit zu – und demonstriert die Zugehörigkeit zur angesehenen Gruppe der Ernährungsbewussten.
Rundum-sorglos-Pakete reichen nichtSchon jetzt werden Produkte nicht allein verkauft, sondern in ein Bündel von Dienstleistungen wie Garantien, Versicherungen oder Wartungen einge-bettet. Aus Sicht der Sozialpsychologin Dr. Sho shana Zuboff, emeritierte Professorin an der Harvard Busi-ness School in Boston, Massachusetts (USA), reichen solche Rundum-sorglos-Pakete jedoch nicht mehr aus, um den Ansprüchen des modernen Konsumenten zu genügen: „Unternehmen dürfen nicht länger nur Pro-dukte oder Dienstleistungen verkaufen, sondern müs-
sen Ressourcen bereitstellen, die den Kunden im All-tag konkret unterstützen.“ Dies erfordert aus ihrer Sicht aber ein Umdenken bei den Unternehmen: „Bis-her hat die moderne Dienstleistungsgesellschaft die Logik der traditionellen Massenproduktion übernom-men. Individuelle Bedürfnisse wurden in der klassi-schen Wertschöpfung ignoriert.“ Statt „Was kann ich dir verkaufen“ sollten Unternehmen heute fragen:
„Was brauchst du?“ und „Wie kann ich dir helfen?“ Als ein Unternehmen, das sich viel Mühe gibt, diese
neue Philosophie zu denken, sieht Zuboff die Kultfirma Apple. Mit dem iTunes und dem App Store hat das Unter-nehmen eine Infrastruktur geschaffen, die die Ansprü-che der Kunden an Funktionalität und die besonderen Bedürfnisse beispielsweise beim Erlebnis von Musik konsequent in den Mittelpunkt stellt. Gleichzeitig hat es Gründer Steve Jobs verstanden, seine Marke stark zu emotionalisieren. iPad, iPhone, MacBook – all das funktioniert auch als Statussymbol. In diesem Punkt sieht Zuboff auch bei Apple die alte „Immer mehr und
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SEUFZEND lassen die vier Jugendlichen ihre Tüten sinken. Hinter ihnen liegen die Anstrengungen eines wahren Konsumrausches. Aus den Taschen ragt ein Gewirr aus Ärmeln und Hosenbeinen – Kleidung, gerade noch am Rande der handelsüblichen Menge.
Man weiß nicht, ob Fußgängerzonen oder Shop-pingmalls der Nabel der Welt sind, die Bühne für einen in den letzten Jahren immer exzessiver gewordenen Massenkonsum sind sie auf jeden Fall. 2 € für ein T-Shirt und die Jeans für kaum mehr als 10 – bei sol-chen Preisen versteht man den Kaufrausch, begünstigt durch jugendlichen Leichtsinn und schma les Taschen-geld. Angesichts der glücks verklärten Gesichter der Teenager scheint ein Appell an das Gewissen vergeb-lich. Beim Oberteil für 2 € muss irgendjemand ande-res den Preis zahlen, mag indes dem aufgeklärten Kon-sumenten durch den Kopf gehen.
Inzwischen haben die vier Jugendlichen zu ihren Smartphones gegriffen, die Konsumerfolge wollen in die sozialen Netzwerke hinausgetragen werden. Ihre Finger fliegen über die Bildschirme, ihre Augen fixie-ren die Meldungen aus der vernetzten Welt. Mehr als 6 Milliarden Handys sind weltweit in Betrieb, täglich kommen Millionen neue hinzu. In Europa besitzen die meisten Haushalte längst mehr als eines. Doch wie nachhaltig ist eine Benutzungsdauer von kaum mehr als 18 Monaten für ein Mobiltelefon? Immerhin halten sich die Müllberge aus alten Telefonen noch in Grenzen. Die meisten alten Handys versauern in Schubladen, der Tag der Wiederbelebung könnte ja kommen. Wir wüss-ten auch gar nicht, wohin damit – sichtbare Recycling-angebote gibt es kaum, obwohl jedes Mobiltelefon rund 60 verschiedene Rohstoffe enthält – darunter Gold, Sil-ber und Kupfer. Grundgedanken von Nachhaltigkeit
wie die Schonung der Ressourcen, Umweltbewusstsein oder faire Arbeitsbedingungen finden in der „Immer mehr und immer billiger“-Welt wenig Beachtung. Doch diese Welt bekommt erste Risse. Der oft ruinöse Wettbewerb unter den Anbietern fordert erste Opfer, und dass sich die Preisspirale noch weiter nach unten dreht, ist nicht zu erwarten. Doch viel bedrohlicher für
„Immer mehr und immer billiger“ ist ein Wandel, der sich bei den Konsumenten abzuzeichnen beginnt. Die Ideen eines nachhaltigen Konsums gewinnen an Popu-larität und sind nicht mehr auf die Kernklientel der Grü-nen, Alternativen und politisch Korrekten beschränkt.
Zwar ist die Konsumlaune der Deutschen – laut aktueller Studien der Gesellschaft für Konsum-forschung (GfK) – durch gute Tarifabschlüsse und geringe Inflation größer denn je, anders als bei den von der Krise geplagten europäischen Nachbarn. Geändert haben sich aber die Konsumansprüche, wie Dr. Wolfgang Adlwarth, Division Manager Stra-tegisches Marketing bei der GfK, erklärt: „Ich wür-de sagen, ‚Geiz ist geil‘ als Werbebotschaft ist passé. Wir beob achten sensiblere Konsumenten mit gestie-genen Ansprüchen.“
Mit Hedonismus und Individualismus haben Kon-sumforscher zwei Trends ausgemacht, die mit einem klassischen Wirtschaftssystem mit großen Handels-volumen, geringen Produktkosten und hoher Standar-disierung nicht vereinbar scheinen. Individualisierte Genusserlebnisse, die auch noch einen Distinktions-effekt versprechen, treten in Konkurrenz zu Massen-produkten alten Stils. „Die qualitätsbewussten Ziel-gruppen wachsen, ihnen sind Marken und Produkte mit individuellen Erfahrungsversprechen wichtig. Man sucht Authentizität, Individualität und Qualität
Massenkonsum: Sind standardisierte
Einkaufs tempel noch zeitgemäß?
„Man kann von einer Moralisierung der Märkte sprechen“
Dr. Stefan Schaltegger, Professor für Nachhaltigkeitsmanagement
Evonik-Magazin 2 | 2013
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Konsumverzicht kann also glücklich machen – ein Ar -gument, das auch Ökonomen wie Prof. Dr. Niko Paech gerne aufgreifen. In seinem viel diskutierten Buch
„Befreiung vom Überfluss“ rät der Oldenburger Wis-senschaftler außerdem zu mehr Eigenproduktion und Selbstversorgung, zu einer stärkeren Reparatur gesell-schaft und zu mehr Organisation von Gemeinschaften. Teilen und Tauschen rücken stärker in den Fokus des Konsums, statt individuell konsumiert man zunehmend gemeinschaftlich. Im Prinzip sind das keine neuen Ideen, sondern eher Kulturtechniken, die im Laufe der Jahr-zehnte in Vergessenheit gerieten. Die Idee der Tausch-bewegung geht bis ins 19. Jahrhundert zurück.
Die neue Kultur des TeilensDas Auto macht den Anfang in dieser als Share-Eco-nomy bezeichneten Wirtschaftsform, ein Begriff, den Harvard-Ökonom Prof. Dr. Martin Weitzman prägte. Lange Zeit war Carsharing europaweit ein Nischen-markt, heute haben neben Plattformen wie Tamyca
oder Zipcar auch Autohersteller den Trend entdeckt. Daimler und Mietwagenunternehmen Europcar bie-ten ihr Carsharingangebot Car2go bereits in 21 Städ-ten in Europa und Nordamerika an. Registrierte Nut-zer können per Chip frei geparkte Autos nutzen, abgerechnet wird im Minutentakt, Sprit und Park-gebühren inklusive. Per Smartphone lassen sich Autos der Umgebung finden. Ähnliche Konzepte bieten auch BMW mit DriveNow und Citroën mit Multicity. „Sich Märkte außerhalb des klassischen Autoverkaufs zu erschließen ist für die Hersteller mehr als logisch“, erklärt Schaltegger. Denn das auf Massenverkäufen basierende Kerngeschäft in Europa und den USA ver-liert an Dynamik. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden in der EU 6,6 Prozent weniger Autos verkauft als im gleichen Zeitraum 2012. Grund dafür ist die Finanzkrise in vielen europäischen Ländern, aber auch geänderte Bedürfnisse der Konsumenten. Junge Leute finden immer häufiger andere Wege, ihrem Mobilitätsbedürfnis zu entsprechen. Gera-
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immer billiger“-Denke. „Wenn ständig neue Produk-te auf den Markt gebracht und so immer neue Begehr-lichkeiten geweckt werden, spricht das für ein Festklam-mern an der alten Logik der Massenproduktion.“
„Moralisierung der Märkte“ Doch nicht nur strukturell, auch inhaltlich verändern neue Konsumansprüche Unternehmensstrategien. Ein gutes Beispiel dafür ist das wachsende Bedürfnis nach nachhaltigen Produkten. „Man könnte von einer Mora-lisierung der Märkte sprechen. Das Thema Nachhaltig-keit steht stärker im Fokus gesellschaftlicher Debatten und beeinflusst damit das Agieren der Unternehmen am Markt“, sagt Dr. Stefan Schaltegger, Forschungsprofes-sor für Nachhaltigkeitsmanagement an der Leuphana Universität in Lüneburg. Beispielsweise zwingen infor-mierte Konsumenten die Unternehmen zu effektiveren Kontrollen ihrer Wertschöpfungsketten, Lieferwege und Produktionsweisen.
