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3 retten! 1• 2012 Steffen Herdtle Andreas Bayer Fachwissen Akuter Asthmaanfall Wenn die Luft nicht mehr aus der Lunge kann Grundlagen Ursachen Asthma-Arten 5 % aller Erwachsenen leiden an einer Asthma- erkrankung [1]. Es gibt 2 Arten von Asthma [2]: Allergisches Asthma ist meist genetisch bedingt. Der Patient reagiert sofort auf die unterschiedlichsten Auslöser, wie z. B. Hausstaub, Pollen, Tierhaare etc. Nichtallergisches Asthma hat als Ursachen Stress, Anstrengung, Infektionen, kalte Luft etc. Auch Medikamente können Aus- löser sein, so z.B. NSAID (nichtsteroidale Antirheumathika), wie Acetylsalicylsäure (ASS), und Beta(rezeptor)blocker. Warum allergische Reaktionen oder Betablocker einen Asthma- anfall auslösen können, zeigt ein genauer Blick auf die Anatomie, Physik, Physiologie und Pathophysiologie der Atemwege. Anatomie Die oberen Atemwege bestehen aus Nasenhaupt- und Nasennebenhöhlen sowie dem Rachen (Pharynx). Die unteren Atemwege setzen sich aus Kehlkopf (Larynx), Luftröhre (Trachea), Bronchien und Bronchiolen zusammen. Muskeln an Bronchien und Bronchiolen können diese eng- und weitstellen. Die Lungenbläschen (Alveolen) bilden die Endstrukturen der Atemwege und dienen dem Gasaustausch. (Zur Anatomie und Physiologie siehe auch den Beitrag „Lunge“ in diesem Heft auf S. XXX.) Der Kehlkopf bildet die Grenze zwischen oberen und unteren Atem- wegen. Diese Einteilung ist wichtig: Je nachdem, an welcher Stelle die Atemwege blockiert sind, macht der Patient entweder beim Ein- oder beim Ausatmen Geräusche. Ist z. B. die Zunge nach einem Wespenstich geschwollen, sind die oberen Atemwege blockiert und ein Atemgeräusch (Stridor) ist beim Einatmen hörbar. Anders beim Asthma: Hier sind die unteren Atemwege blockiert und der Stri- dor ist beim Ausatmen zu hören – ein pfeifendes und giemendes Geräusch. Asthma bronchiale entsteht, wenn sich die unteren Atemwege anfalls- artig verengen. Beim Ausatmen ist ein Stridor zu hören. Physik Schnelles Strömen der Luft in den unteren Atemwegen führt dazu, dass sich die Bronchien zusammenziehen – es kommt zu einer Verengung der Luftwege. Dieses Phänomen lässt sich durch den Bernoulli-Effekt erklären: Strömung erzeugt Unterdruck und 2 Gegenstände, die an die Strömung angrenzen, ziehen sich gegenseitig an. Diese Anziehungskraft wird deutlich, wenn man zwischen 2 Papierblät- tern hindurch bläst, die parallel gehalten wer- den – sie nähern sich an und berühren sich schließlich (q Abb. 1 / Video online). Physiologie Beim Einatmen spannen sich die Muskeln von Zwerchfell und Thorax an. Das Volumen im Brustkorb vergrößert sich, ein Unterdruck entsteht – Luft strömt ein. Ist das Einatmen beendet, entspannen sich die Muskeln und die Luft strömt wieder nach außen. Somit ist der Einatmen-Vorgang aktiv, Muskelkraft ist nötig, das Ausatmen hingegen ist passiv. Bei vielen respiratorischen Notfällen bekommen die Patienten nicht mehr genügend Luft. Für Asthmaanfälle gilt das Gegenteil: Die Patienten können die Luft nicht loswerden. Sie müssen mehr Atemarbeit leisten und sind schließlich erschöpft – es kommt zur Hypoxie. Greift der Rettungsdienst frühzeitig ein, kann er wirkungsvoll gegensteuern. Welche Krankheits ursachen und Therapien es gibt, zeigt folgender Beitrag. Abb. 1 Mit 2 Papierblättern kann der BernoulliEffekt demonstriert werden. Bildnachweis: Steffen Herdtle / -Andreas Bayer Bildnachweis: Steffen Herdtle

