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X ^ Ausbildung und Weiterbildung im Schulraum Die gezielte Gruppen- und Freizeitbetreuung ver- langt heilpädagogisches, erzieherisches und thera- peutisches Können, welches sich die Gruppenleiter in Heimerziehungsschulen oder berufsbegleiten- den Kursen erworben haben. Betrieb sßnan^en Die IV übernimmt die Ausbildungs- und Wohn- kosten während der Zeit der Ausbildung voll ge- mäß abgeschlossenem Tarifvertrag. An den Werkstattbetrieb leistet die IV die behin- dertenbedingten Mehraufwendungen nach festge- legten Grundsätzen. Leider decken die Arbeitserträge die restlichen Be- triebskosten nicht. Wir sind auch der Meinung, daß der Behinderte seinen Fähigkeiten und seinem Leistungsvermögen entsprechend entlöhnt sein muß. So sind wir denn seit der Gründung des Vereins auf großzügige Zuwendungen und Spenden dringend angewiesen. So erhalten wir von der Zugerischen Vereinigung der Eltern und Freunde Behinderter, seitens einschlägigen Stiftungen und durch viele private Spenden jährlich namhafte Beträge, die es uns ermöglichen, das finanzielle Gleichgewicht zu finden. Dieses Verständnis und diese materielle Hilfe erlaubt es uns, den mit der Führung einer Be- hinderteninstitution verbundenen großen, ideellen und persönlichen Einsatz mit Zuversicht zu leisten. Die Sorgen um den Behinderten und die vielfälti- 96 gen menschlichen, organisatorischen und personel- len Probleme für die Verantwortlichen auf allen Ebenen sind noch groß genug, um nicht durch finanzielle Nöte zusätzlich belastet zu werden. Da- bei ist sich die ZUWEBE ihrer Verantwortung, die finanziellen Mittel sparsam und gezielt einzuset- zen, voll bewußt. Sozialpolitische Aspekte Die Eltern der geistigbehinderten oder cerebralge- lähmlen Angehörigen und mit ihnen verbundene Kreise haben es ermöglicht, diesen benachteiligten Mitmenschen im Arbeits- und Wohnbereich im Kanton Zug und für einen Teil des Kantons Schwyz neuzeitliche Bctrcuungsformen zu schaffen und ihnen durch gezielte und persönliche Förde- rung in ihrem Leben ein Stück weiterzuhelfen, sie zu eigenen Persönlichkeiten werden zu lassen, sie auch fühlen zu lassen, daß sie zu uns gehören und mit uns allen glücklich sein wollen. Zu bedenken ist aber auch, daß die Begegnung des Gesunden mit dem Behinderten oft nur dann ge- lingt, wenn der sogenannte Nichtbehinderte den ersten Schritt tut und auf den Behinderten zugeht. Vielleicht wird dieser dann spüren, welche Werte in der heutigen, so stark von Verdienen und Sein beeinflußten Zeit tatsächlich zählen, die da wären: Liebe, Menschlichkeit, Verstehen, Anerkennung, Vertrauen und Hoffnung! Die ZUWEBE löst eine öffentliche Aufgabe durch private Initiative, mit Eigenleistungen und in der Verantwortung für den behinderten Mitmenschen. Daß dabei der Staat diesen privaten, freiwilligen Einsatz wohlwollend unterstützt, ist zwar nicht selbstverständlich, aber doch angezeigt und liegt im Interesse des Staates selbst. Das Zugervolk samt seinen Behörden haben in den bald 20 Jahren des Bestehens der ZUWEBE ein gutes und großes Bei- spiel der Solidarität gegeben. Das große Erwarten: Daß die Behinderten auch in der Zukunft mit die- sem Wohlwollen und dem guten Verständnis leben dürfen und daß sich immer wieder Menschen fin- den, die sich ihrer in Liebe annehmen und bereit sind, diesen anspruchsvollen Einsatz zu leisten! Ernst Christen «Ex Voto» von Erich Langjahr Über einen Zuger Dokumentarfilm, über das Echo auf diesen Film und über die Hintergründe der Ar- beit an diesem Film Das Kloster aufdcni (i cli Langjahrs Film «Ex Voto» - diese beiden Worte sind jeweils auf den meist einfachen und naiven Bildtafeln zu lesen, die Gläubige in Wallfahrtskirchen anbringen, um Dank abzustatten für Hilfe und Trost. Erich Lang- jahr gibt die beiden Worte seinem neuen Film, den er einen «Heimatfilm» nennt, als Titel, und er sagt im Film auch, er löse damit ein Gelübde ein - eben jenes, über seine Heimat einen Film zu machen. Erich Langjahr lebt in Root im Kanton Luzern, aber er ist Zugcr, ist in Zug aufgewachsen. Hinter Zug, in weicher, hügeliger Landschaft und auf einer Anhöhe mit prominenter Rundsicht über die Innerschweiz und das Miüclland, steht das Kloster Gubel. Der Gubel ist nicht nur ein Ort schönster Sonnenuntergänge und prächtiger Winterstim- mungen, sondern auch ein Ort der Geschichte: Hier kam es zur entscheidenden Schlacht zwischen Katholiken und Protestanten vor dem Zweiten Kappclcr Landfrieden. Die Katholiken schrieben den Sieg Maria zu. Der Gubel wurde zum Wall- fahrtsort, zum Bollwerk gegen das Neugläubige. Das Frauenkloster, das hier 1846 gegründet wurde, gehört in diesen Zusammenhang: Nicht mit Waf- fen, sondern mit dem Gebet der Ewigen Anbe- tung - sollen die Klosterfrauen das Katholische stützen und verteidigen. Die Landschaft zwischen Gubel, Zug und der Zür- cher Grenze am Hirzel ist eine Bauernlandschaft. Sie ist aber auch Kiesausbcutungsgebiet: Die Mo- ränenlandschaft mit ihren Hügeln - ihrem einzig- artigen und unverwechselbaren Charakteristikum - wird zerfurcht; Kies läßt sich zu Tage fördern und gewinnbringend verwerten. Und das Gebiet ist eine Landschaft am Rand eines zersiedelten, ver- bauten, zerstückelten Mittcllandes. 97

