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Moritz Neumeier Faktencheck Teil 2: Links- und Rechtsextremismus Diese Frage erscheint auf den ersten Blick ziemlich naiv: Rechte Gewalt wird von (Neo-) Nazis, gewaltbereiten Identitären oder Rechtsterroristen wie dem NSU begangen, linke Gewalt von Extremisten des Schwarzen Blocks, von Autonomen oder Terrorgruppen wie früher der RAF. Doch ganz so einfach ist es nicht. Politisch motivierte Kriminalität Linksextreme und rechtsextreme Straftaten gelten als „politisch motivierte Kriminalität“ – kurz „PMK“. Diese Kriminalität wird gesondert erfasst, weil sie als besonders schwerwiegend und gefährlich eingestuft wird. Hier gibt es schon das erste Problem: Die offizielle Statistik des deutschen Sicherheitsbehörden (BKA und Verfassungsschutz) zu politisch motivierter Kriminalität registriert nur Fälle, die schon bei der Aufnahme durch die Polizei als (wahrscheinlich) politisch motiviert eingeschätzt wurden also bevor ermittelt wurde. Sprich: Es handelt sich um eine „Eingangsstatistik“. Damit fallen Straftaten hinten runter, die sich erst später als politisch motiviert herausstellen – so wie die Morde des NSU, die als Organisierte Kriminalität falsch aufgenommen wurden. Oder es werden Straftaten als politisch motiviert eingestuft, die es gar nicht waren. Politisch motivierte Kriminalität richtet sich „gegen die Verfassung, den Bestand des Staates oder gegen seine innere bzw. äußere Sicherheit“ des Landes (Quelle: Wörterbuch zur Inneren Sicherheit, Hrsg. Hans-Jürgen Lange & Matthias Gasch, Verlag für Sozialwissenschaften 2006). Das reicht von Propagandadelikten gegen die Verfassung bis hin zur Bildung einer terroristischen Vereinigung. Auch „normale“ Straftaten können als politisch motiviert eingestuft werden, schreibt das Bundesinnenministerium: Wenn sie „den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen“, wenn sie „sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ oder „gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status“ richtet. Einfach gesagt: Hasskriminalität mit politischen Absichten. Aber was gilt nun als „links-“ und was als „rechtsextremistisch“? Wer darauf eine

Faktencheck Links- und Rechtsextremismus - fritz.de · Die Frage, wann etwas links- oder rechtsextremistisch ist, ist vor allem in einem Bereich besonders schwierig: Antisemitismus

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Page 1: Faktencheck Links- und Rechtsextremismus - fritz.de · Die Frage, wann etwas links- oder rechtsextremistisch ist, ist vor allem in einem Bereich besonders schwierig: Antisemitismus

Moritz Neumeier Faktencheck Teil 2: Links- und Rechtsextremismus

Diese Frage erscheint auf den ersten Blick ziemlich naiv: Rechte Gewalt wird von (Neo-) Nazis, gewaltbereiten Identitären oder Rechtsterroristen wie dem NSU begangen, linke Gewalt von Extremisten des Schwarzen Blocks, von Autonomen oder Terrorgruppen wie früher der RAF. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Politisch motivierte Kriminalität

Linksextreme und rechtsextreme Straftaten gelten als „politisch motivierte Kriminalität“ – kurz „PMK“. Diese Kriminalität wird gesondert erfasst, weil sie als besonders schwerwiegend und gefährlich eingestuft wird. Hier gibt es schon das erste Problem: Die offizielle Statistik des deutschen Sicherheitsbehörden (BKA und Verfassungsschutz) zu politisch motivierter Kriminalität registriert nur Fälle, die schon bei der Aufnahme durch die Polizei als (wahrscheinlich) politisch motiviert eingeschätzt wurden also bevor ermittelt wurde. Sprich: Es handelt sich um eine „Eingangsstatistik“. Damit fallen Straftaten hinten runter, die sich erst später als politisch motiviert herausstellen – so wie die Morde des NSU, die als Organisierte Kriminalität falsch aufgenommen wurden. Oder es werden Straftaten als politisch motiviert eingestuft, die es gar nicht waren.

Politisch motivierte Kriminalität richtet sich „gegen die Verfassung, den Bestand des Staates oder gegen seine innere bzw. äußere Sicherheit“ des Landes (Quelle: Wörterbuch zur Inneren Sicherheit, Hrsg. Hans-Jürgen Lange & Matthias Gasch, Verlag für Sozialwissenschaften 2006). Das reicht von Propagandadelikten gegen die Verfassung bis hin zur Bildung einer terroristischen Vereinigung. Auch „normale“ Straftaten können als politisch motiviert eingestuft werden, schreibt das Bundesinnenministerium: Wenn sie „den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen“, wenn sie „sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ oder „gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status“ richtet. Einfach gesagt: Hasskriminalität mit politischen Absichten. Aber was gilt nun als „links-“ und was als „rechtsextremistisch“? Wer darauf eine

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Antwort in den Verfassungsschutzberichten oder der PMK-Statistik sucht, wird Pech haben: Da steht es nicht drin – merkwürdigerweise.