Fachwissen retten! Akuter Asthmaanfall Wenn die Luft … · ist in einer Stress-Situation aktiv (Flucht und Angriff), in der es ... Das regelt der Körper, indem er über die Botenstoffe

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retten!   1• 2012

Steffen Herdtle • Andreas Bayer

Fachwissen

Akuter AsthmaanfallWenn die Luft nicht mehr aus der Lunge kann

Grundlagen Ursachen

Asthma-Arten 5 % aller Erwachsenen leiden an einer Asthma-erkrankung [1]. Es gibt 2 Arten von Asthma [2]:

▶ Allergisches Asthma ist meist genetisch bedingt. Der Patient reagiert sofort auf die unterschiedlichsten Auslöser, wie z. B. Hausstaub, Pollen, Tierhaare etc.

▶ Nichtallergisches Asthma hat als Ursachen Stress, Anstrengung, Infektionen, kalte Luft etc. Auch Medikamente können Aus-löser sein, so z.B. NSAID (nichtsteroidale Antirheumathika), wie Acetylsalicylsäure (ASS), und Beta(rezeptor)blocker.

Warum allergische Reaktionen oder Betablocker einen Asthma-anfall auslösen können, zeigt ein genauer Blick auf die Anatomie, Physik, Physiologie und Pathophysiologie der Atemwege.

Anatomie Die oberen Atemwege bestehen aus Nasenhaupt- und Nasennebenhöhlen sowie dem Rachen (Pharynx). Die unteren Atemwege setzen sich aus Kehlkopf (Larynx), Luftröhre (Trachea), Bronchien und Bronchiolen zusammen. Muskeln an Bronchien und Bronchiolen können diese eng- und weitstellen. Die Lungenbläschen (Alveolen) bilden die Endstrukturen der Atemwege und dienen dem Gasaustausch. (Zur Anatomie und Physiologie siehe auch den Beitrag

„Lunge“ in diesem Heft auf S. XXX.)Der Kehlkopf bildet die Grenze zwischen ob eren und unteren Atem-wegen. Diese Einteilung ist wichtig: Je nachdem, an welcher Stelle die Atemwege blockiert sind, macht der Patient entweder beim Ein- oder beim Ausatmen Geräusche. Ist z. B. die Zunge nach einem Wespenstich geschwollen, sind die oberen Atemwege blockiert und

ein Atemgeräusch (Stridor) ist beim Einatmen hörbar. Anders beim Asthma: Hier sind die unteren Atemwege blockiert und der Stri-dor ist beim Ausatmen zu hören – ein pfeifendes und giemendes Geräusch.

Asthma bronchiale entsteht, wenn sich die unteren Atemwege anfalls-

artig verengen. Beim Ausatmen ist ein Stridor zu hören.

Physik Schnelles Strömen der Luft in den unteren Atemwegen führt dazu, dass sich die Bronchien zusammenziehen – es kommt zu einer Verengung der Luftwege. Dieses Phänomen lässt sich durch den Bernoulli-Effekt erklären: Strömung erzeugt Unterdruck und 2 Gegenstände, die an die Strömung angrenzen, ziehen sich gegenseitig an. Diese Anziehungskraft wird deutlich, wenn man zwischen 2 Papierblät-tern hindurch bläst, die parallel gehalten wer-den – sie nähern sich an und berühren sich schließlich (q Abb. 1 / Video online).

Physiologie Beim Einatmen spannen sich die Muskeln von Zwerchfell und Thorax an. Das Volumen im Brustkorb vergrößert sich, ein Unterdruck entsteht – Luft strömt ein. Ist das Einatmen beendet, entspannen sich die Muskeln und die Luft strömt wieder nach außen. Somit ist der Einatmen-Vorgang aktiv, Muskelkraft ist nötig, das Ausatmen hingegen ist passiv.