«Ex Voto» von Erich Langjahr · an diesem Film, der seine Premiere 1986 erlebte. Die ersten Aufnahmen entstanden im Jahr 1979; ein Jahr zuvor beendete der Autor den Film «Mor-garten

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Page 1: «Ex Voto» von Erich Langjahr · an diesem Film, der seine Premiere 1986 erlebte. Die ersten Aufnahmen entstanden im Jahr 1979; ein Jahr zuvor beendete der Autor den Film «Mor-garten

X ^Ausbildung und Weiterbildung im Schulraum

Die gezielte Gruppen- und Freizeitbetreuung ver-langt heilpädagogisches, erzieherisches und thera-peutisches Können, welches sich die Gruppenleiterin Heimerziehungsschulen oder berufsbegleiten-den Kursen erworben haben.

Betrieb sßnan^en

Die IV übernimmt die Ausbildungs- und Wohn-kosten während der Zeit der Ausbildung voll ge-mäß abgeschlossenem Tarifvertrag.An den Werkstattbetrieb leistet die IV die behin-dertenbedingten Mehraufwendungen nach festge-legten Grundsätzen.Leider decken die Arbeitserträge die restlichen Be-triebskosten nicht. Wir sind auch der Meinung,daß der Behinderte seinen Fähigkeiten und seinemLeistungsvermögen entsprechend entlöhnt seinmuß.So sind wir denn seit der Gründung des Vereins aufgroßzügige Zuwendungen und Spenden dringendangewiesen. So erhalten wir von der ZugerischenVereinigung der Eltern und Freunde Behinderter,seitens einschlägigen Stiftungen und durch vieleprivate Spenden jährlich namhafte Beträge, die esuns ermöglichen, das finanzielle Gleichgewicht zufinden. Dieses Verständnis und diese materielleHilfe erlaubt es uns, den mit der Führung einer Be-hinderteninstitution verbundenen großen, ideellenund persönlichen Einsatz mit Zuversicht zu leisten.Die Sorgen um den Behinderten und die vielfälti-

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gen menschlichen, organisatorischen und personel-len Probleme für die Verantwortlichen auf allenEbenen sind noch groß genug, um nicht durchfinanzielle Nöte zusätzlich belastet zu werden. Da-bei ist sich die ZUWEBE ihrer Verantwortung, diefinanziellen Mittel sparsam und gezielt einzuset-zen, voll bewußt.

Sozialpolitische Aspekte

Die Eltern der geistigbehinderten oder cerebralge-lähmlen Angehörigen und mit ihnen verbundeneKreise haben es ermöglicht, diesen benachteiligtenMitmenschen im Arbeits- und Wohnbereich imKanton Zug und für einen Teil des KantonsSchwyz neuzeitliche Bctrcuungsformen zu schaffenund ihnen durch gezielte und persönliche Förde-rung in ihrem Leben ein Stück weiterzuhelfen, siezu eigenen Persönlichkeiten werden zu lassen, sieauch fühlen zu lassen, daß sie zu uns gehören undmit uns allen glücklich sein wollen.Zu bedenken ist aber auch, daß die Begegnung desGesunden mit dem Behinderten oft nur dann ge-lingt, wenn der sogenannte Nichtbehinderte denersten Schritt tut und auf den Behinderten zugeht.Vielleicht wird dieser dann spüren, welche Wertein der heutigen, so stark von Verdienen und Seinbeeinflußten Zeit tatsächlich zählen, die da wären:Liebe, Menschlichkeit, Verstehen, Anerkennung,Vertrauen und Hoffnung!Die ZUWEBE löst eine öffentliche Aufgabe durchprivate Initiative, mit Eigenleistungen und in derVerantwortung für den behinderten Mitmenschen.Daß dabei der Staat diesen privaten, freiwilligenEinsatz wohlwollend unterstützt, ist zwar nichtselbstverständlich, aber doch angezeigt und liegtim Interesse des Staates selbst. Das Zugervolk samtseinen Behörden haben in den bald 20 Jahren desBestehens der ZUWEBE ein gutes und großes Bei-spiel der Solidarität gegeben. Das große Erwarten:Daß die Behinderten auch in der Zukunf t mit die-sem Wohlwollen und dem guten Verständnis lebendürfen und daß sich immer wieder Menschen fin-den, die sich ihrer in Liebe annehmen und bereitsind, diesen anspruchsvollen Einsatz zu leisten!

Ernst Christen

«Ex Voto» von Erich LangjahrÜber einen Zuger Dokumentarfilm, über das Echoauf diesen Film und über die Hintergründe der Ar-beit an diesem Film

Das Kloster au fdcn i (i cli Langjahrs Film

«Ex Voto» - diese beiden Worte sind jeweils aufden meist einfachen und naiven Bildtafeln zu lesen,die Gläubige in Wallfahrtskirchen anbringen, umDank abzustatten für Hilfe und Trost. Erich Lang-jahr gibt die beiden Worte seinem neuen Film, dener einen «Heimatfilm» nennt, als Titel, und er sagtim Film auch, er löse damit ein Gelübde ein - ebenjenes, über seine Heimat einen Film zu machen.Erich Langjahr lebt in Root im Kanton Luzern,aber er ist Zugcr, ist in Zug aufgewachsen. HinterZug, in weicher, hügeliger Landschaft und aufeiner Anhöhe mit prominenter Rundsicht über dieInnerschweiz und das Miüclland, steht das KlosterGubel. Der Gubel ist nicht nur ein Ort schönsterSonnenuntergänge und prächtiger Winterstim-mungen, sondern auch ein Ort der Geschichte:Hier kam es zur entscheidenden Schlacht zwischenKathol iken und Protestanten vor dem Zweiten

Kappclcr Landfrieden. Die Katholiken schriebenden Sieg Maria zu. Der Gubel wurde zum Wall-fahrtsort, zum Bollwerk gegen das Neugläubige.Das Frauenkloster, das hier 1846 gegründet wurde,gehört in diesen Zusammenhang: Nicht mit Waf-fen, sondern mit dem Gebet — der Ewigen Anbe-tung - sollen die Klosterfrauen das Katholischestützen und verteidigen.