Linksextremismus

Der Verfassungsschutz definiert „Linksextremismus“ als „Bestrebungen, die auf einer Verabsolutierung der Werte von Freiheit und (sozialer) Gleichheit beruhen, wie sie sich insbesondere in den Ideen von Kommunismus und Anarchismus ausdrücken.“ Beide propagieren laut Verfassungsschutz die „Überwindung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung“, wobei Kommunisten eine andere Staatsform als die freiheitlich-demokratische errichten wollen, während Anarchisten „jede Form von Herrschaft, Staat und Ideologie“ ablehnen. Beiden gemeinsam ist laut Verfassungsschutz „nur die Utopie einer herrschafts- und klassenlosen Gesellschaft“.

Der Verfassungsschutz rechnet dem gewaltorientierten linksextremistischem Spektrum deutschlandweit rund 9.000 Personen zu, darunter 7.000 Autonome. Sie haben 2017 insgesamt 6.393 Straftaten begangen, die als extremistisch eingestuft wurden, davon 1.648 Gewalttaten – in beiden Fällen deutlich mehr als 2016 (22% und 27%). Allerdings: 62,1 % aller linksextremistischen Gewalttaten haben laut Verfassungsschutz „zumindest im weiteren Sinne einen Bezug zum G20-Gipfel in Hamburg“. Heißt auch: Ohne den G20-Gipfel wäre die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten 2017 DEUTLICH geringer ausgefallen als 2016.

Rechtsextremismus

Die Ideologie des Rechtsextremismus beschreibt der Verfassungsschutz dagegen als „autoritäres Staatsverständnis“, in dem die Vorstellung einer rassisch homogenen „Volksgemeinschaft“ vorherrscht. Die Anhänger glauben, dass die „Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse über den Wert eines Menschen“ entscheide. Sprich: NS-Ideologie in all ihren Schattierungen. Interessanter Aspekt, den der Verfassungsschutz heraushebt: „Mit ihrer Propaganda bemühen sich Rechtsextremisten seit Jahren, das Szenario eines unmittelbar bevorstehenden Bürgerkriegs zu verbreiten.“ Am 3.10., bei einer Demo von Rechtsextremisten in Berlin, war genau diese Rhetorik auch zu beobachten.

Zahlenmäßig wird die rechtsextreme Szene immer stärker, allerdings verteilen sich die Mitglieder inzwischen anders als früher. Vor allem neue Gruppierungen wie die Identitären oder der „3. Weg“ haben Zulauf, während z.B. die NPD an Bedeutung verliert. Auch die sogenannten „Reichsbürger“ oder „Selbstverwalter“ werden der rechtsextremen Szene zugerechnet. Insgesamt zählte der Verfassungsschutz 2017 rund 24.000 Rechtsextreme in Deutschland, davon rund 12.700 gewaltbereite.

Zahlen zu politisch motivierter Kriminalität

Das Bundesministerium für Inneres nennt folgende Zahlen zu politisch motivierter Kriminalität (PMK):

PMK rechts: 20.520 Straftaten (1.130 Gewalttaten)

PMK links: 9.751 Straftaten (1.967 Gewalttaten)

Antisemitische Gewalt?

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Die Frage, wann etwas links- oder rechtsextremistisch ist, ist vor allem in einem Bereich besonders schwierig: Antisemitismus. Denn den gibt es sowohl bei extremistischen Rechten als auch bei extremistischen Linken – und natürlich auch bei extremistischen Muslimen, die bei den Sicherheitsbehörden eine eigene Kategorie bilden (und man darf durchaus fragen, warum die nicht auch einfach entweder rechts oder links sein können, sondern immer erstmal als Muslime eingeordnet werden).

Laut Bundesinnenministerium gab es 2017 1.412 antisemitische Straftaten von Rechten, darunter 29 Gewalttaten. Linksextremisten wurden hingegen genaue 1 antisemitische Straftat zugerechnet.

Dieses Bild – deutlich mehr Antisemitismus von Rechts- als von Linksextremisten – ist seit Jahren stabil. Hier eine Statistik des Bundesinnenministeriums auf Basis von Zahlen des BKA:

Man sieht: Antisemitische Hasskriminalität von links ist kaum existent.

Aber: Auch Linksextremisten sind z.T. antisemitisch, das hat eine Studie der TU Berlin 2016 gezeigt. 34 Prozent der von den Wissenschaftlern befragten Linksextremisten stimmten damals der Behauptung zu, Juden hätten in Deutschland „zu viel Einfluss“.

