44
Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung Soziale Arbeit (B.A.) Bachelorarbeit zum Thema: Möglichkeiten und Grenzen der systemischen Beratung in der Schulsozialarbeit vorgelegt von Nino Krüger Themenstellerin: Prof. Dr. phil. Sigrid Haselmann Zweitgutachterin: Prof. Dr. Anke S. Kampmeier URN: urn:nbn:de:gbv:519-thesis2014-0171-1 Neubrandenburg, den 10. Juni 2014

Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

  • Upload
    others

  • View
    3

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

Soziale Arbeit (B.A.)

Bachelorarbeit zum Thema:

Möglichkeiten und Grenzen der systemischen Beratung in der

Schulsozialarbeit

vorgelegt von

Nino Krüger

Themenstellerin: Prof. Dr. phil. Sigrid Haselmann

Zweitgutachterin: Prof. Dr. Anke S. Kampmeier

URN: urn:nbn:de:gbv:519-thesis2014-0171-1

Neubrandenburg, den 10. Juni 2014

Page 2: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

Zusammenfassung

Diese Bachelorarbeit beschäftigt sich mit der Frage, wo die Möglichkeiten und die

Grenzen der systemischen Beratung in der Schulsozialarbeit liegen. Es wird zum einen der

systemisch-konstruktivistische Ansatz und zum anderen das Arbeitsfeld der

Schulsozialarbeit vorgestellt. Davon ausgehend werden die Chancen und die Lücken

abgewogen, um herauszufinden, ob der systemisch-konstruktivistische Ansatz in der

Schulsozialarbeit nützlich ist oder nicht.

Page 3: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 1

2 Systemische Beratung 3

2.1 Begriffsklärungen 3

2.2 Entwicklung der Systemtheorien 4

2.2.1 Kybernetik erster Ordnung 4

2.2.2 Kybernetik zweiter Ordnung 4

2.3 Therapeutische Haltungen 6

2.4 Vorgehensweisen und Arbeitstechniken 8

3 Schulsozialarbeit 11

3.1 Begriffsklärungen 11

3.2 Trägerschaft 12

3.3 Aufgaben 13

3.4 Angebote 15

4 Möglichkeiten der systemischen Beratung in der Schulsozialarbeit 18

4.1 Übertragung der systemisch-konstruktivistischen Perspektive auf die

Schule 18

4.2 Übertragung der systemisch-konstruktivistischen Perspektive auf die

Problemlagen eines Schülers 21

4.2.1 Schulschwänzen, Schulangst und Schulphobie 21

4.2.2 Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom oder –störung 25

4.2.3 Sucht 28

5 Grenzen der systemischen Beratung in der Schulsozialarbeit 32

6 Schlussbemerkungen 37

Literaturverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

Page 4: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

1

1 Einleitung

Die Schulsozialarbeit stellt ein Arbeitsfeld der Jugendhilfe dar, welches sich in den letzten

Jahren immer mehr etabliert hat. Aus Gesprächen mit Lehrern, Schülern und

Sozialarbeitern wurde schon früh im Studium mein Interesse in diesem Einsatzfeld

geweckt. Ich bin der Überzeugung, dass Schulsozialarbeiter allen Kindern bei der

Bewältigung der verschiedenen Entwicklungsaufgaben als Unterstützung und Entlastung

dienen kann. Aus diesem Grund möchte ich gern im Bereich der Schulsozialarbeit tätig

sein und stelle mir daher die Frage, ob das im Studium erlernte Wissen im besagten

Arbeitsbereich von Nutzen für meine spätere Berufslaufbahn sein kann. Ich legte den

Schwerpunkt meines Studiums auf das Fachgebiet der Beratung, wobei ich insbesondere

die systemische Beratung auf Grund ihrer starken Ressourcen- und Lösungsorientierung

favorisiere. Die zentrale Frage meiner Arbeit lautet: Wo liegen die Möglichkeiten und die

Grenzen der systemischen Beratung in der Schulsozialarbeit?

Die vorliegende Hausarbeit ist in fünf Kapiteln unterteilt. Um eine theoretische Grundlage

zu gewährleisten, beginne ich mit der Vorstellung der systemischen Beratung. Hier erfolgt

die Definition der Begriffe „Beratung“ und „System“. Zudem werden die wesentlichen

Grundsätze des systemisch-konstruktivistischen Ansatzes vorgestellt. Die Veränderungen

der Systemtheorien werden anhand der Entwicklung von der Kybernetik erster Ordnung

zur Kybernetik zweiter Ordnung präsentiert. Um einen Praxisbezug der systemischen

Beratung herzustellen, gehe ich zusätzlich auf die therapeutischen Haltungen und

Arbeitstechniken eines systemischen Beraters ein. Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit

der Schulsozialarbeit. Nach einer Begriffsklärung wird die Schulsozialarbeit näher

erläutert. Es werden die unterschiedlichen Möglichkeiten einer Trägerschaft von

Schulsozialarbeit hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile thematisiert. Danach widme ich

mich den Aufgaben und Angeboten eines Schulsozialarbeiters. In den nächsten beiden

Kapiteln werden die Themengebiete der systemischen Beratung und der Schulsozialarbeit

in Zusammenhang gestellt. Die Möglichkeiten der systemischen Beratung in der

Schulsozialarbeit werden dargestellt, indem die systemisch-konstruktivistische Perspektive

auf den Bereich der Schule übertragen wird. Die sich daraus resultierenden Sicht- und

Vorgehensweisen in Bezug auf die Problemlagen eines Schülers werden im

darauffolgenden Unterpunkt geschildert. Als Beispiele werden Schulschwänzen,

Schulangst, Schulphobie, ADHS und Suchtprobleme angeführt. Im Anschluss werde ich

die Grenzen der systemischen Beratung in der Schulsozialarbeit erörtern. Im

Page 5: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

2

abschließenden Kapitel werden die Chancen und Grenzen abgewogen, um herauszufinden,

ob der systemisch-konstruktivistische Ansatz im Arbeitsfeld der Schulsozialarbeit nützlich

sein kann oder nicht.

Ich werde nach dem hermeneutischen Prinzip verfahren. Hierbei konzentriere ich mich auf

geeignete Materialien beziehungsweise bestehende Literaturen zu dem Thema

„Möglichkeiten und Grenzen der systemischen Beratung in der Schulsozialarbeit“. Ich

versuche, die Absichten und Meinungen der Autoren nachvollziehen zu können und werde

diese in meiner Arbeit ordnungsgemäß umsetzen. Die Auseinandersetzung mit

verschiedenen Texten wird jederzeit Hauptgegenstand meines Handelns sein. Somit wird

das Erstellen der Hausarbeit durch das Halten an gegebene Texte und Quellen erfolgen

(vgl. Stickel-Wolf/Wolf 2011, S. 117f.). In der vorliegenden Hausarbeit wird das

generische Maskulinum verwendet. Alle männlichen Begriffe schließen aus Gründen der

Platzersparnis auch die weibliche Form mit ein. Wenn etwas über Sozialarbeiter, Lehrer

und Schüler ausgesagt wird, dann sind auch stets Sozialarbeiterinnen, Lehrerinnen und

Schülerinnen gemeint. Als Diskriminierung sollte dies keinesfalls verstanden werden. Ich

bitte um Verständnis!

Page 6: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

3

2 Systemische Beratung

2.1 Begriffsklärungen

Eine Beratung ist ein Vorgang, in dem der Ratsuchende und der Beratende gemeinsam

über Probleme und deren Lösungen verhandeln. Dies findet in einem kommunikativen

Prozess statt, welcher mit Einzelpersonen, Paaren, Familien, Gruppen oder Organisationen

durchgeführt werden kann. Zum einen kann eine Beratung zur Informationsvermittlung in

Form einer Sach-Beratung aufgesucht werden, zum anderen dient sie als Ratgeber bei

persönlichen Schwierigkeiten, Konflikten, Krisen oder psychischen Problemen (vgl.

Haselmann 2012, S. 52f.). Aus systemischer Sicht sind Therapie und Beratung kaum

voneinander zu unterscheiden, weil sie sich auf eine Problemlösung mittels der Ressourcen

der Klientensysteme konzentrieren (vgl. Haselmann 2008, S. 265f.).

Ein System ist eine geordnete Gesamtheit, in welcher die verschiedenen Elemente in

Wechselwirkungsbeziehungen zueinander stehen. Systeme grenzen sich von ihrer Umwelt

ab und organisieren beziehungsweise reproduzieren sich selbst (vgl. Baecker 2012, S.

408f.). Es kann zwischen mechanischen, biologischen und sozialen Systemen

unterschieden werden, wobei in der Sozialen Arbeit das soziale System von Bedeutung ist

(vgl. Simmen u.a. 2010, S. 17). Aus der systemischen Perspektive wird ein System als

Interaktionssystem und Kommunikations- oder Informationssystem betrachtet. Man erhält

ein Verständnis von Systemen durch die Kategorien der Zirkularität, Kommunikation und

System-Umwelt-Grenzen. Auf Grund der Zirkularität wird ein Verhalten des Einzelnen

sowohl als Ursache als auch als Wirkung betrachtet, wodurch kein linearer Vorgang

möglich ist. Stattdessen kommt es zu einer wechselseitigen Beeinflussung. Der zirkuläre

Austausch findet in der Kommunikation zwischen den Systemmitgliedern statt. Bei den

kommunikativen Ausführungen der Beteiligten wird insbesondere auf den Inhalts- und

Beziehungsaspekt geachtet. Anhand sich wiederholender Kommunikationsprozesse lassen

sich „Muster“ oder „Regeln“ innerhalb des Systems erkennen. Um ein System von seiner

Umwelt abgrenzen zu können, muss geklärt werden, wer oder was zu einem System gehört

und wer oder was nicht. Trotz der Grenze zu seiner Umwelt ist ein System an den

Austausch mit dieser zur Selbsterhaltung gebunden (vgl. Haselmann 2008, S. 204f.).

Page 7: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

4

2.2 Entwicklung der Systemtheorien

2.2.1 Kybernetik erster Ordnung

Norbert Wiener (1948) schuf den Begriff „Kybernetik“, welcher die Steuerung und

Regelung des Verhaltens von Systemen erforscht, die von ihrer Umwelt und ihrem

Beobachter isoliert sind (vgl. Simon 2006, S.41). Die Bezeichnung der Kybernetik

beschreibt in der Systemtheorie vornehmlich das Verhältnis vom Beobachter zum System.

Der Ausgangspunkt der Kybernetik erster Ordnung ist, dass der Berater außerhalb des zu

beobachtenden Systems steht. Der Berater kann also relativ objektiv beobachten, was im

System falsch läuft. Dies setzt voraus, dass die problemrelevanten Interaktionsmuster,

welche das Problem oder das symptomatische Verhalten verursachen, aus einer gewissen

Expertensicht genau identifiziert werden können. Gleichzeitig wird abgeleitet, dass ein

Problem oder Symptomverhalten erst im problemrelevanten System entsteht (vgl.

Haselmann 2008, S. 207). Auf Grund der Tatsache, dass Systeme wie Maschinen

funktionieren, können sie von Beratern beziehungsweise Therapeuten gezielt von außen

kontrolliert und gesteuert werden. Mithilfe von gezielten Instruktionen, Interventionen

oder Strategien kann der Berater dafür sorgen, dass die erwünschten Veränderungen

innerhalb des Systems eintreten, um ein Problem zu beseitigen. Der Kybernetik erster

Ordnung, welche auch als die „alte“ Epistemologie bezeichnet wird, dienten die

klassischen familientherapeutischen Modelle als Grundlage. Daher wird in diesem

systemischen Denkmodell ausschließlich von Familiensystemen ausgegangen (vgl.

Haselmann 2008, S. 210).

2.2.2 Kybernetik zweiter Ordnung

Die Kybernetik erster Ordnung erfuhr eine Weiterentwicklung, nachdem die Rolle des

Beobachters eine neue Bedeutung in der Systemtheorie erhielt. Demnach ist das

Beobachten kein passiver Prozess mehr, wodurch der Beobachter Teil des Geschehens

wird. Die Beobachtungen des Beraters lassen sich nicht objektiv wahrnehmen (vgl.

Simmen u.a. 2010, S. 12). Die Hypothesen eines Beraters oder Therapeuten bezüglich der

Probleme und Lösungsversuche innerhalb eines Systems sind nicht beobachterunabhängig,

sie stellen vielmehr seine eigenen Konstruktionen dar. Diese neue Epistemologie wird als

Kybernetik zweiter Ordnung betitelt. Weitere Unterschiede zur alten Epistemologie sind

das Konzept der Autopoiesis sowie die neueren systemisch-konstruktivistischen Modelle

(vgl. Haselmann 2008, S.208f.).

Page 8: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

5

Bei der Arbeit mit Klientensystemen treffen wir lebendige, offene Systeme und nicht auf

Maschinen, welche durch ein bestimmtes Schema beeinflusst werden. Die Interventionen

eines Beraters müssen somit nicht von Erfolg geprägt sein. Es ist wichtig, sich auf eine

kooperative Beziehung zu seinem Klienten einzulassen und sich deren Ansichten nicht zu

verschließen. Die Klienten sind die Experten für ihr Leben und können selbst entscheiden,

welche Interventionen sie annehmen wollen (vgl. Schwing/Fryszer 2010, S.168). Da eine

gezielte Einflussnahme auf Grund der Eigenlogik und Eigenverantwortlichkeit eines

Klientensystems unmöglich ist, kann ein System nur angestoßen, angeregt oder „verstört“

werden (vgl. Haselmann 2008, S. 209ff.). Der Autopoiesis-Gedanke führt dazu, dass die

einzelnen Interaktionsteilnehmer in einem System autonome und selbst organisierende

Subjekte sind. Jede Handlung eines Systemteilnehmers hat eine beziehungsgestaltende

Bedeutung, wodurch gleichzeitig das Verhalten einer anderen Person beeinflusst wird.

Dies gilt auch für problematische und symptomatische Verhaltensweisen (vgl. Mücke

2009, S. 187). Daraus resultiert, dass nicht das System das Problem kreiert, sondern dass

das Problem ein System um sich herum „entwickeln“ lässt. Das Problemsystem schließt

die Handlungen, Konstruktionen und Sichtweisen aller Teilnehmer hinsichtlich des

Verhaltens, welches als „Problem“ definiert wird, mit ein. Die kommunikative Bedeutung,

die dem problematischen Verhalten zugeschrieben wird, muss erforscht werden (vgl.

Haselmann 2008, S. 210). Ein Problem kann jedes Thema einer Kommunikation

repräsentieren, welches sowohl als unerwünscht als auch als veränderbar gehalten wird.

