638
Einführung in die Informations- und Codierungstheorie DIRK W. HOFFMANN

[eXamen.press] Einführung in die Informations- und Codierungstheorie ||

  • Upload
    dirk-w

  • View
    267

  • Download
    9

Embed Size (px)

Citation preview

  • Einfhrung in die Informations- und Codierungstheorie

    DIRK W. HOFFMANN

  • eXamen.press ist eine Reihe, die Theorie undPraxis aus allen Bereichen der Informatik frdie Hochschulausbildung vermittelt.

  • Dirk W. Hoffmann

    Einfhrung in die Informations-und Codierungstheorie

  • Dirk W. HoffmannHochschule KarlsruheKarlsruhe, Deutschland

    ISBN 978-3-642-54002-8 ISBN 978-3-642-54003-5DOI 10.1007/978-3-642-54003-5

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Springer Viewegc Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014Das Werk einschlielich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung, die nicht aus-drcklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Dasgilt insbesondere fr Vervielfltigungen, Bearbeitungen, bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Ein-speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk be-rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne derWarenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wren und daher von jedermannbenutzt werden drften.

    Gedruckt auf surefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier

    Springer Vieweg ist eine Marke von Springer DE.

    Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media

    www.springer-vieweg.de

    (ebook)

  • Vorwort

    Die Kommunikation ist von jeher ein Teil der menschlichen Kultur, und doch ha-ben sich der Bezug und der Austausch von Informationen in den letzten hundertJahren in einer Art und Weise verndert, die selbst khne Visionre nicht vorge-sehen haben. Als Kinder des Informationszeitalters erachten wir flchendeckendverfgbare Funk-, Fernseh- und Handynetze als genauso selbstverstndlich wiedas mobile Internet oder die satellitengesttzte Verkehrsnavigation.

    Lassen wir die Entwicklung der Kommunikationstechnik in ihrer zeitlichen Abfol-ge vor unserem geistigen Auge Revue passieren, so wird unsere Aufmerksamkeitzwangslufig auf die Entwicklungen gelenkt, die in der Mitte des zwanzigstenJahrhunderts stattgefunden haben. In jener Zeit verschmolz die Nachrichtentech-nik, die als eine pure Ingenieursdisziplin begann, mit der damals aufkeimendenInformations- und Codierungtheorie. Es ist eine einzigartige Symbiose von Inge-nieurskunst und mathematischer Finesse, die im Ergebnis zu einer vollstndigenDigitalisierung der Nachrichtenbertragung fhrte und den technologischen Fort-schritt in ungeahnter Weise befeuerte. Es ist nicht bertrieben, wenn wir dieseSymbiose als den Schlssel bezeichnen, der uns die Tr in das Informationszeital-ter ffnen lie.

    Die Gedanken, Konzepte und Methoden, die sich hinter der Informations- undCodierungstheorie verbergen, sind Inhalt dieses Buchs. In allen meinen bisher er-schienenen Publikationen habe ich das Ziel verfolgt, den Stoff anwendungsorien-tiert und didaktisch ansprechend zu vermitteln, und auch dieses Mal mchte ichin diesem Punkt keine Ausnahme machen. Um eine enge Verzahnung zwischenTheorie und Praxis zu erreichen, wurden die theoretischen Ausfhrungen immerdann, wenn es mir mglich und sinnvoll erschien, durch Anwendungsbeispieleund Querbezge ergnzt. Ferner habe ich die Lehrinhalte aller Kapitel durch zahl-reiche bungsaufgaben komplementiert, damit das Buch auch im Selbststudiumeingesetzt werden kann.

    Ich mchte all denen meine Verbundenheit aussprechen, die mich whrend derDurchfhrung dieses Projekts untersttzt und damit zum Gelingen dieses Buchsbeigetragen haben. Fr Hinweise zu Verbesserungsmglichkeiten oder Fehlern binich jedem aufmerksamen Leser dankbar.

    Karlsruhe, im Januar 2014 Dirk W. Hoffmann

  • 6

    Symbolwegweiser

    Definition

    Satz, Lemma, Korollar

    Leichte bungsaufgabe

    Mittelschwere bungsaufgabe

    Schwere bungsaufgabe

    Lsungen zu den bungsaufgaben

    In wenigen Schritten erhalten Sie die Lsungen zu den bungsaufgaben:

    1. Gehen Sie auf die Seite: www.codierungstheorie.de

    2. Geben Sie einen der im Buch abgedruckten Webcodes ein.

    3. Die Musterlsung wird als PDF-Dokument angezeigt.

  • bersicht

    Das vorliegende Buch fhrt praxisnah in das Gebiet der Informations-und Codierungstheorie ein und orientiert sich dabei an den typischenLehrinhalten, die an Hochschulen und Universitten in den Bachelor-und Masterstudiengngen der Nachrichtentechnik, Informatik, Elektro-technik und Informationstechnik im Hauptstudium vermittelt werden.

    Kapitel 1 beginnt mit einem Rckblick auf die Geschichte der Nach-richtenbertragung. Dieser wird helfen, die in den nachfolgenden Ka-piteln erarbeiteten Ergebnisse historisch einzuordnen und mit Leben zufllen. Der geschichtlich uninteressierte Leser mag dieses Kapitel ge-fahrlos berspringen; es ist fr das Verstndnis der technischen Detailsnicht erforderlich.

    Kapitel 2 errichtet das mathematische Grundgerst, auf dem wichtigeTeile der Informations- und Codierungstheorie ruhen. Im Mittelpunktstehen Begriffe aus der Algebra, die in den adressierten Studiengngennicht immer zum Standardrepertoire gehren. Erwartet wird, dass derLeser mit den elementaren Begriffen und Methoden der Wahrschein-lichkeitsrechnung vertraut ist, ohne die ein tieferes Verstndnis derInformations- und Codierungstheorie nicht mglich ist. Elementar isthier wrtlich gemeint: Ich habe versucht, das notwendige Wissen ausdiesem Bereich auf das Ntigste zu begrenzen; die Verstndlichkeit hatan den betreffenden Stellen Vorrang vor der mathematischen Stringenz.

    Im dritten Kapitel stehen die Begriffe Codierung und Information imMittelpunkt; beide werden dort ausfhrlich in ihren unterschiedlichenFacetten behandelt. Die Vorstellung des Informationsbegriffs orientiertsich dabei eng an der gedanklichen Linie von Claude Shannon, jenemMathematiker, der mit seiner 1948 erschienenen Arbeit A mathema-tical theory of communication die Informationstheorie ins Leben rief.Shannons Werk ist fr die gesamte Kommunikationstechnik von so im-menser Bedeutung, dass wir an zahlreichen Stellen darauf zu sprechenkommen werden.

    Danach folgt das Buch dem klassischen Kanon, der die digitale Da-tenbertragung in eine Quellencodierung, eine Kanalcodierung undeine Leitungscodierung unterteilt. Die Quellencodierung umfasst alle

  • Methoden und Algorithmen, die sich mit der Kompression von Da-tenbestnden befassen, whrend die Kanalcodierung das Ziel verfolgt,eine komprimierte Nachricht so um zustzliche Information anzurei-chern, dass der Empfnger bertragungsfehler erkennen bzw. korrigie-ren kann. Die Leitungscodierung ist die letzte Stufe in der geschildertenVerarbeitungskette. Sie beantwortet die Frage, wie sich digitale Signalephysikalisch ber analoge bertragungsmedien transportieren lassen.

    Kapitelbersicht

    Einstiegspunkte

    Kapitel 8

    Kapitel 1 (optional)

    Kapitel 2 (optional)

    Kapitel 7

    Kapitel 6

    Kapitel 5

    Kapitel 4

    Was ist der Unterschied zwischen einem Code und

    einer Codierung?Was ist Information?

    Kapitel 3

    Was ist eine algebraische Struktur? Was haben endliche Krper mit Polynomen zu tun?

    Mit welchen Methoden und Algorithmen lassen

    sich Nachrichten komprimieren?

    Wann versagt die Kompression? Was genau

    besagt das Quellen-codierungstheorem?

    Von Leuchtfeuern und Fackeln, Telegrafen und

    sprechenden Drhten

    Auf welche Weise bewegen sich digitale

    Signale durch den ther?

    Weshalb stellt das Kanalcodierungstheorem unsere Intuition auf eine

    so harte Probe?

    Wie lassen sich bertragungsfehler

    erkennen bzw. korrigieren?

  • Inhaltsverzeichnis

    1 Geschichte der Nachrichtentechnik 131.1 Von Fackeln und Feuern der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

    1.1.1 Fackelpost des Agamemnon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151.1.2 Synchrontelegraf des Aineias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171.1.3 Fackelcode des Polybios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

    1.2 Das mechanische Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191.2.1 Semaphoren-Telegraf von Claude Chappe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191.2.2 Klappentelegrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

    1.3 Elektrische Nachrichtenbertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261.3.1 Nadeltelegrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291.3.2 Der Morse-Telegraf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

    1.4 Mission Transatlantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401.5 Von der Telegrafie zur Telefonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

    1.5.1 Suche nach dem harmonischen Telegrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461.5.2 Drahtlos durch den ther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

    1.6 Von der Rhre zum Supercomputer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611.7 Informations- und Codierungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651.8 bungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

    2 Mathematische Grundlagen 812.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 822.2 Modulare Arithmetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 832.3 Algebraische Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

    2.3.1 Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 892.3.2 Krper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 972.3.3 Ringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1042.3.4 Ideale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

    2.4 Endliche Krper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1102.4.1 Polynomringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1102.4.2 Konstruktion endlicher Krper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1152.4.3 Schnelles Rechnen in endlichen Krpern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

    2.5 Vektorrume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1352.5.1 Generatormatrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1462.5.2 Orthogonalrume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

    2.6 bungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

  • 10 Inhaltsverzeichnis

    3 Codierungen, Codes und Information 1673.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1683.2 Definition und Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1683.3 Lngenvariable Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

    3.3.1 Prfixfreie Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1713.3.2 Kraftsche Ungleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

    3.4 Blockcodes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1783.4.1 Zeichencodes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1813.4.2 Zahlencodes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1863.4.3 Lineare Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

    3.5 Der bertragungskanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1983.5.1 Kanalkapazitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1993.5.2 Kapazitt des Morse-Kanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

    3.6 Der Informationsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2033.7 bungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

    4 Quellencodierung 2274.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2284.2 Die Informationsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

    4.2.1 Gedchtnislose Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2304.2.2 Markov-Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

    4.3 Datenkompression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2374.4 Entropiecodierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

    4.4.1 Shannon-Codierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2424.4.2 Fano-Codierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2454.4.3 Huffman-Codierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2474.4.4 Decodierung prfixfreier Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

    4.5 Arithmetische Codierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2544.6 Substitutionscodierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

    4.6.1 Lempel-Ziv-77-Kompression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2614.6.2 LZSS-Kompression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2654.6.3 Lempel-Ziv-78-Kompression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2664.6.4 Lempel-Ziv-Welch-Kompression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

    4.7 Burrows-Wheeler-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2744.7.1 Move-to-front-Codierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

    4.8 bungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

    5 Grenzen der Quellencodierung 2995.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3005.2 Entropie, Information, Redundanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3015.3 Blockweise Codierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309