Grund dafür ist auch eine schnellere Verfügbar-keit und Verbreitung von Informationen. Skandale las-sen sich heute kaum vertuschen, der viel zitierte „Shit-storm“ im Internet zieht schnell die Aufmerksamkeit vieler Akteure auf sich. In jedem Augenblick, in dem Unternehmen das Vertrauen ihrer Kunden enttäuschen, geht ihnen Geld verloren. „Das ,Wir hier drinnen‘-und-
,Die Kunden da draußen‘-Denken hat sich überholt“, findet Shoshana Zuboff. Gleichzeitig sind die neuen und aufgeklärten Zielgruppen für Unternehmen attraktiv. Die kritischen Konsumenten sind jung, zahlungskräf-tig und haben eine hohe Bildung. Sie setzen die Trends in den Märkten.
Die Unternehmen passen sich den neuen Ansprü-chen an. „Ökomode und Naturprodukte werden heute
zunehmend attraktiv gestaltet und entsprechend posi-tioniert. Die Zeiten von moralisch-korrekter Kleidung mit Kartoffelsack-Ästhetik sind vorbei“, sagt Schalt-egger. Ein flächendeckender nachhaltiger Konsum scheint aber noch weit entfernt. Zumal der Trend in sich widersprüchlich ist, denn der Konsum von Bio und Fair Trade und der Geländewagen vor der Haus-tür schließen sich in diesem Lebensstil keineswegs aus. Auch Yvonne Zwick vom Rat für Nachhaltige Ent-wicklung in Berlin will an eine große Wende in Sachen Konsum nicht glauben: „Klar gibt es in den Bereichen der biologischen und fair gehandelten Produkte gro-ße Wachstumsraten, trotzdem ist der Marktanteil mit etwas mehr als fünf Prozent immer noch gering.“ Das Beratungsgremium der deutschen Bundesregierung in Sachen Nachhaltigkeit hat die Ratgeberbroschü-re „Der nachhaltige Warenkorb“ herausgegeben, mit Vorschlägen für einen bewussteren Konsum. „Nach-haltiger Konsum hat nicht nur etwas mit den richtigen Produkten zu tun, sondern auch mit einem Nichtkon-sum“, erklärt Zwick. Eine wichtige Frage vor der Kauf-entscheidung wäre also: „Brauche ich das wirklich?“
Die Rechnung ist einfach: weniger Konsum, weni-ger Massenproduktion, weniger Bedarf an Energie und Ressourcen. Konsumverzicht scheint keineswegs ein Leben im Bettelhemd zu bedeuten, eher liegt im Ver-zicht das Potenzial für mehr Zufriedenheit. Verhaltens-forscher Dr. Wilhelm Hofmann und andere Psychologen der University of Chicago, USA, haben festgestellt, dass Menschen oft zufriedener sind, wenn sie sich und ihre Bedürfnisse gut im Griff haben und die Befriedigung auch mal aufschieben können. Richtwert für glückli-chen Konsum: Selbstkontrollierte Menschen geben im Schnitt immer noch zwei von fünf Impulsen nach.
„Unternehmen müssen das Verlangen des Individuums erkennen“ Ökonomin Prof. Dr. Shoshana Zuboff
Share Economy: In nutzlos gewordenen
Telefonzellen warten Bücher darauf, mit-
genommen zu werden
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S U M M A R Y• Die lange prak tizierte
Massenproduktion erfüllt die Bedürfnisse der Menschen nicht mehr
• Konsumenten stellen ethische Ansprüche an Herstellung und Vertrieb ihrer Konsumgüter. Bio, Fair Trade und Nachhaltig-keit lauten die Stichworte
• Shared Economy wird zum Trend: Gemeinsam benutzen statt besitzen
de die Bedingungen in Großstädten stellen Auto-besitzer vor Probleme. Parkplätze sind knapp, Versi-cherung oder Steuern fallen als permanente Belastung auch bei geringer Nutzung an. Beim Carsharing ist der Kunde von vielem entlastet. Marke, Steuer, Versiche-rung, Service, Reparatur, ja sogar die bisher so bedeu-tenden Pferdestärken (PS) – all dies spielt keine Rolle mehr. Die Verluste aus dem Kerngeschäft kann Car2go bei Daimler noch nicht ausgleichen, aber man schrei-be schon in mehreren Städten schwarze Zahlen, so der Konzern. Langfristig hält man bis 2020 einen Carsha-ring-Umsatz von 7 Milliarden € auf dem Gesamtmarkt in Europa für realistisch. Die Zahl der Kunden soll bis dahin von heute 700.000 auf 15 Millionen wachsen.
Die „Support Economy“ kommt Geteilt wird nicht nur das Auto, auch für Alltags-gegenstände wie Bohrmaschinen oder Rasenmäher finden sich im Internet Tauschbörsen. Andere Platt-formen greifen in den Tourismus ein und bringen weltweit Menschen auf Reisen und Privatleute mit Wohnungen zusammen. Die Vermittlung von Privat-ferienwohnungen umgeht dabei die üblichen Struk-turen von Reiseveranstaltern oder Hotels und bedient gleichzeitig die Sehnsucht nach individuellen Reise-erlebnissen zu guten Preisen. Getrieben werden sol-che Ideen durch Smartphones und soziale Netzwerke, die das Finden von Tauschpartnern erleichtern. In vie-len europäischen Städten bilden sich Tauschringe, in denen die Mitglieder ihre Talente anbieten.
Auch die Reparatur erlebt eine neue Blüte. Im Haus der Eigenarbeit in München geben Handwerker an fünf Tagen pro Woche ihr Wissen in Kursen weiter und hel-fen für kleines Geld bei defekten DVD-Spielern und
durchgesessenen Möbeln. Modebewusste Frauen tref-fen sich zu Tauschpartys, und überflüssige Nahrungs-mittel wechseln beim Foodsharing ihren Besitzer. Das Kennenlernen von Gleichgesinnten spielt bei all diesen Aktivitäten eine große Rolle. So sind längst nicht alle Tauscher umweltbewusst und wachstumskritisch, die meisten sind einfach nur praktisch. Auch viele Singles gehören dazu, für die sich große Anschaffungen nicht lohnen – soziale Kontakte dafür umso mehr.
Wie weit Sharing Economy und neue Konsum-ansprüche wirklich als Indiz für eine sich verändern-de Wirtschaftsordnung gelten können, lässt sich nicht eindeutig sagen. „Ich glaube, der Massenkonsum wird zurückgehen und immer stärker durch eine Vielfalt neuer, eher partizipativer Formen unter Druck kom-men. Vor allem von den mit dem Smartphone soziali-sierten Digital Natives ist ein anderes Konsumverhal-ten zu erwarten“, sagt Marktforscher Adlwarth.
Shoshana Zuboff ist in ihrer Prognose mutiger. „Die Wertschöpfung der Zukunft ist dezentralisiert. Beispielsweise werden Firmen und Marken stärker in Konstellationen versuchen, unsere Bedürfnisse zu befriedigen.“ Ein erster Schritt dazu sind Modelle wie Car2Go. Die Autohersteller werden damit zum Teil eines Netzes von Mobilitäts-Providern, das ist etwas anderes, als einfach Autos zu verkaufen. Ansätze wie solche sind aus Zuboffs Sicht Belege für eine entste-hende „Support Economy“. Entscheidend werden darin nicht mehr die ineffektiv gewordenen Massen-produkte sein, sondern Ressourcen, die Konsumen-ten dabei unterstützen, ihr Leben gemäß ihrer eige-nen Vorstellung zu leben. Mit Einheitsprodukten aus klassischer Massenfertigung wird sich ein solches Ziel kaum mehr erreichen lassen.
Dr. Shoshana Zuboff ist emeritierte Professorin für Betriebswirtschafts-lehre an der Harvard Business School in Boston, Massa-chusetts (USA)
„,Geiz ist geil‘ ist passé“ Dr. Wolfgang Adlwarth, Konsumforscher
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Das kleine Städtchen Rietberg bei Gütersloh ist bekannt für seine historische Altstadt. Seit 2012 kann man hier aber auch die Zukunft in-nerstädtischer Beleuchtungskonzepte erleben. Rietberg ist im Rahmen der Initiative „Kommu-nen in neuem Licht“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung auf LED-Straßen-beleuchtung umgestiegen. 50 Prozent Strom und über 29 Tonnen CO2-Emissionen jährlich spart die neue Technik. 117.000 € an Betriebs- und Wartungskosten sollen binnen zehn Jahren entfallen.
Glühlampen, die bis 2011 noch knapp ein Viertel des globalen Lichtmarktes aus-machten, sind im Wesentlichen eine Tech-nologie des 19. Jahrhunderts. Höchste Zeit also für eine Lichtquelle der Moderne. Vieles spricht für die LED: Sie ist langlebiger und ef-fizienter als die Glühlampe. Sie ist kompakter und wartungsärmer als die Energiesparlam-pe. Und sie wird immer günstiger. Experten sind sich darum einig, dass langfristig LEDs allein aus Effizienz- und Platzgründen in im-mer mehr Lebensbereiche vordringen wer-den. Heiß diskutiert wird heute eher, welcher zusätz liche Nutzen dadurch möglich wird.
