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Staat Josef Hochgerner Soziologische Reflexionen: Vom Staat als Herrschaftsinstrument und über Theorien zum modernen Staat 1. Die Gesellschaft ist ständig in Bewegung Bestand/Wandel – Statik/Dynamik – fließender Übergang. Zwischen und innerhalb von Systemen und auch wechselwirkend! Oft kaum wahrnehmbar – selten spektakulär (wie z.B. Russische Revolution 1917) Sozialer Wandel ist umfassender als soziale Dynamik und bringt mehr oder weniger beständige gesellschaftliche Strukturen hervor. Hauptaugenmerk auf Prozesse. Vermeiden der Begriffe „Entwicklung“, „Fortschritt“ - wirkt positiv Zielgerichtet – Veränderung kann auch Verschlechterung bedeuten. Verschiedene Dimensionen: Mikro: Familie, Geschlechterverhältnisse,.. Meso: NGO, Privatvereine,.. Makro: Staat, Nation, Politik, Wirtschaft,.. 2. Die Innovation des Staats als juristische Person Ein Staat ist zugleich Objekt und Subjekt von Veränderungen. Staatskonzepte sind je nach Ort und Zeit verschieden. Übergang von Staat als Personifizierung („Der Staat bin ich“ - Ludwig XIV) zu juristischer Person (Funktion innerhalb des Staates; Repräsentation). 3. Der Staat als Herrschaftsinstrument und seine Ausformung als „Nationalstaat“ Staat = Institutionalisierung (ehemals informeller Regeln) von „Rechtsnormen für die Bevölkerung in einem bestimmten Land“. „Drei-Elemente-Lehre“ nach Jellinek: Staatsgewalt, Staatsvolk, Staatsgebiet. Unterscheidung „(Wohn-)Bevölkerung“ und „Staatsangehörige“ soziologisch wie juristisch hoch- relevant. Juristisch: Gesetze gelten grundsätzlich für alle Menschen im Zuständigkeitsbereich. Aber: Ausnahmen bei Rechten und Pflichten – z.B. Arbeitsmarktzugang. Es gibt auch trans-nationale Regeln wie die EU-Abkommen. soziologisch: Unterschiedlicher Rechtsstatus führt zu verschiedenen Lebensgrundlagen und Voraussetzungen des Zusammenlebens. Je mehr zugewanderte Bevölkerung, desto weniger entspricht die traditionelle Unterscheidung zwischen „Staatsangehörigen“ und „Fremden“ der „sozialen Realität“. Einerseits wird Flexibilität und Mobilität (an welcher es politischen und rechtlichen Systemen mangelt) in der globalisierten Welt gepriesen, andererseits werden für Ideologien, die sich der Abgrenzung nach Außen bemühen, Räume geöffnet. Im 19. und 20. Jahrhundert gab es das bestreben die gesellschaftlichen Konstrukte „Nation“ und „Staat“ zu einen. Die Bedeutung des Staates war auch eine andere, z.B. Staat als „Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen“ (Weber) oder Herrschaft als „Sonderfall von Macht“ (ebd.). Heute werden mit dem Staat eher staatliche Einrichtungen wie Schulen, UNIs, Gesundheitsvorsorge

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Staat Josef Hochgerner Soziologische Reflexionen: Vom Staat als Herrschaftsinstrument und über Theorien zum modernen Staat 1. Die Gesellschaft ist ständig in Bewegung Bestand/Wandel – Statik/Dynamik – fließender Übergang. Zwischen und innerhalb von Systemen und auch wechselwirkend! Oft kaum wahrnehmbar – selten spektakulär (wie z.B. Russische Revolution 1917) Sozialer Wandel ist umfassender als soziale Dynamik und bringt mehr oder weniger beständige gesellschaftliche Strukturen hervor. Hauptaugenmerk auf Prozesse. Vermeiden der Begriffe „Entwicklung“, „Fortschritt“ - wirkt positiv Zielgerichtet – Veränderung kann auch Verschlechterung bedeuten. Verschiedene Dimensionen: Mikro: Familie, Geschlechterverhältnisse,.. Meso: NGO, Privatvereine,.. Makro: Staat, Nation, Politik, Wirtschaft,.. 2. Die Innovation des Staats als juristische Person Ein Staat ist zugleich Objekt und Subjekt von Veränderungen. Staatskonzepte sind je nach Ort und Zeit verschieden. Übergang von Staat als Personifizierung („Der Staat bin ich“ - Ludwig XIV) zu juristischer Person (Funktion innerhalb des Staates; Repräsentation). 3. Der Staat als Herrschaftsinstrument und seine Ausformung als „Nationalstaat“ Staat = Institutionalisierung (ehemals informeller Regeln) von „Rechtsnormen für die Bevölkerung in einem bestimmten Land“. „Drei-Elemente-Lehre“ nach Jellinek: Staatsgewalt, Staatsvolk, Staatsgebiet. Unterscheidung „(Wohn-)Bevölkerung“ und „Staatsangehörige“ soziologisch wie juristisch hoch-relevant. • Juristisch: Gesetze gelten grundsätzlich für alle Menschen im Zuständigkeitsbereich. Aber: Ausnahmen bei Rechten und Pflichten – z.B. Arbeitsmarktzugang. Es gibt auch trans-nationale Regeln wie die EU-Abkommen. • soziologisch: Unterschiedlicher Rechtsstatus führt zu verschiedenen Lebensgrundlagen und Voraussetzungen des Zusammenlebens. Je mehr zugewanderte Bevölkerung, desto weniger entspricht die traditionelle Unterscheidung zwischen „Staatsangehörigen“ und „Fremden“ der „sozialen Realität“. Einerseits wird Flexibilität und Mobilität (an welcher es politischen und rechtlichen Systemen mangelt) in der globalisierten Welt gepriesen, andererseits werden für Ideologien, die sich der Abgrenzung nach Außen bemühen, Räume geöffnet. Im 19. und 20. Jahrhundert gab es das bestreben die gesellschaftlichen Konstrukte „Nation“ und „Staat“ zu einen. Die Bedeutung des Staates war auch eine andere, z.B. Staat als „Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen“ (Weber) oder Herrschaft als „Sonderfall von Macht“ (ebd.). Heute werden mit dem Staat eher staatliche Einrichtungen wie Schulen, UNIs, Gesundheitsvorsorge

und dergleichen assoziiert. Sozialer Wandel bezeichnet eben diese Änderungen von Staatsfunktionen, ihre Wahrnehmung, Beschreibung und (Be-)Deutung. 1. Soziologische Staatsmodelle Palumbo & Scott (2003): Marx'sches Staatsmodell (Schutz des Eigentums, Staat = Instrument der herrschenden Klasse): „instrumentalistisches Modell“. Weber (Staat = Herrschaft v. Menschen über Menschen): „realistisches Modell“. Durkheim (Staat als Autorität): „pluralistisches Modell“. Webers drei „reine Typen legitimer Herrschaft“ (mit welcher sich Staatsmodelle rechtfertigen würden): rationale, traditionale, charismatische Herrschaft. „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht. Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden. […] Staat soll ein politischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und insoweit sein Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwanges für die Durchführung der Ordnungen in Anspruch nimmt.“ (Weber 1921/2005:157f). Staatstheorien 1900: Machtmonopol im Inneren und Macht gegenüber anderen Staaten im Mittelpunkt. Durkheim: Staat sei ein gesellschaftliches Gehirn; Notwendigkeit der Einschränkung von Staatsmacht bei wenige häufig auftretenden Kriegen – Ähnlich neuerer Definition, wonach der Staat für seine „Menschen, Angehörige der globalen Gesellschaft“ (Hochgerner 2011:24) existiert. 2. Die Gesellschaft schafft sich selbst und den Staat Staat als „Prozess“, nicht als feststehende „Gestalt“ sehen – veränderbar! Auch Staaten durchlaufen einen Lebenszyklus. Neben Wandel gibt es auch Kontinuität – z.B. weiter wirkende soziale und wirtschaftliche Beziehungen, Ziele der Menschen im betreffenden Gebiet. Gesellschaft formt den Staat/die Staaten. „Staat“ und „Gesellschaft“ sind aus soziologischer Sicht nicht synonym zu verwenden! - Wechselwirkungen zwischen eben diesen Beiden. Soziale Beziehungs- und Tauschnetzwerke reichen mittlerweile immer öfter über Staatsgrenzen hinaus. Weltweite Kooperation ist bei Themen wie Klimawandel, Bevölkerungswachstum usw. gefragt – allerdings nicht in Form eines globalen Bundesstaates („Vereinigte Staaten der Welt“) - ein Weggang von der „Container-Theorie der Gesellschaft“ (Beck) sei gefragt. Die Unterordnung von „Gesellschaft“ unter „Staat“ ist zu hinterfragen. 3. Was bringt die Zukunft? Die aktuelle Gesellschaftsformation kann nicht mehr Industriegesellschaft genannt werden => These vom Kommen der „nachindustriellen Gesellschaft“ (vgl. Bell 1973). „Wissensgesellschaft“ - Zunahme des Wissens als Produktionskraft nicht von Bedeutung – es geht darum, dass Regeln und Selbstverständlichkeiten der Gesellschaft in Frage gestellt werden! „Zentraler Indikator für eine stärkere Wissensbasierung ist die beschleunigte Oszillation zwischen Deregulierung und Neuregulierung“ (Heidenreich). Der Staat der Zukunft benötigt eine bessere Nutzung der Gegenseitigkeit – z.B. Zusammenarbeit von NGOs und staatlichen Behörden

Johann Dvořák Politikwissenschaftliche Bemerkungen über den modernen Staat und über Theorien zum modernen Staat Vorbemerkung Entstehung und Veränderung des modernen Staates untersuchen, um Erkenntnisse auf die Gegenwart anzuwenden. Wissenschaftliche Analyse des des Staates ist nur möglich unter Berücksichtigung von Theorie, Empirie und der historischen Komponente, wobei auch unterschiedliche Gesellschaften nicht vernachlässigt werden dürfen. Zentrales Problem und die (buchstäbliche) Begründung des modernen Staates ist die Sicherung des Privateigentums. 1. Einige Schlüsselbegriffe des Politischen: Gesellschaft, Staat, Verfassung 1.1 Zum Begriff Gesellschaft Um 1900 - Begriff „Gesellschaft“ im Deutschen = rechtliche und kaufmännische Bedeutung. 17./18. Jahrhundert in England und Frankreich = allgemeine Bezeichnung für die Gesamtheit an Einrichtungen und Beziehungen menschlichen Zusammenlebens. Im Deutschsprachigen erst im 19. und 20. Jahrhundert eben diese Bedeutung. Im Altertum (Aristoteles „zoon politikon“) waren Staat, Politik und Gesellschaft eher als eine Einheit zu verstehen. Volksherrschaft war damals die Angelegenheit einer (wohlhabenden) Minderheit (Sklaven galten als Werkzeuge, ärmere Bewohner verfügten nicht über die vollen politischen Rechte). Spätes 17. Jahrhundert: John Locke verwendet den Begriff Gesellschaft im Sinn einer Verbindung von Menschen (Gesellschaftsvertrag) als auch einer Gesamtheit, die die einzelnen Menschen und ihre geschaffenen Einrichtungen umfasst. Ein Jahrhundert später: Adam Smith (in: „Der Wohlstand der Nationen): Gesellschaft im Unterschied zum Staat und einen Organen – er unterscheidet zwischen verschiedenen sozialen Klassen innerhalb einer Gesellschaft. „Gesellschaft ist nunmehr ein neutraler, umfassender Begriff geworden, der die Summe der einzelnen Menschen, soziale Klassen, aber auch alle möglichen Institutionen beinhaltet“ (Dvořák 2011:33) 1.2 Zum Begriff des – modernen – Staates Staat ist organisierte Gewalt und Macht. Den Staat, wie er heute existiert gibt es erst seit dem 16./17. Jahrhundert, er ist im Zusammenhang mit der Entwicklung des Kapitalismus und der Ausbildung der bürgerlichen Gesellschaft entstanden und unterscheidet sich von früheren Formen maßgeblich in der prinzipiellen politischen Anteilnahme durch die Bevölkerung. Der Staat, im heutigen Sinne, ist sowohl die Summe der verschiedenen Einrichtungen (Regierung, Justiz, Verwaltung,..) als auch die Idee einer Gesamtheit, des Staatswesen. Im Deutschen, 19 Jahrhundert: Staat = Gesamtwohl (Interessen des Staats- bzw. Volksganzen), auch unter Unterdrückung von Einzelinteressen.

1.3 Zum Begriff der Verfassung, insbesondere bei Thomas Paine (1737 – 1809) 1791 und 1792 verfasste Thomas Paine eine zweiteilige Schrift namens „Rights of Man“, worin er die großen Revolutionen in Amerika und Frankreich verteidigte und umfassende Vorstellungen von einem wahrhaft republikanischen Staatswesen verfasste, welches an den Interessen und Bedürfnissen seiner B ürger_innen orientiert war und vom politischen Willen eben dieser getragen sein sollte. „Jede Regierung, die nicht nach dem Grundsatz einer Republik verfährt, oder mit anderen Worten, die nicht die öffentliche Sache zu ihrem ganzen und einzigen Zwecke macht, ist keine gute Regierung“ . „Eine Konstitution ist ein Etwas, das der Regierung vorherging, und die Regierung ist nur Geschöpf der Konstitution. Die Konstitution eines Landes ist nicht das Werk der Regierung, sondern des Volkes, das eine Regierung einsetzte“ (Paine). Monarchien und jede Form der persönlichen Herrschaft waren für T. Paine Formen von Sklaverei und wider jeglichem Menschenrecht. 2. Politik und Ökonomie, Staat und Eigentum während der Englischen Revolution, bei John Locke, Adam Smith, Karl Marx und Friedrich Engels 2.1 Parlament, Wahlrecht und Eigentum in England während der Englischen Revolution 1640-1660 1647: Forderung nach einem Allgemeinen Wahlrecht zwischen Vertretern der Armee und des Parlaments – ausgehend von der Gleichheit aller Menschen. Das englische Parlament war (und ist) absoluter Souverän: über ihm steht keine Verfassung, keine Gerichtsbarkeit! Verweis auf mögliche politische Gefahren für das Eigentum und die Besitzenden, aus Furcht vor „der Masse der Habenichtse“, welche, einmal im Parlament vertreten, die Minderheit der Besitzenden enteignen würde. • Die „Heiligkeit“ des Eigentums wurde in Verfassungen verankert. • Schutz von „Minderheiten“ bezieht sich auf die Viel-Besitzenden • Entwicklung des modernen Staats zum Schutz des Eigentums und Abwehr der wahren Volksherrschaft. • Teilhabe der Vielen am Staat nur, wenn sie die wenigen Viel-Besitzenden nicht beeinträchtigen. 2.2 John Locke (1632-1704) über den modernen Staat und seine Entstehung Frage, warum ein an sich freier und allen gleicher Mensch eben diese Freiheit aufgibt und sich der Herrschaft und dem Zwang einer anderen Gewalt unterwirft. Furcht vor der Unsicherheit des Eigentums, des eigenen Leben. „Das große und hauptsächliche Ziel, weshalb Menschen sich zu einem Staatswesen zusammenschließen und sich unter eine Regierung stellen, ist also die Erhaltung ihres Eigentums“ (Locke). Die Rechte und Vorzüge der politischen oder bürgerlichen Gesellschaft genießen somit aber nur Besitzende, während Besitzlose außerhalb dieser Gesellschaft stehen trotzdem aber deren Maßnahmen und Regeln unterworfen sind. 2.3 Adam Smith (1723-1790) über Staat und Eigentum 1776 Hauptwerk „The Wealth of Nations“; Schöpfer der klassischen Nationalökonomie. Beobachtung, dass die Steigerung des Reichtums der Wenigen mit dem Anwachsen der großen Zahl an Armen zusammenhängt.