  • Inhaltsverzeichnis 11

    5.4 Das Quellencodierungstheorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3125.5 bungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

    6 Kanalcodierung 3236.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3246.2 Prfziffercodes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

    6.2.1 Erkennung von Einzelfehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3266.2.2 Erkennung von Vertauschungsfehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3296.2.3 Prfziffercodes aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330

    6.3 Fehlererkennung und -korrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3376.3.1 Hamming-Distanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3386.3.2 Code-Distanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340

    6.4 Lineare Kanalcodes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3456.4.1 Syndromdecodierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3456.4.2 Hamming-Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3546.4.3 Zyklische Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

    6.4.3.1 Codierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3666.4.3.2 Hardware-Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373

    6.4.4 BCH-Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3786.4.4.1 Vandermonde-Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380

    6.4.5 Reed-Solomon-Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3986.4.5.1 Codierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3996.4.5.2 Rechnen in endlichen Krpern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4046.4.5.3 Berlekamp-Welch-Algorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4086.4.5.4 Reed-Solomon-Codes unter der Lupe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4126.4.5.5 Cross-interleaved Reed-Solomon Code . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419

    6.4.6 Hadamard-Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4296.4.7 Simplex-Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4406.4.8 Reed-Muller-Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444

    6.4.8.1 Reed-Muller-Codes erster Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4466.4.8.2 Reed-Muller-Codes hherer Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450

    6.5 Faltungscodes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4536.5.1 Viterbi-Algorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460

    6.6 bungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466

    7 Grenzen der Kanalcodierung 4937.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4947.2 Was kostet die Fehlerkorrektur? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495

    7.2.1 Singleton-Schranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4957.2.2 MDS-Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4967.2.3 Perfekte Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498

  • 12 Inhaltsverzeichnis

    7.3 Golay-Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5067.3.1 Zyklischer Golay-Code . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5087.3.2 Erweiterter Golay-Code . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5137.3.3 Ternrer Golay-Code . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515

    7.4 Restfehlerwahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5177.4.1 Restfehler bei der Fehlererkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5177.4.2 Restfehler bei der Fehlerkorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521

    7.5 Das Kanalcodierungstheorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5257.5.1 Inhaltliche Aussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5257.5.2 Beweisskizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529

    7.6 bungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542

    8 Leitungscodierung und Modulation 5498.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5508.2 Leitungscodierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551

    8.2.1 Bitcodierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5538.2.2 Blockcodes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558

    8.2.2.1 MMS43-Codierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5608.2.2.2 RLL-Codierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562

    8.2.3 Externe Resynchronisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5668.2.3.1 Bit Stuffing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5668.2.3.2 Scrambler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568

    8.3 Modulationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5698.3.1 Digitale Modulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5708.3.2 Kombinierte Modulationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573

    8.4 Multiplexverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5748.4.1 Frequenzmultiplexverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5748.4.2 Raummultiplexverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5768.4.3 Zeitmultiplexverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5778.4.4 Codemultiplexverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581

    8.5 Spreizcodes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5868.5.1 OVSF-Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5868.5.2 Pseudozufallsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5918.5.3 Gold-Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5988.5.4 Kasami-Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605

    8.6 bungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610

    Literaturverzeichnis 627

    Namensverzeichnis 631

    Sachwortverzeichnis 633

  • ...

    1 Geschichte der Nachrichtentechnik

    In diesem Kapitel werden Sie . . . eine Reise in die Geschichte der Nachrichtentechnik unternehmen,

    den Wandel einer ehemaligen Ingenieursdisziplin zu einer Wissenschaft begleiten,

    die Bedeutung der Informations- und Codierungstheorie verstehen.

    D.W. Hoffmann, Einfhrung in die Informations- und Codierungstheorie, eXamen.press, DOI 10.1007/978-3-642-54003-5_1, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

  • 14 1 Geschichte der Nachrichtentechnik

    1847 1922Graham Bell

    1809 1852Louis Braille

    1763 1805Claude Chappe

    1806 1879William Cooke

    1873 1961Lee De Forest

    1819 1892Cyrus Field

    1777 1855Carl Friedrich Gau

    1835 1901Elisha Gray

    1865 1963Jacques Hadamard

    1915 1998Richard Hamming

    1797 1878Joseph Henry

    1857 1894Heinrich Hertz

    1874 1937Guglielmo Marconi

    1831 1879James C. Maxwell

    1808 1889Antonio Meucci

    1791 1872Samuel Morse

    1834 1874Philipp Reis

    1916 2001Claude Shannon

    1755 1830Samuel von Soemmerring

    1801 1870Carl von Steinheil

    1807 1859Alfred Vail

    1745 1827Alessandro Volta

    1854 1934Thomas Watson

    1804 1891Wilhelm Eduard Weber

    1802 1875Charles Wheatstone

    1730

    1740

    1750

    1760

    1770

    1780

    1790

    1800

    1810

    1820

    1830

    1840

    1850

    1860

    1870

    1880

    1890

    1900

    1910

    1920

    1930

    1940

    1950

    1960

    1970

    1980

    1990

    2000

    2010

  • Aischylos(525 v. Chr. 456 v. Chr)

    Abb. 1.1: Bste des Aischylos. Neben So-phokles und Euripides zhlt Aischylos zuden drei groen Tragdiendichtern des an-tiken Griechenlands.

    1.1 Von Fackeln und Feuern der Antike 15

    1.1 Von Fackeln und Feuern der Antike

    1.1.1 Fackelpost des Agamemnon

    Gebannt blickte er auf das Flackern, das seine mden Augen am Hori-zont ersphten. War es nur eine Illusion oder tatschlich die Flamme,nach der er seit Jahren vergebens Ausschau hielt? Nacht fr Nacht hatteer auf dem Dach des Knigspalasts zu Argos zugebracht, oft vom Taudurchnsst, einem Wchterhund gleich. Getrumt hatte er schon langenicht mehr, zu gro war seine Furcht, tief in den Schlaf zu entgleiten.Tatschlich! Auf Arachnaions Gipfel loderte das ersehnte Feuer, das diesternenklare Nacht jetzt hell durchdrang. 10 Jahre waren nicht umsonst.Troja ist gefallen!

    In etwa so beginnt das Drama Agamemnon, der erste Teil der be-rhmten Trilogie Orestie des griechischen Dichters Aischylos (Abbil-dung 1.1). Ausgangspunkt der Erzhlung ist die Eroberung Trojas (Ab-bildung 1.2). Der griechischen Mythologie zufolge hielt die Stadt einerzehnjhrigen Belagerung stand, bis sie unter der Fhrung von Agamem-non, dem Oberbefehlshaber der griechischen Streitkrfte, endgltig ein-genommen wurde. Das besagte Feuer auf dem Gipfel von Arachnaionwar eines von insgesamt 8 Signalfeuern, die nacheinander entzndetwurden, um die Siegesnachricht an Agamemnons Frau Klytaimestra imkniglichen Palast zu Argos zu bermitteln (Abbildung 1.3).

    Hephaistos, der vom Ida hellen Strahl gesandt!Denn hergeschickt hat in der Feuer WechselpostEin Brand den andern. Ida selbst zum Hermesfels,In Lemnos; von der Insel her zum dritten nahmDen breiten Lichtstrahl auf des Zeus Athosgebirg.Hochleuchtend, da der Wanderin Flamme mchtger ScheinWeithin der Meerflut Rcken berflog, ein BrandDer Freude, ward goldstrahlend, einer Sonne gleich,Zur Warte von Makistos dann das Licht gesandt.Die schrte weiter, sumig nicht noch unbedachtVom Schlaf bewltigt, ihren Botenteil hinaus.Und wieder fernhin eilend gen Euripos FlutRief auf der Strahl die Wchter auf Messapios.Die dann entbrannten und entsandten neuen Schein,Der Graias Haufen Heidekraut anzndete.

    Die rstge Flamme, nicht ermdet noch geschwcht,Sie eilte weithin ber Asopos Ebene,Gleich hellem Mondlicht, gen Kithairons FelsenstirnUnd weckte schnell der Feuerboten Wechsel auf.Fernhin erkennbar neue Flamme schrte dortDie Wache; hoch schlug dann das hellste Feuer aufUnd warf den Glanz weit ber den Gorgopis-See.Auf Aigiplanktos Scheitel treffend trieb es an,Des Fanales Lichtbahn nicht zu stren; schnell geschahs;Sie sandten glutanschrend zu wolkenglhndem ScheinDen mchtgen Schweif der Flamme, da er fernhinausDie weite Spiegelflche des saronischenMeerbusens leuchtend berstrahlte, bis er kamZu Arachnaions Gipfel nah bei unsrer Stadt.Von dort ergo dies Feuer sich in dieses Schlo [...]

    Abb. 1.2: Das Drama Agamemnon des griechischen Dichters Aischylos ist der erste Teil der Orestie, der einzigen erhaltenenTrilogie des antiken Griechenlands. Es enthlt eine der ltesten Beschreibungen dessen, was wir heute als Fackelpost bezeich-nen [1].

  • 16 1 Geschichte der Nachrichtentechnik

    Abb. 1.3: Fackelpost des Agamemnon.Ausgangspunkt soll das stlich von Tro-ja gelegenen Ida-Gebirge, das heutige KazDag, gewesen sein. Glauben wir der Be-schreibung in der Orestie, so wurde dasSignal ber 7 weitere Relaisstationen bisnach Arachnaion bertragen. Von dort ausbestand eine direkte Sichtverbindung zumkniglichen Palast zu Argos.

    Argos

    TrojaIdaLemnos

    Athos

    MakistosMessapios

    KithaironAigiplanktosArachnaion

    Was wir in der Orestie nachlesen knnen, ist eine der ltesten Beschrei-bungen der Fackelpost. Es ist die primitivste Art der optischen Nach-richtenbertragung, bei der eine vorher festgelegte Botschaft durch dasAbbrennen von Fackeln oder Holzsten ber lngere Distanzen ber-tragen wird.

    Doch ist die Schilderung des Aischylos berhaupt realistisch? Wurdeder Fall Trojas tatschlich auf dem beschriebenen Weg bermittelt?Wahrscheinlich nicht. Geografisch wre eine bertragung auf der be-sagten Strecke mglich gewesen, denn alle von Aischylos beschriebe-nen Relaisstationen liegen tatschlich an Orten, die ber eine direkteSichtlinie miteinander verbunden sind. Allerdings darf bezweifelt wer-den, dass die Griechen in Athos ein Feuer mit so hoher Lichtintensittentfachen konnten, dass es im 177 km entfernten Makistos immer nochmit bloem Auge sichtbar war. Wir wissen heute, dass riesige Holz-ste notwendig gewesen wren, die es wohl nie gegeben hat [3]. Vielwahrscheinlicher ist, dass Aischylos seine Erzhlung mit einem dra-maturgischen Hhepunkt beginnen lassen wollte, der mit der Realitt,wenn berhaupt, nur sehr entfernt zu tun hatte.

    Dennoch ist Aischylos Drama Agamemnon fr die Nachrichtenber-tragung von historischer Bedeutung. Es beweist, dass die Griechen mitdem Prinzip der Fackelpost im Jahre 458 v. Chr. wohlvertraut waren.Dies war das Jahr der Erstauffhrung der Orestie.