Prof. Dr. Tran Quoc Khanh etwa erprobt im Fachgebiet Lichttechnik an der Technischen Universität Darmstadt LED-Scheinwerfer für die Autoindustrie. „Praktisch alle Hersteller ar-beiten heute am intelligenten Abblendlicht“, sagt Khanh. Nicht einfach heller, sondern intel-ligenter sollen die Scheinwerfer werden – mit-hilfe von leuchtstarken LEDs, Kunststofflin-sen und einer intelligenten Steuerung. „Stellen Sie sich diese neuen Scheinwerfer wie ein Ras-ter aus vielen LEDs und kleinen Linsen vor“, er-klärt Khanh. „Jede LED leuchtet etwa einen halben Quadrat meter des Sichtfeldes aus. Er-kennt die Kamera ein entgegenkommendes Fahrzeug, wird genau die LED ausgeblendet, die den Fahrer blenden würde.“
Keine 1.500 Meter Luftlinie von Khanhs Büro entfernt grübelt man bei Evonik Industries über dieses Zusammenspiel von neuer Lichtquelle und dem hauseigenen Kunststoff. PLEXIGLAS ist seit 80 Jahren be-liebt, wenn es um das Spiel mit Licht geht.
Der LED-EffektEffi zienz im Alltag: Der Umstieg auf LED-Technologie macht das Licht in vielen Bereichen sparsamer und intelligenter
„Die LED eröffnet jetzt aber völlig neue Möglichkeiten“, sagt Stephan Neumayer vom Business Development. Viele davon haben er und seine Kollegen im Lichtstudio des Konzerns zusammengetragen. Die allermeis-ten werden gerade erst von Forschungs-instituten und Leuchtenherstellern erdacht.
„PLEXIGLAS leitet Licht verlustfreier als Glas, ist einfacher zu formen und zudem sehr viel leichter“, sagt Neumayer. Zum Beweis legt er Besuchern gerne zwei identisch aussehende transparente Klötze in die Hand: einen aus herkömmlichem Silikatglas, einen aus PLEXIGLAS. Er schaut dann stets in verblüffte Gesichter: „Den Gewichts-unterschied muss man fühlen, sonst glaubt man es gar nicht“, sagt er. Auch deshalb setzen gerade Autobauer auf die Kombina-tion LED und PLEXIGLAS.
Das rechte Licht zur rechten Zeit Auch bei den Straßenlaternen setzt sich dank LEDs der Kunststoff durch: „Weil LEDs deutlich weniger heiß werden, können wir ausgeklü-gelte Linsen viel näher an die Lichtquelle brin-
Unser neues Verhältnis zum Licht: Der Japaner Makoto Tojiki schafft Licht-Skulpturen wie
„The Man with No Shadow“ aus Tausenden LEDs
"Die LED eröffnet für PLEXIGLAS neue Einsatzmöglich-keiten", meint Stephan Neumayer von Evonik Industries
gen und das Licht effizienter dahin lenken, wo es benötigt wird“, erklärt Neumayers Kollege Dr. Heiko Rochholz.
Neben der Effizienz und Kompaktheit bestechen die LEDs auch durch ihre Wellen-länge. Die lässt sich gezielt steuern und den Anforderungen genau anpassen. Das macht man sich am Fraunhofer-Institut für Arbeits-wirtschaft und Organisation (IAO) in Stutt-gart zunutze. Im „Light Fusion Lab“ arbeiten Forscher am optimalen Licht für die Arbeits-welt. „Wir wissen, dass bestimmte Wellenlän-gen, vor allem im blauen Spektrum, Taktgeber für unsere innere Uhr sind“, erklärt Oliver Stefani vom IAO. Das Licht, das der arbeiten-den Bevölkerung täglich bis spätabends von Computerdisplays ins Gesicht strahlt, sehen Stefani und seine Kollegen darum kritisch. Die Forscher haben eine Monitorsteuerung patentiert, die außer „hell und dunkel“ auch
„belebend oder beruhigend“ regelt. Ähnliches erproben sie für die Raumbeleuchtung, um etwa die Auswirkungen der Schichtarbeit auf den Biorhythmus zu minimieren.
Wie die Bürobeleuchtung mit LEDs aus-sehen könnte, zeigt Neumayer. Er hat eine strahlend weiße Flächenleuchte – gut 60 mal 60 Zentimeter groß – aus Taiwan mitgebracht. Dort betreibt Evonik mitten im Mekka der Display- und LED-Technologie sein Advanced Project House Light & Electronics. Die Scheibe besteht aus speziellem PLEXIGLAS, das Licht kommt von versteckten LEDs an der Seite. „Noch sind die Anschaffungskosten für solche Panels hoch“, sagt Neumayer.
„Aber irgendwann wird keiner mehr klobige Leuchtstoffröhren einbauen.“
Wenn es so weit ist, schlägt die Stunde von Professor Dr. Harald Haas von der Uni-versity of Edinburgh. Er hat ein System ent-wickelt, mit dem sich im sichtbaren Licht ei-ner LED-Beleuchtung Daten übertragen lassen. Dazu lässt er die LED in Frequenzen flackern, die der Mensch nicht wahrnimmt. Das Licht einer Deckenleuchte könnte so die Funkwellen des WLAN ersetzen. Spätestens dann ist die gute alte Lampe wirklich im 21. Jahrhundert angekommen.
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Poverty Action – eine neue Art zu helfenDie Industrieländer investierten 2012 rund 125,6 Milliarden US-$ in die Entwicklungszusammenarbeit. Mit einer neuen Methode wollen Wirtschaftswissenschaftler die Effi zienz des Engagements erhöhen und lernen, zu verstehen, was die Hilfe konkret vor Ort bewirktTEXT: CHRISTINE MATTAUCH
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SOLANGE ER DENKEN KANN, fürchtete Mal-lam Abubakar Seidu die Dürre. Die furchtbare Tro-ckenheit, die seine Maisfelder steinhart macht und die Ernte zerstört. Deshalb kaufte der Kleinbauer im west afrikanischen Ghana stets nur möglichst wenig Saatgut und Dünger. Wozu viel investieren? In einem schlechten Jahr wäre doch sowieso alles weg.
Dann kam Dr. Dean Karlan, ein junger Profes-sor der amerikanischen Yale University. Er wollte he rausfinden, wie man die Bauern motivieren kann, mehr anzubauen – und so dazu beizutragen, dass es dem Land und seinen Bewohnern besser geht. Kar-lans Forscher gaben einigen Farmern Geld. Andere erhielten einen Schutz gegen Ernteausfall. „Regen-Ver sicherung“ nannten die Wissenschaftler das. Nach drei Jahren lagen die Ergebnisse vor: Die Bauern mit dem Wetterschutz hatten viel mehr investiert als die mit dem Zusatzgeld. Es war also nicht Kapital, das das Verhalten der Bauern änderte, sondern Sicherheit.
„Ich war überrascht“, sagt Karlan, „niemals hätte ich gedacht, dass das Risiko eine so große Rolle spielt.“
Der Ökonom gehört zu einer Gruppe von Wis-senschaftlern, die Entwicklungszusammenarbeit effi zien ter machen wollen – schließlich stehen Spen-den und Geld von Regierungen nicht unbegrenzt zur Verfügung. Ihre Methode ist in der Arzneimittelfor-schung seit Jahrzehnten Standard: „Randomized Con-trolled Trials“, Experimente also, deren Teilnehmer zufällig ausgewählt werden und zu denen es immer eine Kontrollgruppe gibt – so wie in der Medizin die einen ein Medikament erhalten und die anderen ein Placebo. Vor zehn Jahren war Karlan mit der Adap-tion dieser Idee in die Ökonomie ein krasser Außen-seiter. Inzwischen ist daraus eine einflussreiche FO
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Wasser ist Leben: Paa Kwesi Antugah
freut sich über das frische Trinkwasser
der Wasserauf-bereitungsanlage
in der Stadt Adeiso im Süden Ghanas Verantwortung an die Menschen vor Ort abzugeben ist ein
Schritt in die richtige Richtung: Ruth Damten, ehemalige IPA-Projektmanagerin, und Chauffeur Abass Salifu in Ghana
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Bewegung geworden, deren Ansatz immer mehr Entwicklungshilfe organisationen einbeziehen.
Die Initiatoren sind in zwei Netzwerken organi-siert: Karlan gründete 2002 Innovations for Pover-ty Action (IPA) mit Sitz in New Haven (Connecticut, USA). 200 Kilometer weiter nordöstlich in Cambridge (Massachusetts, USA) richteten drei Ökonomen des Massachusetts Institute of Technology (MIT), Prof. Dr. Abhijit Banerjee, Prof. Dr. Dr. h.c. Esther Duflo – deren Schwester Annie geschäftsführende Direktorin der IPA ist – und Prof. Dr. Sendhil Mullainathan, das Poverty Action Lab (PAL) ein. Weit davon entfernt, sich Kon-kurrenz zu machen, helfen die Organisationen einan-der vielmehr dabei, effiziente Maßnahmen zu entwi-ckeln; viele Wissenschaftler sind gleichzeitig in beiden Netzwerken engagiert. Sowohl IPA wie auch PAL, das heute nach dem Spender Abdul Latif Jameel J-PAL heißt, sind in den vergangenen Jahren stark gewachsen: Bei-de sind mit insgesamt 24 Büros in 19 Ländern vertre-ten; die mit ihnen verbundenen rund 230 Wissen-schaftler arbeiten an über 700 Projekten.