Bei vielen respiratorischen Notfällen bekommen die Patienten nicht mehr genügend Luft. Für Asthmaanfälle gilt das Gegenteil: Die Patienten können die Luft nicht loswerden. Sie müssen mehr Atemarbeit leisten und sind schließlich erschöpft – es kommt zur Hypoxie. Greift der Rettungsdienst frühzeitig ein, kann er wirkungsvoll gegensteuern. Welche Krankheits­ursachen und Therapien es gibt, zeigt folgender Beitrag.

Abb. 1 Mit 2 Papier blättern kann der Bernoulli­Effekt demonstriert werden.

Bildnachweis: Steffen Herdtle / -An

dreas Bayer

Bildnachweis: Steffen Herdtle

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Akuter Asthmaanfall • Steffen Herdtle und Andreas BayerFachwissen retten!   1• 2012

Typische Symptome des akuten Asthmaanfalls sind:

▷ exspiratorisches Giemen

▷ verlängertes Exspirium

▷ Angst und Unruhe

▷ Kutschersitz

▷ Lippenbremse

▷ Tachypnoe

▷ Dyspnoe und Zyanose

▷ Tachykardie

▷ Kaltschweißigkeit

▷ gestaute Halsvenen

▷ „silent lung“ und Bradykardie beim lebensbedrohlichen Anfall

Differenzialdiagnostik

Gleiche Symptome – andere Krankheit Differenzialdiagnosen sind andere noch in Frage kommende Krankheiten. Sie zeigen die gleichen Symptome, werden jedoch unterschiedlich behandelt. Asthmaartige Zustände mit gleichen Symptomen findet man bei

▶ einer sich akut verschlechternden COPD (chronisch obstrukti-ven Lungenerkrankung),

▶ einer Rauchgasinhalation mit Atemwegsobstruktion sowie ▶ bei Asthma cardiale.

Therapie Nichtmedikamentöse Therapie und Sauerstoffgabe

Erstmaßnahmen Ein ruhiges Auftreten des Rettungsdienstes ist wichtig, es vermindert den Stress des Patienten – Atemfrequenz und Tachykardie nehmen ab. Leiten Sie den Patienten zu Lippen-bremse und Kutschersitz an. Öffnen Sie die Fenster und entfernen Sie beengende Kleidung – das erleichtert ebenfalls das Atmen.

Kontrollierte Sauerstoffgabe Zusätzlicher O2 reduziert Hypoxie, Blaufärbung und Atemnot: Der Atemanreiz schwächt ab und der Patient erschöpft nicht weiter. Wählen Sie eine O2-Zufuhr (FiO2),

Pathophysiologie von Asthma bronchiale

Verengen der Bronchien Da das Bronchialsystem eines Asthma-tikers überempfindlich auf bestimmte Reize reagiert, kommt es bei einem Anfall zur akuten Verengung (Obstruktion) der Bronchiolen.

3 Mechanismen wirken beim akuten Asthmaanfall (q Abb. 2): 

▷ Die Bronchialmuskulatur verkrampft (Bronchospasmus).

▷ Die Schleimhaut schwillt durch Wassereinlagerung an (Schleim-

hautödem). 

▷ Die Bronchialschleimhaut produziert zu viel zähen Schleim (Dys-

krinie), der zusätzlich den Luftweg durch die Bronchien behindert.

Anstrengendes Ausatmen Beim Asthmaanfall hat der Patient große Probleme mit dem Ausatmen. Er muss zusätzlich die Atem-hilfsmuskulatur, wie Brust- und Schultermuskeln, einsetzen, um die Luft aktiv aus der Lunge zu pressen. Die erhöhte Atemarbeit beim Ausatmen erschöpft den Patienten von Minute zu Minute mehr.

Der erschöpfte Patient atmet weniger: Er bekommt zu wenig Sauerstoff 

(Hypoxie) und seine Haut und Schleimhäute färben sich blau (Zyanose).