  • Nachrichtenstab

    Tonbehlter

    Ausfluss

    Wasser

    Schwimmer

    Botschaft

    Abb. 1.4: Aufbau des Synchrontelegrafendes Aineias, nach einer Erzhlung des grie-chischen Geschichtsschreibers Polybios

    1.1 Von Fackeln und Feuern der Antike 17

    In technischer Hinsicht markiert die Fackelpost den Beginn der Ge-schichte der modernen Nachrichtenbertragung. Mit ihrer Hilfe war eserstmals mglich, Nachrichten ber grere Distanzen mit hoher Ge-schwindigkeit zu kommunizieren. Im Drama Agamemnon erreichte Ar-gos die Botschaft vom Fall Trojas in wenigen Stunden; die damals vor-herrschende Nachrichtenbermittlung per Ross und Reiter htte hinge-gen viele Tage bentigt. Natrlich war die Fackelpost nicht in der Lage,die herkmmlichen bertragungswege zu ersetzen. Der Aufbau einerSignalstrecke war aufwendig und ohnehin nur unter gnstigen geografi-schen Gegebenheiten mglich. Ihr grter Nachteil war, dass keine dif-ferenzierten Nachrichten bertragen werden konnten. Ein Leuchtfeuersignalisierte immer nur das Eintreten eines einzigen, vorher verabrede-ten Ereignisses, und nicht mehr.

    1.1.2 Synchrontelegraf des Aineias

    Eine der ersten technischen Konstruktionen, die zur bertragung dif-ferenzierter Nachrichten genutzt werden konnte, geht auf den griechi-schen Militrstrategen Aineias Taktikos zurck. Im 4. Jh. v. Chr. schluger den Bau einer Apparatur vor, die wir heute als Synchrontelegraf be-zeichnen (Abbildung 1.4).

    Dass wir von Aineias Erfindung heute berhaupt Kenntnis haben, ver-danken wir dem griechischen Geschichtsschreiber Polybios von Mega-lopolis, der den Aufbau des Synchrontelegrafen im 2. Jh. v. Chr. in einerseiner Schriften erwhnt:

    [Aineias] sagt, dass sich diejenigen, die wichtige Nach-richten mithilfe von Feuerzeichen austauschen wollen, t-nerne Gefe beschaffen sollen, deren Durchmesser undHhe auf das Genaueste gleich sein sollen, [...]. Wenn diesgeschehen ist, sollen beide Gefe sorgfltig angebohrtwerden, so dass kleine Ausflsse entstehen, durch die [Was-ser] gleich schnell abflieen kann.

    Polybios von Megalopolis [4, 67]

    Nach dieser Darstellung hatte Aineias zwei identische Tongefe vor-gesehen, die in etwa drei Ellen hoch waren (ca. 1,5 m) und einen Durch-messer von einer Elle besaen (ca. 0,5 m). Die Gefe wurden mit Was-ser gefllt und besaen am unteren Rand eine Ausflussffnung. Fernerbefand sich in beiden Gefen ein Schwimmer, auf dem ein Nachrich-tenstab montiert war. Auf diesem waren mehrere Textnachrichten zu

  • !"#$%

    &'()*

    +,-./

    01234

    5678

    *

    Spaltenindex Zeilenindex

    Abb. 1.5: Fackelcode des Polybios

    18 1 Geschichte der Nachrichtentechnik

    sehen, die im Abstand von ca. 6 cm untereinander eingraviert waren.Eines der Gefe behielt der Sender bei sich, das andere wurde aufder Empfngerseite oder in einem dazwischen geschalteten Relaissttz-punkt postiert. Um eine Nachricht zu bertragen, mussten beide Ge-fe zunchst bis zum Rand mit Wasser gefllt werden, anschlieendsignalisierte der Sender den Beginn der bertragung mit einem Licht-signal. Daraufhin ffnete der Empfnger die Ausflussvorrichtung undlie das Wasser langsam ab. Sobald der Sender ein zweites Lichtsignalgab, wurde die Ausflussffnung wieder verschlossen und die bertrage-ne Botschaft an dem eingesunkenen Nachrichtenstab abgelesen.

    Ob die vorgeschlagene Konstruktion des Aineias in dieser Form Ver-wendung fand, wissen wir nicht [4]. Bis heute ist keine berlieferungbekannt, die eine praktische Anwendung beschreibt.

    1.1.3 Fackelcode des Polybios

    Auch wenn der Synchrontelegraf des Aineias zu Zeiten der alten Grie-chen eine trickreiche Konstruktion war, haftete ihr ein entscheidenderMakel an: Die bertragbaren Nachrichten waren auf eine vorher festge-legte Auswahl beschrnkt. Die Meldung unvorhergesehener Ereignisse,wie sie insbesondere zu Kriegszeiten massenweise auftraten, war aufdiese Weise unmglich.

    Als Lsung schlug Polybios vor, Nachrichten nicht mehr als Ganzes,sondern buchstabenweise zu codieren (Abbildung 1.5). Auf der Sen-derseite wurden 10 Fackeln entzndet, von denen jeweils 5 hinter einergemeinsamen Sichtblende positioniert waren. Jede Fackel konnte ein-zeln ber die Blende gehoben oder hinter ihr verborgen werden. Aufder Empfngerseite wurde die Sendevorrichtung durch eine Sichtrhrebeobachtet und die Anzahl der Fackeln ber der linken Sichtblende alsSpaltennummer und die Anzahl der Fackeln ber der rechten Sichtblen-de als Zeilennummer einer Buchstabentafel interpretiert. Das abgebil-dete Zeichen wurde notiert und die gesendete Nachricht Buchstabe frBuchstabe rekonstruiert.

    Was Polybios ersann, war der ersten Zeichencode in der Geschichteder Nachrichtenbertragung. Trotz seiner revolutionren Idee fand seinVorschlag aber kaum praktische Verwendung. Das Fernrohr war nochlange nicht erfunden und die Abstnde zwischen der Sende- und derEmpfangsstation daher auf einige hundert Meter beschrnkt. Die ho-he Anzahl notwendiger Relaisstationen machte eine bertragung berlngere Distanzen praktisch unmglich.

  • Claude Chappe(1763 1805)

    Abb. 1.6: Mit Claude Chappe beginnt diera der flchendeckenden Telekommunika-tion.

    1.2 Das mechanische Internet 19

    180523 Jan

    176325Dez

    Claude Chappe wurde am 25. De-zember 1763 in Brlon geboren, ei-nem kleinen Dorf, 200 km sdstlichvon Paris. Claude war eines von zehn

    Kindern einer einflussreichen Familie, die seine Zukunft imSchoe der Kirche sah. Bereits whrend seiner Ausbildungzum Abb Commendataire zeigte Chappe reges Interesse frdie Wissenschaft. In Paris entdeckte er seine Leidenschaftfr die Physik und wurde kurze Zeit spter Mitglied in derangesehenen Socit Philomatique.Die einschneidenden Ereignisse der franzsischen Revoluti-on im Jahr 1789 brachten groe Vernderungen in ChappesLeben. Er verlor seinen geistlichen Status und war gezwun-gen, nach Brlon zurckzukehren. Dort befasste er sich, zu-sammen mit seinen Brdern, intensiv mit den verschiedenenMglichkeiten, differenzierte Nachrichten ber lngere Di-stanzen zu bertragen. Im Mrz 1791 fand die erste ffentli-che Demonstration einer ihrer Prototypen statt, ein Jahr sp-ter trat Chappe vor die gesetzgebende Nationalversammlungin Paris.Sein Engagement zahlte sich aus. Er wurde zum IngnieurTlgraphe ernannt und durch den franzsischen Staat finan-ziell untersttzt. Die nchsten Jahre waren ein Ritt auf einer

    Welle des Erfolgs. Whrend Chappe die ersten Teststreckenerrichtete, gelang es ihm, die prototypischen Entwrfe zueinem praxistauglichen Telegrafen weiterzuentwickeln unddie Erlaubnis fr den Bau weiterer Strecken zu erhalten.Die Geschichte von Claude Chappe endet tragisch, dennRuhm und Ehre waren dem Franzosen hauptschlich zu Be-ginn seines ehrgeizigen Projekts vergnnt. Mit zunehmen-dem Erfolg mehrten sich kritische Stimmen; Konkurren-ten bemngelten seinen Entwurf als technisch minderwertigoder bezichtigten ihn des Plagiats. Selbst ehemalige Freun-de standen ihm mit einem Mal als Widersacher gegenber.Chappe ertrug die Anfeindungen nicht auf Dauer und verfielin eine tiefe Depression. Als gebrochener Mann schied eram 23. Januar 1805 selbstbestimmt aus dem Leben im Al-ter von 41 Jahren. In einer kurzen Notiz begrndete Chappeseinen Freitod mit den folgenden Worten [40]:

    Je me donne la mort pour viter lennui de lavie qui maccable; je nai point de reproches me faire.

    I give myself to death to avoid lifes worriesthat weigh me down; Ill have no reproachesto make myself.

    1.2 Das mechanische Internet

    1.2.1 Semaphoren-Telegraf von Claude Chappe

    Libert, galit, fraternit. Mit dem Sturm auf die Bastille begann am14. Juli 1789 die franzsische Revolution, und mit ihr eine der gr-ten Umbruchphasen in der europischen Geschichte. Chaotische Zu-stnde beherrschten das Land und die sich abzeichnenden Kriege mitden europischen Nachbarn verschrften die Situation zusehends. DieZeit der franzsischen Revolution war der geeignete Nhrboden fr einVorhaben, das man noch wenige Jahre zuvor als bedeutungslos zurck-gewiesen htte: die Errichtung eines landesweiten optischen Kommu-nikationsnetzes. In Anbetracht der vielschichtigen Bedrohungen, denenFrankreich jener Tage gegenberstand, war die Fhigkeit, differenzierteNachrichten ber groe Distanzen in kurzer Zeit zu bertragen, mehrals pure Spielerei. Sie war zu einer Notwendigkeit geworden.

    Der Weg fr die Errichtung eines landesweiten Kommunikationsnetzeswurde in Paris geebnet. Am Abend des 24. Mrz 1792 trat ein Mannvor die gesetzgebende Nationalversammlung, um den Inhalt eines An-

  • 20 1 Geschichte der Nachrichtentechnik

    trags vorzustellen, den er zwei Tage zuvor in Schriftform eingereichthatte. Der Redner war der erst 28 Jahre alte Claude Chappe (Abbil-dung 1.6). Der junge Franzose war davon berzeugt, mit seiner Erfin-dung, die er als tachygraphe (dt. Tachygraf , Schnellschreiber) bezeich-nete, ein Kommunikationsnetz errichten zu knnen, mit dem sich dif-ferenzierte Nachrichten in Windeseile ber groe Distanzen bertragenlieen (Abbildung 1.7).

    Sein Antrag stie auf reges Interesse und wurde dem Comit delinstruction publique zur genauen Prfung bergeben. Die Entschei-dung fiel positiv aus, und im April 1793 wurde Chappe beauftragt, eineca. 30 km lange Teststrecke zu errichten. Die Strecke begann in Mnil-montant, im Nordosten von Paris. Von dort aus wurden die Signale aufdie 15 km nrdlich gelegenen Hhen von Ecouen gesendet und dannweiter in die 11 km entfernte Ortschaft Saint-Martin-du-Tertre [40].