Effizienz von Projekten überprüfenSo wie Dr. Karen Macours, Professorin an der École d’Économie de Paris. „Armut ist das größte Problem weltweit, und ich kann durch meine Arbeit einen klei-nen Beitrag zur Lösung leisten“, sagt die 39-Jährige. Gerade ist sie dabei, Daten aus Nicaragua auszuwer-ten. Vor über zehn Jahren versuchte dort die Regierung, die Fürsorge für Babys zu verbessern, indem sie armen Familien zusätzlich Bargeld gab. Macours wollte wis-sen, ob sich diese Kinder langfristig besser entwickeln als andere, und damit auch bessere Chancen haben, der Armut zu entfliehen. „In vielen südamerikanischen Län-
dern wird derzeit darüber diskutiert, mit der Förderung von Kindern erst im Vorschulalter zu beginnen, weil man sie da logistisch besser erreichen kann“, erklärt sie.
„Doch für die Ausbildung von kognitiven Fähigkeiten könnten die ersten Monate entscheidend sein.“
Das Ergebnis ihrer Studie ist eindeutig: Die Kin-der der Familien, die schon während der ersten 24 Monate Geld erhielten, schnitten etwa bei Voka-bel- und Gedächtnistests klar besser ab als die, deren Eltern später gefördert wurden. Finanziert hat das Projekt die Inter-American Development Bank (IDB) in Washington. „Sie zieht daraus bereits Konsequen-zen für den Beginn von Hilfsprojekten“, sagt Macours.
Keine Allheilmittel gegen ArmutNicht immer sind die Ergebnisse der Wissenschaftler bequem für Auftraggeber und Entwicklungshelfer. So ergab eine Studie von J-PAL im indischen Hyderabad, dass Mikrokredite oft überschätzt werden. Diese füh-ren zwar dazu, dass die Familien ihr Geld überlegter einsetzen, doch positive Effekte auf Gesundheit, Bil-dung oder Gleichberechtigung ließen sich nicht nach-weisen. Ein Allheilmittel gegen Armut scheinen Mik-rokredite also nicht zu sein. Eine andere Studie aus Indien zeigt, dass moderne Kochöfen, die offene Feu-er ersetzen und die Gesundheit verbessern sollten, nach kurzer Zeit nicht mehr genutzt wurden. Da hat-te eine renommierte Hilfsorganisation bereits Hun-derttausende dieser Öfen verteilt. J-PAL-Gründerin Esther Duflo warnt dringend davor, teure Hilfsprojek-te umzusetzen, ohne zuvor ihre Wirksamkeit zu prü-fen: „Das Feld der Antiarmutspolitik ist übersät mit den Scherben von Projekten, die Wunder bewirken sollten und sich als ganz und gar nicht wunderbar erwiesen.“
Schlange stehen für die Gesundheit
Kinder in Kwa’al (Nigeria) warten auf die Behandlung mit einer Wurmkur. Es stellte
sich heraus, dass die Medikamente den regel mäßigen Schulbesuch fördern und die Gesundheit der Kinder nachhaltig verbessern
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Der Ansatz der Ökonomen ist in den vergangenen Jahren in Fachkreisen geradezu populär geworden. Unumstritten aber ist er nicht. Kritiker werfen ihnen vor, sich unethisch zu verhalten, wenn sie einer Grup-pe zu Vergleichszwecken Hilfe vorenthalten. Es ist der alte Vorwurf der Praktiker, dass es darauf ankommt, zu handeln und keine wertvolle Zeit mit Theorien zu vergeuden. Zynisch finden sie, wenn Esther Duflo in ihrem Buch „Poor Economics“ schreibt: „Die Armut begleitet die Menschheit seit vielen Tausend Jahren; wenn wir bis zu ihrem Ende nun noch einmal 50 oder 100 Jahre warten müssen, dann seis drum.“
Mehr Schulbesuch dank WurmkurenDoch wenn Geld verschwendet wird, weil Maßnah-men nicht wirken oder ineffizient sind, können die Armen auch nicht profitieren. Macours sagt: „Bei den Projekten, die wir empfehlen, wissen wir wenigstens genau, dass sie helfen.“ Manchmal ergreifen die Wis-senschaftler sogar selbst die Initiative. Die Erkenntnis, dass Wurmkuren eines der effi zien testen Mittel sind, um den Schulbesuch zu steigern, führte zur Gründung der Initiative „Deworm the World“. Bislang wurden rund 37 Millio nen Kinder behandelt. Und nachdem Studien ergaben, dass Dorfbewohner Brunnenwas-ser erheblich häufiger des infizieren, wenn der Behäl-ter mit Desinfektionsmittel direkt neben der Quel-le angebracht ist, gründete IPA 2010 das Programm
„Dispensers for Safe Water“. Innerhalb von zwei Jah-ren wurden damit Behälter für 650.000 Dorfbewoh-ner in Ländern in Lateinamerika, Afrika und Südasi-en angebracht.
Andere Kritiker hegen den Verdacht, dass die Men-schen mithilfe der Entwicklungsökonomik bevor-
Dr. Abhijit Banerjee, indischer Wirtschafts-wissenschaftler, lehrt als Professor am
Massachusetts Institute of Technology (MIT). Prof Dr. Dr. h.c. Esther Dufl o ist eine franzö sische
Ökonomin und unterrichtet ebenfalls am MIT. Gemeinsam mit Prof. Dr. Sendhil Mullainathan
gründeten sie 2003 das Abdul Latif Jameel Poverty Action Lab (J-PAL) und forschen zu Fra-
gen der Armuts bekämpfung und Entwicklung
Dr. Dean Karlan gründete 2002 die Organisation Innovations for Poverty Action (IPA). Der US-amerikanische Ökonom arbeitet als Professor an der Yale University und als Forschungs-beauftragter bei J-PAL. Annie Dufl o, Schwester von Esther Dufl o (oben), machte ihren Master in öffentlicher Verwaltung und internationaler Entwicklung an der Harvard Kennedy School. Heute ist sie geschäfts-führende Direktorin von IPA
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mundet werden. Der britische Stadt- und Ent-wicklungsplaner Prof. Dr. David Satterthwaite etwa empfiehlt stattdessen Konzepte, bei denen sich die Bedürftigen selbst helfen. „Beteiligt die Menschen, und behandelt sie nicht als wissenschaftliche Objek-te!“, sagt er. Dean Karlan weist das zurück: „Wir gehen mit den Teilnehmern äußerst respektvoll um.“ Auch in der Praxis sei die Reaktion der Teilnehmer fast immer positiv, zumal es um Programme gehe, von denen sie profitierten.
Womöglich sind die Unterschiede zwischen den Forschern und ihren Kritikern am Ende gar nicht so groß – schließlich eint sie das Ziel, die Lage der Armen zu verbessern. Effizient sind diese Maßnah-men dann, wenn sie in der Anfangsphase mit klassi-schen Erfolgskontrollen kombiniert werden – so wie es bei der Regen-Versicherung der Fall ist. Der Ver-bund von 19 Versicherern, der ghanaischen Regie-rung und der Deutschen Gesellschaft für Internatio-nale Zusammenarbeit (GIZ) ist für Karlan jedenfalls
„ein großartiges Beispiel für Kooperation“. Und Mal-lam Abubakar Seidu, der Bauer, hat zum ersten Mal keine Angst vor der Dürre: „Ich bin voller Zuversicht.“ Künftig wird er sich trauen, mehr Mais anzubauen – und einen kleinen, aber wichtigen Beitrag leisten zur Lösung eines großen Problems.
BildungserfolgeSchulgebühren und die Kosten für
Schul uniformen und Lernmaterialien stellen die größten Hindernisse
für Schulkinder und ihre Familien dar. Wenn diese Kosten sinken, steigt meist
der Wille zum Schulbesuch stark an
DIE WELT VON IPA UND J-PAL „Randomized Controlled Trials“ gewinnen an Fürsprechern
Innovations for Poverty Action (IPA) und Abdul Latif Jameel Poverty Action Lab (J-PAL) forschen in über 700 Projekten weltweit zu Themen der Armutsbekämpfung und Entwick-lungsökonomik. Das internationale Engagement für die sogenannten Entwicklungs- und Schwellen länder steht im Mittelpunkt der Forschung der rund 230 Wissenschaftler. Ihre innovative Evaluationsmethode zieht immer mehr Forscher in den Bann
Wer forscht wo?Die Teams von IPA und J-PAL sind alles andere als Konkurrenten. Sie tauschen wichtige Informationen aus und arbeiten projektweise zusammen
Abdul Latif Jameel Poverty Action Lab (J-PAL)
Innovations for Poverty Action (IPA)
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QUELLE: IPA/J-PAL
S U M M A R Y• Internationale Wissenschaftler wollen die Wirksamkeit
von Entwicklungsprojekten erhöhen, indem sie Empfänger von Hilfe mit Kontrollgruppen vergleichen
• Dieses Verfahren ist nicht unumstritten• Verbesserte Rahmenbedingungen sind oft
effi zienter als fi nanzielle Zuwendungen
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WENN ÖKONOMEN und Qualitäts-manager perfekte Logistik bewundern wollen, reisen sie nach Mumbai. Nicht zu den Technologiefirmen der indischen Mega-metropole, sondern zu den Dabbawallas. Diese rund 5.000 weiß gekleideten Boten holen jeden Tag 200.000 „Tiffin“ genann-te Henkelmänner daheim bei den kochenden Müttern ab – und liefern sie pünktlich zum Mittag an die Liebsten in den Büros überall im Stadtgebiet. Zu Fuß, per Fahrrad und Zug und nur anhand einer handschriftlichen Codierung kommt warme Hausmannskost zum hungrigen Familienmitglied und der Behälter anschließend zurück. Die Fehler-quote ist sagenhaft niedrig – zumal die Dabba wallas ohne Technologie auskommen
Von Fehlern, Henkelmännern und RaketenLernfähige Organisationen brauchen die richtige Fehlerkultur und stolze Teamplayer
schläge hingegen zwängen dazu, alte Über-zeugungen zu hinterfragen.