Unter Personen, die als Linksradikale eingestuft wurden, waren es noch 16 Prozent. Häufig äußert sich der Antisemitismus als Anti-Zionismus bzw. Kritik an der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern (dazu ein Hintergrund der BPB zur Geschichte des Antisemitismus von links). Allerdings: Gewalttätige Straftaten gegenüber Juden zieht das i.d.R. nicht nach sich.

Todesopfer durch rechte und linke Gewalt

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Die Frage, wie viele Menschen seit 1990 durch rechte oder linke Gewalt ums Leben gekommen sind, ist nicht leicht zu beantworten. Das liegt schon daran, dass die politische Motivation der Täter erst seit 2001 mit erfasst wird. Auf Nachfrage der AfD im Bundestag erklärte das Bundesinnenministerium im August 2018 außerdem: „Da die originalen Einzelmeldungen der Länder über begangene Straftaten in der Regel nach zehn Jahren vernichtet bzw. gelöscht werden, sind auch keine retrograden manuellen Neuauszählungen möglich.“ Heißt: Laut Polizei lässt sich das alles nicht mehr überprüfen.

Aber das stimmt so nicht: Die Bundesregierung hat durchaus Zahlen für rechtsextreme Morde oder Mordversuche aus dem Zeitraum VOR 2001. Man findet sie z.B. in einer parlamentarischen Anfrage der Grünen im Bundestag aus dem Jahr 2015. Dort steht: Von 1990 bis 2000, dem letzten Jahr in dem politisch motivierte Kriminalität nicht extra erfasst wurde, habe es insgesamt 51 rechtsextreme Tötungsdelikte mit insgesamt 57 Todesopfern gegeben. Jedes Jahr von 1990 bis 2000 brachten Rechtsextreme Menschen um. Der erste Mordfall war in Lübbenau, Brandenburg, der letzte in Greifswald, Mecklenburg-Vorpommern. Dann kam 2001 und politisch motivierte Kriminalität wurde statistisch erfasst. Und mehr rechte Morde kamen dazu.

Die Zahl der Todesopfer rechter Gewalt ist zudem gut dokumentiert, auch außerhalb der deutschen Behörden. Eine Langzeitrecherche von „Zeit“ und „Tagesspiegel“ in Zusammenarbeit mit der Amadeu Antonio Stiftung hat 2018 ergeben, dass seit 1990 mindestens 169 Menschen durch Rechtsextreme getötet wurden. Bei weiteren 61 Todesopfern gibt es demnach starke Indizien, dass es sich um rechtsmotivierte Gewalttaten handelte. Die AA-Stiftung spricht sogar von fast 200 Todesopfern. Die Recherche ging über das Jahr 2001 hinaus, in dem politisch motivierte Kriminalität erstmals statistisch erfasst wurde.

Die Bundesregierung hingegen kennt laut Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linken aus dem Frühsommer 2018 lediglich „76 vollendete rechts motivierte Tötungsdelikte mit 83 Todesopfern seit 1990“. Dazu kommen seit dem Jahr 1990 insgesamt 205 versuchte rechte Tötungsdelikte mit 210 Opfern.

Der Grund für die Diskrepanz: Nicht alle von den Journalisten und NGOs aufgedeckten Morde wurden von der Polizei gleich als rechtsextrem motiviert erkannt. Nachdem die Morde des NSU entdeckt wurden, änderte sich allerdings die Stimmung in den Behörden: 2012 wurde beschlossen, Alt(mord)fälle daraufhin zu überprüfen, ob sie NSU-ähnlich sind oder ob sie „mögliche Bezüge zur Politisch motivierten Kriminalität (PMK) – rechts – aufweisen“. Die Überprüfung wird durch das „Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum“ (GETZ) durchgeführt.

Mehrere Bundesländer, darunter Sachsen und Brandenburg, melden nun sukzessive rechtsextreme Morde nach.

Wie sieht es eigentlich ganz aktuell aus?

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Laut offizieller Polizeistatistik gab es 2017 vier versuchte Tötungen durch rechts- und drei versuchte Tötungen durch linksextremistische Täter. Vollendet wurde keine Tat. Das ist zuletzt 2016 der Fall gewesen, damals gab es eine rechtsextremistisch motivierte Tötung (bei 18 Versuchen, vs. 6 Versuchen auch linksextremistischer Seite).

Aus der parlamentarischen Anfrage der AfD vom Sommer 2018 bekommt man auch die aktuellsten Zahlen (seit 2001) zu Tötungen oder Tötungsversuchen, die dem linksextremen Sektor zugeordnet werden. Fazit: Es gab seit 2001 laut Bundesinnenministerium genau 2 vollendete Tötungsdelikte, die dem linksextremen Bereich zugeschrieben werden können. Einer im Jahr 2001, in Verden (Niedersachsen), einer im Jahr 2014, in Nürnberg, Bayern. Darüber hinaus gab es 57 versuchte Tötungsdelikte. Dazu kommen – allerdings schon historisch etwas angestaubt – die Morde der RAF: 33 war es zwischen 1971 und 1993.