Daher bestehen klinisch relevante Problemsysteme aus Kommunikationen, in denen

Verhaltensweisen einer Person als veränderungsbedürftig und veränderungsfähig beurteilt

wird (vgl. Ludewig 2009, S. 87ff.). Derartig definierte Phänomene oder Störungen werden

als Beschreibungen von Interaktionsprozessen gesehen. Dabei wird beachtet, dass diese

Wahrnehmungen nicht objektiv erfasst werden, da sie der subjektiven Perspektive eines

Beobachters unterliegen. Psychische Störungen oder problematisches Verhalten werden

demnach als interaktionelle Probleme oder Kommunikationsstörungen und -

missverständnisse betrachtet. Dementsprechend muss eine Familie nicht zwingend ein

Problemsystem verkörpern. Es kann sich dabei um Interaktionssysteme aus der Arbeitswelt

oder Therapie handeln, in welchem auch der Berater oder Therapeut Teil des Systems ist

(vgl. Haselmann 2008, S. 205f.).

Die Tatsache, dass unsere Beobachtungen durch unsere subjektiven Anschauungen

beeinflusst werden, stellt eine objektive Realität stark infrage. Diese Auffassung entspricht

den Annahmen des Konstruktivismus (vgl. Simmen u.a. 2010, S. 13). Unsere

Page 9: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

6

Wahrnehmungen sind Konstruktionen, wodurch wir unsere Welt nicht objektiv

wiedergeben können. Vielmehr konstruiert sich jedes Individuum seine eigene Realität.

Dabei geht es nicht darum, ob diese „Illusionen“ der Wahrheit entsprechen, d.h., ob sie

richtig oder falsch sind. Es ist von Bedeutung, ob sie nützlich für die Lebensgestaltung des

Einzelnen ist. In der therapeutischen Praxis müssen deshalb andere als die bisherigen

problemerzeugenden und selbstabwertenden Konstruktionen ausprobiert werden, um

Problemkonstruktionen in Lösungskonstruktionen umwandeln zu können. Der Berater

wird zum Co-Konstrukteur der Realität des Systems. Durch den Berater wird die

Selbstorganisation des Systems angeregt, indem neue Informationen zur Bildung von

nützlicheren Wirklichkeitskonstruktionen eingeführt werden. Die Klienten entscheiden

nun, ob sie diese Informationen annehmen möchten oder nicht. Die Verantwortung der

Milderung oder Lösung des Problems liegt im Klientensystem (vgl. Haselmann 2008, S.

220ff.).

Die Entwicklung zur Kybernetik zweiter Ordnung hat zur Folge, dass die Macht des

Beraters oder Therapeuten eingeschränkt wird. Es besteht keine hierarchische Beziehung

zwischen Ratsuchendem und Berater, in welcher der Berater als Experte agiert. Der Klient

wird dahingehend angeregt und provoziert, dass er eigene Problemlösungen findet. Das

Ziel ist es, Kontexte für Veränderungen zu ermöglichen, ohne dabei Veränderungsziele zu

deklarieren. Im Gegensatz zu den älteren familiensystemischen Modellen können die

neueren Modelle der Systemtheorie ebenfalls in der systemisch-therapeutischen

orientierten Arbeit mit Einzelnen angewendet werden (vgl. Haselmann 2008, S. 211).

2.3 Therapeutische Haltungen

Die Wertschätzung gegenüber den Klienten ist eine Grundvoraussetzung für das

systemische Arbeiten. Dies zeigt sich in der Würdigung und Achtung einem Menschen und

seiner Lebensführung gegenüber. Hierbei sind nicht nur hilfreiche und problemlösende

Handlungen zu respektieren, sondern auch schädigende und verletzende Handlungen zu

berücksichtigen (vgl. Mücke 2009, S. 31). Dies entspricht der Achtung vor der

Selbstorganisation eines Systems, d.h., dass der Berater den Klienten nicht seine eigenen

Sichtweisen zum Thema macht. Ebenso wenig soll der Berater die Klienten, deren

Lebensweisen und Konstruktionen bewerten, wodurch eine Neutralität des Beraters

gefordert wird. Es gibt drei Ebenen der Neutralität (vgl. Haselmann 2008, S. 248). Die

soziale Neutralität erfordert, dass niemand bevorzugt wird, indem jeder Teilnehmer mit

seinen individuellen Perspektiven in gleicher Weise wertgeschätzt wird (vgl.

Page 10: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

7

Schwing/Fryszer 2010, S. 87). Dieser Begriff ist mit dem Begriff der „Allparteilichkeit“ zu

vergleichen. Eine weitere Ebene ist die Konstrukt-Neutralität. Neben der Achtung vor den

Wirklichkeitskonstruktionen der Klienten ist eine gewisse Distanz zu den eigenen

Ansichten zu wahren. Dies bedarf einer Neugier, um neue alternative Sichtweisen

herauszufinden (vgl. Mücke 2009, S. 66f.). Es wird keine Partei für eine Sichtweise

ergriffen. Zudem muss der Berater den Symptomen und der Veränderungsbereitschaft

gegenüber neutral eingestellt sein. An dieser Stelle werden sowohl die positiven als auch

die negativen Seiten eines Problems für den Einzelnen und das System dargelegt, womit

der Berater den Vorschlag einer Veränderung oder einer Nicht-Veränderung zu unterlassen

hat (vgl. Klein/Kannicht 2009, S. 25f.).

Um Veränderungsprozesse anzuleiten, ist es wichtig, den Blick von den Defiziten auf die

Ressourcen zu lenken. Man arbeitet nach der Annahme, dass jeder Mensch das Potential in

sich hat, die geforderten Ressourcen zu entwickeln. Ein Berater muss einen Lernrahmen

kreieren, in welchem der Klient solche Lernerfahrungen entdecken und in seinem

alltäglichen Leben anwenden kann (vgl. Schwing/Fryszer 2010, S. 326). Ausgehend von

dieser ressourcenorientierten Vorgehensweise verfügen alle Klienten und Systeme über

eigene Ressourcen und Kompetenzen, um eine Lösung des Problems herbeizuführen. Es

wird nach Ausnahmen eines Problems gesucht, um dem Klienten zu ermöglichen, auf

vorhandene Ressourcen zurückgreifen zu können (vgl. Klein/Kannicht 2009, S. 81). Der

Blick richtet sich in die Zukunft. Die Problemlösung rückt in den Mittelpunkt, wodurch der

Aspekt ermöglicht wird, sich mit Lösungsideen zu beschäftigen, ohne sich zunehmend auf

das symptomatische Verhalten beziehen zu müssen.

Es gilt zu beachten, dass dem Klienten nur das angeboten wird, was dieser auch für

notwendig und nützlich hält. Die Wünsche des Klienten müssen Berücksichtigung finden,

welche direkt in der Auftragsklärung aufgenommen werden. In der Therapie oder Beratung

geht es im Weiteren darum, den Radius an Denk- und Verhaltensmöglichkeiten des

Klienten zu erweitern. Durch Anregungen, „Verstörungen“ oder Provokationen sollen neue

und bisher unbekannte Denk- und Handlungsansätze vermittelt werden (vgl. Haselmann

2008, S. 249).

Page 11: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

8

2.4 Vorgehensweisen und Arbeitstechniken

Für den Verlauf einer systemischen Beratung ist es von Bedeutung, am Anfang den

Auftrag beziehungsweise das Anliegen für die Beratung zu klären. Dies kann erschwert

werden, wenn ein Überweisungskontext vorliegt, d.h., dass der Klient von anderen

Personen oder Institutionen zu einer Beratung „geschickt“ wurde. Es muss erfragt werden,

von wem der Klient überwiesen wurde und welche Erwartungen die Überweisenden sich

erhoffen. Allerdings darf die eigene Motivation des Klienten nicht vergessen werden (vgl.

Schwing/Fryszer 2010, S. 36f.). Neben den geschickten Klienten gibt es noch die Kunden

und Kläger. Kunden wollen etwas in ihrem Leben verändern und auch dementsprechend

daran arbeiten möchten. Kläger suchen hingegen einen Gesprächspartner, um über ihre

Probleme reden zu können. Obwohl Kläger konkrete Probleme beschreiben und sich als

Opfer darstellen, sind sie nicht motiviert, aktiv Veränderungen mitzugestalten (vgl.

Schwing/Fryszer 2010, S. 117f.). Es ist daher wichtig, die Motivation des Klienten

anzusprechen, indem man danach fragt, was der Anlass ist, eine Beratung aufzusuchen.

Zudem sollten Informationen über Vorerfahrungen des Klienten gesammelt werden, um

Erwartungen oder Befürchtungen, welche in früheren Beratungskontexten ausgelöst

wurden, deutlich zu machen. Die Wünsche, Ängste und Erwartungen werden zum Thema

gemacht (vgl. Brüggemann/Ehret-Ivankovic/Klütmann 2007, S. 31). Es muss geklärt

werden, warum wer was von wem will. Sind die Anliegen des Klientensystems und die

Möglichkeiten des Beraters in Einklang gebracht, kann ein Kontrakt zwischen beiden

Seiten geschlossen werden. Dieser Kontrakt beinhaltet Vereinbarungen über inhaltlich

konkrete Ziele, die Aufgabenverteilung, das Setting und das Informationsmanagement

(vgl. Schwing/Fryszer 2010, S. 107f.).

Im Verlauf des Beratungsprozesses bildet ein Berater Hypothesen, welche als Annahmen

zu verstehen sind. Diese Annahmen setzen keine linearen Ursache-Wirkungs-

Zusammenhänge, sondern zirkuläre Wechselwirkungen voraus. Es werden die

Beziehungen und Interaktionen der Systemmitglieder berücksichtigt und in einen Kontext

gestellt, wodurch neue Bedeutungen zugelassen werden können. Den Symptomen wird

eine Funktion innerhalb des Systems zugeschrieben. Eigenschaften werden demzufolge in

einen bestimmten Kontext einbezogen und gelten als veränderliche Verhaltensmuster. Zur

Motivation der Klienten sollten Hypothesen positiv konnotiert werden und Ressourcen der

Klienten beinhalten (vgl. Schwing/Fryszer 2010, S. 135). Hypothesen haben die Aufgabe,

alle Beobachtungen und Informationen, die ein Berater in den Gesprächen aufnimmt, zu

ordnen. Darüber hinaus wird das Klientensystem angeregt, neue und alternative

Page 12: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

9

Sichtweisen aufzunehmen (vgl. Schwing/Fryszer 2010, S. 129). Es ist nicht entscheidend,

ob die Hypothesen richtig oder falsch sind. Es geht darum, ob sie nützlich sind,

Veränderungen herbeizuführen. Dies hat zur Folge, dass Annahmen, welche keinen Erfolg

erzielen, durch andere ersetzt werden müssen (vgl. Schwing/Fryszer 2010, S. 132).

Ein weiteres wichtiges Hilfsmittel in der systemischen Beratung ist das Stellen von Fragen.

Auf Grund der zirkulären Sichtweise versucht der Berater mithilfe seiner Fragen die

Wechselwirkungen zwischen den Systemmitgliedern sowie zwischen dem Problem und

seinem Kontext zu verdeutlichen. Es handelt sich daher um zirkuläre Fragen. Das

Symptom wird im Kontext von Beziehungen der Systemteilnehmer oder Ereignissen aus

der Vergangenheit und Gegenwart betrachtet. Die Symptome werden somit

kontextualisiert, wodurch ihnen eine neue Bedeutung zugewiesen wird. Die Sichtweisen

der Beteiligten werden verstört (vgl. Schwing/Fryszer 2010, S. 210ff.). Es werden neue

Informationen zu den Beziehungen der Systemteilnehmer erzeugt und neue Sichtweisen

können konstruiert werden. Hierdurch werden neue Verhaltensweisen ermöglicht.

Währenddessen wird die „Schuld“ eines Problems nicht mehr bei einer einzelnen Person

gesucht, stattdessen richtet sich das Hauptaugenmerk auf die Beziehungen untereinander,

um möglicherweise an diesen zu arbeiten (vgl. Schwing/Fryszer 2010, S. 219f.). Es geht

nicht mehr um Eigenschaften, die einer Person anhaften, sondern um Verhalten, welches

zwischen Personen geschieht (vgl. Schwing/Fryszer 2010, S. 216). Im Folgenden werden

einige Beispiele zirkulärer Fragen genannt:

Erklärungsfragen

Fragen, die Eigenschaften zu Verhalten verflüssigen

Fragen, die Verhalten in einen spezifischen Kontext stellen

Vorher-Nachher-Beziehungsfragen

Skalenfragen

Verschlimmerungsfragen

die Wunderfrage: Wie sähe es aus, wenn das Problem über Nacht weg wäre?

triadische Beziehungsfragen.

Vor allem triadische Fragen können neue Informationen und dementsprechend alternative

Wirklichkeitskonstruktionen und Handlungsmöglichkeiten herbeiführen. Dies liegt darin

begründet, dass jeder innerhalb eines Klientensystems zu seiner Sichtweise bezüglich der

Beziehung zwischen zwei anderen anwesenden Personen befragt wird (vgl. Haselmann

2008, S. 252f.).

Page 13: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

10

Das Formulieren von Kommentaren ist die Chance eines Beraters, sprachlich Einfluss auf

die Perspektiven und Konstruktionen aller Beteiligten zu nehmen. Dies kann mittels

Komplimenten erfolgen, welche Wertschätzung bekunden und eine positive Atmosphäre

gestalten. Komplimente dürfen jedoch keine oberflächlichen Aussagen beinhalten. Es muss

sich auf konkrete Beschreibungen oder Verhaltensweisen des Klienten beziehen, damit das

Ressourcenbewusstsein gestärkt wird (vgl. Schwing/Fryszer 2010, S. 238ff.). Eine andere

Form des Kommentierens ist das Reframing. Dies bedeutet, dass dem Gesagten oder

Erlebten durch einen neuen Rahmen eine neue Bedeutung gegeben wird. Den Klienten

werden neue Sicht- und Handlungsweisen angeboten (vgl. Schwing/Fryszer 2010, S. 243).

Beim Splitting nehmen zwei Berater oder Therapeuten entgegengesetzte Positionen ein,

um den Systemmitgliedern zu zeigen, dass unterschiedliche Meinungen zu tolerieren sind

und nebeneinander existieren können (vgl. Mücke 2009, S. 400). Dies wird vornehmlich in

Abschlusskommentaren eingesetzt. Des Weiteren werden im Abschlusskommentar

positive Bewertungen vorgenommen und Handlungsexperimente vorgeschlagen. Hierzu

gehört das Erteilen von Verschreibungen oder Aufgaben (vgl. Haselmann 2008, S. 254).