Die Landschaft zwischen Gubel, Zug und der Zür-cher Grenze am Hirzel ist eine Bauernlandschaft.Sie ist aber auch Kiesausbcutungsgebiet: Die Mo-ränenlandschaft mit ihren Hügeln - ihrem einzig-artigen und unverwechselbaren Charakteristikum- wird zerfurcht; Kies läßt sich zu Tage fördern undgewinnbringend verwerten. Und das Gebiet isteine Landschaft am Rand eines zersiedelten, ver-bauten, zerstückelten Mittcllandes.

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Mathias Knauer
Textfeld
Aus: Zuger Neujahrsblatt 1988.
Page 2: «Ex Voto» von Erich Langjahr · an diesem Film, der seine Premiere 1986 erlebte. Die ersten Aufnahmen entstanden im Jahr 1979; ein Jahr zuvor beendete der Autor den Film «Mor-garten

Das sind einige der Themen, die Erich Langjahr inseinem Film über die eigene Heimat aufzeigt, mit-einander verbindet und analysiert. Er zeigt dieSchönhe i ten dieser Well , ihr üppiges Blühen undSprießen, ihre satten oder ihre zarten Farben, wun-dervolle Abendstimmungen, die sanfte Atmo-sphäre des Winters, drohende Gewitterwolken desSommers. Er zeigt den schön rh) thmisierten Alltagder Klosterfrauen, die Kirschen pflücken und Heuzusammenrechen. Doch da entdeckt Erich Lang-jahr Frau Hegglin, Bäuerin in unmittelbarer Nach-barschaft des Klosters. Sie ist eine Frau von unter-setzter Statur, unablässig tätig im Haus und aufdem Hof, ein «Naturwesen», das zu allen Beschäfti-gungen singt, singend Selbstgespräche führt , obdas Kaninchen geschlachtet, die Ziege ausgewei-det, das Mittagessen gekocht wird. Sie wandertauch singend in die Stack, ins Einkaufszentrum -vorbei an den gigantischen Kiesgruben, lärmigenLandstraßen entlang. Sie wandert mit Rucksack,Bergschuhen, Stock ins Shopping Center und decktsich ein, um wieder heimzukehren in ihre idyllischanmutende Welt. Frau Hegglin ist eins mit sichselbst, sie ist selbstzufrieden und selbstbewußt. Siegeht ihren Weg, ohne nach links und nach rechts zuschauen.Die Kiesausbeutung ist das große Geschäft. DerBauer, der im Film zu Worte kommt, beklagt sichnicht darüber, im Gegenteil: Die Hügel würden dieArbeit ja doch nur behindern. Der von sich sehrüberzeugte Landschaftsgestalter demonstriert es:

Kiesabbau — ausgebeutete Landschaft im Umbruch

'A

Eingriffe in die Landschaft lassen sich korrigieren,und vielleicht präsentiert sich die Landschaft nach-her gar schöner als zuvor.Die alte Kapelle, die einer neuen Straße weichenmuß und deren Abbruch Langjahr in die ganze Ge-walttägkeit f ü h l b a r machenden Bildern zeigt, wirdsieh nicht retten lassen. Sie ist verloren, ein Opferim Dienst eines Fetischs Mobili tät . Im Blick aufsGanze erweist es sich: Das Opfer ist sinnlos. Sinn-los ist auch das Fällen des riesigen Baumes, ausdessen niederstürzenden Krone die Vögel flattern,und absolute Brutali tät ist erreicht mit den Kir-schenpflück-Maschinen, die mit gewaltigen Grei-fern die Stämme der Bäume packen und durch-schütteln.Erich Langjahr spricht von einem «Heimatfilm» -über welche Heimat? Und welche Heimat vertei-digt die Schweizer Armee, deren Truppenvorbei-marsch Langjahr ebenfalls in den Film einbaut?Die Frage wird nicht direkt beantwortet. «Ex Vo-to» bleibt bei der Exposition und überläßt das Wei-tere dem Zuschauer. Der Regisseur hat in diesemhöchst persönlich gestalteten Film Material aussieben Jahren zusammengetragen und verarbeitet.Er hat daraus ein schön rhythmisiertes Film-Ge-dicht gestaltet, das mit zahlreichen Assoziationenarbeitet, das viele Motive wiederkehren und in je-weils ganz verschiedenem Zusammenhang neuaufscheinen läßt. Es ist ein Film-Gedicht, das Wi-dersprüche nicht glältcl , sondern so bestehen läßt,daß die Spannungen sieht-, ja greifbar werden: Aufdie Frage nach der Heimat gibt es keine formelhaf-ten Antworten, sondern «nur» ein langes, intensi-ves Nachdenken in höchst anregenden und sinn-lichen Bildern.Kommentare gibt es kaum in diesem Film. Lang-jahr beschränkt sich auf die nötigsten Erklärungen.Aber es gibt eine Musik von Mani Planzer, die ganzaus dem Geist der Bilclsprache Langjahrs herauserklingt und Volksmusik-Instrumente — neben an-deren wie Saxophon und Oboe - mit Bedacht soeinsetzt, daß man ihre Töne wie zum ersten Malhört.Der 16-mm-Film «Ex Voto» ist ein wichtiger Doku-mentarfilm dieser Zeit nicht nur für Zug, dessenLandschaft ein zu allen Widersprüchlichkeiten ste-hendes Porträt erhalten hat, sondern auch für den