Nun lässt sich daraus schwer ein Manage-mentprinzip ableiten. Wer will schon „von Katastrophe zu Katastrophe“ besser werden? Tatsächlich zielen Effizienz- und Optimie-rungsprogramme vor allem darauf, Fehler zu ver meiden. Six Sigma etwa, eines der bekann -testen Managementsysteme zur Prozessver-besserung, hat seinen Namen aus der Welt der Statistik, wo „sechs Sigma“ für 3,4 Abweichun-gen pro 1 Million Möglichkeiten steht.
Fehler konstruktiv meisternWie passt das zusammen? Aus Fehlern lernen, aber keine machen. Auch dafür haben Madsen, Desai und Six Sigma ein Rezept: Es gilt, schon kleinste Fehler zu finden und daraus Lehren zu ziehen. In der Unfallverhütung etwa spie-len Beinahe-Unfälle eine entscheidende Rol-le, wenn es darum geht, tatsächliche Unfäl-le zu verhindern. Dazu bedarf es der richtigen Messverfahren und einer Kultur, in der das Finden von Fehlern honoriert wird. Wer nur Erfolge belohnt, lehrt seine Mitarbeiter, Feh-ler zu verschweigen. Und drittens braucht es den frischen Blick auf althergebrachte Abläufe. Das ist ungemütlich, soll es auch sein.
Dieses ständige Hinterfragen des Status quo gehört für Beratungsunternehmen zum Ge-schäftsprinzip. Aber nicht nur McKinsey und Co. bringen frische Ideen ins Unternehmen. Erfolg-reiche Effizienzprogramme kommen sportlich daher und ermutigen alle Mitarbeiter im Unter-nehmen, an ihrem Arbeitsplatz Fehler und Ver-besserungen zu finden.
Der Stolz und die Teilhabe am Erfolg, die damit einhergehen, ist das Erfolgsgeheim-nis der Dabbawallas. Viele von ihnen arbeiten schon in der vierten Generation im Job. Mit-menschen zuverlässig mit Mutters Hausmanns-kost zu versorgen ist für sie Ehrensache – und gut fürs Karma. Statt auf neue Techno logien, setzt das System auf das Wissen und Engagement jedes Teamplayers. Mit Erfolg: Das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ bescheinigt den Dabbawallas Six-Sigma-Qualität und eine Fehlerquote von eins zu 16 Millionen.
Organisation ohne Theorie: „Dabbawallas“ in Mumbai stellen in der ganzen Stadt frisch zubereitetes Essen zu
und die meisten von ihnen weder lesen noch schreiben können.
Wenn Organisationen besser werden wol-len, stehen sie vor einem Problem. Aus nichts lernen Teams so gut und nachhaltig, wie aus eigenen Fehlern. Das haben Peter Madsen von der Brigham Young University in Utah und Vinit Desai von der University of Colorado in Denver (Colorado, USA) herausgefunden, als sie alle Satellitenmissionen seit Sputnik 1957 auswerteten. Weil eine Rakete entweder an-kommt oder nicht, sind Misserfolge hier un-verkennbar und – wie die Autoren schreiben –
„meist ziemlich laut“. „Entscheidungsträger sehen Erfolge wohl
als Beweis, dass ihre Sicht der Welt die rich-tige ist“, schreiben Desai und Madsen. Fehl-
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Effi zienz-Motor ChemieIn der Chemie ist alles auf Effi zienz ausgerichtet . Vier Verfahren bilden die Grundlagen für viele Innovationen, die den Alltag prägen und auf andere Branchen wirken, indem sie die Basis für effi ziente Entwicklungs- und Produktionsprozesse zur Verfügung stellen. Die Grafi ken auf diesen Seiten zeigen die Effi zienzleistungen der Chemie aus verschiedenen PerspektivenTEXT MICHAEL HOPP ILLUSTR ATIONEN DANIEL HOPP
TRANSPORT
ELEKTRONIK
ERNEUERBARE ENERGIEN
BAUINDUSTRIE
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LANDWIRTSCHAFT
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Durch konsequentes Abfallmanagement vermeidet die chemische Industrie Produktabfälle und ist gleichzeitig bestrebt, die den-noch anfallenden Rück-stände als Ressourcen einzusetzen. So konnte die Menge an Ab- fällen zur Beseitigung innerhalb der Chemie vom Produk-tionswachstum entkoppelt werden.
Katalysatoren lenken und beschleunigen viele chemische Reaktionen. Dadurch lassen sich Nebenprodukte und Abfälle ein-sparen, der Energie-bedarf wird gesenkt. Heute helfen Katalysatoren bei der Herstellung von rund 90 Prozent aller chemischen Produkte.
Partikel, Schichten und Systeme aus der Nanotechnologie sind bereits mit geringstem Material-einsatz hocheffektiv, unter anderem we-gen ihrer enormen Oberfläche. Davon profitieren nicht nur Beschichtungen und Lacke, sondern auch Pharma und Kosmetik.
Die Natur ist in vielen Prozessen hinsichtlich Energie- und Materialeinsatz vorbildlich sparsam. Diesen Ansatz nutzt die Biotechnologie bei der Ver -wendung von Enzymen und Mikro organismen. So lassen sich viele Produkte effizient herstellen.
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PHARMA PHARMA
55_Evonik_02_13_DE 55 24.09.13 16:27
In den Bereichen Mobilität und Gesundheit sind Effizienzentwicklungen der Chemie
PHARMA Effiziente medizinische Versorgung Der Pharmasektor forscht fortlaufend an neuen Dia gnoseverfahren und neuen Medikamenten mit höherer Wirksamkeit. In der jüngeren Vergangenheit wurden insbesondere für Krebspatienten und HIV-Infizierte wesentliche Therapiefortschritte erzielt. Zu den großen historischen Errungen-schaften zählen Arzneimittel gegen Bakterien. Lungenentzündung, Wundinfektionen und vieles mehr sind durch Antibiotika nicht mehr lebens-bedrohlich. Impfstoffe ermöglichen Menschen, sich vor ansteckenden Krankheiten zu schützen. Medika-mente wie ACE-Hemmer senken den Blutdruck. TRANSPORT
Nachhaltigkeit nimmt Fahrt auf Im Autoverkehr kommt neben dem Elektroantrieb der Leichtbauweise eine zen trale Bedeutung zu. Karosserieteile aus Kunststoffschaum sparen bis zu 70 Prozent Gewicht. Der Elektroantrieb selbst verlangt ein leistungsstarkes Speichermedium: die von der chemischen Industrie mitentwickelte Lithium-Ionen-Batterie. InnovativeMaterialien im Autoreifen schließlich reduzieren Rollwiderstand und Kraftstoff-verbrauch um bis zu acht Prozent. So trägt die chemische Industrie mit ihren Produkten dazu bei, die Ressourceneffizienz im Bereich der Mobilität zu optimieren.
WIE EFFIZIENT IST DIE CHEMIEINDUSTRIE HEUTE SCHON?
+58%
–49%
–15%USA
EU -27–20% –49%
Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen in der deutschen Chemieindustrie
Treibhausgase in der Chemieproduktion
ENERGIE-VERBRAUCH
ENTWICKLUNG 1990–2010AUSSTOSS 2009 IM VERGLEICH ZU 1990
TREIBHAUSGAS-EMISSIONEN
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PRODUKTION
QUELLE: VCI, 2012 QUELLEN: CEFIC, ACCQUELLE: VCI, 2012 QUELLEN: CEFIC, ACC
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Gesunde Lebensmittel,saubere Wäsche Die meisten Lebensmittel im Supermarkt sind in Kunststoffen verpackt. Diese Verpackungen leisten viel: Sie schützen den Inhalt, halten ihn lange frisch und appetitlich. Das senkt die Abfallquote und erhöht die Effi zienz der Lebensmittel-produktion. Dafür werden je nach Zweck unterschiedliche Kunststoffe kombiniert.
In modernen Waschmitteln reichen wenige Milligramm biotechnologisch hergestellte Enzyme, um die Wäsche fleckenfrei rein zu bekommen. Dabei wirkt jeder Enzymtyp auf eine spezielle Stoffklasse. Es gibt Enzyme für Ei-, Blut- und Milchflecken, für Schokolade und Pudding, fetthaltige Kosmetika oder Öle und Kragenfett. Aber auch das Konservieren von Oberflächen oder der Erhalt der Farben gehören zu den Aufgaben der Enzyme. Dank neuer Enzyme, Bleichmittel und Polymere wird heute Wäsche bei 40 Grad genauso sauber wie früher bei 90 Grad – effi zienteres Waschen bei geringeren Temperaturen und längeren Waschzeiten.
KONSUMGÜTER
essenziell. Sie macht Autos umweltfreundlich und Wäsche sanft sauber
WIE WERDEN SICH DIE CHEMIESPARTEN ENTWICKELN?
Vision 2030:die drei großen Sparten der Chemie – und welche wächst Die deutsche Chemie spezialisiert sich weiter. Die Basischemie verliert Anteile. Forschungsintensive hocheffiziente Spezial chemikalien wie Spezialkunst-stoffe und Konsumchemika lien gewinnen Produktionsanteile hinzu.