Eine Symptomverschreibung sieht vor, dass bis dahin spontan auftretende und unbewusst

ablaufende Symptome gezielt und bewusst getätigt werden. Unkontrollierte Symptome

können nun willentlich hervorgerufen werden (vgl. Mücke 2009, S. 312). Bei So-tun-als-

ob-Verschreibungen soll das symptomatische Verhalten absichtlich vorgetäuscht werden,

um die Reaktion der anderen wahrzunehmen. Hat sich der Berater während eines

Gespräches zu sehr auf die Seite der Veränderung gestellt, ist es ratsam, sich im

Abschlusskommentar auf die Vorteile einer Nicht-Veränderung zu konzentrieren. Um vor

zu schnellen Veränderungen zu warnen, kann ein Rückfall verschrieben werden. Durch das

Verschreiben von Ritualen werden Verhaltensweisen eingeübt, welche den Bedürfnissen

des Klientensystems entsprechen. Dieses Verfahren verfolgt das Ziel, festgefahrene

Interaktionsmuster zu unterbinden (vgl. Haselmann 2008, S. 256). Neben solchen

Verhaltensaufgaben können auch Beobachtungsaufgaben erteilt werden. Der Klient erhält

die Aufgabe zu beobachten, wann, bei wem, ohne wen, wie häufig, wie intensiv und wo

sich das Problem auftritt. Zugleich soll der Klient darauf achten, wann das Problem

schwächer beziehungsweise gar nicht erscheint. Hierdurch werden neue Sichtweisen

gewährt und der Blick auf die eigenen Lösungsressourcen forciert (vgl. Mücke 2009, S.

401).

Page 14: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

11

Eine zusätzliche Vorgehensweise im systemischen Arbeiten sind die metaphorischen

Techniken. Hierzu zählt die Arbeit mit einer Familienskulptur. Dabei stellen die

Familienmitglieder ihre Empfindungen über die Familienbeziehungen in einer Skulptur

dar. Es können sowohl Ist-Zustände als auch Soll-Zustände beleuchtet werden. Es sollten

ebenfalls die Familienverhältnisse vor und nach dem Problem erfasst werden. Darüber

hinaus gibt es das Konzept der Externalisierung des Problems, bei welchem eine Person

von seinem Problem getrennt betrachtet wird. Mit dem Einsatz von Metaphern und

märchenhaften oder hollywoodreifen Geschichten kann der Klient dahingehend motiviert

werden, sich solche Geschichten als Vorbild für eigene Zukunftsvisionen zu nehmen (vgl.

Haselmann 2008, S. 256).

3 Schulsozialarbeit

3.1 Begriffsklärungen

Für den Begriff der Schulsozialarbeit gibt es noch keine einheitlichen Definitionen, obwohl

es bereits seit Jahrzehnten in der Praxis existiert. Dies wird unter anderem auf Grund der

Nutzung verschiedener Synonyme für die Schulsozialarbeit verursacht. „Schulbezogene

Jugendsozialarbeit“, „schulbezogene Jugendhilfe“, „Soziale Arbeit an Schulen“ oder

„Jugendarbeit an Schulen“ sind nur einige Beispiele (vgl. Bassarak 2008, S. 39). Es ist

festzuhalten, dass Schulsozialarbeit eine Form der Jugendhilfe darstellt, welche am Ort

Schule angeboten wird. Dies erfolgt, indem sozialpädagogische Fachkräfte kontinuierlich

an einer Schule tätig sind und mit den Lehrern der Schule kooperieren. Diese

Zusammenarbeit ist verbindlich und setzt voraus, dass Sozialarbeiter und Lehrer als

gleichberechtigte Partner angesehen werden. Die Förderung der Schüler in ihrer

Entwicklung wird als Ziel ausgegeben. Dies beinhaltet den Abbau und die Vermeidung

von Bildungsbenachteiligungen. Die Erziehungsberechtigten und die Lehrkräfte gelten als

weitere Zielgruppen und sollen bei der Erziehung und dem erzieherischen Kinder- und

Jugendschutz beraten und unterstützt werden. Die sozialpädagogischen Tätigkeiten zeigen

sich in Beratungsgesprächen und der Zusammenarbeit mit Schülern, Lehrern und

Erziehungsberechtigten. Weiterhin gehören sozialpädagogische Gruppenarbeitsprozesse,

offene Kontakt- und Freizeitangebote für Schüler, Mitwirkungen an Unterrichtsprojekten

und schulischen Gremien sowie Gemeinwesenarbeitsvorgänge dazu (vgl. Speck 2007; S.

28f.).

Page 15: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

12

Trotz eines Grundverständnisses von Schulsozialarbeit bleiben Fragen zu den

theoretischen Begründungen, der Bedeutung, den Zielen, den Zielgruppen, den

Rechtsgrundlagen, den Methoden und der Trägerkonstellation von Schulsozialarbeit

unbeantwortet. Ein einheitliches Vorgehen in der Schulsozialarbeit ist somit kaum möglich

(vgl. Speck 2007, S. 29).

3.2 Trägerschaft

Die Rahmenbedingungen der Schulsozialarbeit hängen stark von den personellen,

trägerbezogenen, finanziellen, räumlichen, materiell-technischen und kooperations-

bezogenen Faktoren eines Standortes ab (vgl. Gastiger/Lachat 2012, S. 32). Vor allem bei

den trägerbezogenen Rahmenbedingungen stellt sich die Frage, welches Trägermodell am

besten für die Schulsozialarbeit geeignet ist. Das Trägermodell bestimmt maßgeblich die

Finanzierungsverantwortung, die konzeptionelle Ausrichtung, die Dienst- beziehungsweise

Fachaufsicht und die Ziele der Schulsozialarbeit sowie die Handlungsmöglichkeiten der

Schulsozialarbeiter und deren Integration in die Schul- und Jugendhilfestrukturen. Es wird

zwischen dem schulischen Träger, dem Jugendamt als örtlichen Träger und dem freien

Träger der Jugendhilfe unterschieden (vgl. Speck 2007, S. 77).

Wenn die Schulbehörde der Träger ist, müssen die unterschiedlichen Kompetenzen und

Befugnisse der Lehrer und Sozialarbeiter nicht mehr groß ausgehandelt werden, weil beide

Berufsgruppen der Weisungsbefugnis der Schulleitung unterliegen. Dementsprechend sind

die Erwartungen und Aufgaben klar verteilt. Ebenfalls findet eine gute und unkomplizierte

Integration der Schulsozialarbeiter in die schulischen Gremien statt. Infolge der

Finanzierungssicherheit durch die Schule kann eine kontinuierliche und langfristige

Schulsozialarbeit gewährleistet werden. Es ist jedoch ein Problem, dass die Schulbehörde

kaum über sozialpädagogische Kompetenzen verfügt und Sozialarbeiter folglich auf sich

allein gestellt sind. Es besteht die Gefahr, dass die Sozialarbeiter vornehmlich für

schulische Zwecke eingesetzt und die Aufgabenfelder der Jugendhilfe vernachlässigt

werden (vgl. Speck 2007, S. 77ff.).

Bei der Trägerschaft durch Jugendämter ist eine Einbindung in die Jugendhilfestrukturen

gegeben und eine sozialpädagogische Kompetenz des Trägers vorhanden. In diesem

Trägermodell agiert die Institution Schule mit der Schulsozialarbeit auf gleichberechtigter

Ebene. Die Sozialarbeiter werden nicht für schulische Zwecke vereinnahmt. Die

Autonomie gegenüber der Schule ermöglicht einen außenstehenden Blick auf das

Schulleben, womit größere Reformchancen in Bezug auf schulische Rahmenbedingungen

Page 16: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

13

bestehen. Im Gegensatz zu freien Trägern der Jugendhilfe haben Jugendämter bessere

Möglichkeiten, ein einheitliches und anerkanntes Fachkonzept zur Schulsozialarbeit auf

kommunaler Ebene zu festigen. Eine langfristige Finanzierung kann so sichergestellt

werden. Bei Einzelfallhilfen können trägerübergreifende Leistungen und Angebote

weitervermittelt werden. Das Jugendamt hat zudem leichteren Zugang zu

„Problemfamilien“. Dies schließt den Nachteil ein, dass Schüler und Eltern stigmatisiert

werden. Ängste und Befürchtungen bei Lehrern und Erziehungsberechtigten gegenüber

dem Jugendamt, welche unter Umständen einen schlechten Ruf haben, können sich als

hinderlich bei einer eventuellen Zusammenarbeit herausstellen. Die Distanz von Lehrern

und Schulleitungen gegenüber externen Schulsozialarbeitern erschwert eine strukturelle

und organisatorische Einbindung (vgl. Speck 2007, S. 78ff.).

Freie Träger der Jugendhilfe verfügen, wie Jugendämter, über sozialpädagogische

Kompetenzen, wodurch eine Einbindung in die Jugendhilfestruktur und die Autonomie

gegenüber der Institution Schule ermöglicht wird. Es können zusätzliche Ressourcen

aktiviert werden. Hierzu zählen Spenden, Fördermittel oder ehrenamtliche Mitarbeiter. Im

Vergleich zu Jugendämtern genießen freie Träger der Jugendhilfe oftmals einen besseren

Ruf. Freie Träger der Jugendhilfe besitzen dennoch weniger Macht als Jugendämter, weil

sie eine geringere Finanzierungssicherheit besitzen. Insbesondere kleinere und

leistungsschwächere Träger sind auf Fördermittel für die Absicherung von

Schulsozialarbeit angewiesen. Zeit- und Personalprobleme bei der fachlichen Begleitung

und Unterstützung der Sozialarbeiter können eintreten. Es können auch nur wenige

trägerübergreifende Hilfen angeboten werden. Überdies hinaus „genießt“ ein freier Träger

eine deutlich schwächere Position gegenüber der Schulbehörde. Die Kompetenzen und

Positionsstellungen müssen in einem langwierigen Prozess ausgehandelt werden (vgl.

Speck 2007, S. 78ff.).

Obwohl in der sozialpädagogischen Fachliteratur Jugendhilfeträger bevorzugt und

schulische Träger eher ablehnend bewertet werden, kommen in der Praxis alle drei

Trägermodelle zum Einsatz (vgl. Speck 2007, S. 80f.).

3.3 Aufgaben

Die Schulsozialarbeit ist ein Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendhilfe, d.h., die Grundsätze,

Handlungsprinzipien, Methoden und Techniken entsprechen den Vorstellungen der

Kinder- und Jugendhilfe (vgl. Gastiger/Lachat 2012, S. 18).

Page 17: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

14

Es gehören folgende Forderungen zu den Grundsätzen der Schulsozialarbeit:

präventive Ausrichtung

sozialpädagogische Dienstleistungsorientierung

Vielfalt an Inhalten, Methoden und Arbeitsformen

Freiwilligkeit der Adressaten bei der Inanspruchnahme von Leistungen

Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten

Beteiligung der Schüler an allen sie betreffenden Entscheidungen

Schutz der Privatgeheimnisse und Sozialdaten

Vorrang des Elternrechtes

Schutzauftrag der Jugendhilfe und des Staates bei Kindeswohlgefährdung

offensives Handeln (vgl. Gastiger/Lachat 2012, S. 31f.).

In Bezug auf die Aufgaben und Ziele von Schulsozialarbeit wird vor allem den §§

1,11,13,80 und 81 SGB VIII eine wichtige Rolle zugeschrieben, obwohl in keinem der

genannten Paragrafen Schulsozialarbeit explizit angeführt wird (vgl. Speck 2007, S. 48).

§ 1 Abs. 3 SGB VIII (Jugendhilfe) basiert auf den Zielen der Kinder- und Jugendhilfe.

Dies betrifft die Förderung von jungen Menschen, den Abbau von Benachteiligungen, die

Erziehungsberatung für Erziehungsberechtigte und den Kinder- und Jugendschutz. Positive

Lebensbedingungen für Kinder, Jugendliche und deren Familien sollen erzielt werden. Es

soll eine schülerfreundliche Umwelt geschaffen werden. Nach diesem Paragraphen

fungiert ein Schulsozialarbeiter als „Anwalt“ für Schüler und gewährt ihm eine

Einmischungsfunktion in die Institution Schule (vgl. Speck 2007, S. 49).

In § 11 SGB VIII (Jugendarbeit) wird der Jugendarbeit eine Bildungsfunktion

zugeschrieben. Arbeitswelt-, schul- und familienbezogene Jugendarbeit wird dabei als

Schwerpunkt angegeben. Die Schulsozialarbeit entspricht diesem Anforderungsprofil,

indem sie außerunterrichtliche Angebote in der Freizeit, in Beratungsgesprächen und in der

Bildungsarbeit im Rahmen spezifischer Räume und Projekte zur Prävention anbietet und

durchführt (vgl. Gastiger/Lachat 2012, S. 26).

§ 13 SGB VIII (Jugendsozialarbeit) sagt aus, dass jungen Menschen geholfen werden soll,

welche unter sozialen Benachteiligungen oder individuellen Beeinträchtigungen im

erhöhtem Maße leiden. Durch sozialpädagogische Hilfen soll ihre schulische und

berufliche Ausbildung, ihre Eingliederung in die Arbeitswelt und ihre soziale Integration

gefördert werden (vgl. Speck 2007, S. 50). Obwohl sich dieser Paragraf mit dem Auftrag

der Schulsozialarbeit inhaltlich deckt, ist es problematisch, dass nur benachteiligte und

Page 18: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

15

beeinträchtigte Jugendliche als Adressaten von sozialpädagogischen Hilfen erwähnt

werden. Schulsozialarbeit kann hingegen von allen Kindern und Jugendlichen einer Schule

wahrgenommen werden (vgl. Gastiger/Lachat 2012, S. 27).

Die §§ 80 und 81 SGB VIII beziehen sich auf die Jugendhilfeplanung und die

Zusammenarbeit mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen. Aus § 80 lässt sich

interpretieren, dass Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanungen aufeinander abgestimmt

werden sollen. § 81 ordnet den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe eine Kooperation mit

Schulen und Stellen der Schulverwaltung an. Für freie Träger der Jugendhilfe gelten diese

Paragrafen auf Grund ihrer Autonomie nicht (vgl. Speck 2007, S. 49).