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Die Klosterfrauen vom (itibel beim Heuen

Schweizer Film überhaupt: Solch persönliche Do-kumentarfilme, die einer anbiedernden Sprache,wie man sie von allzu vielen Fernseh-Dokumcntenher kennt , radikal ausweichen und sich mit allenKonsequenzen zur eigenen Optik bekennen, sindselten geworden. Die Feststellung scheint nichtübertrieben: Seit Murers «Wir Bergler in den Ber-gen sind eigentlich nicht schuld, daß wir da sind»(1974) gab es keinen Film mehr, der sich so ein-dringlich einer Schweizer Landschaft und ihrenMenschen zuwandte und bei aller Nähe zu dieserLandschaft, bei allem «Regionalismus» doch eineSprache entwickelte, die so unmittelbar und«leicht» verständlich bleibt.

Die Arbeit am FilmErich Langjahr arbeitete während sieben Jahrenan diesem Film, der seine Premiere 1986 erlebte.Die ersten Aufnahmen entstanden im Jahr 1979;ein Jahr zuvor beendete der Autor den Film «Mor-garten findet statt». Wenn Langjahr aber selber dieGeschichte von «Ex Voto» erzählt, setzt er nochfrüher an: Vor dem «Morgarten»-Film drehte erden Film «Sieg der Ordnung», einen Dokumentar-film über einen Zürcher Mieter-Konflikt. Das sei inseiner Thematik ein ganz klarer «68er-Film» gewe-sen, sagte er, doch er hal te auch das Ende einer Äramarkiert , weil er sich nach der Annäherung an dieProbleme der Freiheit im politisierten städtischenBereich der Frage zuwenden wollte, wie es um dieFreiheit der eigenen Väter, der eigenen Heimat be-

stellt war. Der «Morgarten»-Film bedeutete in die-sem Sinne eine Abkehr von der herrschenden poli-tischen (Mode-)Strömung und das Vortasten in einnoch neues, ungewohntes Arbeitsfeld.

Erich Langjahr lebte damals an der Straße, die vonSihlbrugg zum Hirzel hinauf führ t — mit Blick aufdie hügelige Moränenlandschaft Richtung Süden,gegen den Gubel hin. Organisch ergab sich daslangsam heranwachsende Projekt, über diesen Gu-bel einen Film zu drehen. Langjahr sah den Bergvor sich, auf dem der letzte blutige Kampf im Bru-derkrieg der Reformation stattfand, den Berg, aufdem ein Frauenkloster Bollwerk sein sollte gegendas Fremd- und Neugläubigc, den Berg schließlich,in dessen Innerem die Beton-Zivilisation unsererTage in gewaltigen Kiesgruben zu wühlen beginnt.Dabei ist auflallend: Morgarten wurde populärerOrt des Schweizer Patriotismus und Vaterland-Be-wußtseins, der Gubel jedoch nicht. Er ist, als histo-rische und historisch belastete Stätte, nicht in einbreiteres kollektives Schweizer Bewußtsein einge-drungen. Der Gubel ist, im Gegensatz zu Morgar-ten, kein Idcntif ikationspunkt, wenigstens heutenicht mehr. 1843 pilgerten Tausende auf die Auffor-derung Josef Leus von Ebcrsol auf den Gubel zurSchlacht-Jahrzeit - Zeichen des neuen politischenFormierens des katholischen Widerstandes. Dochdavon ist nichts geblieben. Der Berg könnte heuteGedenkstätte eines ökumenischen Bewußtseinssein, aber im Grund verbindet sich mit ihm vorallem die Erinnerung an eine unliebsame Episodeder schweizerischen Geschichte.

Während all den Jahren hat Erich Langjahr dieGubel-Welt-mit diesen geschichtlichen und politi-schen Implikationen — mit der Kamera eingefan-gen und in allen Tages- und Jahreszeiten, mit allenAlltäglichkeiten und Besonderheiten eingekreist.Diese Kreise wurden immer größer und führtenschließlich über die Moränenlandschaft hinaus bisnach Emmen zum Defilee und bis St. Erhard beiSursee, dessen Kapellen-Abbruch im Film so er-schreckend-großartig gezeigt wird. Bei Langjahrzu Hause türmten sich bald einmal die Filmrollen.Ein Haufen Bilder aber sei noch kein Film, sagteLangjahr, um damit die grundlegenden Gestal-tungsproblcmc anzusprechen: «Film beginnt dort,