Belastung des Herzens Da das Ausatmen erschwert ist, füllt sich die Lunge immer mehr mit Luft: Der Druck im Brustkorb steigt und drückt auf Herz und Gefäße. Der rechte Vorhof und die Hohlvenen kollabieren, da sie am wenigsten Gegendruck leisten können: Das Blut staut sich – und die Halsvenen werden sichtbar. Die Hypo-xie (Sauerstoffmangel) löst eine Gefäßverengung aus (Euler-Lilje-strand-Mechanismus) und der Blutdruck im Lungenkreislauf steigt. Die rechte Herzkammer muss stärker pumpen – es kommt zu einer erhöhten Rechtsherzbelastung.

Chronische Asthmatiker leiden oft an einer Rechtsherzhypertrophie, 

einem vergrößerten rechten Herzen. Denn aufgrund starker Pump-

arbeit, bildet sich dort mehr Muskelmasse.

Diagnostik Symptome des Asthmaanfalls

Exspiratorisches Giemen Dies ist das Leitsymptom des Asthma-anfalls, es entsteht durch ein Verengen der unteren Atemwege [3]. Der Patient benötigt trotz großer Anstrengung mehr Zeit, die Luft aus der Lunge herauszubekommen, was zu einer verlängerten Aus-atemphase (verlängertes Exspirium) führt.

Sichtbare Auswirkungen Durch den sog. Kutschersitz kann der Patient die Atemhilfsmuskulatur entlasten: aufrechter Oberkörper mit nach vorne oder hinten aufgestützten Armen (q Abb. 3). Die Muskulatur muss somit nicht mehr für die Körperhaltung sorgen und steht für die Atmung zur Verfügung. Die Herzfrequenz steigt, gleichzeitig werden die Schweißdrüsen sti-muliert: Der Patient schwitzt stark. Da dies nicht dem Temperatur-ausgleich dient, fühlt sich der Schweiß kalt an – Kaltschweißigkeit. Der Patient atmet immer schneller und versucht so, den zuneh-menden Sauerstoffmangel auszugleichen – eine sog. Tachypnoe ist die Folge. Dadurch strömt die Luft im Bronchialbaum schneller: Der Bernoulli-Effekt wird verstärkt und die Bronchien verschließen sich

– die Luft ist gefangen. Manche Patienten versuchen den Luftstrom abzubremsen, indem sie nur durch einen kleinen Spalt zwischen den Lippen ausatmen – dies ist die sog. Lippenbremse (q Abb. 3).

Silent lung Der Teufelskreis aus Atemnot, erhöhter Atemarbeit und fortschreitender Erschöp-fung führt letzendlich zu einer ruhigen Lunge bzw. „silent lung“: Die Bronchien sind fast vollstän-dig verschlossen, der Luftstrom kommt zum Erliegen – kein Gie-men ist mehr hörbar.

Bradykardie Ist der O2-Mangel sehr ausgeprägt, bekommt das Herz zu wenig Sauerstoff – auf die Tachykardie folgt eine Bradykardie: Das Herz schlägt immer langsamer.

Das Bronchialsystem wird über Sympathikus und Parasympathi-kus des vegetativen Nervensystems gesteuert. Der Sympathikus ist in einer Stress-Situation aktiv (Flucht und Angriff), in der es besonders wichtig ist, ausreichend Luft zu bekommen. Das regelt der Körper, indem er über die Botenstoffe Adrenalin und Noradre-nalin β2-Rezeptoren des Bronchialsystems aktiviert: Die Bronchien erweitern sich, man spricht von Bronchodilatation. Der Parasym-pathikus hingegen sorgt als Gegenspieler in Ruhe für das Verengen der Bronchien (Bronchokonstriktion).