Die Schulsozialarbeit hat somit als Form der Jugendhilfe den Auftrag, die individuelle und

soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Hierzu müssen günstige

Lebensbedingungen ermöglicht werden. Dies bedingt eine Zusammenarbeit mit den Eltern

und den Lehrern. Die Jugendhilfe hat die Funktion, junge Menschen in die Gesellschaft zu

integrieren. Dem steht die Qualifikations-, Selektions- und Integrationsfunktion der Schule

gegenüber. Die Qualifikationsfunktion zeigt sich in der Vermittlung von Fertigkeiten und

Kenntnissen für die konkrete Arbeit und der Partizipation am gesellschaftlichen Leben. Die

starke Leistungsorientierung und die kognitive Wissensvermittlung können dafür sorgen,

dass die gesamte Lebenslage der Schüler unbeachtet bleibt. Unter der Selektionsfunktion

versteht man die Weitergabe der vorherrschenden sozialen Positionen innerhalb einer

Gesellschaft von einer Generation zur nächsten. Diese schulischen Anforderungen und

Belastungen können von einigen Schülern nicht erfüllt werden, welche zu einer

schulischen Ausgrenzung führen können. Der Schüler muss solch unangenehme

Erfahrungen selbstständig verarbeiten. Das Schulleben beeinflusst daher nicht nur die

unmittelbare Schulzeit, sondern auch die alltägliche Lebensgestaltung, das Lebensgefühl

und die Identitätsentwicklung von Schülern. Die Integrationsaufgabe der Schule wird stark

erschwert. Die Schulsozialarbeit hat den richtigen Umgang mit dem Spannungsverhältnis

von Integration und Differenzierung innerhalb der Schule zu finden (vgl. Speck 2007, S.

30ff.).

3.4 Angebote

Die Angebotspalette von Schulsozialarbeit lässt sich in vier Aufgabenbereiche unterteilen:

Einzelhilfe und Beratung in individuellen Problemsituationen; sozialpädagogische

Gruppenarbeit, Projekte und Arbeit mit Schulklassen; innerschulische und außerschulische

Vernetzung und Gemeinwesenarbeit sowie offene Angebote für alle Schüler. Neben diesen

Page 19: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

16

vier Kernangeboten können weitere Aufgaben angeführt werden, welche allerdings nicht

zwangsläufig zum Leistungsprofil eines Schulsozialarbeiters gehören. Hierzu zählen

Hausaufgabenbetreuung, Unterrichtsvertretung, Organisation des Ganztagsbetriebes,

Mittagessen- und Pausenaufsicht sowie Randzeitbetreuung (vgl. Gastiger/Lachat 2012, S.

23f.). Das Beratungsangebot kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn Schüler

persönliche Krisen erleben. Krisen können durch dramatische Lebensereignisse oder

langanhaltende zwischenmenschliche Konflikte ausgelöst worden sein. Der Tod einer

wichtigen Bezugsperson, der Ausbruch einer schweren Krankheit, das Zerbrechen einer

Freundschaft, die Ehescheidung der Eltern oder zu hohe schulische Anforderungen können

die Ursache einer Krise sein. Die Probleme der Schüler mit solchen Entwicklungs- und

Lernanforderungen können nur mit qualifizierter, professioneller Hilfe in Form von

Beratungsgesprächen geregelt werden (vgl. Braun/Wetzel 2006, S. 141 f.). Neben Krisen

sind Konflikte oftmals der Grund für das Aufsuchen von Beratungen. In der

Schulsozialarbeit richtet man sich bei solchen Schwierigkeiten nach dem Konzept der

konstruktiven Konfliktbearbeitung. Dieses Konzept findet in Konfliktregelungsgesprächen,

Mediationen, Täter-Opfer-Ausgleichen, Mobbinginterventionen und Klassenratssitzungen

Anwendung (vgl. Gastiger/Lachat 2012, S. 48). Fragen zur Berufsorientierung und

Lebensplanung stellen ein weiteres Themengebiet in der Beratung mit Schülern dar. Dies

spiegelt sich in der Erstellung von Bewerbungsmappen, Fragen zu

Vorstellungsgesprächen, der Suche nach Ausbildungs- und Praktikumsmöglichkeiten oder

der Orientierungslosigkeit der Schüler wieder. Psychosoziale Probleme können

infolgedessen einhergehen (vgl. Gastiger/Lachat 2012, S. 66f.).

Das Beratungsangebot der sozialpädagogischen Fachkräfte kann auch von

Erziehungsberechtigten und anderen erwachsenen Bezugspersonen der Kinder und

Jugendlichen wahrgenommen werden. Die Themen beziehen sich vornehmlich auf die

Bildung, Erziehung und Betreuung. Eheprobleme, Fragen zur Schullaufbahn, finanzielle

Notlagen, Sorgerechtsfragen, Konflikte mit Lehrern, Suchtprobleme oder andere

innerfamiliäre Schwierigkeiten werden bearbeitet. Der Schulsozialarbeiter muss für sich

entscheiden, ob er ein kompetenter Ansprechpartner der jeweiligen Problemschilderungen

ist. Ist dies nicht der Fall, müssen die Ratsuchenden an die zuständigen

Kooperationspartner weitervermittelt werden (vgl. Gastiger/Lachat 2012, S. 68f.). Auch

Lehrer und Schulleiter sind wichtige Kooperationspartner und Zielgruppen von

Schulsozialarbeit. Der Schulsozialarbeiter soll die Lehrer dabei unterstützen, die

Sichtweisen und Lebenswelten der Schüler besser zu verstehen und zu verinnerlichen. Des

Page 20: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

17

Weiteren sollen den Lehrkräften Informationen über konkrete

Unterstützungsmöglichkeiten und Kooperationspartner bei den sozialen Einrichtungen und

Diensten vor Ort vermittelt werden. Die Beratung und Fortbildung von

sozialpädagogischen Themen, beispielsweise Präventionskonzepte oder Elternarbeit,

stellen einen anderen Gesprächsanlass der Lehrer dar. Die Lehrkräfte sollen dazu befähigt

werden, die akuten Probleme von Schülern innerhalb der Klassen selbstständig zu

verringern oder zu lösen. Bei Konfliktgesprächen zwischen Lehrern und Schülern fungiert

der Schulsozialarbeiter als Berater und Vermittler (vgl. Gastiger/Lachat 2012, S. 23). Bei

Elterngesprächen kann der Sozialarbeiter ebenfalls als Moderator und Vermittler eingesetzt

werden. Es ist bei der Zusammenarbeit mit Lehrern zu beachten, dass Lehrkräfte im

Gegensatz zu den Schülern keine Klienten im eigentlichen Sinne sind. Es ist vielmehr ein

Gespräch zwischen zwei Fachkräften aus unterschiedlichen disziplinären Richtungen (vgl.

Drilling 2009, S. 117).

Die sozialpädagogische Gruppenarbeit kann als weiteres Kernaufgabenfeld der

Schulsozialarbeit bezeichnet werden und hat eine präventive Funktion. Die vorgestellten

Themen sollen den Kindern und Jugendlichen derartig bewusst gemacht werden, dass

bestimmte Problemlagen gar nicht erst eintreten können. Zu den Gruppenangeboten

gehören das soziale Training, die Gewaltprävention, die Suchtprävention, die

Medienkompetenz, die Berufsorientierung und die Lebensplanung sowie die

Demokratieerziehung (vgl. Gastiger/Lachat 2012, S. 71f.). Ein soziales Training kommt

für Klassen in Frage, wenn dort außergewöhnliche Situationen wie Ausgrenzung, Mobbing

oder ähnliche Verhaltensweisen auftreten. Sowohl gemeinsame Aktivitäten als auch

Kommunikations- und Wahrnehmungstrainingseinheiten bewirken bei den Schülern eine

Selbstreflexion über den Umgang miteinander in der Gruppe. Durch die neu gewonnenen

Erkenntnisse innerhalb der Klasse können Möglichkeiten zur Verbesserung erarbeitet

werden. An einem Programm zur Suchtprävention können sowohl Schüler als auch Lehrer

und Eltern beteiligt sein. Es erfolgt eine Aufklärungsarbeit bezüglich der am weitesten

verbreiteten Suchtmittel des legalen und illegalen Konsums. Zudem werden Gefahren,

Wirkungsweisen und Risiken besprochen. Die Schüler sollen für die eigene Wahrnehmung

zur Suchtmittelproblematik sensibilisiert und zu einem verantwortungsbewussten Umgang

mit den verschiedenen Substanzen „erzogen“ werden (vgl. Just 2013, S. 43).

Eine zusätzliche Leistung der Schulsozialarbeit ist die Mitwirkung in Unterrichtsprojekten

und schulischen Gremien. Diese Tätigkeit erfolgt beispielsweise in einer Gesamtkonferenz,

Schulprogrammarbeit oder Klassenkonferenz. Des Weiteren ist die Kooperation und

Page 21: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

18

Vernetzung mit dem Gemeinwesen von großer Bedeutung (vgl. Speck 2007, S. 62f.).

Bedeutende außerschulische Kooperationspartner sind Jugendämter, Psychologen,

Psychotherapeuten, Kinder-/Jugendpsychiater, Suchthilfeeinrichtungen, Polizeistellen,

regionale Unternehmen, die Agentur für Arbeit, Vereine/ Verbände mit Freizeitangeboten

und andere Einrichtungen der Jugendarbeit. Die Schulsozialarbeit hat die Aufgabe,

Kontakte zwischen der Schule und den aufgezählten externen Partnern zu erschließen und

weiter auszubauen. Insbesondere die Einzelfallhilfe und Beratung in individuellen

Problemlagen können von diesen Kontakten profitieren (vgl. Gastiger/Lachat 2012, S.

103f.).

Das Gestalten von offenen Angeboten für alle Schüler macht nur einen kleinen Teil der

Schulsozialarbeit aus. Dies liegt darin begründet, dass Schülercafés, Freizeitgruppen,

Schülertreffs oder aktive Pausengestaltungen für die meisten Schüler einen kurzfristigen

spontanen Charakter haben. Trotzdem vereinfacht das offene und lockere Setting eines

Schülercafés die Kontaktaufnahme zwischen den Schülern und den Schulsozialarbeitern

(vgl. Gastiger/Lachat 2012, S. 107ff.).

4 Möglichkeiten der systemischen Beratung in der Schulsozialarbeit

4.1 Übertragung der systemisch-konstruktivistischen Perspektive auf die Schule

Nach der systemisch-konstruktivistischem Perspektive ist ein Problemschüler kein

isoliertes Individuum. Ein Schüler ist Bestandteil eines Systems, welches sein Verhalten

organisiert beziehungsweise beeinflusst. Zum sozialen Netzwerk eines Schülers gehören

die Mitglieder seiner Familie und seiner Schulklasse. Innerhalb dieser Systeme wird

miteinander kommuniziert und interagiert, wodurch die Systemmitglieder mit ihren

Verhaltensweisen Einfluss auf einen anderen ausüben. Dies trifft auch auf abweichende

und problematische Handlungsweisen zu (vgl. Hennig/Knödler 2000, S. 25). Infolge der

Offenheit von Systemen besteht ein ständiger Austausch zwischen dem Familiensystem

und dem Schulklassensystem. Probleme eines Schülers innerhalb der Familie können sich

auf die Interaktionen in der Schulklasse auswirken. Aus diesem Grund muss ein Berater

beide Systeme in seinem Beratungsprozess beteiligen. So erhält der Berater wichtige

Informationen, um Hypothesen und mögliche Lösungsvorschläge für das Problem eines

Schülers aufstellen zu können. Die Erfolgschancen für Veränderungen erhöhen sich, wenn

zwei voneinander unabhängige Lebensbereiche ihre unterschiedlichen Sichtweisen

wiedergeben. Neue und alternative Wirklichkeits- und Möglichkeitskonstruktionen werden

Page 22: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

19

eingeführt. Auf diese Weise wird der Handlungsspielraum der Beteiligten erweitert (vgl.

Hennig/Knödler 2000, S. 29ff.).

Kopplungserschwernisse kennzeichnen nicht selten die Zusammenarbeit mit der Familie

und der Schule. Tritt ein Kind in die Schule ein, so wird das Kind Bestandteil von zwei

Systemen und eine Trennung dieser Lebenswelten fällt dem Kind immer schwieriger. Ein

Schüler ist diesem Umstand fast täglich ausgesetzt. Dies hat zur Folge, dass die

Organisation der Schule und der Familie voneinander beeinflusst werden. Der Vorgang

wird von Koppelungserschwernissen begleitet. In der Institution Schule kommt die

Elternarbeit in der Lehrerausbildung zu kurz und den gesamten Lebensumständen eines

Schülers wird zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, weil es überwiegend um die

Vermittlung von kognitiven Schwerpunkten geht. Dem Lehrer fehlen Richtlinien im

Umgang mit Eltern und Behörden. Problemfälle mit schwierigen Schülern werden

meistens entsprechenden Fachkräften, wie Sonderschullehrern oder Schulpsychologen,

überlassen, zumal Elternarbeit für Lehrer Überstunden bedeutet. Es kann erschwerend

hinzukommen, dass das Verhältnis von Eltern einer Schule gegenüber durch negative

Erfahrungen vorbelastet ist. Es ist möglich, dass Eltern ihren Kindern solche Einstellungen

bezüglich der Schule vorleben und diese von den Kindern übernommen werden. Einige

Eltern wollen auch keine Kritik an der Schule oder am Lehrer äußern, weil sie mit

Sanktionen für ihr Kind seitens des Lehrers rechnen. Ein offener Umgang ist kaum

machbar. Die Distanz zwischen Eltern und Schule wird weiter vergrößert, wenn Eltern

neue Lehrdidaktiken oder -methoden nicht mehr bekannt sind. Das Phänomen der

Schulferne tritt insbesondere bei Familien in der Unterschicht mit einem niederen

Bildungsstandard auf. Diese Entwicklung ist davon geprägt, dass sich Familie und Schule

voneinander isolieren, weil sich ihre Lebenswelten immer mehr voneinander entfernen. In

einem Konfliktfall sehen sie sich als Konkurrenten und weisen sich gegenseitig die Schuld

zu (vgl. Hennig/Knödler 2000, S. 31f.).

Die Handhabung von derartigen Konflikten erfordert vom Berater ein Grundverständnis

für die Systeme der Schule und der Familie. Die Schule lässt sich in mehrere Systeme

unterteilen, welche miteinander und mit der Umwelt im Austausch stehen, wie

beispielsweise die Schulklasse, das Kollegium oder das Klassensystem. Für einen Schüler

spielt das System der Schulklasse eine bedeutende Rolle. Durch die Interaktion mit den

weiteren Schulsystemen handelt es sich um ein offenes System. Die Schulklasse ist mehr

als nur die Summe ihrer Schüler, denn sie lebt von einer einzigartigen Organisation. Die

Handlungen eines Schülers und die Reaktion der Mitschüler sind nicht voneinander zu

Page 23: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

20

trennen. Dem Problemverhalten eines Schülers kann in der Schulklasse eine Funktion

zugeschrieben werden, welche zum Gleichgewicht der Klasse beiträgt. Sowohl ruhige als

auch unruhige Schüler sind für Gruppenprozesse mitverantwortlich. Möchte man nun das

symptomatische Verhalten eines Kindes oder Jugendlichen verändern, kann von einem

Widerstand des Klassensystems ausgegangen werden. Eine Verhaltensänderung des

Einzelnen geht mit einer Veränderung der gesamten Klassenorganisation einher. Die

zirkuläre Kommunikation ist nicht nur im System der Schule, sondern auch im System der

Familie anzuwenden (vgl. Hennig/Knödler 2000, S. 33f.). Aus diesem Grund ist es

wichtig, dass alle Personen erfasst werden, die im Familien- beziehungsweise Alltagsleben

des Schülers integriert sind. Dies schließt zum Beispiel den geschiedenen Vater oder die

Großmutter mit ein. Nur wenn alle relevanten Bezugspersonen beteiligt sind, kann eine

vollständige Aussage über den Sinn eines Symptoms getroffen werden (vgl.