„Civil government, so far it is instituted for the security of property, is in realtiy instituted for the defence of the rich against the poor [...]“ (Smith) 2.4 Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) über den Staat Da der Staat inmitten der Klassenkämpfe entstand, ist er der Staat der mächtigsten, ökonomisch Herrschenden Klasse. Die Unterdrückung ist allerdings nicht vornehmlich ökonomisch, sondern wird, einmal etabliert, ständig reproduziert – durch Erziehung, Tradition, Gewohnheit, welche von der Arbeiterklasse als Naturgesetze interpretiert werden. Außerökonomische Gewalt wird zwar angewandt, aber nur ausnahmsweise. 2. Erinnerungen an den Wohlfahrtsstaat und an die Zeit der Vollbeschäftigung in den hochindustrialisierten Zonen Europas Die späten 60er und frühen 70er Jahre: in allen hochindustrialisierten Gesellschaften West-, Nord- und Zentraleuropas herrscht Vollbeschäftigung (auch für Jugendliche) – im krassen Gegensatz zur, an die Dauerhaftigkeit von Elend gewohnten, vorigen Generation. Bildung einer neuen auf Massenkonsum, Freiheit und Unabhängigkeit (z.B. von den Eltern) bauenden Massenkultur und Jugendkultur (wesentlich eine Subkultur der arbeitenden Klassen). Die massenhafte Produktion und Konsumtion von Gütern erzeugte Arbeitsplätze und half auch diese zu sichern, allerdings entwickelten sich auch neue Bedürfnisse und Interesse und ein neues Bewusstsein von einer Vorstellung für ein „gutes Leben für alle“. „Normalität“ (kapitalistischer Verhältnisse) wurde ab etwa 1973 durch die Abfolge von internationalen Wirtschaftskrisen wiederhergestellt: Massenarbeitslosigkeit, Zerstörung sicherer Lebensperspektiven, Drücken der Löhne, Abbau sozialer Sicherheit. 4. Die Wirtschaftskrisen seit 1973, die Wiederkehr der Massenarbeitslosigkeit und „neokonservative“/“neoliberale“/“postmoderne“ Vorstellungen von Wirtschaft, Politik, Recht und Gesellschaft Kapitalismus geht aus Krisen (wie z.B. der „Ölkrise“ - welche keine Ölkrise war) gestärkt hervor. Beschränktheit von Ressourcen, Unmöglichkeit der Planbarkeit Lebens- Weltgestaltung wird propagiert um die Bevölkerung untertänig und gefügig zu machen. Folgend ist unter anderem politische Resignation. Vorstellungen des Neokonservativismus seit den 1980er Jahren: • „Mehr privat, weniger Staat!“ • „Gesundung der Staatsfinanzen“ • „Gesundschrumpfung“ des Staates Neokonservative Politik setzt vor allem aufs Angst machen um Ausgaben für Militär, Polizei, Zwangsverwaltung im Sozialbereich durchzusetzen/zu rechtfertigen („Sicherheit“). Im Gegenzug werden Leistungen, die Allen zu Gute kommen würden, gekürzt: Bildung, medizinische Versorgung, Verkehr, Wohnen, etc. Es wird ein permanentes Krisenbewusstsein geschaffen. Krise hat für die Neokonservativen vor allem eine kulturelle Komponente: „angestammte Werte“ der „einst vorhandenen Kultur“ sollten gepflegt werden. Freie Marktwirtschaft und die „natürliche“ Ökonomie werden gelobt. Als Ausgleich (für ihre Untaten) werden Wohltätigkeitsveranstaltungen unterhalten, sowohl um sich des eigenen Wohlergehens bewusst zu werden und das Gewissen zu beruhigen. 5. Der Neokonservativismus unter Margaret Thatcher und die Folgen für Theorie und Praxis der Politik

Entideologisierung der politischen Linken im Gegensatz zur „re-ideologisierung“ und „re-politisierung“ der Rechten. Anhänger des Neokonservativismus wie Thatcher oder Reagan stützten sich eifrig auf Ideologie, politische Programmatik, politische Organisation und Propaganda, Kontrolle und effizienten Einsatz von politischen Apparaten. Eben dies wurde bei den Linken durch die notwendige Anpassung an den „Zeitgeist“ abgebaut und überwunden. Konservative Parteien verfochten die Schwächung von Gewerkschaften, während sozialdemokratische Parteien dies meist billigend in Kauf nahmen, um einem „modernen Image“, in Bezug auf völlig vereinzelten Individuen, die mit „altmodischen Organisationen“ (wie Gewerkschaften), nichts zu tun haben wollen würden. Anteil an der Welt des Luxus und der Moden wäre für die Tüchtigen und Fleißigen möglich und, wenn er/sie es nicht geschafft hätte, wäre dies persönliches Versagen/wären die Chancen nicht optimal genutzt worden. Diesen Versager_innen wird allenfalls ein wenig Sozialpolitik und Charity zugewandt. Diese Risiko- und Freizeitgesellschaft besteht aus einer Folge von Chancen – eine Abfolge von Lotteriespielen. All das entspricht im Grunde einer anti-demokratischen Einstellung, welche unter anderem sinkende Wähler_innenzahlen, Nichtwähler_innen und im Zusammenhang damit einen Stimmengewinn für rechtsextremistische Parteien zur Folge haben. 6. Über Nationalstaaten und transnationale politische Organisation (am Beispiel der Europäischen Union) Vom Ende der Nationalstaaten und dem Entstehen supranationaler oder transnationaler Staatswesen (wie der EU) wird seit einigen Jahren verstärkt geredet. Solch ein Staatswesen sei nun, wie bei den früheren modernen Staatstheorien (Preisgabe individueller Souveränität), auf Verträge unter Preisgabe der nationalen Souveränität aufzubauen. Eine der Besonderheiten bei der Entstehung des modernen Staates war die Trennung von Ökonomie und Politik. Geläufig war, dass Politik in der Ökonomie intervenieren konnte, was aber immer wieder kritisiert wurde. In Folge der Globalisierung sei es aber nicht mehr möglich sinnvoll politisch einzugreifen, denn: • Entzug der politischen Maßnahmen (Beeinträchtigung von Profiten) durch sofortige Abwanderung. • Einzelne Nationalstaaten könnten weder auf nationalstaatlicher, wie auf supranationaler Ebene etwas unternehmen, weil die Unternehmen in Standortkonkurrenzen zueinander sind. Es gibt allerdings keine, wie seit Jahren von manchen Sozialwissenschaftlern, Journalisten und Politikern herbeigeredete, relevante Abwanderung in „unterentwickelte“ Länder, da sich inzwischen selbst in asiatischen Billiglohn-Ländern Gewerkschaften gebildet haben. Sicherheit ist nirgendwo – deshalb bleiben Unternehmen dort, wo die Gefahren zumindest kalkulierbar sind. Es kann sein, dass die EU als supranationales Staatswesen so entstanden ist, wie es von niemandem gewollt war, von seinen Funktionen her aber von einzelnen Interessengruppen sehr gut benutzt werden kann (daher also doch auch gewollt wird). Es wurden gemeinsame Ziele staatlicher Budgetpolitik fixiert; Prozente der Staatsverschuldung

festgelegt. Folgen der EU-Politik unter neoliberalen Vorzeichen: Privatisierung von, mit allgemeinen Steuermitteln geschaffenen, Infrastrukturunternehmen (Transport, Energie, Telekommunikation,..). Nachdem dies auf nationaler Ebene schwer(er) möglich gewesen wäre, wurde dies unter Berufung auf übergreifende Rechtsnormen der EU durchgesetzt. Durch die schwere Durchschaubarkeit und Rückführbarkeit (auf Parteien z.B.) ist es der nationalen Bevölkerung auch nicht wirklich möglich eben verantwortliche Parteien (durch Stimmgabe) zu belohnen oder bestrafen. Die EU ist wesentlich eine Wirtschaftsunion; sie hat keine Ambitionen als supranationaler Sozial- und Wohlfahrtsstaat. Soziale Normierungen sind meist unterhalb der nationalen anzusiedeln (was ein Anreiz sein kann, sie noch weiter zu senken). Schlussbemerkung Die Vorstellungen von Aufgaben und Funktionen, sowie auch die reale Staatstätigkeit unterlagen in den vergangenen Jahrzehnten einem Wandel – entgegen Verbesserung der allgemeine Lebenslage, hin zur dauerhaften Zerstörung der vorhanden gewesenen Strukturen des Wohlfahrtsstaates. Bei der Finanzkrise 2008-2011 erfolgten die wesentlichen Rettungsmaßnahmen auf nationaler Ebene – mit Finanzmitteln, welche seit vielen Jahren angeblich nicht vorhanden gewesen seien (für Bildung, Gesundheit,...). Für eine Theorie des modernen Staates sind der Zusammenhang von Politik und Ökonomie, sowie die historische Perspektive zu beachten! Hermann Mückler Die Kultur- und Sozialanthropologie und der Staat Verstehen, womit sich das Fach der KSA grundsätzlich befasst und warum sich die Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Staat“ fast zwangsläufig daraus ableitet. „Spielregeln“ und andere grundsätzliche Erörterungen Der Mensch als sozial agierendes Wesen steht im Mittelpunkt. Wir interagieren ununterbrochen mit Menschen unserer Umwelt – von eminenter Bedeutung für das Zusammenleben ist: der Interessenabgleich! Dieser Bedarf der Kommunikation, welche sich unterteilen lässt in: Werkzeuge erster Ordnung - Sprache, Gestik und Mimik. Werkzeuge zweiter Ordnung – Schrift, Piktogramme, Symbole und verschiedene Zeichen mit eigener Bedeutung und Wirkung. Welche Werkzeuge und Verständigungsparameter wir bei Kommunikation verwenden lernen wir im Zuge der Sozialisation. Wir schaffen und erfinden unter Umständen anlassorientiert jeweils weitere Elemente für eine reibungslose Kommunikation (Bsp. Kleinkinder in der Sandkiste). Dies führt uns zu einem eng verknüpften Begriff: der Konflikthaftigkeit jeglichen Interagierens. „Konflikt“ wird meist mit „Konfrontation“ in seiner negativen Konnotation in Beziehung gesetzt. Es geht um den Abgleich von Bedürfnissen, welche nicht notwendigerweise Deckungsgleich sein müssen.

Eine Form Kants Kategorischen Imperativ könnte so lauten: „[H]andle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ (vgl. Kant 1785/2004:36) Es geht dabei um ein Übereinkommen in Wechselbeziehungen zu anderen. Diese universalistische Konzeption gewinnt heute, in einer multi- und interkulturellen Welt, eine besondere Bedeutung. Alles Kommunizieren dient der Bedürfnisbefriedigung – nicht nur (klassischerweise) „food, shelter, healt, care, education“ sondern auch Werte mit Bedürfnischarakter, wie z.B. akzeptiert zu werden, Ansehen zu erwerben, als Kompetenzträger gesehen zu werden usw. Damit all dies – Interessenabgleich zur Bedürfnisbefriedigung – funktionieren kann, bedarf es Regeln: „Spielregeln“ - seien es nun Kinder im Sandkasten oder Politiker_innen. Ob nun Völkerrecht, Straßenverkehrordnung, Regeln zur Mülltrennung,... Ethnolog_innen beschäftigen sich mit diesen „Spielregeln“, sei es nun von einfachen oder komplexen Gesellschaften oder Sozietäten und zu allen Zeiten und allen Orten. Es geht um Konsensbildung und Konsens, um Vertrauen und Pakttreue. Es macht keinen Unterschied ob es sich um eine Familie, einen Klan, eine Dorfgemeinschaft, einen Stamm oder einen Staat handelt – womit wir beim Thema sind. Staat ist eine komplexe und in vielen Bereichen ausgereifte, manchmal unübersichtliche Form eines sehr großen politischen Gemeinwesens. Im Vergleich dazu gibt es viele andere kleine, meist kleinräumigere und kleingeklammertere Formen politischer Organisation – mit welchen sich die KSA historisch gesehen beschäftigt (bzw. auch definiert) hatte. Das ist allerdings spätestens seit Ruth Benedicts Forschungen zu Japan während des WWII nicht mehr zeitgemäß. In Verbindung mit diesen Hochkulturforschungen steht vor allem die Subkulturforschung (Subkulturen als habituelle direkte Reaktion auf Hochkultur). Die Präferenz mancher Ethnolog_innen besteht/bestand auf stabilen, überschaubaren Gruppen – im Rahmen von teilnehmender Beobachtung und qualitativer Studien kann man hier zu sinnvollen und modellhaften Aussagen gelangen. Durch die Abgeschlossenheit der untersuchten Gruppen wurde eine holistische Perspektive möglich – andererseits ergeben sich umfangreiche Vergleichsmöglichkeiten durch die Dokumentation unterschiedlichster Formen gesellschaftlicher und politischer Organisation. Vergleichsstudien sollen die geschichtliche Komponente der Entwicklung staatlicher Strukturen nachvollziehbar machen. Sowohl im Staat, wie auch in kleineren Formen der Selbstorganisation geht es um Bedürfnisbefriedigung und Interessenabgleich (Organisiert durch Regeln, Gesetze, Recht, Verfassung,...). Die Beschäftigung mit dem Staat kann man der sogenannte Politikethnologie zuordnen, im engeren Fokus der KSA liegt aber: die Frage nach der Entstehung staatlicher Strukturen, die Wechselwirkungen zwischen dem modernen Staat und anderen, einfacheren Formen politischer Organisation und die Beziehung zwischen Transnationalismus und dem Staat. Die Entstehung staatlicher Strukturen

Die Frage nach der Entstehung staatlicher Strukturen setzt die Beschäftigung mit nicht- oder vorstaatlichen Strukturen voraus, worin die Ethnologie, mit der Erforschung von hauptsächlich Kleingruppen (Familie, Horde, Lineage, Sippe, Klan), eine lange Tradition erfüllt. Hier konnte eine Hierarchisierung verschiedener Ebenen des politischen Gemeinwesens beobachtet werden, was von der Ethnologin Lucy Mair als „diffus“ bezeichnet wurde. Drei organisatorische Grundprinzipien: a) Verwandtschaft b) Territorialität c) willentlicher Zusammenschluss oder „Assoziation“ Wird auch „segmentäres System“ genannt und ist nicht statisch. Die Entwicklung des Staates ist eng mit der Entwicklung von Hochkulturen verknüpft, wobei die KSA hier auf die zunehmend notwendige Arbeitsteilung und Spezialisierung fokussiert. Zusätzlich entstehen Hierarchien und Gewaltentrennung. Die Herausbildung von Bildungsschichten und komplexen Verwaltungssystemen war nur durch eine schrittweise Zentralisierung und der politischen Stabilität des Gemeinwesens möglich. Als Beispiel die Auseinandersetzung mit den grundlegenden Strukturen und Determinanten dieser Entwicklung soll hier die Erforschung der Indus-Kultur (2600 bis 1800 BC; heutiges Pakistan) in den 1950er und 1960er Jahren dienen: Es gab eine Enge Zusammenarbeit von Archäologen und Kulturanthropologen, um Strukturierung und Organisation des Gemeinwesens zu rekonstruieren. Es gab für die damalige Zeit hochmoderne Errungenschaften wie Wasserleitungen, Kanalisation, Bewässerung, Schrift, Besteuerungssystem und eine kontrollierte Städteplanung. Weiters auch eine relativ intensive gewerbliche und räumliche Arbeitsteilung. Hervorzuheben ist auch, dass es sich wohl um eine relativ friedliche Kultur handelte (Binnen- und Außenhandel als Rückgrat) – hier treffen die Annahmen mancher Kulturwissenschaftler (vgl. Wittfogel), dass frühe Staaten aus Gewalt, Unterdrückung, Ausbeutung und Eroberung entstanden seien, nicht zu. Die Entwicklung von Staat hängt eng mit dem Entstehen von Städten zusammen. Kernpunkt der Beschäftigung von Ethnologen war die Transformation von vorstaatlichen in staatliche Gemeinwesen und deren Wechselbeziehung mit Stadtgründungen – was die Bedeutung eines historischen Ansatzes hervorhebt, auf welchen sich die Kulturanthropologie heute wieder besinnt. Sozialanthropologie beschäftigt sich heute im Rahmen der „Urban Anthropology“ mit der Erforschung ethnischer Segregation, der Dynamik sogenannter „Mega-Städte“ und Verstädterung (auf Kosten ökonomischer und kultureller Marginalisierung ländlicher Gebiete) => im Umgang mit Subkulturen werden die Auswirkungen auf den Staat und dessen Reaktionen untersucht. Moderner Staat und andere Formen politischer Organisation Konfliktfelder ergeben sich, wenn in einem bestimmten Gebiet mehrere Vorstellungen von Recht bestehen – beispielsweise ethnische Minderheiten mit anderen Formen politischer Organisation als der des „überliegenden“ Staates. Man spricht hier auch von Rechtspluralismus. Durch fragwürdige, teils willkürliche Grenzziehung entstanden in vielen entkolonisierten, ehemaligen Kolonialgebieten (heute oft nach westlichem Vorbild Nationalstaaten) unter Umständen extrem heterogene Situationen, wodurch sich zahlreiche Subgruppen manifestierten – welche nur