    Der Tachygraf bestand die praktische Erprobung, und so erhielt Chap-pe den Auftrag fr den Bau einer Kommunikationslinie zwischen Parisund dem 210 km entfernten Lille. Offiziell wurde der Tachygraf nunals Tlgraphe bezeichnet (dt. Telegraf , Fernschreiber). Im Juli 1794waren die insgesamt 23 Relaisstationen fertiggestellt und gingen kurzeZeit spter in Betrieb.

    Eine einzelne Telegrafenstation bestand aus einem Mast, an dessen obe-ren Ende der Regulator befestigt war (Abbildung 1.8 rechts). Hierbeihandelte es sich um einen ca. 4,5 m langen Balken, der sich durch amBoden befindliche Kurbeln in vier verschiedene Stellungen drehen lie(vertikal, diagonal fallend, horizontal, diagonal steigend). An jedem En-de befand sich ein weiterer ca. 2 m langer Balken. Diese Indikatorenkonnten unabhngig von der Position des Regulators in 7 verschiede-nen Winkelpositionen gebracht werden (0, 45, 90, 135, 225, 270,315). Da der Regulator und die Indikatoren unterschiedlich voneinan-der bewegt werden konnten, war es theoretisch mglich, 477 = 196verschiedene Figuren darzustellen (Abbildung 1.8 links).

    Die erste ereignisreiche Nachricht wurde am 15. August 1794 von Lillenach Paris telegrafiert, um die Rckeroberung der 200 km nrdlich vonParis gelegenen Stadt Le Quesnoy zu melden. Fr die Franzosen wardies der endgltige Beweis fr den praktischen Nutzen der noch jun-gen Technik, und entsprechend schnell fiel die Entscheidung, weitereKommunikationslinien zu errichten.

    Noch im selben Jahr begann der Bau der Strecke Paris Strasbourg.1798 nahm sie den Betrieb auf, genauso wie die in nur 7 Monaten fer-tiggestellte Linie Paris Brest.

  • 1.2 Das mechanische Internet 21

    Monsieur le Prsident,

    Je viens offrir lAssemble Nationale lhommage dune dcou-verte que je crois utile la chose publique. Cette dcouverte suitede plusieurs annes de travail et dexprience prsente un moyenfacile de communiquer rapidement de grandes distances tout cequi peut tre lobjet dune correspondance. Le rcit dun fait oudun vnement quelconque peut tre transmis, la nuit ainsi que lejour, plus de 40 mille dans moins de 46 minutes. Cette transmis-sion sopreroit dune manire presquaussi rapide une distancebeaucoup plus grande le temps employ pour la communicationnaugmentant point en raison proportionnelle des espaces.

    Je puis, en 20 minutes, transmettre la distance de 8 ou 10 millela srie de phrases que voici ou toute autre quivalente Luck-ner sest port vers Mons pour faire le sige de cette ville. Bendersest avanc pour la dfendre. les deux gnraux sont en prsence.on livrera demain bataille. Ces mmes phrases seroient commu-niques en 24 minutes une distance double de la premire. En33 minutes, elles parviendroient 50 mille. La transmission unedistance de 100 mille ne ncessiteroit que 12 minutes de plus.

    Parmi la multitude dapplications utiles, dont cette dcouverte estsusceptible, il en est une qui, dans les circonstances prsentes, estde la plus haute importance. Elle offre un moyen certain dtablirune correspondance telle que le Corps Lgislatif puisse faire par-venir ses ordres nos frontires et en recevoir la rponse pendantla dure dune mme sance.

    Ce nest point sur une simple thorie que je fonde ces assertions.Plusieurs expriences tentes la distance de dix mille, dans ledpartement de la Sarthe, et suivies du succs, sont pour moi desrs garants de la russite. Les procs-verbaux ci-joints, dressspar deux municipalits, en prsence dune foule de tmoins, enattestent lauthenticit. Lobstacle qui me sera le plus difficile vaincre sera lesprit de prvention avec lequel on accueille or-dinairement les faiseurs de projets. Je naurois jamais pu mleverau-dessus de la crainte de leur tre assimil, si je navois t sou-tenu par la persuasion o je suis que tout citoyen franais doit,dans ce moment plus que jamais, son pays le tribut de tout cequil croit lui tre utile.

    Je demande donc, Messieurs, que lAssemble Nationale renvoye lun de ses comits lexamen des objets que jai lhonneur devous annoncer, afin quil nomme des commissaires pour en con-stater les effets, par une exprience qui sera dautant plus facile faire quen lexcutant pour un distance de 8 10 mille, on se-ra porte de se convaincre quelle peut sappliquer tous lesespaces. Je la ferai au surplus toutes les distances que lon vou-dra mindiquer, et je ne demande, en cas de russite, qu treindemnis des frais quelle aura occasionns.

    Mr. President,

    I have come to offer to the National Assembly the tribute of a dis-covery that I believe to be useful to the public cause. This discove-ry provides a simple method for rapidly communicating over greatdistances, anything that could be the subject of a correspondence.The report of an event or an occurrence could be transmitted, bynight or by day, over more than 40 miles in under 46 minutes. Thistransmission takes place almost as rapidly over a much larger di-stance (the time required for the communication does not increaseproportionally with the distance).

    I can, in 20 minutes, transmit over a distance of 8 to 10 miles, thefollowing, or any other similar phrase: Lukner has left for Monsto besiege that city. Bender is advancing for its defense. The twogenerals are present. Tomorrow the battle will start. These samephrases are communicated in 24 minutes over a distance twicethat of before; in 33 minutes they cover 50 miles. The transmissionover a distance of 100 miles requires just 12 minutes more.

    Among the many useful applications for which this discovery canbe used, there is one that, under the present circumstances, is ofthe greatest importance. It offers a reliable way of establishing acorrespondence by which the legislative branch of the governmentcould send its orders to our frontiers, and receive a response fromthere while still in session.

    My assertions are not just based on a simple theory. Many suc-cessful experiments, held at a distance of 10 miles, in the Sar-the department, are for me a certain guarantee that this can beaccomplished. The attached affidavits, drawn up at two munici-palities, in the presence of a range of witnesses, attest to its au-thenticity. The obstacle that seems to me to be the most difficultto overcome is the popular suspicion that usually confronts tho-se who pursue projects such as these. I could never have escapedfrom the fear that has overtaken them, if I was not sustained bythe conviction that I should, as every French citizen, today morethan ever, contribute to his country what he can.

    I ask, Sirs, that the Assembly submit to one of its committees theexamination of this project that I have the honor to announce toyou, so that they can appoint delegates to observe the results ofan experiment readily performed at a distance of 8 to 10 miles,and convince themselves that the same can be accomplished atany distance. I will perform this experiment, and in addition, atany distance that is requested, and I ask only, in case of success,to be reimbursed for the expenses that are made.

    Abb. 1.7: Chappes Einreichung aus dem Jahr 1792, links im Original [44] und rechts in der bersetzung aus [40]

  • 22 1 Geschichte der Nachrichtentechnik

    A a B b C c D E e F f

    G g H h I i K k L l M

    m N n O o P p Q q R r

    S s T t U u V v W w Z

    z J j Ch ch

    Sch sch , ; ? ! . : ( ) 1

    2 3 4 5 6 7 8 9 0

    Indikator

    Regulator

    Indikator

    Gegengewicht

    Kurbelsteuerung

    Abb. 1.8: Auszug aus dem preuischen Semaphoren-Alphabet (nach [43])

    1803 wurde die Linie Paris Lille nach Brssel und Boulogne erweitertund 1804 das sdstlich von Paris gelegene Dijon und Lyon erschlossen(Abbildung 1.9 links).

    In den Folgejahren wurde das Netz auf die sdlichen Landesteile ausge-dehnt und nach Norden und Osten ber die Grenzen Frankreichs hinauserweitert (Abbildung 1.9 rechts). Um 1845 erstreckte sich die nrdli-che Telegrafenlinie bereits nach Amsterdam, und im Osten waren dieitalienischen Stdte Turin, Mailand und Venedig angebunden. ber Eu-ropa verbreitete sich ein zunehmend dichter werdendes Netzwerk, dasdie bertragung ber immer lngere Entfernungen gestattete. Das me-chanische Internet nahm Gestalt an.

    All dies hatte Claude Chappe nicht mehr erlebt. Im Jahr 1845 jhrte sichsich sein frher Freitod bereits zum vierzigsten Mal.

  • 1.2 Das mechanische Internet 23

    Paris

    Lille

    Brest

    ChlonsMetzStrasbourg

    Dijon

    Lyon

    Boulogne

    Brssel

    Huningue

    Eu

    Paris

    Lille

    Tours

    Bordeaux

    Toulouse

    Peripgnan

    Brest

    Toulon

    ChlonsMetz

    Strasbourg

    DijonBesancon

    Lyon

    Nantes

    Avranches

    Cherbourg

    Boulogne

    MontpellierMontpellierMontpellierMarseille

    AvignonNarbonne

    Bayonne

    Calais !Antwerpen, Amsterdam

    BrsselMainz !

    Turin" Mailand

    Venedig

    Huningue

    Abb. 1.9: Das Semaphoren-Netzwerk um 1805 (links) und 1845 (rechts) [40]

    1.2.2 Klappentelegrafen

    Zur selben Zeit, als der Chappesche Semaphoren-Telegraf das euro-pische Festland berzog, wurde auf der britischen Insel fieberhaftan alternativen bertragungsapparaturen gearbeitet. Experimente wur-den mit sogenannten Shutter-Telegrafen durchgefhrt. Hier wird ein zubertragendes Zeichen mithilfe von Klappen (shutter) codiert, die berSeilzge bewegt wurden und in zwei verschiedenen Positionen arretiertwerden konnten (sichtbar, nicht sichtbar). Shutter-Telegrafen arbeitetendamit nach dem gleichen Prinzip wie moderne Computer heute. Symbo-le wurden im Binrsystem dargestellt und nicht, wie beim ChappeschenSemaphoren-Telegraf, mithilfe geometrischer Figuren.

    Zwei Varianten des Shutter-Telegrafen wurden durch den Briten JohnGamble erprobt (Abbildung 1.10). Sein erster Entwurf sah fnf Klap-pen vor, die senkrecht bereinander angeordnet waren. Damit waren32 verschiedene Kombinationen darstellbar, allerdings hatte die Anord-nung den Nachteil, dass die drei mittleren Klappen aus grerer Entfer-nung nicht mehr deutlich voneinander unterschieden werden konnten.Als Abhilfe konstruierte Gamble einen Shutter-Telegrafen mit nur noch4 Klappen. Die Klappenstellungen waren jetzt ber grere Distanzensichtbar, dafr reichten die verbliebenen 16 Kombinationen jetzt nicht

  • 24 1 Geschichte der Nachrichtentechnik

    Fnf-Klappen-Telegraf

    A B C D E L M N

    O P U W X Y Z

    Vier-Klappen-Telegraf

    A B+P D+T E+I F G H K+C

    L M N O R S+C V+U+W

    Abb. 1.10: Optische Telegrafen nach den Entwrfen von John Gamble aus dem Jahr 1795

    mehr aus, um das komplette Alphabet zu codieren. Um trotzdem ge-whnliche Nachrichten bertragen zu knnen, nutzte Gamble aus, dassTexte auch dann noch korrekt verstanden werden, wenn ein Buchstabedurch einen hnlich klingenden ausgetauscht wird. Indem er phonetischverwandte Buchstaben mit dem gleichen Codewort belegte, konnte ermit den 16 Bitmustern einen praktikablen Code konstruieren.