Hennig/Knödler 2000, S. 38).

Da ein Kind seine ersten sechs bis sieben Lebensjahre meistens ausschließlich in der

Familie verbringt und deren Interaktionsmuster annimmt, erhält die Familie im Vergleich

zur Schule eine größere Bedeutung. Gleichzeitig stellen Eltern und Geschwister wichtigere

Bezugspersonen als Lehrer oder Mitschüler dar. Eine Ausnahme kann der Einfluss der

Peergroup in der Pubertät sein. Die problematischen Verhaltensweisen eines Schülers

werden daher eher im Kontext der Familie gesehen. Die Schule macht die gezeigten

Symptome „nur“ öffentlich. Trotzdem kann die Schule durch die Unterrichtsgestaltung, die

Lehrerpersönlichkeit oder das Klassenklima einen Schüler beeinträchtigen. Diese

Phänomene betreffen aber meist mehrere Schüler und sind nicht von langer Dauer. Oftmals

reicht ein Lehrerwechsel zur Beseitigung des Problems aus. Bei Symptomen, die durch das

System der Familie ausgelöst wurden, ist eine Lösungsfindung nicht so einfach

herzustellen. Die Schule hat dabei die Aufgabe, die Eltern unter einen gewissen Zugzwang

zu stellen. Aggressionen oder ähnliche Verhaltensweisen in der Familie können vor der

Umwelt geheim gehalten werden. Bei Schulversagen oder Aggressionen in der Schule

kann dies nicht getan werden. Die Familie muss handeln (vgl. Hennig/Knödler 2000, S.

36f.).

Die Funktion des Symptoms wird ins Visier genommen und kann sehr unterschiedlich

ausfallen. Das Zusammenhalten der sich auseinander lebenden Eltern, innerfamiliäre

Missbrauchssituationen, das Bedürfnis nach intensiverer Zuwendung oder das Ablenken

enger Bezugspersonen von deren Problemen können als versteckte Intentionen

herausgearbeitet werden. Der Berater muss dem Sinn eines Symptoms genau nachgehen,

Page 24: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

21

um dem Schulkind und seiner Familie erfolgreich helfen zu können. Dies gilt nicht für

Probleme, die der individuellen Ebene eines Kindes oder Jugendlichen zuzuordnen sind.

Intellektuelle Überforderung, Legasthenie (Lese-Rechtschreib-Schwäche) oder

Dyskalkulie (Rechenschwäche) verlangen einen entsprechenden Schulformwechsel oder

eine individuelle Behandlung (vgl. Hennig/Knödler 2000, S. 40). Problemsituationen eines

Schülers können beispielsweise das mangelnde Vertrauen in eigene Fähigkeiten,

Prüfungsängste, Schulverweigerung, Schulphobie, Gewalt, Mobbing, Essstörungen,

Suchtverhalten und verschiedene Einschränkungen hinsichtlich der Konzentration,

Lernmotivation und Aufmerksamkeit sein (vgl. Hubrig/Herrmann 2005, S. 194ff.). Auf

Grund der nur begrenzten Länge der vorliegenden Arbeit kann nicht auf alle Problemlagen

näher eingegangen werden.

4.2 Übertragung der systemisch-konstruktivistischen Perspektive auf die

Problemlagen eines Schülers

4.2.1 Schulschwänzen, Schulangst und Schulphobie

Schulverweigerung wird als ein Verhalten verstanden, bei welchem es den Schülern aus

eigenen Beweggründen nicht möglich ist, zur Schule zu gehen oder einen ganzen Schultag

durchzuhalten. Um solche Verhaltensweisen des Schülers erklären zu können, muss der

systemische Kontext erforscht werden. Das Verhältnis von Schülern, Mitschülern, Lehrern

und Familien steht im Blickpunkt. Es gibt drei Phänomene der Schulverweigerung:

Schulphobie, Schulangst und Schulschwänzen (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S.

300f.). Eine Schulphobie wird durch die Familiensituation ausgelöst. Ein Kind leidet

vornehmlich unter der Angst vor der Trennung von seinen Eltern. Die Schulangst liegt

hingegen in der Schulsituation begründet. Angst vor den Leistungsanforderungen sowie

Mobbing durch Mitschüler oder Schwierigkeiten mit dem Lehrer verursachen ein

Verhalten der Schulverweigerung (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 302). Mobbing

bezeichnet das Ausgrenzen eines Schülers aus einer Klassengemeinschaft durch verbale

oder körperliche Attacken unter Führung eines Schülers oder einer kleinen Gruppe. Dies

erfolgt durch Beleidigungen über das Äußere und über den Ausschluss von

außerschulischen Veranstaltungen oder schulischen Gruppenarbeiten (vgl. Hubrig,

Herrmann 2005, S. 223). Mobbing wird als ein Symptom für gestörte Kommunikation

angesehen. Während das Mobbing-Opfer isoliert wird, lernt der Täter, sich mit solchen

Taktiken der Bloßstellung zu behaupten. Schulschwänzen wird von verschiedenen

Umständen „begünstigt“. Hierbei können individuelle, familiäre, soziale und materielle

Page 25: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

22

Faktoren sowie ungünstige schulische Rahmenbedingungen eine Rolle spielen. Es kommt

erschwerend hinzu, dass Schüler das Schwänzen vor ihren Eltern verheimlichen, indem sie

entsprechende Briefe der Schule abfangen. Die Schüler entziehen sich mehr und mehr der

Kontrolle und Aufsicht durch Schule und Eltern. Die fehlenden Sozialkontakte zur Schule

sowie die Abgrenzung von der Familie können zu einer Verwahrlosung führen (vgl.

Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 302ff.).

Schulverweigerung ist mit der allgemeinen gesetzlich bestimmten Schulpflicht eng

verbunden, denn ohne Schulpflicht wäre eine Schulverweigerung nicht möglich. Im

Gegensatz zu Schulleitern und Eltern muss der Berater auf Grund seiner Grundhaltungen

dem Fernbleiben von der Schule neutral gegenübertreten. Sowohl das Fernbleiben vom

Unterricht als auch das Hingehen zum Unterricht werden wertschätzend kommentiert, um

die Unparteilichkeit des Beraters zu garantieren. Es ist zudem erforderlich, dass Eltern und

Lehrer in die Lösungsfindung integriert werden. Das Zusammenarbeiten der beiden

„Parteien“ kann dafür sorgen, dass sie sich gegenseitig in ihrer Autorität stärken. Wenn sie

allerdings nicht miteinander kommunizieren oder sogar gegeneinander arbeiten, tritt das

Gegenteil ein. Es muss ein Gespräch zwischen Berater, Schüler, Klassenlehrer, Eltern und

eventuell Schulleiter eingeleitet werden. Das Gespräch ist vom Berater so zu gestalten,

dass der Blick auf Lösungen und nicht auf das problematische Verhalten gerichtet ist. Jeder

Gesprächsteilnehmer soll das Gefühl bekommen, positiv zu einer Veränderung beitragen

zu können. Der Berater muss eine Atmosphäre schaffen, in welcher sich die

Gesprächsteilnehmer nicht als Patienten, sondern als wichtige Ratgeber wahrnehmen. Im

Gespräch befragt der Berater zuerst den Schüler nach seinen Interessen und Fähigkeiten.

Erst danach wird das Problem behandelt. Die Eltern legen ihre Wahrnehmungen bezüglich

der Familiensituation dar, während sich der Lehrer zu seinem Verhältnis zum Schüler

äußert. Dies hat zur Folge, dass Eltern und Lehrer die Sichtweise des anderen

kennenlernen. Sie sind nicht mehr auf die einseitigen Beschreibungen des Schülers

angewiesen. Durch die Kooperation aller Beteiligten kann nun gemeinsam ein Plan

erarbeitet werden, was zu Hause und in der Schule ausprobiert werden soll und wie sich

Eltern und Lehrer gegenseitig helfen können. In den Folgesitzungen thematisiert der

Berater die erzielten Verbesserungen und weitere Veränderungsideen werden besprochen.

Bei innerfamiliären Problemen können zusätzlich Familiengespräche angeboten werden

(vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 305ff.).

Page 26: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

23

Eine Schulphobie ist häufig geprägt von kindlichen Trennungsängsten und Verlustängsten

des eigenen Selbstwertgefühls, welches in der Familie, aber nicht in der Schule intakt ist.

Da die Selbstwertängste eines Kindes oft mit den Ängsten der Eltern in einem

Zusammenhang stehen, müssen die elterlichen Ängste hinterfragt werden (vgl.

Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 307). Der Schulbesuch des Kindes kann die

Bindungsverhältnisse innerhalb einer Familie stark verändern. Bei Familien mit besonders

ausgeprägten Trennungs- und Verlustängsten muss zunächst der Sinn der Bindungen

zwischen den Familienmitgliedern untersucht und respektiert werden, um im nächsten

Schritt die bisherigen Interaktionsmuster vorsichtig infrage zu stellen (vgl. Schweitzer/von

Schlippe 2007, S. 302). Hierbei gilt es, die Unabhängigkeit und Autonomie der einzelnen

Familienmitglieder anzuregen, ohne die gegenseitigen Abhängigkeitswünsche komplett zu

vernachlässigen. Damit die Veränderungen nicht zu überhastet realisiert werden, können

im Abschlusskommentar einer Beratungssitzung Rückfälle verschrieben werden. So erhält

ein Kind beispielsweise die Aufgabe, einmal pro Woche seinen Eltern von den Dingen in

der Schule zu erzählen, welche ihm nicht gefallen. Dies soll auch getan werden, wenn es

gar nicht der Fall wäre. Gleichzeitig wird eine Neutralität zu den Themengebieten

Schulbesuch oder Fernbleiben sowie Ablösung oder Bindung gewährt (vgl. Schweitzer/von

Schlippe 2007, S. 307ff.).

Bei Schulangst, verursacht durch Mobbing oder Gewaltanwendung im Setting Schule

durch die Mitschüler, muss gemeinsam mit dem Lehrer und den Eltern geklärt werden, ob

ein Klassen- oder Schulwechsel als Lösung geeignet wäre. Allerdings kann es bei einer

solchen Vorgehensweise passieren, dass das Mobbing mit anderen Tätern und Opfern

fortgesetzt wird. Daher ist es von Bedeutung, dass Gespräche mit dem Täter, dem Opfer

und den Eltern geführt werden (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 312). Das bisherige

Leben von „Mobbern“ ist oftmals geprägt von Vernachlässigung und Gewalterfahrungen

durch die Eltern (vgl. Hubrig/Herrmann 2005, S. 222). Die Familie des Mobbing-Täters

muss demnach in den Beratungsprozess involviert werden. Bei der Suche nach Ressourcen

muss erfragt werden, wie die Eltern, Großeltern, Geschwister, Verwandte, Freunde oder

Jugend- und Sportvereine besser in den Erziehungsprozess einbezogen werden können.

Neben den privaten Netzwerken werden die institutionellen Netzwerke, wie Jugendämter,

sowie stationäre und ambulante Jugendhilfeeinrichtungen berücksichtigt. Der Berater

organisiert dementsprechend Familien-Helfer-Konferenzen, wo alle Fachleute und

Betroffene zusammenkommen und sich gemeinsam als Teil des Problems und Teil einer

Lösung betrachten. Die Eltern des Täters werden im Vorfeld der Konferenzen so

Page 27: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

24

vorbereitet, dass sie ihre Ängste vor den institutionellen Einrichtungen abbauen und offen

mit den Fachleuten über ihre Befürchtungen und Wünsche reden können (vgl.

Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 324ff.).

Im Umgang mit dem Mobbing-Opfer ist darauf zu achten, dass er sich selbst nicht als

ohnmächtiges und missbrauchtes Opfer sieht. Nur so wird der Aspekt ermöglicht, dass er

wahrnimmt, Teil des Geschehens zu sein und seine Situation aktiv beeinflussen kann. In

einer Einzelberatung kann der Berater mit einer Figurenaufstellung arbeiten, wodurch die

Wechselwirkungszusammenhänge innerhalb der Klasse offengelegt werden. So wird für

den betroffenen Schüler ein Platz in der Klasse gesucht, durch welchen ein weiterer

Mobbing-Fall erfolgreich verhindert werden kann. Es kommen vor allem die Freunde und

die Gruppe der neutralen Mitschüler infrage. Vor dem Hintergrund, dass Mobbing-Opfer

häufig über wenig Selbstbewusstsein und Ansehen in der Klasse verfügen, muss ihr

Selbstbewusstsein gestärkt werden. Der Berater fragt den Schüler, was die anderen einlädt,

gerade ihn zu attackieren und was er in solchen Situationen anders machen könnte. Sein

Verhalten wird kontextualisiert und dekonstruiert, wodurch nun nach alternativen

Handlungsmöglichkeiten gesucht werden kann (vgl. Hubrig/Herrmann 2005, S. 224). Die

Eigenverantwortlichkeit des Opfers wird gestärkt und er realisiert, dass er weiteren

Angriffen nicht hilflos ausgesetzt ist. So kann er zum Beispiel bei seinen Verbündeten in

der Klasse um Unterstützung bitten. Durch schulweit geltende Regeln,

Informationsveranstaltungen und Diskussionsrunden zum Thema Mobbing in der Schule

können Schüler dafür gewonnen werden, etwas gegen Mobbing zu unternehmen. Sie

nehmen Kontakt zum Opfer auf und stehen ihm bei eventuellen Attacken unterstützend zur

Seite. Zum Erkennen und Stoppen von Mobbing müssen Lehrer ein entsprechendes

Training absolvieren (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 312f.). Dadurch können

Lehrer die Versuche eines Täters unterbinden, verbieten und möglicherweise Sanktionen

aussprechen. Infolge des Eingriffs der Lehrer können solche Interaktionsmuster erfolgreich

unterbrochen werden (vgl. Hubrig/Herrmann 2005, S. 224).