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wo die Bilder zusammenstoßen, wo die Dialektiksichtbar wird.»Wer in einem Spielfilm eine linear gebaute Hand-lung erzählt, hat kaum gravierende Organisations-probleme mit dem Stoff zu bewältigen. Wer aberein gut zweistündiges «Filmgedichl», in dem er sei-ne persönlichen und von den eigenen Emotionengeprägten Bilder der Heimat für den Zuschauersinnvoll aufbereiten will, plant, hat Schwerarbeitvor sich: Wie sich mitteilen? Wie das Gesehene ord-nen? Wie ist zu erreichen, daß, was im Film gezeigtwird, die Grenzen einer ganz privaten Welt über-schreitet und doch die persönliche und unverwech-selbare Handschrift trägt?Erich Langjahr hat die Aufnahmen lange Zeit im-mer wieder vor sich ablaufen lassen. Er suchte da-bei nach jenen schillernden, ambivalentcn Bezie-hungen zwischen den Bildern, die das Leben desFilmes erst ausmachen. Das Puzzle begann und da-mit der Versuch eines klaren und einer eigenen Lo-gik gehorchenden Aufbaus. So entstand eine Skizzezum Film in der Form eines hohes Hauses, die un-ter dem Begriff «Heimat» als Generalthema diewichtigsten Stichworte aufführ te : Identi tät , Frei-heit, Geborgenheit, Zukunft , Sicherheit. 28 einzel-ne Schritte sind da aufnotiert; einer ergibt sich ausdem anderen. Sie führen vom Privaten-der Fami-lienweihnacht — bis zur öffentlichen Darstellungder Wehrbereitschaft im Dcfilee und wieder zurückins Private, in Langjahrs Haus nämlich in Root mithart aneinandergefügten Ausblicken aus dem Fen-ster auf eine Landschaft, die sich im Verlauf vondrei Jahren unaufhaltsam verändert: Neubau umNeubau wächst empor.Dieser Aufbau des Films, in dem es viele Querver-bindungen und viele Kontraste gibt, wird vom Zu-schauer kaum als eigentliche «Architektur» emp-funden. Der Eindruck ist vielmehr jener frei flie-ßender Assoziationen, doch daß diese Kette funk-tioniert und daß die Übergänge lebendig werdenim Sinne fruchtbarer Widersprüche, geht zurückauf diese kontrollierte Organisation des gesamtengroßen Stoffes.Für Erich Langjahr lebt ein Film in erster Linie vonden Bildern. Dies ist seine Priorität. Sie führt dazu,daß er bei der Arbeit am Schneidetisch den Tonausblendet, daß er also die Schnitte vorerst nur in

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bezug auf die Eigengesetzlichkeit der Bilder vor-nimmt. Merkwürdig: Bei «Ex Voto» führte dasnicht zu einer Vernachlässigung der Ton-Ebene, imGegenteil. Langjahr: «Wer Bilder ohne Ton sieht,muß sich um so präziser überlegen, welchen Ton erdiesen Bildern mitgeben will.» Hier setzte für denAutor eine weitere wichtige Arbeit ein. Die klug do-sierte, eigenständige und außerordentlich subtileMusik, die Mani Plan/er für Blasinstrumente -Oboe, Englischhorn, aber auch Büchcl - schrieb,ist Teil dieser Ton-Ebene. Dazu kommen all die Ge-räusche der Natur, der Maschinen und Motorenund schließlich das gesprochene Wort. Damit diesparsam eingesetzten Kommentare, die Langjahrselber spricht, auch treffen, zog der Autor denSchriftsteller Manfred Züfle bei, der den Texteneine endgültige Form gab.«Ex Voto» ist, auch das geht aus all dem hervor, einFilm, der nicht gerade im Einmann-Betrieb ge-schaffen wurde, der aber in sehr hohem Maße andie Person des Autors gebunden ist: Der Regisseurwar sein eigener Produzent und auch sein eigenerKameramann, und gedreht wurde unter Produk-tions-Bedingungen, wie sie in den Anfängen desNeuen Schweizer Filmes in den frühen sechzigerJahren üblich waren.

Die finanziellen Grundlagen

Der Regisseur war auch sein eigener Finanz-Fach-mann: Diese minimale Infrastruktur führte zueinem niedrigen Budget, aber sie führte auch dazu,daß Langjahr das wenige Geld in mühsamer Klein-arbeit selber zusammenklauben mußte. Der ganzeAufwand wurde auf 235500 Franken berechnet.Davon waren gut 53000 Franken Eigenleistungen(im Grund selbst geleistete Arbeit, die nicht ver-rechnet wurde). Der Rest wurde zusammengebet-telt: Einen beträchtlichen Betrag steuerte der Kan-ton Luzern — im Rahmen seiner Aktivitäten für das600-Jahr-Jubiläum - bei, nämlich 58000 Franken.Aus Schwyz kamen 3000, aus dem Kanton Zug20000 Franken. 16 Gemeinden halfen zusammenmit rund 20000 Franken. An kirchlichen Beiträgenkonnte Langjahr 10500 Franken notieren. ZwölfStiftungen steuerten 36000 Franken bei, 15 Banken

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Page 4: «Ex Voto» von Erich Langjahr · an diesem Film, der seine Premiere 1986 erlebte. Die ersten Aufnahmen entstanden im Jahr 1979; ein Jahr zuvor beendete der Autor den Film «Mor-garten

16600 Franken. Und größere und kleinere Betriebehalfen mit Beträgen zwischen 300 und 1000 Fran-ken. Selbstverständlich konnte Langjahr nichtwährend der ganzen sieben Jahre aus diesem Bud-get leben. Bis 1984 arbeitete er denn auch zusätz-lich an Auftragsfilmen für die Industrie, und erst ab1984 widmete er sich ganz dem neuen Projekt.Erich Langjahr unternahm auch Vorstöße, umeinen Herstellungsbeitrag für «Ex Voto» aus derFilmförderung des Bundes zu erhalten, zweimalvergeblich. Langjahrs Arbeit, insbesondere der«Morgarten»-Film, mußte den Experten damalsbereits bekannt sein, doch entsprach Langjahrs Ar-beitsweise eben nicht dem üblichen Weg: Werspontan Bilder zusammenträgt und sich erst späterüber Strukturen entscheiden will, wer sich also ausprinzipiellen künstlerischen Gründen nicht fest-legt, kann kein Drehbuch einreichen, wie diesverlangt wird, sondern nur Absichten schildern.Offenbar wurden diese Absichten nicht verstan-den, oder man traute Langjahr ihre Realisierungnicht zu.Da die Filmförderung des Bundes aber auf zweiSäulen beruht - auf der einen Seite werden Herstel-lungsbeiträge ausgerichtet, auf der anderen Seitekönnen die Produzenten die Filme nachträglicheiner Jury vorführen, verbunden mit dem Gesuchum Studien- oder Qualitätsprämien —, kam ErichLangjahr doch noch in den Genuß einer Bundes-Unterstützung: Er erhielt eine Qualitätsprämievon 45000 Franken. Das ist ein hoher Ansatz füreinen Dokumentarfilm.Zum finanziellen Aspekt des Filmes gehört auchdie Auswertung: Sie bringt dem Autor natürlichEinnahmen —je nach Publikumserfolg, je nach Ab-sprache mit dem Verleiher. Diese Zeit nach Ab-schluß des Filmes ist allerdings für den Autor aucheine besonders hektische und arbeitsintensive Zeit:Nun gilt es, Festivals zu besuchen, lür Interviewszur Verfügung zu stehen, die Auswertung zu be-gleiten, sich der Diskussion zu stellen, allenfalls dieWerbetrommel zu rühren. Noch im Herbst 1987stand Erich Langjahr in dieser Phase.Die erwähnte Qualitätsprämie des Bundes dient —dies ist ihre übliche Verwendung-zum Stopfen derFinanzlöcher. Eigentlich wäre sie dazu da, demAutor den Schritt in eine neue Arbeit hinein zu cr-