β-Rezeptoren Neben Botenstoffen aktivieren auch Medikamen-tenwirkstoffe, wie Salbutamol (z.B. in Asthma-Sprays), die β2-Rezeptoren und erweitern dadurch die Bronchien. In der Regel sind diese Medikamente rezeptorspezifisch, sie können jedoch auch auf den anderen Rezeptortyp übergreifen und somit eine unerwünsch-te Reaktion auslösen: Z.B. können Asthma-Sprays β1-Rezeptoren am Herzen aktivieren und dadurch die Herzfrequenz erhöhen (Ta-chykardie). Das Gleiche gilt auch umgekehrt: β1-Blocker (z.B. Meto-prolol) gegen Tachykardie können auf β2-Rezeptoren wirken – die Bronchien verengen sich und es kommt zum Asthmaanfall.

Eine Eselsbrücke: Man hat 1 Herz und 2 Lungenflügel: Am Herzen 

befinden sich β1-Rezeptoren und an der Lunge β2-Rezeptoren.

Betablocker können einen Asthmaanfall auslösen und Asthma-Sprays 

eine Tachykardie verursachen.

Abb. 2 Beim Asthmaanfall verkrampft die Muskulatur, die Schleimhaut schwillt an und produziert viel Schleim.

Abb. 3 Typischer Asthmapatient: Aufrechter, aufgestützter Oberkörper am offenen Fenster. Durch die Lippen­bremse wird der Bernoulli­Effekt gemindert.

Bildnachweis: Steffen Herdtle / A

ndreas Bayer

Bildnachweis: Wehling M. Klinische Pharmakologie, 2. Aufl. Stuttgart: , Thieme; 2011. 

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Fachwissen Akuter Asthmaanfall • Steffen Herdtle und Andreas Bayer retten!   1• 2012

die zu einer partiellen O2-Sättigung (SpO2) von 94–98 % führt, bei chronischen Patienten 88–92 % [4]. Die O2-Gabe bei Patienten mit Asthma oder COPD ist nötig, jedoch problematisch: Im Gegensatz zu gesunden Menschen haben diese Patienten grundsätzlich einen erhöhten CO2-Spiegel, da das CO2 nicht genügend abgeatmet wird: Eine ständige Hyperventilation wäre die Folge, um das überschüs-sige CO2 abzuatmen. Daher ist der Atemanreiz von CO2 auf O2 „um-gestellt“. Bekommen diese Pa tienten nun viel Sauerstoff verabreicht, steigt die O2-Konzentration und sie atmen weniger – gleichzeitig steigt der CO2-Spiegel, da noch weniger abgeatmet wird: Eine CO2-Narkose entsteht, die Atmung und Bewusstsein weiter dämpft, evtl. bis zu Bewusstlosigkeit und Atemstillstand – Beatmungsbeutel da-her immer in Reichweite haben.

Ein Patient mit Zyanose und Hypoxie braucht Sauerstoff! Trübt 

sein Bewusstsein aufgrund der O2-Gabe ein oder kommt es 

zur CO2-Narkose, beginnen Sie mit assistierter oder kontrollierter Be-

atmung und geben Sie weiterhin Sauerstoff.  

Medikamentöse Therapie

Asthma-Sprays Führt Beruhigen, Lagern sowie O2-Gabe nicht zum Erfolg, bleiben oft nur noch Medikamente. Viele Asthmatiker besitzen bereits ein „Bedarfsmedikament“, das bei einem akuten

Anfall die Bronchien weitstellt. Erweitert werden die Bronchien entweder durch Stimulation der β2-Rezeptoren und Aktivierung des Sympathikus oder durch Hemmung des Parasympathikus. Asthmasprays be inhalten daher entweder

▶ direkte Betamimetika, sie aktivieren die β2-Rezeptoren, z.B. Fe-noterol (Berotec®), Salbutamol (Bronchospray®) oder

▶ Parasympathikus-Hemmer, z.B. Ipratropiumbromid (Atrovent®).