eine rudimentäre Anbindung an die Zentralmacht wollen und haben. Schlagworte dazu: Tribalismus, Sezessionskriege, Abspaltung, Autonomie- und Unabhängigkeitsbestrebungen usw. Mittels Erforschung der Kolonialzeit, Dekolonisierung, postkolonialer Entwicklungen, Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe lassen sich Konflikthafte Wechselwirkungen von „modernen“ und „einfachen“ Organisationsformen beobachten. Politische Organisationsformen wurden in jüngerer Vergangenheit von der KSA ideologisiert, verklärend als Herrschaftsfrei und dadurch friedfertiger beurteilt – die Sachlage ist aber komplexer. Der Ausgangspunkt war aber gerechtfertigt, nämlich die Frage nach der Notwendigkeit zentraler politischer Führung bei Existenz von ausbalancierter Sozialstruktur, egalitärer Zugänge zu Ressourcen usw. - „regulierte Anarchie“. Eine kritische Herangehensweise an die europäische Einflussnahme in der außereuropäischen Welt ist unabdingbar, will man heutige Defizite jener Länder in ihrem historischen Kontext analysieren und von gegenwartsbedingten Problemen differenzieren. Transnationalismus und Staat Die globale Zirkulation unterschiedlicher Formen von Staatlichkeit, Personen, Ideen und Objekten werden als transnationale Dynamiken von der KSA untersucht. Ebenso die jeweils lokalen Auswirkungen und Aushandlungen über staatlich sanktionierte Rechte und Pflichten. An der Universität Bern gibt es ein eigenes Masterprogramm zum Verhältnis von Transnationalismus und Staat, wo unter anderem Vergemeinschaftungsprozesse oder strategisches Handeln sozialer Gruppen über Staatsgrenzen hinweg, welche neue Formen von Staatlichkeit bilden, untersucht werden. Werke zu Transnationalimus und Staatlichkeit: Ludger Pries – fokussiert auf die Rollen von Organisationen und Institutionen. Gideon Baker – beleuchtet die „Global Civil Society“. Im Folgenden nun zwei Beispiele: Beim ersten geht es darum, wie der moderne Staat mit nichtstaatlichen Faktoren im eigenen Land umgehen muss - mittels der „Big Men“ in Papua-Neuguinea. Beim zweiten darum, wie eine schrittweise, vom Kolonialismus unterbrochene, Entwicklung zur Staatlichkeit im modernen Sinn geführt hätte – an Hand der traditionellen, stratifizierten polynesischen Gesellschaft. Melanesische Big-Men Papua-Neuguinea (Region Melanesien) ist ein junger Staat, der 1975 von australischer Kolonialherrschaft unabhängig wurde. Er beherbergt rund 4 Millionen Einwohner und verfügt mit 700 Regionalsprachen und mehreren hundert ethnischen Gruppen (deren Bezug zum Staat äußerst gering/nicht existent ist) über die größte ethnische und linguistische Diversität des Globus. Es war bisher nicht möglich ein Nationalgefühl bezüglich des Zentralstaates zu etablieren - es sei „künstlich“ und Korruption, Kollusion, Nepotismus und das Verhalten der einzelnen Politiker, welche sich nur ihrer Herkunftsgruppe verpflichtet fühlen, trägt wenig dazu bei dies zu ändern. Das in PNG vorherrschende wantok-System (abgeleitet vom englischen „one talk“), welches das bestimmende Beziehungsverhältnis für Angehörige der selben Klangruppe ist, behindert die Entwicklung einer nationalen Identität. Dadurch wird auch der Ausbau der Infrastruktur verhindert (es gibt bis heute keine durchgängige

Straße von der Süd- zur Nordküste). Das Gemeinwesen ist durch eine Multifunktionalität („diffus“) der Handlungen, Rollen und Institutionen und auch durch Instabilität gekennzeichnet. Die „Big Men“ erhalten ihre Autorität und Legitimität und damit ihren Führungsanspruch über Leistung (Jagd, Tapferkeit, Anzahl der Frauen, Akkumulation und Verteilung von Gütern) – im Gegenzug dazu sind z.B. die polynesischen Gesellschaften („ererbter Status“) sehr viel stabiler, da auch langfristige Projekte planbar sind (da hier die Führungspersonen mitunter ein Leben lang an der Macht sind). Für den Nationalstaat sind neben dem Aufeinanderprallen unterschiedlicher Interessen und Wertvorstellungen vor allem die rechtlichen Implikationen ein Problem – die Beschäftigung mit rechtspluralistischen Aspekten ist notwendig. Bei Darstellung der Konzepte „failing state“ und „weak state“ werden nicht zu Unrecht oft PNG (aber auch Vanutao und Fidschi) genannt. Die Solomon Islands gelten gar als „failed state“ (nach den Bürgerkriegsähnlichen Zuständen 2000) – erst die Intervention einer Friedenstruppe (australischer) Führung konnte den „Normalzustand“ wiederherstellen; die dauerhafte Residenz eben dieser, wird von manchen als neokolonialistisches Agieren interpretiert. Die polynesische „Ancestral Polynesian Societey“ Das Ursprungsgebiet dieser geschichteten Gesellschaft war das „kleine Dreieck“ Fidschi-Samoa-Tonga im Zentrum Ozeaniens. Eine Frühform (als „Ancestral Polynesian Society“ bezeichnet; ca. 500 BC bis ca.300 AD) zeigte bereits Elemente dieser Schichtung – diese Form einer geschichteten, stratifizierten Gesellschaft breitete sich in den zentralpolynesischen Raum und von dort bis nach Hawaii aus. Die Wandlung der polynesischen Gesellschaften war durch folgende Faktoren bedingt: Demographie (Ansteigen der Bevölkerungsdichte), klimatische Veränderungen und daraus folgende Intensivierung der Produktion (von Knollenfrüchten), was wiederum den sozialen Wettbewerb ankurbelte (Statusrivalität). Folglich kam es zur vertieften Ausprägung der Klassengesellschaft, Auswanderung und Erschließung neuer Gebiete – es kam auch zu sozialem und religiösem Wettbewerb bei der Gewichtung der Götter und ihrer Positionen in Verbindung mit Monumentalbauten ab ca. 1000 AD. Sichtbarstes Symbol dessen war die Schaffung eines religiös-politischen Zentrums auf der Insel Raiatea. Irving Goldman stellte in seinem Buch „Ancient Polynesian Society“ die Entwicklung von einfacheren zu komplexeren Formen dar. Er Unterschied (und ordnete jeder Form bestimmte Inselgruppen zu): 1) Die traditionelle Form: Führung wird legitimiert durch Seniorität - höchste Position: üblicherweise die älteste männliche Linie, welche auch am meisten mana besitzt (welches Kraft für die Ausübung des Amtes gibt. Stabilität war über eine religiös sanktionierte Abstufung der Werte gegeben. Die Führungspersönlichkeit hatte sowohl religiöse, wie auch (real-)politische Funktion und Kompetenz. Pro Insel, Distrikt oder Stammesgebiet gab es einen „heiligen Häuptling“, welcher auch Mittler zu den Ahnen war, unter Umständen aber auch Bodenbauer wie andere Mitglieder. Inseln/Gebiete: neuseeländische Maorie, Manihiki-Rakahanga, Tongareva, Uvea, Futuna, Tokelau, Tikopia, Pukapuka, Ontong Java.

2) Eine offene Form: Modifizierung der Seniorität durch militärische und politische Wirksamkeit; weniger religiös. Unterscheidung zwischen ererbtem und erworbenem Status (Kriegstaten oder Verdienste als Handwerker). Stabilität durch säkulare Machtausübung. Orts- und Territorialparlamente – jede Familie hatte einen Platz/eine Vertreter_innenstimme inne (auch der Häuptling und seine Familie hatten nur eine Stimme) – einfache Form von Parlamentarismus mit demokratischen Strukturen (Protoparlamentarismus). Trennung von sakraler und politischer Macht. Inseln: Mangaia, Osterinseln, Marquesas-Inseln, Samoa, Niue. 3) eine stratifizierte Form: Kombination aus traditioneller und offener Gesellschaftsform. Statusunterschiede politisch und ökonomisch bedingt. Respekt und Achtung vor der erblichen Seniorität aber in Kombination mit politischer und wirtschaftlicher Macht. Zentralistische Macht in Anlehnung an absolutistische Staatsformen; Umfangreiche Arbeitsteilung, Überwachung von Produktion, Besteuerung. Herrscher verpachtete Boden an Mitglieder unterer Schichten => Gewinn. Inseln: Mangareva, Gesellschaftsinseln, Hawaii-Inseln, Tonga. Diese Angeführten Formen sind selbstverständlich nur als Idealtypen zu verstehen und kamen in Unterschiedlichsten Ausprägungen/Mischformen vor. Erkennbar ist der Trend, dass bei zunehmender Komplexität von Gesellschaften die Macht differenzierter aber gleichzeitig absoluter wird. Wäre es zu keiner Einflussnahme durch Kolonialismus, Mission und später Annexion durch die USA gekommen, hätte man auf Hawaii von einem politischen Gebilde sprechen können, dass sich an der Schwelle zur Hochkultur (trotz fehlen einer Schrift) und zu einem modernen Staat im westlichen Sinn befunden hätte. Cornelia Wallner Zur Analyse von Staat aus der Perspektive der Kommunikationswissenschaft (ausstehend)

Globalisierung Josef Hochgerner Globalisierung verstärkt sozialen Wandel 1. Bestand und Wandel in der Gesellschaft Soziale Beziehungen bilden den Gegenstand der Soziologie - soziales Handeln muss durch eben diese erklärt werden. Eine Beziehung befindet sich nicht in einem fixen Zustand sondern ist ein Prozess – Die Beziehung ist der Wandel. Vergleiche dazu: „Der Wind weht“ - als ob der Wind zunächst ein ruhendes Etwas wäre – dieser Typ der Zustandsreduktion wird auch auf die Begriffe „Individuum“ und „Gesellschaft“ angewandt, obwohl Gesellschaften von Individuen gebildet werden und Individuen ihren spezifischen Charakter nur in Beziehung zu Gesellschaft erwerben können. Elias' Konzept der Figuration geht davon aus, dass Menschen grundsätzlich und unvermeidlich Teil von mehr oder weniger festen Verbänden (Beziehungen, Verbindungen, Abhängigkeits- und Dominanzverhältnissen,..) sind. Figurationen sind als sich wandelnde Muster zu verstehen, welche nie vollständig fixiert sind. Sie stellen fluktuierende „Machtbalancen“ dar, wodurch „Macht“ von einem Substanz- in einen Machtbegriff gewandelt wird. Strukturen der Gesellschaft stehen daher grundsätzlich nicht dauerhaft fest. Das Bestehende ist aber Teil des Wandels – in jeder Momentaufnahme erscheint Wandel als Zustand. Langsame Veränderungsprozesse bilden Traditionen hervor, welche oft über lange Zeit Bestand haben (sich aber auch selbst wandeln können). Es gibt 2 Typen von Strukturen (Bestandsmerkmalen) einer Gesellschaft (bzw. Teilen davon): Formative Strukturen: die Bündelung von faktischen Merkmalen (z.B. Alter und Anzahl) konkreter Personen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Auf Basis fortlaufend registrierter Geburten, Todesfälle, Zu- und Abwanderung können Prognosen zur demographischen Entwicklung, einem zentralen Element des sozialen Wandels, gestellt werden. Dissipative Strukturen: Muster, welche auf Grund balancierter Dynamik (mehr oder weniger) Bestand haben, die relevanten Merkmale aber nicht an konkrete Personen gebunden sein müssen – z.B. politische (oder andere) Einstellungen. Empirische Erhebungen zeigen Momentaufnahmen, Panel-Befragungen können Trends aufzeigen – sie können (und sollen!) aber Meinungen/Parteipräferenzen nicht konkreten Individuen zuordnen. Ein über längere Zeit gleiches Meinungsbild bedeutet nicht, dass immer die selben Personen dahinter stünden – es ist theoretisch denkbar, dass von einer Befragung zur nächsten alle Personen einer Grundgesamtheit ihre Meinung so geändert haben, dass es zum gleichen Ergebnis kommt. Der Zustrom und Abfluss von Einstellungen – z.B. durch Globalisierung – können sich einige Zeit lang die Waage halten: ein durch Bewegung stabiles Muster. Die „Struktur“ bleibt, gebildet durch ständigen Wandel, erhalten – eine „dissipative Struktur“ (Begriff aus den Naturwissenschaften). 2. Die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft bringt Globalisierung hervor Globalisierung ist selbst Teil gesellschaftlicher Prozesse und nimmt den Charakter einer Institution an, weil die Ausweitung gesellschaftlicher Prozesse in globalen Maßstäben (vor allem Wirtschaft und Politik) zu Anleitungen sozialen Handelns führt und Auswirkungen auf Beziehungen und Machtbalancen (bestehende und neue) hat.

Erste Grundlage für das Verstehen von Globalisierung ist die historisch gewachsene Entwicklung von kognitiven Fähigkeiten und deren Einsatz in sozialen Figurationen (flüchtige Kontakte, Familien, Staaten, internationale Organisationen) – daraus folgen Chancen, die Handlungsfelder und Aktionsbereiche auszuweiten. Historische Vergleiche offenbaren Unterschiede in Reichweite, Dichte, Häufigkeit und Vielfalt von Entwicklungen in globalen Dimensionen – was aber als „global“ relevant wahrgenommen wird hängt von den verschiedenen sozialen Erfahrungen, der Sozialisation usw. ab. Globalisierung findet statt, seit weltweit verschiedene Völker existieren, voneinander wissen, ihre Aktivitäten ausweiten und Beziehungen untereinander auf die gesellschaftliche Entwickelung rückwirken. Diesem Ansatz nach ist Globalisierung immer zeitgebunden, eingebettet in langfristige gesellschaftliche Entwicklungswellen. Verwiesen sei hier auf jene frühe Globalisierung, welche Ende 19. Jahrhundert und Beginn 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte, und im Ersten Weltkrieg zu Ende ging. Aber: ist die frühe Globalisierung wirklich mit und durch den Ersten WK zu Ende gegangen? Kann mit Recht von einer Unterbrechung zwischen etwa 1914 und ca. 1980 gesprochen werden? Tatsächlich ist seit dem Ersten WK nur die in der Globalisierung (üblicherweise Ton angebende) ökonomische Komponente schwächer geworden. Andere Aspekte, wie globale Kriege, Entkolonialisierung, verändertes Freizeitverhalten (Reisen) hatten/haben durchaus globale Dimensionen. Durch das, was seit etwas mehr als 20 Jahren schillernd „Globalisierung“ genannt wird, treten viele zusätzliche Phänomene in die Welt – sowohl nach Masse wie auch Qualität. Intensive Änderungen/Neuerungen gibt es vor allem in Phasen von Epochenschwellen – wie der gegenwärtige Übergang von Industrie- zu Informations-/Wissensgesellschaft. 3. Ökonomische und politische Bedingungen der Globalisierung De-regulierte Marktwirtschaft einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft, der Zusammenbruch kommunistischer Systeme (Sowjetunion, Osteuropa) und der Eintritt bevölkerungsreicher Schwellenländer (China, Indien,..) in die Weltmärkte sind maßgeblich für die gegenwärtige Entwicklung der Globalisierung – es kommt zu einem weltweiten Austausch. Polanyi weist hier schon 1900 auf die soziologisch relevante Komponente der Diskrepanz von industriellem und wirtschaftlichem Fortschritt neben wachsender sozialer Ungleichheit hin. Der Kapitalismus beeinflusse das Leben weit über rein ökonomische Belange hinaus – er hat sich von der Gesellschaft „emanzipiert“ (externalisiert). Wirtschaftliche Tauschprozesse werden von sozialen Beziehungen unabhängig gemacht und im Gegenzug wird Soziales zunehmend wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit angepasst – Kontrollverlust über globales Finanzkapital und global „offene Märkte“. Soziale Aktivitäten werden von ökonomischen Rahmenbedingungen abhängig und als „teuer“/nicht leistbar empfunden. Die Dezentralisierung der Produktion von Waren und Dienstleistungen, Öffnung der Zollschranken förderten zwar den Welthandel belasten damit aber die ärmsten Regionen der Welt: aus Europa importierte Produkte sind in Afrika billiger, als die lokale Wirtschaft sie produzieren kann – Verarmung, soziale Unsicherheit, Verfall von (sozialen) Netzwerken und keine Aussicht auf industrielle Entwicklung sind die Folgen. Ebenso wird die wirtschaftliche Abwärtsbewegung und bereits bestehende soziale Ungleichheit verstärkt. Parallel dazu lässt sich auf europäischen Märkten beobachten, dass importiertes Obst und Früchte