    Im Jahr 1785 beschloss die englische Admiralitt den Bau einer Te-legrafenlinie zwischen London und der Hafenstadt Deal, nrdlich vonDover. Zur berraschung vieler wurde keiner von Gambles Entwrfen

  • 1.2 Das mechanische Internet 25

    A B C D E F G

    I K L M N O P

    R S T V W X Y

    H

    Q

    Z

    Abb. 1.11: Optischer Telegraf nach Lord Murray

    gewhlt. Stattdessen entschied man sich, die Telegrafenstationen nachden Plnen des anglikanischen Bischofs Lord George Murray zu er-richten. Anders als der Gamble-Telegraf nutzte der Murray-Telegraf 6Klappen zur Codierung der Symbole, die in zwei Spalten mit jeweilsdrei Klappen angeordnet waren (Abbildung 1.11). Der Murray-Telegrafkonnte sich in der Praxis behaupten, und ein Jahr spter wurde eine Li-nie von London nach Portsmouth errichtet. 1805 wurde sie nach Westenin die Stadt Plymouth und 1808 nach Osten in die Stadt Yarmouth ver-lngert.

    Im Gegensatz zum Semaphoren-Telegrafen war dem Shutter-Telegrafennur ein kurzes Leben beschert. Die englischen Telegrafenlinien wur-den ausschlielich zur bertragung militrischer Nachrichten genutztund nach dem 1814 geschlossenen Pariser Frieden und der VerbannungNapoleons von vielen als bedeutungslos erachtet. In der Folge wurdendie Telegrafenlinien auer Betrieb genommen und die Stationen ihremSchicksal berlassen. Nach der Rckkehr Napoleons war es dann zuspt: Die Stationen waren bereits so verwildert, dass man sich gegeneine Instandsetzung entschied. Stattdessen wurde eine neue Linie er-richtet, die dem Chappeschen Semaphoren-Netzwerk sehr hnlich war.An einem senkrechten Mast waren drei Indikatoren angebracht, die un-abhngig voneinander in verschiedene Winkelstellungen gebracht wer-den konnten. Auf einen Regulator, wie er beim Chappe-Telegrafen zumEinsatz kam, wurde verzichtet.

  • William Gilbert(1544 1603)

    Titelbild der zweiten Auflage vonDe Magnete aus dem Jahr 1628

    Abb. 1.12: Die im Jahr 1600 in Latein ver-fasste Schrift De Magnete ist das Haupt-werk von William Gilbert. Sie war die ersteAbhandlung, die sich systematisch mit denPhnomenen des Magnetismus beschftig-te, und wird, wegen ihrer wissenschaftli-chen Strenge, von vielen als ein wegberei-tendes Werk fr die moderne Physik undAstronomie angesehen.

    26 1 Geschichte der Nachrichtentechnik

    Heute ist kaum noch etwas von den optischen Telegrafennetzwerken zusehen, die einst weite Teile Europas berzogen. Von ein paar Erinne-rungssttten abgesehen, sind die unzhligen im Laufe der Zeit errich-teten Relaisstationen aus dem Landschaftsbild verschwunden. Es sindOrtsbezeichnungen wie Telegraph hill, die als letzte verbliebene Zeugenstill an diese bewundernswerte ra der Nachrichtentechnik erinnern.

    1.3 Elektrische Nachrichtenbertragung

    Etliche Naturphnomene, die auf den Wirkungsmechanismen der Elek-trizitt beruhen, sind der Menschheit schon lange bekannt. So mach-te der griechische Philosoph Thales von Milet bereits 550 v. Chr. dieEntdeckung, dass Bernstein1 leichte Gegenstnde anzuziehen vermag,wenn er zuvor mit einem Tuch abgerieben wurde [49].

    Die systematische Untersuchung elektrischer und magnetischer Phno-mene begann im sechzehnten Jahrhundert durch den englischen ArztWilliam Gilbert [33] (Abbildung 1.12), und im siebzehnten Jahrhundertwurden die ersten Maschinen gebaut, die durch das Prinzip der Rei-bungselektrizitt hohe Spannungen erzeugten. Noch war man zu dieserZeit weit davon entfernt, die physikalischen Zusammenhnge zu verste-hen, die sich hinter den kuriosen Erscheinungen verbargen.

    Betrachten wir die Entwicklung der Nachrichtenbertragung aus derFerne, so erscheint die Ablsung der optischen Telegrafie durch dieelektrische als eine Entwicklung des gewhnlichen Fortschritts. InWirklichkeit gehen die Wurzeln der elektrischen Telegrafie jedoch aufeine Zeit zurck, in der die erste optische Semaphoren-Station noch garnicht errichtet war. Bereits im Jahr 1753 publizierte das Scots Magazinein seiner Februar-Ausgabe den Brief eines gewissen C. M., in dem dienahezu vollstndige Beschreibung eines elektrischen Telegrafen nach-zulesen ist. Der Brief beginnt mit den folgenden Worten:

    Sir, It is well known to all who are conversant in electricalexperiments, that the electric power may be propagated along asmall wire, from one place to another, without being sensibly aba-ted by the length of its progress. Let, then, a set of wires, equal innumber to the letters of the alphabet, be extended horizontallybetween two given places, parallel to one another, and each ofthem about an inch, distant from that next to it. At every twentyyards end let them be fixed in glass or jewelers cement to some

    1Das griechische Wort fr Bernstein ist o, gesprochen elektron.

  • Alessandro Volta(1745 1827)

    ZinkElektrolytKupfer

    !

    + ! Minuspol

    Pluspol+

    Spannungs-geflle

    Abb. 1.13: Die Voltasche Sule ist der Vor-lufer der modernen Batterie. Der Italie-ner Alessandro Volta konstruierte sie ausmehreren in Reihe geschalteten galvani-schen Zellen, die aus einer Zinkplatte, einerKupferplatte und einer dazwischen liegen-den Elektrolytschicht bestanden. Dank die-ser bemerkenswerten Erfindung war es abdem Jahr 1800 mglich, einen kontinuierli-chen Stromfluss zu erzeugen.

    1.3 Elektrische Nachrichtenbertragung 27

    firm body, both to prevent them from touching the earth or anyother non-electric, and from breaking by their own gravity. Letthe electric gun-barrel be placed at right angles with the extremi-ties of the wires, and about one inch below them. Also let the wiresbe fixed in a solid piece of glass at six inches from the end, andlet that part of them which reaches from the glass to the machinehave sufficient spring and stiffness to recover its situation afterhaving been brought in contact with the barrel. Close by the sup-porting glass let a ball be suspended from every wire; and abouta sixth or an eighth of an inch below the balls place the lettersof the alphabet, marked on bits of paper, or any other substancethat may be light enough to rise to the electrified ball, and at thesame time let it be so continued that each of them may reassumeits proper place when dropped.

    Bis heute ist nicht zweifelsfrei geklrt, wer sich hinter den Initialen C.M. verbirgt [40].

    Die Vorteile eines elektrisch arbeitenden Kommunikationsnetzes liegenauf der Hand. Whrend z. B. das Chappesche Semaphoren-Netzwerknur am Tage bei guten Sichtverhltnissen zuverlssig betrieben werdenkonnte, ist ein elektrisches Kommunikationsnetz rund um die Uhr ver-fgbar, bei guten Witterungsbedingungen genauso wie bei schlechten.Ferner bentigt ein elektrisches Netzwerk weniger Relaisstationen undlsst sich daher kostengnstiger und weniger fehleranfllig betreiben.

    Den verlockenden Vorteilen zum Trotz war der elektrischen Telegrafiekein schneller Erfolg vergnnt. Gegen Ende des achtzehnten Jahrhun-derts war die technologische Entwicklung noch nicht weit genug ge-diehen, um die Vorzge der Elektrizitt praktisch zu nutzen. Erst mitder Voltaschen Sule war man in der Lage, kontinuierliche Stromflssezu erzeugen. Mit dieser bahnbrechenden Erfindung aus dem Jahr 1800hatte der italienische Physiker Alessandro Volta den Grundstein fr diesystematische Erforschung der Elektrizitt gelegt (Abbildung 1.13).

    Einer der ersten, der sich die Voltasche Sule fr die elektrische Te-legrafie zu Nutze machte, war der deutsche Anatomieprofessor Samu-el Thomas von Soemmerring. Im Jahr 1809 demonstrierte er vor denMitgliedern der Kniglichen Akademie der Wissenschaften in Mn-chen, wie sich Textnachrichten auf elektrischem Weg bertragen lassen(Abbildung 1.14). Seine Apparatur bestand aus insgesamt 35 separatenLeitungen: eine fr jeden Buchstaben des Alphabets und eine fr jedeDezimalziffer2. Auf der Empfngerseite waren die Stromleitungen mitElektroden verbunden, die in ein Wasserbad eingelassen waren.

    2Tatschlich hielt der Soemmerring-Telegraf nur fr 25 der 26 Buchstaben eine Lei-tung vor. Der Buchstabe X konnte nicht bertragen werden.

  • Samuel Thomas von Soemmerring(1755 1830)

    ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWYZ1234567890

    ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWYZ1234567890

    Wassertank

    Volta'sche Sule

    Sender

    Empfnger

    Abb. 1.14: Der Soemmerring-Telegraf ge-hrte zu den ersten Apparaturen, die Nach-richten mithilfe des elektrischen Stromsbertrugen. Um die ankommenden Zeichensichtbar zu machen, bediente sich Soem-merring des Prinzips der Elektrolyse. Auf-steigende Blschen verrieten, ber wel-che Elektroden der Stromkreis geschlossenwurde.

    28 1 Geschichte der Nachrichtentechnik

    Mit dem Soemmerring-Telegrafen konnten Zeichen paarweise bertra-gen werden. Hierzu wurden auf der Senderseite zwei Leitungen mit denbeiden Polen der Voltaschen Sule verbunden; eine der beiden fungier-te als Hinleiter und der andere als Rckleiter. Das Schlieen des Strom-kreises hatte zur Folge, dass ber den betreffenden Elektroden auf derEmpfngerseite Blschen aufstiegen. Die zugehrigen Symbole wurdennotiert und die Nachricht Buchstabenpaar fr Buchstabenpaar rekon-struiert. Spter hatte Soemmerring seinen Telegrafen weiter verbessert.Er stattete ihn mit einem gemeinsamen Rckleiter aus, so dass Buch-staben nicht nur paarweise, sondern auch einzeln bertragen werdenkonnten. Ferner montierte er eine spezielle Kippvorrichtung, die durchdas Senden der Buchstabenkombination BC aktiviert wurde und miteiner Klingel verbunden war. Gedacht war die Klingelvorrichtung, umden Beginn einer Nachrichtenbertragung zu signalisieren.