Die Arbeit mit chronischen Schulschwänzern gestaltet sich anfangs schwierig, weil ihnen

die Schule so gleichgültig geworden ist, dass sie keine Angst mehr vor der Schule und den

Konsequenzen eines Fernbleibens haben. Es ist für sie persönlich interessanter und

sinnvoller, nicht die Schule zu besuchen. Der Berater muss nach ähnlichen Erfahrungen

fragen, die einen ähnlich positiven Effekt auf den Betroffenen hatten, ohne dass gegen die

Schulpflicht oder andere Gesetze verstoßen wird. Die Themen Kontrolle und

Unfreiwilligkeit können so aufgearbeitet werden, dass die Schulverweigerung als

Page 28: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

25

Ressource verstanden wird, durch welche der Schüler seine Identität und Unabhängigkeit

gegenüber den Forderungen der Umwelt beibehält (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S.

311). Das Schulschwänzen liegt oftmals darin begründet, dass sich der Schüler von seinen

Eltern nicht genügend wahrgenommen und aufgehoben fühlt. Allerdings sollte den Eltern

nicht die Vernachlässigung des eigenen Kindes vorgeworfen werden. Stattdessen wird das

Schulschwänzen als Lösungsversuch angesehen, durch welchen die Eltern wieder näher zu

ihrem Kind gebracht werden und ihm das geben, was er bis dahin vermisst hat. Endlich

erfährt das Kind die nötige Zuwendung von seinen Eltern (vgl. Hubrig/Herrmann 2005, S.

218). Es gilt aber zu beachten, dass den betroffenen Eltern die Schule oft so egal ist, wie

den eigenen Kindern. In solchen Fällen deutet das Schulschwänzen auf

Beziehungskonflikte zwischen Schule und Familie hin. Der Berater muss zwischen den

beiden Seiten vermitteln und die Basis für eine gemeinsame Kooperation schaffen (vgl.

Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 311f.).

4.2.2 Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom oder -störung

Nach ICD-10 wird das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS) als hyperkinetische

Störungen angeführt. Hierunter wird ein hohes Ausmaß von Unaufmerksamkeit,

Überaktivität und Unruhe verstanden. ADHS tritt meist in den ersten fünf Lebensjahren

auf. Kinder und Jugendliche, welche an ADHS leiden, haben Probleme, sich lange auf

Aufgaben zu konzentrieren, die einen kognitiven Einsatz erfordern. Dies führt dazu, dass

hyperkinetische Kinder ihre Aufmerksamkeit von einer Tätigkeit zu einer anderen

wechseln, ohne eine Tätigkeit erfolgreich zu beenden. Sie agieren achtlos und impulsiv,

wodurch es ihnen schwerfällt, geduldig zu sein. Sie haben das Bedürfnis, ständig in

Bewegung zu sein (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 280f.). Das Befolgen von

Regeln und Anweisungen ist stark erschwert. Vor allem Transferanforderungen von einem

Lernkontext auf einen anderen können kaum erfüllt werden. Kinder und Jugendliche mit

ADHS berufen sich nicht auf ihre Vorerfahrungen und ihr Arbeitsgedächtnis, obwohl sie

es könnten. Sie leben im jeweiligen Augenblick und setzen deshalb ein nur kleines

Zeitfenster ein (vgl. Hubrig/Herrmann 2005, S. 213). Das auffällige Verhalten zeigt sich

häufig in größeren Gruppen bei länger andauernden Leistungsanforderungen vor, wozu

auch das eigenständige Arbeiten in einer Schulklasse gehört. Eine

Aufmerksamkeitsstörung kann auch ohne Hyperaktivität auftreten. Die von diesem

Krankheitsbild betroffenen Personen wirken geistig abwesend, hören nicht gut zu,

bekommen nicht viel mit und vergessen, was ihnen gerade gesagt wurde. ADHS darf nur

Page 29: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

26

diagnostiziert werden, wenn eine ausgeprägte Störung mit einem erheblichen Leidensdruck

der betroffenen Person und/oder seines sozialen Umfelds einhergeht. Die

Ursachenforschung von ADHS ergibt keine einheitliche Aussage. Es wird von einer

Kombination von genetischen Voraussetzungen und verschiedenen Umweltfaktoren

ausgegangen (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 282f.).

Der systemische Ansatz ermöglicht es, eine neutrale Haltung gegenüber der Diagnose

ADHS einzunehmen. Unter Anwendung des Konstruktivismus macht man sich bewusst,

dass alles, was subjektiv beschrieben wird, auch anders beschrieben werden könnte. Der

Berater wägt mit dem Kind oder Jugendlichen und seinen Eltern gemeinsam ab, welche

Vor- und Nachteile eine Diagnosestellung bieten kann. Die Diagnose ADHS kann

bedeuten, dass der Betroffene seine Aufmerksamkeitsstörung oder seine Hyperaktivität

nicht absichtlich vollzieht. Dieses Verständnis kann sich konfliktlösend und

stressreduzierend auf die gesamte Familie auslösen (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S.

283). Eltern nehmen eine Störung ihres Kindes oft als Kränkung wahr und machen sich

Selbstvorwürfe. Eine genaue Diagnosestellung und Informationen über ADHS könnten

eine entlastende Wirkung bei den Eltern erzeugen und alternative Handlungsmöglichkeiten

bezüglich der Störung bieten (vgl. Hubrig/Herrmann 2005, S. 214). Die Eltern erhalten

endlich eine Erklärung für das schwierige Verhalten ihres Kindes, wodurch sich ihre

Selbstvorwürfe verringern. Systemiker verstehen ADHS-Konstellationen als eine

Beziehungsstörung zwischen dem Kind und seinen Eltern. Es entwickelt sich ein System

um das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom herum, welches durch die zirkulären

Wechselbeziehungen zwischen dem Kind und den Eltern organisiert wird. Die Handlungen

und deren Deutungen aller Beteiligten beeinflussen sich gegenseitig, weswegen zwischen

Ursache und Wirkung nicht unterschieden werden kann. Betrachten beispielsweise die

Eltern sich selbst oder ihr Kind als Schuldigen für die Störung, beeinträchtigen diese

subjektiven Empfindungen das Eltern-Kind-Verhältnis. Schätzen die Eltern die

Hyperaktivität ihres Kindes jedoch als Aufgewecktheit und Tatendrang ein, wird dadurch

ein positiver Einfluss auf das Verhältnis zwischen den Systemmitgliedern ausgeübt (vgl.

Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 285f.).

Für ein systemisches Vorgehen in der Schulsozialarbeit ist das Modell einer ambulanten

systemtherapeutischen Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie nach Helmut Bonney,

einem systemtherapeutisch arbeitenden Kinderneurologen und Kinderpsychiater, von

Vorteil. Am Anfang der Therapie wird versucht, Eltern und ihre Kinder über Ursachen für

ADHS aufzuklären, indem Einflüsse wie Stoffwechsel, Allergien, Ernährung und

Page 30: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

27

Vererbung als mögliche Verursacher diskutiert werden. Zudem werden die beteiligten

Personen zu ihrer Einstellung bezüglich der Veränderbarkeit beziehungsweise

Unveränderbarkeit befragt. Der Therapeut sollte das Kind und die Eltern dahingehend

aufklären, dass es immer noch wissenschaftliche Unsicherheiten im Hinblick auf ADHS

gibt. Es kann sich demnach auch um andere Störungen handeln, welche eine andere

medizinische oder psychotherapeutische Behandlung verlangen. Der Therapeut erstellt

gemeinsam mit den anwesenden Personen eine Problemdefinition, basierend auf den

Erfahrungen, die Eltern mit ihrem Kind gemacht haben. Im nächsten Schritt wird die

Sprech- und Sprachentwicklung des Kindes thematisiert. Eltern erwähnen häufig, dass es

bei ihrem Kind zu einem frühen Spracherwerb kam, wodurch sich der Erziehungsstil

hauptsächlich auf rein verbale Elemente konzentrierte. Nonverbale, in erster Linie taktile,

Methoden gerieten in den Hintergrund (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 292f.).

Taktile Wahrnehmung bezeichnet das Fühlen mit Händen, Füßen oder der gesamten

Körperoberfläche. Sie kann durch Körperkontakt zu anderen Kindern oder Erwachsenen

und bestimmte Massage- und Abreibungstechniken erweitert werden (vgl. Hachmeister

1997, S. 93f.).

Zur Ressourcenorientierung ist es wichtig, sich Ausnahmen vom ADHS-Verhalten bewusst

zu machen. Der Therapeut erfragt, wann sich das Kind aufmerksam konzentrieren oder

ruhig verhalten konnte und was der Auslöser dafür war. Mithilfe dieser Erfahrungen

können Situationen entwickelt werden, welche die Ausnahmen vom ADHS-Verhalten

begünstigen (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 293). Eine weitere Form der

Ressourcenorientierung ist der Einsatz von einem Refraiming für die Eltern. Das ADHS-

Verhalten des Kindes ist demzufolge keine Schuld der Eltern, sondern es erfordert

vielmehr eine besondere Kompetenz der Eltern, um mit diesen Umständen umzugehen. Es

ist zudem die Verwendung von Metaphern vorstellbar, um ADHS besser verständlich zu

machen. Die Nomaden-Metapher vergleicht die Nicht-Sesshaftigkeit der Nomaden mit den

stundenlangen Sitzen und Zuhören in der Schule. Schüler mit ADHS können dieser

„Sesshaftigkeit“ widerstehen, wie es die Nomaden einst taten. Die Rennauto-Metapher

stellt Gemeinsamkeiten zu den Besonderheiten eines Rennautos her. Dieses ist schnell und

rasant, aber zur selben Zeit gefährdend und schwer zu bremsen. Es ist nun von Bedeutung,

wie ein Automechaniker zu agieren, um trotz der hohen Kilowatt-Anzahl (PS) ein sicheres

Abbremsen zu gewährleisten (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 286ff.).

Zur Veränderung der bisherigen Kommunikationsabläufe sollte der Therapeut bereits in

den ersten Sitzungen das betroffene Kind leicht und unangekündigt berühren, damit eine

Page 31: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

28

spontane Blickreaktion, eine fokussierte Aufmerksamkeit und ein zielgerichtetes Zuhören

des Kindes auf den Therapeuten möglich ist. Erst dann redet der Therapeut zu dem Kind,

was häufig eine größere Redebereitschaft des Kindes bewirkt. Nachdem den Eltern diese

Kommunikationsabfolge erklärt wird, bekommen die Eltern die Aufgabe verschrieben, die

neu erlernten Kommunikationsmuster in den nächsten Tagen anzuwenden (vgl.

Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 293). Des Weiteren sollte darauf geachtet werden, gutes

Verhalten des Kindes zeitnah und eindeutig zu loben. Ein Kind mit ADHS wurde schon oft

genug für seine Verhaltensweisen kritisiert, was mit Entmutigung und Schädigung des

Selbstwertgefühls einhergeht (vgl. Hubrig/Herrmann 2005, S. 216).

Nachdem sich die ersten positiven Kompetenzerlebnisse eingestellt haben, kann sich der

Therapeut dem Erziehungsstil der Eltern sowie möglichen Erziehungsstildifferenzen und

Paarkonflikten zuwenden. So kann es vorkommen, dass die Hyperaktivität eines Kindes

dafür sorgt, dass sich die Eltern vermehrt um ihr Kind kümmern und von ihren

Beziehungsproblemen abgelenkt werden (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 292f.). Es

ist ratsam, den Eltern ein Elterncoaching nahezulegen, um ADHS besser begreifen und

dem Kind günstige Rahmenbedingungen ermöglichen zu können. Gemeinsam erziehenden

und gut kooperierenden Erziehungsberechtigten fällt es einfach, von ihrem Erziehungsstil

überzeugt zu sein, wodurch sie mit Ruhe und Gelassenheit auf problematische Situationen

eingehen können, ohne aufbrausend oder impulsiv zu reagieren. Bei Eltern mit

unterschiedlichen Erziehungsmethoden oder bestehenden Paarkonflikten gestaltet sich dies

schwierig. Eine Paarberatung ist zu empfehlen. Hilfreiche Netzwerke müssen bei der

Arbeit mit alleinerziehenden Eltern aufgebaut und gepflegt werden. Dies bezieht wichtige

Kontaktpersonen, wie die Großeltern, den geschiedenen Lebenspartner, den neuen

Lebenspartner oder gute Freunde, mit ein (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 287f.).

Sollten außerfamiliäre Konfliktkonstellationen, zum Beispiel mit einem Lehrer, vorliegen,

so kann der Lehrer zu einem Gespräch miteingeladen werden. Dem Lehrer können

wichtige Informationen und Ratschläge gegeben werden, wenn er es als nötig erachtet (vgl.

Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 294).

4.2.3 Sucht

Suchtverhalten wird in der ICD-10 als psychische Störung und Verhaltensstörung durch

psychotrope Substanzen aufgelistet. Es gibt eine große Anzahl von Störungen

unterschiedlichen Schweregrades und mit verschiedenen klinischen Erscheinungsbildern.

Die unterschiedlichen Störungsbilder haben die Gemeinsamkeit, dass eine Verbindung

Page 32: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

29

zwischen körperlicher Abhängigkeit (Substanzen) und psychischen Auffälligkeiten

vorliegt. Bei den Substanzen kann es sich um anerkannte Drogen (Alkohol und Tabak)

oder illegale Drogen (Heroin, Kokain, etc.) handeln (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S.

191ff.).

Der Begriff der Abhängigkeit ist auf drei Ebenen anwendbar. Auf der biologischen Ebene

konsumiert ein biologisches System Suchtmittel, welche seinen inneren Zustand

verändern. Obwohl jede Substanz unterschiedlich wirkt, wird eine Toleranzsteigerung

durch chemische und neuronale Prozesse im Organismus erreicht. Dies hat zur Folge, dass

die Dosis der Droge erhöht wird. Mit der Zeit ist die konsumierte Substanz ein fester

Bestandteil im Lebewesen, was zu einer physischen Abhängigkeit führt. Das Absetzen

eines Suchtmittels bringt Entzugserscheinungen mit sich. Auf der psychischen Ebene wird

die Suchthandlung so häufig durchgeführt, dass sie sich auf der psychischen Ebene

festsetzt, da kaum noch alternative Handlungsstrategien bestehen. Nach der

kommunikativ-sozialen Ebene gibt es die Sucht an sich nicht. Suchtverhalten ist in ein

System von Beschreibungen und Zuschreibungen integriert, welche von subjektiven

Beobachtern ausgehen. Es werden die Beziehungskontexte analysiert, in welchem

süchtiges Verhalten auftritt. Für eine systemische Verfahrensweise ist insbesondere auf die

kommunikativ-soziale Ebene zu achten, um die komplexen Zusammenhänge einer Sucht

zu erklären (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 192ff.).