(trotz tausender Kilometer Transportweg) billiger sind als heimische Waren – diesen Auswirkungen wird jedoch mittels Einsatz öffentlicher Mittel entgegengewirkt. Die Dezentralisierung von Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungen wird begleitet von einer Zentralisierung der Finanzwirschaft. Im „Kasinokapitalismus“ wird Kapital in Geld zurück verwandelt, also abgekoppelt von realer Ware Geld erzeugt (pers. Anmerkung/Interpretation: „es wird aus dem 'Nichts' Geld erzeugt, was das derzeitige Finanzsystem absurd macht“). Der in diesem Prozess erzeugte Gewinn wird im Idealfall der sozialen Marktwirtschaft eines Wohlfahrtsstaates aufgeteilt in Profit, Investitionen und Lohnsteigerungen. Je besser diese Balance gehalten wird und Re-Investitionen fortgesetzt werden, desto besser entwickeln sich Produktion und allgemeiner Wohlstand (Begünstigung bei Forschung, Entwicklung, Sozialleistungen wie Heizkostenzuschüsse, Stipendien). 4. Soziale Manifestationen der Globalisierung Behandelten Veröffentlichen, Seminare und dergleichen in den 1990ern noch die Frage, was Globalisierung sei, so wird sich heute mehr mit den Auswirkungen und der Zukunft des Lebens in einer globalisierten Weltgesellschaft beschäftigt. Aus soziologischer Sicht sind Auswirkungen auf die Gestaltung sozialer Beziehungen und auf soziale Positionierungen (Ungleichheit/Gleichheit, Inklusion/Exklusion). Soziale Beziehungen sind durch Globalisierung der Art betroffen, dass Verbindlichkeit ab- und die Individualisierung zunimmt. Trinczek (2002) führt vier maßgebliche Dimensionen zur Erfassung der soziologischen Bedeutung von Globalisierung an, während Beck (2001) auf das Verschwimmen der Grenzen zwischen „Innen“ und „Außen“ hinweist: • Entgrenzung sozialer Räume: konkrete Beziehungen werden durch zunehmende Mobilität „entgrenzt“, andererseits kommen neue soziale Räume durch social networks hinzu. Binnenkontakte und Außenbeziehen werden vermischt. • Reflexivität von Lokalität und Globalität: wechselseitige Abhängigkeiten, welche aber auch einseitig ausgerichtet sein können; Wahrnehmung von Chancen und Risken. Keineswegs eine „Gleichmachung“, wie gerne beschworen wird. Der Prozess des Wandels tritt in der Beziehung zwischen dem Innen und Außen in Erscheinung. • Kompression von Raum und Zeit: Die scheinbare Erweiterung, der an Raum und Zeit gebundenen, menschlichen Existenz – was wirklich erweitert werden kann sind die „soziale Person“ (als Teil von Figurationen im Elias'schen Sinn) und ihre Handlungsfelder, dies trifft gegenwärtig aber nur für einen kleinen Teil der Weltbevölkerung zu. Bis hin zu einer globalen „Weltbürgerschaft“ wird es noch vieler Globalisierungsphasen bedürfen. • Bewusstsein von Globalität: bringt das Innen (Zugehörigkeitsgefühle, Identitäten) und Außen (Unterscheidungen, Erwartungen) in neue Relationen – es entstehen neue und veränderte soziale Wirklichkeiten. Soziale Positionierungen - Eine der größten gesellschaftlichen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts: die Verknüpfung von sozialer Sicherheit mit Arbeit wurde der De-Regulierung von Märkten geopfert (Mahnkopf 2003). Dieser Verlust an Sicherheit lässt Fragen nach gerechter Verteilung und sozialer Absicherung aufkommen. Mindestsicherung und Grundeinkommen - welche wichtige Instrumente wären – werden oft mit dem ideologisierten Argument, dass der Anreiz arbeiten zu gehen verloren ginge, abgetan. Dabei wird aber immer vergessen, dass Arbeit nicht nur aus der ökonomischen Komponente besteht sondern auch soziale Integration, Sinnstiftung, Werte und somit Motivation beinhaltet.

Finanzielle Bewertung von Arbeit: Die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen zeigt sich durch Phänomen wie der working poor – Menschen, die von ihrer Arbeit nicht leben können (nur mittels Zweitjobs, „Schwarzarbeit“) und der sinkenden Zahl von Bezieher_innen mittlerer Einkommen. Auf der anderen Seite gibt es höchste Einkommen aus der Spekulation mit Währungen und Nahrungsmittelpreisen – hier findet eine Entwertung von Arbeit statt, teilweise sind sogar ganze Völker dadurch bedroht (Währungen). Hier von Arbeitseinkommen zu sprechen ist fragwürdig. Vor diesem Hintergrund wird die Ausgleichsleistung durch Grundeinkommen/Mindestsicherung klar – es würde auch den sozialen Zusammenhalt und die Kaufkraft stärken. Durch die steigende Kluft zwischen Armen und Reichen läuft ein Staat auch Gefahr seine erste und ursprünglichste Funktion – den Schutz des Lebens und individuellen Eigentums – zu beschädigen. Werden die dadurch entstehenden soziale Problemen Probleme, wie Kriminalität, mit klassischen Mitteln wie – mittlerweile oftmals privatisierter (Gefängnisse USA) – Polizeiarbeit bekämpft, löst das keineswegs die Probleme. Investitionen in soziale Sicherheit wären billiger und nachhaltiger – als das naive bis zynische Vertrauen des „trickling down effects“. Österreich gehört keineswegs zu den Ländern, in denen die Kluft zwischen Arm und Reich besonders groß ist – „{...} die Welt als Ganzes ist sozial weit mehr gespalten als jedes einzelne Land. De facto befinden wir uns heute in einer globalen Apartheid, einem absolut nicht friedens- und zukunftsfähigen Zustand. Dies ist das größte Hindernis für eine nachhaltige Entwicklung {…}. (Radermacher 2002a). Trotz der im internationalen Vergleich günstigen Lage stieg in den letzten Jahren die Einkommensdisparität unverhältnismäßig stark (Gagen von Spitzenmanagern im Jahr 2008 48-mal so hoch wie Durchschnittsgehälter – 2000 „nur“ 20-mal). 5. Gestaltung der Globalisierung Eine epochenübergreifende Perspektive ist gefragt: Bis ins 20. Jahrhundert war Globalisierung ein Prozess der fortschreitenden Aneignung globaler Ressourcen; Globalisierung im 21. Jahrhundert führt auf Grund zu weit gehender Ausbeutung zu Rückschlägen. War Globalisierung bisher von sozialem Wandel getrieben, so wird dieser nun von der Globalisierung beschleunigt – mit einhergehend: soziale Ungleichheit, Umformung, Überlagerung und Destabilisierung von sozialen Beziehungen. Soziologische Analysen sollen vor allem die Ansatzpunkte zur Erfassung sozialer Dynamik in Figurationen, die formativen und dissipativen Strukturen der gesellschaftlichen Zustände und Entwicklungen beachten. Weiters ist auch die Dominanz der (vor allem Finanz-)Ökonomie in der Realwirtschaft zu bedenken! Eine sozial verträgliche Gestaltung der aktuellen und zukünftigen Phasen der Globalisierung setzt die Re-Integration von Wirtschaft in die Gesellschaft voraus. Dafür zwei Grundpfeiler: • wirtschaftlich geschaffener Reichtum ist als gesellschaftlicher Reichtum zu verstehen und behandeln • neue Denkweisen über das traditionelle Grundverständnis von Ökonomie als Management von Knappheit hinaus – es wird in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts um Dematerialisierung der Wirtschaft und um Management des Überflusses gehen; vor allem, da die größten Teile der Welt vom Überfluss ausgeschlossen sind. Thomas Michael Streitfellner Politik der Globalisierung

1. Einleitung Symbolträchtiges Ereignis für die Politik der Globalisierung wären die Anschläge vom 11. September 2001. Politik ist immer Risiko und Möglichkeit zugleich. Wissenschaftliche und technische Errungenschaften der Moderne bilden den eigentlichen Kristallisationspunkt der Globalisierung 1.1 Begriff der Globalisierung Globalisierung ist ein Prozess der Entwicklung und durch folgende Faktoren charakterisiert: schwindende Bedeutung geographischer Faktoren für die Entstehung sozialer Räume/Aktivität und die Zunahme der Geschwindigkeit eben dieser. Folglich: Neuorientierung von Nationalstaatlichkeit. Prozess auf mehreren Ebenen: Kommunikation, Migration, Produktion, Konsum, Kapital, Organisation, Krieg, Umwelt, Gesundheit, Recht und Wissen. Globalisierung wird meist als weltweite Integration der Volkswirtschaften interpretiert, mit Möglichkeiten der Massenproduktion – was aber keineswegs eine kulturelle Vereinheitlichung bedeutet! Globalisierung ist auch nicht völlig neu – existierte schon im vorletzten Jahrhundert. 1.2 Globalisierung als neues Phänomen? Das Beispiel der Luftfahrtindustrie Die ersten Fluglinien und der Personenflugverkehr, welcher anfangs unrentabel war, wurden nach dem ersten Weltkrieg von Kampfpiloten gegründet, waren aber nach dem zweiten Weltkrieg bereits weitgehend in Staatsbesitz. Mittlerweile befinden sich die drei größten globalen Luftfahrtallianzen in der Hand von internationalen Privatgesellschaften (Jahresumsatz: 406 Milliarden Dollar; Passagieraufkommen: 1,4 Milliarden Menschen). Die Dichotomie der Globalisierungstendenzen lassen sich hier erkennen: War die Luftfahrt einerseits ein Motor der Globalisierung, ist sie zugleich auch stark von ihr determiniert. Globalisierung ist auch durch eine Dichotomie von Kontinuität und Wandel gekennzeichnet. 1.3 Alte und neue Ungleichheiten: Politische Ökonomie und globale Kapitalverhältnisse Die Zahl der Menschen mit mehr als einer Million US-Dollar Kapitalmittel stieg 2009 auf weltweit 10 Millionen an; die 20 reichsten Menschen der Welt verfügen über ein Vermögen von 550 Milliarden US-Dollar – das entspricht dem gemeinsamen Volkseinkommen mehr als der Hälfte aller Nationalstaaten. Dass Globalisierung auf einer fortschreitenden Integration aller Volkswirtschaften beruhe erscheint somit fragwürdig. Die Eliminierung nationaler Handelsbarrieren und Schutzmaßnahmen im Agrarbereich wurden von westlichen Industrienationen stark vernachlässigt. Forderungen von Entwicklungsländern bezüglich Öffnung westlicher Märkte und die Senkung von Subventionen wurden ignoriert – laut Weltbank würde eine Eliminierung dieser Barrieren den Entwicklungsländern Zuwächse von mehr als 100 Milliarden US-Dollar/Jahr verschaffen. Anteil an Subventionen und Steuergeldern (staatliche und Konsumentenseite) landwirtschaftlicher Unternehmen in reichen Industrienationen betrugen 2001 in der Schweiz, Norwegen, Korea und Japan zwischen 60 und 70% (EU-Schnitt: ein Drittel, USA: ein Viertel). 1.4 Neue Herausforderungen Die Politikwissenschaft ist gefordert sich den Zusammenhängen in materieller Hinsicht und auf Bedeutungsebene anzunehmen. Das Konzept von (globaler) Governance erweitert den Regierungsbegriff ausgehend von formellen Regierungsinstitutionen (Staaten, Organisationen) auf informelle Akteure (NGOs, transnationale Unternehmen, individuelle Akteure).

Governance: Erzeugen von Rahmenbedingungen (Regeln, Normen), welche wechselseitiges Handeln in spezifisch gelenkten Bahnen ermöglichen – somit also sowohl Struktur politischen Handelns als auch die Mediation individueller Machtinteressen in politischen Entscheidungsprozessen. 2. Erklärungsansätze und Zugänge in der Politikwissenschaft 2.1 Dimensionen und Konzepte Vorstellung der Hauptkonzepte 2.1.1 Internationalisierung Internationalisierung bedeutet eine Zunahme von internationalem Austausch und wechselseitiger Abhängigkeit zwischen globalen Akteuren. Von einer globalen Ökonomie kann allerdings keine Rede sein, da strategische Entscheidungen einflussreicher Nationalstaaten die internationale Politik dominieren. Eine Hybridisierung von Wirtschaftspolitik würde Regierungen Steuerungsfähigkeit kosten (Einflussverlust nationaler Gewerkschaften; Zunahme an multinationalen Konzernen). 2.1.2 Liberalisierung Darstellung von Globalisierung als Ergebnis neoliberaler, makroökonomischer Politik. Erklärungsansatz ist der Rückgang der Restriktionen bezüglich Waren-, Rohstoff-, Kapital- und Personenverkehr in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Befürworter neoliberaler Ansätze argumentieren, dass Marktliberalisierung, Privatisierung, Deregulierung und Steuerfreiheit weltweit zur Verbreitung von Freiheit, Demokratie, Wohlstand führen würde. Gegner verweisen auf die steigende Kluft zwischen armen und reichen Nationen, Zerstörung des Planeten und steigenden demokratischen Defiziten. 2.1.3 Universalisierung 1940er: Demokratische Weltordnung würde zu „globaler Freiheit“ führen – Globalisierung in diesem Kontext führe zur weltweiten Synthese von Kulturen, einhergehend mit einem „globalen Humanismus“. Heute: weltweite Verbreitung von Produkten, Praktiken und Informationen mit Tendenz zu Vereinheitlichung – 1990er, orientiert am Begriff Kreolisierung (Hannerz) => Bildung des Konzepts: Hybridisierung – Globalisierung => Entstehungsprozess neuer Bedeutungen durch lokale Adaptionen. Globalisierung ist also kein rein westlich modernes Produkt, es gehören auch die Vermischungen von Kultur beachtet. 2.1.4 Modernisierung Globalisierung wird hier als Verwestlichung durch Verbreitung „moderner“ Kategorien wie Kapitalismus (hauptsächlich US-amerikanischer Prägung), Rationalismus, Industrialisierung, Bürokratie und Individualisierung dargestellt. Daraus würden kulturelle Konflikte, der Verlust von Identität und Tradition, neue Kriege, usw. folgen. Weitere Ansätze problematisieren die einseitige Herleitung von Globalisierung aus der (westlichen) Moderne, sowie die Konzeption einer machtlosen Zivilgesellschaft (die diese Entwicklung auch noch befördert). Es wird eine Beförderung pluralistischer Formen von Identität und politischer Teilnahme gefordert. 2.2 Überblick: Theoretische Denkschulen Kritische Hinterfragung bestehender Denkschulen und vor allem Adaption bestehender

theoretischer Modelle an die empirische Praxis sind von Bedeutung. Lösungen abseits traditioneller Ansätze in Bezug auf: Effektive Regierung, Verteilung von Macht, Steuerung politischer Prozesse finden, ohne dabei etablierte Kategorien (wie z.B. Nationalstaat) über Bord zu werfen. Zugang Zentrale Kategorie Erklärungsansatz

Liberalismus Markt Technologischer Fortschritt und institutionelle Infrastruktur

Marxismus Produktion/Kapital Imperialismus und US-Kapitalismus

Politischer Realismus Nationalstaat Wettbewerb zwischen Supermächten, Kalter Krieg, US-Hegemonie

Konstruktivismus Sprache Konstruktion von Realität über ihre soziale Vermittlung – Rekonstruktion sozialer Welten

Poststrukturalismus Wissen/Macht Imperialismus, Dominanz von rationalem Wissen

Feminismus Geschlecht Maskulines Denken und Unterwerfung unter patriarchale Strukturen

2.3 Konzeptuelle Einbettung von Globalisierung Globalisierung => sowohl weltweite Ebene, als auch innerhalb von Nationalstaaten und deren Substrukturen. Folge ökonomischer Globalisierung => Umgestaltung von Territorialität und Souveränität. Johan Galtung (Friedenstheoretiker): Industrialisierung/Modernisierung der „dritten Welt“ hätte eine Anregung qualitativ neuer Entwicklungen in der „Ersten Welt“ zu Folge. Michael Hardt und Antonio Negri: neue Weltordnung werde von einem postimperialen Empire, errichtet von transnational, global operierenden Kapitalgesellschaften und Konzernen bestimmt. Nationalstaaten verlieren, angesichts von lokalen Zentren wie New York, London, Paris, Tokio, Hong Kong oder Singapur als Knotenpunkte eines globalen ökonomischen, politischen und kulturellen Steuerungsnetzwerks, keineswegs an Bedeutung (siehe: Sassens Konzept der „global city“). Demnach sind globale Prozesse sehr wohl national determiniert – Bereitstellung der Infrastruktur und Institutionen durch Nationalstaaten. 3. Fazit: Erweiterung und Transformation politischer Räume Gegenwärtige Debatten in der Politikwissenschaft: Entgrenzung traditionell territorialer politischer Räume; Neuformulierung allgemeiner politischer Erklärungsansätze. Integration traditioneller Modelle von Politik in Mehrebenenprozesse politischer Steuerung. Regierungen stehen vor der komplexen Aufgabe, staatsbürgerliche Rechte und Pflichten sowohl in Bezug auf bestehende Staatsapparate als auch auf supranationale Räume auszugestalten. Hermann Mückler Globalisierung als Herausforderung an die Kultur- und Sozialanthropologie