    Der Soemmerring-Telegraf ist eine trickreiche Konstruktion und ver-deutlicht auch gerade deshalb ein groes Problem seiner Zeit. Mit derVoltaschen Sule war es zwar mglich, einen kontinuierlichen Strom-fluss zu erzeugen, allerdings fehlten die technischen Mittel, diesen aufeinfache Weise sichtbar zu machen. Die Glhlampe war noch langenicht erfunden, und so sah Soemmerring zur damaligen Zeit keine an-dere Mglichkeit, als sich des chemischen Prinzips der Elektrolyse zubedienen. Fr eine praktische Nutzung war sein Telegraf hierdurch vielzu langsam, und es vergingen mehr als 10 Jahre, bis eine Reihe bahnbre-chender Entdeckungen den Traum von einem elektrischen Telegrafen ingreifbare Nhe rcken lie.

    Den Anfang machte der Dne Hans Christian rsted im Jahr 1820. Erbeobachte, dass sich Magnetnadeln durch elektrische Strme auslenkenlassen, und hatte damit eine einfache Methode gefunden, um flieendeStrme sichtbar zu machen. In kurzen Abstnden folgten weitere histo-rische Entdeckungen. Der Franzose Andr-Marie Ampre wiederholtedie Versuche von rsted und schaffte es, die beobachteten Phnomenedurch eine mathematische Theorie zu erklren. 1824 gelang dem engli-schen Physiker William Sturgeon der Bau des ersten Elektromagneten,und ein Jahr spter formulierte Georg Simon Ohm jenen elementarenZusammenhang zwischen Stromstrke, Spannung und Widerstand, denwir heute als das Ohmsche Gesetz bezeichnen.

    Die wachsende Fhigkeit, elektrische und magnetische Phnomene zuverstehen, zu messen und zu kontrollieren, fhrten zu massiven Ver-nderungen in nahezu allen Bereichen der Wissenschaft und Technik.Auch die Vorste, die neu gewonnenen Erkenntnisse auf dem Ge-biet der Nachrichtenbertragung praktisch zu verwerten, sollten alsbaldFrchte tragen.

  • 1.3 Elektrische Nachrichtenbertragung 29

    a

    e

    i

    o

    u

    b

    c, k

    d

    f, v

    g

    h

    l

    m

    n

    p

    r

    s

    t

    w

    z

    0

    1

    2

    3

    4

    5

    6

    7

    8

    9

    Carl Friedrich Gau(1777 1855)

    Wilhelm Eduard Weber(1804 1891)

    Abb. 1.15: Telegrafencode von Gau und Weber (nach [74])

    1.3.1 Nadeltelegrafen

    Zu den ersten, die sich der neuen Erkenntnisse auf dem Gebiet des Elek-tromagnetismus bedienten, gehrten der deutsche Mathematiker CarlFriedrich Gau und der Physiker Wilhelm Eduard Weber. Als Senderbenutzten die beiden Professoren einen Magnetstab, der in einer Spu-le eingebettet war und bei jeder Bewegung einen elektrischen Impulserzeugte. Durch ein Kabel wurden die Impulse an den Empfnger ber-tragen, wo sie einen beweglichen Spiegel leicht nach links oder rechtsdrehten. Die ausgelste Bewegung war zwar minimal, mit einem in fnfMeter Entfernung platzierten Teleskop aber gut zu beobachten.

    Genau wie im Falle der optischen Telegrafie sahen Gau und Weber vor,Textnachrichten zeichenweise zu bertragen. Fr diesen Zweck ersan-nen sie einen eigenen Binrcode, der jedes Zeichen durch eine Folgevon linken und rechten Spiegelbewegungen darstellt (Abbildung 1.15).

    Gau und Weber nahmen ihre Apparatur zunchst im Labor in Be-trieb. Spter verlegten sie ein ca. 1,2 km langes Kupferkabel ber denDchern von Gttingen, um die bertragung ber lngere Distanzenzu testen. Ausgangspunkt war das physikalische Kabinett Webers. Vondort verlief das Kabel zum Turm der Johanniskirche ber das Accou-chierhaus bis hinein in das Arbeitszimmer von Gau in der GttingerSternwarte.

  • William Fothergill Cooke(1806 1879)

    Abb. 1.16: Zusammen mit Charles Wheat-stone baute William Fothergill Cooke einender ersten praxistauglichen elektrischen Te-legrafen.

    30 1 Geschichte der Nachrichtentechnik

    Was Gau und Weber erfanden, war nichts Geringeres als der ersteelektromagnetische Telegraf der Welt. Eine groe Zukunft war diesemjedoch nicht beschert; die beiden Professoren hatten ihre Versuchsan-ordnung aus wissenschaftlichem Interesse gebaut und waren an keinerkommerziellen Nutzung interessiert.

    Ein anderer, der das Prinzip des Elektromagnetismus fr die bertra-gung von Nachrichten einzusetzen versuchte, war Paul Ludwig Schil-ling von Cannstatt. In den Jahren 1809 1811 assistierte er Soem-merring beim Bau des elektrolytischen Telegrafen und fhrte die For-schungsarbeiten spter eigenstndig fort. Nach mehreren gescheitertenVersuchen, die Soemmerringsche Apparatur zu verbessern, verwarf erdas Prinzip der Elektrolyse und wandte sich der Entwicklung elektro-magnetischer Telegrafen zu. In dieser Zeit entstanden mehrere Prototy-pen, die ein bertragenes Zeichen ber bewegliche Magnetnadeln co-dierten. Der bekannteste seiner Entwrfe war ein Fnf-Nadel-Telegraf,den er am 23. September 1835 auf der Jahresversammlung der Gesell-schaft Deutscher Naturforscher und rzte in Bonn vorfhrte. Einer derAnwesenden war der Physikprofessor Georg Wilhelm Munke. Von demNadeltelegrafen tief beeindruckt, lie er mehrere Kopien anfertigen,und verwendete diese fortan als Demonstrationsobjekte in der Lehre.Schilling von Cannstatt konnte die groen Plne, die er mit seinem Te-legrafen damals im Sinn hatte, nicht mehr realisieren. Nach seinem fr-hen Tod im Jahr 1837 wurden alle in Planung befindlichen Projektegestoppt.

    Trotzdem sollte seine Erfindung die weitere Entwicklung der Nach-richtenbertragung nachhaltig beeinflussen. Munkes Vorlesung wurdevon vielen angehenden Wissenschaftlern besucht und der Nadeltele-graf auf diese Weise vor dem Vergessen bewahrt. Zu den Hrern sei-ner Vorlesung gehrte auch der Brite William Fothergill Cooke (Abbil-dung 1.16). Er erkannte das groe Potenzial des Nadeltelegrafen und be-gann umgehend mit der Entwicklung eigener Prototypen. Bereits nachdrei Wochen war das erste Ergebnis greifbar: Cooke hatte einen Te-legrafen mit drei Nadeln konstruiert, die ber 6 elektrische Leitungenunabhngig voneinander ausgerichtet werden konnten. Die im Labordurchgefhrten Versuche verliefen vielversprechend, doch die eigentli-che Bewhrungsprobe stand noch aus: die bertragung von Nachrich-ten ber groe Distanzen.

    Anders als heute waren lange elektrische Leiter damals schwer zu be-schaffen und so musste Cooke diesen entscheidenden Test bis zu seinerRckkehr nach England aufschieben. Dort stand ihm ein 1,6 km langesKabel zur Verfgung, mit dem er seine Experimente wiederholte. DieErgebnisse waren erschtternd: Whrend seine Apparatur ber kurze

  • Joseph Henry (1797 1878)

    Abb. 1.17: Dem Amerikaner Joseph Henryverdanken wir wertvolle Erkenntnisse aufdem Gebiet des Elektromagnetismus. Ohneseine bahnbrechenden Entdeckungen wreder Bau des elektrischen Telegrafen nichtmglich gewesen.

    1.3 Elektrische Nachrichtenbertragung 31

    187813 Mai

    179717Dez

    Joseph Henry wurde am 17. Dezem-ber 1797 in Albany, im BundesstaatNew York, geboren. Aufgewachsenist Henry in rmlichen Verhltnissen,

    und bereits in jungen Jahren musste er den Tod seines Va-ters verkraften. Im Alter von 13 machte er eine Ausbildungals Uhrmacher und Silberschmied. Seine Leidenschaft frdie Wissenschaft entdeckte er mit 16, als er durch Zufall dasBuch Lectures on Experimental Philosophy im Bcherregalder Kirche ersphte. 1919 besuchte er die Albany Academyund sicherte sich mit verschiedenen Lehrttigkeiten seine fi-nanzielle Existenz.Henrys auerordentliche Begabung ebnete ihm den Weg freine makellose wissenschaftliche Karriere. 1826 wurde erProfessor fr Mathematik und Naturphilosophie an der Al-bany Academy, wo er einige seiner wichtigsten Entdeckun-gen machte. Unzhlige akribisch durchgefhrte Experimen-te halfen ihm, das komplizierte Wechselspiel zwischen elek-trischen und magnetischen Krften zu verstehen und fr denBau leistungsfhiger Elektromagneten nutzbar zu machen.1832 berief ihn das Princeton College fr seine wegbereiten-den Entdeckungen zum Professor der Naturwissenschaften.

    1846 wurde er der erste Sekretr der Smithsonian Institutionin Washington, D.C., und noch heute ist sein Name eng mitdieser altehrwrdigen Forschungs- und Bildungseinrichtungverbunden.Die Geschichte der Nachrichtenbertragung ist auf vielfl-tige Weise mit dem Lebensweg von Joseph Henry verwo-ben. Zum einen zeichnet Henry fr einen groen Teil derGrundlagenforschung verantwortlich, ohne die kein elektri-scher Telegraf jemals htte gebaut werden knnen. Zum an-deren trat er gleich mehrmals als Ideenvermittler auf. Er wares, der Cooke und Morse das Problem der langen Leitung l-sen lie, und er war es auch, der etliche Jahre spter GrahamBell mit den Entwrfen von Philipp Reis vertraut machteund damit wichtige Impulse fr den Bau des ersten Telefonslieferte.Joseph Henry starb in Washington, D.C., am 13. Mai 1878,im Alter von 80 Jahren. Bereits zu Lebzeiten war er ein ge-feierter Wissenschaftler, doch die grte Auszeichnung wur-de ihm posthum durch den International Electrical Congressim Jahr 1893 verliehen. Seit diesem Jahr messen wir die In-duktivitt eines stromdurchflossenen Leiters in der EinheitH fr Henry.

    Distanzen nahezu perfekt arbeitete, schlugen alle Versuche, Nachrich-ten ber lngere Entfernungen zu bertragen, fehl. Cooke bemhte sichverzweifelt, seine Apparatur zu verbessern, doch es gelang ihm nicht,das Problem der langen Leitung zu lsen. Nach zahllosen gescheitertenVersuch war sein Traum, Nachrichten ber groe Entfernungen elek-trisch zu telegrafieren, in weite Ferne gerckt.