„Viel hilft viel?“ Patienten haben oft schon viel Spray genommen, bis der Rettungsdienst eintrifft. Die Devise „viel hilft viel“ ist hier nicht richtig, da es nur eine begrenzte Anzahl von Rezeptoren gibt. Sind alle besetzt, können weitere Medikamente nicht wirken. Durch die steigende Dosierung erhöht sich die Herzfrequenz: Dadurch ver-kürzt sich die Füllungsphase (Diastole) des Herzens. Da der Herz-muskel nur in der Diastole durchblutet wird, bekommt er zu wenig Sauerstoff. Der Patient sollte daher nur solange sein Spray benutzen, wie es die Herzfrequenz zulässt.

Wenn tachykarde Herzrhythmusstörungen auftreten, sollten 

Sie die Therapie mit β2-Mimetika beenden.

Mittel der 1. Wahl Besitzt der Patient kein Spray, so sind inhala-tive β2-Mimetika Mittel der 1. Wahl. Im Rettungsdienst wird heute meist die Verneblermethode von Salbutamol (Sultanol®) mit spe-ziellen Sauerstoffmasken eingesetzt (q Abb. 4–7). Als geschulter

Rettungsassistent können Sie im Rahmen der Notkompetenz ein inhalatives β2-Mimetikum verabreichen. Pulverinhalatoren sollten bei einem schweren und lebensbedrohlichen Asthmaanfall nicht eingesetzt werden – sie sind schlechter zu inhalieren und errei-chen ihren Wirkort nicht.

Volumentherapie Eine Vollelektrolytlösung verflüssigt den zä-hen Schleim in den Bronchien. Außerdem sorgt sie dafür, dass der i.v.-Zugang offen bleibt. Beachten Sie dabei, dass das Anlegen eines i.v.-Zugangs zusätzlichen Stress beim Patienten auslösen kann und sich die Asthmasymptome dadurch verschlimmern können.

Weitere Medikamente Kortisonpräparate (z.B. Prednisolon, 50–100 mg) werden i.v. verabreicht und reduzieren allgemeine Ent-zündungsreaktionen, wie z.B. das Schleimhautödem. Die Wirkung tritt allerdings erst nach 6–12 Stunden ein. Das β2-Mimetikum Reproterol (Bronchospasmin®) wird i.v. verabreicht. Terbutalin (Bricanyl®) ist ebenfalls ein β2-Mimetikum und kann s.c. appliziert werden. Theophyllin (Bronchoparat®) sollte man nicht einsetzen, da die Gefahr einer Unter- oder Überdosierung besteht [5, 6].

Geben Sie keine Beruhigungsmittel beim Asthmaanfall: Diese 

entziehen dem Patienten die letzten Kraftreserven und können 

seinen Zustand verschlechtern.

Kontrollierte Beatmung

Narkose einleiten Verschlechtert sich der Zustand des Patienten weiter, muss eine Narkose eingeleitet werden, um die Atmung kon-trollieren zu können. Anzeichen für eine Verschlechterung sind:

▶ völlige Erschöpfung des Patienten, erkennbar u.a. an paradoxen Muskelzuckungen der Bauchwand [2],

▶ Eintrüben des Bewusstseins durch anhaltende Hypoxie (SpO2 < 75–80).

Ketamin ist für das Einleiten der Narkose Mittel der Wahl [2], da es zusätzlich die Bronchien erweitert. Eine Alternative zur invasiven Beatmung (Intubation) ist die NIV-Beatmung (Non Invasive Venti-lation, CPAP): Bei Patienten mit COPD reduziert sie die Sterberate

[7]. Für Patienten mit einem akuten Asthmaanfall ist dies jedoch noch nicht bewiesen, daher sollte die NIV-Beatmung nicht routi-nemäßig eingesetzt werden [8].

Ultima ratio ist eine Ketamin-Narkose mit kontrollierter Beamtung.

Komplikationen Beim intubierten Asthmapatienten kann das Lungengerüst leicht verletzt werden:

▶ Ein Pneumothorax entsteht, der sich zu einem Spannungspneu-mothorax entwickeln kann – sofortige Entlastung ist nötig.