Eric Hobsbawm bezeichnete eine in der globalisierten Welt lebende Person einmal als „homo globtus“ - sie habe mit gravierenden Veränderungen umzugehen, die sich in vielerlei hybriden Identitäten (Homi Bhaba 2000) ausdrücken. Die Veränderungen erfordern ein aufbrechen der Nah-Fern-Dichotomie, welche die KSA lange prägte. Es gibt nicht mehr nur „das Eigene“ und „das Fremde“, ein „hier“ und „dort“ - Begriffe wie Entgrenzung, Hybridisierung, Multipolarität und Network-Society. bestimmten diese neue Unübersichtlichkeit. Bruno Latour bezeichnete dies treffend: „Der Anthropologe ist aus den Tropen zurückgekehrt“ - Kultur, Gesellschaft und Ort sind immer seltener deckungsgleich - eine konkrete Zuordnung von Weltbildern, Wirtschaftssystemen, politischen Organisationsstrukturen an bestimmte Orte ist immer schwerer möglich. Die Differenzierung von Nah (Heimat, Bekanntes, Berechenbares) und Fern (Exotik, Andersartigkeit, Unberechenbarkeit) war ein ein schon immer häufig strapaziertes und auch instrumentalisiertes Konstrukt, welches es zu hinterfragen gab – heute ist es obsolet. Ulf Hannerz bezeichnet diese rezenten Ausrichtungen treffend als „transnationale Anthropologie“. Begrifflichkeiten und Zugänge Der grundsätzliche Zugang und Anspruch hat sich geändert. Hatte man mit den alten Monographien (in der Ferne) noch oft einen ganzheitlichen Anspruch - Glaubenssystem, Techniken Ethnowissenschaften, Machtmechanismen, Ökonomien usw. zusammen erforschen – wird dies bei Untersuchungen der eigenen „modernen“ (Annahme: komplexer) häufig aufgegeben. Latour kritisiert genau dieses Messen mit zweierlei Maß als Problem und Ursache für die Desorientiertheit und mangelnde Sichtbarkeit der KSA gegenüber anderen Wissenschaften, wie Soziologie, Geschichte oder Psychologie, welche immer schon „zersplitterter“ geforscht hatten. Die Globalisierung hatte also eher eine Fragmentierung und Partikularisierung als eine Beibehaltung traditioneller Herangehensweisen bewirkt. Im Zuge der Globalisierung sind neue, transnationale und entnationalisierte soziale Räume entstanden – weltweite Verflechtungen, welche die heutige ethnologische Forschung unter den Aspekten der Divergenz und Differenzen der Prozesse der Globalisierung aber auch dem Verschmelzen, der Amalgamierung von globalen und lokalen Elementen betrachtet. Das Lokale verschwindet nicht, sondern tritt in Beziehung zum Globalen und gebiert unter Umständen etwas Neues - „Glokalisierung“. Es wurden viele Begriffe für das Entstehen neuer „Aggregatszustände“ und Wechselbeziehungen erfunden: Hybridisierung, McDonaldisierung, Corollarisation, Melange-Effekt, Mimikry, Kreolisierung, Transnationale Netzwerke, Synkretisierung usw. Allgemein kann Globalisierung als der Prozess einer zunehmenden internationalen Verflechtung in allen Lebensbereichen (Wirtschaft, Kommunikation, Politik, Kultur, Umwelt,..), welche alle Individuen, Gruppen, Gesellschaften, Institutionen und Staaten betrifft, bezeichnet werden. Die Konsequenzen für alle Genannten mögen zwar regional und inhaltlich unterschiedlich sein – in den grundsätzlichen Auslösern können jedoch Gemeinsamkeiten erkannt werden. Globalisierung kann auch an der Intensität, Geschwindigkeit und Beschleunigung der Prozesse ausgemacht werden und sie lässt sich in Themen unterscheiden (wie Globalisierung der Wirtschaft, Politik oder Umwelt usw.). Die Sozialwissenschaften neigen dazu Globalisierung nicht als neuartige Phänomene des späten 20. und frühen 21. Jahrhundert zu fassen. Manche wählen das 16. Jahrhundert, wieder andere gehen bis ins 4. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung zurück (Die Größenordnungen, Intensitäten usw. divergieren hier natürlich). Historisch und rezent werden, im Rahmen der sogenannten „connected histories“ (Subbereiche:

„cultural history“, „global history“, „transnational history“, „entagled history“) Phasen und Dominanzbereiche definiert, wie z.B. die „Anglobalisierung“ (federführene Rolle angelsächsischer Länder). Ein Sprung in der Beschleunigung kann ab dem Fall der Berliner Mauer (1989) festgestellt werden – der Zusammenbruch des Sozialismus und der „Triumph“ des (Markt-)Liberalismus, welcher bestimmt eine zusätzliche Dynamik im wirtschaftlichen Bereich und Beschleunigung von Verflechtungen im Warenverkehr brachte (ebenso aber auch die hohen Wachstumsraten in den Staaten Südost- und Ostasiens). Gleichzeitig stieg aber auch die „awareness“ auf Grund z.B. des drohenden Kollaps des Weltklimas, Versalzung, Überflutungen, Verknappung zentraler Ressourcen – dies zwingt den Menschen ein Umdenken auf. Diese Probleme können allerdings nicht auf nationaler Ebene, „isoliert“ gelöst werden – auch diese Erkenntnis ist Globalisierung: viele Dinge können nur im Zusammenspiel aller bekämpft und verändert werden; sie kann und muss so unter dem Gesichtspunkt der Änderung von Denk- und Handlungsweisen betrachtet werden. Korreliert werden können hier drei prozessuale Entwicklungen: Fragmentierung, die Dynamik der zyklischen Expansion und Kontraktion und die Rolle von Grenzziehungen. Globalisierung und Fragmentierung Globalisierung führt gleichzeitig zu Vereinheitlichung: Medien, Finanzwelt, Moden, Geschmäcker,.. und Fragmentierung: ethno-nationalistische Konflikte, Zerfall von Staaten, Abbau des Sozialstaat, Dichotomie von globalisiertem Reichtum und lokalisierter Armut (Zygmunt Baumann). Baumann kritisiert die Neuverteilung von Reichtum und Privilegien – es entsteht die Gruppe der „Reichen“, die globalisiert ist, nicht Ortsgebunden ist und keine Zeit mehr hat, und auf der anderen Seite die „Armen“, welche räumlich gebunden sind und nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Die „Reichen“ sind nicht mehr von den „Armen“ abhängig (um Reichtum zu schaffen). Nach Baumann existiert zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlierern weder Einheit noch Abhängigkeit. Durch diese Entsolidarisierung entstehen völlig neue soziale Probleme, es hat fatale Konsequenzen für den Zusammenhalt von Gesellschaften: Massenarbeitslosigkeit, Anstieg von Kriminalität, Verslummung ganzer Stadtteile, Sozial-Dumping,.. Ebenso gibt es eine Entindustrialisierung in Europa und eine neue Fokussierung auf Dienstleistungsberufe (Finance, Insurance, Real Estate – FIRE). Diese Reich-Arm-Dichotomie gibt es nicht nur innerhalb einer Gesellschaft, sondern auch global – zwischen Staaten. Weiters gibt es eine Benachteiligung peripher gelegener Gebiete (z.B. Ozeanien). Dynamik der zyklischen Expansion und Kontraktion Der Prozess der Globalisierung ist nicht notwendigerweise Unumkehrbar => Deglobalisierung zeigt sich z.B. am Beispiel an den gescheiterten Zusammenlegungen von Großkonzernen zu „Weltunternehmen“ - es gibt neuerdings einen Trend zum „Small is beautiful“. Jeff Rubin sieht mit den steigenden Energiepreisen (der „peak oil point“ sei bald erreicht) ein Ende der Globalisierung in manchen Produktionsbereichen. Der Stellenwert von Import/Export wird sich genauso wie unsere Wirtschaft wieder fundamental verändern, die Dienstleistungsgesellschaft wird zumindest teilweise wieder eine Produktionsgesellschaft. Hier ergibt sich auch Handlungsbedarf im Ausbildungsbereich! Die Sichtbarmachung der Auswirkungen auf das Individuum (z.B. Änderung der geotopologischen Identität), dessen Stellung und Beziehungen in der Gesellschaft, die daraus erfolgenden gesellschaftlichen Veränderungen sind Aufgabe zukünftiger Kultur- und Sozialanthropolog_innen. Globalisierung und Grenzen

Scheinbare Grenzauflösungen sind fast überall nur Grenzverschiebungen. Mit dem Wissen der KSA um die verschiedenen „Spielregeln“ von sozialen Gruppen können Fragen der Rückwirkung von solcher Dynamik auf die inneren Strukturen der Gesellschaft vergleichend angegangen werden. Grenze ist auf viele soziale Sachverhalte anwendbar, trennt Personen inner- und außerhalb der Gruppe. „Eine Grenze muss verkörpert werden oder ins Werk gesetzt werden, und eine Grenze kann nur etwas trennen, was grundsätzlich auch verbunden ist“ (Bös). Vier Eigenschaften der Grenze als definierendem Faktor: • Eingrenzung • Ausgrenzung • Separation • Kommunalität Im Rahmen von Globalisierung wird sich mit „Grenzkonstitution“, „Grenzübergang“ und dem Konzept der „offenen“ bzw. „geschlossenen Gesellschaft“ auseinander gesetzt. Eine soziale Beziehung kann dann als geschlossen bezeichnet werden wenn Personen die Teilnahme verwehrt, eingeschränkt oder an Bedingungen geknüpft wird – jede Schließung fördert die Mobilisierung der Ausgeschlossenen dagegen. Konzept der sozialen Schließung im Weber'schen Sinn: Beschreibung von sozialer Ungleichheit, Charakterisierung des Nationalstaates, welcher in der heutigen Welt von manchen als primärer Agent sozialer Schließung gesehen wird. „Die grenzenlose Globalisierung wird es noch so weit bringen, dass jedes Land auf unserer Erde an jedes andere Land grenzt“ (Ernst Ferstl). Kultur- und sozialanthropologische Annäherungen Für die KSA ist vor allem die Globalisierung von Kulturen bzw. des Kulturellen von Bedeutung. Beobachtet werden beispielsweise: • Veränderungen von Sozialstrukturen in bäuerlichen Gesellschaften (grüne Revolution in der Landwirtschaft) • Abwanderung in Städte • Langzeitwirkungen des Kolonialismus • Post- und Neokolonialismus • regionale und transnationale Migrationsbewegungen • urbane Lebensformen • neue Formen von Ethnizität, Religiosität, familiärer Solidarität,... Der Faktor Demographie spielt hier auch eine entscheidende Rolle. Sogenannte mega-cities sind Orte der kulturellen Globalisierung geworden, während ländliche Gebiete oft kulturell verarmen – dies liegt vor allem an der Arbeitsmigration. In den Städten setzt sich die Urban-Anthropologie vor allem mit Subkulturen, welche früher als homogen und abhängig von traditionellen Kulturen gesehen wurden (widerlegt von Hannerz), auseinander. Hannerz postulierte auch, dass der Kulturbegriff der Ethnologie/Sozialanthropologie, auf Grund der ungleichen Verteilung und Diversität kultureller Repertoires innerhalb derselben Gesellschaft, neu definiert gehört – Entgegen der kulturanthropologischen Sicht, derzufolge Kultur das sei, was alle Mitglieder einer Gesellschaft teilen (unabhängig von sozialen Positionen). Hannerz vertritt ähnlich wie Bourdieu und Giddens die Auffassung, dass die Sozialstruktur teilweise auf kulturellen Distinktionen beruht und kulturelle Komplexität der Ausdruck komplexer sozialer Strukturen ist. Arjun Appadurai setzte sich mit Postkolonialismus auseinander und kritisierte, dass Modernisierungsprozesse allzu lange innerstaatlich untersucht worden waren – verschiedene

Dimensionen der Modernisierung haben sich mittlerweile aber entnationalisiert und globalisiert („glokale“ Kultur-Ökonomie). Er Unterscheidet zwischen verschiedenen scapes: • ethnoscapes: Menschen und Gruppen in Bewegung (Immigrant_innen, Tourist_innen, Flüchtlinge,..) - von welchen wesentliche Impulse zur Veränderung der Politik innerhalb und zwischen Nationen ausgehe. • technoscapes: grenzüberschreitende Bewegungen von Technologien • financescapes: Devisenmärkte, nationale Börsen,.. • mediascapes: Produktion, Verbreitung, Ausstrahlung und Wirkung von Medien • ideascapes: Verkettung, Wirkung und Interpretation von zirkulierenden politischen und religiösen Ideologien, welche Herrschaft legitimieren. Mit der Globalisierung wurden viel Gewissheiten, Orientierungspunkte, Zuteilungen obsolet. Habermas sprach hierbei von der „Neuen Unübersichtlichkeit“ und Baumann vom „Ende der Eindeutigkeit“. Robertsons Begriff der „Glokalisierung“ meint, dass das Lokale als Aspekt des Globalen verstanden werden muss und das Aufeinandertreffen lokaler Kulturen bedeutet, die dann inhaltlich neu bestimmt werden müssen. Ängste, wie sie beispielsweise in Huntingtons einseitigem „Clash of Civilizations“ (Punkt für Punkt widerlegt von Harald Müller) heraufbeschworen werden, gehört entgegengewirkt um eine mögliche „self-fullfilling prophecy“ zu verhindern. Die häufig befürchtete Vereinheitlichung hat so nicht stattgefunden – zu groß ist das Bedürfnis nach individualistischer Selbstdefinition, Identitätskonstruktion – es wird häufig lokal verändert, adaptiert, in neuen Kontexten eingebettet, komplett anders als vorgesehen verwendet (es kann hier von Kreolisierung gesprochen werden). Die KSA hat sich intensiv (insbesondere mit der Methode der länger dauernden Feldforschung) mit Formen von Aneignungen und Inkorporationen auseinandergesetzt, dabei sowohl Teilaspekte als auch die Gesamtheit betrachtet, sich geschlechterspezifischen Betroffenheitsszenarien gewidmet, Migrationsdynamiken und die Rolle der Nationalstaaten erforscht. Vielleicht gelingt es somit die negative Konnotation des Begriffs Globalisierung etwas zu lösen. Thomas Alfred Bauer Globalisierung aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive Theoretisch-methodische Annäherung Sozialer Wandel ist ein sozialtheoretisches Konzept, welches sich auf alle Merkmale der Soziabilität des individuellen Lebens bezieht: nichts an Eigenem lässt sich ohne Bezugnahme auf Andere verstehen. Es handelt sich um Vorgänge des sozialen, durch Kommunikation bewerkstelligten Lebens – Formen der alltäglichen sozialen Interaktion, Werte, Bedürfnisse, etc. werden nur als solche wahrgenommen, weil sie sich von Bezugnahme zu Bezugnahme ändern. Es gilt das Grundsatzprotokoll des sozialen Vertrauens, welches sozial verankert ist – „gesellschaftliche Verhandlung“. Soziale Lohn-Strafe-Mechanismen, Erwartung und Erwartungshaltung variieren nach kulturhistorischer Verankerung in den Strukturen und Institutionen. Diese sozialen Institute haben eine Medienfunktion als Vermittler zwischen Individualität und Soziabilität des Lebens/Eigenwelt und Sozialwelt – sie sind auch laufend der Prüfung auf Verlässlichkeit oder Durchlässigkeit ausgesetzt. Für alle dies Zusammenhänge gibt es das Grundmodell der Kommunikation: sie lässt sich nur über Kommunikation und auf dem Wege der Kommunikation beschreiben, aber die Logik der Kommunikation ist bestenfalls die Kommunikation von Logik im Sinne einer Verständigung über