    Cooke ahnte nicht, dass man fr das Problem der langen Leitung aufder anderen Seite des Atlantiks bereits seit lngerem eine Lsung inHnden hielt. Im Jahr 1829 hatte der amerikanische Physiker JosephHenry (Abbildung 1.17) entdeckt, dass die bertragung dann funktio-niert, wenn anstelle einer einzigen, groen Batterie, mehrere kleine, inReihe geschalteten Batterien verwendet werden. Cooke erfuhr von die-sen Ergebnissen indirekt, bei einem Treffen mit dem britischen Physi-ker Charles Wheatstone (Abbildung 1.18). Der Physikprofessor hattedie fachliche Expertise, die Cooke so dringend bentigte, doch an ei-ner kommerziellen Vermarktung war er zunchst nicht interessiert. Inder Folge entstand eine Partnerschaft, die menschlich schwierig, aberkonomisch erfolgreich war.

    Abbildung 1.19 zeigt eines ihrer berhmtesten Ergebnisse, den fiveneedle telegraph. Den wichtigsten Teil der Konstruktion bildete ein rau-

  • Charles Wheatstone (1802 1875)

    Abb. 1.18: Der britische Physiker CharlesWheatstone war der Geschftspartner vonWilliam Fothergill Cooke. Er steuerte diefachliche Expertise fr den Bau des Nadel-telegrafen bei.

    32 1 Geschichte der Nachrichtentechnik

    187925Jun

    18064 Mai

    Sir William Fothergill Cooke wurdeam 4. Mai 1806 in Ealing als Sohndes englischen AnatomieprofessorsWilliam Cooke geboren. Nach meh-

    reren Jahren im Dienste des britischen Militrs im indischenMadras nahm Cooke das Studium der Anatomie auf, wo erin einer von Munkes Vorlesungen den Schillingschen Te-legrafen in Aktion erleben durfte. Von der Demonstrationtief beeindruckt, nderte er seine Plne und verschrieb sichfortan der elektrischen Telegrafie.Da Cooke nur wenige Kenntnisse auf dem Gebiet der Elek-trizitt besa, stand er schon bald vor einer Reihe techni-scher Probleme, die er nicht alleine lsen konnte. Erst durchdie Partnerschaft mit Charles Wheatstone gelang es ihm,diese Hrden zu nehmen.Die Telegrafen von Cooke und Wheatstone markieren einenMeilenstein in der Geschichte der Nachrichtenbertragung,und 1869 wurde Cooke fr seine Verdienste zum Ritter ge-schlagen. Leider hatte sich sein Leben in den Jahren zuvornicht wie erhofft entwickelt. Er war in finanzielle Nte gera-ten, von denen er sich bis zu seinem Lebensende nicht mehrerholen konnte. Cooke starb am 25. Juni 1879 als verarmterMann.

    187519 Okt

    18026 Feb

    Sir Charles Wheatstone wurde am 6.Februar 1802 in der Nhe von Glou-cester geboren. Er ging als bedeuten-der Forscher des neunzehnten Jahr-

    hunderts in die Geschichte ein und hinterlie ein gewich-tiges wissenschaftliches Vermchtnis. Zu seinen bekann-testen Erfindungen gehren das Stereoskop, die Playfair-Verschlsselung und die Wheatstonesche Brcke fr dieMessung von elektrischen Widerstnden.Als Geschftspartner von Cooke spielte er eine bedeutendeRolle in der Geschichte des elektrischen Telegrafen. Er wares, der die fachliche Expertise beisteuerte, ohne die Coo-ke seine Vision nicht htte umsetzen knnen. Leicht wardie Zusammenarbeit nicht. Wheatstone war eine schwie-rige Persnlichkeit, und die Partnerschaft mit Cooke wardurch fortwhrende Differenzen geprgt. Nach auen hinwurde Wheatstone von vielen als ruhig und zurckhaltendbeschrieben, gleichsam wurde ihm ein verbissenes Strebennach Ruhm und Anerkennung attestiert [83].In akademischer Hinsicht war Wheatstone ein honorierterMann. Bereits 1836 wurde er in die Royal Society aufge-nommen und in den Folgejahren mehrfach ausgezeichnet.Im Jahr 1868 erhielt er den Ritterschlag.

    tenfrmiges Brett, auf dem fnf bewegliche Nadeln befestigt waren.Die Nadeln waren in ihrer neutralen Position vertikal ausgerichtet undkonnten durch das Anlegen einer elektrischen Spannung nach links oderrechts gedreht werden. Um ein Zeichen zu bertragen, wurde die Appa-ratur so angesteuert, dass eine Nadel nach links und eine andere Nadelnach rechts ausschlug. Hierdurch wurden zwei Diagonalen ausgewhlt,an deren Schnittpunkt das codierte Zeichen annotiert war. Da sich aufdiese Weise genau 20 Zeichen codieren lassen, konnte der Nadeltele-graf nicht das gesamte Alphabet erfassen. Ein Blick auf das Rautenbrettzeigt, dass sich die Buchstaben C, J, Q, U, X und Z nichtbertragen lieen.

    Eingesetzt wurde der Nadeltelegraf von der Great Western RailwaysCompany, die Cooke und Wheatstone mit dem Bau einer 21 km lan-gen Telegrafenlinie zwischen Paddington Station in London und WestDrayton beauftragte. Am 9. Juli 1839 wurde der Bau beendet und dieTelegrafenlinie offiziell in Betrieb genommen.

    In der Folgezeit entwickelten Cooke und Wheatstone ihre Erfindungkontinuierlich weiter. Auf den Fnf-Nadel-Telegrafen folgte eine Ap-paratur mit nur zwei Nadeln; spter kam der Zeigertelegraf hinzu, der

  • 1.3 Elektrische Nachrichtenbertragung 33

    Nadelpositionen

    A

    B

    D

    E

    F

    G

    H

    I

    K

    L

    Nadelpositionen

    M

    N

    O

    P

    R

    S

    T

    V

    W

    Y

    A

    B D

    E G

    H I K L

    Y

    N O

    SR T

    M

    V W

    P

    F

    54321

    Abb. 1.19: Fnf-Nadel-Telegraf von Cooke und Wheatstone

    nur noch eine einzige Nadel besa. Mit ihm konnten Codewrter zwarnur noch sequenziell, dafr aber schneller und zuverlssiger bertragenwerden. Obgleich sich die verschiedenen Varianten des Nadel- und desZeigertelegrafen von Cooke und Wheatstone in der Praxis gut bewhr-ten, kamen sie auerhalb der britischen Insel nicht zum Einsatz, dennden Rest der Welt sollte schon bald ein anderer Telegraf dominieren.

    1.3.2 Der Morse-Telegraf

    Bereits den fnften Tag in Folge bliesen die Winde stoisch landeinwrts,und so lag die Sully noch immer fest vertut an ihrem Anlegeplatz. Dochdann, am 6. Oktober 1832, war es so weit: Die Winde hatten gedrehtund machten den Weg fr die so ungeduldig erwartete Atlantikberque-rung frei [18]. Die Sully war ein schnelles Schiff und schaffte die Reisevon Le Havre nach New York in 6 Wochen. Ihre Hauptaufgabe warder Posttransport, daneben bot sie Platz fr eine geringe Zahl betuchterPassagiere. An Bord war dieses Mal ein ganz besonderer Reisegast: deramerikanische Kunstprofessor Samuel F. B. Morse (Abbildung 1.20).

  • Samuel Finley Breese Morse(1791 1872)

    Abb. 1.20: Vater der Telegrafie. SamuelMorse in jungen Jahren.

    34 1 Geschichte der Nachrichtentechnik

    18722 Apr

    179127 Apr

    Samuel Finley Breese Morse wurdeam 27. April 1791 in Charlestown,Massachusetts, geboren. Von 1805bis 1810 besuchte er das College in

    Yale und begann anschlieend eine Ausbildung als Buch-hndler. Ein Jahr spter nderte er seine Plne und schriebsich an der Royal Academy of Arts in London als Kunststu-dent ein. 1815 kehrte Morse in die USA zurck und schafftees in den Folgejahren mehrfach, die ffentlichkeit fr seinknstlerisches Talent zu interessieren. Mit seinem kontinu-ierlich wachsenden Bekanntheitsgrad stieg auch sein Ein-fluss. 1835 wurde Morse von der New York University zumProfessor berufen und von der New York Drawing Associati-on zum Prsidenten gewhlt. Ein Jahr spter wurde er Grn-dungsmitglied und erster Prsident der National Academy ofDesign.Der Entschluss, einen elektrischen Telegrafen zu bauen, fielim Jahr 1832 an Bord der Sully, als Morse nach einem drei-jhrigen Europa-Aufenthalt in die USA zurckkehrte. FrMorse hatte die Errichtung eines effizienten Kommunika-tionsnetzes einen ganz persnlichen Hintergrund. 1825 er-krankte seine Frau whrend einer seiner Dienstreisen. DieNachricht hierber erreichte ihn allerdings so spt, dass ernicht einmal mehr der Beerdigung beiwohnen konnte.Sein ungewhnliches Durchhaltevermgen und seine Fhig-

    keit, sich mit den richtigen Leuten zu umgeben, fhrten Mor-se schlielich zum Erfolg. Sein Telegraf setzte sich gegendie konkurrierenden bertragungstechniken durch und ent-wickelte sich in kurzer Zeit zum weltweit fhrenden Kom-munikationsmedium. Den Aufstieg des Telegrafen konnteMorse noch viele Jahre miterleben. ber seine Patente undFirmenbeteiligungen hatte er ein Vermgen verdient und be-reits zu Lebzeiten zahlreiche Ehrungen erhalten.Im Jahr 1871 wurde im Central Park in New York eine Bron-zestatue zu Ehren Morses eingeweiht, die noch heute dort zubesichtigen ist. Ihren Hhepunkt erreichte die Einweihungs-feier um 9 Uhr Abends als eine Mitarbeiterin der WesternUnion Telegraph Company die folgenden Worte zu telegra-fieren begann: Greeting and thanks to the Telegraph frater-nity throughout the world. Glory to God in the Highest, onEarth Peace, Goodwill to men.Dann wurde ein alter Mann unter dem Jubel der Massen anden Telegrafiertisch begleitet. Er griff nach dem Sender undfhrte langsam, aber sicher die Nachricht zu Ende:

    ... . . ... .. ... ... .

    S F B Morse. Dies waren die letzten Worte, die SamuelMorse in seinem bewegten Leben telegrafierte. 10 Monatespter, am 2. April 1872, schied er im Alter von 80 Jahrenaus dem Leben.

    Morse hatte die USA 1829 fr drei Jahre verlassen, um sich in mehrereneuropischen Lndern der Kunst zu widmen. 1832 war das Jahr, in demer an Bord der Sully in die USA zurckkehrte. Niemand konnte ahnen,dass diese Schiffsreise sein weiteres Leben von Grund auf verndernwrde.