JÄHRLICHES WACHSTUM DER DEUTSCHEN CHEMIEPRODUKTION
+1,8%
2011 2030
43,3%
46,6%
37,2%
19,5%
19,5%
33,9%
ANTEILE DER CHEMIESPARTEN
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BASISCHEMIE
SPEZIALCHEMIE
PHARMA
QUELLE: VCI, 2013QUELLE: VCI, 2013
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Und wirkt in so unterschiedlichen Welten wie Wohnen und digitaler Kommunikation:
BAUINDUSTRIEEnergieeffiziente Lösungen 40 Prozent des weltweiten Energiebedarfs entfallen allein auf den Gebäudesektor. Die Innovationen der chemischen Indus trieeröffnen hier ein großes Energiesparpotenzial. Mithilfe von Fotovoltaik und Erdwärmekonzepten kann bislang unge nutzte Energie eingesetzt werden. Mit halbleiterbasierter LED-Technik lassen sich bei der Beleuchtung bis zu 80 Prozent Strom einsparen. Im Bereich Wärmedämmung und -speicherung bietet die chemische Industrie ebenfalls effiziente Konzepte an. Organische oder nanotechnische Dämm materialien helfen, Energie in Gebäuden einzusparen. Winzige, mit Paraffinwachs gefüllte Kunststoffkügelchen in Trockenbauplatten oder im Putz wirken wie eine Klima anlage. An sonnigen Tagen nehmen diese „Latentwärmespeicher“ große Wärmemengen auf. In kühlen Nächten geben sie diese Wärme wieder ab.
Szenario 2Wenn weltweit gleiche Regeln für Energie-einsatz geschaffen werden, steigt der Anteil effi zienter Technologien, und die Ersparnis fällt höher aus
Vision 2030: Einsparungen an Treibhausgasen durch effiziente Chemieprodukte
WIE VIEL TREIBHAUSGAS LÄSST SICH SPAREN?
Szenario 1Die Konsumgüterproduktion in den Schwellen-ländern steigt stark an, dort ist Kohle der Hauptlieferant für Energie. Dadurch kommt die effi zientere Produktion der Industrieländer weltweit weniger zum Tragen
20,36,5
13,8
23,5 5
18,5
GESAMTE TREIBHAUSGAS-EINSPARUNGEN DURCH CHEMIEPRODUKTE
ANGABEN IN C02-ÄQUIVALENTEN IN GIGATONNEN (GTC02E)
EMISSIONEN CHEMIEPRODUKTION
NETTOEINSPARUNGTREIBHAUSGASE DURCH CHEMIEPRODUKTE
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QUELLE: ICCA-STUDIE, 2009
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Die Effizienz der Chemie eröffnet ganz neue Horizonte
ELEKTRONIK
WELCHE SEKTOREN BELIEFERT DIE CHEMISCHE INDUSTRIE?
+2,4%
+7% +2,2%
+2,2%
+1,5%
+2,8% +2%
+1,9%
Leistungsfähige Daten- und Energiespeicher Die Effizienz moderner Kommunikationstechnologien beruht im Wesentlichen auf Entwicklungen der Chemie. Kompakte Datenspeicher für Computer, Handys oder Smartphones basieren auf einem extrem gleichmäßigen und hochreinen Kristall, der aus Roh silicium hergestellt wird. Moderne Laptop-Bildschirme aus hochwertigen Flüssigkeitskristallen benötigen deutlich weniger Energie als konventionelle Displays und schonen so den Akku. Diese wiederaufladbaren Energiespeicher auf elektro chemischer Basis werden immer leistungsfähiger, müssen seltener aufgeladen werden und bieten dem Benutzer mehr Freiheit. Auf Daten-trägern können immer kleinere Speicherpunkte immer dichter zusammenrücken – dank spezieller Kunststoffe als Trägermedien.
Wachstum in den Abnehmerbranchen weltweit. Reale Veränderung gegenüber Vorjahr
INDUSTRIE GESAMT
TRANSPORT(AUTOMOTIVE)
ENERGIE UND ROHSTOFFE
BAUINDUSTRIE
KONSUMGÜTER
ELEKTRONIKGESUNDHEIT UND ERNÄHRUNG
LANDWIRTSCHAFT
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Evonik-Magazin 2 | 2013
QUELLE: CEFIC, 2012
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Nehmen wir Ernährung und Energie: Ohne die Effizienzleistungen der Chemie
WIE REAGIEREN UNTERNEHMEN AUF ROHSTOFFRISIKEN?Ressourceneinsatz der Unternehmen BEFRAGUNG VON 141 UMWELTEXPERTEN DER WIRTSCHAFT, JUNI 2010
LANDWIRTSCHAFTErträge steigern, Qualität verbessern Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirt-schaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) leiden weltweit schätzungsweise 868 Millionen Menschen an Unterernährung. Das Know-how der chemischen Industrie trägt dazu bei, die Effizienz der landwirtschaftlichen Produktion und die Qualität der Produkte zu steigern und damit für viele Menschen bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Pflanzenschutz- und Düngemittel erhöhen die Effizienz in der Produktion von Getreide, Gemüse und Obst, Futtermittel zusätze die der Fleisch- und Fischproduk tion. Außerdem helfen biotechnologisch hergestellte Mem branen dabei, Trinkwasser zu reinigen. Bodengranulate, die ein Vielfaches der eigenen Masse an Wasser aufnehmen können, verbessern die Fähigkeit von Böden, Wasser zu speichern. Und mithilfe grüner Gentechnik entstehen Lebens-mittelpflanzen, die besser an besondere Witterungsbedingungen wie Kälte, Nässe oder Trockenheit angepasst sind.
80,4%
52,9%
49,0%
48,0%
39,2%
38,2%
31,4%
31,4%
16,7%
4,9%
4,9%5,9%
ERHÖHUNG DER MATERIALEFFIZIENZ/VERRINGERUNG DES ROHSTOFFBEDARFS
PRODUKTENTWICKLUNG/FORSCHUNG
LANGFRISTIGE LIEFERVERTRÄGE
WEITERGABE VON KOSTENSTEIGERUNGEN AN KUNDEN
SUBSTITUTION
RECYCLING
PREISABSICHERUNGSGESCHÄFTE
ANALYSE DER EIGENEN ROHSTOFFRISIKEN
EINKAUFSZUSAMMENSCHLÜSSE
PRODUKTIONSVERLAGERUNG
BETEILIGUNG AN ROHSTOFFUNTERNEHMEN
SONSTIGES
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Evonik-Magazin 2 | 2013
QUELLE: IW-UMWELTEXPERTENPANEL 3/2010
60_Evonik_02_13_DE 60 27.09.13 12:10
wäre eine bezahlbare Versorgung nicht gegeben
SPAREN DURCH INVESTIEREN Wer sparen will, muss erst einmal Geld in die Hand nehmen und investieren
Schicht für Schicht Rotorblätter von Windkraft-anlagen werden mit chemi-schen Beschichtungssystemen und speziellen Fertigungstech-niken produziert. Dadurch wer-den sie stabil und wartungsarm.
Strom aus Sonne Solaranlagen bestehen aus dem Grundstoff Silicium. Zwar ist die Aufbereitung sehr energieintensiv, doch bereits nach etwa einem Jahr haben Solar anlagen in der Regel so viel Energie erzeugt, wie für ihre Herstellung aufgewendet werden musste.
Linsen und Leichtbaumodule Der Wirkungsgrad von Solar-modulen steigt durch Verwen-dung besonders flacher opti-scher Linsen aus Kunststoff, die das Licht bündeln, auf 20 Pro-zent. Leicht bau-Solar module sind darüber hinaus extrem witterungs- und UV-beständig.
Gut beflügelt Energieeffizienz durch beson-ders große Rotorblätter: Durch Hightech-Verbundwerkstof-fe aus faserverstärktem Kunst-stoff können Windkraftanlagen immer größer dimensioniert werden. Die Spannweite ist von 15 Metern im Jahr 1980 auf 150 Meter 2012 angestiegen.
Das hat eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger Strategy Consultants GmbH ergeben. Die Studie prognostiziert für den Zeitraum bis 2050 Investitionen und Einsparungen für vier Industriebereiche. Dabei errechnete sie für den Zeitraum ein Gesamt-investitionsvolumen von rund 23 Milliarden €. Dem stehen jedoch Einsparungen von circa 102 Milliarden € gegen-über. Für den relativ höchsten Investitionsbetrag von ungefähr 10 Milliarden € kann die Grundstoffchemie der Studie zufolge die mit Abstand höchsten Einsparungen von nahezu 42 Milliarden € realisieren.
INVESTITIONSKOSTEN1 UND EINSPARUNGEN BIS 2050 – INDUSTRIE SPEZIFISCH (MILLIARDEN EURO)
GRUNDSTOFF CHEMIE
1) BERECHNUNG AUF BASIS VON MARKTGRÖSSEN FÜR EFFIZIENZMASSNAHMEN UND AMORTISATIONSRÄUMEN VON RUND ZEHN JAHREN
PAPIER-/PAPPE-HERSTELLUNG
METALL ERZEUGENDE INDUSTRIE
VERARBEITUNG VON ERDEN UND STEINEN
ERNEUERBARE ENERGIEN
~10
~42
~7
~34
~5
~20
~1 ~6
SUMME INVESTITIONSKOSTEN ~ 23 MILLIARDEN €
SUMME KUMUMULIERTER EINSPARUNGEN ~ 102 MILLIARDEN €
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Evonik-Magazin 2 | 2013
INVESTITIONS-KOSTEN
KUMULIERTE EINSPARUNGEN
61_Evonik_02_13_DE 61 24.09.13 16:27
Was ist Effi zienz für Sie?In den forschenden und produzierenden Industrien ist Effi zienz vielfach eine Rechnung mit den Variablen Energie- und Ressourceneinsatz. Was Effi zienz in den Bereichen Justiz, Politik, Automobilbranche und Kommunikation bedeutet, haben wir Branchenexperten gefragt
Der Effizienzgedanke spielt auch im Recht
eine immer wichtigere Rolle. So fand beispielsweise mit dem New Public Management ein an der Effizienz orientier-tes Steuerungsmodell Einzug in die öffentliche Verwaltung. Aber auch im Zivilrecht lassen sich zum Beispiel Haftungs-regeln danach beurteilen, ob sie bei den potenziellen Schä-digern und Geschädigten die effizienten Anreize setzen, um die gesellschaftlichen Kos-ten von Unfällen zu minimie-ren. Generell ist zu fordern, dass gesetzliche Regelun-gen im Rahmen einer Geset-zesfolgenabschätzung auf ihre wirtschaftlichen Auswir-kungen hin untersucht wer-den. Im Zentrum stehen dabei die Anreize auf das Verhalten der betroffenen Wirtschafts-akteure und die damit verbun-denen Auswirkungen auf die Produktivität und die Wett-bewerbsfähigkeit einer Volks-wirtschaft.