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Trudi Hegglin, die singende Bäuerin,die unmittelbar beim Kloster Gubel lebt

leichtern. Ob Erich Langjahr bereits neue Plänehat? Er sprach von einer Phase der Beruhigung, deserneuten Absuchens seines alltäglichen Lebensrau-mcs nach Bildern für einen neuen Film, dessenKonturen er aber noch nicht kenne. Er kannte jaauch die Konturen von «Ex Voto» nicht, wie er be-gann - unter dem Arbeitstitel «Gubel» und mit derVorstellung, der Film werde 50 Minuten dauern.Die Eigengesetzlichkeit der Filmarbeit kann immerzu Überraschungen führen.

Das Echo auf «Ex Voto»Zur Auswertung des Films gehört auch das Regi-strieren des Echos, der Kritik: Den Autor interes-siert es natürlich brennend, wie das Werk, das ihnso lange fesselte, nun aufgenommen wird, ob esüberhaupt verstanden werden kann. Der Zuger,der Innerschweizer Zuschauer begegnet in «Ex Vo-to» während zwei Stunden einem Kulturraum, dener kennt. Er identif iziert die einzelnen Orte und dieangesprochenen Themen und bettet sie ein in seineigenes Erleben dieses Kulturraumes. Aber derfremde, der fremdsprachige Zuschauer, der West-schweizer, der Ausländer? Aufschluß darüber gibtdas Echo auf den Film: Preise, aber auch Kritiken.Ein — erfreuliches — Echo war die Qualitätsprämiedes Bundes. 1987 wurde der Film auch zu ausländi-schen Festivals eingeladen, im Herbst nach Leipzig,im Juli nach Rimini (in der Sektion «Beste europä-ische Filme»), im März nach Paris ans Festival duCinema du Reel. Er erhielt da eine spezielle Erwäh-

nung, und es gab Stimmen, die diesen Entscheidkritisierten. Das hohe Lob, das Louis Marcorellesin «Le Monde» (17. März) aussprach, belegt das.Diese Zeilen zeigen auch, daß der Film durchausZuschauer tief treffen kann, die von all den Hinter-gründen des Geschehens nur gerade wissen, was siedem Film selber entnehmen können. Einen weite-ren Preis erhielt Langjahr schließlich am Interna-tionalen Dokumentarfilm-Festival in Nyon 1986:Die Ökumenischejury erachtete «Ex Voto» als denwichtigsten Festival-Beitrag. 1987 wurde ihm auchder Förderpreis der Innerschweizer Radio- undFernsehgesellschaft zuerkannt .Unter den Kritiken in Zeitungen und Zeitschrifteninteressieren vorerst jene, die aus fremden Sprach-regionen oder aus dem Ausland stammen, denn derVerdacht, da wolle jemand dem Filmer kamerad-schaftlich auf die Schulter klopfen, oder es seien po-litische oder kulturpolitische Absichten im Spiel,ist da hinfällig.Der Direktor der Cinematheque Suisse, Lausanne,Freddy Buachc, sprach, wie er den Film im Pro-gramm seiner Institution ankündigte, von einerSub l i l i t ä t , die mit jener von Werner Herzog ver-gleichbar sei. Ähnlich äußerte sich in «24 heures»(17.10.1986) der Kritiker Claude Vallon. Erstaun-lich schließlich mochte sein, daß Gordon Hitchensin der New Yorker Zeitschrift «Variety» (31. De-zember 1986) in seinem Bericht über das Festivalvon Nyon «Ex Voto» eingehend würdigte und inihm den besten Beitrag des Festivals sah: Er sprachvon einem «hervorragenden» Film, der «poetisch»und «lyrisch» sei. Dabei schienen den amerikani-schen Kritiker weder die Konfessionskriege nochdas Kloster Gubel zu interessieren, sondern primärdie Gestalt von Frau Hegglin, deren «Erd-Mutter-Qualitäten» zu bewundern seien. Auch im BerlinerBlatt «Der Tagesspiegel» (30. November 1986) wareine ausführliche Würdigung von «Ex Voto» ausder Feder von Martin Taureg zu lesen: Der Filmwirke gerade in seinen Brüchen ehrlich, und er füh-re vor Augen, wie zerrissen und widersprüchlichdie Vorstellungen von «Heimat» heute seien.Die jeweils Ende Januar stattfindenden Solothur-ner Filmtage sind wegen der Präsenz zahlreicherausländischer Kritiker ein wichtiges Forum für denSchweizer Film und sein Echo im Ausland. Auf drei