Aus systemischer Sicht entstehen Probleme, wenn Verhaltensmuster, die früher zur Lösung

eines Konfliktes dienten, ständig wiederholt werden, obwohl sie nicht mehr zur

Konfliktbewältigung beitragen. Die Lösung entwickelt sich zum Problem. Bezogen auf den

Suchtmittelmissbrauch heißt dies, dass der Konsum von Suchtmitteln mit Suchtmitteln

gelöst werden soll (vgl. Thomasius 2005, S. 87). Einige Jugendliche haben in ihren

Familien kein alternatives Konfliktlösungsverhalten vermittelt bekommen. Der

Drogenkonsum von Jugendlichen ist häufig auf eine fehlende Fürsorge und Versorgung

oder einem Übermaß an Versorgung seitens der Eltern zurückzuführen. Die Einnahme von

Suchtmitteln fungiert als Nähe-Distanz-Regulation. So kann eine emotionale Distanz zu

Problemen hergestellt werden, welche zugleich die Nähe zu anderen Personen zulässt, die

man in einem „normalen“ Zustand als unangenehm empfinden würde. Ein weiterer

Konflikt, der Suchtverhalten auslösen kann, ist der Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt.

Junge Menschen befinden sich oftmals in einer Diskrepanz zwischen

Autonomiebestrebungen und Abhängigkeits- beziehungsweise Zugehörigkeitswünschen.

Auf der einen Seite steht die selbstständige Verwirklichung der eigenen Wünsche und

Page 33: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

30

Ziele im Fokus der Betrachtung, wobei auf der anderen Seite das Bedürfnis relevant ist,

sich auf eine oder mehrere Personen einzulassen. Durch die Annahme von Hilfeleistungen

anderer wird eine „Ko-Abhängigkeit“ geschaffen (vgl. Hubrig/Herrmann 2005, S. 234ff.).

Ein Familienmitglied oder ein Freund hilft beispielsweise durch die Beschaffung oder

Finanzierung von entsprechenden Substanzen (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 202).

Die Rolle des suchtmittelabhängigen Hilfesuchenden und die Rolle des Helfers brauchen

einander für ihre Rolle. Diese Verbindung kann über Jahre andauern. Durch die Zugabe

neuer Informationen oder Sichtweisen können die bisherigen Interaktionsmuster

unterbrochen werden. Das System muss auf die Veränderung reagieren und die Beteiligten

müssen ihre Verhaltensmuster neu überdenken (vgl. Hubrig/Herrmann 2005, S. 241).

Das Modell einer systemisch-familientherapeutisch orientierten Drogenambulanz nach

Rainer Thomasius und seinen Kollegen kann von einem Schulsozialarbeiter bei

Suchtproblemen eines Schülers genutzt werden. Dieser Therapieansatz kommt zum

Einsatz, wenn das Suchtverhalten im Zusammenhang mit Abgrenzungskonflikten im

Zusammenhang steht. Die Suchtproblematik des Jugendlichen oder des ko-abhängigen

Partners wird dadurch verstärkt, dass sie sich von der Vernachlässigung oder der

übermäßigen Fürsorge der Familienmitglieder entziehen wollen. Es wird ein System um

das Suchtverhalten herum gebildet. Triangulierungsvorgänge in Form von

Koalitionsbildungen, Ausgrenzungen, Geheimnissen oder gegenseitiger Abwertung sind

die Konsequenz. Es ist zwingend notwendig, dass die Familie am Behandlungsprozess

teilnimmt. Dem Familiensystem soll wieder zur Autonomie verholfen werden. Durch den

Einsatz von Urinkontrollen kann das therapeutische System auch als Kontrollsystem

wirken (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 203f.). Die Familientherapie nach dem

„Eppendorfer Modell“ lässt sich in die Klärungs-, Veränderungs- und

Neustrukturierungsphase unterteilen. In der Praxis sind die Phasen nicht immer

voneinander zu unterscheiden (vgl. Küstner u.a. 2005, S. 225f.).

In der ersten Phase, der Klärungsphase, wird sich Klarheit über die Anliegen aller

beteiligten Familienmitglieder verschafft. Es werden gemeinsam Ziele und ein konkreter

Auftrag für die Therapie erarbeitet. Die Anliegen der Familienmitglieder können sehr

unterschiedlich ausfallen. So erhoffen sich Angehörige oftmals eine „Heilung“ des

Betroffenen, ohne etwas am Familiensystem verändern zu wollen. Der Berater

beziehungsweise Therapeut muss darauf achten, zwischen den Erwartungen und Zielen des

drogen- oder alkoholabhängigen Schülers und seinen Familienmitgliedern zu moderieren

und zu vermitteln, damit ein gemeinsamer Auftrag „ausgehandelt“ werden kann (vgl.

Page 34: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

31

Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 202f.). Der Berater muss allen Familienmitgliedern

neutral gegenübertreten. Das Anliegen des suchtmittelabhängigen Jugendlichen erhält

dieselbe Aufmerksamkeit, wie die Anliegen aller weiteren Familienmitglieder. Hierdurch

wird die Bereitschaft des Schülers, eine Therapie zu beginnen, erhöht (vgl. Küstner u.a.

2005, S. 226f.).

Wurde sich auf einen Therapieauftrag geeinigt, wird die Veränderungsphase eingeleitet. Im

Mittelpunkt steht die Drogenabstinenz oder ein anderes erarbeitetes Therapieziel. Es

werden die bisherigen Beziehungs- und Interaktionsmuster berücksichtigt, wobei vor allem

die Ausnahmen vom Suchtverhalten von Bedeutung sind, damit die bereits vorhandenen

Ressourcen in den Vordergrund rücken. (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 203).

Durch das Stellen der Wunderfrage konzentriert sich der Blick auf die Zeit nach der

Problemlösung, womit ein Perspektivwechsel vom Problem zur Lösung vollzogen wird.

Erste Fortschritte können bereits nach dem Einsatz zirkulärer Fragen erzielt werden. Die

Familienmitglieder erhalten neue Sichtweisen zu der Suchtproblematik, nach denen sie

handeln können. Die erreichten Veränderungen können mithilfe einer Skalierung

dargelegt werden. Die Relevanz und Dringlichkeit bestimmter Therapieziele kann

ebenfalls über Skalierungen herausgefunden werden. Möglicherweise werden die

vereinbarten Ziele überdacht (vgl. Küstner u.a. 2005, S. 226f.). Darüber hinaus können

dem Jugendlichen Beobachtungsaufgaben und veränderungsanstoßende Experimente

verschrieben werden, um die Selbststeuerungsfähigkeit zu erhöhen (vgl. Schweitzer/von

Schlippe 2007, S. 205).

In der Suchttherapie ist es wichtig, mögliche Rückfälle nicht als katastrophal einzustufen.

Rückfälle müssen als Informationen verstanden werden, aus welchen der Berater neue

Schlüsse ziehen kann. Vielleicht wurden biologische Einflüsse, wie Entzugssymptome, zu

wenig berücksichtigt. Ängste vor neuen Verhältnissen und Herausforderungen können der

Auslöser eines Rückfalls sein. Unter abstinentem Verhalten können eventuell bestehende

Beziehungen oder das Wohlbefinden wichtiger Bezugspersonen leiden. Der Berater oder

Therapeut muss sich die Frage stellen, ob das Therapieziel fremdbestimmt wurde. Ein

Rückfall ist demnach kein Zeichen des Widerstandes, sondern vielmehr ein

Kooperationsangebot (vgl. Schweitzer/von Schlippe 2007, S. 211f). Nachdem die

Therapieziele realisiert wurden, wird das Hauptaugenmerk auf die Neustrukturierung

gelegt. Das Autonomiestreben der Jugendlichen und der Eltern soll gestärkt werden. Durch

die neuen Perspektiven in Schule oder Ausbildung kann dem Jugendlichen eine

Einzeltherapie angeboten werden, wenn dies erforderlich ist. Für die Eltern kann eine

Page 35: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

32

Eltern- oder Paarberatung in Erwägung gezogen werden (vgl. Schweitzer/von Schlippe

2007, S. 203f.).

Die Interaktion der Lehrer und Schüler mit einem suchtmittelabhängigen Jugendlichen ist

mitverantwortlich dafür, dass der Betroffene und seine Familie eine Therapie aufnehmen.

Da die Thematik des Suchtverhaltens meist tabuisiert wird, kommt es zum Ignorieren des

Problemverhaltens eines Mitschülers. Tritt ein Mitschüler aus diesem

Kommunikationsmuster allerdings aus und spricht das Suchtverhalten eines Schülers an,

kann und muss gehandelt werden. Über den Klassenlehrer oder Schulsozialarbeiter wird

Kontakt zum suchtmittelabhängigen Schüler und seiner Familie aufgenommen. Durch die

Konfrontation der Schule erhält das Familiensystem neue Informationen über andere

Interaktions- und Kommunikationsmuster. Die Familie wird zu Veränderungen angeregt

(vgl. Hubrig/Herrmann 2005, S. 242f.).

5 Grenzen der systemischen Beratung in der Schulsozialarbeit Einige Grenzen der systemischen Beratung in der Schulsozialarbeit lassen sich im

systemischen Ansatz erkennen. Für den Klienten kann es problematisch sein, dass der

Berater zu wenig auf ihn und seine subjektiven Eindrücke, Gedanken und Gefühle eingeht.

Das innere Denken und Erleben eines Einzelnen bleibt aus systemischer Sicht eher

uninteressant im Hinblick auf die Lösungsfindung. Der emotionale Aspekt eines

Individuums, welcher bei der Symptombildung eine Rolle spielen kann, wird außen vor

gelassen. Der persönliche Sinn eines symptomatischen Verhaltens wird nicht thematisiert.

Es wird somit nicht erfragt, inwieweit ein Problem das innerpsychische Leben des

Einzelnen organisiert. In der systemischen Beratung geht es um den funktionalen Sinn

eines Symptoms und wie dadurch das System organisiert und erhalten wird.

Subjektorientierte Sinnklärungen werden nicht vorgenommen. Der Klient wird nicht

dahingehend aufgeklärt, wie relevante Beziehungsmuster und Problemverhalten oder -

situationen miteinander zusammenhängen (vgl. Haselmann 2008, S. 341).

Das Fehlen subjektorientierter Sinnklärungen macht es kaum möglich, dem Klienten eine

Verstehensbegleitung anzubieten. Allerdings wollen Menschen, welche sich in einer Krise

oder einem Konflikt befinden, einen Ansprechpartner haben, welcher Erklärungen für die

Ursachen der momentanen Situation geben kann. Sie wollen lernen, sich selbst zu

verstehen und sich ein Verständnis für ihre eigenen Denk-, Verhaltens- und

Erlebensmuster anzueignen (vgl. Haselmann 2008, S. 342). Frühere Lebens- und

Beziehungsmuster in der Kindheit, in der Familie oder im Elternhaus sollen behandelt und

Page 36: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

33

auf ihre Bedeutsamkeit hin untersucht werden. Systemisches Arbeiten kommt diesem

Anliegen jedoch nicht nach. Das systemische Arbeiten bezieht sich auf die Gegenwart und

die Zukunft. Frühere Kindheits- und Lebenserfahrungen, wie beispielsweise

einschränkende oder gewaltsame Beziehungserfahrungen und deren subjektive

Aufarbeitung, kommen dabei zu kurz. Der fehlende Vergangenheitsbezug erschwert die

Verstehensbegleitung. Hierbei ist anzumerken, dass ein Verstehen und Aufarbeiten der

Vergangenheit nicht notwendig ist, um Veränderungen zu initiieren, wie es der

systemische Ansatz zeigt. Alternative und weniger leidvolle Wirklichkeits- und

Möglichkeitskonstruktionen ersetzen die bisherigen Problemsichtweisen, um einen Weg

aus der aktuellen problematischen Lebenslage zu finden. Ein Blick in die Vergangenheit ist

für das Anregen von Veränderungsprozessen nicht von Nutzen (vgl. Haselmann 2008, S.

344f.).

Das Desinteresse des systemischen Beraters am subjektiven Fühlen und Erleben des

Klienten erzeugt eine gewisse Distanz zwischen Berater und Klienten. Dadurch entsteht

eine unterkühlte Kontaktform mit geringer emotionaler Nähe zwischen den Beteiligten. In

der systemischen Beratung geht es vornehmlich um das Ermitteln von Lösungen, was mit

einer sachlichen Haltung des Beraters einhergeht. Es soll die Selbstbefähigung und die

Autonomie der Klienten gestärkt werden (vgl. Haselmann 2008, S. 343). Eine

mitmenschliche Begegnungsebene ist aus systemischer Sicht demnach nicht erforderlich.

Einige Menschen brauchen wiederum in seelischen oder sozialen Notsituationen oftmals

Begleitung, Beistand oder Nähe, um neue Kraft zu schöpfen. Der systemische Ansatz kann

diesen Bedürfnissen nicht nachkommen (vgl. Haselmann 2008, S. 275).

Ein weiterer Kritikpunkt an der systemischen Perspektive ist, dass dem Zusammenhang

von Symptomen und sozial-kulturellen beziehungsweise gesellschaftlichen Verhältnissen

kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dies schließt eine ungleiche Verteilung materieller

und sozialer Ressourcen sowie unterschiedliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse mit

ein (vgl. Haselmann, S. 204). Da ein therapeutischer Eingriff in solche Verhältnisse kaum

möglich ist, wird das Hauptaugenmerk in der systemischen Arbeit auf Empowerment und

Ressourcenaktivierung gelegt. Die Selbsthilfekräfte und Ressourcen der Klienten werden

innerhalb des Systems hervorgerufen. Die Ressourcenorientierung bezieht sich auf

individuelle und sozialsystemische Ressourcen. Materielle und sozioökonomische

Hilfsquellen werden nicht beachtet (vgl. Haselmann 2008, S. 202f.). Soziale

Ungerechtigkeiten oder ungerechte Verteilungen von materiellen Mitteln werden in der

systemisch-konstruktivistischen Perspektive kritiklos hingenommen. Dieser Umstand ist in

Page 37: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

34

der neutralen Haltung eines Systemikers verankert. Nach radikal-konstruktivistischem

Denken kann sogar die Existenz von Macht- und Gewaltverhältnissen in Frage gestellt

werden. Dies liegt darin begründet, dass derartige gesellschaftliche Erscheinungen nicht

wirklich existieren, wir konstruieren sie lediglich in unseren Gehirnen (vgl. Haselmann, S.

276f.).

Eine systemisch-konstruktivistische Vorgehensweise stößt bei Fragen des Kinderschutzes

an seine Grenzen. Die Auffassung, dass es keine objektive Wahrheit, sondern lediglich

subjektiv vom Beobachter abhängige Konstruktionen gibt, macht es so gut wie unmöglich,

das Ausmaß einer Kindesgefährdung objektiv beurteilen zu können. Die Infragestellung

einer objektiven Realität erschwert es, das Handeln von Eltern zum Schutz von Kindern

richtig zu kontrollieren. Das Zulassen verschiedener subjektiver

Wirklichkeitskonstruktionen der beteiligten Personen ist im Umgang mit Menschen,

welche Kinder grob vernachlässigen, schlagen oder sexuell missbrauchen, nicht zu

empfehlen. Eltern oder andere Erwachsene versuchen mittels des Leugnens und

Verharmlosens ihre Handlungen herunterzuspielen und zu vertuschen. Der Gesetzgeber

gibt Institutionen zum Kinderschutz den Auftrag, Verdachtsfällen in Bezug auf

Kindermisshandlung nachzugehen, Beweise zu sammeln, objektiv zu urteilen und

entsprechende Schutzmaßnahmen zu tätigen. Eine objektive Realität wird vorausgesetzt.