Wir müssen uns davor hüten, zu sagen, dass
wir das Problem schon lösen mit Ressourceneffizienz. Was ist, wenn wir es nicht lösen? Was ist, wenn wir den Para-digmenwechsel nicht hinbe-kommen? Wir sollten deshalb die Steigerung der Ressour-ceneffizienz keinesfalls als die Strategie zur Lösung unserer Umwelt- und mehr noch der Überlebensprobleme anse-hen. Die Effizienzfrage ist eine Teilfrage, über die die anderen Dimensionen nicht aus dem Blick geraten dür-fen. Sei es jetzt Klima oder sei es die grundsätzlichere Frage: Wie kommen wir mit weniger, wie kommen wir möglicher-weise auch ohne Wachstum aus? Und diese Strategie ist viel umfassender als die Frage der Effizienzsteigerung. Die-se Strategie ist mit technisch-wirtschaftlichen Kategorien allein nicht zu fassen.
Effizienz ist heute ein überall gefordertes Ziel. Vom Vor-satz, die eigene Effizienz zu steigern, bis zur „effekti-
ven“ Umsetzung ist es aber oft ein weiter Weg. Aus meiner Sicht geht es beim Thema Effizienz immer auch darum, wie wir sie sichtbar, und damit messbar, machen, das liegt im Inter esse aller Beteiligten. Wer erst am Schluss zu „messen“ versucht, kommt zu spät. Effizienz stellt hohe Anforderungen an Abläufe und erfordert transparente Prozesse, die jederzeit und überall auch den Blick auf die Kosten ermöglichen. Wer effiziente Abläufe will, braucht ein hohes Maß an Transparenz in seiner Organisation und bei den eigenen Prozessen. Nur dann ist immer und überall ein klarer Blick auf die Kosten möglich. Nur wer diesen Überblick von der Entwicklung bis zum Verkauf eines Produktes hat, kann seine Prozesse wirklich steuern und weiß am Ende, wie weit er mit seiner Effizienz gekommen ist – oder ob er nicht doch Fehler im System hat. So ist eine hohe Produktivität nicht hilfreich, wenn die Produkte unverkäuflich sind – und hohe Qualität rechnet sich nicht, wenn die Produk-tionskosten zu hoch sind. Wer die Effizienz erhöhen will, muss deshalb immer mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Effizienz beschränkt sich bei Evonik daher nie auf stures Kosten-sparen, immer steht gleichzeitig die Verbesserung unserer Wettbewerbssituation im Fokus. Denn Effizienz und Wachstum sind zwei Seiten einer Medaille. Die Rechnung ist ganz einfach: Jeden einzelnen Euro, den wir aufgrund von Effizienz-steigerun gen einsparen, können wir investieren in profita-bles Wachstum, den Erhalt und die Schaffung zukunftssicherer Arbeitsplätze – und die Entwicklung der besten Ideen, die am Ende entscheidend für den Erfolg sind.
Effizienz im Recht heißt Folgen abschätzen
Ressourcen-effizienz ist kein Allheilmittel
Effizienz besser messbar machen
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Ein Faktor fünf? Das klingt völlig utopisch.
Ist es aber nicht. Passivhäu-ser brauchen ein Zehntel der Energie von heutigen Nor-malhäusern. LEDs ein Zehn-tel des Stroms von Glühbir-nen. Stoffverbräuche können durch Langlebigkeit, Remanu-facturing, Recycling dras-tisch reduziert werden. Wir sollten politisch dafür sorgen, dass das auch alles rentabel wird. Am besten dadurch, dass Energie und Primärroh-stoffe teurer werden, aber nur so langsam, dass die Effizi-enz Schritt halten kann. Dann wird das Leben nicht teu-rer. Und unser Land wird rei-cher, weil weniger vergeudet wird. Arbeitsplätze würden ge sichert und vermehrt.
Eine multikulturelle Belegschaft im Team,
Expatriates im Auslandsein-satz: Gerade in der globali-sierten Geschäftswelt kann Kommunikation zu einer Herkulesaufgabe werden. Wer hier zu effizienten Ergeb-nissen kommen will, muss Sprachbarrieren überwin-den und anderes Verhalten und fremde Kommunikations-formen respektieren. Vor allem aber muss er sich vor-ab mit den fremden Sitten ver-traut machen. Darüber hinaus ist die Reflexion des eigenen Kommunikationsverhaltens der Beginn einer Reise, die durch Neugier, Nach-justierung, Anpassung auch im Ausland zu besseren Ergebnissen führt.
Die Automobilindustrie ist von vielen Einflüssen geprägt. Neben
Tech nikinnovationen, emotionalen De signentwicklungen und der Inte-gration verschiedener Systeme in einem Produkt ist „Effizienz“ eine der he rausforderndsten Aufgaben. Automo-bile sind ein emotionaler Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Dieser Wunsch des Konsumenten nach Individuali sie-rung stellt Zulieferer und Hersteller vor neue Herausforderungen. Effizienz muss vor allem in der Entwicklung von Kompo-nenten und Systemen deutlich gesteigert werden. Ein möglicher Lösungsansatz des Konfliktes ist die Modularisierung. Im Gegensatz zum früheren Plattform-gedanken ermöglichen Module einen Einsatz über Fahrzeugklassen hinweg. So wird eine Radioeinheit in einem Kleinwagen und einen Sportwagen des gleichen Konzerns eingesetzt. Die Kunst liegt dann darin, das Design marken- und klassenspezifisch zu gestalten. Effizienz ist eine tägliche Herausforderung und erfordert Optimierungen in allen Stufen der Wertschöpfungskette, um im Wett-bewerb einen Schritt voraus zu sein.
Gleicher Wohl-stand bei weniger Energieeinsatz
Effizient kommu-nizieren kann nur, wer vorbereitet ist
Effizienz – die dritte Revolution in der Automobilbranche
„Die Energie-preise sollten im Gleich-schritt mit den erzielten Effizienz-gewinnen ansteigen“Ernst-Ulrich von Weizsäcker
PROF. DR. JUR. KLAUS MATHIS Seit 2008 ist Klaus Mathis Inhaber der Tenure-Track-Professur für Öffentliches Recht und Recht der nachhal-tigen Wirtschaft an der Universität Luzern
PROF. DR. MEINHARD MIEGEL Vorstandsvorsitzender des Denkwerks Zukunft und Mitglied der Enquetekommission
„Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestags
UTE WOLF Seit dem 1. Oktober 2013 ist Ute Wolf Finanzvorstand und Mitglied des Vorstands der Evonik Industries AG. Ute Wolf ist Diplom-Mathematikerin und leitete ab 2006 den Zentralbereich Finanzen bei Evonik
PROF. DR. ERNST ULRICHVON WEIZSÄCKER Der Naturwissenschaft-ler und Politiker über seine Idee, mit den rich tigen Maßnahmen den Rohstoffeinsatz auf ein Fünftel zu reduzieren.
„Faktor Fünf“ heißt denn auch sein aktuelles Buch
DR. MATTHIAS HÜTTENRAUCH Der Vorstandsvorsitzen-de der Koninklijke Nedschroef Holding B.V. über den Konfl ikt zwischen Vielfalt und Effi zienz in der Auto -mobilindustrie und wie er sich lösen lässt
BARBARA WIETASCH Die Trainerin, Beraterin und Wirtschaftsmedia-torin über Kommuni-kations-Schwierigkeiten im internationalen Arbeitsumfeld und deren erfolgreiche Lösung
die djustieim AErge
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INEFFIZIENZ gilt uns als hässliche Unsit-te, als Verschwendung, gar als Sünde. Wer gerade nichts hervorbringt, nur ziellos prokrastiniert oder schlicht gar nichts tut, den quält das eigene Gewissen. Der fühlt sich bald vom Bannstrahl der allzeit schaf-fenden Gesellschaft getroffen. Schon vor dem Terror der Produkte kam der Terror der Produktivität.
„Unsere Gesellschaft hat sich einer Bewertung der Arbeit verschrieben, die manchmal furchterregend ist“, sagt Dr. Pierre Saint-Amand, Professor für franzö-sische Studien und vergleichende Litera-turwissenschaft an der Brown University in Providence, Rhode Island (USA). Die Anbe-tung von Arbeit, Produktivität, Effizienz scheint größer denn je. Selbst modernste Chip-Werkzeuge, die ja gern mit dem Ver-sprechen kommen, die Arbeitslast zu min-dern, beobachtet Saint-Amand, führten letztlich nur dazu, Arbeit „allgegenwärtig“ zu machen. „Wir haben fast keine Tren-nung von Arbeit und Freizeit mehr. Wir arbeiten 24/7, wie wir in den USA sagen.“ 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Erlaubt ist bestenfalls ein „power nap“.