Äußerungen deutscher Kritiker sei hier hingewie-sen: In der «Frankfurter Rundschau» (2. Februar1987) ging Wilhelm Roth mehr informierend alswertend auf «Ex Voto» ein. In der «F. A.Z.» (7. Fe-bruar 1987) stellte Marli Feldvoß den Film Lang-jahrs in den Gesamtzusammenhang des heutigenSchweizer Films mit seinen «resignativen Zügen».Langjahr bekenne sich im Film zu seiner Heimat,obwohl sie kaum mehr Zeichen seiner Jugenderin-nerungen trage: «Ein Bekenntnis trotz allem, daskeine stichhaltigen Gründe benennt und die eigeneRatlosigkeit auf den Zuschauer überträgt.» Zeigensich da Verständigungsprobleme, oder erwartet dieKritik vom Film jene eindeutigen Antworten, die ergar nicht geben will, weil Langjahr eben nicht aus-spricht, was Heimat für ihn ist, sondern in Bildernüber diese Frage nachdenkt? Interessant istschließlich ein Echo aus der DDR: Günter Netz.e-band setzte sich in «Film und Fernsehen», Berlin-Ost (Nr. 5, 1987), eingehend mit den SolothurnerFilmtagen auseinander. Langjahrs «Ex Voto»nahm innerhalb dieser kritischen Bestandesauf-nahme einen wichtigen Stellenwert ein - ein zwie-spältiges Echo insofern, als sich der Kritiker denQualitäten des Films nicht verschließen kann, ihnaber als zu emotional empfindet, was der Analysenicht förderlich sei. Netzeband schrieb: «LangjahrsFilm-Essay verströmt, das ist nicht zu bestreiten,einen ungewöhnlichen Reiz. Nur, warum muß diefromme Frau permanent mit ihren Sprüchlein fürjedes und alles zugange sein, so daß Lacher im Pu-

Ncubaulen , Niemandsland, Kirschen und KartoÜeln

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Page 5: «Ex Voto» von Erich Langjahr · an diesem Film, der seine Premiere 1986 erlebte. Die ersten Aufnahmen entstanden im Jahr 1979; ein Jahr zuvor beendete der Autor den Film «Mor-garten

blikum aufkommen? Die emotional geladene Lie-beserklärung an Traditionen und Konventionen,an das frühere Leben, das zu Ende geht, ist nichtmit rationaler Analyse verbunden, wie sie HansStürm in <Goßliwil> erreicht hat. So bleibt nichtaus, daß dem Film und seiner Akteurin eine gleich-sam <mystische Ausstrahlung) zugesprochen wirdund sich Kritiker enthusiastisch artikulieren.»Und die Schweizer Kritik? Das Echo auf «Ex Voto»war im Verlauf des Jahres 1987 jedenfalls außeror-dentlich zahlreich. Das hängt zusammen mit derStrategie Langjahrs im Einsetzen seines Films, dener nicht nur und nicht einmal zuerst in den Städtenzeigte, sondern mit dem er auch eigentliche Tour-neen auf der Landschaft organisierte. In derSchweizer Presse überwog Positives oder wenig-stens Informatives. Jener Verriß im «Badener Tag-blatt», dessen Filmkritiker «Ex Voto» als chaotischempfand, blieb die Ausnahme, auch wenn es Stim-men gab, die ihre Bedenken anmeldeten, wie diesNetzeband tat. Beispiel dafür sei die am 10. April1987 in der «Berner Tagwacht» erschienene Kritik,deren Argumente ideologischer Natur sind: «Unddie Armee will im nahen Rothenlhurm eine Land-schaft verbauen; kann sie als stolze Verteidigerineiner hehren Bergwelt paradieren, wenn sie gleich-zeitig auch zur Zerstörung des beschwörten Hei-matmythos beiträgt? Das ist einer der Widersprü-che, die Langjahr ollenbar bei seiner Auseinander-setzung mit seinem <Heimatfilm> zu schaffen mach-ten. Er schaut wortlos zu, wie Bäume entwurzelt,Mauern eingerissen, Hügel abgetragen werden.»Und im Magazin der «Basler Zeitung» (13. Juni1987) konstatiert Verena Zimmermann, ErichLangjahr vertrete in «Ex Voto» keinen eigenenStandpunkt; er beobachte nur. Und über FrauHegglin im Film war zu lesen: «Erich Langjahr warvon dieser Frau fasziniert, aber oft genug verkehrter mit seiner wenig subtilen Kameraführung dieSache ins Gegenteil, erweckt den Eindruck, Kurio-sitäten anzubieten und rutscht ins Groteske. Ge-wollt oder ungewollt? Es bleibt vieles, auch dieÄsthetik, unentschieden.»Im Mitteilungsblatt des Zürcher Filmpodiums, das«Ex Voto» im Februar 1987 zum «Film des Mo-nats» erklärte, ging Martin Schlappner in seinersehr ausführlichen Würdigung des Filmes auch auf