    Die Tage auf der Sully waren lang, und die mehrwchige Seereise botgenug Zeit, um mit den anderen Passagieren in lebhafte Diskussioneneinzusteigen. Dabei kam Morse mit dem amerikanischen Wissenschaft-ler Charles T. Jackson ins Gesprch. Anders als heute war es damals kei-ne Seltenheit, wissenschaftliche Themen zu diskutieren, und so wech-selte das Tagesgesprch irgendwann auf das Gebiet der noch jungenElektrizittslehre. Unter anderem berichtete Jackson, dass sich Stromohne Zeitverzgerung durch einen beliebig langen Leitungstrger hin-durch bewegt. Die Schilderungen hatten Morse nachhaltig beeindrucktund entfesselten in ihm eine visionre Idee:

    If this be so, and the presence of electricity can be madevisible in any desired part of the circuit, I see no reason

  • Abb. 1.21: Frher Prototyp des elektrischenTelegrafen von Samuel Morse

    Abb. 1.22: In Morses ersten Entwrfen be-stand ein permanenter Kontakt zwischenStift und Papier. Als Ergebnis entstandendie fr die frhen Morse-Telegrafen typi-schen Zickzackkurven.

    1.3 Elektrische Nachrichtenbertragung 35

    why intelligence might not be instantaneously transmittedby electricity to any distance.

    Samuel Morse [18]

    Morse wusste nicht, dass an anderer Stelle bereits fieberhaft an der Kon-struktion praxistauglicher elektrischer Telegrafen gearbeitet wurde. Ins-besondere wusste er nichts von den Problemen seiner Vorgnger, elek-trische Signale ber lange Distanzen zu bertragen. Morse war ber-zeugt, mit seiner visionren Idee der Erste zu sein und wahrscheinlichwar genau dies der Schlssel zum Erfolg. Wren ihm die Probleme sei-ner Vorgnger bekannt gewesen, so htte er seine Idee wohl gleich wie-der verworfen.

    Am 16. November 1832 erreichte die Sully den Hafen von New York.Auf dem Schiff hatte Morse noch von einer raschen Umsetzung seinerIdee getrumt, doch die Probleme des Alltags holten ihn schnell ein.Seine finanziellen Mittel waren so begrenzt, dass er die meiste Zeit da-mit beschftigt war, als Maler den dringend bentigten Lebensunterhaltzu verdienen. Fr den Bau seines elektrischen Telegrafen hatte er in denersten Jahren nach seiner Rckkehr weder Zeit noch Geld.

    Dies nderte sich im Jahr 1835 mit dem Ruf Morses an die New YorkUniversity. Jetzt hatte er als Professor ein gesichertes Einkommen undden notwendigen Freiraum fr die Umsetzung seines Projekts. In die-ser Zeit entstand sein erster Prototyp, eine vergleichsweise fragile Kon-struktion, die er aus Gegenstnden aus seinem Atelier zimmerte. Aneiner Staffelei befestigte Morse einen Stift, der durch einen Elektroma-gneten bewegt werden konnte (Abbildung 1.21). In seinen ersten Pro-totypen hatte der Stift zu jeder Zeit Kontakt mit einem Papierstreifen,der mittels eines absinkenden Gewichts langsam vorbeigezogen wurde.Durch das An- und Abschalten des Elektromagneten hinterlie der Stifteine Zickzackkurve auf dem Papier, wie sie in Abbildung 1.22 schema-tisch dargestellt ist.

    In den spteren Entwrfen war der Elektromagnet so angebracht, dasser den Stift anhob. Erst diese Maschinen produzierten die charakteristi-schen Folgen von Punkten und Strichen, die wir heute gedanklich mitdem Begriff des Morse-Telegrafen verbinden.

    In der ursprnglichen Sendeeinrichtung wurden die elektrischen Impul-se mithilfe spezieller Zackenbretter erzeugt. Morse hatte vorgesehen,ausschlielich die Ziffern 1 bis 5 zu bertragen und die Zahlenfolgenanschlieend anhand eines Codebuchs in Klartextnachrichten zu ber-setzen. Als praktikabel erwies sich seine Konstruktion nicht aber siefunktionierte.

  • Abb. 1.23: Erst in den spteren Entwrfendes Morse-Telegrafen hatte man die Positi-on des Elektromagneten so verndert, dassder Stift durch einen elektrischen Impulsangehoben wurde. Auf diese Weise ent-stand das typische Muster von Punkten undStrichen, das wir heute mit dem Begriff desMorse-Telegrafen verbinden.

    36 1 Geschichte der Nachrichtentechnik

    Morses grtes Problem war ein anderes: Wider seiner Erwartung funk-tionierte die bertragung nur auf kurzen Strecken, und schon ab einerLeitungslnge von 10 m quittierte der Telegraf seinen Dienst. Mit sei-nem begrenzten Wissen ber die Eigenschaften des elektrischen Stromswar er auer Stande, das Problem selbst zu lsen.

    Hilfe erhielt Morse durch den New Yorker Chemieprofessor Leonard D.Gale. Als enger Freund von Joseph Henry war dieser mit den grundle-genden Gesetzmigkeiten des Elektromagnetismus vertraut und hier-durch in der Lage, zwei Schwachstellen in Morses Konstruktion zuidentifizieren: eine zu geringe Spannung und einen viel zu schwach aus-gelegten Elektromagneten. Gales Modifikationen brachten den Erfolg.Ab jetzt lie sich die Leitung zwischen der Sende- und der Empfangs-einrichtung verlngern, ohne die bertragungsqualitt des Telegrafennegativ zu beeinflussen.

    Nachdem die prinzipielle Funktionstchtigkeit gesichert war, meldeteMorse seine Apparatur am 3. Oktober 1837 offiziell als Erfindung an.Am 20. Juni 1840 wurde seinem Antrag stattgegeben und der Morse-Telegraf unter der Nummer 1647 patentiert (Abbildung 1.24).

    Im September 1837 unterzeichnete Morse einen Vertrag mit dem US-amerikanischer Ingenieur Alfred Vail (Abbildung 1.25). Vails techni-

    Abb. 1.24: Zwei Seiten ausder Patentschrift von SamuelMorse. Gut zu erkennen sinddie Zickzackbretter, mit de-nen Morse die elektrischenImpulse zu erzeugen ver-suchte.

  • Alfred Lewis Vail (1807 1859)

    Abb. 1.25: Auch wenn Alfred Vail in derffentlichkeit stets in der zweiten Rei-he stand, ist er der eigentliche Vater desMorse-Telegrafen. Er entwickelte den Pro-totyp von Morse und Gail fast im Al-leingang zu jenem Apparat weiter, der alsMorse-Telegraf die Welt vernderte.

    1.3 Elektrische Nachrichtenbertragung 37

    185918 Jan

    180725Sep

    Alfred Lewis Vail wurde am 25. Sep-tember 1807 in Morristown, New Jer-sey, geboren. Sein Vater war der Be-sitzer der Speedwell Ironworks com-

    pany und bescherte Alfred und seinem Bruder eine Kindheitin wohlhabenden Verhltnissen. Nach dem Besuch der Schu-le arbeitete Vail mehrere Jahre erfolgreich im heimischenBetrieb, danach studierte er von 1832 bis 1836 Theologiean der New York University.Wegweisend fr Vails weiteres Leben war eine Demonstra-tion des Morse-Telegrafen, der er im Jahr 1837 beiwohnte.Vail war von der technischen Konstruktion begeistert undtraf im September des gleichen Jahres mit Morse eine ver-tragliche Vereinbarung, die fr die weitere Entwicklung desTelegrafen eine entscheidende Rolle spielte. Vail sicherte zu,den prototypischen Telegrafen auf eigene Kosten weiterzu-entwickeln und die notwendigen Teile in der vterlichen Fir-ma zu fertigen. Im Gegenzug sollte er an den erzielten Erl-sen beteiligt werden.Die Partnerschaft zwischen Vail und Morse trug alsbaldFrchte. Der entwickelte Telegraf konnte technisch berzeu-

    gen, und seine Handhabung war einfach genug, um ihn alsMassenmedium etablieren zu knnen.Die Partnerschaft zwischen Vail und Morse geriet mit der zu-nehmenden Verbreitung des Telegrafen allerdings mehr undmehr in eine Schieflage. Morse profitierte nicht nur finan-ziell in berproportionalem Mae; auch in der ffentlich-keit wurde der Erfolg fast ausschlielich ihm zugeschrieben.Vail machte diese Situation schwer zu schaffen und so be-schloss er vier Jahre nach der erfolgreichen Inbetriebnahmeder Washington-Baltimore-Linie, aus dem Projekt auszustei-gen. Am 5. Oktober 1848 begrndete er seine Entscheidungin einem Brief an seinen Bruder mit den folgenden Worten:

    The reason why I must give up remaining he-re is, that I am wearing myself out in the tele-graph, for the interest of the patentees, withoutcompensation, and the care and study is accu-mulating every day. [18]

    Vail zog zurck nach Morristown, wo er den Rest seines Le-bens verbrachte. Er starb am 18. Januar 1859 im frhen Altervon 51 Jahren.

    sches Geschick war auergewhnlich, und erst durch ihn war Morse inder Lage, den nchsten Schritt zu verwirklichen: die Weiterentwicklungseines Prototyps zu einem marktreifen Produkt.

    Eine von Vails ersten Manahmen war es, Morses ursprnglichen Ent-wurf zu vereinfachen. Die komplizierte Sendeeinrichtung wurde durcheinen einfachen Handschalter ersetzt, und auch die Idee des Codebuchswar schnell verworfen. Im Jahr 1838 entstand der erste Morse-Code,der eine Nachricht buchstabenweise reprsentierte.

    1843 erhielt Morse die groe Chance, seinen Traum real werden zu las-sen. In diesem Jahr stellte ihm der US-amerikanische Kongress 30.000 $fr den Bau einer Telegrafenlinie zwischen Washington, D.C., und demca. 60 km entfernten Baltimore bereit. Morse hatte zunchst vor, dasKabel unterirdisch zu verlegen, doch schon bald erlitt er den erstenRckschlag. Die verfgbare Kabelisolierung war so schlecht, dass be-reits nach 9 Meilen keine bertragung mehr mglich war. Notgedrun-gen wurden die Leitungen schlielich als berlandkabel verlegt. Am24. Mai 1844 hatten Morse und seine Partner das Projekt zu einem er-folgreichen Ende gebracht. Die Washington-Baltimore-Linie war fertig-gestellt und nahm offiziell ihren Betrieb auf. Das erste Telegramm hatteein Zitat aus der Bibel zum Inhalt; es beinhaltete die berhmten Worte:

  • 38 1 Geschichte der Nachrichtentechnik

    Bis heute sind sich die Experten unei-nig darber, wie viel Samuel Morse zuseiner Erfindung selbst beigetragen hat.

    Unstrittig ist, dass Morse weder fundierte Kenntnisse imBereich der Elektrizittslehre hatte noch die Fhigkeit be-sa, seinen prototypischen Entwurf zu einem industriellenProdukt weiterzuentwickeln. Die notwendige Fachexpertisewurde zu groen Teilen von Leonard Gale beigesteuert, derbestens mit den wissenschaftlichen Arbeiten des PhysikersJoseph Henry vertraut war. Im Rahmen spterer Patentstrei-tigkeiten uerte sich Henry folgendermaen [18]:

    I am not aware that Mr. Morse ever made asingle original discovery in electricity, magne-tism, or electromagnetism, applicable to theinvention of the telegraph. [18]

    Auch der zurckhaltende Vail sprach in spteren Jahren kri-tisch ber die Zusammenarbeit:

    Whenever there is work to be done, the pro-fessor is taken ill. [18]

    Es gilt als wahrscheinlich, dass Alfred Vail n