Dennoch ist es sinnvoll, in solchen Situationen eine konstruktivistische Perspektive

einzunehmen. Demnach sind der Begriff der Kindesmisshandlung und die daraus

resultierenden Interventionsformen soziale Konstruktionen und keine objektiven Zustände.

Systemisch-konstruktivistisches Handeln kann hilfreich sein, um die unterschiedlichen

Bedeutungen des Gewalteinsatzes, der Vernachlässigung und des Missbrauches für alle

Beteiligten herauszufinden. Die starre Etikettierung und Rollenverteilung von Täter und

Opfer wird aufgelöst. Es muss entschieden werden, ob Unterstützung angeboten oder

Interventionen eingeleitet werden sollen. Bei diesem Spannungsfeld muss sich der

Sozialarbeiter bewusst machen, dass er mit seinem Handeln Teil des Problemsystems wird.

Wird Eltern das Sorgerecht und die Obhut ihres Kindes entzogen, erzeugt dies neue

Realitäten. Es wird ein realer Eingriff in die Lebenswelt der Familie vorgenommen (vgl.

Brandl-Nebehay 2005, S. 238 ff.).

Neben den Lücken der systemisch-konstruktivistischen Perspektive kann es in der Praxis

der Schulsozialarbeit Schwierigkeiten geben. Ist ein Schüler von den Anforderungen seiner

Schule intellektuell überfordert, so kann dies Überforderungssymptome hervorrufen.

Hierzu zählen Schulangst, Schulverweigerung und psychosomatische Beschwerden, wie

Page 38: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

35

Kopfweh, Bauchweh oder Übelkeit, sowie diverse Unsicherheiten in Bezug auf das eigene

Selbstwertgefühl auf Grund schlechter Notengebung. Bei einem Wechsel in eine

angemessene Schulform klingt die schulische Überforderung wieder ab. Es kann jedoch

passieren, dass Eltern von der Überforderung ihres Kindes enttäuscht sind und dies auch

offen zeigen. Sie lassen ihr Kind spüren, dass die geforderten Erwartungen nicht erfüllt

wurden. Die Entwicklung des Schülers wird möglicherweise von seinem geringen

Selbstwertgefühl geprägt sein. Die Eltern sollten daher in den Interventionsprozess mit

einbezogen werden, um systemisch vorgehen zu können. Dieses Vorgehen ist bei

Legasthenikern beziehungsweise lese-rechtschreib-schwachen Kindern eher unpassend.

Eine Behandlung am Symptom auf einer individuellen Ebene in Form eines didaktisch gut

aufgebauten Legasthenietrainings ist durchzuführen, wenn die Lese-Rechtschreib-

Schwäche durch Defizite beziehungsweise Entwicklungsverzögerungen im

neurophysiologischen Bereich verursacht wurde. Es kann zusätzlich mit der gesamten

Familie gearbeitet werden, wenn nicht nur eine Lese-Rechtschreib-Störung des Kindes

vorliegt, sondern noch andere Kommunikationsstörungen innerhalb der Familie bestehen.

Es ist zu erwähnen, dass in einigen Fällen eine Einzelbehandlung des Kindes für die

Familie ausreicht, weswegen eine Familientherapie nicht mehr wahrgenommen werden

muss (vgl. Hennig/Knödler 2000, S. 317f.). Eine Einzelbehandlung eines Schülers ist auch

bei Defiziten im Lern- und Arbeitsverhalten angebracht. Defizite im Lern- und

Arbeitsverhalten beschreiben mangelnde Lernerfahrungen im Umgang mit

Arbeitstechniken sowie kaum vorhandene Chancen, das Lernen zu lernen. Es handelt sich

nicht um Störungen im Lern- und Arbeitsverhalten, welche durch Probleme in der Familie

ausgelöst wurden. Eine Familientherapie kommt nicht zum Einsatz (vgl. Hennig/Knödler

2000, S. 320).

Eine weitere Schwierigkeit kann eine pädagogische Ungeschicklichkeit des Lehrers

darstellen, wenn das symptomatische Verhalten eines Schülers im Zusammenhang mit der

Vorgehensweise eines Lehrers steht. Dieser Umstand wird oftmals von geringen

Selbstwertgefühlen des Lehrers beeinflusst. Berufliche oder private Belastungen des

Lehrers können bestimmte Konstellationen „begünstigen“. Ein Schulsozialarbeiter muss

den Kontakt zu den „Problem-Lehrern“ aufnehmen, ohne sie dabei zu kränken oder

abzuwerten. In der Interaktion mit dem Lehrer sollten Ziele verfolgt werden, die das

Selbstwertgefühl steigern und nicht verringern. Dem Lehrer muss vermittelt werden, dass

er ein Mithelfer ist und mit seinem pädagogischen Einfluss auf den Problemschüler positiv

auf die problematische Situation einwirken kann (vgl. Hennig/Knödler 2000, S. 319f.).

Page 39: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

36

Zudem kann sich die Zusammenarbeit mit Eltern als sehr schwierig erweisen. Dies ist der

Fall, wenn beide Elternteile nicht mehr die Fähigkeit haben, die elterliche Verantwortung

für ihr Kind zu übernehmen. Alkoholismus der Elternteile, andauernde Abwesenheit von

der Familie oder eine ausgeprägte Ablehnung des Kindes können dazu beitragen. Das Kind

wäre auf sich allein gestellt. Verwahrlosungserscheinungen und kriminelle Entwicklungen

können die Konsequenz sein. Eine familientherapeutische Behandlung scheitert daran, dass

die Eltern gar nicht erst zu den Beratungssitzungen kommen. Eine Kooperation mit dem

Jugendamt, Suchtberatungsstellen oder dem Sozialamt ist notwendig, um die materiellen

und gesundheitlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Familientherapie zu

ermöglichen (vgl. Hennig/Knödler 2000, S. 321).

Page 40: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

37

6 Schlussbemerkungen Im Bereich der Beratung beziehungsweise Einzelfallhilfe ist es sinnvoll, den systemisch-

konstruktivistischen Ansatz in der Schulsozialarbeit anzuwenden. Die Schüler erhalten

eine Hilfestellung, weil sie eine neue Sicht- und Denkweise in Bezug auf ihre Probleme

erhalten. Das Problem liegt nicht im Schüler, sondern in den Interaktionen seiner Umwelt

begründet. Um das problematische Verhalten wird ein System konstruiert. Der Schüler ist

für seine Problemlage nicht allein verantwortlich und somit bei der Lösungsfindung nicht

auf sich allein gestellt. Die Integration von Eltern, anderen Familienmitgliedern, Lehrern

und eventuell Mitschülern ist im Hilfeprozess notwendig. Es ist die Herausforderung eines

Schulsozialarbeiters, alle Systemmitglieder von dieser Herangehensweise zu überzeugen.

Jeder ist für das symptomatische Verhalten mitverantwortlich und dementsprechend von

diesem betroffen. Es kann nur gemeinsam eine Veränderung hergestellt werden.

Problematisch kann der mangelnde Beziehungsaufbau zwischen dem Schulsozialarbeiter

und den beteiligten Personen, vor allem dem Schüler, sein. Viele richten ihren Blick nach

hinten in die Vergangenheit und wollen die erlebten Erfahrungen verarbeiten. Sie wollen

von einer professionellen Fachkraft emotional aufgefangen werden. Ein systemisch

denkender Schulsozialarbeiter muss seinen Klienten verdeutlichen, dass die Vergangenheit

für eine Lösung in der Zukunft nicht von Relevanz ist. Es ist motivierender, den Blick nach

vorn zu richten. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Schüler und ihre Bezugspersonen

erfahren, dass es nicht viel zu verändern gibt, sondern die bereits vorhandenen Ressourcen

und Fähigkeiten zu aktivieren sind. Die Lösung liegt im System selbst und dieser Umstand

wird den Systemmitgliedern vermittelt. Der Sinn eines Problems, sowie die Ausnahmen

von einem problematischen Verhalten, müssen erfragt werden. Die Mitarbeit von Eltern

und Lehrern ist unabdingbar, um alle Interaktionen nachvollziehen zu können. Kommt es

nicht zu einer solchen Kooperation ist ein systemisches Vorgehen stark erschwert

beziehungsweise gefährdet. Sie müssen dahingehend überzeugt werden, dass durch die

Sichtweise anderer Systemmitglieder neue Möglichkeitskonstruktionen, hinsichtlich des

eigenen Denkens und Handelns, entstehen können, um das symptomatische Verhalten

abzustellen. Bisherige Interaktionsmuster führten nicht zum Erfolg. Neue Konstruktionen

sind als Chance für neue Möglichkeiten zu betrachten. Gelingt es dem Schulsozialarbeiter,

diese Philosophie weiterzugeben, ist die Beteiligung aller betroffenen Personen, welche an

einer Verbesserung des Schülers interessiert sind, sehr wahrscheinlich. Unter diesen

Umständen hätte die systemische Beratung in der Schulsozialarbeit einen großen Nutzen

und wäre für die Praxis eines Schulsozialarbeiters von hoher Wichtigkeit.

Page 41: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

Quellenverzeichnis

Baecker, Dirk: System. In: Wirth, Jan V./Kleve, Heiko (Hrsg.): Lexikon des systemischen

Arbeitens. Grundbegriffe der systemischen Praxis, Methodik und Theorie. Heidelberg

2012, S. 408-411.

Bassarak, Herbert: Aufgaben und Konzepte der Schulsozialarbeit. Jugendsozialarbeit an

Schulen im neuen sozial- und bildungspolitischen Rahmen. Düsseldorf 2008.

Brandl-Nebehay, Andrea: Systemische Ansätze im Jugendamt. Chancen und Grenzen

konstruktivistisch-systemischer Ansätze in der Sozialen Arbeit am Beispiel der

Jugendwohlfahrt. In: Hollstein-Brinkmann, Heino/Staub-Bernasconi, Silvia:

Systemtheorien im Vergleich. Was leisten Systemtheorien für die soziale Arbeit?. Versuch

eines Dialogs. Wiesbaden 2005, S. 219-242.

Braun, Karl-Heinz/Wetzel, Konstanze: Soziale Arbeit in der Schule. München u.a. 2006.

Brüggemann, Helga/Ehret-Ivankovic, Kristina/Klütmann, Christopher: Systemische

Beratung in fünf Gängen. Ein Leitfaden. 2. Aufl. Göttingen 2007.

Drilling, Matthias: Schulsozialarbeit. Antworten auf veränderte Lebenswelten. 4.,

aktualisierte Aufl. Bern 2009.

Gastiger, Sigmund/Lachat, Benjamin: Schulsozialarbeit. Soziale Arbeit am Lebensort

Schule. Freiburg im Breisgau 2012.

Hachmeister, Bernd: Psychomotorik bei Kindern mit Körperbehinderungen. Entwicklung

und Förderung. München u.a. 1997.

Haselmann, Sigrid: Psychosoziale Arbeit in der Psychiatrie - systemisch oder

subjektorientiert?. Ein Lehrbuch. Göttingen 2008.

Haselmann, Sigrid: Beratung. In: Wirth, Jan V./Kleve, Heiko (Hrsg.): Lexikon des

systemischen Arbeitens. Grundbegriffe der systemischen Praxis, Methodik und Theorie.

Heidelberg 2012, S. 52-57.

Page 42: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

Hennig, Claudius/Knödler, Uwe: Problemschüler – Problemfamilien. Ein praktisches

Lehrbuch zum systemischen Arbeiten mit schulschwierigen Kindern. Unveränd. Nachdr.

der 5., überarb. Aufl. Weinheim u.a. 2000.

Hubrig, Christa/Herrmann, Peter: Lösungen in der Schule. Systemisches Denken in

Unterricht, Beratung und Schulentwicklung. Heidelberg 2005.

Hüther, Gerald/ Bonney, Helmut: Neues vom Zappelphilipp. ADS verstehen, vorbeugen

und behandeln. Weinheim 2012.

Just, Annette: Handbuch Schulsozialarbeit. Münster u.a. 2013.

Klein, Rudolf/Kannicht, Andreas: Einführung in die Praxis der systemischen Therapie und

Beratung. 2. Aufl. Heidelberg 2009.

Küstner, Udo J. u.a.: Ambulante Behandlung von Drogenabhängigen. In: Thomasius,

Rainer/Küstner, Udo J.: Familie und Sucht. Grundlagen, Therapiepraxis, Prävention.

Stuttgart u.a. 2005, S. 223-229.

Ludewig, Kurt: Einführung in die theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie. 2.,

aktualisierte Aufl. Heidelberg 2009.

Mücke, Klaus: Probleme sind Lösungen. Systemische Beratung und Psychotherapie - ein

pragmatischer Ansatz. Lehr- und Lernbuch. 4., überarb. und erw. Aufl. Potsdam 2009.

Schweitzer, Jochen/von Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und

Beratung II. Das störungsspezifische Wissen. 2. Aufl. Göttingen 2007.

Schwing, Rainer/Fryszer, Andreas: Systemisches Handwerk. Werkzeug für die Praxis. 4.

Aufl. Göttingen 2010.

Simmen, René u.a.: Systemorientierte Sozialpädagogik. 3., korr. Aufl. Bern u.a. 2010.

Simon, Fritz B.: Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus. Heidelberg 2006.

Page 43: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

Speck, Karsten: Schulsozialarbeit. Eine Einführung. München u.a. 2007.

Stickel-Wolf, Christine/Wolf, Joachim: Wissenschaftliches Arbeiten und Lerntechniken.

Erfolgreich studieren – gewusst wie!. 6., aktualisierte und erw. Aufl. Wiesbaden 2011.

Thomasius, Rainer u.a.: Drogenabhängigkeit. In: Thomasius, Rainer/Küstner, Udo J.:

Familie und Sucht. Grundlagen, Therapiepraxis, Prävention. Stuttgart u.a. 2005, S. 81-94.

Page 44: Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere hiermit, dass ich die vorstehende Bachelorarbeit selbständig angefertigt,

keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt und sowohl wörtliche, als auch

sinngemäß entlehnte Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit hat in gleicher

oder ähnlicher Form noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegen.

Neubrandenburg, den 10. Juni 2014 …………………………………

Unterschrift