Kritiken wie die eben zitierten ein: «<Hier ist meineHeimat, hier bleibe ich> ist die dezidierte Überzeu-gung des Autors: Man macht sie ihm zum Vorwurf,nicht allseits zwar, jedoch da und dort höhnisch.Man bezichtigt ihn der Standpunktlosigkeit, weiler nicht fundamentalistisch die angebliche Wahr-heit in Anspruch nimmt, man nimmt ihm übel, daßer sich, Bilder eines Defilees zeigend, über die Ri-tualisierung der Armee zwar mokiert, aber von derLandesverteidigung nicht lossagt.» Und Schlapp-ner schließt: «<Ex Voto ist ein Dokumentarfilm,der ein Bekenntnis in dem Maße ist, als über Ent-täuschung und Trauer hinaus an eine Zukunft ge-glaubt wird. Für diese Zukunft wird ein Engage-ment geleistet, das Respekt verdient.»Belege für die Resonanz, die der Film gefunden hat,sind neben all den positiven Erfahrungen, die ErichLangjahr bei Vorführungen von «Ex Voto» auch inkleinen Landgemeinden machen konnte-auch beieiner Vorführung im Kloster Gubel selber, für dieSchwestern —, auch zwei eher volkstümlich zu nen-nende Ereignisse: In Menzingen avancierte imMärz 1987 der Film samt Frau Hegglin zum Fas-nachts-Sujel. Im gleichen Monat erschien in Lo-kalblättern und in Luzerner Tageszeitungen einLeserbrief, dessen Autor sich unverblümt und hef-tig seinen Ärger über den Film vom Herzenschrieb: Ihm wollte gar nicht gefallen, wie ErichLangjahr seine Heimat sieht. Alles sei einseitig, derFilm suche das Negative, und im Bild, wie die Klo-sterfrauen das Heu zusammenrechcn, würden erstnoch veraltete Landwirtschaftsmethoden sichtbar.Der Leserbrief-Schreiber erhielt unverzüglich dieAntwort einer Leserbrief-Schreiberin: Gerade indiesem Bild der rechenden Klosterfrauen würdesich das Positive zeigen - das selbstverständlicheMiteinander, das den Geist des Klosters präge. Wirsind damit mitten in eine lokalpolitische Kuriositätgeraten. Daß sie trotzdem Wesentliches sichtbarmacht, ist auch ein Beleg für die Darstellungskraftdes Filmes.

Nikiaus überholter

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1987: Bemerkenswertes

Erinnerungsbilder

Unterägeri, Haus Seestraße 15

Während die «Eisenhandlung», auf einen neuen Sockelgestellt, weiterbesteht, ist das Haus Nr. 15 abgebrochenworden. Es stammte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts,also aus der Zeit der großen Industrialisierung des Ägcri-tals und besonders von Unterägeri. Das Dorf hat dennauch eigentlich zwei alte Dorfbilder: Das bäuerliche,ländliche, um die Marienkirche geschart, und anderer-seits das frühindustriclle, geplante, an die schnurgeradeHauptstraße und planmäßige Wege aufgereihte, mit sei-nen durchwegs vcrschindcltcn, je nach dem Stand derErbauer und Bewohner bald anspruchsvoll-bürgerlich,bald einfach sich gebenden Bauten. Auch dieses zweite«Alt-Dorf-Bild» ist mittlerweilen in seiner Schutzwür-digkcit erkannt; aber das einfach Typische ist schwererzu halten als das kostbar Gemalte und Geschnitzte, umsoschwerer, wenn es wenig mehr als ein Jahrhundert alt ist.

In Unterägeri hat man aber den Wert der Zeugen auchdieser Epoche erkannt. Mit einer neuen Kernplanungsoll den Erkenntnissen Rechnung getragen werden. Dasabgebrochene Haus war übrigens konstruktiv interes-sant, indem das unter dem Schindclschirm liegendeFachwerk nicht ausgemauert, sondern mit Stecken,Lehm und Seegras ausgcfacht war. Das Bild zeigt Unter-ägeri aus der Luft im Jahr 1923 (Swissair-Foto).

Cham, Maschinenfabrik an der Knonauerslraße

Die Maschincnindustrie ist in Cham relativ jung. DieMaschinenfabrik Cham wurde 1927 gegründet, undzwar vornehmlich zur Herstellung von milchwirtschaftli-chen Maschinen, die bis dahin aus Schweden undDeutschland hatten bezogen werden müssen. Die Inf la-tion in Deutschland zwang auch den Schweizer Inge-nieur Karl Egg zur Rückkehr in die Heimat, der auf dieHerstellung derartiger Maschinen spezialisiert war. Erwurde der erste Direktor der typischcrwcisc in denWcrkslattbautcn der Nestle & Anglo-Swiss angesiedel-

ten neuen Unternehmung, die unter dem Markennamen«Triumphator» ihre Produkte vertrieb, und zwar nichtnur in der Schweiz, sondern bis nach Übersee. Der Alt-bau an der Knonaucrstraße stammte noch aus den Grün-dcrjahrcn der Anglo-Swiss, während der rückliegendcHallcnbau aus Backstein am Anfang unseres Jahrhun-derts errichtet wurde.

Baar, Karlonfabrik Meyenberg

Wie ein lebendiges Museumsstück mutete der Betrieb inder Kartonfabrik an: das unterschlächtigc Wasserradtrieb über Riemen und Transmissionen Kollergänge,Schleifmaschinen, ja sogar einen Aufzug und die mecha-nische Trocknungsanlage an. Technische Anlage undGebäude stammten im wesentlichen aus dem Jahr 1862,nach dem Brand der alten Papiermühle neu errichtet.Nach dem Tod des letzten «Papiermüllers» standen dieRäder still. Den Betrieb weiterzuführen, vielleicht imSinne eines «lebenden Museums», erwies sich als in jederHinsicht unrealistisch, obwohl sich Private, Denkmal-pflege, Gemeinde und Kanton bemühten. Am Endemußte man sich zufriedengeben, daß wenigstens dietechnischen Einrichtungen zu einem schönen Teil in in-teressierte Museen gelangen konnten. Die Gebäudeselbst wurden Ende 1986 von Luftschutztruppen abge-rissen. Die Baarer «Industrielandschaft des 19. Jahrhun-derts» bestehend aus Zicgclhütte, Spinnerei, Obermüh-le, Kartonfabrik und Brauerei, weicht Stück um Stückneuen betrieblichen Erfordernissen, Nutzungsänderun-gen und veränderten Interessen.

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Mathias Knauer
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