eine mögliche Logik. Die Logik der Kommunikation ist, dass sie sich, wenn überhaupt einer Logik der sozialen Ordnung unterwirft, die aber zugleich auch unterbricht. Kommunikation ist eine kulturelle Leistung der kognitiven Autonomie des Menschen/von Gesellschaften, obwohl zugleich auch deren Bestandsgrundlage. Wenn man sich für eine Kommunikationstheorie des sozialen Wandels entscheidet, entscheidet man sich für eine (bestimmte) Kultur der Theorie – entscheidet man sich für eine offene und lernfähige (unterbrechungsfähige/frei), sollte es möglich sein ein offenes und Lernfähiges Konzept der Kultur des sozialen Wandels zu entwerfen. Die Vorstellung vom Verhältnis von sozialem und kulturellem Wandel beschreibt die Korrelation in beiden Richtungen – die Beobachtung des Wandels selbst ist eine kulturelle Leistung (← tl;dr). Kultur kann man als die Informationsebene des Wandels und Wandel als die Formationsebene von Kultur verstehen. Epistemologische Annäherung: Kybernetik der Beobachtung Beobachtung von Beobachtung. Was ist das kulturelle oder kognitive Modell der Beobachtung von sozialem Wandel? Wie wirkt sich der soziale Wandel auf die (Kultur der und Kognition von) Beobachtung aus? Ein rein kausales System reicht zur Analyse sozialen Wandels nicht aus, da eine Beeinflussung in beide Richtungen möglich ist – ein zirkuläres Modell ist gefragt: der Kreis als Bewegung endet nicht bei sich selbst, sondern – als Beobachtung von sich selbst – gegen sich selbst. Ein solches - kybernetisches – Erkenntnismodell ist selbst aktiver Teilnehmer der Erkenntnis. Im Begriff des sozialen Wandels geht es letztendlich um die futurabilty (Konstruktion von Zukunft) – wobei hier Bezug auf das Konzept der Zeit genommen wird um Entwicklungen und Veränderungen messbar zu machen. Sozialer Wandel ist das Konzept, in dem Zeit und Ereignis zueinander dialogisch (kommunikativ) gestellt werden. So macht es denn auch Sinn, die Rolle der Medien im Sinn ihres (diskursiven) Gebrauchs und als Agenturen der sozialen Praxis mit einzubeziehen. Der Stand der soziologischen Konzepte des sozialen Wandels Sozialer Wandel als Schlüsselthema in den Sozialwissenschaften; Konzepte beschäftigen sich mit der Vorhersagbarkeit des Wandels. Theorien: • der Modernisierung: Modelle wie fragmentierte, Single-, Erlebnis-, Mediengesellschaft. Trend in Richtung Absicherung gegen Unsicherheit. • des gesellschaftlichen Lernens: Wandel ist nicht etwas das passiert, sondern etwas, das man tut, indem man aus dem, was man beobachtet lernt (und dann auch verändert). Gesellschaftliches Lernen; Soziale Praxis des Mediengebrauchs; Modell des sozialen Wandels, dass sich mehr um das „Wie passiert etwas“ als um das „was“ kümmert. • der Ökonomisierung: Verhandlung wirtschaftlicher Interessen (Herrschaftsinteressen impliziert); neomarxistische Ideologien – sozialer Wandel sei Resultat des privaten und neoliberalen Systems. Konzentrierung von Reichtum. • der Differenzierung: Unterschiede von Entwicklung (Geschichte und Institutionen) • des kulturellen Wandels: „kultureller Fortschritt“; Medienglobalisierung; gegenwärtige Krise: Die neue Komplexität dieser Krise ist, dass die Weltgesellschaft mit einer Krise des sozialen Wandels konfrontiert ist und zugleich mit dem sozialen Wandel der Krise. Der soziale Wandel ist das Modell der Krise wie die Krise das Modell des sozialen Wandels ist.

Die philosophische Einordnung des Konzepts des Wandels Krise und Wandel Zeitorganisation und Zeitintuition Kommunikation und Medien Sozialer Wandel als Kampf der Kulturen: Identität und Individualität Der eigentliche Charakter des sozialen Wandels besteht im Wandel der sozialen Beziehungen und der sozialen Bezüglichkeit des individuellen Lebens. Wandel der kulturellen Konzepte von sozialer Beziehung (Taylor): • Familiengesellschaften (embracing society) • Freund-Feind-Gesellschaften • Nebeneinander-Gesellschaften (next-to-next-society) Sozialer Wandel im Kontext der Mediengesellschaft: Medialität und Technologie Zunehmend lernt die Kommunikationswissenschaft Medien weniger als technisches Werkzeug, dass Kommunikation ermöglicht zu begreifen – sondern als den Ort der Vereinbarung und gegen- und wechselseitigen Verständigung. „Medienwandel“ ist nicht nur der Wandel der Medien (Technologie, Organisation, Programm,..) sondern auch auch gesellschaftliche Partizipation. Wandel von Medienkommunikation im Kontext von Globalisierung ist beeinflusst von: Transkulturalität, Translokalität, Transterritorialität. Nicht die technischen Strukturen machen das Medium aus, sondern dessen Nutzung. (pers. Anmerkung: der Text ist leider dermaßen abstrakt gehalten und etwas anstrengend zu lesen – die vorliegende Zusammenfassung ist leider keineswegs komplett)

Migration Josef Hochgerner Migration ist Mobilität in der Weltgesellschaft 1. Grenzen machen mobile Menschen zu MigrantInnen Migration bezeichnet traditionell eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes aus einem Land in ein anderes – internationale Mobilität. Im Mittelpunkt stehen dabei: Gründe und Folgen für die Migrant_innen, Gestaltung der sozialen Beziehungen zwischen den Bevölkerungsteilen. Daneben gibt es auch innerstaatliche regionale Mobilität (in der Regel weniger Spannungen): Arbeitsbedingtes Pendeln oder Binnenwanderung (z.B. Wohnortswechsel in ein anderes Bundesland). Migrant_innen sind „Menschen, die aus unterschiedlichen individuellen Gründen ihren Herkunftsort bzw. ihr Herkunftsland verlassen, um andernorts die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zu suchen“ (Han) – sei dies nun aus Zwang (Verfolgung, Wegfall der Lebensgrundlage) oder ohne Zwang (mit hoher Risikobereitschaft). Bei der Binnenwanderung gibt es Unterschiede, je nach dem ob ein Land eine relativ homogene Bevölkerung hat - z.B. kleines relativ homogenes Österreich vs. Regional stark unterschiedliche Wohlstandsniveaus in BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika). Durch die Entwicklung der EU ergeben sich neue Perspektiven: was früher eindeutig internationaler Migration entsprach, wird durch wirtschaftliche und politische Integration Europas zu einer Form regional großräumiger Binnenmobilität. Aus Sicht Österreichs lässt sich hier eine Verbindung zur Donaumonarchie ziehen. Aus dieser Zeit stammen auch vielfältige familiäre Beziehungen und kulturelle Traditionen , die als völlig „normale“ (integrierte) Elemente österreichischer Gegenwartsgesellschaft gelten, welche aber aktuell an anderer Stelle als Migrationshintergrund bezeichnet würden. Trotz Bemühens um political correctness transportiert der Begriff „Migrationshintergrund“ vor allem eine Differenz im Sinn von Über- und Unterordnung und begrenzte Kompatibilität durch soziokulturelle Unterschiede. Daher findet der Begriff bei Zuwander_innen aus „gleichrangigen“ (Wohlstandsniveau) Ländern keine Verwendung. Die Unterscheidung zwischen Aus- und Inländer_innen folgt den im Lauf der Zeit gezogenen und variablen Grenzen – welche auch immer wieder Überwunden wurden und werden (Berliner Mauer, Grenzzäune Israel/Palästina, USA/Mexiko,..). Reale und behauptete Unterschiede werden sozial und kulturell aufgeladen um Grenzen als Muss zu begründen. Grenzen haben allerdings nur begrenzten Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen. Der Aufwand, Einflüsse von Außen fernzuhalten, ist extrem kostspielig und humanitär desaströs (Nordkorea) und kann sozialen Wandel nur bremsen aber nicht aufhalten. Was Migration ist, ist von gesellschaftlichen Bedingungen in Raum und Zeit abhängig. Simplifiziert dargestellt ist Migration, verstanden als (Völker-)Wanderung ein ebenso altes, wie auch ur-sächliches Phänomen der Menschheitsgeschichte. Die sozialwissenschaftliche Erforschung hingegen ist sehr jung.

Wanderung ist aber nicht immer mit Migration gleichzusetzen: z.B. Kolonisierung, Landnahme. 2. Ungleichheit trotz Integration Für soziale Unterschiede sorgen begünstigende und hemmende Faktoren wie: Staatsangehörigkeit, staatliche Institutionen, wirtschaftliche Strukturen und Abhängigkeiten, Transportsysteme, Kommunikationsmittel, bestehende soziale Einrichtungen und Migrationsnetzwerke (Boyd). Diese Unterschiede drücken sich, unabhängig ob wirtschaftlich schwache oder starke Staaten, in Form von Wohlstandsgefällen, ungleichen Lebenschancen und Machtdifferenzen aus. Mittels der „feinen Unterschiede“ (Bourdieu) werden, auch in Staaten, die sich auf das Gleichheitsprinzip berufen, Gleiche von Gleichen unterschieden. Markante Unterschiede werden sowieso heftig diskutiert und attackiert, sozialer Aufstieg und Annäherung von Verhaltensweisen macht aber wenig willkommene Zuwanderer noch lange nicht zu „Gleichen unter Gleichen“. Die Auffassung von Zuwanderung als Problem wird hier bestätigt. „Paradox ethnischer Gleichheit“ (Sutterlüty) – Konkurrenz um Statuspositionen bei Verminderung sozialer Unterschiede. Diese Bemühungen von „Gleichen“ und „(Un-)Gleichen“ in sozialen Strukturen, Institutionen, Arbeitsmarkt, etc. Position und Funktion zu finden treffen auf ein durch „feine Unterschiede“ erhaltenes/unterstütztes System von sozialen Ungleichheiten. Foucault bezeichnet das Netz zwischen diesen Elementen als „Dispositiv“. Integration ist ein gesellschaftlicher Prozess, nicht bloß eine individuelle Anpassungsleistung (auch dann nicht, wenn diese wechselseitig verstanden wird). Anpassung ist aber nur ein Teil der Integration, das Ziel ist, dass die Gesellschaft als Ganzes sich ständig so verändert, um unter neuen Bedingungen (durch die hinzugekommenen Elemente) neuen Herausforderungen begegnen und die Lebensqualität verbessern zu können. Migration ist als mitproduzierendes Produkt sozialer Verhältnisse zu verstehen. 3. Migration in einer völlig neuen Weltsituation Seit dem Beginn der Beobachtung und Analyse von Migrationsbewegungen (s. Ravenstein 1885) geht es in der soziologischen Migrationsforschung hauptsächlich um Fragen nach Ursachen und Folgen der regionalen Mobilität. Häufiger Ausgangspunkt: Gegenüberstellung von dualen Wechselwirkungen zwischen „Sender-“ und „Empfängerländern“. Leitende Fragestellungen: „Warum migrieren so viele (oder wenige)“ und „Welche Folgewirkungen hat Migration für die Herkunfts- und Ankunftsregion“ (Pries). Diese Fragen wurden bisher meist unter dem „vorglobalen“ Paradigma bearbeitet – d.h. „zwischenstaatlich“ - allerdings stehen Migrationsströme im Kontext des „Dispositivs“ globaler Ungleichheiten und Interdependenzen. Es sind somit noch zwei zentral relevante Datensätze zu beachten: die Entwicklung der Weltbevölkerung und die Dynamik der Gesamtzahl von Migrant_innen (weltweit nach Geschlecht ± 1% gleich verteilt). Die Explosionsartige Zunahme der Weltbevölkerung wird oft unterschätzt. 1804: eine Milliarde Menschen zugleich auf der Erde. 1927: zwei Milliarden

1960: drei Milliarden Danach je Jahrzehnt wieder plus ca. eine Milliarde – von 1987 bis 1999 von fünf auf sechs Milliarden. Der Zuwachs vermindert sich zwar leicht, aber die ersten fünfzig Jahre des 21. Jahrhunderts werden mindestens 3 Milliarden weitere Menschen hinzukommen. In dieser historisch absolut neuen Situation stehen sich die reichen und bevölkerungsmäßig stabilen Länder des sogenannten „Nordens“ und die unvorstellbar dicht besiedelten Gebiete des sogenannten „Südens“ gegenüber. Es scheint verwunderlich, dass angesichts dieser extremen Einkommens- und sozialen Sicherheitsdisparitäten der Anteil an Migrant_innen nur 3,1% (214 Millionen Menschen) der Weltbevölkerung ausmacht. Die Steigerungsraten der Migration liegen mit jährlich ca. 2,6% deutlich über dem derzeitigen Zuwachs der Gesamtpopulation der Welt (2010 bei 1,1% - 2017 voraussichtlich unter 1%). Zuwanderungen verteilen sich auf immer mehr „Zielländer“. 4. Es gibt keine geschlossenen Gesellschaften mehr Es gibt die technischen Möglichkeiten die, innerhalb kurzen Zeitraums unglaublich gewachsene, Weltpopulation zu ernähren und versorgen. Mit wirtschaftlichen (technischen) und ethischen (moralischen) Ansätzen allein ist dieses Ziel nicht zu erreichen, da es nicht nur um die unterschiedliche Ausstattung mit Ressourcen, Infrastruktur, Kapital, etc. geht, sondern auch um die „sozialen Räume“ - Schichten, Kompetenzen, Machtdifferenzen, sprachliche und ethnische Zugehörigkeiten. Soziale Räume so zu gestalten, um darin mobil sein oder werden zu können ist ein ungleich schwierigerer Prozess als Kommunikationstechnologien und Verkehrsinfrastruktur für Milliarden von Menschen zu entwickeln und erschließen. Innovationen in zentralen Funktionsbereichen (Bildungs- und Sozialeinrichtungen, Gesundheitsvorsorge, Politik, Wirtschaft, Recht) sind gefragt um das Potenzial sozialer und ethnischer Diversität als Zukunftsgestaltung zu erschließen. Kompression sozialer Räume erzeugt Konflikte: Mobilität sollte Teil der Lösung werden. „Die Weltgesellschaft des 21. Jahrhunderts muss Wege finden, wie durch Bildung und ausgleichende Wohlstandsentwicklung die bestehenden krassen, unwürdigen und für alle gefährlichen Entwicklungsunterschiede zwischen den Wohlstandsinseln und Stauregionen verringert werden können“ (Hochgerner 2011:172f). Araba Evelyn Johnston-Arthur Gerd Valchars Schlaglichter zu Migration, Migrationspolitik und Migrationsforschung aus politikwissenschaftlicher Sicht Die Polarisierung des Themas Migration wird gerne zur Steigerung von Markt- und Wähler_innenanteil eingesetzt. Migration kann nicht abgekoppelt von kolonialen Vermächtnissen, internationalen Machtasymmetrien, geopolitischer Dominanz und einer kapitalistischen Weltökonomie betrachtet werden – und bildet sich in unterschiedlichen Staaten jeweils unterschiedlich ab. Migration wird in diesem Text eingebettet in das Spannungsfeld von globalen und europäischen Zusammenhängen und „nationalen Situationen“ behandelt. Es wird über die extreme Sichtbarkeit der Migrant_innen als Objekte, über die gesprochen und