Weitere Komplikationen sind: ▶ Blutdruckabfall ▶ Tachykardie ▶ weiterer O2-Sättigungsabfall ▶ steigender Beatmungsdruck

Weiteres Vorgehen

Krankenhauseinweisung immer nötig? Je nach Schwere des An-falls kann der Patient sogar ambulant versorgt werden. Die Stadien zur Einteilung des Schweregrades erleichtern die Entscheidung [4], [9]: 1. Moderate Exazerbation (Verschlechterung der chronischen Er-

krankung): ▷ Sprechen normal möglich, keine schweren Asthmasymptome ▷ zunehmende Symptome ▷ Atemfrequenz < 25 / min

Geht es dem Patienten 30–60 min nach der Initialtherapie wieder besser, ist keine weitere Versorgung nötig.

2. Akut schwerer Anfall: ▷ Sprechdyspnoe: Unfähigkeit, einen Satz in einem Atemzug

zu beenden ▷ Atemfrequenz > 25 / min ▷ Herzfrequenz > 110 / min

Erwägen Sie eine Krankenhauseinweisung: v. a. beim 1. Anfall oder wenn sich die Symptome nach 30–60 min nicht bessern.

Abb. 4 Der Vernebler setzt sich zusammen aus: Maskenteil mit Fixiergummi (1), transparentem Zer­stäuber mit Medikamentenreservoir (2) und Sauerstoff (3).

Abb. 5 In das Medikamentenreservoir werden 2,5 ml Salbutamol sowie 5 ml Aqua gegeben.

Abb. 6 Nach dem Befüllen wird der Zerstäuber verschlossen.

Abb. 7 Auf den oberen Teil des Zerstäubers (grüner Teil) wird die Inhalationsmaske (1) aufgesteckt und am Unterteil die O2­Zuleitung (2) angeschlossen.

Bildnachweis 4 - 7: Steffen Herdtle

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CEE-FragenFachwissen

1 Welche Struktur gehört nicht zu den unteren Atemwegen?A BronchienB AlveolenC BronchiolenD RachenraumE Trachea

2 Wie heißt das physikalische Gesetz, das ein Verengen der Luftwege durch schnellen Luftstrom erklärt?

A VerengungsgesetzB Riva-Rocci-GesetzC Venturi-GesetzD Bernoulli-GesetzE Hagen-Poiseuille-Gesetz

3 Was ist kein Symptom einer Sympathikusaktivierung?A schnellere AtmungB schnellere HerzfrequenzC schnellere VerdauungD erweiterte Bronchien

E Schweißproduktion

4 Was gehört nicht zur Pathophysiologie des akuten Asthma anfalls?

A anfallsartige VerengungB BronchospasmusC DyskrinieD SchleimhautödemE Verkürzung der Luftröhre

5 Rechtsherzbelastung und gestaute Halsvenen entstehen durch

A erhöhten Druck im Thorax durch Überblähen der Lunge.B das Abdrücken von rechtem Herz und Halsvene aufgrund einer 

Rechtsverschiebung der Trachea.C Druck auf das rechte Herz durch den Bauch des Patienten bei der 

aufgestützten atemerleichternden Lagerung.D Einsatz der Lippenbremse, die Luft- und Blutstrom bremst.E Einnehmen des Asthmasprays, das den Druck im rechten Herzen erhöht.

6 Was ist kein typisches Symptom beim akuten Asthma-anfall?

A exspiratorisches GiemenB inspiratorischer StridorC KaltschweißigkeitD Angst und UnruheE Hypoxie 

7 Welche Einteilung ist nicht richtig?A Akut schwerer Anfall: Herzfrequenz < 100/minB Akut schwerer Anfall: Atemfrequenz > 25/minC Lebensbedrohlicher Anfall: „silent lung“D Moderate Exazerbation: Sprechen normal möglichE Beinahe tödlicher Anfall: mechanische Beatmung nötig

8 Was ist bezogen auf die Sauerstoffgabe beim akuten Asthmaanfall richtig?

A Asthmapatienten sollten keinen Sauerstoff erhalten.B Beim Asthmapatienten besteht keine Gefahr einer CO2-Narkose.C Sauerstoff gilt als Medikament.D Die Sauerstoffgabe sollte so hoch gewählt werden, dass die SpO2 100 % ist.E Sauerstoff sollte generell nur durch den Notarzt angewendet werden.