Warum ist der Mensch, weit über den Broterwerb hinaus, so besessen von der heiligen Arbeit? Saint-Amand ging auf die wissenschaftliche Suche nach den Wur-zeln dieses Wahns. In jener Epoche, die sich der Befreiung des Menschen von ewi-ger Unmündigkeit verschrieben hatte, die
Glauben und Tradition durch Vernunft ersetzen wollte, der Aufklärung. Sie brach-te so viel Gutes: Rechte, Freiheiten, Emanzi-pation. Die Wissenschaft, die Toleranz, die kritische Öffentlichkeit und die Idee des Gemeinwohls. Wir zehren bis heute von ihr.
Bei den Griechen und Römern aber durfte man noch ziellos lungern, in die Luft gucken, eine Inspiration abwarten. Den emsigen Aufklärern wurde die Arbeit zur Obsession. Voltaire erhob „le travail“ zum
„Vater des Vergnügens“. Arbeit, räsonierte er, „schützt uns vor drei Hauptübeln: vor Langeweile, Laster und Not“. Das Lob der Schufterei bot den Denkern die Chance, sich vom dekadenten Müßiggang der fau-len Aristokraten abzusetzen. Der Fleiß des zu befreienden Bürgers ging in Stellung gegen die nutzlose Herrschaft des blau-blütigen Schmarotzers. Ein Klassenkampf.
Pierre Saint-Amand wuchs in Haiti auf, in einem Haus voller Bücher. Sein Vater, ein Schulleiter, verlangte makellose Arbeits-moral. „Er war sehr autoritär. Ich hatte nie Fe -rien als Kind.“ Zu Ferienbeginn brachte Papa stets einen Schultisch nach Hause. Da ran musste der Sohn das Pensum des kommen-den Schuljahres büffeln. „Ich war meinen Klassenkameraden immer ein Jahr voraus.“
Heute sucht Saint-Amand, 56, nach den Brüchen im Arbeitsethos der Aufklärung, nach Zweifeln der Denker an der allein selig machenden Effizienz. Seine spä-te Rache? Der Professor lacht schallend.
Lob der Ineffi zienzDie Aufklärung erhob die Arbeit zur größten Tugend. Doch selbst unter den neuen Denkern, sagt Prof. Dr. Pierre Saint-Amand, gab es bald Zweifel am notorisch produktiven Dasein. Tom Schimmeck über kostbare Untätigkeit ILLUSTR ATION PETER PICHLER
„Oh, das kann sehr gut sein. Ich habe das als Kind gar nicht gemocht.“
Der Forscher ist fündig geworden. Bei Diderot, Rousseau – überall entdeckte er Spuren von Skepsis und Verweigerung. Rousseau etwa unterschied zunehmend zwischen der guten – sprich: freien – Arbeit und der in gesellschaftlicher Abhängigkeit ausgeführten Maloche, die den Menschen materiell wie moralisch nur elend mache.
„Sie wetterten gegen Voltaire“, sagt Saint-Amand. Weil sie in ihm die Mathematisie-rung einer manisch aktiven Welt fürchteten.
Sein Lieblingsheld ist der oft als unpro-duktiv gescholtene Maler Jean Siméon Chardin. Der malte gerne häusliche Akti-vitäten. Doch finden sich in seinen Sze-nen zerstreute Figuren, die sich, ganz ent-spannt, der Untätigkeit hingeben. „Kunst und Schöpfung entstanden für ihn in der Abwesenheit von Arbeit. Die Investition in die Zeit war sehr wichtig für ihn.“
Und der Professor? Darf er faul sein? „Ich arbeite immer“, sagt er, fast entschuldi-gend. „Ich habe Schwierigkeiten, Untätig-keit zu akzeptieren.“ Die Prägung sei stär-ker als alle Erkenntnis, meint Saint-Amand.
„Ich bemerke, dass ich diesen Pressionen erliege.“ Dabei sei es die größte Herausfor-derung unserer Zeit, die Zeit zu finden, um sich zu erneuern, die Welt neu zu betrach-ten. „Das ist das Kostbare an der Untätig-keit“, sagt er. „Diese Momente, in denen wir die Dinge loslassen.“
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„Informieren”, Seite 8
Der Bodenhilfsstoff STOCKOSORB® erhöht die Kapazität von Böden und Pflanzerden, Wasser und Nährstoffe zu speichern. Für das Konzept, in Marokko die dort lebensnotwendigen Argan-bäume mithilfe von STOCKOSORB® wieder auf-zuforsten, erhielt Evonik den „Responsible Care Award“ des europäischen Chemieverbands Cefic.Anwendung: Bodengranulat zur Wasser- und NährstoffspeicherungLink: www.creasorb.de
ROHACELL® ist ein hochfester, FCKW-freier Hartschaumstoff, der als Kernwerkstoff in hoch belastbaren Sandwich-Konstruktionen Verwen-dung findet – von Hubschrauberrotorblättern bis zu Skiern. Wegen seiner hervorragenden thermo-mechanischen Eigenschaften verwenden auch Konstrukteure der Formel Eins ROHACELL® als Verstärkerfüllstoff.Anwendung: Automobil-, Schienenfahrzeug-,Schiffbau-, Kommunikations-, Luft- und Raum-fahrtbereich, Medizintechnik, SportLink: www.rohacell.com
„Leichtlaufreifen sorgen für Nachfrageschub bei Kieselsäure“, Seite 11
Evonik ist einer der führenden Hersteller von Kieselsäure. Neben gefällter Kieselsäure stellt der Konzern auch die pyrogene Kiesel-säure AEROSIL® und Mattierungsmittel auf Kiesel säurebasis unter dem Markennamen ACEMATT® her. Insgesamt verfügt Evonikbei den gefällten und pyrogenen Kiesel-säuren sowie den Mattierungs mitteln über eine weltweite Kapazität von rund 500.000 Tonnen jährlich.
Anwendung: Mattierungsmittel in der Farb- und Lackindustrie, Fließhilfsmittel und Träger in der Lebensmittel-, Kosmetik- und Arzneimittel-herstellung oder bei der Produktion von Silikonen.Link: www.aerosil.com, www.acematt.com
„Informieren”, Seite 12
Das Additiv DYNAVIS® erhöht die Effizienz von Hydraulikflüssigkeiten etwa in Baumaschinen um über zehn Prozent. Grundsätzlich arbeitet jedes Hydraulikfluid nur in einem bestimmten Tempera-turbereich optimal. Die Technologie DYNAVIS® vergrößert dieses Temperaturfenster deutlich. Im Ergebnis werden die Hydraulikbefehle des Maschinenführers schneller ausgeführt – das senkt Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen.Anwendung: hydraulikbetriebene BaumaschinenLink: www.dynavis.com
„Informieren”, Seite 13
Die Sol-Gel-Technologie SiVARA® basiert auf einem speziellen Verfahren, bei dem unter Verwendung von AEROSIL® und Dynasylan® Kieselglaslinsen in beliebiger Form, und in reproduzierbarer Qualität nach Maßanfertigung auf Kundenwunsch hergestellt werden können.Anwendung: LED-TechnikLink: www.sivara.com, www.aerosil.com, www.dynasylan.com
„Informieren”, Seite 15
Der Superabsorber FAVOR® kann etwa in Babywindeln oder Produkten der Erwachsenen-hygiene bis zum 500-Fachen des Eigengewichts aufsaugen. Die pulverförmigen Polymere quellen bei Kontakt mit wässrigen Medien zu einem Gel auf, das selbst unter Druck die einmal gebundene Flüssigkeit fest einschließt und speichert.Anwendung: HygieneprodukteLink: www.superabsorber.com
„Das Kreislauf-Gen“, Seite 23
DEGAROUTE® ist eine Gruppe von Reaktions-harzen, die als Bindemittel für die Langlebig-keit von Fahrbahnmarkierungen sorgen. Winzige Glasperlen, in die Fahrbahnmarkierung ein-gelassen, reflektieren das Scheinwerferlicht bei Dunkelheit und bei Nässe. Deshalb sind die Mar-kierungen auch bei Nacht, Nebel und Regen noch deutlich zu erkennen. Das bringt mehr Sicherheit. Anwendung: Flächenmarkierungen, Sicherheitsmarkierungen, Straßenmarkierungen Link: www.degaroute.com/product/road-marking
„Das Kreislauf-Gen“, Seite 23,„Der LED-Effekt“, Seite 47
Formmassen der Marke PLEXIGLAS® sind Thermoplaste auf der Basis von Polymethylmeth-acrylat (PMMA). Sie bieten große Variabilität in Form, Farbe und Funktion. Zudem zeichnen sich Formmassen der Marke PLEXIGLAS® durch eine Reihe chemischer, physikalischer und anwendungstechnischer Eigenschaften aus, die für die Herstellung von hochwer tigen Teilen im Spritzgieß-, Spritzblas- und Extrusions-verfahren unverzichtbar sind. In den USA wird PLEXIGLAS® unter dem Markennamen ACRYLITE® vertrieben.Anwendung: Farben, KunststoffeLink: www.plexiglas-polymers.de, www.acrylite.net
Auf einen BlickHier fi nden Sie, sortiert nach ihrer Erwähnung im Heft, alle Entwicklungen und Produkte der Evonik Industries AG, die in diesem Heft genannt werden
Wachstum: Der Markt für gefällte Kieselsäuren wird vor allem durch den Trend zu energie-sparenden Leichtlauf-reifen getragen
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Evonik-Magazin 2 | 2013
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