geforscht wird – und andererseits über ihre Unsichtbarkeit als politische Subjekte (Forderung von emanzipatorischen Bewegungen wie den sans-papiers nach globaler Legalisierung). Abschließend problematisiert der Text die Migrationsforschung und die Politik der Migrationsforschung. Zu historischen Gegenwarten der Festung Europas im Spannungsfeld der EU-Migrations- und Asylpolitik „We are here, because you were there!“ (Schwarze Bewegung in GB) beschreibt in einem Satz die Realitäten der Süd-Nord-Flucht und -Migrationsbewegungen - unter anderem auf Grund des global wirkenden Nord-Süd-Gefälles, u.a. eine Folge der bis heute unabgeschlossenen Dekolonisierung, Machtasymmetrien und postkolonialer „Beziehungen“. Allerdings blendet der Umgang von Migration als „historischem Normalfall“ die jeweils spezifischen lokalen, historisch tradierten und global wirkenden Machtverhältnisse aus. Die Migration aus der südlichen Peripherie ist vor allem Folge der postkolonialen Konstellation – unabgeschlossene Prozesse der Dekolonisierung, welche zu sozialer, wirtschaftlicher und politischer Ungleichheit führt, ebenso wie die Verdrängung der Versklavung und Kolonisierung aus dem europäischen Bewusstsein. Gegenwärtige migrationspolitische Debatten und historisch gewachsene rassistische Diskurse werden durch die Glorifizierung des „europäischen Unternehmens“ (christliche Zivilisationsmission, rassifizierte Überlegenheit des europäischen Zivilisationsmodells) geformt. Der (gegenwärtige) Rassismus in Europa muss mit dem Neo-Kolonialismus und der Süd-Nord-Migration in Zusammenhang gebracht werden. Als Beispiel für die jahrhunderteweit zurückreichende Geschichte der rassistischen Unterdrückung der Roma (12 Mio.; größte Minderheit in Europa) in Europa sei hier auf die 2010 von Sarkozy (FR) verordnete Zwangsräumung und Zerstörung von Roma-Siedlungen und – EU-Regeln missachtende – Massenabschiebung bulgarischer und rumänischer Roma (EU-Bürger_innen) hingewiesen. Die Debatten um den EU-Beitritt der Türkei warfen Fragen nach der Definition und Definierbarkeit EU-Europas als politischer, historisch-kultureller, christlicher Einheit und der damit verbundenen Logik der Inklusion und Exklusion. Der „Bekämpfung“ irregulärer Migration wird in der europäischen Asyl- und Migrant_innenpolitik hohe Priorität eingeräumt, dabei geht es vor allem um „Sicherheit“. Im Zuge der Osterweiterung wurden zunehmend Binnengrenzen abgebaut – die Außengrenzen allerdings aufgebaut und militarisiert: Regelmäßig kommen Flüchtlinge beim Versuch nach Europa zu gelangen um (UNITED dokumentiert zwischen 1993 und 2010 13621 Tode). Trotz Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Schlüsselländern und der „Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen“ (FRONTEX), reißt der Strom an Bootsflüchtlingen nicht ab. Eine Verschärfung und „Vergemeinschaftung“ der Asyl- und Migrationspolitik ist seit den letzten 30 Jahren zu beobachten (z.B. EURODAC – System zum Vergleich von Fingerabdrücken von Asylwerber_innen und irregulärer Migrant_innen). „Nationale Situationen“ im gesamteuropäischen Vergleich Die Art der Diskriminierungen im Zusammenhang von Migration und Rassismus und die folgenden politischen Erscheinungen (z.B. rassistische/antirassistische Bewegungen) ist in den Ländern verschieden – eine Vielfalt an „nationalen Situationen“ (vgl. Balibar). Hier wird die Wichtigkeit des jeweiligen sozialhistorischen Kontextes hervorgehoben – diese können aber nicht losgelöst voneinander betrachtet werden – sie ergänzen und beeinflussen sich gegenseitig: es ergibt sich ein gesamteuropäisches Muster. Folgend zeigen sich Besonderheiten der jeweiligen „historischen Positionen“: Großbritannien: ethnic minorities – haben meist das Wahlrecht, da viele von ihnen aus ehemaligen Kolonien stammen.

Deutschland u. Österreich: 60er Jahre - Rotationsprinzip der Gastarbeiter; Zuwanderung nicht Teil des Konzepts! Starke rechtliche Differenzierung zwischen Bürgern und Fremden (einschließlich der bereits im Inland geborenen) – sie seien ein Problem (Forderung nach staatlicher Kontrolle). Weitergabe der Staatsangehörigkeit: ius soli – Bodenprinzip ius sanguinis – Blut- oder Abstammungsprinzip Letzteres gilt in Österreich (einem Einwanderungsland!), ist verknüpft mit restriktiven Einbürgerungsregeln, langen Wartezeiten und daraus bedingten niedrigen Einbürgerungsraten. Dies führt zu einem strukturellen demokratischen Defizit, da „einer wachsenden Wohnbevölkerung eine stagnierende oder schrumpfende Zahl von Wahlberechtigten“ gegenübersteht. Nicht nur das Beispiel Großbritannien, auch andere Länder zeigen, dass die Zuerkennung des Wahlrechts keineswegs zwingend an die Staatsangehörigkeit gebunden sein muss – Wahlrecht auf bestimmten Ebenen ist international durchaus verbreitet. In Österreich hat es bis ins Jahr 2008 gedauert, bis mit Alev Korun die erste Nationalratsabgeordnete mit „Migrationshintergrund“ in den Nationalrat einziehen konnte – in GB hatte sich zur selben Zeit die Zahl der „minority MPs“ von 14 auf 27 verdoppelt. Ein vergleichender politikwissenschaftlicher Zugang könnte hier die unterschiedlichen Bedingungen und die Logik der Ein- und Ausschlüsse in GB und Österreich erforschen. Vom Kampf um das Recht, Rechte zu haben: Von illegalen Objekten zu politischen Subjekten Die Bewegung der sans-papiers in Frankreich fordert die Transformation von illegalen Objekten zu politischen Subjekten - in Anlehnung an Hannah Arendt geht es weiterhin um den Kampf um das Recht überhaupt Rechte zu besitzen. „Papiere für alle“ propagiert die Idee der Freizügigkeit der Menschen auf dem ganzen Planeten – wenn in dieser Welt schon alles zirkuliert (Informationen, Kapital, Waren, Musik, Kulturen,...), warum sollen gerade Menschen (die sich evtl. in Lebensgefahr befinden) davon ausgeschlossen sein? Noch dazu, wenn dies mit dem Argument der Verteidigung des Wohlstands verweigert wird. Zurück zur nationalen Ausgangssituation: Aspekte gegenwärtiger Kontinuitäten, Wiederholungen und Kernmuster österreichischer Migrationsgeschichte Österreich, welches auf eine reichhaltige Migrationsgeschichte und Erprobung staatlicher Regelungen zurückgreifen kann, will sich nicht als Einwanderungsland verstehen – und steht somit in Diskrepanz zu den demographischen Fakten: dies kommt einer Realitätsverdrängung gleich. Im Kern aufrecht erhalten wurde, die bereits zur k.u.k.-Zeit verwendete Praxis der Rückführung und Abschiebung von dauerhaft arbeits- und mittellosen Binnenmigrant_innen. Das bis im heute im Grundprinzip aufrechterhaltene System der Beschäftigungsbewilligungen geht auf ein, als temporäre Maßnahme geplantes, Bundesgesetz der 1920er zurück. Von den 1960er bis 70er Jahren musste die Arbeitsmigration aktiv angekurbelt werden – z.B. durch Anwerbestellen in Madrid, Istanbul und Belgrad. 1973 („Ölschock“) kam es zum sogenannten Anwerbestopp und Beschränkung des Zugangs. Das festhalten an der (gescheiterten) „Gastarbeiter-Politik“ führte im Endeffekt zur ethnischen Segmentierung des einheimischen Arbeitsmarktes und extremer Abhängigkeit der Ausländer von ihren Arbeitgebern. Es kam vermehrt zu Familiennachzug (Kettenmigration) und dauerhafter Niederlassung. Neben dem Ausländerbeschäftigungsgesetz spielte das regelmäßig verschärfte sogenannte Fremdenrecht eine zentrale Rolle – daraus ergeben sich Debatten um (Nicht-)Integration von Migrant_innen im

innenpolitischen Diskurs. Der Bezug auf die Donaumonarchie mit ihrer „ethnischen Vielfalt“ als positives Beispiel zeigt bei genauer Betrachtung aber schon damals, dass „Assimilation“ eine Bedingung für Integration und sozialen Aufstieg waren. „{...} Indem die rassistischen Einschreibungen dieser Gesellschaft unsichtbar gemacht werden, entfallen wichtige Ausgangspunkte für ein machtkritisches Verständnis von Migration, Rassismus und Integration. Stattdessen werden die migrantischen Anderen in hegemonialen Diskursen analog zum kolonialen Anderen per Definition als defizitär vorgeführt“ (Kien Nghi Ha). Migrationspolitik und Migrationsforschung Vor allem seit Ende der 1980er Jahre wird Migrationspolitik zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung in Österreich. Es kommt (hinter verschlossenen Türen) zu einer Verschiebung der Zuständigkeiten – vom Sozialministerium hin zum Innenministerium: vor allem durch die Dominanz des Aufenthalts- über das Beschäftigungsrecht folgt eine zunehmend „polizeiliche Herangehensweise“. Innere Sicherheit wird mit Migration/Integration verschränkt – deutlich zu sehen auch an der Militarisierung der östlichen Staatsgrenze ab 1990. Diese Entwicklung ist im Kontext des Aufstiegs der FPÖ mit ihrem populistisch bist rassistisch geführten Diskurs zur „Ausländerpolitik“ zu betrachten (z.B. Ausländervolksbegehren 1993). Die regierenden Großparteien SPÖ und ÖVP stellten sich selbst als die „vernünftigeren“ politischen Akteur_innen dar – übernahmen aber teilweise den populistisch-rassistischen Diskurs und setzten schrittweise die Forderungen der FPÖ um. Ein erhöhter Bedarf an wissenschaftlicher Expertise führte in den 1990er Jahren zu Intensivierung der Beziehung zwischen Migrationspolitik und Migrationsforschung. Dabei entsteht ein komplexes Verhältnis finanzieller Abhängigkeit, ideologischer Nähe und dem Versuch wechselseitiger Beeinflussung - Die Forschung sollte möglichst „anwendungsorientiert“, „unmittelbar verwertbar“ sein. Die Mehrheit in der Migrationsforschung distanziert sich zwar von einem (ausschließlich) assimilatorisch verstandenen Integrationsbegriff (Betonung der „Wechselseitigkeit“), vermag aber nicht den in der Integrationsdebatte inhärenten methodologischen Nationalismus zu überwinden. Integration wird zunehmend zu einem Synonym für Migration – vor diesem Hintergrund wird Migrationspolitik als Managementaufgabe, die Aspekten der Nützlichkeit unterliegt, interpretiert. Kritische Migrationsforschung sollte, weg von einer politisierten, ideologisierten „Problemlösungswissenschaft“, ihren Blick auf umfassende Gesellschaftskritik, globale Zusammenhänge, bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse und etablierte Ausbeutungs- und Unterdrückungsstrukturen richten und an deren Thematisierung arbeiten. Hermann Mückler Migrationsforschung in der Kultur- und Sozialanthropologie Die folgenden Ausführen sollen auf die Bedeutung der Migrationsforschung für die KSA hinweisen. Es wird auf das Verhältnis von Migration und dem Entstehen multi- und interkultureller Gesellschaften und insularer Kulturen und der dortig vorkommenden temporären Migration Bezug genommen. Zugänge zu Migrationsphänomen: Begrifflichkeiten und Verknüpfungen Kulturelle und soziale Identität, Ethnizität, Abgrenzung und Inkorporation im Zusammenhang mit mobilen Individuen und Gruppen sind primäre Fragen der KSA ebenso wie Bedrohungs- und Reaktionsszenarien, Umgangsformen zwischen zugewanderten und alteingesessenen und staatliche

Integrationsmaßnahmen. Somit unterscheidet sich diese Herangehensweise z.B. von den (Asyl-)politischen, Staaten-vergleichenden Zugängen der Politikwissenschafter. Soziolog_innen fokussieren hingegen, mittels Schwerpunkt auf quantitative Untersuchungen, gesellschaftliche Folgen und Formen sozialer Transformation von Migration, während Wirtschaftswissenschaften sich mit den ökonomischen Ursachen und Konsequenzen, vor allem in Bezug auf den Arbeitsmarkt, beschäftigen. Die Geographie beobachtet demographische Veränderungen (Einfluss auf Wohn- und Siedlungsstrukturen). Es soll hier die Notwendigkeit eines Inter- und Multidisziplinaren Zugangs hervorgehoben werden! In der KSA wird häufig qualitativ gearbeitet, wobei auch immer wieder auf quantitative Methoden zurückgegriffen wird. Das Individuum, der Einzelfall wird herausgegriffen und beleuchtet – der/die Migrant_in wird als selbstständig agierend wahrgenommen - verhaltensbestimmende Elemente kommen zum tragen. Migration wird auch, vor allem in der Ethnohistorie, zur Erhellung der menschlichen Entwicklungsgeschichte benutzt, beispielsweise um Anfänge und Verlauf der Globalisierung zu untersuchen. Kulturdiffusionistische Ansätze (heute durchaus umstritten, da soziokulturelle Kontexte außer Acht gelassen wurden), beispielsweise von Robert Heine-Geldern, beschäftigen sich mit der Besiedelung des pazifischen Raums. Die Ethnologie wendet sich vier großen Aufgabenfeldern zu: 1. Rahmenbedingungen, Arten, Ursachen und Auswirkungen von Migration. Zahlreiche Definitionen des Begriffs Migration. Kognitive Anthropologie und Ethnohistorische nehmen sich den Fragestellungen - Dauer, Distanz, Geschwindigkeit, strukturelle Merkmale von Migrant_innen, Ursachen, persönliche Motive, usw. – an. 2. Einzelstudien: Fragen zu Ethnizität und Identität stehen im Vordergrund – genannt seien zwei Arbeitsbereiche: Diaspora-Forschung und „Urban Anthropology“. Geographisch lassen sich zwei weitere Arbeitsgebiete Unterscheiden: a) Migrationsstudien in Österreich und Europa. Integration, Integrationskonzepte, Verhältnis des Zusammenlebens – z.B. Symposium „Wir und die Anderen“ (Verhältnis Islam, Literatur und Migration) b) Migrationsstudien außerhalb Europas, traditionelles Arbeitsfeld von Ethnolog_innen. Als Beispiel hier der pazifische Inselraum (Ozeanien), welche auf Grund der sehr spezifischen äußeren Rahmenbedingungen als „Kulturen der Distanz“ bezeichnet werden können. Diese klare Einteilung entspricht natürlich nicht immer der Realität, es kann zu Überschneidungen usw. kommen – allen ist jedoch inhärent, dass Migration ein universales Phänomen menschlicher Entwicklung ist. Ökonomisch bedingte Migration ist schon seit den evolutionären Ursprüngen der Menschheit vorhanden und Flucht und Vertreibung gibt es spätestens seit der Organisierung in Gesellschaften, Herrschaftssystem usw. - diese universellen Ansätze neigen jedoch eventuell dazu die Betroffenheit der/des Einzelnen auszublenden. Historiker verweisen auf die schon immer vorhanden Migration (Archetyp: jüdisches Volk). Wie wichtig Migration für die Entwicklung Europas ist wird in der Diskussion um die „Ausländerfrage“ all zu gerne außer Acht gelassen. Als Beispiel dazu sei darauf hingewiesen, dass „Urbanisierungsprozesse {…} weniger auf erhöhter Fertilität in den Städten selbst, als auf Wanderungsprozessen“ beruht (Müller) – im globalen Kontext gilt dies gegenwärtig in verstärktem Maße in Verbindung mit Landflucht und Verstädterung. Warum gerade in einem Land wie Österreich, dass große Leistungen in Kunst, Kultur und