9 Welche Zuordnung bezogen auf β-Rezeptoren ist falsch?A Eine Aktivierung der β2-Rezeptoren erweitert die Bronchien.B Eine Aktivierung der β1-Rezeptoren steigert die Herzfrequenz.C Das Blockieren von β-Rezeptoren („Betablocker“) kann einen Asthma-

anfall auslösen.D Salbutamol wirkt vor allem auf β1-Rezeptoren.E β-Rezeptoren werden durch den Sympathikus aktiviert.

10 Welche Komplikation kann bei der kontrollierten Beatmung auftreten?

A O2-SättigunganstiegB BradykardieC BlutdruckanstiegD CO2-Anteil im Blut steigtE Pneumothorax

Akuter AsthmaanfallWenn die Luft nicht mehr aus der Lunge kann

3. Lebensbedrohlicher Anfall: ▷ Sprechen nicht mehr möglich ▷ Erschöpfung bei vergeblicher und flacher Atmung ▷ Zyanose ▷ zunehmende Bewusstseinseintrübung ▷ weitere Abschwächung der Atemgeräusche („silent lung“) ▷ Bradykardie

Ein Notarzt muss hinzugezogen werden. Die Einweisung ins Krankenhaus ist unbedingt nötig.

4. Beinahe tödlicher Anfall: ▷ Symptome verschlimmern sich weiter – Lebensgefahr.

Es gilt: Krankenhauseinweisung mit Notarztbegleitung.

Fazit

Der Asthmaanfall ist gut zu therapieren. Wichtigste Therapie ist, die Bronchiolen zu erweitern und eine Hypoxie zu vermeiden. Dies können Sie durch Beruhigen des Patienten, atemerleichternde Kör-perhaltung, Sauerstoffgabe und medikamentöse Therapie erreichen. Mittel der 1. Wahl ist dabei ein inhalatives β2-Mimetikum.

Kernaussagen ▶ Ein akuter Asthmaanfall entsteht, indem sich die Bronchiolen

anfallsartig verengen. Bronchospasmus, übermäßige Schleimpro-

duktion und Schleimhautödem sind die Pathomechanismen. 

▶ Leitsymptom ist das Giemen beim Ausatmen und eine verlänger-

te Ausatemzeit − außerdem Angst, Unruhe, Tachykardie, kalter 

Schweiß sowie eine Rechtherzbelastung mit gestauten Halsvenen.  

▶ Vermehrte Atemarbeit, um die Luft „los zu werden“, erschöpft den 

Patienten. Das führt zu Atemnot mit Hypoxie und Zyanose. 

▶ Erstmaßnahmen sind: Beruhigung des Patienten, Anleiten zu Kut-

schersitz und Lippenbremse sowie kontrollierte Sauerstoffgabe bis 

eine 94–98 % Sättigung erreicht ist – bei chron. Patienten 88–92 %. 

▶ Mittel der 1. Wahl: inhalatives β2-Mimetikum, z.B. Salbutamol mit-

tels Vernebler. Wenn als Nebenwirkung eine Tachykardie auftritt, 

sollte die Therapie beendet werden. 

▶ Ultima ratio ist eine Ketamin-Narkose zur kontrollierten Beatmung.

Dr. med. Steffen Herdtle ist Facharzt in der Zentralen Notaufnahme, Universitätsklinikum Jena sowie akti­ver Notarzt im bodengebunden Rettungsdienst und in der Luftrettung. Er bildet Notärzte und Rettungs­dienstpersonal aus. E-Mail: [email protected]

Andreas Bayer ist Lehrrettungsassistent beim Deutschen Roten Kreuz, Kreisverband Jena­Eisenberg, Stadtroda. Er hat langjährige Erfahrung in der Aus- und Weiterbildung von Rettungsdienstpersonal. E-Mail: [email protected]

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