Wissenschaft der vorherrschenden ethnischen Diversität verdankte, durch die Diskurse wie die „Ausländerfrage“ genau dies vergessen wird, ist eine gute Frage. Zu der Fülle an Vorurteilen kommen meist zwei, sich offensichtlich widersprechende, Argumente hinzu: „Das Boot ist voll“ und gleichzeitig die Prognose eines Aussterbens auf Grund geringer Geburtenrate, Vergreisung und Entvölkerung. Gerade am politisch rechten Rand Angesiedelte neigen zur schizophrenen Sichtweise der Ausblendung dieser beiden Faktoren. Dass sich alle Staaten der Erde weg von homogenen hin zu „multikulturellen“ Gebilden bewegen, hat zu unterschiedlichen Reaktionen geführt: Einerseits die Forcierung auf Grund des Begreifens von Vielfalt und Vielstimmigkeit als Chance kultureller Bereicherung. Andererseits Abgrenzung und das Beharren auf der fiktiven Annahme, dass nationale/politische Identifikationsfaktoren mit ethnischen und kulturellen Elementen (der Mehrheit de Bewohner eines Landes) deckungsgleich sein sollten. In diesem Zusammenhang soll noch der Begriff „multikulturell“ behandelt werden. In Deutschland von der politischen Linken benutzt und propagiert („Vielvölkerstaat Bundesrepublik“) wurde er bald als Modeerscheinung abqualifiziert und spätestens seit dem Entstehen sogenannter „Paralellgesellschaften“ in Deutschland (und anderen europäischen Ländern) wurde dem Wort und Konzept „multikulti“ als verklärte Wunschvorstellung der Todesstoß versetzt. Seit den 1990ern wird sich vermehrt auf den Begriff „Interkulturalität“ gestützt – welcher sich mehr mit dem „Wie?“ des sozialen Miteinander beschäftigt. Die prozessualen (Neu-)Entwicklungen und grundliegende Mechanismen und Strukturen zu erfassen ist eine der Aufgaben der KSA. Distanz (z.B. durch Betrachtung außereuropäischer Fälle von Migration) ist oftmals für eine unvoreingenommene und alle Faktoren berücksichtigende Betrachtung notwendig und ermöglicht weiters komparative Studien. Für die Vergleichbarkeit von Fallbeispielen ist die Festlegung von Parametern von Bedeutung. Im Folgenden zwei Fallbeispiele. Besiedlung und historische Migration in Ozeanien Die Besiedelung und Nutzbarmachung des pazifischen Inselraums war erst durch den Aufbau von funktionierenden Migrationsnetzwerken möglich – an Hand dieses Beispiels zeigt sich, dass es abseits von „Fluchtmigration“ auch als integraler Bestand des gesellschaftlichen Selbstverständnisses existieren kann. Der Besiedlung musste kontinuierlich ein Wachsen der Technologie vorausgehend – allein schon auf Grund der teilweise riesigen, zu überwältigenden Entfernungen, welche äußerste Präzision erforderte (um z.B. nicht zu One-Way-Trips zu werden). Distanz, Entfernungsüberwindung, räumliche Orientierung der/des Einzelnen in dieser Wasserwüste stellen entscheidende Faktoren für die Denk- und Handlungsweisen der lokalen Bevölkerung dar. Entgegen der Realität erscheint die Inselwelt Bewohnern von Binnenländern oft als isoliert – die Möglichkeit regelmäßigen Kontakts zwischen den Inseln war schon lange gegeben und wurde auch genutzt! Reger Warenaustausch bildete auch den Grundstein einer eigenen Gesellschaftsform, der „Ancestral Polynesian Society“. Grundsätzlich lassen sich vier Kategorien interinsularer Mobilität/temporärer Migration unterscheiden (wobei dies Vorbedingung oder Auslöser für bzw. Konsequenz aus Migrationsprozessen sein können): 1. Besuchsfahrten aus religiösen rituellen Gründen: „Wallfahrtstourismus“ z.B. nach Raiatea. Aufgrund Meinungsverschiedenheit bezüglich zu verehrender Gottheiten (mehr Menschenopfer unter Oro, als vorher unter Tangaroa) kam es zu Wanderungsbewegungen – z.B. „die große Heke“ nach Neuseeland (Bildung der Maori-Kultur auf Kosten der Moa-Hunters). 2. Handelsfahrten 3. Heiratsfahrten: z.B. holten sich Tongaer wiederholt geeignete Männer aus Fidschi um diese mit

ihren Prinzessinnen zu verheiraten - weil es im Heimatgebiet keine gleichrangigen Heiratspartner gab – diese Praxis resultiert aus dem stratifizierten Gesellschaftssystem mit einer ausdifferenzierten Klassengesellschaft. 4. Tauschfahrten zum Erhalt sozialer Kontakte: das berühmteste Beispiel hierfür ist der Kula-Handel, beschrieben von Bronislaw Malinowski. Ein anderes Beispiel sind Rückversicherungsverträge in Teilen Mikronesiens, wo teilweise ganze Inselbevölkerungen bei z.B. Zyklonverwüstungen eine zeitlich begrenzte Aufnahme gewährleisten sollen. Aber auch Tributverpflichtungen wie das sawei-System. Gründe für die Besiedlung der Weiten des Pazifischen Ozeans sind im Wesentlichen Ressourcenknappheit durch sich sukzessiv vergrößernde Bevölkerungsgruppen. Hinzu kommt noch der Faktor menschlicher Neugierde. „Remittances“ als bestimmendes Element von Arbeitsmigration Arbeitsmigration weg von Inselstaaten hat dazu geführt, dass heute in industrialisierten Gebieten teilweise mehr Pazifikbewohner_innen leben, als auf den jeweiligen Inseln. Migrationstheorien: 1) Ernest Ravensteins „Gesetze der Wanderung“: Binnen- und Internationale Wanderungen als Ergebnis einer Ungleichzeitigkeit von Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften 2) Theorie des dualen Arbeitsmarktes: industrielle Gesellschaften haben „gute“ und „schlechte“ Arbeitsplätze – für letztere müssen (da keine Aufstiegschance bestehen) von außen Arbeitskräfte herangezogen werden – Lohn als primäres Motiv. 3) „New Economics of Migration“ (Harvard-Ökonom Oded Stark): a) nicht das Individuum, sondern die Familie ist die relevante Ebene der Forschung b) nicht Lohnunterschiede sind entscheidend, sondern: Unsicherheit, relative Verarmung, Risikoverminderung,... c) Mittel der Transformation eines ländlichen Haushaltes hin zu einem kapitalistischen System Alle Inselstaaten sind davon betroffen, zu weit abgelegen von den Weltmärkten zu liegen und auch in Arbeitsgebieten wie dem Tourismus von eben diesen abhängig sind (Infrastruktur), sie werden mit dem Akronym MIRAB bezeichnet => „migration, remittances, aid, bureaucrazy“. Durch Medien wurden aber Bedürfnisse geweckt, die durch reine Subsistenzarbeit nicht zu befriedigen sind. Viele Inselbewohner wandern nun also in andere Gebiete ab und schicken dann „remittances“ an Verwandte zurück – werden teilweise anfangs aber auch von diesen Unterstützt (eben in der Aussicht, etwas zurückzubekommen). Die Inselstaaten sind großteils von diesen Rückzahlungen abhängig und Arbeitsmigration wird auch von der Regierung gefördert. Es gab/gibt auch die Hoffnung, dass außerhalb erworbene Fähigkeiten auf den Inseln angewandt/umgesetzt werden – was allerdings selten der Fall ist (sei es nun, weil die Fähigkeiten nicht anwendbar sind oder es keine Jobs gibt). Auch der Familiennachzug hat zugenommen. Für Ethnolog_innen interessant sind auch die Versuche Kontakte und Geldfluss zu erhalten – ein Beispiel wäre „Skype“. Petra Herczeg

Migration aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive Integration ist Kommunikation (Achtung: nicht synonym setzen!) und alle Integrationsprozesse sind im Kern Kommunikationsprozesse. Es geht um die Eingliederung von Menschen und Gruppen in die Gesellschaft. Integration ist kein Zustand, sondern ein endloser Prozess. Integration – und Zusammenhalt – in einer Gesellschaft wird durch Kommunikation gewährleistet. 1. „Integration“: Ein Schlüsselbegriff für Kommunikationswissenschaft Unterscheidung zwischen Systemintegration und sozialer Integration. 1.1 Systemintegration Beziehungen zwischen den Teilen des sozialen Systems sind hier Subjekt-unabhängig. Markt und Organisation sind die grundlegenden Mechanismen „anonymer“ Systemintegration. Unabhängig von Motiven und Absichten der Akteure wirken: Interpenetration und symbolisch generalisierte Medien (Esser) • Interpenetration: Individuen orientieren sich immer auch an anderen Teilsystemen, z.B.: wirtschaftliches Handeln bringt auch solidarische Verantwortlichkeiten mit sich; politisches Handeln wird von wissenschaftlichen und/oder ökonomischen Faktoren beeinflusst. • Symbolisch generalisierte Medien: „Spezialsprachen“ der jeweiligen Systeme, Akteure können den Codierungen der jeweiligen Systeme folgen und spezifische Handlungen ausführen (= Zusammenhalt des Systems) z.B.: „Geld“ - welches in eine Austauschbeziehung mit dem Medium „Wertcommitment“ gebracht werden kann. In der systemischen Integration sind Akteure zwar nicht ausgeschlossen, im Gegensatz dazu bezieht die soziale Integration die Beziehungen der Akteure zueinander zum „Gesamt“-System ein. 1.2 Soziale Integration Berücksichtigung der Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten der Akteure. 4 Varianten der Unterscheidung sozialer Einbettung nach Esser: Kulturation ist Teil des Sozialisationsprozesses, welcher die Akteure befähigt an gesellschaftlichen Prozessen teilzuhaben;Medien sind verantwortlich für ein Angebot von Orientierungen wie Denk-, Verhaltensmuster, Status- und Rollenbilder, Images und Typenvorstellungen. Platzierung bedeutet die Positionierung des Akteurs in ein bestehendes, mit Positionen versehenes soziales System. Wichtigste Einheit für die soziale Integration ist die Verleihung von Rechten, wie Staatsbürgerschaftsrecht oder Wahlrecht (soziale Akzeptanz!). Interaktion Drei Spezialfälle der Interaktion: gedankliche Koorientierung, symbolische Interaktion und Kommunikation. Orientierung an gemeinsam geteilten Zeichen; Medien mit festen Regelsystemen und klaren Bedeutungen. Verfestigung von Sozialkontakten durch Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten. Identifikation mit dem gesellschaftlichen Ganzen; Wir-Gefühl; Nationalstolz. Kommunikationsfähigkeit auf Basis des Lernens der Sprache der Mehrheit, folgend: Kenntnis und Akzeptanz der Grundwerte, gegenseitiger Respekt vor den spezifischen kulturellen Besonderheiten. Nach Geißler ist für Esser Integration nur als Assimilation möglich, wobei sich dessen 4-Stufenmodell (aufeinander aufbauend) an Milton Gordons 7-Stufen Modell (in seinem Werk

„Assimilation in American Life“) orientiert. Bei der letzten Stufe (Identifikation) geht es darum die Kultur des Herkunftslandes aufzugeben um die der Aufnahmegesellschaft anzunehmen. Eine andere Definition von Integration nach Richard Münch: Wenn Gesellschaften mit sich selbst eine Einheit bilden und eine nach Außen abgegrenzte Ganzheit. Die Möglichkeit des Ausmaßes in dem Migrant_innen an zentralen gesellschaftlichen Bereichen teilhaben können bestimme den Grad der Integration. All diese Prozesse werden über Kommunikation ausgehandelt und Zugehörigkeit ist von kommunikativen Möglichkeiten des Selbstverstehens und der Selbstdarstellung abhängig. 1.3 Differenzierung zwischen System- und Sozialintegration Vorschläge von Horst Pöttker zur Messung des Grads der „Integration“: • Stärke und Inhalt der Kommunikation zwischen den Teilen einer Gesellschaft • Ausmaß und Inhalt des Wissens übereinander (als Ergebnis der Kommunikation) • Ausmaß der Partizipation an gesellschaftlichen Institutionen durch zu Integrierende • Ausmaß der allgemeinen Akzeptanz kultureller Grundwerte • Ausmaß an Pluralität und geregelten Konflikten zwischen heterogenen Teilen, dass eine Gesellschaft zulässt. 1.4 Die Bedeutung der Massenmedien als integrierende Faktoren Zugang zu Medien ist Teil des gesellschaftlichen Integrationsprozesses. Medien dienen als Vermittlungsinstanzen (Selbstverständigung und Verständigung untereinander), repräsentieren Teilnehmer einer Gesellschaft – schafft also eine kommunikative Integration. Eben diese (kommunikative Integration) umfasst die Beteiligung an der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit. Integration über Kommunikation. Unterschiedliche Möglichkeiten des Zugangs zu Medien, unterschiedliche Interessen oder gar Interessenkonflikte können desintegrativen Charakter haben (Maletzke). Journalismus und Medien, als Hersteller von Öffentlichkeit nehmen eine besondere Rolle ein und leisten einen Beitrag zur Schaffung symbolischer Gemeinschaften. 2. Migranten und Medien In Österreich gibt es zum Thema „Migrant_innen und Medien“ fast nur qualitative Untersuchungen (meist im Rahmen von Diplomarbeiten, die sich der stereotypen Darstellung in den österreichischen Medien annehmen). In Deutschland gibt es hingegen eine Vielzahl unterschiedlicher quantitativer und qualitativer Studien zur Darstellung von Migrant_innen in den Medien und Mediennutzung. Die Sprache der Mehrheitskultur sei ein wichtiger Faktor für eine integrationsfördernde Mediennutzung durch ethnische Minderheiten. Jüngere (am Beispiel Deutschlands) Türk_innen neigen stärker zur Nutzung deutscher Medien als ältere. Es geht um: Zugangsmöglichkeiten, Repräsentanz in den Medien und um die Medienbedürfnisse der Migrant_innen (welche keineswegs eine einheitliche Gruppe darstellen). Nach einer ZDF-Studie ist das Fernsehen das Leitmedium für Migrant_innen und wird auch zur Unterhaltung genutzt. Marie Gillespies Untersuchung Londoner Jugendlicher (Eltern aus dem Pandschab) ergab, dass gesellschaftliche Konventionen vor allem durch Fernsehprogramme (Nachrichten, Unterhaltung, Werbung) aufgenommen wurden. Jugendliche gehen kritischer mit den Medien und der Darstellung von Migrant_innen um. Typologien von medialer (Nicht-)Integration:

• mediale Segregation: ethnische Gruppen konsumieren hauptsächlich in den Herkunftsländern hergestellte Medien, welche sich auch an eben diesen Normen orientieren. Es entstehen Teilöffentlichkeiten • assimilative mediale Integration (mediale Assimilation): ethnische Minderheiten sind institutionell integriert, haben wichtige Funktionen in den Medienbetrieben. Es gibt keine ethnospezifischen Bezüge. • Interkulturelle mediale Integration: Dialog zwischen Mehrheit und Minderheit. Teilnahme an der pluralistisch-demokratischen Öffentlichkeit. Es gibt einen Wissensaustausch über- und untereinander. Hier stellt sich die Frage ob Medien überhaupt Integrationsfunktionen übernehmen müssen/können – sie können auch desintegrativ wirken! Theorie der kognitiven Dissonanz: Rezipient_innen nehmen nur auf, was sich mit bisherigen Einstellungen deckt. Einstellungen und Vorurteile ändern ist ein langwieriger Prozess – und nur über Kommunikation möglich. 3. Studie „Integration im öffentlichen Diskurs: Gesellschaftliche Ausverhandlungsprozesse in der massenmedialen Öffentlichkeit. Analysiert anhand des Fallbeispiels 'Arigona Zogaj' in den österreichischen Medien“ Der Fall „Arigona Zogaj“ bezieht sich auf ein kosovarisches Mädchen, dass sich der Abschiebung durch Flucht entzog – da sie minderjährig war durfte die Mutter bleiben, Vater und Geschwister wurden abgeschoben. Die Familie (2002 zugezogen) war gut integriert, die Eltern hatten Arbeit, die Kinder besuchten Kindergarten und Schule. Eine Auswertung der medialen Berichterstattung zeigt, dass kein Selbstverständigungsprozess über Integration stattfindet. Es ging vor allem um juristische Fragen und darum, wie auf Legitimations- und Rechtfertigungsbasis mit Migrant_innen umgegangen werden solle. Grundsätzliche Diskussionen über „Integration“ und „österreichische Identität“ gab es keine. Der Diskurs wurde bestimmt durch: innenpolitische Akteur_innen (36,4%), Leserbriefautor_innen (17,7%) - die Betroffenen kamen mit 10,7% nur wenig zu Wort. Der Fall ist ein Beispiel, der in der massenmedialen Wahrnehmung eine große Öffentlichkeit erreichte (und spaltete) aber zum grundsätzlichen Diskurs über Integration (in Österreich) wenig Beitrag leisten konnte. 4. Integration und Kommunikation – Resümee Kulturvermittlung als Teil der Massenkommunikation ist Teil der Inklusions- und Exklusionsprozesse und umfasst verschiedene Bereiche: • Akzeptanz der Migrant_innen in der Mehrheitsgesellschaft; Möglichkeit der öffentlichen Partizipation • „mediale Integration“ inkludiert die Frage wie Migrant_innen in der Berichterstattung vorkommen sollen – ein Zuviel kann auch desintegrativ wirken. Kurzfristige Aktivitäten wie das „Europäische Jahr der Sprachen“ (2001) oder 2008 das „Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs“ haben keine langzeitigen Wirkungen.

Für langfristige Förderung interkulturellen Austauschs hat Geißler – Vorbild: Kanada - „aktive Akzeptanz“ auf dreierlei Art definiert: 1. Die Akzeptanz der Notwendigkeit von Einwanderung – nur so kann sich eine Gesellschaft weiterentwickeln. Dafür müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden und Massenmedien diesen Diskurs führen. 2. Die Akzeptanz der Notwendigkeit, die Migranten soziostrukturell und interkulturell zu integrieren: soziostrukturelle Gleichstellung und interkulturelle Integration nach dem Einheit-in-Verschiedenheit-Prinzip. 3. Die Notwendigkeit kollektiver aktiver Förderung der Integration: gesamtgesellschaftliche Bemühungen Migrant_innen in die Gesamtgesellschaft aufzunehmen. Integration ist ein wechselseitiger, interaktionistischer Prozess, der fordert, dass beide Seiten den/die jeweils andere/n in seiner/ihrer Andersartigkeit zu akzeptieren. Entgegen Anpassung hin zu einem Aufrechterhalten unterschiedlicher Identitäten.